Am Samstag dann kam ein Aufkäufer für Altfahrzeuge vorbei, von dem ich einfach mal hören wollte, was so einer zahlen wollte. Er sah sich die Bescherung mit dem Getriebe an. „Ja, das Eaton und die Mack V8. Das endet öfter so. Da hätte der Erstbesitzer besser das Mack Maxitorque bestellt.“ Das hatte ich mal in einem Titan Leihwagen. Da waren die Gänge zwar jeden Tag woanders, aber das Teil galt als unkaputtbar, auch mit dem Motorblock dran. „Womit kann ich für den Truck rechnen?“ „600 Dollar.“ „Was?“ „Ja. Der wiegt knapp 18,000 lb. Schrottpreis sind gerade 1,000 lb für 65 Dollar und Ankauf unsortiert gibt es marktüblich die Hälfte vom Stahlpreis.“ „Nein, dann bleibt er hier.“
Da war der Motorblock alleine vermutlich unter Liebhabern mehr wert. Und ich konnte den Truck hier von der Hallenausstattung her problemlos ausschlachten. Und vielleicht ging er ja auch am Stück an einen Liebhaber, um ihn wieder aufzuarbeiten. Vielleicht wollte ich auch gar nicht verkaufen. Immerhin hatte damit meine Karriere als Owner Operator angefangen. Hier fraß er jedenfalls erst mal kein Brot, wenn er schon durch Verkauf keins einbrachte.
Als nächstes schaltete ich erst einmal ab, traf mich mit Caleb, Hayden, Jamie und David und wir fuhren mit zwei Autos nach Allentown. Dort legten Caleb und ich wieder unsere üblichen Masken an und wir erkundeten die Neuweiler Brewery.

Nachdem ich wieder zu Hause war, schickte ich Brian eine Nachricht, dass ich nicht fahren konnte und telefonierte danach mit Randy. Irgendwann kam er auf meine allgemeine Verfassung: „Denk aber auch mal an Dich und mach mal Urlaub in der Zeit, wo Du keinen Truck hast.“ „Wahrscheinlich hast Du Recht.“ „Willst Du mich mal in Stanford besuchen kommen?“ „Warum nicht?“
Den Sonntag kam dann die MT-03 an die Reihe. Inzwischen hatte in den Appalachen der Indian Summer angefangen und so gab es Reizüberflutung von den Farben der Bäume. Wer sich fragte, wie man noch glücklich sein konnte, nachdem man Kalifornien gegen den Nordosten getauscht hatte, war noch nie zu der Zeit hier. Herbst im Nordosten war das großartigste, was die nordamerikanische Natur zu bieten hatte.

Dann begann ich am Montag mit meiner Odyssee durch die Truckvertretungen, hatte aber erst einmal kein Glück. Der erste Anlaufpunkt war natürlich die Hundezucht, Bergey’s Truck Center in Pennsauken (NJ) und autorisierter Händler für Mack und Volvo. Durch die Einführung des neuen Anthem und die Schacherei mit dem neuen Pinnacle, der technisch ein frisierter alter Titan war, gab es aber Lieferzeiten, mit denen ich nicht leben wollte.
Der Volvo VNL erschien mir nach meinen jetzigen Erfahrungen ungeeignet für CAT und John Deere als Hauptkunden. Der lange Frontüberhang sah so aus, als wäre man die Schürze auf der zweiten Baustelle los, weil der Böschungswinkel nicht reichte. Das Teil war 100% Highway Use. Es blieb als einzige Option bei diesem Händler der recht hemdsärmelige VNX in Langstreckenausführung, den man zeitnah bekommen konnte und der für den Einsatz in unebenem Geläuf geeignet war. Der war allerdings deutlich kleiner als der VNL von der Kabine
Die beiden nächsten Händler fanden sich in Swedesboro (NJ). Los ging es bei Freightliner of Bridgeport. Das war im Prinzip eher ein Besuch wegen der Vollständigkeit, denn so ganz meine Marke war das nicht. Der New Cascadia war mit zurückgesetzter Vorderachse und weit heruntergezogener Schürze genauso ungeeignet wie der Volvo VNL. Der Cascadia Evolution gefiel mir optisch genauso wenig wie der 122SD. Dem Argosy Cab over Engine hatten sie schon vor 10 Jahren den Gnadenschuss gegeben. Der hätte wenigstens den Charme der Kuriosität gehabt und eine gnadenlos riesige Hütte, war aber trotzdem wendiger und geländegängiger als die für die Straße ausgelegten Hauber. Nicht dass ich ihn schön fand, aber nachdem ich mal einen von innen gesehen hatte, verdammt zweckmäßig.
Direkt um die Ecke war Coopersburg & Liberty Kenworth. Wie schon zuvor bei den beiden anderen Händlern fing mich der Verkäufer quasi überfallartig in der Tür ab: „Guten Tag, Sir. Mein Name ist Frederick Gilbert. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Der junge Bursche erinnerte mich an diesen aufstrebenden europäischen Politiker. Außenminister in Österreich war der glaube ich. Die gleiche Frisur, die Haare nur eine Spur heller, makelloser Anzug. Und sein Begrüßungsspruch war genauso glatt frisiert und einstudiert, passte so gar nicht zum eher rustikalen Verkaufsraum. Der sollte hier Nutzfahrzeuge verkaufen und keine gestreckten Limousinen.
„Brandon Ridley. Hallo. Ich suche einen Class 8 Long Hauler.“ „Für welche Frachten?“ „Hauptsächlich Baumaschinen und Traktoren, gelegentlich Tanker oder Koffer.“ „Dann haben wir vier Optionen. Einmal die Straßenmodelle T680 und W900.“ „Den T680 hatte ich mal als Angestellter. So schön sieht der nicht aus.“ „Okay, bei den Frachten kommt es sowieso nicht auf Aerodynamik an. Da wäre dann der W900 eine Option. Theoretisch gibt es von beiden auch noch eine Kurzhauber-Version. Die haben die gleichen Kabinen, sind aber wendiger. Der T880 hat auch einen kürzeren Frontüberhang, wobei der beim T680 auch nicht so lang ist, dass man bei leichtem Offroad aufzusetzen droht. Die Kabinen sind jeweils die gleichen. Das wäre der T800 auf der Basis vom W900 und der T880 mit dem Fahrerhaus und Sleeper vom T680.“
Nach kurzer Beurteilung kam ich zu dem Schluss, dass der T880 auch raus war, weil der zwar die mittelgroßen Kabinen vom T680 hatte, aber weniger Ausstattung. Also ließ ich mir einen T800 und einen W900 kalkulieren. „In dem Bereich sollten es dann schon MX13-510 sein.“ „Ja, der alte Mack mit 450 PS hatte doch so seine Probleme, trotz V8.“ „Ist halt kein Planentrailer mit Verkleidung und glatten Seitenwänden.“
Am Ende ging ich mit zwei Angeboten raus. Der T800 war deutlich billiger, aber der W900 machte mehr her, bei beiden war der 72″ Sleeper vorgesehen. Obwohl ich andererseits wieder an das dann bei beiden gleich enge Fahrerhaus und das gegenüber dem T680 auch viel unübersichtlichere Cockpit des W900 und damit auch T800 denken musste. Sogar teuer war mich das bei Costco gekommen, weil ich mich mal im Tempomat verirrt hatte und man beim W900 den Tempomaten nur auf einem Bildschirm hatte. Bis ich den gefunden hatte, war ich der geblitzte. Beim T680 war er immer im Blick, egal was noch angezeigt wurde. Im Superliner stellte sich das Problem mangels Tempomat nicht.
Letzte Station war dann G.L. Sayre International & Peterbilt in Conshohocken (PA). Hier hatte ich gerade das System verstanden, dass links vom Eingang International standen und rechts Peterbilt, als mich ebenfalls jemand ansprach: „Trevor Strickland. Hallo.“ „Brandon Ridley. Hi.“ „Brauchen Sie eine Beratung?“ Immerhin, man wollte mir nicht helfen sondern mich beraten. Mit Jeans und einem Hemd ohne Schlips, aber mit Firmenlogo auf der Brusttasche sah er jedenfalls passender für einen Nutzfahrzeughändler aus.
„Ja. Ich suche einen Class 8 Long Haul für hauptsächlich Tieflader mit Bau- und Landmaschinen, ab und zu mal Tanker oder Koffer.“ „Okay. Long Haul haben wir drei Modelle. Den aerodynamischen 579 und den klassischen 389 als die wirklich großen. Den 386 gibt es nicht mehr, das war weitestgehend eine Kabine vom 389 mit aerodynmischer Haube. Den Kurzhauber 567 kann ich nicht für Langstrecke empfehlen, auch wenn es den ebenfalls mit bis zu 80″ Sleeper gibt, weil die Kabine vom 579 stammt. Sie sitzt aber tiefer auf dem Rahmen und er ist nicht so bequem auf lange Strecken durch den kürzeren Radstand und die Stahlfedern.“
Damit hatte sich der Kenworth T800 gerade schon wieder erledigt. Der hatte zwar die gleiche Höhe wie sein großer Bruder, aber auch einen kürzeren Radstand und ein konventionelles Fahrwerk. Bei Peterbilt gefiel mir der 389 nicht so gut wie der W900 von der Konzernschwester. Dafür war der 579 die deutlich schönere Alternative bei den aerodynamischen Paccar-Modellen. „Außerdem haben wir die Marke International, falls die auch in Frage kommt.“ Ich war nach der Tür in Richtung Peterbilt abgebogen. „Ich hatte mal Prostar Daycabs als Angestellter. Das war mir zu viel Plastik. Und ich will ja als Owner Operator eigentlich kein Flottenmodell haben.“
„Gut. Dann bleiben wir bei Peterbilt. Wobei der International LoneStar schon ein Owner Operator Modell wäre. Und die Aerodynamik ist bei dem auch sehr gut.“ Die Lieferzeit entpuppte sich dann aber sowieso der Sargnagel für dieses extravagante Modell.
„Die Aerodynamik ist bei den Trailern doch sowieso hinüber.“ Das hatte mir eben der Verkäufer bei Kenworth zumindest erzählt. „Eben deshalb sollte die Zugmaschine aerodynamisch sein. Vor einem Koffer ist der Unterschied extremer, da reden wir von bis zu 25 % weniger Verbrauch und 100 PS Leistungsvorteil. Die Marke haben unsere Konzernkollegen damals mit dem T600 gegen den W900 aufgestellt, sie gilt aber auch nach 30 Jahren noch.“ „Was ist Leistungsvorteil?“ „Platt gesagt heißt das, dass der 410er Motor im Peterbilt 579 auf der Interstate annähernd die gleichen Fahrleistungen erbringt wie der 510er im 389. Bei Tiefladern schätze ich mal zwischen 15 und 18 % weniger Verbrauch und 60 PS Leistungsvorteil. Das alles bei einem ohnehin schon höheren Grundverbrauch durch die Trailer.“ Über 15 % weniger Verbrauch war eine Hausnummer. Der Dieselpreis war nach den Orkanen in der Golfregion um einen Dollar die Gallone gestiegen.
„Okay. Also wenn es irgendwas hier wird, dann ein Peterbilt 579.“ „Ist das Dein erster eigener?“ „Ja. Also erster neuer.“ „Und der alte?“ „Mack Superliner, 30 Jahre, Getriebe geschrottet.“ „Okay, das ist nichts, was man in Zahlung nehmen könnte. Dann ist der 579 sicherlich eine gute Wahl. Ich meine, Du musst damit zufrieden sein. Aber viele gerade junge Unternehmer lassen sich von den klassischen Formen des 389 blenden und wollen nichts anderes hören, dann vielleicht noch einen großen Motor und die Betriebskosten treiben sie und ihre Zukunftspläne schnell in den Ruin.“ Und so Verkäufer wie bei Kenworth unterstützten das noch, wahrscheinlich weil ihre Provision dann besser ausfiel.
„Apropos Motor. Ich würde zum MX-13 mit 455 PS raten. Dazu das Automatikgetriebe.“ „Ist das das gleiche Ding wie im Kenworth T680 mit der 430 PS Maschine?“ „Ja.“ „Bloß nicht. Bei dem Rührwerk glaube ich nicht nur, dass ich es besser kann. Da weiß ich es.“ „Okay. 13 Gänge sollten reichen?“ „Bisher hatte ich 10, das waren zu wenig.“ „18 braucht man eigentlich nicht, so lange man nicht Class 9 fährt. Viele wollen sie unbedingt, aber schalten dann nur die gleichen 12 Gänge, die sie auch beim 13-Gang benutzen würden, weil sie unten nicht zwischen High und Low wechseln.“
„An Zusatzausstattung würde ich auf jeden Fall Alufelgen nehmen. Die ungefederten Massen sind geringer. Das ist bequemer zu fahren, schont die Reifen und nebenbei spart es auch noch Gewicht, besonders interessant mit Tankern. Zwillingsreifen oder Supersingles auf dem Antrieb?“ „Was ist der Unterschied? Also vom Betrieb her. Wie sie aussehen weiß ich.“ „Der Supersingle ist leichter und spart noch mal 5 bis 10 % Diesel, weil der Rollwiderstand 35% geringer ist. Dafür sind Reifenschäden teurer. Gerade wenn man auf Baustellen fährt kann das ein Thema sein.“ „Die Supersingles sind glaube ich trotzdem interessanter.“ Immerhin war ich schon jetzt eher selten auf Baustellen gefahren. Meistens fuhr ich zwischen Niederlassungen von CAT und die lieferten dann mit Local Trucks aus auf die Baustellen.
Ich entschied mich noch für den Rampenspiegel, das Optikpaket mit lackierter Stoßstange, lackierten Außenspiegeln sowie Chromring und Chromgriff um die Plastiktürgriffschale. Um nicht wieder in Georgia und Florida zum Schmorbraten zu werden außerdem eine Standklima mit 2 Batterien, die sich umgekehrt auch als Notstarter nutzen ließen, wenn die Betriebsbatterien mal platt sein sollten. Außerdem wählte ich das mittlere Fahrwerk mit 40.000 lb Hinterachsen und heute nicht mehr so üblichem 6×4-Antrieb bei den doch gelegentlich erforderlichen Ausflügen auf losen Untergrund. Im Prinzip war der Motor schon zu schwach, wollte man dieses Fahrwerk ausnutzen, aber mit dem Standardgewicht von 80.000 lb kam man nicht allzu weit bei Caterpillar, obwohl die Zugmaschine dank einem Rahmen aus hochfestem Stahl anstatt Maschinestahl und der gegenüber Alu noch mal leichteren GFK-Motorhaube deutlich leichter war als ein vergleichbarer Classic wie mein alter Mack oder ein überhaupt nicht alter W900 oder 389. Absolut sinnlos, aber Pflicht fürs Auge war der doppelte Hochauspuff.
Im Innenraum wählte ich das edle Paket mit Holzoptik. In diesem Truck verbrachte ich mehr Zeit als in meinem Wohnzimmer. Und Wohnzimmerschränke waren normalerweise aus Holz, also auch die Blenden in meinem Truck. Schränke mit Plastikbeschichtung waren entweder Billigware von Ikea oder ein Relikt aus den 70ern. Und Cockpits mit Plastikinlays waren Billigware für Großflotten oder Owner-Operator, die mit Dagobert Duck verwandt waren. Der Sleeper wurde ebenfalls die 72″ Version und ich wählte die Version mit zweitem Bett, einfach weil dieses zweite Bett eine perfekte Ablage war.
Als Lackierung wählte ich, damit es nicht so einfarbig wurde, das gegen einen geringen Aufpreis angebotene Classic Red & White, insbesondere weil die anderen Sonderlackierungen entweder zu viel kosteten oder mir nicht gefielen.
Von einem Classic verabschiedete ich mich während dieses Beratungsgesprächs. Sie waren nicht nur unwirtschaftlich, irgendwie kamen sie mir gar nicht mehr so stolz vor wie früher. Eigentlich standen sie mehr für die Weigerung, sich zu ändern und der Jetztzeit anzupassen. So ein Kenworth W900 oder Peterbilt 389 war von der Einstellung irgendwie die Truck gewordene Ausgabe meines Vaters. Und auf diese Analogie konnte ich verzichten.
Trevor holte mich wieder zurück ins Verkaufsgespräch: „Und was ist mit dem Logbuch? Sollen wir schon das elektronische vorsehen?“ „Ja. Wird ja demnächst sowieso Pflicht.“ „Brauchst Du irgendein elektronisches Dispatchsystem?“ „Ja, Isotrak.“ „Okay. Die Hardware können wir einbauen, vor der Übergabe kommt dann jemand von denen, spielt die Software auf und macht wenn erforderlich bei der Fahrzeugübergabe eine Einweisung.“
Nun gingen wir zum lebenden Objekt. Trevor schaltete die Bordelektronik von einem 579 ein und zeigte mir einige Vorzüge des Cockpits, führte mir das Beleuchtungskonzept im Wohnbereich vor und ließ mich durch die Einstellungen des Bordcomputers blättern. Dabei blieb das Symbol für den Tempomaten permanent im Display, was mir ja so wichtig war.
Da ich ohnehin nicht der längste unter der Sonne war, gefiel mir auch die abfallende Haube, die ich ja schon vom T680 kannte. Beim Superliner oder W900 musste ich immer raten, wie weit das Hindernis vor mir weg war. Und auch die Seitenspiegel waren durch die breitere Kabine an kürzeren Armen befestigt und man konnte schnell mal drauf schielen. Bei den Classics mit dem gegenüber dem Sleeper so schmalen Fahrerhaus musste man den Kopf schon ziemlich weit drehen.
Als dann alles beisammen war und Trevor mir das Angebot kalkulierte, gab es auch nicht mehr viel zu überlegen. Nicht nur dass der Peterbilt 579 der einzig verbliebene Truck war, der sowohl mir gefiel als auch wirtschaftlich Sinn machte und schnell verfügbar war. Der Preis war auch noch deutlich unter dem W900 und die Herstellerfinanzierung problemlos zu meistern. Also unterschrieb ich gleich die Bestellung. Für die Zeit bis zur Auslieferung ließ ich mir noch einen Miettruck geben.
Der nächste, den ich in Anspruch nahm, war mein Kumpel Cody. Denn der studierte Mediendesign. Wir trafen uns am frühen Abend bei ihm zu Hause, wo er mir ein Firmenlogo gestaltete. Die beiden R und das H von RRH ergaben richtig angeordnet eine nette Symmetrie, drum herum setzte er die ausgeschriebene Fassung und legte dann noch den trockenen Teil der Gestaltung an, nämlich in der gleichen Schrift das Feld mit USDOT, MC und KYU-Nummer sowie dem Gesamtgewicht.
Ich musste aber feststellen, dass ich mich nicht nur für das Produkt interessierte, sondern auch für den Produzenten. Wenn man sich regelmäßig sah, fielen Änderungen gar nicht auf. Früher hatte man dann die Augen verdreht, wenn eine sowohl verwandtschaftlich als auch räumlich entfernte Tante nur alle 3 Jahre zu Besuch kam und einem ein „Bist Du groß geworden!“ entgegen jubelte.
Aber auch Cody hatte sich in den vergangenen anderthalb Jahren verändert. Noch immer tat er eine Menge für sein makelloses Aussehen. Aber er spielte inzwischen Tennis anstatt nur zu joggen, weshalb sein Oberkörper und seine Arme deutlich definierter waren. Sein Gesicht war dann doch noch nachgereift und er wirkte nicht mehr wie ein Mittelschüler. Dazu hatte er wohl früher seinen Haaren beim blond werden nachgeholfen, denn sie waren jetzt dunkelblond anstatt weißblond. Und der Jungenschnitt war auch Vergangenheit. Er hatte seine Haare im Nacken länger und wirkte damit etwas rebellischer, ein Hauch von Rock and Roll anstatt Boygroup sozusagen. Ich ertappte mich immer öfter dabei, wie ich ihn betrachtete und anflirtete. Ihn verunsicherte das aber eher. Wir mussten wohl mal wieder reden, aber ich fand gerade die richtigen Worte nicht. Außerdem war da ja auch noch Scott. Der flirtete mit mir, der flirtete mit Cody und ich tat es nun ebenfalls mit beiden. Das konnte nicht gut ausgehen. Ich sollte mir also erst einmal über die beiden klar werden.
Dazu hatte ich in den kommenden Wochen genug Gelegenheit. Mit meinem Leihfahrzeug, einem Peterbilt 389 mit 18-Gang Handschaltung und 500 PS, fuhr ich zwischen den Staaten Michigan, Tennessee, North Carolina und Maine herum, Abstecher nach Quebec eingeschlossen. Die Alternative wäre ein 579 mit Automatik gewesen.

Eine Woche vor Auslieferung meines neuen Trucks gab ich das Mietfahrzeug wieder ab und packte meinen Koffer. Ich wollte Randy in Stanford besuchen. Leider ergab sich in der Zeit keine Chance für ein klärendes Gespräch mit Cody. Denn mir war klar geworden, dass es hier Liebe auf den zweiten Blick gab. Und übers Handy aus Kalifornien das Gespräch zu suchen war auch blöd.
Und wer war mal wieder Teil des Bordpersonals auf meinem Flug mit American? J. Noguerra, „mein“ Latino. Okay, meine letzte Erinnerung an ihn war zwar keine gute, denn die Begegnung endete mit einer Ladung Cola auf der Hose. Ich hatte das Gefühl, dass er einen gehörigen Schrecken bekam, als ich an ihm und seiner Kollegin vorbei ging. Aber er sah sogar bei einem Flug Coast to Coast jeden Tag mindestens 150 Passagiere, auf Kurzstrecke mit 4 Legs am Tag auch über 600. Seit dem Zwischenfall mit der Cola musste er um die 40.000 Passagiere gesehen haben. Eigentlich war es ausgeschlossen, dass er sich an mich erinnerte. Nachdem ich saß, merkte ich, dass er lebhaft mit der Stewardess neben ihm diskutierte, aber scheinbar am Ende die Diskussion verloren hatte.
Wieder saß ich links am Fenster, auch wenn dieses Mal beide Plätze in der Reihe frei waren eine Wiederholung vom Frühjahr. Die erste Runde Getränke wurde serviert und er kam an meine Reihe: „Was möchten Sie trinken, Sir?“ „Cola Light, bitte.“ Sogar seine kräftige Hautfarbe konnte nicht verheimlichen, dass er blass wurde. Aber nicht nur Cody hatte bei mir eine zweite Chance für seine Liebe verdient, auch er für einen reibungslosen Bordservice. So nervös wie er war, befürchtete ich, dass das allerdings nicht klappen würde. Tat es aber doch und so hatte ich mein Getränk sicher auf dem Klapptisch stehen.
Beim Essen, zu dem ich wieder eine Cola trank, war er dann auch schon viel souveräner. Und er war so süß. Kaum war ich mir über Cody klar geworden, tauchte er auf und brachte wieder alles durcheinander. Aber was für einem Traum lief ich dort denn hinterher? Ich konnte ihn ja schlecht fragen „Bist Du vielleicht schwul und stehst auf mich?“ wenn er das Essen wieder abräumte.
Und doch fasste ich einen verwegenen Plan. Ich schrieb meine Handynummer auf einen Streifen Papier und steckte ihn so in die Folie, in der das Stück Kuchen gewesen war, dass ein Stück herausschaute, an dem man klar erkennen konnte, dass das eine Telefonnummer war. Er nahm meinen Müll, die Folie mit der Telefonnummer oben drauf entgegen und meine heimlichen Wünsche und Träume landeten im Müllbeutel, er stopfte sogar extra noch mal mit der Hand nach.
Nach der Landung in San Francisco holte Randy mich am Flughafen ab. Am Wochenende unternahmen wir gemeinsam was, fuhren an der Küste entlang oder in die Naturreservate im Landesinneren. Unter der Woche war ich tagsüber meistens auf mich alleine gestellt, fuhr nach San Francisco, San Jose oder Oakland. Den Samstag verbrachten wir noch zusammen, dann hieß es am Sonntag nach dem Frühstück wieder Abschied von meinem Bruder zu nehmen. Er brachte mich zum Flughafen und ich checkte ein. Zurück in die Heimat, zu einem klärenden Gespräch mit Cody und meinem neuen Truck.
Dass ich mir einen Peterbilt gekauft hatte, hatte noch einen praktischen Vorteil. Ich konnte mit dem Auto zu meiner Firma in Roxborough-Manayunk fahren, mit SEPTA Regional weiter nach Conshohocken und von da mit den Inlinern, die ich mir direkt nach dem Umzug nach Philadelpha mal gekauft hatte, die 2 Meilen zum Händler antreten. Trevor, der Verkäufer mit dem ich auch seinerzeit den Vertrag gemacht hatte, guckte zwar etwas komisch bei diesem Verkehrsmittel, aber das war mir egal. Ein Taxi wäre teurer gekommen und laufen hätte viermal so lange gedauert. Ich zog die Inliner aus und holte meine Sneakers aus dem Rucksack.
Mein Prachtstück stand schon vor dem Verkaufsraum in der Sonne, mit allen Beschriftungen von Firmenlogo übers Nummernfeld bis hin zu den kleinen Steuerplaketten für New York HUT und IFTA Dieselsteuer fertig zugelassen.

Ich ließ mir von Trevor die Feinheiten der Bedienung von Standklima, Notstart des Motors über die Batterien der Komfortausrüstung und das Festeinbau-Navi erklären. Außerdem den Tankwahlschalter, der auch bei einem modernen Truck nicht so überflüssig war wie man denken konnte. Immerhin beherrschte der so Streiche wie Crossfill oder konnte einen problematischen Tank, zum Beispiel durch verunreinigten oder bei Kälte auskristallisierten Diesel absperren. Wenn man Glück hatte, war der Diesel auf der anderen Seite noch flüssig, weil dort ein anderer Truck oder ein Gebäude Wärme abgestrahlt hatte und man kam noch aus eigener Kraft weg.
Dann überließ er mich dem Elektronik-Experten von Isotrak, der auch gleich das elektronische Logbuch mit erklären durfte. Es konnte Daten wie Restfahrzeit oder Standort mit Isotrak synchronisieren und wurde auch über das gleiche Tablet bedient. Daher kannte Trevor manche Funktionen nicht.
Damit waren wir so weit durch und ich stellte alles ein, bevor ich zu meiner Firma fuhr und den Truck mit Lebensmitteln, Bettwäsche und allem anderen bestückte. Während ich die letzten Sachen wegräumte, drückte ich im Isotrak auf „Available“. Es dauerte nur ein paar Sekunden und ich hatte meinen ersten Auftrag.
PICKUP: PAPHL-CAT
DESTIN: MEHUL-CAT
TRAILER: RGN67393
LOAD: 422E
WEIGHT: 24,251
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Es gab also einen Backhoe Loader, auch Tractor Excavator genannt, in den äußersten Nordosten zu bringen. Ich fuhr los und holte den Trailer mit Ladung ab. Leider hatte sich das Wetter nicht gehalten und es regnete etwas, als ich auf dem I-95 Corridor unterwegs war. Ich fuhr 66 mph, 65 waren erlaubt. Das hinderte einen besonders ungestümen Kollegen aber nicht, mich mit geschätzt 75 mph zu überholen.

Um die Mittagszeit machte ich auf einem Rastplatz bei Darien (CT) Pause und aß einen Salat. Erst bei Portland (ME) wurde es wieder sonnig.
Danach dauerte es allerdings nicht mehr lange und es wurde dunkel. Die Tage wurden kürzer und ich war weit nach Norden gefahren. Da ich nicht wusste, ob es morgen nach Kanada weiter ging, tankte ich noch mal voll und stellte mich dann auf den Parkplatz eines Fast Food Ladens für die Nacht. So lange man bei denen Essen ging, hatten die im Normalfall nichts dagegen.
„Einen doppelten Corn Dog mit Coleslaw bitte. Und ist das okay, wenn ich 10-Stunden hier stehen bleibe?“ „Ja, wenn Du morgen auch hier frühstückst. Aber wir haben bis 11 PM offen und morgen früh wieder an 6 Uhr. Da kann dann Lärm auf dem Parkplatz sein.“ Damit konnte ich leben.
Dienstag, 24.10.2017
Am nächsten Morgen gab es wieder Corn Dog, aber diesmal die Frühstücksversion, bei der die Wurst mit Speck umwickelt wurde, bevor der Maisteig drum herum kam. Dazu gab es Rührei, Baked Beans und Orangensaft.
Danach machte ich mich auf den restlichen Weg. Es war nicht mehr ganz eine Stunde, bis ich in Houlton ankam. Dort meldete ich die Ankunft in Isotrak, schon um zu sehen, ob ich den Tieflader abstellen konnte oder entladen musste.
PICKUP: MEHUL-CAT
DESTIN: NBCAQ-COL
TRAILER: RELOAD
LOAD: 450F
WEIGHT: 27.115
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Gut, dass ich getankt hatte, denn es ging wirklich nach Kanada. Mehr als den Postcode von New Brunswick konnte ich aber jetzt nicht erkennen und klickte erst einmal die Zeile an. CAQ war also Caraquet. COL hätte ich auch richtig erraten können, das stand für Coastline Mining.
Ich senkte also das Bett ab, löste den Hals vom Trailer und fuhr ihn weg. Dann startete ich den Bagger, fuhr ihn runter und machte die Übergabe mit dem Mitarbeiter von CAT. Danach folgte gleich noch eine Übergabe in die andere Richtung und ich fuhr den großen Bruder des Backhoe Loaders auf das Ladebett, setzte den Hals wieder an und hob den Trailer in Fahrtposition.
Die Fahrt war nicht so lang, denn schon nach 15 Minuten stand ich an der Grenze. Es ging mit 27 Minuten auch relativ schnell, bis ich aufgerufen wurde und abgefertigt war. Danach war ich in Kanada und in vielem anderem mehr. Mein Navi hörte nicht mehr auf zu quasseln: „Crossing Border! Entering Canada! Entering New Brunswick! Changing Time Zone!“ Da hätte ich jetzt gar nicht dran gedacht. New Brunswick hatte eine andere Zeitzone, ich hatte gerade geglaubt, die ganze Ostküste in den USA und Kanada wäre eine.

Bisher hatte ich nur einmal eine andere Zone befahren. In Kentucky und Tennessee war der Westen einschließlich Nashville schon Central.
Kannte man eine Provinz, dann kannte man allerdings auch alle, schien mir. Kanada bestand vor allem aus Landschaft mit Nadelwald drauf. Und für hungrige Trucker gab es mitten im Nadelwald den Blackville Truck Stop.
Um der in Kanada allgegenwärtigen Poutine zu entgehen flüchtete ich mal zu Pate Chinois, einem geschichteten Auflauf aus Rinderhack, Mais, Paprika und Kartoffelbrei. Das war eine leckere Angelegenheit und sollte ich mir für zukünftige Ausflüge nach Ostkanada auf jeden Fall mal merken.
Nach der Pause fuhr ich weiter und erreichte bei aufziehenden Wolken und bereits tief stehender Sonne Caraquet.

Auch hier holte ich mir bei der Ankunft am Ziel schon mal meine nächsten Befehle. Der Trailer schien mein bester Freund diese Woche zu sein.
PICKUP: NBCAQ-BZH
DESTIN: MEBGR-CAT
TRAILER: RELOAD
LOAD: 918M
WEIGHT: 20,917
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Leider bedeutete das, dass ich ihn zweimal zerlegen und wieder zusammenrangieren musste. Hier bei Coastline fuhr ich also den neuen Backhoe runter, machte die Übergabe mit dem Mitarbeiter von Coastline und baute meinen Trailer wieder zusammen. Dann durfte ich rüber zu Beazer, ihn wieder zerlegen und den gebrauchten Radlader drauf fahren. Ich wusste, dass man vermied, Trailer aus Kanada lange in den USA zu haben und anders rum. Schließlich stand der Radlader, die Keile waren arretiert, die Ketten gespannt und ich rollte vom Baustellengelände runter. Bei bisher 5:39 Stunden Fahrzeit sollte noch einiges gehen.
Es dauerte nicht mehr lange und die Dunkelheit holte mich ein. Als ich schließlich die Grenze erreicht und überquert hatte, hatte ich zwar nur 9 Stunden Fahrzeit, aber schon über 12 Stunden Schichtzeit, außerdem war es weit nach 9 PM. Ich entschied mich also, auf dem Sammelplatz auf US-Seite zu übernachten.
Mittwoch, 25.10.2017
Der Tag begann trüb und regnerisch. Ich frühstückte in meinem Truck eine Schüssel Cerealien, erledigte die PTI und machte mich auf den Weg durch die Suppe, die von der tief stehenden Sonne kaum durchdrungen wurde.

Es waren noch knapp 2 Stunden und in Bangor durfte ich mein treues Anhängsel weiter behalten. Nur der Radlader wurde etwas größer.
PICKUP: MEBGR-CAT
DESTIN: VTBUR-COL
TRAILER: RELOAD
LOAD: 938M
WEIGHT: 36,216
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Immerhin schaffte es die Sonne dann doch, sich durchzusetzen. Wer sich ebenfalls durchsetzte, war meine Tankanzeige. Auf der Hooksett Rest Area trieb ich die wieder auf den oberen Anschlag.
Danach ging ich auf einen Burger ins Rasthaus und fuhr nach der Pause weiter zu meinem Ziel in Burlington (VT). Dort dann bekam ich zum ersten Mal eine Meldung, dass Brian nichts zu melden hatte, durch das Streichen der überflüssigen Zeilen ein knapper Dreizeiler:
PICKUP: VTBUR
REMARKS: NO ORDERS
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Der Trailer sollte also mit dem Radlader drauf hier stehen bleiben. Bei Coastline am Depot in Burlington kannten sie mich inzwischen ja ganz gut. John Deere hatte hier nichts, also fragte ich beim Vorarbeiter einfach nach: „Habt Ihr gerade irgendeinen Job für mich?“ „Hast Du ein Endorsement H?“ „Ja. Sogar X.“ „Wir haben hier einen Trailer mit Dynamit für unseren Steinbruch in Caraquet, New Brunswick.“
Also kuppelte ich an. Das Ziel kannte ich ja schon, also gab ich die Kurzform direkt als NBCAQ-COL ein und machte mich noch auf den Weg, um wenigstens heute noch über die Grenze zu kommen.
Donnerstag, 26.10.2017
Es war ein unspektakulärer Tag. Die beiden Waagen am Weg durch Quebec waren geschlossen, das Wetter war gut und der Verkehr floss so weit, sah man von den üblichen Stockungen an viel befahrenen Autobahnkreuzen ab oder einem steilen Anstieg, an dem ein untermotorisierter Holztransporter den Verkehr ein Bisschen aufhielt. Schon zum Abend hin erreichte ich Caraquet, als sich auch langsam Dunst aus den wärmeren Wäldern über der rasch abkühlenden Straße bildete.

Bei Dynamit hörte natürlich der Spaß auf. Der ganze Zug wurde bei Ankunft gewogen und die Zugmaschine bei Abfahrt noch mal, damit auch sichergestellt wurde, dass kein Gramm Dynamit verschwunden war. Natürlich war das erforderlich, gerade in Zeiten wie diesen.
Ich fuhr zur Tankstelle und stellte mich auf den Parkplatz am Rand des Geländes. In der Station gab es eine Dusche für Trucker und das übliche Tankstellenbistro mit Fastfood. Ich gönnte mir sehr britische Fish & Chips, ein Importschlager aus Europa, den man von Philadelphia nach Norden an der ganzen Atlantikküste entlang bekam.
Freitag, 27.10.2017
Da ich am nächsten Morgen nichts von Brian hatte und auch ich keine Lust hatte, hier untätig rum zu stehen, bis er mal ins Büro kam, nahm ich eine Fuhre leerer Paletten von Best Buy an, die vom hiesigen Lager in das nach Portland (ME) gehen sollten. Damit läutete ich die Heimreise ein, die dann auf jeden Fall bis in den Samstag hinein dauern sollte.
Auch dieser Trip war ohne besondere Ereignisse, sah man von einem Stau in der Autobahnabfahrt von Portland ab.
In Portland gab ich den Trailer von BestBuy ab, hielt auf einen Bagel mit Frischkäse und Kochschinken an einem Donutladen an, tankte einmal voll, nachdem nicht mehr viel Diesel im Tank gewesen war und dann hatte auch Brian wieder was für mich.
PICKUP: MEPOR-CAT
DESTIN: CTHFD-BZH
TRAILER: RGN50363
LOAD: D6N
WEIGHT: 36,943
DISPATCH: PAERI-CAT-BRW
Das war ein eigentlich gar nicht mal so großer Bulldozer, aber dieses Exemplar hatte leider einen breiten Räumschild, der seitlich über den Trailer hinausging. Also durfte ich die Sonderausrüstung auspacken. Die Fahnen wurden an die Stoßstange gesteckt und das Warnschild für Übergröße mit Schnüren um die Stoßstange gebunden. Die Magnetfußleuchten stellten mich aber vor ein Problem, denn im Gegensatz zur Blechkiste des Mack Superliner war dieser Sleeper am Dach aus GFK und damit nicht magnetisch. Also musste ich zur dauerhaften Lösung greifen, die beiliegenden Klebefüße anstatt der Magnetfüße auspacken und die Leuchten dauerhaft aufs Dach pappen. Das Oberteil mit Bajonettverschluss bekam ich schon alleine zum Akkutausch ab, die Füße nur noch mit stumpfer Gewalt und dann vermutlich mit Lack dran. So ging es dann mit eingeschaltetem Feuerwerk in die hereinbrechende Nacht.

Samstag, 28.10.2017
Meine Nacht hatte ich auf dem Parkplatz der Framingham Rest Area verbracht. Heute ging es also weiter nach Hartford und ich prüfte mal schnell vor Abfahrt, ob Brian mich gestern noch eingeplant hatte. Das war nicht der Fall, denn ich fand keinen Auftrag für mich im System. Also schaute ich in die Frachtbörsen und fand eine passende Ladung Altverpackungen von Walmart Hartford nach Costco Philadelphia. Da galt wohl das Verursacherprinzip und bei von Costco bezogenen Produkten waren die auch der Verursacher.
Also lieferte ich den Bulldozer bei Beazer in Hartford ab, holte den Trailer mit den Verpackungen ab und fuhr in einem Rutsch durch nach Philadelphia. Dort machte ich bei Costco das, was ich schon seit meinen ersten Tagen als Angestellter so gut konnte – Firmenhöfe mit Fremdtrailern vollstellen.

Danach fuhr ich zu meinem Betriebshof und schaute mir die Statistik an.
WEEK MILES: 3,104
WEEK DRIVE: 57:07 HRS
WEEK WORK: 66:45 HRS
WEEK START: MO:10:09:AM
WEEK END: SA:02:16:PM
WEEK FRAME: 6D:04H:07M
Nicht schlecht, was man so in einer Woche zusammenbrachte. Und der eine oder andere Kollege würde mich mit diesem Pensum als Faulenzer bezeichnen. Dumm nur, dass ich in dieser Zeit vermutlich mehr verdiente als die mit ihren straffen Programmen. Ich wusste ja, was so bei Costco an Taschengeld übrig blieb.
Die hatten dafür manches einfacher. Sie mussten nicht selbst laden und sichern, wodurch sie alleine eine Menge Standzeit einsparten. Sie kamen nicht in die Verlegenheit, die Übermaßmarkierungen auszupacken und im Ausgleich zur schmaleren Einnahme war die Tankrechnung auch deutlich kürzer. Ich hatte mich bei 5.7 mpg eingependelt. Das war verglichen mit einer Box und einer Zugmaschine mit Aerodynamikpaket ein ziemlich schlechter Verbrauchswert.
Seit 2014 bekamen neu entwickelte Zugmaschinen, die mit einem genormten Box Trailer unter 7.2 mpg in der Ebene fielen, nicht mal mehr eine Zulassung. Alltagswerte um 8 mpg waren für eine aerodynamische Zugmaschine wie den 579 mit einem Box Trailer heute Standard. Ich hatte mal gelesen, dass die Anfang der 70er solche Werte hatten wie ich jetzt mit meinen Baumaschinen. Entsprechend war das bei den Classics wie dem W900, deren Aerodynamik weitestgehend auf diesem Stand war, immer noch so in der Gegend. Der geliehene 389 hatte vor den Tiefladern mit Baumaschinen in den letzten Wochen nur 4,0 mpg geschafft.
Ich schrieb noch meine Rechnungen und am Abend war Billard mit der „harmlosen“ Clique angesagt. Ich war aufgeregt und dadurch ziemlich unkonzentriert. Ich war mir nicht sicher, wie der Abend ausgehen würde, aber auf keine Fall mehr mit einem Dreieck. Vorerst versägte ich aber kräftig das Spiel und das Team bestehend aus Scott, Ralph und mir ging dank meiner Beteiligung mit wehenden Fahnen gegen Lenny, Cody und Caleb unter. Wenn man seine Augen beim Gegner hatte, besonders bei einem, dann traf man halt die Kugeln nicht richtig.
Und nach dem Spiel, als die Gruppe anfing sich aufzulösen, holte ich tief Luft. „Cody, hast Du noch einen Moment Zeit?“ „Ähm, ja.“ Er wirkte irgendwie überrumpelt. Hatte er doch nicht gemerkt, dass ich ihn seit einigen Wochen aufs kräftigste angeflirtet hatte? Oder gemerkt, dass er damit bis vorhin nicht alleine war und Scott genauso viel Aufmerksamkeit hatte? Oder gemerkt, dass Scott ihm genauso viel schenkte und dem näher stand? „Also, was ist?“ Er setzte sich falsch rum auf den Stuhl, Rückenlehne nach vorne. Und das sah so cool aus. „Hm. Also. Öhm.“ Na toll, Ladehemmung. „Wenn ich ja wüsste, wo ich anfangen soll.“ „Im Zweifel vorne.“
„Vorne ist vor anderthalb Jahren auf der Kartbahn und ein schlechter Einstieg. Denn seitdem hat sich viel getan und nichts davon stimmt noch.“ Wenn das erste Wort gefallen war, ging es plötzlich doch. „Inzwischen bin ich mir nämlich sicher, dass ich in Dich verliebt bin. Du hast Dich sehr positiv verändert und zwar ganz von alleine und nicht um Dich anpassen zu wollen. Du bist reifer geworden und machst nicht mehr so auf Teenie wie damals. Nicht mehr so still, sondern auch mal zu einem Streich aufgelegt und mit einem Spruch auf den Lippen. Du bist ganz von alleine genau zu meinem Traumtypen geworden.“
Schweigen. Dann fehlten ihm die Worte. „Äh. Das ist jetzt… Na ja. Brandon, Du hast Dich auch verändert seitdem. Ich kann das nicht… Ich empfinde nichts mehr für Dich.“ Das war ein Schlag in die Magengrube. „Aber wieso…?“ „Damals fand ich Deine Pläne cool. Trucker, der moderne Cowboy.“ Er trug selbst öfter mal einen Cowboyhut, obwohl er mit Texas, Arkansas, Oklahoma und Missouri eigentlich im Wortsinne nichts am Hut hatte. Das war wohl so eine stille Leidenschaft von ihm. „Da mag bis heute was dran sein, aber es ist doch recht unromantisch. Schon damals kamen mir erste Zweifel, aber die Liebe war noch stärker. Seit Du Deine eigene Firma hast, bist Du aber noch seltener bei uns. Ich will einen Freund, der für mich da ist und für den ich da sein kann. In einer Beziehung muss man meiner Meinung nach den Alltag teilen. Du bist aber von Montagmorgen bis Samstagmittag alleine unterwegs. Ich kann so was nicht.“
Jetzt war ich dran mit leise vor mich hin heulen. Und dann machte ich das gleiche, was er damals versucht hatte, mit dem gleichen Ergebnis: „Ich kann kürzere Touren fahren.“ „Willst Du das? Wird das gut gehen und wie lange? Wann willst Du wieder raus in die Welt? Ich habe Deinen neuen Truck gesehen, als ich die Folien für die Beschriftungen hin gebracht habe. Der ist dafür gemacht, von Küste zu Küste zu fahren. Du hast da drin eine bessere Ausstattung als manche Studentenbude, in der ich mit Kommilitonen gelernt habe. Du bist dafür gemacht. Irgendwann lässt Du mich entweder doch alleine und bleibst wieder länger draußen oder Du machst es nicht, aber fühlst Dich von mir in Philadelphia eingesperrt. Außerdem verbringst Du für meinen Geschmack zu viel Zeit mit Caleb und seinen komischen Kumpels, wenn Du verstehst, was ich meine.“
Die Erkenntnis tat weh, aber sie war richtig. Wenn unsere Lebensentwürfe so verschieden waren, dann mussten wir scheitern. Das hatte ich ihm damals auch gesagt. Immerhin war ich noch in der Lage, meine Rechnung selbst zu bezahlen und verließ die Bar.
Am nächsten Morgen machte ich was, das man eigentlich nicht tun sollte. Okay, Freunden eine WhatsApp schreiben sollte man schon tun. Aber wenn der Freund David Lavergne hieß und zu „Calebs komischen Kumpels“ gehörte und weinrot gefärbte Haare hatte, sollte man den weiteren Verlauf wenigstens mit Vorsicht genießen.
Habt Ihr heute was vor?
Ja. Jamie und ich wollten in 20 Minuten los nach Hershey.
Kann ich mit kommen?
Ich weiß nicht, ob das was für Dich ist. Da gibt es nicht viel für Dich.
Das kannst Du mir überlassen.
Wir wollten auf die Kamine der ehemaligen Schokoladenfabrik. Das Kesselhaus drunter ist aber zu, weil das zum Konferenzzentrum umgebaut wird und schon Fenster und Türen drin sind.
Ich fuhr trotzdem mit. Um runterzukommen musste man wohl erst mal oben sein. Ich stieg mit David und Jamie auf den Kamin. Erst war mir auf der Krone doch ein Bisschen komisch zumute. Für deren Verhältnisse war das mit 50 bis 60 Yards nicht mal hoch. Aber es zwang mich dazu, fokussiert zu sein. Erst einmal blieb ich aber mit den Füßen auf dem oberen Ende der Leiter und setzte mich auf die nur 1 Fuß breite Krone.
David und Jamie gingen auf der Krone im Kreis und filmten sich gegenseitig oder mit Selfiestick. Mein Kopf war noch nicht frei, da spukte noch Cody drin herum. Aber er hatte natürlich Recht, so wie ich es damals hatte, als es anders rum war. Sich verstellen brachte nichts. Er würde mich dafür hassen, wo ich gerade war. Erst recht, wenn wir zusammen wären. Und ich würde es nicht lange auf der Arbeit im Kurzstreckenverkehr und jedes Wochenende am Boden aushalten. Sich verstellen brachte nichts. Ich atmete einmal tief durch und stand auf. Der erste Fuß stand auf der Mauerkrone des Schornsteins, dann der zweite. Ich lief eine Runde um den Schlot. Dann drehte ich mich um und lief sie anders rum. Ich war der, der ich sein wollte. Ein Leben in Freiheit, auch wenn ich die selbst gesteckten Grenzen gerade überschritten hatte.
„Lass uns wieder absteigen. Gleich ist die Kirche aus und dann werden wir entdeckt.“ Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich jetzt auf dem Rand des Schornsteins verbracht hatte, aber diese Zeit musste einmal zu Ende gehen. Also kletterten wir wieder nach unten, liefen über das Dach des Kesselhauses, stiegen an einer Regenrinne ab bis zu einem Mauervorsprung, über einen Kabelschacht auf das Pumpenhaus und sprangen von da auf die Wiese, wo wir wegen der Höhe eine Diagonalrolle machen mussten, um die Kraft der Landung nicht auf die Gelenke zu bringen. Dann waren es noch knapp 100 Yards zur Brücke über den Bachlauf und wir waren wieder drei junge Leute im Stadtpark.
Als wir wieder in Jamies 25 Jahre altem, aber bestens gepflegtem Ford Explorer saßen, gab ich wie immer meine Speicherkarte an David, damit er mein Videomaterial auf seinen Laptop spielen konnte. „Danke. Hier ist Deine Karte. Machst Du das jetzt öfter mit?“ „Wahrscheinlich nicht, vielleicht ab und zu. Aber heute hat es mich gereizt.“ „Als wir hier her gefahren sind, wollte ich es Dir fast schon verbieten. Du warst nicht bei der Sache. Und als wir gerade oben angekommen waren auch nicht.“ „Das stimmt. Aber beim Aufstieg war ich komplett im Fokus.“ „Sonst hätte ich Dich auch runter gejagt. Und mit einem Mal warst Du auch da oben klar. Was war das denn?“ „Der Grund, warum ich mit wollte. Ich habe da den Kopf frei bekommen.“ David schien zu merken, dass er nicht konkreter nachfassen sollte.
Ich checkte mein Smartphone, nachdem ich da oben wieder nur mein altes Nokia dabei hatte. Cody hatte in die Gruppe ein Selfie von sich und Scott gesendet, wie sie sich im Arm hielten. Als Bildkommentar gab es nur 3 Smilies mit Herzchen als Augen.
Das Schicksal schien etwas dagegen zu haben, dass ich eine Beziehung anfing. Da gab es schon drei Traumboys, aber zwei davon verliebten sich gegenseitig ineinander, der dritte steckte mich vor 2 Wochen im wahrsten Sinne des Wortes in den Sack, anstatt mich auf der zugesteckten Telefonnummer anzurufen.
Dafür kannte ich ein anderes Gefühl, das auch unbeschreiblich war. Das Gefühl der grenzenlosen Freiheit.
