Kapitel 1 – Transportunternehmen Kaiser

Dieses Tagebuch hat im Herbst 2013 auf der damaligen TSM-Seite begonnen. Danach ging es durch Höhen und Tiefen. Es gab Zeiten, da habe ich zwei Kapitel in der Woche rausgehauen, weil eins zu wenig war.

Eine Erkenntnis, die mir mehrfach gekommen ist in der Zeit, ist das Phänomen, dass die fiktiven Figuren „leben“ und einen eigenen Charakter entwickeln. Am Anfang stand ein Storybook mit Ideen. Und dann geht es los. Aber manche Idee aus dem ursprünglichen Storybook erwies sich als doch nicht so gut und es musste eine Kehrtwende her. Andere dagegen kamen erst beim Schreiben und man suchte sich eine passende Person, die diesen Part dann darstellen durfte, was aber bedeuten konnte, dass diese Person sich dadurch verändert und weiterentwickelt. Das gilt auch für den im Nachhinein vielleicht in der Anfangszeit etwas zu hemdsärmeligen Hauptdarsteller.

Dazu kam dann auch Fachwissen durch Kommentare und konstruktive Kritik der Leser. Ich bin kein LKW-Fahrer, darf maximal 7,5 Tonnen fahren, was ich ein einziges Mal als Umzugshelfer getan habe. Deshalb wird hier die eine oder andere sachlich komplett daneben liegende Szene nachträglich korrigiert.

Dazu werden auch manche der damals in „Massenproduktion“ erstellten Kapitel verkürzt und zusammengefasst. Und da nicht alle Tagebücher, auf die ich mich bezogen habe, wieder online kommen werden, sind auch bisweilen Erklärungen fällig.

Die Chance, die sich mir bietet, alles noch mal zu überarbeiten, werde ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Am Anfang gibt es nicht mehr so ganz zeitgemäße Bilder, aber mein erstes ETS2-Jahr hatte ich einen damals auch nicht mehr ganz zeitgemäßen PC.
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Wo fange ich denn mal an? Zwischen Umzugskartons in einem Hochhaus im Süden von Köln vielleicht? Ich bin Eric Kaiser und weil mich dieser C-K-Stotterer schon immer genervt hatte, sollten mich, seit ich 12 war, alle nur noch Ricky nennen. Das war 1991, also bin ich wohl Baujahr 1979. „Ricky Kaiser“ klang zwar ein Bisschen nach dem neuen Schlagerstar von Mallorca, aber gefiel mir immer noch besser.

1995 hatte ich in meiner Heimat im Sauerland den Realschulabschluss zusammengebaut und danach eine Lehre zum Landmaschinenmechaniker gemacht. Eigentlich für Schnellläufer, aber weil der eine oder andere Landwirt auch einen hoffnungslos veralteten Mercedes NG, MAN F90 und einer sogar einen F9 besaß, um damit seine Ernte auf die Großmärkte in Soest, Paderborn oder Warburg zu fahren, machte ich 2000 meinen CE-Schein auf einem auch nicht mehr so ganz frischen Mercedes SK, um auch diese Fahrzeuge zu Test- oder Überführungsfahrten zwischen Werkstatt und Bauernhöfen bewegen zu dürfen.

Im gleichen Jahr schlug aber der Blitz in der Halle der Traktorwerkstatt ein und das Gebäude brannte vollkommen aus. Die Versicherung würde zwar zahlen, aber die Angestellten wurden entlassen, weil es bis zum Wiederaufbau einige Monate lang keine Arbeit für Leute außerhalb der Eigentümerfamilie geben würde. Ich durfte sowieso gehen, schließlich war ich jung, ledig und noch nicht lange dabei. Der erste berufliche Tiefschlag, aber noch lange nicht der letzte. So sah ich mich zweigleisig um, einerseits Landmaschinen- und Nutzfahrzeugwerkstätten, andererseits aber auch als LKW-Fahrer, meinen CE hatte ich ja nun, die Module für den gewerblichen Güterverkehr waren mit ein paar Abendkursstunden erledigt. Die brauchte man ja als Mechaniker für Probefahrten nicht.

So kam ich bei der Spedition Mahler im hessischen Schwalmstadt unter. Hier folgte sofort der Sprung ins kalte Wasser des Fernverkehrs, aber in kaltem Wasser lernte man bekanntlich am schnellsten Schwimmen. Ich bekam meinen Vertrag und 1 Woche Zeit, um aus der elterlichen Wohnung knapp 100 Kilometer weit weg in eine der zahlreichen, sofort verfügbaren Mietwohnungen zu ziehen, die die Stadtflucht der jungen Landbevölkerung nach Kassel und Frankfurt hatte frei werden lassen.

Die ersten drei Tage waren gleichzeitig die letzten bis zum Wochenende. An diesen drei Tagen fuhr ich zum Eingewöhnen und Lernen des Papierkrieges unter Begleitung je einen Tag mit einem nagelneuen Mercedes Atego Schwer Hängerzug, einem umso älteren Ford Cargo Solowagen und einem wieder deutlich neueren Renault Midliner im Regionalverkehr. Mahler hatte sowieso alles was rollte. Auf dem Hof stand ein zwar einheitlich rot-grau lackierter, aber markentechnisch bunter Mix aller möglichen und unmöglichen LKW. Quasi alle Marken Westeuropas waren mit ihrer Produktpalette der 90er Jahre vertreten.

Ich bekam einen 10 Jahre alter Iveco TurboStar 190-48. Ein Bisschen enttäuscht war ich über dieses alte Ding schon. Dass die neuesten Fernverkehrszüge auch schon 4 Jahre alt waren, hätte mich zwar eigentlich sowieso stutzig machen müssen, aber ich war eben unerfahren. Die kosteten halt weniger. Nun hatte ich also eins der ältesten Schätzchen im Fuhrpark. Was konnte man als Neuling schon erwarten oder sogar verlangen?

Immerhin keine Schwere Klasse. Den Mercedes hatte ich geräuschmäßig schon längst gefressen. Das Ding konnte nie verheimlichen, dass seine Basis, die Neue Generation, eigentlich ein reiner, mittelschwerer Bau-Laster werden sollte, der allenfalls in Schwellenländern Fernverkehr sehen sollte und dann im Zeichen der Krise Anfang der 70er schnell zum Vollsortiment ausgebaut wurde, anstatt einen vernünftigen Laster zu konstruieren.

Ich bekam meinen ersten Auftrag, es sollte von Kassel nach Jyväskylä gehen. Also auf nach Finnland. Ich kletterte in die Kabine des Italieners, dachte noch an den Witz mit den Lappen und Waschlappen (unter +2°C: italienische Autos springen nicht mehr an) und startete den Motor. Leiser als ein Mercedes SK war er nicht unbedingt, aber angenehmer. Während der Mercedes ziemlich metallisch hämmerte, hatte der Iveco ein dumpferes Geräusch. Und spätestens als in Kassel der beladene Trailer dran hing und der Turbo gefordert wurde, war mir egal, wie wenig Dämmwolle im Bodenblech steckte.
Ich rollte in Rostock auf die Finnjet, die seitdem leider auch zu Bratpfannen verarbeitet wurde, lieferte nach der Überfahrt in Finnland ab, bekam neue Fracht in Tampere, fuhr von dort zurück nach Deutschland zum Abliefern in Hamm. Das letzte Stück mit einer Nahverkehrsladung ging nach Fulda und dann leer nach Hause. So war meine erste Woche rum.

Der Iveco sprang auch bei unter +2°C ohne Probleme an und brachte mich danach einige Jahre quer durch Europa, meistens aber nach Skandinavien. Über allerlei Unsinn, den man als Anfänger so machte oder den die „lieben“ Kollegen mit einem veranstalteten, decken wir mal lieber den Mantel des Schweigens.

Weil da sonst keiner hin wollte und man es mit mir ja machen konnte, ging es auch oft nach Großbritannien und Irland. Ich sah andere Fahrer mit diesem Modell am Straßenrand stehen, vielleicht wegen des handgeschalteten Fuller-Getriebes hatte ich mit meinem jedoch nie Ärger, nachdem ich das Schalten damit einmal drauf hatte.

Selten genug war was an der eigentlich unverwüstlichen Fiat-Maschine kaputt und wenn doch, bekam ich es oft genug mit meinen Kenntnissen wieder hin, weil das Teil ähnlich rustikal aufgebaut war wie ein Traktormotor. Daneben hatte ich in der Kabine mal den einen oder anderen Deckel oder Griff in der Hand, aber für so was gab es Werkzeug oder Klebstoff. Mir war es lieber, mal eine Sonnenblende wieder ankleben zu müssen, als von einem computergesteuerten Halbautomatik-Getriebe lahm gelegt zu werden, wie es etliche dieser neuen Dinger in den damals aktuellen Trucks gerne machten. Dieser LKW brachte mir eine entscheidende Lektion bei: Beurteile ein Buch nie nach seinem Einband.

Es gab keinen neuen LKW, aber auch für andere Fahrer nicht. Und so folgte das Zwangsläufige, Mahler meldete 2003 Insolvenz an. Den Rest des Jahres hielt ich mich mit Gelegenheitsjobs bei Baufirmen, Möbeltransporten und in der Zuckerrübenkampagne über Wasser.

Keith, ein englischer Fahrer, den ich mal auf der Kanalfähre getroffen hatte und zu dem ich übers Internet Kontakt hielt, holte mich kurz vor Weihnachten in sein Heimatland. Aber durch ihn hatte ich eben überhaupt wieder eine feste Stelle bekommen, auch wenn ich dafür Gefahrgutscheine machen und eine Menge pauken musste. Schließlich war ich reif für die Insel, zog mit Sack und Pack nach Milford Haven und fuhr für BP Tanklastzüge mit Petrochemie in Großbritannien. Immerhin gab es nach einer kleinen Eingewöhnung mit einem schon etwas älteren ERF EC einen fast werksneuen ERF ECT, baugleich zum MAN TGA.

In den folgenden Monaten fand ich einen Freund – ja, Freund! Zwar hieß Pembroke selbst durch zahlreiche zugezogene Engländer „das England hinter den Bergen“, aber meinem Freund Luke zuliebe lernte ich eine der kompliziertesten Sprachen der Welt: Walisisch. Nicht dass ich das gebraucht hätte, ich betrachtete es als Liebesbeweis, zumal er sehr stolz auf seine Heimat war und wenn man ihn spontan gefragt hätte, die Nationalhymne zu singen, hätte er wahrscheinlich nicht „God Save The Queen“ angestimmt sondern „Land Of My Fathers“.


Nun war ich aber trotzdem nach nicht ganz vier Jahren wieder in Deutschland, genauer in Köln. Eigentlich hatte ich in Großbritannien gedacht, ich würde nie mehr zurückgehen. Zu sehr hatte mir dort die Einstellung der Leute gefallen. Viel weltoffener und freundlicher als in Deutschland, auch wenn das manchmal etwas aufgesetzt war.

Der Kalender stand auf Mai 2007, eine heiße Internetbekanntschaft namens Björn hatte mich in mein Geburtsland zurückgeholt, die eingefahrene und abgekühlte Beziehung mit Luke hatte ich dafür beendet. Auch ohne dass es offen gekriselt hatte, war ich meinen Freund leid geworden.

Nach meinem Umzug folgten erst einmal die ganzen Behördengänge. Es war schon witzig, dass ich mich seinerzeit in Deutschland 2 Tage lang damit befassen musste, mich abzumelden, aber in Wales nach einem halben Tag gemeldet war. Und auch die Abmeldung dauerte dort unter einem Tag, während ich in Deutschland wieder einmal 3 Tage auf Ämtern zubrachte, bis allen offiziellen Stellen bekannt war, dass ich wieder im Lande war. Willkommen zurück im Land der Bürokraten und Sesselwärmer. Die erste Sehnsucht nach einem unkomplizierten, britischen Rathaus kam schon im Wartezimmer des Einwohnermeldeamtes auf.

Um wieder mobil zu sein, kaufte ich mir noch ein Auto, einen jungen gebrauchten Citroen C4. Das neue Arbeitsverhältnis begann in den folgenden Tagen nicht auf der Straße sondern am Betriebshof mit Einweisungen wie zum Beispiel in die Siloreinigung und einigen Weiterbildungen.

Dann bekam ich meinen LKW zugeteilt und durfte los. Es war, wie ich schon vorher wusste, ein Mercedes Actros. Ich stieg ein, startete den Motor und war angenehm überrascht. Der Actros MP3 machte seine Sache im Gegensatz zur schweren Klasse oder dem ersten Actros gut. Allerdings kochte Mercedes auch nur mit Wasser, besser als der letzte ERF war er nun wirklich nicht. Aber damals in meinen Hilfsjobs waren mir die F90 und F2000 deutlich lieber als SK und Actros MP1.
Die meisten Touren waren zuerst im Nahbereich, meistens ins Ruhrgebiet oder ins Münsterland. Bald kamen auch noch Norddeutschland bis an die dänische Grenze und die Beneluxstaaten und Nordfrankreich dazu.

Die Dispo wusste natürlich, dass ich in Großbritannien gelebt hatte, also ging es auch in der vierten Woche gleich einmal auf die Insel. Zu Hause war, wo jemand auf meine Rückkehr wartete, insofern fuhr ich in Liebesdingen gerade schon von zu Hause weg. Und dennoch stellte sich im Herzen ein Bisschen die Frage, ob ich nicht von Land und Leuten doch gerade nach Hause fuhr, als ich in Rotterdam durch den Europoort zum Fährterminal rollte.

Die nächtliche Überfahrt auf der Fähre war ruhig und am nächsten Morgen freute ich mich auf das Full Traditional Breakfast. Endlich mal wieder Speck, Würstchen, Spiegeleier, gebratene Blutwurst, Pilze, gedünstete Tomate und das ganze abgerundet mit reichlich weißen Bohnen in Tomatensauce, ohne dass man dafür eine Stunde am Herd stehen musste.
Nach dem Frühstück war auch das Anlegemanöver erledigt und die Ausfahrt begann. Auf in den Linksverkehr, ich war es ja noch gewohnt.

In den kommenden Wochen und Monaten wurden die Routen nach Großbritannien immer mehr mein Revier. London, Grimsby, Birmingham und Edinburgh wurden die Hauptziele.

Und nach über 5 glücklichen Jahren, in denen aber immer ein Bisschen die Wirtschaftskrise im Hinterkopf war, zog die Konjunktur auch wieder an, aber das war dann auch nur ein scheinbares Glück zum Jahreswechsel 2012/2013.

 
Als erstes ging meine Beziehung in die Brüche. Eine Spedition und die Konkurrenz auf der Schiene waren für ein Paar wohl keine guten Arbeitgeber, weil wir uns viel zu selten gesehen und so auseinander gelebt hatten. Dazu kam der recht betrachtet doch krasse Altersunterschied. Björn war 10 Jahre jünger gewesen als ich, als wir uns kennenlernten gerade mal 18 geworden, ich 28. Viel Spaß in München bei Deinem neuen…

Im Frühjahr merkten alle Fahrer, dass es weniger Fahrten gab. Und schon bald rauschte durch den Flurfunk, dass ein wichtiger Kunde gerade wegen der besseren Konjunktur einen eigenen Werksverkehr aufgebaut hatte und daher Aufträge weg gebrochen waren

Der Seniorchef und der Betriebsrat bestätigten auf einer Betriebsversammlung schließlich die Gerüchte um den verlorenen Kunden. Daher müsste leider auch Personal abgebaut werden. Ich war ledig, 33 Jahre und aus der Natur der Sache kinderlos. Wer ziemlich sicher durch den Sozialplan gefallen war, konnte ich mir ausdenken. Und so war ich nicht mehr überrascht, dass die Kündigung in den folgenden Tagen eintrudelte.

Mal wieder arbeitslos. Was nun? Wo anders bewerben? Dreimal hatte ich jetzt meinen Arbeitsplatz verloren und nur einen selbst aufgegeben. Irgendwie hatte ich keine Lust mehr darauf. Aber wie sollte die Selbstständigkeit funktionieren? Ich hatte zwar inzwischen knapp 40.000 Euro angespart. Eigentlich wollte ich mit diesem und weiterem, noch zu sparendem Geld irgendwann meine Hälfte an einer schönen Eigentumswohnung für zwei bezahlen, was sich ja nun auch mistigerweise erledigt hatte.
Aber das war immer noch nicht genug. Ich würde mindestens eine kleine Fahrzeughalle und eine Zugmaschine mit ca. 400 PS und einer einfachen Fernverkehrskabine für den Start brauchen. Und alleine die kostete das Doppelte.

Am Sonntag würde ich mir erst einmal beim Eishockeyspiel die Wut aus dem Leib schreien und meine geliebten Kölner Haie anfeuern. Zum Glück würde dieses Mal nicht der Sohn vom Juniorchef neben mir sitzen.

Aus seiner Familie konnte sich niemand für Eishockey begeistern. Als er irgendwann mal wie so oft nach der Schule ins Büro seines Vaters kam, um dort seine Hausaufgaben zu machen, hatte er aber die Haie-Flagge an meiner Kabinenrückwand gesehen, mich angesprochen und danach mit seinem Vater geredet. Seitdem hatte er die Erlaubnis, mit mir gelegentlich einem Spiel zuzugucken.

Montag sollte ich dann dank der relativ kurzen Kündigungsfrist und dem aufgelaufenen Resturlaub nur noch meinen LKW ausräumen und das Kapitel mit dieser Firma war dann auch durch. Wie es weiter gehen sollte, musste sich zeigen. Aber bisher hatte ich mich immer irgendwie durchgebissen.

Das ganze Wochenende über dachte ich nach, wie es weiter gehen sollte. Angestellter, Selbstständig, Deutschland, Großbritannien? Während ich auf dem Arbeitsamt wartete, rief ich wegen der Länderfrage bei Keith an. Er war am Fahren, wie man hören konnte. Nachdem ich ihm kurz geschildert hatte, was passiert war, kam ich auf das Thema, wieder in Großbritannien zu arbeiten. Seine Antwort war ernüchternd: „Wegen unseren blöden Separatistenbestrebungen weiß keiner, wie es in ein paar Jahren ist. Wenn wir wirklich aus der EU austreten, wird es wieder bürokratisch, Ausländer zu beschäftigen. Derzeit sind die Firmen da sehr zurückhaltend. Ich würde es auch nicht machen wollen.“ „Und selbst eine Firma aufmachen?“ „Vergiss es. Ich bin gerade dabei, das alles vorzubereiten. Ich habe von meinem Großvater geerbt und will außerdem wenigstens die Wochenenden wieder bei meinen Eltern sein und hier aus dem äußersten Zipfel von Wales weg. Die Firma zu gründen ist einfach, aber bis man alles drum herum zusammen hat und sie wirklich betreiben darf, ist man viele Jahre älter, nervlich Jahrzehnte. Und Du als Ausländer vermutlich noch mehr als ich.“

Auch ein paar Minuten später im Amtszimmer machte man mir wenig Hoffnungen auf einen Job als Fernfahrer, die Konkurrenz aus dem Osten.


Während ich zur Spedition nach Hürth fuhr, dachte ich weiter nach. Im Prinzip blieb mir nur noch eine Möglichkeit, nämlich mich in Deutschland selbstständig zu machen. Nur woher sollte ich das Geld nehmen? Ich hatte nichts zu erben wie Keith. Und meine Ersparnisse reichten nicht. Ich kam an, parkte mein Auto neben der Zugmaschine und kletterte ein letztes Mal in die Kabine, bewaffnet mit einem Waschkorb. Während ich am Ausräumen war, hörte ich plötzlich eine Jungenstimme von neben der Fahrertür: „Ricky, was machst Du?“ Es war Marco, der Sohn des Juniorchefs. „Ich räume aus. Bin doch bei der Entlassungswelle mit dabei.“ Er wurde blass: „Bitte nicht. Soll ich mal mit meinem Vater reden?“ „Nein. Das würde vielleicht bei einem kleinen Unternehmen mit 5 Fahrern und der Familie vom Chef als komplettem Innendienst was nützen. Aber Ihr habt hunderte Angestellte und einen Betriebsrat. Da gelten Gesetze, an die müsst Ihr Euch halten. Außerdem würde ich nicht wollen, dass ich meinen Job nur deshalb behalten darf, weil ich gelegentlich mit dem Sohn vom Chef zu den Haien gehe.“ „Ich gehe trotzdem zu ihm.“
Trotzig ging er weg und kam nach ein paar Minuten mit seinem Vater wieder. Was wurde das denn? Skeptisch kletterte ich aus der Kabine: „Guten Tag Herr…“ Es war mir ja an sich zuwider, aber die Inhaberfamilie des eigenen Arbeitgebers sollte man doch besser siezen. Er unterbrach mich aber: „Weil das hier ja ehrlich gesehen so gut wie kein Angestelltenverhältnis mehr ist, ich bin Alfred.“ „Ricky.“ „Es tut mir ja auch leid, aber so ist nun mal die Rechtslage. Da helfen weder meine Wünsche, noch die meines Sohnes.“ „Ich weiß und ich kann damit leben. Irgendwie.“ „Wie soll es weiter gehen?“ „Arbeitslosengeld befürchte ich. Fahrer werden gerade kaum gesucht, wenn doch, sind sie aus dem Osten und arbeiten für einen polnischen Briefkasten. Und um mein eigenes Ding aufzuziehen, fehlt mir das Kleingeld.“

Er dachte nach: „Du hast mir so oft einen lächelnden Sohn aus der Lanxess-Arena nach Hause gebracht, da bin ich nicht undankbar. Wir haben ein kleines Gelände im Ruhrgebiet. Da wollten wir eigentlich mal eine Niederlassung eröffnen, aber es ist nie dazu gekommen. Ich spreche jetzt als Privatmann. Wenn Du nicht ortsgebunden bist, könntest Du Dir das mal ansehen. Ich würde es bei Interesse erst als Privatentnahme aus der Firma abziehen, damit es für Dich kein Geldwerter Vorteil ist. Dann könntest Du das Grundstück für einen symbolischen Zehner von mir kaufen. Eine alte Wartungshalle steht auch drauf.“ „Anschauen kann ich es ja mal. Köln hat mir sowieso mehr Enttäuschungen gebracht, als ich erwartet habe.“ Alfred gab mir die Adresse und verabschiedete sich. Marco blieb noch kurz da: „Fahren wir am Sonntag nach Berlin, wenn es da ein Spiel gibt?“ „Meinst Du, ich lasse die Jungs auswärts Meister werden, ohne dabei zu sein? Ich organisiere Tickets für den Sonderzug, sobald es feststeht.“
Wieder zu Hause machte ich mich schon mal schlau, wie es denn mit LKW aussah. Gebraucht stellten sich mir die Haare auf. Einer fertiger als der andere. Es hatte sich auch im Gebrauchtwagenmarkt niedergeschlagen, dass in der Krise jeder die Wagen länger behalten hatte. Wenn ich mich auf mein neues Arbeitsgerät verlassen wollte, musste ich statt eines großen gebrauchten wohl einen kleinen neuen kaufen. Also surfte ich die Webseiten der sieben Riesen ab und schaute nach, wo sie Niederlassungen hatten. Somit blieben nur noch MAN, Renault, Volvo, Iveco und Mercedes übrig, DAF und Scania waren zu weit weg. Morgen war ich mit Alfred an der Halle, übermorgen würde ich mir mal die Angebote anschauen müssen.

Das Gelände um die Halle sah aus wie Kraut und Rüben. Es hatte einem Subunternehmer der Telekom gehört und überall lagen Kabelrollen herum. Die ausgemusterten Überseecontainer gingen wohl eher auf Alfreds Kappe.

Ungefähr wusste ich, was mich da finanziell erwartete. Also fuhr ich zur Bank. Für ein Unternehmen erschienen mir die großen Namen besser geeignet. Der Besuch war ernüchternd. Ein schleimiger Berater erklärte mir mit seinem Fachchinesisch eigentlich auch nur den alten Witz, dass man, um einen Kredit zu bekommen, seiner Bank beweisen musste, dass man eigentlich gar keinen Kredit brauchte. Das Grundstück würde, wenn ich es überhaupt bekäme, nicht als Sicherheit ausreichen, weil es in einem Mischgebiet lag und damit nicht genug wert sei. Der LKW selbst wäre auch keine Sicherheit.
Ich verließ enttäuscht die Großbank und kam auf dem Weg aus der Stadt zur Autobahn an einer kleinen, unscheinbaren Bankfiliale vorbei. Weil ich etwas hatte, das mich antrieb, stoppte ich den Antrieb meines Autos und ging auf gut Glück hinein. Ein junger Bankberater begrüßte mich und stellte sich als Dennis Seiler vor. Abgesehen von Alter und fehlender Leibesfülle sah aber auch er für mich aus wie der andere Bankberater. Ein gewisses Auftreten gehörte wohl zu diesem Job dazu und die Welt der Krawatten und Jacketts war nicht meine. Wir gingen in einen kleinen Besprechungsraum, er bot mir einen Sitzplatz und Kaffee an, bevor er sich auf seinen Stuhl setzte: „Was kann ich für Sie tun, Herr Kaiser?“ „Ich will mich selbstständig machen und brauche einen Kredit.“ „Über wie viel reden wir da?“ Ich hatte neben der Zugmaschine auch damit gerechnet, dass ich wohl in die Halle noch etwas Geld für die dringendsten Reparaturen stecken musste und eine Büroausrüstung brauchte. Dazu kamen dann laufende Kosten der ersten Zeit, neben Versicherung und Steuer für den LKW auch der Zugang zu Frachtbörsen. „Knapp 90.000 Euro werden es wohl sein.“ Er zuckte nicht zusammen und auch die Raumtemperatur sackte nicht um gefühlte 5 Grad ab wie eben noch bei der anderen Bank: „Wir haben da ein Existenzgründer-Programm, mit dem wir das alles abdecken könnten. Und die passenden Versicherungen bieten wir da auch mit drin an.“ Nun ließ er sich in Ruhe meine jetzige Situation, vorhandenes Kapital und die Werte der aufzubauenden Firma beschreiben. Die Kalkulation sah vernünftig aus, auf dieser Basis würde ich es durchziehen können.

Am nächsten Tag klapperte ich einige LKW-Händler ab. Als erstes am Weg zwischen Köln und Bochum lag Düsseldorf. Es war eine kleine Niederlassung und der preiswerteste LKW war ein Renault Premium mit 380 PS und flacher Kabine. Der Motor war für ein Einsteigermodell eine Ansage, leider auch das Preisschild. Bei 102.610 Euro waren die Verhandlungen zu Ende. Das war dicht an meiner Schmerzgrenze, aber eigentlich wollte ich fünfstellig bleiben.
Nächster Halt Mercedes. Der Actros hatte nur 320 PS und der Preis ließ sich immerhin auf 100.600 Euro reduzieren. Allerdings war ich hier nur der Vollständigkeit halber gewesen. Einen Mercedes wollte ich nicht unbedingt haben, die letzten Jahre hatten mir gereicht. Und so gut war das Angebot auch nicht.
Bei MAN wurden 101.520 Euro für einen TGX mit flacher Kabine und 320 PS aufgerufen. Offenbar spielte sich alles so in dieser Region ab. Allerdings würde ich bisher dann doch lieber die 920 Euro drauf legen und den MAN nehmen als den Mercedes.

Nun fuhr ich erst einmal zu Volvo. Dort gewöhnte der Verkäufer mir gleich die Marke ab. Nur dicke Motorisierungen. Allerdings rief der Händler auch nach Verhandlungen noch 112.390 Euro auf: „Für einen LKW dieser Leistungsklasse ist das nicht zu viel.“ „Aber es ist mehr als ich ausgeben will. Da wäre ich auch erst einmal mit weniger Leistung zufrieden.“ Das kratzte an seinem Selbstverständnis. „Volvo ist bekannt für seine leistungsstarken Fahrzeuge. Wir haben erstklassige Referenzen bis in den Schwertransport. Wenn Sie wirklich etwas Schwächeres sofort wollen, müssten Sie schon einen FM nehmen.“ Die Mühe, von einer anderen Niederlassung einen LKW zu bekommen, sparte er sich gleich zu machen. „Ich habe aber keinen Schwertransporter. Und wenn ich mal eine haben werde, dann wohl nicht von Volvo! Guten Tag!“

Letzter Halt war Iveco in Recklinghausen. Dort fand ich einen Stralis mit zwar mageren 310 PS, aber schon der ausgezeichnete Preis war niedriger als eben der Volvo nach Verhandlungen. Während ich das mausgraue Fahrzeug betrachtete, kam der Verkäufer. Er hieß Mario Beltermann und war schon ein älteres Semester.
Hätte er behauptet, er hieße mit Nachnamen Adorf, dann hätte ich es ihm auch abgenommen, denn er sah fast aus wie das 20 jahre jüngere Ich des bekannten Schauspielers. „Was hast Du mit dem LKW vor?“ wollte er wissen, nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt hatten und er wohl mit dem Temperament eines italienischen Elternteils ins Du verfallen war. „Freiberufler im Fernverkehr. Ich brauche einen günstigen LKW für den Start“ „Dafür hat er so wie hier zu wenig Leistung. Aber man kann ihn mit Chiptuning auf fast 360 PS bringen. Das ist sogar vom Werk abgesegnet, wenn wir es hier machen. Und einen einfachen Unterfahrschutz an den Seiten würde ich anbauen. Wenn ein flotter Italiener erst mal bei einem verzweifelten Fahrmanöver den Tank aufgerissen hat, ist es zu spät. Meine Mutter war Italienerin, ich kenne das Volk am Steuer.“ „Kann man am Preis noch was machen?“ „Ich könnte so wie er hier steht 15% geben, dann sind wir bei 98.060 Euro.“ „Dafür nehme ich ihn. Vielleicht dann auch das Tuning gleich mit.“ Er wollte in den nächsten Tagen die Papiere fertig machen, ich musste nun also das Grundstück erwerben, die Firma eintragen und das Geld klar machen. Der Rest der Woche würde wohl hektisch.

Alles war im Laufe der Woche bereit. Ich hatte mich noch dazu entschieden, mir keine Wohnung zu mieten. Wie selten würde ich sie sehen? Hinter der Halle standen zwei Wohncontainer. Einer enthielt Büro und Sanitärräume, der andere einen Aufenthaltsraum mit Küchenzeile. Diesen wollte ich zum Wohn-Schlafzimmer ausbauen. So hatte ich in Form der eingesparten Miete gleich einen Teil meiner Kreditrate wieder raus. Ich hielt gleich mal unterwegs beim Baumarkt, um dort ein paar Sachen für den Innenausbau einzukaufen. Was wohl jeder kennt, wie immer bei Baumärkten landete am Ende eine ganze Menge Zeug in meinem Citroen C4.

Am Freitag fuhr ich also mit Kurzzeitkennzeichen im Rucksack mit dem Zug nach Recklinghausen und nahm meine Zugmaschine in Empfang. Auf den Unterfahrschutz hatte ich verzichtet, den gab es zum Nachrüsten billiger als original von Iveco. Dafür hatte ich das Chiptuning schon machen lassen. Als ich kam, stand die Zugmaschine schon fertig auf dem Parkplatz an der Straße und wartete auf mich.

Ich machte mich auf den Weg zu meiner Halle. Es war schon ein besonderes Gefühl, seinen ersten eigenen LKW fahren zu können. Und dann erst, mit dem eigenen LKW in die eigene Halle zu fahren. Auch wenn die Halle nicht groß und nicht schön war, der LKW ebenfalls klein und nur relativ schwach motorisiert. Klein aber mein.

Dann ging es zur Zulassungsstelle und nach einer Ewigkeit hatte ich einerseits Kennzeichen für mein Auto und auch für die Zugmaschine. In der Halle schraubte ich sie an die Fahrzeuge und stand dann stolz vor meinem ersten eigenen LKW. Wie passend, wieder war es ein Iveco. Die Marke, mit der meine Karriere als Fernfahrer begonnen hatte. Hoffentlich hatte die Selbstständigkeit mehr Höhen und weniger Tiefen für mich bereit als die Angestelltenzeit.

2 Kommentare zu „Kapitel 1 – Transportunternehmen Kaiser

  1. Schönes Kapitel. Ist lange her, dass ich deine Anfänge gelesen habe.

    Eine Anmerkung habe ich aber. Die „Fortbildungsmodule“ für den gewerblichen Verkehr hat man erst um 2010 eingeführt.

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