Als ich zurück nach Sacramento gezogen bin, war ich hier lange nicht mehr gewesen. Schließlich war ich mit der Hälfte meiner Familie verkracht. Gut, die Hälfte stimmte nicht ganz. Zum Schluss war ich nur noch mit meinem Dad zerstritten.
Übrigens ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Steven Murdock. Die meisten Leute nennen mich aber nur Steve.
Ich wollte alles in meinem Leben, nur nicht so werden, wie meine Eltern. Auch wenn mein Dad sicher nicht wenig Erfolg hatte. Frank Murdock schaffte es, sich vom einfachen Angestellten in einem Lebensmittelmarkt zum Gebietsleiter für Kalifornien und Oregon bei Walmart hochzuarbeiten. Vor der Leistung habe ich durchaus Respekt, trotzdem wollte ich diesen Weg nicht machen. Büroarbeit war mir ein Greul. Auch, wenn man da in vielen Jobs nicht wirklich drumherum kam.
Als meine Eltern seinerzeit, nach meiner Zeit auf der High-School auf die glorreiche Idee kamen, ich sollte aufs Collage gehen und dort Betriebswirtschaft studieren, war das für mich gelaufen. Das war absolut nichts für mich. Ich hasste Zahlen und war in Mathe auch immer mehr schlecht als Recht durchgekommen. Ich weigerte mich strikt, aufs Collage zu gehen und meine Eltern blieben bei ihrem Standpunkt, dass ich studieren sollte. Schließlich kam es zum Bruch zwischen meinen Eltern und mir.
Ich zog mit Sack und Pack aus und ging zu den US-Marines. Ich wurde dort umfassend ausgebildet und kam dann zur US 1st Marine Logistics Group in Camp Pendleton, Kalifornien. Dort lernte ich dann auch das Truck- und Panzerfahren. Ich blieb dann einige Jahre bei dieser Division. Dabei bekam ich Einsätze überall auf der Welt. Auch, in dem einen oder anderen Krisengebiet, wo die Lage auch schon mal Ernst werden konnte. Ich bewährte mich und stieg vom Rang bis zum Gunnery Sergeant auf.
Anschließend schickte man mich auf die Drill Instuctor School, wo ich die Fortbildung zum DI bekam.Nach erfolgreichem Abschluss wurde ich zum Marine Corps Recruit Depot San Diego, (MCRD San Diego) abkommandiert, wo ich nun als Ausbilder der neuen Rekruten eingesetzt wurde. Auf der DI School hatte ich dann gelernt, streng und unerbittlich zu sein. Außerdem lernte ich, Menschen zu führen und zu kommandieren. Dies stärkte meine persönlichen Fähigkeiten in diesem Bereich immens. Wenn ich vorher von meinem Dad immer klein gemacht wurde, hätte er heute keine Chance mehr, das zu tun.
Im Jahr 2016 lernte ich dann im NCO-Club des MCRD San Diego eine hübsche, junge Frau kennen, die dort als zivile Arbeitskraft in der Küche arbeitete. Pamela Cortez war eine halb- Mexikanerin. Sie war bildhübsch, hatte lange schwarze Haare und dunkelbraune, fast schwarze Augen, mit deren Blick sie mich bald um den Finger wickelte. Offensichtlich hatte sie auch Gefallen an mir gefunden, denn ich brauchte mich nicht allzu sehr bemühen, bis sie mit mir ausging.
Wir wurden ein Paar und schon Ende des Jahres verschwanden wir nach Las Vegas, wo wir dann heirateten.
Im Spätsommer 2017 war unser Glück dann vollkommen, als unser Sohn Tim das Licht der Welt erblickte. Wir bekamen als junge Familie sogar ein Haus auf dem Gelände des MCRD, wo wir zusammen wohnten.
Am Freitag, den 10. November 2017 sollte es dann ein schicksalhafter Tag werden. Pamela und ihre Eltern hatten seit Tims Geburt auf mich eingeredet, dass ich meinen Eltern doch endlich mal ihren Enkel vorstellen sollte. Ich wusste nicht, ob das eine gute Idee sein sollte, aber Pam meinte, dass es doch ein tolles Geschenk zum Geburtstag meiner Mutter werden würde, wenn wir als Überraschung auf ihrem Geburtstag vor der Tür stehen würden. „Während der Feier wird man uns schon nicht vor die Tür setzen. Was sollen dann die anderen Gäste davon halten.“ meinte Pam optimistisch. „Du kennst meine Eltern ja nicht.“ sagte ich nur als Antwort. „Ausreden gibt es nicht. Ich habe schon ein Hotel für die Übernachtung in Sacramento gebucht.“ sagte Pam mit ihrem bezaubernden Lächeln. „Okay, Mrs. Murdock. Du hast gewonnen.“
Wir packten unsere Sachen zusammen. Dann räumte ich alles in meinen alten H2 und wir machten uns am frühen Morgen auf den Weg. Ich war ja wirklich kein Weichei, aber je weiter wir auf der Interstate 5 in Richtung Norden kamen, um so mehr zog sich mein Magen zusammen. Stell dich nicht so an. Sagte ich innerlich zu mir. Ein Marine hat vor nichts Angst.
Als es hinter LA den Tejon Pass hochging, begann ich zu schwitzen. Pam bemerkte das zum Glück nicht, da sie mit Tim auf der Rückbank des Hummers saß. Lange war ich nicht mehr in Nordkalifornien gewesen. Und selbst wenn, machte ich immer einen großen Bogen um Sacramento. Ich kaufte sogar selten bei Walmart ein, sondern bevorzugte Safeway oder Whole Foods Market zum Einkaufen. Nur, weil ich immer befürchtete, ihm dort zu begegnen. Schließlich war er Gebietsleiter und konnte daher in jedem Markt mal auftauchen.
Die Fahrt dauerte lange. Mehr, als 60 mph traute ich dem alten H2 nicht mehr wirklich zu. So war es dann schon beinahe Abend und es wurde langsam dunkel, als wir Sacramento erreichten.
Als ich in unser altes Wohngebiet fuhr, merkte ich wieder, wie es mir schlecht wurde. Ich riss mich aber zusammen. Ich war Gunnery Sergeant des US-Marine Corps. So jemand fürchtete sich nicht. Wir kamen vor dem Haus an. Die Straße war ziemlich zugeparkt. Unter Anderem fiel mir ein GMC Savana mit Kennzeichen aus Minnesota auf. Konnten die nicht im mittleren Westen bleiben, anstatt mir den letzten Parkplatz zu klauen.
Schließlich fand ich doch noch eine Lücke, wo der Hummer gerade so reinpasste. Ich stieg aus und strich die Jacke meiner Galauniform glatt. Was hat mich eigentlich geritten, die Uniform anzuziehen? Glaube ich, mir damit Respekt von meinen Eltern zu erkaufen? Keine Ahnung. Vielleicht hätte ich den Ausbilder Dress anziehen sollen. In dem fühlte ich mich in der Regel gut und stark.
Ich öffnete die hintere Tür und Ließ Pam aussteigen. Tim hatte sie aus der Babyschale genommen und trug ihn auf dem Arm. Gegen die Kälte hatte sie ihn in eine Decke gepackt. „Hier bist du aufgewachsen?“ fragte sie mich mit großen Augen. „Genau.“ Sagte ich nur. „Noble Gegend.“ „Spießergegend.“ Sagte ich verächtlich. „So schlimm?“ „Schlimmer.“
Pam war in einem Arbeiterviertel San Diegos, unweit der Mexikanischen Grenze aufgewachsen. Fast das Gegenteil von dem hier. „Als Kind habe ich immer davon geträumt, in so einem Haus zu wohnen.“ „Auch ein goldener Käfig ist doch nur ein Käfig.“ Sagte ich und spuckte aus. „Lass uns trotzdem reingehen.“ Sagte Pam. „hier ist es mir und Tim zu kalt.“ Gegen San Diego war es in Sacramento wirklich schon sehr kalt.
Wir gingen zur Haustür und klingelten. Mein Magen zog sich wieder zusammen. Vor keinem Gefecht hatte ich so ein Gefühl wie jetzt jemals gehabt.
Nach einer kleinen Weile ging die Tür auf und ein junger Mann stand in der Tür. Ich hatte meinen jüngeren Bruder das letzte Mal gesehen, als er 14 war. Jetzt war er Anfang 20 und offensichtlich etwas erwachsener geworden. Er musterte Pam, Tim und mich von oben bis unten. Dann fragte er mit einem überraschten Gesichtsausdruck: „Steve?“ „Hallo Marc. Das ist Pamela, meine Frau und mein Sohn Tim.“ Antwortete ich. „Was machst du hier?“ fragte mich Marc fassungslos. „Unsere Mutter hat Geburtstag, wenn ich mich recht erinnere.“ Sagte ich ernst. „Hältst du das für eine gute Idee, dass du heute hier auftauchst?“ fragte mich Marc ebenso ernst.
Ich wollte meinem kleinen Bruder gerade eine passende Antwort geben, als Mom im Flur erschien. Ihre Augen leuchteten förmlich auf, als sie mich erkannte. „Steven.“ Rief sie erfreut. Dann lief sie auf mich zu und fiel mir vor Freude um den Hals. Doch keine so gute Idee mit der Galauniform, kam mir kurz in den Sinn. Ich umarmte Mom.
Als Mom mich wieder losließ, strich ich meine Uniform wieder glatt und sagte: „Hallo Mom. Darf ich vorstellen, meine Frau Pamela und mein Sohn Tim.“ Mom bekam große Augen. „Ich bin Großmutter?“ fragte sie überglücklich. „Offensichtlich.“ Kam es von Marc lapidar. Ich wollte Mom das ganze erklären: „Wir hätten uns ja früher gemeldet, aber du weißt ja…“ Weiter kam ich nicht. Mein Vater erschien im Flur. Kurz dahinter eine junge Frau, in der ich dann meine Schwester Jessica erkannte. Dazu noch ein junger Mann und eine junge Frau mit rotblonden Locken und zahlreichen Sommersprossen.
Jessy erkannte mich nun auch. Auch ihre Augen leuchteten erfreut auf. „Steve.“ Rief sie erfreut. Dann tat sie es unserer Mutter gleich und fiel mir ebenfalls um den Hals. Aus dem Augenwinkel musterte ich Dad. Seine Miene verfinsterte sich. Dann ertönte die eiskalte Stimme, die ich als Teenager schon gehasst hatte. „Was willst du hier?“
Ich riss mich zusammen und dachte. Ganz ruhig, Gunnery Sergeant Murdock. Du bist DI, also kannst du das. Mit einer ebenso eisigen Stimme antwortete ich fest: „Was werde ich hier schon wollen. Meine Mutter hat Geburtstag heute.“ Dad blickte mich an. In seinen Augen erkannte ich puren Hass. „Tut mir leid. Meine Kinder sind bereits alle hier. Wir haben eine geschlossene Gesellschaft.“ Die junge Frau mit den Sommersprossen blickte Marc mit einer Mischung aus Überraschung und Verzweiflung an. Offensichtlich kannte sie Dad noch nicht lange genug, um diese Seite an dem Mann zu kennen.
Langsam kam der Drill Instructor in mir wieder durch. Für solche Situationen war ich ausgebildet worden. „Mich wird hier keiner daran hindern, Meiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren und ihr ihren Enkel vorzustellen.“ Dad sah mich mit einem eiskalten Blick an. Viele hätten dem Blick nicht standgehalten. Ich inzwischen schon. „Dann muss ich wohl die Polizei holen. Wegen Hausfriedensbruch.“ Sagte er eisig. Jessy schaute unseren Vater entsetzt an. „Das kannst du nicht machen, Dad.“ „Und ob ich das kann. Dieser Mann ist nicht mehr mein Sohn.“ Mom war kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Frank, bitte. Nicht an meinem Geburtstag.“
Eine Anzahl, älterer Damen war nun auch noch im Flur angekommen. Offensichtlich waren es Freundinnen von Mom. Das störte meinen Vater aber ganz und gar nicht. „Ich wollte deine Feier nicht stören oder verderben.“ Sagte er kalt. „Das hat dieser Mann alleine verursacht.“ Dabei zeigte er auf mich.
Zu meiner Überraschung mischte sich Marc jetzt wieder ein: „Steve. Ich glaube, es ist wirklich besser, wenn du jetzt deine Familie nimmst und gehst.“ Früher hätte sich mein kleiner Bruder niemals getraut, in so einer Situation was zu sagen. Zugegeben. Er war damals auch noch zu klein dafür. „Seit wann hat mein Bruder denn Courage?“ fragte ich trotzdem überrascht. „Nicht nur das.“ Sagte Jessy und man sah ihr an, dass sie richtig stolz auf unseren Bruder war. „Marc ist der einzige von uns, der seine Träume durchgesetzt hat. Er hat jetzt seine eigene Transportfirma und fährt mit dem Truck kreuz und quer durch Amerika.“ Das erstaunte mich jetzt wirklich. Da konnte Dad einfach nicht mit einverstanden gewesen sein. Trotzdem war er noch ein gern gesehener Mensch hier im Hause. Im Gegensatz zu mir.
Ich überspielte meine Gedanken mit einem Grinsen. „Hut ab, Brüderchen. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Marc verdrehte die Augen. Dann wurde er wieder ernst. „Geh jetzt bitte. Damit das hier nicht eskaliert.“ Da ich meinen Vater nur zu gut kannte, wusste ich, dass Marc Recht hatte. „In Ordnung. Mit Deeskalation kenne ich mich aus.“ Ich schaute Pam an, die die ganze Situation wortlos, mit einer Mischung aus Überraschtheit und Trauer beobachtet hatte. „Komm, Pam. Wir gehen.“ Sagte ich fest. „Man will uns hier nicht haben.“ Wir drehten und um und gingen zur Straße. Pam schüttelte nur fassungslos den Kopf.
Auf einmal erklang Marcs Stimme von hinten: „Warte mal.“ Ich drehte mich um und kehrte den DI wieder heraus. „Was willst du noch?“ fragte ich ihn verärgert. Marc sah mich verzweifelt an. Aber auch er hatte inzwischen gelernt, sich durchzusetzen.
Er wurde ernst und sagte: „Verstehe das doch bitte. Du kennst doch Dad. Der hätte jetzt tatsächlich die Cops gerufen und die hätten hier richtig was aufgefahren.“ Das konnte ich mir bildlich vorstellen. „Willst du Mom das an ihrem Geburtstag antun?“ „Natürlich nicht.“ Antwortete ich. Marc machte einen Vorschlag: „Dann besucht sie doch mal, wenn Dad nicht da ist. So macht das doch keinen Sinn.“ Man fährt ja auch mal eben von San Diego nach Sacramento. Na gut, als Trucker ist man das gewöhnt.
Stattdessen antwortete ich: „Ich bin kein Feigling. Glaubst du, ich wäre noch bei den Marines, wenn ich Konflikten aus dem Weg gehen würde?“ Marc verdrehte abermals die Augen. Er begann, wegen der Kälte leicht zu zittern. „Darum geht es doch gar nicht.“ Sagte er mit ernstem Blick. „Es geht doch nur darum, was du Mom damit antust.“ Marc überraschte mich immer mehr. Aus dem unsicheren Teenager war wirklich ein Mann geworden, der wusste, was er wollte. „Mein kleiner Bruder ist wirklich erwachsen geworden.“ Sagte ich anerkennend.
Jessy und die junge Frau mit den Sommersprossen kamen nun auch raus. Letztere brachte Marc zum Glück eine Jacke mit. „Darf ich vorstellen, Keela Ryan, meine Freundin.“ Sagte er. „Steve Murdock.“ Erklärte er seiner Freundin überflüssigerweise wer ich war. Das hatte sie sicher inzwischen begriffen. Keela sah das wohl ebenso: „Hallo, deine Familie brauchst du mir jetzt nicht vorstellen, das habe ich eben mitbekommen.“ Jessy mischte sich ein. „Was macht ihr hier?“ Marc drehte sich zu ihr um. „Ich versuche unserem Bruder klarzumachen, dass es nichts mit Feigheit zu tun hat, wenn er jetzt geht und Mom dann besucht, wenn Dad nicht hier ist.“ Keela nickte zustimmend. „Da hat Marc Recht. Frank gibt jetzt nicht nach und Mary leidet darunter. Frank ist das egal, aber deiner Mutter ist dann der ganze Geburtstag versaut.“ „Nicht nur hübsch, sondern auch intelligent.“ Sagte ich anerkennend. „Keela arbeitet als Dispatch bei Walmart.“ Erklärte Marc. „Sie kennt Dad nicht nur als potentiellen Schwiegervater, sondern auch als Chef.“ Mir ging gerade ein Licht auf. „Wahrscheinlich fährst du jetzt auch für die Bude.“ Sagte ich abfällig. „Warum denn nicht.“ Sagte Marc bestimmt. „Ich habe mir alles selber erarbeitet. Ich bekomme keine Sonderbehandlung, weil ich Frank Murdocks Sohn bin.“ „Im Gegenteil.“ Sagte Keela. „Wir müssen ganz genau aufpassen, dass er keine Bevorzugungen bekommt. Einerseits, weil er der Sohn vom Boss ist und andererseits, weil wir ein Paar sind.“ mir kamen noch leichte Zweifel daran. „Wenn du meinst, dann glaube ich das mal so.“
Jessy musste sich wieder einmischen. „Na und? Marc fährt für Dad und du arbeitest jetzt für Donald Trump, wenn man es genau nimmt. Was ist da wohl schlimmer?“ Zugegeben. Das passte mir auch nicht so recht. Von meiner Einstellung her, war ich sowieso eher Demokrat. „Bitte jetzt keine Politik.“ Fuhr Marc dazwischen.
Marc holte einen Zettel und einen Stift aus seiner Jacke. Dann schrieb er seine Telefonnummer auf. „Du kannst mich gerne mal anrufen, wenn du willst. Dann können wir das gerne ausdiskutieren. Und lass Mom nicht darunter leiden. Sie kann da auch nichts für.“ Ich sah das etwas anders. „Sie ist Dad aber immer noch genauso hörig wie Früher.“ „Willst du ihr das jetzt vorwerfen?“ fragte Jessy bissig. „Mom ist inzwischen ganz alleine in dem großen Haus. Wir sind alle nicht mehr da. Nur Dad. Außerdem liebt sie ihn.“ Ich erinnerte mich an diverse Anrufe meiner kleinen Schwester, wenn sie mal wieder zu Hause gefrustet war. „Von dir habe ich auch schon andere Worte gehört.“ Sagte ich daher. „Als Marc sich zu Hause durchgesetzt hat, sind mir eben auch die Augen aufgegangen.“ „Wenn Mom aber doch die ganze Zeit alleine ist, dann ist Marc aber doch wohl auch zu Hause raus.“ Schloss ich daraus. „Nur so halb.“ Sagte Marc. „Ich bin im Fernverkehr ja ständig unterwegs. Wenn ich dann mal hier bin, dann bin ich natürlich auch oft bei Keela.“ „Du wohnst aber noch hier.“ „Solange Keela und ich noch nicht zusammenwohnen, ja.“ „Gut, ich werde euren Rat beherzigen.“ Sagte ich. „Ob das was wird, sehen wir dann.“ Wir verabschiedeten uns und stiegen wieder in den Hummer. „Wo müssen wir hin?“ fragte ich Pam, die die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt hatte. Sie nannte mir den Namen des Hotels, was sie gebucht hatte und ich machte mich auf den Weg.
„Was war das jetzt?“ fragte sie mich dann auf der Fahrt entgeistert. „Der kürzeste Familienbesuch aller Zeiten.“ Sagte ich genervt. „Ich will ja kein Besserwisser sein, aber das wusste ich wirklich vorher.“ „Wie kann eine Familie so miteinander umgehen?“ fragte Pam entgeistert. „Bei meiner Familie wäre das undenkbar.“ Das stimmte. Gerade der mexikanische Teil von Pams Familie hatte so einen Zusammenhalt, den man sich bei uns nur erträumen konnte. Zum Glück konnte Tim das alles noch nicht verstehen, was eben losgewesen war.
Wir kamen am Hotel an und checkten ein. Eigentlich hätten wir hungrig sein müssen, aber Pam und mir war beiden der Appetit vergangen. Sie kümmerte sich noch um Tim und stillte ihn. Danach legte sie unseren Sohn in das Kinderbettchen, was man uns ins Hotelzimmer gebracht hatte. Wir saßen dann noch eine Weile in der Sitzecke des Zimmers und schauten gelangweilt in den Fernseher. Dabei hing jeder seinen Gedanken nach und wir sprachen nur wenig miteinander. Schließlich gingen wir schlafen.
Meine Nacht war dann aber nicht so gut. Die Ereignisse am Elternhaus belasteten mich doch mehr, als ich wahrhaben wollte. Daher wurde ich häufiger wach als sonst. Wobei Tim schon dafür sorgte, dass wir keine Nacht durchschlafen konnten.
Ich verstand einfach nicht, warum Dad sich immer noch so verhielt. Gut, ich habe seine Wünsche nicht erfüllt und habe nicht studiert. Aber war so nichts aus mir geworden? Ich hatte eben meine Karriere bei den Marines gemacht. Mit Jessy und Marc sprach er ja auch noch. Er musste es ja nicht toll finden, aber er konnte meinen Entschluss zumindest akzeptieren. Ob Marc jetzt soviel besser dran war, als ich konnte ich nicht beurteilen. Gut. Er hatte seinen eigenen Truck, aber irgendwie war er ja doch auf Dad und Walmart angewiesen. Irgendwann schlief ich dann aber doch ein.
Am nächsten Morgen hatten Pam und ich uns fertig gemacht und saßen im Speiseraum des Hotels beim Frühstück. Tim lag in seiner Babyschale, die auf einem weiteren Stuhl stand und schlief dabei. „Ich habe mir was überlegt.“ Sagte ich zu Pam. „Was denn?“ „Ich habe ja noch bis Ende kommender Woche Urlaub. Lass uns noch nicht wieder zurück nach San Diego fahren, sondern noch eine Woche in Nordkalifornien bleiben.“ „Okay. Warum?“ „Wenn ich mit der alten Sache mit meinen Eltern schon nicht abschließen kann, möchte ich wenigstens noch etwas Zeit hier verbringen und mich von Sacramento verabschieden. Hier zieht es mich dann nicht wieder her.“ „Ich glaube, du bist zu voreilig.“ Meinte Pam. „Deine Mutter und deine Geschwister waren doch nett. Ich würde wegen deines Vaters nicht gleich die ganze Familie verteufeln.“ Pam war nun mal ein absoluter Familienmensch. „Es klang gestern so, als wollte mich Marc auch nicht unbedingt hier sehen.“ „Das ist Quatsch. Er hat nur versucht, zu verhindern, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ich fand das, was er gestern gesagt hat, sehr vernünftig. Wie alt ist er eigentlich?“ „22. Ein Jahr jünger, als du.“ „Für einen Jungen in dem Alter, war er doch sehr abgeklärt und vernünftig. Vielleicht, weil er selbstständig ist.“ „Selbstständig? Abhängig von Walmart ist er. Genau wie der Rest meiner tollen Familie.“ „Wieso? Er hat nur das Risiko bei einer Firmengründung minimiert, indem er einen festen Vertrag angenommen hat. Sonst würde ihm auch keine Bank auf der Welt Geld geben.“ Ich merkte mal wieder wie klug meine Frau doch war. „Okay. Bei Mom und Jessy stimme ich dir zu. Vielleicht können wir die beiden noch mal sehen, bevor wir wieder in den Süden fahren.“ „Das klingt schon vernünftiger. Außerdem will ich noch was von deiner Heimatstadt sehen und in San Francisco war ich auch noch nie.“ „Das heißt, wir bleiben noch?“ „Machen wir. Du hast doch bestimmt auch noch Freunde von früher hier.“ „Natürlich.“ „Denen könntest du auch unseren Sohn vorstellen.“ „Stimmt.“ „Dann pass mal eben auf Tim auf. Ich gehe zur Reception und verlängere unser Zimmer bis kommenden Freitag.“
Wir blieben also noch. Am Nachmittag gingen wir dann am State Capitol spazieren. Das sehenswerte Gebäude musste ich Pam ja nun wirklich zeigen. Außerdem war der State Capitol Park einer der schönsten Orte in meiner Heimatstadt, um mit dem Kinderwagen spazieren zu gehen. Wir entspannten uns allmählich und genossen den Tag, der auch für November noch recht warm war. Zwar kein Vergleich mit San Diego, aber immer noch erträglich.
Manchmal gibt es Zufälle, die man kaum glaubt. Aber wie es der Zufall so wollte, kamen uns Jessy und ihr Freund im Park entgegen. „Hey Steve.“ Begrüßte sie mich überschwänglich und umarmte mich. Dann etwas weniger euphorisch, aber immer noch sehr erfreut. „Hallo Pamela.“ Schließlich hatten sich die beiden ja gestern zum ersten Mal gesehen. „Das ist übrigens Dave, mein Freund.“ „Hallo Jessy. Pam reicht.“ Sagte meine Frau. „Hallo Dave.“ „Habt ihr den Kulturschock von gestern überstanden?“ fragte Dave. „Geht so. Hab schon Besseres, aber auch Schlimmeres erlebt.“ Antwortete ich. „Dad hat sich danach volllaufen lassen.“ Berichtete Jessy. „Marc hat es dann geschafft, dass er sich mit Jim Beam in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hat. Für Mom war die Party dann gelaufen. Wir haben dann aber noch das Beste draus gemacht.“ „Ich sag ja, wir hätten nicht herkommen sollen.“ „Red‘ keinen Müll. Du hast dich erstklassig verhalten. Dad hat die Party versaut, nicht du.“ „Stimmt.“ Sagte auch Dave. „Frank hat sich total daneben benommen. Er braucht sich nicht wundern, wenn er nach dem gestrigen Tag zum Gespött der ganzen Gegend wird.“ „Das gönne ich ihm noch nicht mal.“ Bemerkte ich.
Wir gingen gemeinsam weiter und Jessy löcherte mich mit Fragen. Sie wollte alles wissen, was ich seit meinem Auszug zu Hause gemacht hatte. Schließlich luden uns Jessy und Dave noch zu sich ein, was wir gerne annahmen.
Jessy und Pam beschäftigten sich dort in erster Linie mit Tim, der dann auch mal wach war. „Der ist ja sooo süß.“ Stellte Jessy fest. Dave erzählte mir in der Zeit von seinem Job bei CAT. Wir tauschten uns dann ein wenig aus, da wir bei den Marines auch Militär Bulldozer von CAT einsetzten, die ich gut kannte. Zu guter Letzt tauschten wir noch die Adressen und Telefonnummern aus und versprachen uns, in Kontakt zu bleiben. Der Tag hatte dann das wieder wett gemacht, was der gestrige Tag versaut hatte.
Die nächsten Tage waren wir viel unterwegs. Wir besuchten ein paar Freunde, die ich noch von der Schule kannte und war teilweise erstaunt, wie vernünftig die Jungs in der Zeit geworden waren. Nicht nur ich war inzwischen verheiratet und Vater, auch einige andere aus meiner alten Clique.
Am Dienstag fuhren wir zum Lake Tahoe und ich zeigte Pam die Schönheiten der Sierra Nevada. Auch dort gingen wir wieder viel spazieren, wobei wir und doch schon dick anziehen mussten Pam kannte eigentlich nur das warme Klima aus Südkalifornien. Tim packten wir auch dick ein, damit sich der Kleine nicht erkältete.
Am Mittwoch waren wir dann in San Francisco unterwegs. Wir waren gerader auf der Aquatic Park Pier, von der man einen guten Blick auf Alcatraz, die Golden Gate Bridge und die Stadt hat, als mein Handy klingelte. Die Nummer im Display kannte ich nicht. „Murdock.“ Meldete ich mich daher knapp. „Hallo Steven.“ Meldete sich eine bekannte Stimme. Mir fiel beinahe das Handy aus der Hand. „Hallo Mom.“ Sagte ich mit belegter Stimme. „Jessica hat mir deine Nummer gegeben. Ich hoffe das ist in Ordnung.“ „Natürlich.“ „Ich möchte mich erstmal für letzten Freitag bei dir entschuldigen.“ „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Wenn das einer muss, dann er.“ „Da kannst du wahrscheinlich lange drauf warten, dass sich dein Vater bei dir entschuldigt.“ „Das fürchte ich auch.“ „Wo wohnst du inzwischen?“ „In San Diego.“ „Seid ihr schon wieder da, oder noch in Sacramento?“ „Im Moment sind wir gerade in San Francisco. Aber wir wohnen noch bis Freitag im Hotel in Sacramento.“ „Können wir uns noch sehen, ich würde so gerne meinen Enkel und natürlich deine Frau kennenlernen.“ Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht zu weinen begann. Ein Marine weint schließlich nicht. „Natürlich können wir uns noch sehen. Deshalb sind wir doch letzten Freitag nach Sacramento gekommen.“ „Willst du zu uns kommen?“ „Besser nicht. Hinterher kommt Dad zufällig nach Hause.“ „Dann komme ich zu euch ins Hotel. Wo wohnt ihr denn?“ „Im Best Western Sandman Motel an der Jibboom Street. Das ist direkt am Sacramento River.“ „Ist das nicht direkt an der Interstate?“ „Richtig. Die Fenster sind aber gut Isoliert. Außerdem geht unser Zimmer zum Fluss raus.“ „Dann ist es ja gut. Sonst kann man da wahrscheinlich kaum schlafen.“ „Du bist halt die ruhige Wohngegend gewöhnt.“ „Kann sein. Wann soll ich denn da sein?“ „Kannst du morgen? Übermorgen früh fahren wir wieder nach Hause.“ „Natürlich. So gegen 10 Uhr vormittags?“ „Das passt.“ „Dann bis morgen, mein Junge. Ich freue mich.“
Ich steckte mein Handy wieder ein und Pam schaute mich fragend an. „Wir treffen meine Mutter morgen Vormittag in unserem Motel.“ „Dann hat das ganze Theater ja doch noch Sinn gemacht.“ „Genau, Schatz.“
Wir setzten unser Sightseeing in San Francisco fort und fuhren am Abend gut gelaunt nach Sacramento zurück.
Donnerstag, den 16. November 2017:
Wir waren zeitig aufgestanden und hatten uns fertig gemacht. Für meine Mutter hatten wir uns dann auch extra in Schale geworfen. Dieses Mal zog ich aber nicht, wie am letzten Freitag meine Uniform an, sondern eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd. Pam hatte sich ebenfalls für eine enge Jeans entschieden. Dazu trug sie eine rosafarbene Bluse. Stolz betrachtete ich meine schöne Frau, die durch die Schwangerschaft nichts von ihrer tollen Figur verloren hatte. Wir trieben aber auch viel Sport. Zum Glück hatte das Motel auch einen Fitnessraum, in dem wir uns beide abwechselnd auspowern konnten, während der Andere bei Tim blieb.
„Träumst du?“ fragte mich Pam. „Im Moment von dir, meine Süße.“ Gab ich zu. „Das ist erlaubt.“ Lachte Pam. Dabei zeigte sie ihre weißen Zähne, die wie Perlen in dem sonnengebräunten Gesicht glänzten.
Wir gingen frühstücken, wobei Tim wieder in seiner Babyschale schlief. Nach dem Frühstück hatten wir noch etwas Zeit und gingen wieder aufs Zimmer. Langsam wurde ich doch etwas nervös. Ich stand am Fenster und blickte über den Fluss nach West Sacramento herüber. Pam kam von hinten und umarmte mich. Dabei stieg mir ihr Duft in die Nase. „Es wird alles gut.“ Flüsterte sie mir ins Ohr. „Hoffentlich.“ „Na klar. Was soll schon passieren? Oder glaubst du, dein Vater taucht hier plötzlich auf.“ „Bestimmt nicht.“
Gegen zehn Uhr klingelte dann mein Handy. Inzwischen wusste ich ja, dass es Moms Nummer war. „Hallo Mom.“ „Ich bin jetzt auf dem Parkplatz.“ „Sollen wir uns in den Frühstücksraum setzen, oder besser in unser Zimmer?“ „Ich komme zu eurem Zimmer. Sicher ist sicher.“ „In Ordnung.“ Ich nannte ihr die Zimmernummer und wir legten auf.
Kurz darauf klopfte es. Ich öffnete und stand zum zweiten Mal seit einer Ewigkeit vor meiner Mutter. Wir fielen uns beide um den Hals und mussten beide weinen. „Hey. Ich denke, ein Marine weint nicht.“ Sagte Pam mit einem Grinsen. „Heute bin ich mal kein Marine, sondern nur ein Mann.“ Sagte ich. „Hallo Mrs. Murdock.“ Sagte Pam. „Bitte, sag Mary zu mir. Ich bin ja schließlich deine Schwiegermutter. Pamela, nicht wahr?“ „Sie können ruhig Pam sagen.“ „Vergiss es.“ Sagte ich mit einem Lachen. „Mom hat in ihrem Leben noch nie jemanden mit einer Kurzform oder einem Kosenamen angesprochen. Das ist nicht ihre Art. Was nicht heißt, dass sie einen nicht mag. Jessy und ich sind auch immer Jessica und Steven.“ „Verstehe.“ Sagte Pam mit einem Lächeln. „Dann also Pamela.“ „Woher stammen Sie?“ fragte Mom neugierig. „Sie machen einen südländischen Eindruck.“ „Ich dachte wir waren schon beim Du.“ Grinste ich. „Stimmt.“ Meinte Mom. „Entschuldigung.“ „Ich bin in San Diego geboren und aufgewachsen. Meine Mutter ist ebenfalls gebürtige US-Amerikanerin. Mein Vater stammt allerdings aus Mexico.“ „Verstehe. Das sieht man dir an.“ „Das war als Kind auch nicht immer einfach.“ Sagte Pam. „Man hat mich viel mit Vorurteilen behandelt. Manchmal passiert das heute noch.“ „Ich finde gerade das an ihr so reizvoll.“ Sagte ich. „Marc hatte ja früher auch diesen Faible für Latinas. Bevor er mit Keela zusammengekommen ist.“ „Die scheint auch nett zu sein. Auch recht hübsch, wenn man auf den irischen Typ steht.“ „Keela hat tatsächlich irische Wurzeln. Sie kommt aber aus Minnesota.“ „Dann war das ihr Van, der da am Freitag an der Straße stand.“ „Sie ist wohl im letzten Sommer aus Minnesota nach Sacramento gezogen, weil sie an den Wochenenden surfen wollte. Dafür hat sie auch den Van. Da wohnt sie an den Wochenenden wohl drin.“ „Und dann lief ihr mein Brüderchen über den Weg.“ Lachte ich.
Nun stand erstmal Tim im Mittelpunkt. Zum Glück wurde der Kleine rechtzeitig wach. Er meldete sich natürlich erstmal mit Geschrei, dass erst aufhörte, als Pam ihn anlegte und stillte. „Wie war noch der Name?“ fragte Mom. „Tim.“ „Was ist das denn für ein Name?“ meinte Mom. „Wenn wir das nach mexikanischer Tradition machen würden, wäre er Timothy Alejandro Murdock Cortez.“ Sagte Pam lächelnd. „In Mexico hat jeder vier Namen. Zwei Vornamen, dann den Namen des Vaters und den der Mutter.“ Erklärte sie. „Ich heiße nach mexikanischer Tradition Pamela Catalina Cortez Newman.“ „Viel zu lang.“ Grinste ich. „Wir sind ja auch nicht in Mexico. Daher heiße ich seit unserer Hochzeit Pamela Murdock. Die Catalina war mir eh immer zu Mexikanisch.“ „Und trotzdem den Alejandro als zweiten Vornamen für Timothy?“ wunderte sich Mom. „Das ist der Vorname meines Vaters. Das wollten wir bei der Taufe so.“ „Verstehe.“ Nun hatte Mom auch die Langform von Tims Namen gehört. Er würde sich daran gewöhnen müssen, dass ihn seine Oma generell mit Timothy ansprechen würde.
Nachdem Tim satt war und sein Bäuerchen gemacht hatte, durfte Mom ihn nehmen. Sie war ganz eindeutig eine stolze Oma. „Ich habe mir schon lange ein Enkelkind gewünscht.“ Sagte sie glücklich. „Bei Marc und Jessy wird das wohl noch etwas dauern.“ Vermutete ich. „Wir sind ja noch junge Eltern und Marc ist immerhin fünf Jahre jünger, als ich. Jessy sogar knapp sieben Jahre jünger.“ „Stimmt. Deshalb bin ich ja froh, dass du dich gemeldet hast.“ „Das sieht dein Mann aber anders.“ Sagte ich bitter. „Gib ihm Zeit. Ich bin sicher, das wird sich irgendwann legen. Ansonsten verlasse ich ihn.“ „Bist du sicher?“ „Wir sind seit 30 Jahren verheiratet. Die großen Gefühle sind sowieso nicht mehr da. Außerdem hat sich dein Vater in den Jahren immer weiter verändert. Je höher er bei Walmart aufgestiegen ist, um so mehr hat er sich verändert. Frank ist nicht mehr der Mann, in den ich mich mal verliebt habe. Er lebt doch nur noch für die Arbeit und seine Karriere. Dazu kommt noch, dass sie bei Walmart wohl vorhaben, immer mehr Bezirke zusammen zu legen.“ „Was heißt das?“ „In der Zentrale in Bentonville werden Überlegungen getroffen, im nächsten Jahr irgendwann Bezirke zusammenzulegen. Frank meinte, dass wenn es so kommt, er nicht mehr nur für Kalifornien zuständig ist. Ich habe mal Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu Hause gesehen, wo was vom „Project ORCA“ draufstand. Das hieße Oregon und Kalifornien.“ „Na und?“ „Frank wird immer gestresster und damit auch reizbarer. Aber andererseits genießt er auch die Macht, die er damit hat. Vielleicht will er sogar irgendwann in die Zentrale nach Arkansas.“ „Hat er das gesagt?“ „Das nicht. Aber hier kommt er langsam nicht mehr weiter hoch auf der Karriereleiter.“ „Zuhause ist er dann auch gestresst und reizbar?“ „Wenn ihm was nicht passt, dann schon. Außerdem wirkt er öfter unterkühlt oder eiskalt, so wie er letzten Freitag zu dir war.“ „Liebst du ihn noch?“ „Eigentlich schon. Aber ihr drei, Jessica, Marc und du, habt mir die Augen geöffnet. Ich lasse mir von eurem Vater nicht mehr alles bieten.“ „Du würdest ihn also wirklich verlassen, um mit uns Kontakt zu halten?“ „Wenn er mich vor die Wahl zwischen ihn und meinen Kindern stellt, dann hat er die schlechteren Karten.“ „So oft werden wir uns wahrscheinlich nicht sehen. Schließlich wohnen wir in San Diego.“ „Na und? Das sind mit dem Flugzeug eineinhalb Stunden. Das ist es mir Wert, meinen Sohn und meinen Enkel zu sehen. Dich natürlich auch, Pamela.“ „Das geht aber auf die Dauer ins Geld.“ „Das können wir uns nun wirklich leisten. Wir sind schließlich nicht arm.“ „Wenn du meinst, du bist uns natürlich immer willkommen.“
Tim fühlte sich inzwischen richtig wohl bei seiner Oma. Er war zwar zwischendurch wieder eingeschlafen, aber dabei kuschelte sich der Kleine wohlig in Moms Arme. „Er mag dich.“ Sagte Pam. „So ruhig liegt er noch nicht mal bei Steve im Arm.“
Gegen halb Eins musste Mom aber wieder los. „Falls Frank über Mittag nach Hause kommt, will ich wenigstens vor Ort sein. Wir reden zwar seit Freitag nur das Nötigste miteinander, trotzdem muss ich ihn ja nicht argwöhnisch machen.“ Wir verabschiedeten uns und ich sah Mom hinterher, wie sie auf dem Parkplatz zu ihrem Auto ging.
„War ja letztlich doch noch ganz schön.“ „Heute, oder insgesamt?“ „Heute war es richtig toll. Man hat richtig gemerkt, wie deine Mutter unseren Tim liebt. Ich meinte jetzt insgesamt. Außer deinem Dad hast du doch eine tolle Familie.“ „Trotzdem ist mein Bedarf an Sacramento wieder bis auf Weiteres gedeckt.“ „Wir fahren ja morgen wieder nach Hause.“
Den restlichen Tag verbrachten wir dann noch in Sacramento. Ich zeigte Pam dann noch Sutter’s Fort. Anschließend gingen wir noch am American River spazieren. Den Abend verbrachten wir dann wieder im Motel.
Am nächsten Morgen machten wir uns zeitig auf den Weg zurück nach San Diego. Die Strecke war einfach. Immer die Interstate 5 in Richtung Süden, bis wir schließlich in San Diego ankamen. Dort war es dann nicht mehr weit.
Wenige Minuten von der I-5 entfernt lag das Lincoln Military Housing – Gateway Village, wo es Wohnungen und Häuser für Militärangehörige und deren Familien gab. Dort hatten wir ein kleines, schmuckes Häuschen bekommen. Die Basis war für mich fußläufig erreichbar. Was aber später für Mom wichtig sein würde, man war auch in wenigen Minuten mit dem Auto am Flughafen, der gleich auf der Rückseite der Basis lag. Es war zwar noch ein ganzes Stück bis nach San Ysidro, wo Pams Eltern wohnten. Da sie aber dann mit unserem Hummer fahren konnte, ging das auch.
Im MCRD San Diego wurden von mir und meinen Kollegen sämtliche männlichen Marines ausgebildet, die bei ihrer Verpflichtung westlich des Mississippi wohnten. Auch wenn sie vom Rest der Marines als Hollywood-Marines verspottet wurden.
Bis Sonntag hatte ich jetzt noch frei. Danach würde mich der Alltag wiederhaben. Wir genossen die freien Tage noch.
Wir unternahmen noch viel zusammen und ich merkte das erste Mal in meinem Leben, dass ich ja jetzt eine richtige kleine Familie mit Frau und Kind hatte. Das würde für mich auch mehr Verantwortung bedeuten. Immerhin musste ich mich ja nicht mehr nur um mich selbst kümmern, sondern auch um Pam und Tim.
Thanksgiving verbrachten wir dann in San Ysidro bei Pams Eltern. Leider hatte Pam keine Geschwister, da es bei Ihrer Geburt Komplikationen gab. Mutter und Kind konnten damals gerettet werden. Allerdings konnte Pams Mutter anschließend keine weiteren Kinder mehr bekommen. So wurde sie aber immer von Ihren Eltern verwöhnt, soweit es das Einkommen von Alejandro Cortez als einfachem Arbeiter erlaubte. Wenn ich das aber so verglich, wäre mir früher weniger Geld und mehr Liebe aber auch lieber gewesen.
Schon am Black Friday hatte mich dann der Alltag wieder und ich konnte meine Rekruten wieder zu Höchstleistungen antreiben und ihnen Disziplin beibringen.
Das Jahr 2017 verging dann schnell und es kam das Jahr 2018. Während uns der Alltag wieder richtig eingeholt hatte, verging das Jahr wie im Flug. Mit Mom und Jessy hatte ich immer wieder Kontakt. Während es bei Jessy meistens bei WhatsApp Nachrichten und gelegentlichem Skypen blieb, nutzte Mom jede Gelegenheit, wenn Dad mal ein, zwei Tage nicht zu Hause war und flog nach San Diego. Pam und sie verstanden sich richtig gut und Tim gewöhnte sich an seine Oma.
So verging der Beginn des Jahres.
Im Februar meldete sich Mom mit einer nicht ganz so schönen Meldung: „Bei dem Erdbeben, was wir hier hatten, ist Marcs Halle eingestürzt. Zum Glück stand der Truck nicht drin, sondern nur sein Ford.“ „Der war ja schon älter, oder?“ „Stimmt. Trotzdem stehen Marc und Keela nun vor großen Problemen.“ „Wieso das? War die Halle nicht versichert?“ „Das schon. Aber sie war im schlechten Zustand. Die Versicherung will nur wenig zahlen.“ „Da hat mein Brüderchen aber viel um die Ohren.“
Nach dem Telefonat schrieb ich Marc eine WhatsApp: „Hallo Marc. Ich habe das von deiner Halle gehört. Falls ich dir irgendwie helfen kann, melde dich.“ Irgendwann später kam die Antwort. „Danke für das Angebot. Keela, ihre und unsere Eltern machen schon alles, was nötig ist.“ „Mach dich bloß nicht von Dad abhängig.“ Warnte ich ihn. „Wo denkst du hin. Das fällt mir im Traum nicht ein. Keelas Eltern haben in Minnesota eine große Baufirma. Die Ryans helfen mir beim Neubau der Halle.“ „Nimm Dad auch nicht als Partner in deine Firma. Der degradiert dich zum Angestellten im eigenen Laden.“ „Wenn ich überhaupt jemanden als Partner mit in die Firma nehme, dann Keela.“ Ich staunte. „Die Kleine hat wohl Geld.“ „Eigentlich nicht. Ihre Eltern sind aber nicht gerade arm. Von denen würde sie alles bekommen. Aber eigentlich möchte ich gar keinen Partner.“ „Finde ich gut. Viel Glück.“
Ein paar Tage später schrieb mir Marc nochmal: „Hallo Steve. Es ist alles geregelt. Der Neubau kann beginnen.“ Das klang doch schon mal gut. Ich schrieb zurück: „Super. Wie machst du das jetzt finanziell?“ „Einerseits das Geld von der Versicherung. Dann bekomme ich Geld aus der Stiftung, die Keelas Mom betreibt. Einen Teil bekomme ich von Keelas Eltern als zinsloses Darlehen und Keela steigt als Partnerin ein. Damit ich unsere Eltern nicht vor den Kopf stoße, habe ich auch ein bisschen was von denen angenommen. Das ist aber der kleinste Anteil.“ „Klingt doch gut. Halte uns auf dem Laufenden.“
Die nächsten Wochen und Monate war dann wieder Alltag. Ich war die meiste Zeit in der Basis und bildete neue Rekruten aus. Pam kümmerte sich um Tim, der inzwischen schon munter durch unser Haus krabbelte. Zur Sicherheit hatte ich schon Schutzgitter an den Treppen angebracht, damit Tim nirgendwo runterfallen konnte. Pam hatte alle zerbrechlichen Gegenstände hochgestellt, damit Tim nicht drankam, außerdem legte ich die unten liegenden Steckdosen lahm.
Marc schickte uns regelmäßig Bilder, die den Fortschritt beim Bau der neuen Halle zeigten. Zur Einweihung luden uns Keela und Marc auch nach Sacramento ein. Aus zwei Gründen mussten wir uns gegen einen Besuch entscheiden. Einerseits bekam ich zurzeit schlecht Urlaub, Andererseits war ich nicht scharf darauf, Dad zu treffen. So lief das Jahr immer weiter.
Langsam bemerkte ich aber eine Veränderung bei Pam. Sie wirkte nicht mehr so unbeschwert und locker wie sonst. Ich konnte mir da keinen Reim drauf machen. Wenn ich sie darauf ansprach, sagte sie immer nur, dass ich mir das einbilden würde. Da wäre nichts. So ging das dann bis in den Sommer.
Eines Tages bekamen wir einen Anruf von Jessy. „Hey Schwesterherz, was gibt’s?“ fragte ich sie gut gelaunt. „Ich habe meine Prüfung bestanden. Jetzt kann ich auch, wie Keela als Dispatcher arbeiten.“ „Aber nicht in der gleichen Firma, wie Keela.“ Antwortete ich. „Willst du mir nicht erstmal gratulieren?“ fragte Jessy angriffslustig. „Doch… …klar. Herzlichen Glückwunsch. Trotzdem hätte ich auch gerne eine Antwort auf meine Frage.“ „Tja… …ähm… …ich… …äh… fange bei Walmart als Dispatcher an.“ „Das ist jetzt nicht wahr. Kriechst du Dad nun auch noch in den Allerwertesten?“ „Das hat doch damit nichts zu tun. Krieg mal als Anfänger so einen Job.“ „Wo hast du denn deine Ausbildung gemacht?“ „Bei FedEx.“ „Können die dich nicht übernehmen?“ „Vielleicht… …weiß nicht. Auf jeden Fall bekomme ich bei Walmart mehr Geld.“ „Geld ist nicht alles. Diese ganze Familie macht sich doch nur wieder von Frank Murdock abhängig. Du, Marc, seine Freundin…“ „Lass Keela da raus. Sie hat Marc erst durch den Job kennengelernt. Als sie eingestellt wurde, kannte sie noch keinen von uns. Und mit Marcs Firma haben wir schon mal darüber geredet, dass er sich mit einer Zugmaschine ja an einen großen Kunden binden musste, wenn das klappen sollte.“ „Das habe ich ja auch akzeptiert. Von dir habe ich das aber nicht erwartet.“ „Du bist genauso ein Sturkopf, wie Dad. Kein Wunder, dass ihr nicht mehr miteinander redet. Entweder deine Meinung, oder es ist falsch.“ „Das meinst du nicht wirklich.“ „Und ob ich das meine. Denk mal darüber nach. Du bist Dad in dieser Hinsicht ähnlicher, als du es wahrhaben willst.“ Ich musste das erstmal herunterschlucken.
Jessy fuhr unbeirrt fort. Sie hatte sich richtig in Rage geredet. „Ich nehme den Job, weil er gut ist. Die Bedingungen sind spitze, die Kollegen sind klasse und es wird gut bezahlt. Und wenn ich, um den Job zu bekommen, Frank Murdocks Tochter sein muss, dann ist das eben so. Ich denke aber, die nehmen mich, weil ich gut bin.“ „Ist ja schon gut. Hauptsache, du lässt dich nicht wieder von Dad einwickeln. Du weißt, wie er sein kann.“ „Wenn aus uns mal wieder eine richtige Familie werden soll, dann müssen sich Dad und du, beide aufeinander zubewegen.“ „Ich habe mich letzten November genug auf euch zubewegt. Dad hat mich rausgeworfen, nun muss er erstmal den ersten Schritt gehen.“ „Ich sage es ja. In dieser Hinsicht seid ihr beide aus dem gleichen Holz geschnitzt.“ „Okay, okay. Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung und von mir aus auch zum neuen Job. Du musst ja wissen, was du tust.“ Jessy erkundigte sich dann noch nach Tim und Pam. Anschließend beendeten wir das Gespräch.
„Was war das denn gerade?“ fragte mich Pam. „Jessy hat ihre Prüfung bestanden.“ „Ist doch toll. Ich wäre froh, wenn ich eine abgeschlossene Ausbildung hätte.“ „Jetzt fängt sie aber auch bei Dad in der Firma an.“ „Walmart ist nicht der schlechteste Arbeitgeber. Schon gar nicht in der Logistik.“ „Mag ja sein. Trotzdem finde ich das nicht gut.“ „Es ist ihr leben. Vielleicht solltest du dir mal ein Beispiel an ihr nehmen.“ „Wie meinst du das denn jetzt?“ „Willst du bis an dein Lebensende ein Marine bleiben?“ „Warum denn nicht?“ „Dann müsstest du schon Offizier werden. Das geht aber nicht, weil du, genau wie ich, keinen Abschluss hast.“ „Ich finde meinen Job als DI gut. So bin ich immer bei dir und wir kommen klar.“ „Da bin ich mir in letzter Zeit nicht mehr so sicher.“ „Was meinst du damit?“ „Ich habe Angst, dass du zu irgendwelchen Kampfeinsätzen musst.“ „Schatz, ich bin Ausbilder.“ „Na und? Wenn das irgendein General möchte, wirst du ganz schnell wieder versetzt.“ „Ob ich jetzt hier oder in Cape Pendleton meinen Dienst tue…“ „Ich rede von Kampfeinsätzen. Du bist ein Marine, ein Elitesoldat. Wenn es irgendwo brennt, schicken die euch als Feuerwehr.“ „Seit dem Golfkrieg waren wir doch in keinem Krieg mehr.“ „Quatsch. Was ist mit dem Kampf gegen die ganzen Terroristen?“ „Ja gut. Aber…“ „Außerdem haben wir einen Vollidioten als Präsidenten. Der baut nur Mist, seitdem er im Amt ist. Lass den Trottel mal aus Versehen irgendwo einen Krieg anfangen. Schon steht Gunnery Sergeant Steven Murdock irgendwo an der Front.“ „Das sind doch Hirngespinste. Zugegeben. Trump ist wirklich ein Idiot, aber ich glaube nicht, dass er irgendwo einen Krieg beginnt.“ „Denk mal an die Gerüchte, dass er an der mexikanischen Grenze eine Mauer bauen will. Nicht nur, dass ich dann nicht mehr zu unseren Verwandten in Mexico komme. Hinterher musst du da noch auf einen aus meiner Familie schießen. Wir haben Tijuana vor der Tür.“ „Jetzt mach aber mal halblang.“ „Steve, wir haben einen Sohn. Ich brauche dich an meiner Seite. Ich kann und will dich nicht verlieren.“ „Das verstehe ich.“
Pam fiel mir um den Hals und fing bitterlich an zu weinen. „Was ist los, Süße?“ fragte ich sanft. „Seit einem halben Jahr habe ich immer wieder mal denselben Alptraum.“ Sagte Pam schluchzend. „Es klingelt an der Tür und dein Kommandeur steht draußen. Dann kommt dieser fürchterliche Satz. Mrs. Murdock, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass…“ sie fing wieder an zu weinen. „Schatz. Ich bin hier.“ Sagte ich sanft. „Ja… …noch.“ Schluchzte sie. „Ist es das, was mit dir los ist?“ fragte ich sanft. „Warum du in letzter Zeit so verändert bist?“ Sie nickte. „Ich habe unheimliche Angst, dass du eines Tages nicht mehr nach Hause kommst.“ „Ich bin hier Ausbilder. Was soll mir da schon passieren?“ „Ernsthaft?“ fragte sie und sah mich mit geröteten Augen an. „Selbst auf der Basis kann was passieren. Wenn bei einer Übung mal was schief geht. Ihr übt doch auch mal mit scharfer Munition.“ „Okay.“ Sagte ich zweifelnd. „Mein Bruder könnte auch jeden Tag mit seinem Truck einen tödlichen Unfall haben.“ „Schon. Es ist ja nur wegen dem Alptraum.“ Seit wann bekommst du den Traum?“ „Seit etwa einem halben Jahr.“ „Weißt du warum?“ „Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich, seit unserer Woche in Sacramento viel nachgedacht hab. Einiges, was da passiert ist, hat mir zu denken gegeben.“ „Was genau gibt dir zu denken?“ „Weiß nicht. Ich fand es nur so traurig, wie das mit deinem Vater gelaufen ist. Mir geht die Familie über alles.“ „Das weiß ich ja.“ Sagte ich.
Ich dachte jetzt ebenfalls nach. „Wahrscheinlich hat Jessy sogar recht.“ „Womit?“ „, Dass ich ein ebensolcher Sturkopf bin, wie mein Dad.“ „Ganz sicher hat sie damit recht.“ Sagte Pam und musste sogar ein wenig lachen. „Ihr seid offensichtlich beide richtige Betonschädel.“
„Ich hatte damals keine Wahl. Zu Hause wäre ich irgendwann eingegangen. Mom tat zwar alles, damit ich mich wohlfühlte. Aber der Rest. Dad akzeptierte nur seine Meinung oder keine und Marc und Jessy waren noch zu jung. Die haben mich damals auch mehr genervt, als sie mit guttaten.“ „Ich habe leider keine Geschwister. Daher kann ich das wohl nicht so nachvollziehen.“ „Kleine Geschwister können die Hölle sein. Marc ging ja noch. Der war damals ein Duckmäuser, der sich von Dad alles gefallen ließ. Das war zwar blöd, aber störte nicht so ganz. Jessy war aber eine kleine Zicke. Die hat man nur schief angeguckt, schon rannte sie zu Mom oder Dad. Steve hat mich geärgert. Hieß es dann.“ „Oh, je.“ Sagte Pam. „Als Dad dann auch noch damit kam, ich sollte Wirtschaftswissenschaften studieren, war es vorbei. Ich war und werde niemals ein Zahlenmensch sein. Trotzdem sollte ich das machen.“ „Du hättest ja was anderes studieren können.“ „Ich wollte gar nicht aufs Collage. Ich habe lange genug die Schulbank gedrückt. Ich wollte nur irgendeinen Job machen. Die Streitkräfte haben mich damals auch schon interessiert. Ich wusste damals nur nicht, welcher Bereich.“ „Und was war dann?“ „Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es war mein 18. Geburtstag. Die Feier war klasse und alles war gut. Abends hatte Dad dann leider schon den einen oder anderen Bourbon intus. Da kam er dann wieder mit dem Studium um die Ecke. Ich wollte mir den Abend nicht versauen lassen und hab dann nur lapidar gesagt, dass ich nicht die Absicht hätte, zu studieren. Dann ging es los. Dad knallte sein Whiskyglas auf den Boden und schrie mich an. Er hätte die Nase von meinen Allüren voll. Ich müsse studieren und zwar Wirtschaftswissenschaften.“ „Und dann?“ „Dann habe ich allen Mut zusammengenommen und zurückgeschrien, dass ich das im Leben nicht tun würde. Dann kam der übliche Spruch. Solange du deine Füße unter meinen Tisch tust…“ „Dann kam das was kommen musste?“ „Meiner damaligen Meinung nach, schon. Ich habe ein paar Sachen zusammengepackt. Alles, was ich noch behalten wollte…“ „Und bist gegangen.“ „Nicht ganz. Ich ging nochmal ins Wohnzimmer. In der Hoffnung, dass man mich aufhalten würde. Aber Mom sagte damals in solchen Situationen gar nichts, weil sie Angst vor Dad hatte. Die einzigen, die mich aufhalten wollten, waren Marc und Jessy. Die beiden habe ich in diesem Moment aber nicht ernst genommen. Dads Stimme wurde da so eiskalt, wie an Moms Geburtstag. Ganz ruhig, aber eiskalt sagte er: Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht mehr wiederzukommen. Da habe ich mich umgedreht und das Haus verlassen.“ „Und nie mehr wieder betreten?“ „Nie mehr. Bis heute nicht. Letzten November war ich ja so weit, aber er nicht.“ „Wie ging das dann weiter?“ „Ich habe die Schule geschmissen und bin zur Army gegangen. Den Rest kennst du.“ „Was heißt das jetzt für uns?“ „Ich kann nichts anderes, als Marine sein. Ich habe keinen Schulabschluss, keine Ausbildung, nichts. Ich habe nur das Corps und dich und natürlich Tim.“
In der kommenden Nacht schlief ich schlecht. Mir ging einfach zu viel durch den Kopf. Zu Jessy war ich ungerecht gewesen. Das hatte ich eingesehen. Aus der kleinen Zicke von früher war inzwischen eine selbstbewusste, junge Frau geworden, die genau wusste, was sie wollte. Ich würde mich morgen bei ihr entschuldigen. Jessy war nur selten nachtragend, daher sollte das kein Problem sein.
Die Alpträume von Pam und die daraus resultierenden Ängste machten mir mehr zu schaffen. Kein Wunder, dass sie nicht mehr so unbeschwert war, wenn sie dauernd daran dachte, dass ich sterben könnte. Ich war aber auch ratlos, was ich dagegen machen sollte. Ich konnte nur versuchen, ihr diese Angst zu nehmen.
Ich würde zwar alles für Pam tun, aber meinen Abschied nehmen? Das kam eigentlich nicht in Frage. Wie ich ihr schon sagte, konnte ich nichts anderes. Ich lebte auch sozusagen streng nach dem Code, den mir fast heiligen Dienstvorschriften der Marines. Darauf war mein ganzes Leben abgestimmt. Genauso verlangte ich das ja auch von meinen Rekruten. Allenfalls im Privatleben wich ich mal davon ab. Jedoch niemals im Dienst.
Natürlich hatte Pam recht. Ohne Schulabschluss konnte ich nicht mehr viel weiter aufsteigen. Höchstens noch bis zum Master Gunnery Sergeant. Wobei eine Beförderung bei Unteroffizieren im Boot Camp auch eher passierte, weil man meinte, dass es mal wieder Zeit wurde, nachdem man x Jahre den gleichen Rang hatte.
Früher in Cape Pendleton ging das bei mir schnell. Nach ein, zwei erfolgreichen Einsätzen und einwandfreien Leistungen wurde aus dem PFC Murdock ganz schnell der Corporal Murdock. Und so weiter bis zum Gunny. Da waren wir aber auch wirklich noch im Einsatz. Seitdem ich hier war, ging es zwar nicht mehr in den Kampf, dafür stieg ich auch nicht mehr auf. Ich mochte es, meine Rekruten zu unterweisen. Außerdem hatte ich hier Pam kennengelernt. Sollte ich das alles aufgeben? Alles außer Pam und Tim? Irgendwann schlief ich dann zum Glück ein. Ich wollte meinen Rekruten ja nicht unausgeschlafen entgegentreten. Dann verloren sie hinterher noch den Respekt vor mir.
Am nächsten Tag telefonierte ich in einer Pause mit Jessy und entschuldigte mich bei ihr. „Oh, eine Entschuldigung.“ Sagte sie süffisant. Ich konnte mir bildlich ihr Grinsen vorstellen. „Vielleicht bist du doch nicht so stur, wie Dad.“ „Ich akzeptiere deine Entscheidung. Du bist alt genug und weißt in der Regel, was du tust. Aber mein Weg ist das sicherlich nicht.“ „Sag niemals nie.“ Sagte Jessy. „Vielleicht wirst auch du irgendwann umdenken.“
Der weitere Sommer lief dann erstmal weiter, wie gehabt. Ich bildete weiter meine Rekruten aus und Pam kümmerte sich weiter um unseren Sohn. Solange wir weiter auf dem Stützpunkt wohnten und uns keine größeren Ausgaben vornahmen, kamen wir mit meinem Sold gut hin, ohne dass Pam wieder arbeiten musste. Sie war zwar immer noch nicht so locker und unbekümmert wie früher, dass sie sich ihren Kummer aber von der Seele geredet hatte, schien ihr etwas geholfen zu haben. Allzu glücklich war ich mit der Situation noch nicht. Ich hoffte aber, dass Pam wieder auf andere Gedanken kam. Momentan lenkte sie Tim gut ab. Der kleine, der bald seinen ersten Geburtstag feiern sollte, schien im Moment bald jeden Tag was Neues zu entdecken und zu lernen und hielt uns ganz schön auf Trab.
Anfang August bekam ich dann einen Anruf von Marc. „Hallo kleiner Bruder. Wie läuft es bei dir?“ „Nachdem wir die neue Halle haben, in der wir auch eine Wohnung haben, läuft es super.“ „Du hast mir ja Bilder geschickt. Sieht gut aus, die Halle. Und Keela ist jetzt deine Teilhaberin?“ „So ist es. Übrigens. Wir haben uns letzten Monat verlobt.“ „Wow. Du musst mit auch wieder alles nachmachen.“ „Vor der Hochzeit muss ich aber noch katholisch werden. Keelas Eltern bestehen darauf.“ „Na und? Musste ich auch.“ „Wie jetzt?“ „Pam ist halbe Mexikanerin. Was dachtest du denn?“ „Daran habe ich gar nicht gedacht.“ „Keine Sorge. Da frisst dich schon keiner auf.“ „Sehr witzig.“
„Bei dir läuft es also. Rufst du mich nur an um mich zu beeindrucken?“ „Quatsch. Ich habe eine andere Idee.“ „Die da wäre?“ „Dazu muss ich dir erstmal ein paar Fragen stellen. Kannst du eigentlich Trucks fahren? Also richtige 18 Wheeler?“ „Klar. Ich war früher in Camp Pendleton bei der US 1st Marine Logistics Group. Da haben wir alles transportiert. Ich habe sogar schon Tieflader mit Panzern als Ladung gefahren.“ „Darfst du das auch gewerblich?“ „Eine CDL habe ich nicht, wenn du das meinst. Theoretisch kann man meine Driving License aber umschreiben. Warum?“ „Nicht so schnell. Gefahrgut kannst du auch?“ „Natürlich. Wir mussten ja auch Munition transportieren. Aber ebenfalls nicht gewerblich. Was willst du eigentlich von mir?“ „Dir einen Job anbieten. Im September kommt unsere zweite Maschine und ich brauche noch einen angestellten Fahrer. Da habe ich auch an dich gedacht.“ „Bist du von Pam auf mich angesetzt worden?“ fragte ich jetzt verärgert. „Warum sollte mich deine Frau auf dich ansetzen?“ „Vergiss es. Sie hat in letzter Zeit so komische Träume.“ „Da hat weder Pam, noch Mom oder Jessy was mit zu tun. Ich komme manchmal auch selber auf Ideen.“ „Verstehe.“ „Und? Was sagst du? Die Murdock Brothers zusammen in einer Firma?“ „Danke. Aber Nein, danke.“ „Warum denn nicht? Dann wären wir endlich wieder zusammen.“ „Du weißt schon, dass ich einen Job habe. Ich bin Drill Instuctor.“ „Und? Wie lange möchtest du das noch machen? Zwei Jahre? Fünf Jahre?“ „Was weiß ich. Ich stehe dir jedenfalls nicht zur Verfügung.“ „Na gut. Einmaliges Angebot. Du hast eine Woche, dir das zu überlegen. Bei mir könntest du sogar irgendwann Teilhaber werden. Wenn du dich in der kommenden Woche nicht meldest, muss ich mir jemand anderes suchen.“ „Wieso Teilhaber?“ fragte ich perplex. Ich denke, deine Verlobte ist Teilhaberin.“ „War nur so eine Idee. Natürlich ist Keela Teilhaberin und das bleibt sie auch. Ich dachte, das könnte ein Anreiz für dich sein.“ „Wir haben sowieso kein Geld. User Hummer fällt bald auseinander und unser Haus gehört Uncle Sam.“ „Überleg es dir.“ „Brauch ich nicht. Ich gehöre hierhin zu meinem Corps. Außerdem was sollen wir in Sacramento? Pams Familie lebt hier und die hat uns nicht verstoßen.“ „Ich denke, dass mit Dad bekommen wir schon wieder irgendwie hin. Er wird sich einfach der Mehrheit der Familie anschließen müssen.“ „Ja, ich weiß. Oder Mom verlässt ihn. Hat sie mir auch schon gesagt.“ „Also. Keine Chance?“ „Vergiss es einfach und such dir einen besseren. Ich bleib hier, wo ich bin.“ „Du hast eine Woche. Überlege es dir.“ Marc legte auf. Ich stand da und war erstmal etwas durcheinander. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht, dass mir mein kleiner Bruder einen Job anbietet.
1. Der verlorene Sohn

Sehr schön geschrieben,Sauerländer………….
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank.
LikeLike