9. Rückführung, Corona und Einschränkungen

Rückführung, Corona und Einschränkungen


22. Februar 2020 bis 22. März 2020

Die nächsten Tage und Wochen waren für mich überwiegend von zwei Ereignissen geprägt. Im Februar war das wichtigste Pams Rückführung, die ihr Therapeut, Cameron Douglas mit ihr durchführen wollte. Da ich ja unter der Woche unterwegs war und im neuen Job natürlich nicht sofort Urlaub beantragen konnte und wollte, kam meine Mom auf eine gute Idee. Sie hatte Brenda Cortez, meiner Schwiegermutter ein Flugticket geschickt und sie eingeladen, während der Zeit in Sacramento zu bleiben. Wir besorgten noch schnell ein Bett und einen Kleiderschrank, womit wir das überzählige zweite Kinderzimmer in ein Gästezimmer verwandelten. Pams Vater blieb in San Diego, da er arbeiten musste. So war meine Süße in der Zeit wenigstens nicht alleine, wenn ich unterwegs war und meine Schwiegermutter konnte sich dann auch abwechselnd mit meiner Mom um Tim kümmern.

Um das Covid19 Virus kümmerten wir uns in dieser Zeit noch recht wenig. Obwohl es zu dieser Zeit bereits fast 80.000 Infizierte und über 2600 Todesfälle gibt, schrieb Präsident Trump am 24. Februar auf Twitter: „Das Coronavirus ist in den USA völlig unter Kontrolle. Wir stehen mit jedem und allen relevanten Ländern in Kontakt. Die CDC und WHO arbeiten hart und machen einen guten Job. Auch die Aktienmärkte sehen gut aus.“ Man brauchte sich also keine Sorgen machen. Dad musste derweil trotzdem schon wieder nach Bentonville in die Walmart Zentrale, wo man auf alles vorbereitet sein wollte.

Am Dienstag, den 25. Februar war dann Pams erste Hypnosesitzung bei Doc Douglas. Sie konnten die Barriere in ihrem Kopf zwar bei dem ersten Termin noch nicht wirklich knacken, weil sich in Pam alles sträubte, trotzdem erinnerte sie sich danach an erste Bilder des verhängnisvollen Tages in ihrer Kindheit.
Am frühen Abend kam ich auch nach Hause. Meine Schwiegermutter spielte mit Tim und Pam lag auf der Couch. Sie wirkte recht blass, was bei ihrem Teint recht selten der Fall war.
Ich begrüßte sie mit einem Kuss. „Hey Sweetheart. Wie geht es dir?“ „So schlecht, wie seit Wochen nicht mehr.“ „Warum? War es so schlimm?“ „Ich weiß nicht. Bis zu dem Überfall sind wir gar nicht gekommen. Ich konnte mich und meine Großeltern an dem Tag sehen. Wir sind in die Stadt gefahren und wollten einkaufen gehen. Grandma hatte ein schönes Kleid gesehen, was sie mir kaufen wollte. Sie wollten aber noch zur Bank und Geld holen. Meine Großeltern waren ja etwas konservativ und mochten keine Kreditkarten.“ „Und weiter?“ „Als wir bei der Bank ankamen, konnte ich nicht weitermachen. Irgendwas hat sich gesperrt. Douglas hat alles versucht, aber ich konnte nicht.“ „Wie geht es jetzt weiter?“ „Wir versuchen das weiter. Übermorgen wollen wir das nochmal versuchen.“ „Warum geht es dir dann so schlecht?“ „Es war einfach schrecklich. Ich habe so lange nicht an Moms Eltern gedacht und dann diesen Tag zu erleben…“ Sie begann zu weinen. Ich nahm sie in den Arm und streichelte sie. „Alles wird gut.“ „Das hoffe ich.“
Brenda und ich machten dann das Abendessen fertig. Danach musste Tim ins Bett. Auch ich konnte nicht mehr lange aufbleiben, da ich am nächsten Morgen wieder früh losmusste.

Am Mittwoch spielte der Präsident die Situation mit dem Coronavirus wieder herunter: „Die Infektion scheint in den letzten zwei Tagen zurückgegangen zu sein“, sagte Trump auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus. „Wir werden ziemlich bald bei nur fünf Leuten sein. Und wir könnten in der nächsten kurzen Zeit nur ein oder zwei Leute haben.“ Einen Tag später wiegelte er weiter ab. „Eines Tages ist es wie ein Wunder, es wird verschwinden.“ Es wunderte einen dabei nur, dass Politiker der Demokraten und auch einige Experten nicht davon überzeugt waren. Trotzdem ließ ich mich erstmal nicht beunruhigen. Außer Dad dachte im Moment keiner von uns daran. Unsere Sorge galt dann eher Pam.

Am Donnerstag hatte Pam dann ihre nächste Sitzung. Dort waren Douglas und sie wieder einen Schritt weitergekommen. Glücklicherweise hatte ich diese Woche wieder Touren, an denen ich alle zwei Tage zu Hause war. Auch heute lag sie dann blass auf der Couch, als ich zu Hause ankam. „Hey, Sweetheart. Wie war es heute?“ „Wieder schrecklich. Wir haben am gleichen Punkt angesetzt, wie vorgestern. Ich wollte wieder nicht weitermachen, als wir vor der Bank waren. Douglas hat es aber geschafft, dass ich ein Stück weiter machen konnte. Wir waren in der Bank und Grandpa stand am Schalter und wollte Geld holen, als die Gangster in die Bank kamen. Dann ging es wieder nicht.“ „Okay. Ihr macht aber Fortschritte.“ „Das ist richtig. Das sagt Doc Douglas auch.“ „Dann kannst du doch stolz auf dich sein.“ Sie nickte. „Erinnerst du dich noch an meinen Traum von der Beerdigung, den ich immer wieder habe?“ „Natürlich.“ „Wir wissen jetzt, glaube ich, warum du nicht da bist.“ „Das ist gut. Warum?“ „Weil es dich damals in meinem Leben noch nicht gab. Das ist wohl die Beerdigung meiner Großeltern nach dem Überfall.“ „Dann verstehe ich nicht, warum du mich dann immer suchst.“ „Douglas meint, weil du seit drei Jahren meine wichtigste Bezugsperson bist. Im Traum suche ich dann den Halt, den du mir gibst. Du kannst aber natürlich nicht da sein.“ „Verstehe. Wann macht ihr weiter?“ „Kommenden Montag.“ „Okay. Dann hast du ja erstmal ein paar Tage Ruhe.“

Am 29. Februar gab es dann den ersten bestätigten Corona Toten in den USA. Es handelte sich um einen Mann in den Fünfzigern, der aus der Nähe von Seattle, WA kam.
Das beunruhigte uns schon etwas. So weit war Seattle ja auch nicht von uns weg. Washington State gehörte ja sogar zu unserem engeren Einzugsbereich, seitdem Dad Gebietsleiter der gesamten Westküstenstaaten war. Dad war momentan dann auch mehr im Flugzeug als zu Hause. Er pendelte dauernd zwischen Sacramento, Bentonville und Kennewick, WA hin und her. In Kennewick war ja noch der Rest der Hauptverwaltung von Washington. Man konnte ja nicht alles von Sacramento aus machen.

In der kommenden Woche erreichte Doc Douglas gemeinsam mit Pam einen Durchbruch. Behutsam durchbrachen sie die Barriere, die Pam seit sie vier Jahre alt war, in ihrem Kopf hatte. Am Montag gelang es noch nicht, zwei Tage später am Mittwoch dann schon. Glücklicherweise kam ich ausgerechnet an diesem Mittwoch nach Hause. Überraschenderweise unterstützte uns Jessy dabei nach Kräften, die in dieser Woche Frühschicht hatte.
Als ich nach Hause kam, saßen Brenda und Pam auf der Couch. Tim war dann heute über Nacht bei meiner Mom. Pam war noch blasser, als die letzten Tage und hatte vom Weinen gerötete Augen. Ihre Mutter hatte ihr einen Arm um die Schulter gelegt und versuchte sie zu beruhigen. Brenda sah meinen fragenden Blick und nickte stumm. Die Barriere war also gebrochen.
Ich gab Pam einen Kuss und setzte mich neben sie. Sie kuschelte sich an mich und Brenda ging in die Küche um Pam einen Tee zu machen. „Es war so schrecklich.“ Schluchzte Pam. „Du konntest dich also erinnern?“ Sie nickte. „Als die Gangster in die Bank kamen, war Grandpa gerade an der Reihe. Die Gangster bedrohten uns mit ihren Revolvern und wir mussten uns alle hinlegen. Dann wollten sie nicht nur das Geld aus der Bank. Sie bedrohten Grandpa mit der Waffe und verlangten das Geld, was er gerade abgeholt hatte. Grandpa weigerte sich und versuchte dann dem einen Gangster die Waffe abzunehmen. Dabei löste sich ein Schuss und Grandpa sackte zusammen. Dann sprang Grandma auf, weil sie zu Grandpa wollte. Da fühlte sich der Gangster bedroht und erschoss sie auch.“ Sie begann wieder zu weinen. „Und das hast du damals mitangesehen?“ „Ja.“ Schluchzte sie. Ich drückte sie an mich und streichelte ihr über den Kopf. „Deshalb habe ich so große Angst, dass jemand, den ich liebe erschossen werden könnte.“ „Das ist verständlich.“
Brenda kam mit dem Tee wieder zu uns. „Der Tag war grauenhaft.“ Sagte sie. „Ich war arbeiten und plötzlich kommt mein Chef mit zwei Polizeibeamten und Pam zu mir. Die Beamten haben mir dann erzählt, was passiert ist. Pam hat kein Wort gesprochen. Für Wochen nicht. Ich musste dann mitkommen und meine Eltern identifizieren. Die nächsten Wochen waren grauenhaft. Nicht nur, dass ich mich um alles kümmern musste, was ansteht, wenn die Eltern beide tot sind, ich musste mich auch um Pam kümmern. Wir sind dann regelmäßig bei einem Kinderpsychologen gewesen, der auf die Verarbeitung von solchen Traumata spezialisiert war. Der hat es dann zwar hinbekommen, dass Pam nach mehreren Wochen wieder gesprochen hat, leider war er aber auch der Meinung, dass die Verdrängung der Ereignisse, die dann begonnen hatte, das Richtige sei. Was wohl leider nicht richtig war.“ „Ich hatte immer Angst, wenn ich einen lauten Knall gehört habe.“ Sagte Pam. „Es war aber nicht so, wie in den letzten Jahren.“ „Das muss doch die ganze Zeit in deinem Unterbewusstsein gewesen sein. Warum kam das dann erst in den letzten Jahren so raus?“ „Erstens hatte ich keinen Menschen, der mir so nah war, der was mit Waffen zu tun hatte, das kam erst, als wir zusammenkamen. Außerdem hat die Geburt von Tim noch was in mir verändert. Ich sorge mich ja nicht nur um mich, sondern auch um unser Kind.“ „Das verändert definitiv was in einer Frau, wenn sie Mutter wird.“ Sagte Brenda. Ich nickte.
Es muss als vierjähriges Kind schrecklich sein, wenn man mit ansieht, wie die Großeltern erschossen werden. „Hoffentlich hilft dir das jetzt. Wenn du dich wieder erinnerst.“ „Douglas meint ja. In den nächsten Tagen werde ich nach seiner Ansicht zwar extreme Träume haben, in denen ich das nochmal durchleben muss. Danach sollte mein Unterbewusstsein aber realisieren, dass dies zwanzig Jahre her ist. Ich werde mir sicherlich Sorgen um dich machen, aber nicht mehr, als andere Frauen um ihre Männer.“ „Es sei denn, ich würde wieder eine Waffe tragen.“ „Das würde wohl wieder alles verschlechtern.“ „Dann sollte ich mir vielleicht überlegen, ob ich wirklich Reservist bleiben sollte.“ „Das solltest du dir aber gut überlegen.“ Meinte Brenda. „Das hat ja auch Vorteile.“ „Solange ich noch in der Probezeit bin, ändere ich auch nichts.“
Der Abend war ruhig. Unser Wirbelwind war ja bei meiner Mom. Den wollten Pam und ihre Mutter erst morgen wieder abholen. In der Nacht hatte Pam dann wirklich schlimme Alpträume. Als ich sie aufweckte, weinte sie sich in meinem Arm aus. „Was hast du denn geträumt?“ „Ich war wieder vier und bei dem Überfall.“ „Verstehe. Jetzt bist du wieder erwachsen und ich bin bei dir und beschütze dich.“ „Danke.“

Die Ereignisse um Pam überschatteten für uns die Ereignisse, die sich zu der Zeit Außerhalb der Familie vorkamen. Am 4. März erklärte Gouverneur Newsom nämlich den Ausnahmezustand nach dem ersten Todesfall in Kalifornien, der auf das Coronavirus zurückzuführen war, in Placer County.

Den Rest der Woche war ich wieder unterwegs, ohne dass ich nach Hause kam. In der aktuellen Situation war ich froh, dass Pams Mutter bei uns war und sich um sie kümmerte.

Am Freitag gab es dann auch wieder was Neues aus DC. Bei einem Besuch der CDC-Labors nannte der Präsident das Virus ein unvorhergesehenes Problem, welches aus dem Nichts kam. Dabei wurde er ja bereits im Januar über die Bedrohung informiert. Zusätzlich dazu begannen die Aktienmärkte einzubrechen.

Am Wochenende ging es Pam langsam wieder besser. Sie träumte zwar immer noch schlecht, Trotzdem gingen ihre Ängste langsam etwas zurück. Sie war zwar nicht so gut drauf, wie an den Wochenenden im Februar, kümmerte sich aber wieder mehr um Tim und den Haushalt. Trotzdem war uns ihre Mom eine große Hilfe. Sie wollte auch noch eine Woche bleiben, dann musste sie aber auch wieder nach San Diego zurück.

Der Virus kam uns aber immer näher. An diesem Wochenende sogar ziemlich nah. Am Samstag, den 7. März erkrankte eine Familie in Elk Grove an dem Virus und wurde unter Quarantäne gestellt, was dazu führte, dass der Schulbezirk Elk Grove beschloss, alle Schulen bis zum 13. März zu schließen.
Elk Grove war ein Ort, der nur wenige Meilen entfernt war. Am dortigen Neighborhood Market war ich ja regelmäßig mit Rückladungen, die mich nach Hause führen sollten.

Die nächste Woche begann. Pam hatte in dieser Woche wieder zwei Termine bei Douglas, bei denen sie die Erlebnisse und die dadurch resultierenden Ängste weiter therapieren wollten.
An der Wall Street wurde dieser Tag als Schwarzer Montag tituliert, weil die Kurse weiter massiv fielen. Auch die Ölpreise fielen stark. Aber das sollte mir als Trucker recht sein.
In DC wurde mal tief und mal hochgestapelt. Erst verglich der Präsident Covid19 mit einer Grippe und meinte, dass es dabei schon schlimmer war, ohne dass die Wirtschaft heruntergefahren wurde. Im Gegenzug behauptete er, dass in der vergangenen Woche 1 Million Bürger getestet worden wären und in dieser Woche 4 Millionen Tests geplant seien. Tatsächlich waren es nur 4.000 Tests.
An diesem 9. März gab Santa Clara County bekannt, dass ab dem 11. März öffentliche Versammlungen mit mehr als 1.000 Personen für einen Zeitraum von drei Wochen verboten werden.

Auch in den nächsten Tagen hörte man widersprüchliche Meldungen. Je nachdem von wem die Informationen kamen. Während die einen sagten, dass es nicht genug Tests gäbe, behauptete der Präsident das Gegenteil.
In der Walmart Zentrale in Bentonville sah man die ganze Sache realistischer. Man bekam schließlich Informationen aus 27 Ländern, in denen man vertreten war. Daher war man in den Planungen schon recht weit. Die IT-Abteilungen hatten begonnen, Laptops vorzubereiten, mit denen die Verwaltungsmitarbeiter aus dem Home-Office arbeiten konnten. Die Wareneingangskontrollen wurden verschärft und alle Mitarbeiter bekamen schon mal Informationen, wie es im Fall von Ausgangssperren weitergehen sollte. Dabei war klar, dass es gerade in der Kooperation mit Fremdfirmen immer wieder Anpassungen geben würde. Schließlich wusste man noch nicht, wie gravierend etwaige Maßnahmen ausfallen würden.

Am Dienstag, dem 10. März wurde ein Bewohner eines Altersheims in Elk Grove positiv getestet. Die Gesundheitsbehörden des Countys gaben an, dass sie nur 20 Personen pro Tag testen könnten und alle ihre Bemühungen auf die anderen Bewohner des Altersheims konzentrieren würden. Dieser Bewohner starb am selben Tag an den Komplikationen des Virus.

Am 12. März gab Gouverneur Newsom bekannt, dass Massenversammlungen (über 250 Personen) und gesellschaftliche Versammlungen (mehr als 10 Personen) bis Ende März verboten waren. Er erließ auch einen Befehl, dem Staat zu gestatten, Hotels und medizinische Einrichtungen zur Behandlung von Coronavirus-Patienten zu befehligen. Am gleichen Tag erklärte die WHO nach langem Zögern Covid19 zur globalen Pandemie. Daraufhin brachen die Aktienkurse weltweit ein.

Am 13. März wurden die Schulen in den Countys Marin, Sacramento, San Joaquin, San Luis Obispo, Santa Clara, Solano, Placer und Contra Costa sowie in den Bezirken Oakland, Antiochia, Santa Cruz, Los Angeles Unified, Chaffey Unified und Etiwanda geschlossen.
An diesem Tag erkannte dann auch der Präsident langsam den Ernst der Lage und erklärte den nationalen Notstand. Trotzdem sagte er, dass er überhaupt keine Verantwortung für die Situation übernimmt. Er ruft dann aber dazu auf, größere Ansammlungen und Restaurantbesuche zu vermeiden und empfiehlt Social Distancing.

An dem nun folgenden Wochenende brachten wir Pams Mom wieder zum Flughafen. Sie kehrte nach San Diego zurück. Meiner Süßen ging es nach und nach besser. Es würde zwar noch ein langer Weg vor ihr liegen, sie blickte aber langsam optimistisch in ihre Zukunft. Die Alpträume wurden etwas seltener und drehten sich nun fast ausschließlich um den Überfall. Die Träume von der Beerdigung wurden immer weniger.
Es trug dann auch Tim zu Pams Genesung bei. Er hielt uns beide auf Trab. Außerdem sprach er immer besser. Teilweise brachte er Sprüche, bei denen wir uns fragten, wo er sie herhatte.

Am Sonntag, dem 15. März forderte Gouverneur Newsom die freiwillige Schließung von Bars und die Selbstisolierung von Senioren ab 65 Jahren sowie von Personen, die aufgrund der zugrunde liegenden Bedingungen gefährdet sind.

Am Nachmittag des Tages besuchten und Keela und Marc. Marc hatte ebenfalls seinen Reset zu Hause. Wir waren überrascht, dass die beiden zu Besuch kamen. „Wir wollten mal sehen, wie es Pam geht.“ Sagte Keela. „Ich dachte, ihr seid beim Surfen.“ „So langsam kann man wieder.“ Bestätigte Keela. „In zwei Wochen wollte ich wieder nach Pacifica. Nächste Woche habe ich ja Bereitschaft. Hoffentlich ist das bis dahin nicht verboten.“
Sie kamen ins Wohnzimmer, wo Pam gerade mit Tim spielte. Als Tim seinen Onkel und seine Tante sah, lief er sofort stürmisch auf die beiden zu. „Habt ihr mir was mitgebracht?“ fragte er auch sofort. „Sag erstmal Hallo zu den beiden.“ Forderte ich.
Pam stand auf und umarmte Marc und Keela. „Hallo.“ Sagte Tim. „Habt ihr mir was mitgebracht?“ wir mussten lachen. Marc holte eine Tafel Schokolade aus der Tasche. „Die ist für dich.“ Tim schnappte sich die Schokolade. „Was sagt man denn?“ fragte ich, als er wieder zu seinen Spielsachen wollte. Tim grinste uns an und fragte statt der erwarteten Antwort: „Habt ihr noch mehr?“ Marc und Keela lachten wieder. „Jetzt benimm dich.“ Sagte Pam streng. „Danke.“ Sagte der Kleine dann und rannte zu seinen Sachen.
„Kinder.“ Sagte ich mit einem Kopfschütteln. „Süß ist er trotzdem.“ Lachte Keela. „Wollt ihr denn keine Kinder?“ stellte Pam die Frage, die die beiden am wenigsten hören wollten. Man sah es an ihren Gesichtern. „Erstmal nicht.“ Sagte Keela dann. „Bei meinen Hobbies kann ich mir Kinder nicht vorstellen. Wie soll ich dann surfen oder Motorradfahren?“ „Okay.“ Sagte Pam, die nun merkte, dass sie einen wunden Punkt erwischt hatte.
„Manchmal kann er nerven. Vor allem wenn er seine Trotzphasen hat. Ich möchte ihn aber auch um nichts in der Welt hergeben.“ „Sicher.“ Sagte Keela. „Irgendwann möchten wir dann wahrscheinlich auch ein Kind. Das hat aber noch Zeit.“ „Wenn dir deine Hobbies so wichtig sind.“ „Für das Surfen habe ich meine Familie und Freunde in Minnesota zurückgelassen. Das habe ich nie bereut.“ „Wir leben unsere Träume.“ Bestätigte Marc. „So wie es jetzt ist, finden wir es perfekt.“
„So, Themawechsel.“ Sagte Keela. „Geht es dir wieder besser?“ „Langsam geht es aufwärts.“ Sagte Pam. „Wenn das so weitergeht, ist bald wieder alles in Ordnung.“ „Das ist doch klasse.“ Sagte Keela. Vielleicht können wir in ein paar Wochen mal zusammen ans Meer fahren.“ „Wir surfen aber nicht.“ Sagte Pam. „Ist zwar wahrscheinlich eine Sünde, wenn man in San Diego aufwächst, wir hatten aber nie das Geld für ein Board. Ich hab mit 16 mal einen Freund gehabt, der gesurft hat. Der wollte mich auch immer dazu kriegen. Ich hab aber mein ganzes Leben vielleicht zehnmal auf einem Board gestanden. Dabei war ich mehr im Wasser, als auf dem Ding. Steve hat das, meine ich, noch nie gemacht.“ „Okay. Wir müssen ja nicht nach Rockaway Beach.“ Sagte Keela. „Nehmen wir einen Strand, wo du auch mit Tim ein wenig planschen kannst.“ „Von mir aus. Solange du kein Problem kriegst, wenn ich da im Bikini bin.“ „Warum sollte ich.“ Sagte Keela verwundert. „Ich kenne die Story mit der Freundin deines Bruders. Ich bin schließlich auch der Typ.“ „Ach so.“ sagte Keela. „Würde ich das vorschlagen, wenn ich da noch ein Problem mit hätte?“ „Keine Ahnung.“ „Du bist aber auch von deiner Art nicht wie Alice. Gut du siehst auch so ähnlich aus, aber sonst.“ „Dann ist ja gut.“ Sagte Pam lächelnd.
Keela kam ihr jetzt näher und flüsterte: „Das ist von mir auch etwas Neid. Ich hab diese weiße Haut und die Sommersprossen. Wenn ich ein paar Minuten zu lange in der Sonne bin, werde ich Krebsrot und bin sofort verbrannt. Ich wäre dann manchmal auch gerne so braun und könnte etwas länger in der Sonne bleiben.“ „Das ist ja komisch.“ Meinte Pam. „Man will wohl immer das haben, was man selbst nicht ist. Ich hätte früher wer weiß was dafür gegeben, einen helleren Teint zu haben. Wenn in der Klasse die Mexikanischen Kinder wieder gemobbt wurden, galt das auch immer für mich. Ich wäre lieber etwas… wie soll ich sagen… nördlicher gewesen.“ „Okay. Gemobbt wurde ich nie.“ Gab Keela zu. „Die hatten alle Angst, dass ich meine Brüder holen könnte.“ „Inzwischen bin ich ja froh, dass ich so aussehe.“ Sagte Pam. „Ich brauche so gut, wie kein Makeup und kann trotzdem viel aus mir machen.“ „Aufbrezeln ist eh nicht meins.“ Lachte Keela.

Während die Mädels dann immer mehr auf Klamotten und Hairstyling kamen, begann Marc mit der Arbeit. „Na, wie fährt sich denn dein rollendes Verkehrshindernis?“ wollte er mich aufziehen. „Ich bin zufrieden.“ „Das soll ich dir glauben? 400PS und 10 Gänge? Das ist doch armselig.“ „Du weißt aber auch, wie viele Maschinen wir kaufen müssen, im Gegensatz zu dir.“ „Sei froh, dass du eine Maschine hast, die nicht 0815 ist.“ „Ist schon nett, was Greg daraus gemacht hat.“ „Das Styling hat mir damals auch gut gefallen. Ich habe das so ein wenig beim W900 übernommen.“ „Du meinst das mit den gelben Wellen?“ „Genau.“ „Hat schon was. Auch mit der Holzdeko innen. Das ist schöner, als in schwarzem Plastik.“ „Mein Kenworth ist trotzdem schöner.“ „Dafür verdiene ich besser als wenn ich bei dir fahren würde.“ „Okay. Für einen Familienvater ist das wahrscheinlich besser, direkt bei Walmart zu fahren.“ „Außerdem bin ich jedes Wochenende zu Hause.“ „Na gut. Dafür fahre ich eben keinen untermotorisierten Freightliner.“ „Mag ja schön sein, mit 510 PS und 18 Gängen unterwegs zu sein. Ob man das wirklich braucht ist eine andere Frage.“ „Meiner verbraucht aber auch weniger.“ „Das kann sein. Ich muss den Diesel aber auch nicht bezahlen. Ich fahre das, was man mir hinstellt und brauch über sowas nicht nachzudenken.“ „Ich sage es mal so. Jeder von uns hat das, was er haben will. Du verdienst gut und hast Sicherheit und ich habe etwas mehr Spaß bei der Arbeit.“
„Schade, dass das Wetter nicht mehr ganz so schön ist, wie die vergangenen Wochen, sonst hätten wir noch etwas Spazierengehen können.“ „Wenn das Wetter so, wie die vergangenen Tage wäre, hätten wir euch wahrscheinlich nicht besucht, sondern wären an diesem Wochenende schon nach Pacifica gefahren.“ „Wundert mich ja noch etwas bei dir. Keela hat dich bei euren Hobbies voll im Griff.“ „So würde ich das nicht sagen.“ „Komm, hör auf. Du hast doch früher nie Interesse an Surfen oder Motorrädern gehabt.“ „Als du noch zu Hause warst, wäre ich da ja auch noch etwas jung für gewesen.“ „Fürs Motorradfahren. Aber nicht fürs Surfen.“ „Stimmt. Aber für einen Jugendlichen ist es auch nicht so einfach, von Sacramento an die Küste zu kommen.“ „Okay. Das stimmt.“ „Außerdem kennst du doch unsere Eltern. Meinst du, Mom und Dad hätten uns solche Hobbies erlaubt?“ „Da hast du recht.“ „Ich gebe zu, dass ich beides Keela zu Liebe probiert habe. Inzwischen habe ich aber an beiden Hobbies ebenso viel Spaß wie sie.“ „Und? Bist du gut?“ „Beim Surfen werde ich immer besser. Keelas Clique in Pacifica ist aber auch cool. Die haben mir schon einiges beigebracht.“ „Aber sie ist besser.“ „Keela ist eine Göttin auf dem Board. Von den Mädels in Rockaway Beach ist sie mit eine der Besten. Sie surft aber auch schon seit ihrer Kindheit.“ „Wie macht man das in Minnesota?“ „Gar nicht. Sie war aber mit ihren Eltern zwei, dreimal im Jahr auf Hawaii. Die Ryans leben ja an und für sich recht bescheiden. Sie haben sich aber so in die Hawaiianischen Inseln verliebt, dass sie eigentlich ausschließlich dort Urlaub gemacht haben und Keela eben mit ihnen.“ „Und da ist das super?“ „Auf Hawaii zu surfen ist einfach traumhaft. Habe ich ja auf unserer Hochzeitsreise das erste Mal gemacht. Gerade an der North Shore ist das absolut genial. Super Wellen und das Wasser ist nicht so kalt, wie in Pacifica.“ „Ich habe jetzt zwar einige Jahre in San Diego gewohnt, habe aber trotzdem noch nie auf einem Board gestanden.“ „Wenn wir wirklich mal zusammen ans Meer fahren, kannst du ja mal probieren. Keela ist eine gute Lehrerin. Die hat mir das meiste ja auch beigebracht.“
„Was ist mit dem Motorradfahren? „Da habe ich eigentlich zu wenig Zeit für. Ich bin ja unter der Woche so gut wie nie hier und an den Wochenenden mit schönem Wetter sind wir an der Küste.“ „Macht dir aber auch Spaß?“ „Ja das hat schon was. Aber die Harley, die ich von Liam übernommen habe, ist mir eigentlich zu schwer. Ich verstehe ja Keela schon nicht, dass sie mit der Electra Glide klarkommt. Die Ultra Classic wiegt aber noch etwas mehr. Ist zwar saubequem und mit den angebauten Koffern kannst du sogar mal zum Einkaufen fahren. Trotzdem könnte sie etwas leichter sein. Vielleicht sollte ich mir was handlicheres zulegen.“ „Das hätten uns Mom und Dad auch nie erlaubt.“ „Bei den Ryans fahren eigentlich alle außer Eireen. Angus hat inzwischen auch schon länger keine mehr gefahren, früher aber schon. Ich meine Keelas Electra Glide wäre früher seine gewesen.“
„So, so. Dann bist du ja richtig cool geworden.“ „Ist schon komisch.“ Grinste Marc. „Aus mir, dem einstigen Spießer ist ein cooler Typ geworden und aus dir, dem einstigen Rebell, der verantwortungsvolle Familienvater.“ „So gesehen haben wir uns gegenteilig entwickelt. Aber wehe, du nennst mich Spießer.“ „Was denn? Frau und Kind und Haus mit Garten. Fehlt nur noch der Hund und der Kombi.“ „Na ja. Ist eben ein SUV. Auch schon fast eine Spießerkarre.“ „Mustang oder Challenger sind halt nicht so kinderfreundlich.“ „So was fährst du ja auch nicht. Auch wenn dein Raptor cooler ist, als mein Edge.“ „Ich hätte auch lieber ein Muscle Car gehabt. Als Firmenwagen geht der Pickup aber besser durch.“
„Was hattest du davor für ein Auto? Meinen H2 kennst du ja noch.“ „Frag nicht.“ „Los, raus mit der Sprache.“ „Einen 94er Taurus.“ „Das ist nicht dein Ernst.“ „Leider ja. Die Karre war so peinlich, dass Keela ständig protestiert hat, wenn sie da einsteigen sollte.“
„Also hast du es deiner Frau zu verdanken, dass du inzwischen cool bist.“ „So kann man das sagen.“ „Da werde ich ihr mal irgendwann ein Lob für aussprechen. Mit der Kleinen hast du echt einen Glücksgriff getan.“ „Du mit deiner ja auch. Pam sieht ja sowas von klasse aus.“ „Finger weg. Sonst werde ich noch zum Brudermörder.“ „Quatsch. Ich bin glücklich mit Keela. Ich würde ihr niemals fremdgehen.“ „Wie habt ihr euch kennengelernt?“ „Ganz einfach. Ich war neu als Unternehmer bei Walmart und sie war neu in Sacramento. Als erstes habe ich mich in ihre Stimme am Telefon verliebt.“ „Trotz Midwest Akzent?“ „Vielleicht auch gerade deswegen. Sie war halt in allem anders als die Mädels hier. Das hat mich angezogen.“ „Gut. Ich gebe zu, bei Pam war es zuerst die Optik. Insbesondere ihre Augen. Wenn sie mich angeschaut hat, konnte ich ihr nichts abschlagen.“ „Das kann ich verstehen.“
Tim kam an. „Onkel Marc, kannst du mit mir spielen? Mir ist langweilig.“ Marc schaute mich hilflos an. „Na komm, Onkel Marc. Das schaffst du.“
Wir beide spielten dann noch eine Stunde mit Tim, dann wollten Marc und Keela wieder los. „Weißt du schon, wo du hinmusst?“ fragte ich Marc. „Keine Ahnung. Sehe ich auch erst, wenn ich losfahre.“ Als ich Keela zum Abschied umarmte, meinte ich zu ihr: „Hast dir meinen kleinen Bruder aber gut erzogen. Aus dem Spießer ist ein cooler Typ geworden.“ Keela lachte auf. „Tja. Ich musste halt zurechtbiegen, was eure Eltern verbockt haben.“ „Bei mir haben das die Marines geschafft.“ „Das merkt man, Soldat.“ „Was hast du für eine Schicht?“ „Ab morgen Frühschicht.“ „Dann mal bis morgen.“
Als die Beiden dann gegangen waren, machten wir uns noch einen schönen Abend, der aber zeitig zu Ende war, da ich am Morgen um Fünf am Platz sein sollte.

Am 16. März kündigten die Gesundheitsbeamten der Countys Alameda, Contra Costa, Marin, San Francisco, San Mateo und Santa Clara zusammen mit der Stadt Berkeley eine Rechtsverordnung an, in der ihre jeweiligen Bewohner angewiesen wurden, drei Wochen lang Schutz zu suchen Beginn Mitternacht 17. März bis 7. April, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Bestellung beschränkt Aktivitäten, Reisen und Geschäftsfunktionen nur auf die wichtigsten Bedürfnisse. Am selben Tag erteilte Santa Cruz County einen ähnlichen Schutz.

Auch in dieser Woche versuchten meine Dispatcher offensichtlich mich unter der Woche öfter nach Hause zu bekommen. Ich begann mal wieder mit einer Tour, die in den Raum Los Angeles ging. Zwar waren auch in meinem Zielbereich in Los Angeles bereits einige Covid19 Fälle bekannt geworden, New York stellte sich aber als Epizentrum der Epidemie in den Vereinigten Staaten heraus. So wurden dann an diesem Montag dort die rund 1.800 Schulen geschlossen und 1,1 Millionen Schüler mussten zu Hause bleiben.

Laut aktueller Dienstanweisung hatte ich nun die Anzahl der persönlichen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Die letzten Vorbereitungen für die Papierlose Beförderung, die Dad mir schon geschildert hatte, waren im vollen Gange. Sie sollten, laut der Planungen in Bentonville noch im Laufe dieser Woche umgesetzt werden.
Dorthin war Dad heute mal wieder unterwegs. Es gab wohl wieder Besprechungen mit der inzwischen eingeführten Corona Task Force im Hause Walmart. Was mich dabei wunderte war, dass diese Angelegenheiten immer noch persönlich besprochen wurden und nicht etwa per Skype oder Zoom als Videokonferenz.
Während hier und auch in Europa das Virus noch auf dem Vormarsch war, gingen die Zahlen der Neuansteckungen in China und weiteren asiatischen Ländern inzwischen weiter zurück.

Am Dienstag, den 17. März erließen weitere Bezirke Schutzbefehle, darunter Monterey County (bis 4. April), San Benito (bis 7. April), und Sonoma (bis 7. April). Sacramento County hate eine Richtlinie zum Bleiben zu Hause erlassen, die im Gegensatz zu einer Anordnung von Unterkünften nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Somit hatte es uns auch erwischt.

Am Spätnachmittag kam ich wieder zu Hause an. Pam war heute äußerst gut gelaunt und beschäftigte sich gerade mit Tim, als ich reinkam. Die Blässe der letzten Wochen war auch nicht mehr vorhanden. „Wir haben weitere Fortschritte gemacht.“ Berichtete Pam. „Seitdem die Barriere in meinem Kopf durchbrochen ist, geht das in einem rasenden Tempo.“ „Hoffentlich verschwindet der Fortschritt nicht so schnell wieder, wie er jetzt gekommen ist.“ „Douglas hält das für normal. Wenn die Mauer erst einmal eingerissen ist, kommt man erstmal weiter, bis die nächste Mauer im Weg steht.“ „Wie fühlst du dich jetzt?“ „Irgendwie erleichtert. Als wäre ein riesiger Felsbrocken weg, der mich vorher erdrückt hat.“ „Ich hoffe, dass dich die aktuelle Situation dann nicht wieder in ein Loch zieht.“ „Die da oben in der Regierung werden schon wissen, was das Richtige für uns ist.“ Sagte Pam. „Manchmal bin ich mir da nicht so sicher.“ „Beim Präsidenten bin ich mir das auch nicht unbedingt. Ich meinte jetzt eher die Staatsregierung. Gouverneur Newsom scheint mir schon zu wissen, was er tut.“ „Okay. Da stimme ich dir zu.“
Tim mischte sich nun ein. „Daddy, komm endlich spielen.“ Forderte er. „Lass mich eben duschen und umziehen, dann komme ich.“

Auch die nächste Tour war dann wieder eine Mehrtagestour. Es ging nach Eugene, OR und von dort aus weiter nach Portland bzw. Troutdale, wo sich ja die ehemalige Walmart Zentrale von Oregon befand. Von dort sollte es dann wieder via Redding nach Hause gehen.
Ab diesem Mittwoch galt dann bei uns die nächste neue Dienstanweisung. Mit Beginn der Frühschicht sollte jetzt bei uns auch der Notfallplan laufen. Unser Unternehmen war aufgrund der Versorgung der Bevölkerung natürlich Systemrelevant, was bedeutete, dass wir uns über mangelnde Arbeit sicherlich nicht beschweren würden. Die Dispatcher wurden, wie die meisten Verwaltungsmitarbeiter ins Home-Office geschickt. Für uns, als fahrendes Personal galt die Anweisung, im Dienst sämtliche Kontakte mit anderen Personen zu unterlassen. Wenn es dann unvermeidbar war, mit jemandem persönlich in Kontakt zu treten, sollten wir Schutzmasken und Schutzhandschuhe benutzen. Diese wurden uns von der Firma zur Verfügung gestellt.
Die Pflicht von Masken und Handschuhen galt auch für das Personal, welches noch vor Ort sein musste. Das waren in der Logistik das Lagerpersonal, schließlich mussten die Trailer ja be- und entladen werden. Für Lieferanten und Subunternehmer mit geringerem Status als A, war auch noch eine Minimalbesetzung im Wareneingangsbüro vorhanden. Diese hatten natürlich die gleichen Anweisungen, wie das Lagerpersonal.
Die genauen Vorschriften für das Personal in den Märkten gab man uns nicht bekannt. Walmart Transportation war aber auch eine separate Firma und hatte offiziell mit den Kollegen in den Märkten nichts zu tun.
Jeder von uns bekam einen Schnellhefter mit zahlreichen Blättern, in denen genaue Anweisungen für alle möglichen Fälle aufgeführt waren. Darin wurde alles abgehandelt. Vom Vorgehen beim Tanken, bei Kontrollen und so weiter bis zu Sonderfällen wie Verkehrsunfällen. Für alles, was vorher nicht explizit beschrieben war, galt die Pflicht, sich sofort mit dem diensthabenden Dispatcher in Kontakt zu setzen. Irgendwie wirkten die ganzen Vorschriften unwirklich und seltsam, wie in einem schlechten Katastrophenfilm.

Ich war dann auch irgendwie froh, nicht mehr im Militärdienst zu sein. Ausbildung fand momentan sicher nicht mehr statt, stattdessen wurde man sicher irgendwo eingesetzt, um für Ordnung und das Durchsetzen der neuen Vorschriften zu sorgen. Das hätte Pams Krankheit sicherlich drastisch verschlechtert. Dad hatte auch, wie angekündigt, ein Schreiben an den Kommandeur meiner Reserveeinheit geschickt, in dem er ausdrücklich darauf hinwies, dass ich unabkömmlich war, da meine Aufgabe, die Märkte mit Waren zu versorgen zwingend notwendig war.
Auch an diesem Tag wurde bekannt, dass weitere Countys Schutzbefehle verhängten.

Meine Tour verlief ruhig und ich hatte keine Probleme. Am Supercenter 3258 in Eugene waren die neuen Anweisungen bekannt. Es gab nur eine Sache, mit der ich nicht gerechnet hatte. Als ich die Interstate 105 verließ kam eine Ansage vom ORBCOMM, die ich bis Dato noch nie gehört hatte: „Entladestelle wurde geändert.“ Meldete das System auf einmal. Ich bekam erstmal einen Riesenschreck. Dann schaute ich ins System und stellte fest, dass sich der Entladeort gar nicht geändert hatte. Es ging immer noch zum besagten Supercenter. Vorher hatte ich nur noch keine Entladestelle im System gehabt. Diese war jetzt festgelegt worden. So war der Einzige Unterschied in der Anzeige des Auftrags die Angabe des Tors, an welches der Trailer sollte. Der Rest im System lief dann wie immer. Der Anschlussauftrag wurde angefordert und stand dann rechtzeitig im System. Meine Ladung sollte an Tor 2 und mein Trailer mit Altverpackungen für Troutdale stand an Tor 4. Meine Papiere blieben auf dem Trailer, wo sie seit der Beladung waren. Genauso verhielt es sich bei der Anschlussladung. Ich hatte zwar vorher noch nie eine Lieferscheintasche an einem zusammengepressten Kunststoffballen gesehen, sie war aber vorhanden.

Nach meinem Feierabend telefonierte ich noch mit Pam, die trotz der surrealen Ereignisse außerhalb unserer vier Wände gut gelaunt war. Das beruhigte mich zugegebenermaßen. Tim war sowieso noch zu klein, um zu begreifen, was gerade in der Welt passierte. Außerdem war ich glücklich, dass Pams psychische Probleme nicht mit einem Virus oder einer Pandemie im Zusammenhang standen. Sonst wäre es sicherlich gerade ein großes Problem.

Am nächsten Tag befand ich mich schon im Raum Portland, als mein Telefon klingelte. „Murdock.“ Meldete ich mich knapp. „Hier auch.“ Sagte Keela. „Hallo Steve. Hast du schon Nachrichten gehört?“ „Schon. Aber nicht aus Kalifornien.“ „Dann informiere ich dich schon mal. Sacramento County hat die Richtlinie zu Hause zu bleiben heute in eine Offizielle Verordnung umgewandelt. Diese hat dann auch rechtliche Konsequenzen.“ „Das heißt?“ „Wir dürfen unser Haus nur noch aus nachweislich zwingenden Gründen verlassen.“ „So ein Mist.“ „Man darf also noch einkaufen gehen oder zum Arzt. Aber viel mehr ist nicht erlaubt.“ „Kann Pam denn wohl noch ihre Therapien weitermachen?“ „Keine Ahnung.“ Sagte Keela. „Auf jeden Fall darf sie dann Tim nicht mehr zu Mary bringen.“ „Ich hoffe, sie ist im Moment so stabil, dass sie das auch ohne ihren Therapeuten schafft.“
„So. Zum Dienstlichen.“ Wechselte Keela das Thema. „Da wir hier im Moment noch nicht genau wissen, was sonst noch passiert, haben wir die Tour ein wenig geändert.“ „Inwiefern?“ „Wir gehen erstmal auf Nummer Sicher. Dein Anschluss war sowieso eine Auslagerung nach FedEx, Redding.“ „Was bekomme ich stattdessen?“ „Eine Ladung gesammelte Lebensmittel für das Supercenter 5839 in Medford, Oregon. Bis du da angekommen bist, wissen wir sicher mehr, wie das hier in Kalifornien weitergeht.“ „Hast du Angst, mich nicht mehr über die Staatsgrenze zu bekommen?“ „Bei dir sehe ich da das geringste Problem. Du bist ein Bürger aus Kalifornien, der ein Recht darauf hat, Nach Hause zu kommen. Wir wollen nur erstmal abwarten, ob sich was bei der Einfuhr von Lebensmitteln ändert.“ „Wisst ihr mehr als ihr sagt?“ „Franks Kontaktleute im State Capitol haben uns informiert, dass es sehr Wahrscheinlich ist, dass Newsom die Ausgangssperre auf den ganzen Staat ausweitet.“ „Woher weißt du das?“ „Von Charlie. Der hat es direkt von Frank.“ „Na prost Mahlzeit.“ „Ich bin auch äußerst begeistert. Die Aussicht darauf, dass ich unser Haus nur noch zum Einkaufen verlassen darf, macht mich jetzt schon verrückt.“ „Bei deinen Hobbies kein Wunder.“ „Steve. Ich muss noch ein Dutzend Fahrer anrufen, bei denen sich was ändert. Unter Anderem Marc. Wir sprechen die Tage.“ „Du hast mich vor deinem Mann informiert?“ wunderte ich mich. „Marc ist in New Mexico auf dem Weg nach Tucson. Du bist in einer halben Stunde in Troutdale.“ „Okay. Verstehe. Dann mach mal weiter.“ Wir beendeten das Telefonat.
In Troutdale lief dann alles so, wie am Vortag auch in Eugene. Ich fuhr dann noch meine Fahrzeit zu Ende und machte dann auf dem Weg nach Medford Feierabend.

Beim anschließenden Telefonat mit Pam berichtete sie mir dann auch was Neues: „Meine Therapie ist jetzt wohl vorübergehend unterbrochen.“ „Wieso denn das?“ fragte ich. „Aufgrund der Ausgangssperre in Sacramento. Man darf zwar noch zum Arzt, aber wohl nur für dringende Behandlungen. Meine Therapie ist offensichtlich nicht wichtig genug.“ „Wie geht es dir damit?“ „Es zieht mich auf jeden Fall nicht runter.“ „Bist du sicher?“ „Ja. Mir geht es gut. Ich hätte ja sowieso nicht gewusst, wo ich Tim lassen soll.“ „Na gut.“ „An die Luft komme ich ja. Ich gehe dann mit Tim in unseren Garten. Da werden andere Leute mehr Probleme bekommen.“ „Ich weiß. Ich habe heute Vormittag mit Keela gesprochen.“ „Bei ihr ist das total blöd. Sie ist ja in ihrer Freizeit ständig draußen und unterwegs.“ „Sie kommt dann nur noch zum Einkaufen raus. Außerdem haben Marc und sie noch nicht mal einen Garten.“ „Wenn man in einer Transportfirma wohnt, ist das so.“ „Gut. Die Beiden haben etwas Platz hinter der Halle. Das ist dann zumindest wie eine große Terrasse. Was Grünes sieht man da aber auch nicht.“ „Mich lenkt dann wenigstens noch Tim ab.“ „Gut, dass ich im Winter schon Sandkasten und Schaukel in unseren Garten gesetzt habe.“ „Oh ja. Da können wir uns sicher eine Zeitlang beschäftigen.“ Irgendwann legten wir auf und ich ging auch bald schlafen.

Am Freitagmorgen, dem 20. März hatten wir dann Gewissheit. Das wurde dann selbst in den lokalen Radiostationen in Oregon berichtet: „Sacramento. Der kalifornische Gouverneur, Gavin Newsom hat die Executive Order N-33-20 erlassen. Damit hat er den Bürgern des Staates den Befahl gegeben, zu Hause an ihren Wohnorten zu bleiben. Ausnahmen gelten für Arztbesuche, die Beschaffung von Lebensmitteln und Medikamenten oder anderen lebenswichtigen Artikeln. Personen, die in Unternehmen oder Organisationen beschäftigt sind, die für die Versorgung oder für die Gesundheit der Bevölkerung zuständig sind, dürfen sich auch zu ihrem Arbeitsplatz begeben. Wenn die Einwohner Kaliforniens aus den genannten Gründen das Haus verlassen, werden sie dazu aufgerufen, unbedingt eine Soziale Distanz und Abstand zu Ihren Mitmenschen zu wahren. Die Anordnung ist mit sofortiger Wirkung gültig. Sie ist um Mitternacht, Pacific Time in Kraft getreten. Diese Verordnung wird erlassen, um die öffentliche Gesundheit der Kalifornier zu schützen. „Das kalifornische Gesundheitsministerium ist bestrebt, landesweit Konsistenz zu gewährleisten, um sicherzustellen, dass die Auswirkungen von COVID-19 gemindert werden. Unser Ziel ist einfach: Wir wollen die Kurve kriegen und die Ausbreitung des Virus stören“, so Newsom.“ Ich fuhr also quasi in ein Gefängnis zurück. Andererseits verstand ich den Sinn hinter der Anordnung.

Die Tour an diesem Tag lief dann aber recht gut. Trotzdem würde es wohl nicht mehr ganz bis nach Sacramento reichen. In Medford tauschte ich dann die Trailer und bekam mal wieder Altverpackungen, die dann zum Außenlager Sacramento sollten.
Anschließend fuhr ich noch zum Truckstop an der Biddle Road. Obwohl hier weder was von Chevron oder Texaco an den Säulen stand, sollten wir hier ausdrücklich tanken. Man hatte wohl noch ein altes Abkommen mit dem Truckstop, was noch aus den Zeiten stammte, als Walmart Oregon noch eine eigene Verwaltung in Troutdale hatte. Vielleicht auch wegen des Freightliner Vertrags der angeschlossenen Werkstatt. Anschließend ging ich dann auch noch im Witham Restaurant zum Essen. Noch lief es hier in Oregon einigermaßen normal. Aber auch hier war zu spüren, dass es vermutlich bald so werden würde, wie bei uns.

Als ich Oregon verließ und an die Hornbrook Agricultural Inspection Station kam, wirkte es dann auch wieder sehr surreal. Die Kontrollbeamten wirkten in der nun getragenen Schutzkleidung wie im falschen Film. Mit meinen Altverpackungen ging die Abfertigung dann doch recht schnell. Wahrscheinlich war Keelas Idee, mich nicht mit Lebensmitteln über die Grenze kommen zu lassen gar nicht so verkehrt.
Die Weiterfahrt lief dann auch wieder recht gut. Trotzdem lief mir die Fahrzeit weg. Da wir unsere Zeiten sauber halten sollten, durfte ich dann in Dunnigan am Pilot Travel Center Feierabend machen. Mangels frischer Lebensmittel im Kühlschrank blieb mir nichts anderes übrig, als mir eine Konserve aufzumachen und den Inhalt in der Mikrowelle aufzuwärmen.

Beim Telefonat mit Pam merkte ich dann, dass sie etwas aggressiv war. „Was ist los, Sweetheart?“ „Ach die Leute sind alle verrückt geworden. Ich war gerade einkaufen. Es wird noch schlimmer, als es in den letzten Tagen schon war. Entweder herrschte in den Regalen gähnende Leere oder die Leute stürzten sich wie die Geier auf die Sachen. Ganz besonders bei haltbaren Lebensmitteln, Seife und Desinfektionsmitteln oder Toilettenpapier. Ich habe nur die Hälfte der Sachen bekommen, die ich kaufen wollte. Auch Tim war hinterher völlig fertig. Der bekam richtig Angst vor den anderen Leuten.“ „Verstehe.“ „Kommst du vielleicht irgendwie besser an die Sachen?“ „Was meinst du?“ „Hast du als Fahrer nicht irgendwelche Vorteile?“ „Nicht wirklich. Wir haben unseren Rabatt. Sonst nichts.“ „Ich rede nicht vom Geld.“ „Jetzt weiß ich was du meinst. Ich kann zwar auf die Papiere schauen, was ich gerade anliefere, das ist dann aber auch noch nicht sofort im Laden.“ „Kannst du denn Sachen wie Toilettenpapier oder Konserven nicht direkt bei euch aus dem Lager bekommen?“ „Ich darf doch unser Lager nach den neuen Anweisungen gar nicht mehr betreten. Das war ja in normalen Zeiten schon nur unter bestimmten Umständen gestattet.“ „Ich warte schon auf die Meldungen, dass einer von euch überfallen wird, weil die Leute eure Ladung plündern wollen.“ „Seit der Ausnahmeregelung müssen wir sowieso ein Vorhängeschloss an die Türen der Trailer machen. Vorher hattest du allenfalls eine Kunststoffplombe.“ „Kannst du dann in den nächsten Tagen, wo die Verbote sind, für mich einkaufen fahren? Ich habe Angst davor. Vor allem, dass Tim dabei was passieren kann.“ „Kann ich machen. Die Frage ist natürlich, ob ich dann alles bekomme.“ „Ich lege dir einen Einkaufszettel auf den Tisch. Falls du morgen früh da bist, kannst du ja vielleicht direkt zur Ladenöffnung dort sein.“ „Mach das. Ich weiß nur nicht, ob die Regale direkt am Morgen voller sind. Es kommt darauf an, wann sie die Ware bekommen haben.“ „Vielleicht sollte ich in einer Ecke vom Garten ein Gemüsebeet anlegen.“ „Das musst du wissen.“ Im weiteren Verlauf des Telefonats schaffte ich es dann noch, das Thema zu wechseln und Pam somit auf andere Gedanken zu bringen. Anschließend ging ich dann schlafen.

Am Samstag lief es dann auch ganz gut. Ich brauchte dann nur noch den Trailer zum Außenlager bringen und durfte anschließend meinen Reset machen. Dieser sollte dann wieder bis Montag früh um Fünf gehen. Den Weg von und zur Arbeit verband ich dann wieder mit der Laufrunde. So hatte ich dann auch wenigstens einen Grund, draußen zu sein und zu Laufen.
Zu Hause angekommen, ging ich duschen und machte mich dann fertig. Ich fuhr dann schließlich so los, dass ich zur Ladenöffnung am Supercenter war. Offensichtlich hatte einer meiner Kollegen den Laden in der Nacht noch beliefert. So hatte ich dann Glück, wenigstens einen großen Teil der Sachen, die Pam aufgeschrieben hatte, zu bekommen.

Für den Rest des Wochenendes hatten wir dann quasi Hausarrest. Zum Glück war das Wetter so, dass es wieder annähernd 20°Celsius draußen waren. So konnten wir bei Sonnenschein die Zeit im Garten verbringen. Trotzdem war es komisch. Letzte Woche hatten wir noch Besuch, diese Woche durften wir niemanden besuchen und uns auch keiner.
Mit etwas Mitleid dachte ich an unsere Angehörigen. Wenigstens waren die meisten nicht alleine. Pams Eltern waren zusammen in San Diego, Mom und Dad waren zusammen in ihrem Haus. Jessy und Dave waren auch zusammen. Am meisten Mitleid hatte ich mit Keela. Sie hatte zwar Wochenendbereitschaft, war aber alleine zu Hause, da Marc seinen Reset außerhalb machte. Ihr fiel mit Sicherheit bald die Decke auf den Kopf.
Wie Pam schon gesagt hatte, bot uns Tim eine gute Abwechslung. Wir hatten viel Zeit für den Kleinen. Einer von uns hatte immer Zeit mit ihm zu spielen. So verging das Wochenende wie im Flug. Trotz der neuen Situation ging es uns recht gut. Vor allem Pam ging es gut, wie lange nicht mehr. Sollte sie ihre Krankheit langsam besiegen?

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