22. Mit dem Neuen in die alte Heimat

Samstag, 3. Oktober 2020 und Sonntag, 4. Oktober 2020:

Das Wochenende verbrachten wir mal wieder ruhig zu Hause. Am Samstagnachmittag fuhr ich nochmal zur Florin Road und machte den Wochenendeinkauf. Meine Vorräte für Unterwegs musste ich heute aber mit nach Hause nehmen. Ich hatte schließlich keine Ahnung, in welchen Truck ich was einräumen konnte. Als ich wieder zu Hause war, spielte ich noch eine ganze Weile mit Tim. Ich war dann am Abend auch wieder an der Reihe, ihm seine Gute Nacht Geschichte vorzulesen.

Als ich dann wieder ins Wohnzimmer kam, sagte Pam: „Hast du schon gehört? Jetzt hat es auch Präsident Trump erwischt. Er ist an Covid19 erkrankt.“ „Vielleicht erkennt er dann auch den Ernst der Lage.“ „Meinst du wirklich?“ „Kommt darauf an, wie schwer es ihn erwischt. Wenn er einen leichten Verlauf hat, kann er es weiter herunterspielen. Hoffentlich bekommt er bei der Wahl dann keine Mitleidsstimmen.“ „Das wäre blöd.“ „Lass uns das Thema wechseln. Ich will die wenige Zeit, die wir zusammen haben nicht damit verschwenden über Covid19 oder den Idioten in DC zu sprechen.“ Pam kam zu mir und nahm mich zärtlich in den Arm. „Ich weiß da auch was Besseres, Darling.“ Den restlichen Abend verwöhnte mich Pam dann mit Zärtlichkeiten. Es wurde dann noch ein wunderschöner Abend.

„Daddy, wach werden.“, waren wieder Mal die ersten Worte, die ich am Sonntagmorgen hörte. Unser kleiner Wirbelwind ließ uns mal wieder nicht ausschlafen. Dazu war er zu ungeduldig. Ich konnte ihn aber auch verstehen. Schließlich sah er mich ja die ganze Woche nicht. Ich ergab mich meinem Schicksal und stand auf. Pam ließen wir aber noch schlafen. Zur Freude von Tim gingen wir dann auch erstmal in sein Zimmer und spielten zusammen.
Eine Stunde später stand meine Süße dann in der Tür. „Ah. Meine Jungs spielen schön zusammen.“ „Guten Morgen, Sweetheart. Ich wollte dich mal ausschlafen lassen.“ Sie kam zu uns und gab uns beiden einen Kuss. „Danke, Darling. Dann mache ich mal Frühstück.“

Als es fertig war, gingen wir an den Esstisch. Tim bekam seine Cheerios und für uns hatte Pam Huevos Rancheros zubereitet. Das war ein traditionelles, mexikanisches Frühstücksgericht. Das Grundgericht besteht dabei aus Spiegeleiern, die auf leicht gebratenen oder verkohlten Mais- oder Mehl- Tortillas serviert werden und mit einer Salsa Fresca aus Tomaten, Chilischoten, Zwiebeln und Koriander belegt sind. Zu den üblichen Beilagen gehören gekühlte Bohnen, Reis nach mexikanischer Art und Guacamole oder Avocado- Scheiben mit Koriander als Beilage. „Wie komme ich zu der Ehre?“ fragte ich überrascht. „Ich habe in letzter Zeit viel über unsere Gespräche nachgedacht, die wir Tim betreffend geführt haben.“ „Was meinst du?“ „In Bezug auf unsere mexikanischen Wurzeln.“ „Ach so.“ „Nur weil ich damals in meiner Schulzeit gemobbt wurde, heißt das ja nicht, dass es bei Tim auch so ist. Außerdem ist es ja auch ein Unterschied, ob man im Süden von San Diego oder in Sacramento aufwächst.“ „Das stimmt. Hier ist ein anderes Umfeld, als in San Ysidro.“ „Außerdem hast du Recht. Tim kann seine Wurzeln nicht verleugnen. Dafür hat er zu viel von mir abbekommen. Wir sollten ihm daher nicht seine Identität nehmen.“ „Du meinst?“ „Ja. Ich werde ihm langsam auch Spanisch beibringen. Spätestens in der Schule lernt er es sowieso. Da kann es dann auch nur von Vorteil sein, wenn er schon was kann.“ „Das finde ich gut.“ „Ich stehe ja inzwischen auch wieder voll zu meinen mexikanischen Wurzeln.“ „Mami, was sind Wurzeln?“, fragte Tim jetzt. „In diesem Fall ist es das, wo du herkommst und wo Grandma Brenda und Grandpa Alejandro herkommen.“ „Das versteht er sicher noch nicht.“ „Das glaube ich auch. Aber das wird er mal.“

Nach dem Frühstück ging ich mal wieder laufen. Das hatte ich schon länger nicht mehr getan. Die Luft war aber inzwischen auch nicht mehr ganz so rauchig, wie noch vor einigen Tagen. Die Waldbrände wurden langsam weniger. Trotzdem gab es immer noch einige Ecken, in denen die Feuer weiter wüteten. Anschließend ging ich duschen, danach gesellte ich mich wieder zu Pam und Tim, die zusammen ein Spiel spielten. Als Pam dann begann, sich um das Mittagessen zu kümmern war es wieder meine Aufgabe, sich um das Tim Entertainment zu kümmern.

Am Nachmittag spielten wir wieder beide mit unserem Sohn und ich genoss wieder die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen konnte. Dafür, dass wir in verrückten Zeiten lebten, war es immerhin sowas Ähnliches wie Normalität. Wir hätten natürlich in normalen Zeiten andere Sachen unternommen, man musste sich aber eben an die Gegebenheiten anpassen. In unserer Kleinen Welt zu dritt war aber soweit alles in Ordnung. Pam ging es wieder vergleichsweise gut und Tim entwickelte sich prächtig. Er war neugierig und munter. Manchmal schon zu temperamentvoll. Das lag aber eben auch an seinen Wurzeln. Am Spätnachmittag packte ich dann meine Sachen soweit es ging schon in meinen Focus. Nur die verderblichen Lebensmittel ließ ich noch im Kühlschrank.

Da ich morgen nicht ganz so früh aufstehen musste, hatte ich dann am Abend auch noch Zeit für etwas Zweisamkeit mit Pam. Schließlich gingen wir dann aber doch ins Schlafzimmer und das Wochenende war mal wieder viel zu schnell zu Ende.

Montag, den 5. Oktober 2020, 5:30 am, PDT, Sacramento, CA:

Sonst war ich um die Zeit schon unterwegs, als dann heute der Wecker klingelte. Ich stand leise auf und ging für mein Morgenprogramm ins Badezimmer. Als ich frisch geduscht und rasiert ins Schlafzimmer zurückkam, war Pam bereits aufgestanden. Ich zog meine Fahreruniform an und ging in die Küche. „Guten Morgen, Darling.“, wurde ich von Pam begrüßt. „Ich habe schonmal deinen Kaffee aufgesetzt.“ Ich nahm sie in den Arm und küsste sie. „Danke Sweetheart. Du siehst übrigens schon wieder bezaubernd aus.“ Pam lachte herzlich. „Eher verschlafen und verwuselt, als bezaubernd.“ „Oh nein. Es fasziniert mich immer wieder, wie man direkt nach dem Aufstehen schon so gut aussehen kann. Und ich habe in meinem Leben schon genug Leute gesehen, die gerade aus dem Bett kamen.“ „Ja klar. Marine Rekruten.“, lachte Pam. „Und da du ganz offensichtlich nicht auf Männer stehst, hinkt der Vergleich.“ „Es gab auch schon die eine oder andere Frau vor dir.“ „Na gut. Überredet.“, lachte Pam. „Daddy.“, hörte ich auf einmal von hinten. Tim war wachgeworden und hatte uns gehört. „Hallo mein Großer.“ Ich nahm ihn auf den Arm. „Langsam wirst du schwer.“ „Gehst du jetzt zum Truck?“, fragte Tim. „In ein paar Minuten.“ „Ich will mitfahren.“ „Du bist zwar mein Großer, aber dafür leider immer noch zu klein.“ Tim zog eine Schnute. Die Antwort gefiel ihm nicht. „Wenn du größer bist nehme ich dich mal mit. Aber jetzt geht das noch nicht.“ „Nimmst du mich auch mal mit?“, fragte nun Pam. „Sicher. Aber selbst das geht in diesen Zeiten nicht.“ „Ich weiß. Ich will dich nur nicht schon wieder gehen lassen.“ „Das ist der Vorteil zu meiner üblichen Zeit.“, sagte ich traurig. „Wenn ihr noch schlaft, ist der Abschied nicht so schwer.“ Pam schüttete mir eine Tasse Kaffee ein und füllte den Rest in meine Thermoskanne. „Da hast du Recht.“, sagte sie. „Es ist doch was anderes, wenn du dann schon weg bist.“ Während ich meinen Kaffee trank, holte sie meine Vorräte aus dem Kühlschrank und packte sie ein. Danach verabschiedete ich mich von beiden mit einem Kuss. Anschließend fuhr ich zum Zentrallager.

Dort angekommen, parkte ich den Focus in der Nähe der Werkstatt, wo die neuen Maschinen immer noch standen. Dann ging ich zum Haupteingang vom Zentrallager rüber, wo die anderen auch schon warteten. Wir trugen alle unsere Schutzmasken und hielten ausreichenden Abstand zueinander. Ich ging zu der Gruppe, wo auch Harry Pearson, John Miller und Jim Bennet standen. Dann warteten wir, dass Charlie kam. Pünktlich um Sieben kam Charlie dann aus dem Gebäude. Begleitet wurde er von dem Auszubildenden, der aktuell in der Dispatch Dienst hatte. Der hatte es auch schwerer, als die Azubis, die vor ihm dort waren. Anstatt fest von einem Team angelernt zu werden, musste er immer mit dem Team arbeiten, welches gerade Schalterdienst hatte. So hatte er jede Woche einen anderen Kollegen, der ihm was beibringen musste. Von der Maske, die dabei dann beide tragen mussten, redete ich gar nicht. Heute schleppte er die zehn Mappen mit den Fahrzeugpapieren und den Schlüsseln. Charlie war dafür mit einem Megaphon bewaffnet. Das schaltete er jetzt an.
„Guten Morgen zusammen.“, begann er. „Herzlich Willkommen zu einer etwas ungewöhnlichen Fahrzeugübergabe. Normal machen wir das ja immer im Konferenzraum in etwas gemütlicherer Atmosphäre. Aufgrund von Corona müssen wir das Ganze jetzt aber nach draußen verlegen. Ich werde gleich einen nach dem anderen aufrufen und ihm dann seine neue Zugmaschine zuteilen. Da eure Maschinen normal noch nicht an der Reihe gewesen wären, haben wir allerdings nicht für alle Fahrer brandneue Maschinen, sondern nur für die Hälfte von euch. Über die Zuteilung gibt es auch keine Diskussionen, das haben Frank Murdock und ich ausführlich besprochen. Wer welche Maschine bekommt, hängt von der Dauer eurer Betriebszugehörigkeit, euren Leistungen und eurem Einsatzbereich ab. Damit ich euch nicht unnötig auf die Folter spanne, wer die neuen Trucks bekommt, werden diese als erstes zugeteilt.“
Charlie rief nun einen Namen nach dem Anderen auf, sprach dann ein paar Worte mit dem jeweiligen Fahrer, ohne das Megaphon zu benutzen und gab ihm dann die Mappe, die ihm der Azubi anreichte. Bei diesen ersten fünf Fahrern waren zwei aus Oregon und drei von uns dabei. Unter Anderem rief Charlie dabei Harry Pearson und Jim Bennet auf. Die beiden hatten also einen brandneuen Cascadia bekommen.
Nun nahm Charlie wieder sein Megaphon. „So, die neuen Trucks sind vergeben. Bei den Gebrauchten werde ich euch nun in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Wie schon gesagt, gibt es keine Diskussionen.“
Erst wurde ein Kollege aus Oregon aufgerufen. Als er seine Mappe nahm schaute er nicht so begeistert. Entweder hatte er den alten, runtergerockten Volvo, oder eine Marke bekommen, die er nicht leiden konnte. Dann kam John Miller an die Reihe. Sein Gesichtsausdruck erhellte sich, als Charlie mit ihm sprach. Offensichtlich war seine Zuteilung besser. Dann nahm Charlie wieder sein Megaphon. „Steve Murdock.“, sagte er. Dann zog er, wie immer, wenn er dann mit den Fahrern sprach, die Maske wieder vors Gesicht.
Ich ging zu ihm. „Hallo Steve. Es war ja klar, dass du keinen Neuen Truck bekommst.“ „Hallo Charlie. Stimmt das war klar.“ „Dein Dad und ich waren der Meinung, dass du bereit bist, an einem kleinen Feldversuch teilzunehmen.“ „Wenn ihr das sagt.“ „Du bekommst den Truck 16-1351. Das ist ein Kenworth T680 mit 76 Inch Hi Rise Sleeper.“ „Den habe ich da hinten schon stehen sehen. Was ist denn das Besondere an dem Truck?“ „Normal haben alle unsere Maschinen den Cummins ISX15 in der 400 PS Version verbaut.“ „Das weiß ich.“ „Der Feldversuch ist Anfang 2019 noch von unserm alten Boss in Bentonville ins Leben gerufen worden.“ „Dem Umweltpapst?“ „Du kennst den Spitznamen?“ „Offensichtlich.“ „Auf jeden Fall sollte damals rausgefunden werden, ob wir wirklich unbedingt die 15 Liter Maschine brauchen. Deshalb gehört der Kenworth zu einem Versuch, bei dem wir den Cummins ISX12 mit 425 PS verwendet haben. Da sind von jedem Hersteller, den wir ordern, drei Maschinen mit dieser Motorisierung gekommen. Du hast jetzt einen davon.“ „Also weniger Hubraum, aber mehr Nennleistung.“ „Genau. Ansonsten hat er auch Jake Break und sogar zwei Tanks mit je 150 Gallonen Fassungsvermögen.“ Der Azubi gab Charlie die Mappe, die er mir dann überreichte. Mein Blick fiel auf den Schlüsselanhänger. Dort stand: „16-1351, BP38282(CA)“ „Wieso ist der nicht in Arkansas zugelassen?“ wunderte ich mich. „Die Maschine ist wohl erst ein Jahr mit einem Kollegen an der Ostküste gelaufen. Dann ist der Kollege in Rente gegangen. Zu der Zeit war nicht klar, ob der Feldversuch noch weitergeführt wird, weil wir ja einen neuen Boss bekommen hatten. Um es klar zu sagen, die Maschine hat ein halbes Jahr abgemeldet in der Ecke gestanden. Kurzfristig hatten die Kollegen in Bentonville dann keine Zeit mehr, die Maschine wieder zuzulassen. Das hat dein Dad dann am Freitagmorgen schnell gemacht.“ „Verstehe.“ „Auch wenn der eine Weile gestanden hat, unsere Werkstatt hat die Batterien wieder neu geladen und auch sonst alles gängig gemacht. Der läuft also und hat gerade mal 100.000 Meilen auf dem Tacho.“ „Dann wollen wir mal.“ Während ich zu meinem Auto ging, rief Charlie den nächsten Fahrer auf.

Anschließend fuhr ich mit meinem Focus zur Zugmaschine. Auf dem Parkplatz waren schon alle fleißig zugange, ihre Sachen in die Maschinen einzuräumen. Jetzt konnte ich mir auch einige Gesichter erklären. Der Kollege aus Oregon hatte wirklich den alten Volvo bekommen und John Miller den gebrauchten New Cascadia.

Ich schloss nun den Kenworth auf und sah mich erstmal im T680 um. Wie vermutet, dominierte im Inneren graues Plastik. Es war ja auch nur die einfache Vantage Ausstattung und nicht, wie bei Marc, die VIT Diamond. Trotzdem hatte ich endlich wieder Platz im Truck. Außerdem konnte ich aufatmen. Ich hatte manuelle Schaltung. Es war zwar nur die einfache 10 Gang Version der Eaton Schaltbox, die war bei uns aber normal. Alles andere hätte mich gewundert.
Was mich wunderte, war das Radio mit großem Farbdisplay im Cockpit. Es kam dann aber eine Ernüchterung. Die Navifunktion war nicht aktiviert. Man hatte wohl diese Version verbaut, um auf alle Telematik Funktionen zurückgreifen zu können. Es war halt ein Fahrzeug im Feldversuch. Als erstes meldete ich mich in ORBCOMM und E-Log an. Dann stellte ich die Systeme auf Wagenpflege. So hatte ich Arbeitszeit und man konnte mir hinterher nichts vorwerfen. Anschließend befasste ich mich damit, Mikrowelle, Navi und meinen Fernseher einzubauen. Letzterer passte zum Glück an die Halterung. Das Ergebnis stellte mich zufrieden.

Nun räumte ich meine Sachen ein. Diesmal bekam ich auch wieder bequem alles unter. Damit hatte der T680 schonmal meine Sympathien.
Ich brachte den Focus zum Parkplatz und ging dann wieder zur Zugmaschine zurück. Dann koppelte ich mein Smartphone noch mit der Freisprecheinrichtung, die hier auch direkt im Radio war. Diese war in der Version mit Telematik mit drin. Das war zumindest besser, als in unseren Standardtrucks. Pünktlich um Acht hatte ich alles erledigt und stellte die Systeme auf PTI. Bei dieser stellte ich fest, dass der T680 und der Peterbilt 579 doch sehr ungleiche Konzernbrüder waren. Der Lichtschalter war beim Pete zum Beispiel ein Drehschalter, der sich links am Armaturenbrett befand. Beim T680 war es ein mehrstufiger Kippschalter in der Mitte. Ich fand mich dann trotzdem recht schnell zurecht. Die Wartungspunkte am Cummins ISX12 waren dann wenigstens dort, wo ich sie erwartete. Schließlich kannte ich seinen großen Bruder aus dem Freightliner. Um viertel nach Acht rief ich dann den ersten Auftrag für diese Woche ab:

PICKUP: EST-CASAC
GATE: 08
TRAILER: DV106273
FREIGHT: TABLEWARE
WEIGHT: 32,394 LB
DROP: CASAN
MARKET: SUC5938
PRIORITY: IMPORTANT
REMARKS: GOOD LUCK IN YOUR NEW TRUCK

WAT-CASAC-KMU

Mit dem Zielort hatte ich nicht gerechnet. Irgendwie hatte ich immer gehofft, mal nach San Diego zu fahren. Dass dann ausgerechnet die erste Tour im neuen Truck dorthin ging, überraschte mich dann aber doch.
Es herrschte nun allgemeine Aufbruchstimmung an der Werkstatt. Es machten sich nun Zehn Maschinen auf den Weg. Davon fuhren sechs Maschinen direkt hier am Zentrallager an die Rampen und sattelten auf. Ich war dann mit drei anderen Kollegen auf dem Weg zum Außenlager. Im Montagmorgenverkehr blieben wir dann aber nicht zusammen. Das war einfach nicht machbar. Wir fuhren über die CA-99 N, US-50 W und I-5 N nach North Natomas, wo wir dann nach und nach am Außenlager eintrafen. Dort nahm ich an Tor 8 meinen Dry Van auf und erledigte die PTI. „Steve, wo musst du hin?“, rief Harry Pearson zu mir rüber. „San Diego und du?“ „Ich muss nach Portland.“ „Dann kommt dein Neuer wenigstens sofort in die Berge von Oregon.“ „Jim Bennet hat es noch besser getroffen. Er hat mir eben noch gesagt, dass er mit 40.000 Pfund nach Elko muss. Also direkt mit vollem Truck den Donner Pass hoch.“ „So wird der Truck richtig eingefahren.“ Um viertel vor neun machten wir uns dann auf den Weg. Über die I-80 fuhren wir zurück zur Interstate 5. Harry bog nun in Richtung Redding ab, ich hielt mich in Richtung Los Angeles.

Als ich dann auf der I-5 mit Tempomat 56 dahinrollte, rief ich Pam an. „Hallo Darling, was hast du für einen Truck bekommen?“ fragte sie neugierig. „Hey Sweetheart. Ich sitze nun in einem Kenworth T680.“ „Ist das nicht so einer, wie ihn Marc fährt?“ „Genau. Nur nicht mit so einer kräftigen Maschine und nicht ganz so edel ausgestattet.“ „Marc ist ja auch Owner Operator.“ „Ich habe aber die gleiche Größe vom Sleeper.“ „Dann hast du ja jetzt wieder so viel Platz, wie vorher im Freightliner.“ „Ungefähr.“ „Hast du denn auch dein Schaltgetriebe bekommen oder musst du nun Automatik fahren?“ „Nein. Zum Glück darf ich selbst schalten.“ „Dann ist ja alles in Butter.“ „Kann man so sagen. Ich habe zwar einen ungewohnten Motor, sonst passt aber alles.“ „Wo fährst du jetzt hin?“ „In deine Heimatstadt.“ „Du fährst nach San Diego?“ „Ganz genau.“ „Jetzt will ich wirklich mitfahren.“ „Wenn das ginge, würde ich dich sofort mitnehmen. Im Moment geht das aber leider nicht.“ „Ich weiß. So schnell würde ich Tim ja auch nirgendwo unterkriegen.“ „Das kommt auch noch dazu.“ „Kommst du da denn heute noch an?“ „Ist so geplant. Wenn nichts dazwischenkommt, wird das so eben passen.“ „Du musst also in San Diego stehenbleiben?“ „Wenn ich es bis dahin schaffe, dann ja.“ „Zu welchem Walmart musst du denn da?“ „Supercenter 5938, 575, Saturn Boulevard.“ „Das ist ja nur ein Katzensprung bis nach San Ysidro. Ich glaube Mom kauft auch bei diesem Walmart ein.“ „Kann sein. Das ist, glaube ich, South San Diego.“ „Dann rufe ich jetzt Mom an. Du kannst dann bei meinen Eltern übernachten.“, rief Pam überschwänglich. „Warum das denn?“ „Na wenn du schon mal in San Diego bist.“ „Deswegen muss ich doch deinen Eltern nicht zur Last fallen.“ „So ein Quatsch. Die beiden lieben dich, wie einen eigenen Sohn. Die freuen sich, wenn du vorbeikommst.“ „Ich fahre sicher nicht mit einem Truck nach San Ysidro rein.“ „Brauchst du auch nicht. Lass den Truck am Walmart stehen. Mom oder Dad holen dich dort ab.“ „Wenn du meinst.“, sagte ich wenig begeistert. „Klar. Du bekommst dann bei Mom Abendessen und kannst dort im Gästezimmer schlafen. Haben wir doch früher auch schonmal.“ „Ich kann dir das ja sowieso nicht ausreden.“ „Kannst du auch nicht. Das ist mexikanische Gastfreundschaft.“ „Okay, tu was du nicht lassen kannst.“ „Wir sprechen später. Ich muss jetzt sofort Mom anrufen.“ Pam legte auf.

Die nächsten Stunden rollte ich dann entspannt durch Kalifornien. Bei Tempomat 56 ging die Drehzahl im zehnten Gang auch noch. Das war halt genauso, wie früher im Cascadia. Auf der Rollstrecke schlug sich der 12 Liter Reihensechszylinder auch sehr gut. Da war er sogar sparsamer, als der Paccar MX13, den ich im Peterbilt hatte. Wie das in Staaten aussah, wo ich mehr als 55 mph fahren durfte, würde sich zeigen.

Als ich mich der Waage auf meiner Strecke näherte, begann der Transponder zu piepen. Unter diesem Kennzeichen war die Maschine ja vorher nicht gefahren. Es war also, als hätte ich auch einen Neuwagen. Ich musste erstmal für positive Bewertungen sorgen. Mit dem Gewicht war ich aber zufrieden. Aber auch dabei musste ich mich langsam an die maximale Zuladung rantasten. Immerhin hatte ich mit den großen Tanks nun mehr Diesel an Bord.

Um viertel vor Drei am Nachmittag machte ich dann am TA Truckstop in Buttonwillow meine Pause. Da ich wahrscheinlich mit einem reichhaltigen Abendessen rechnen musste, holte ich mir nur am Taco Bell einen Salat. Diesen verzehrte ich dann im Truck.
Danach telefonierte ich nochmal mit Pam. „Meine Eltern freuen sich auf dich. Sie wären gekränkt, wenn du nicht zu ihnen kommen würdest.“ „Ich hätte ihnen auch nicht gesagt, dass ich in San Diego bin, wenn du es jetzt nicht getan hättest.“ „Sie freuen sich wirklich. Mom hat uns zuletzt im Frühjahr gesehen und Dad hat uns bei unserer Abfahrt nach Sacramento das letzte Mal gesehen.“ „Da hast du Recht.“ „Du musst ihnen aber sicherlich tausend Fragen beantworten, wenn du da bist.“ „Da gehe ich von aus.“ „Du sollst eben anrufen, wenn du beim Walmart bist, dann kommt Dad und holt dich ab. Er hat diese Woche wohl Frühschicht.“ „Besser, als wenn er wieder Doppelschichten machen würde.“ „Das kommt bestimmt bald wieder. Der Logistiker, bei dem er arbeitet, fährt ja auch viel für den Handel. Keela sagte doch, dass jetzt bald die heiße Phase des Jahres kommt.“ „Das stimmt. Die Läden sind ja jetzt schon voll mit den Halloween Artikeln. Dann kommen Thanksgiving und der Black Friday und dann schon Weihnachten.“ „Du weißt ja, meine Eltern brauchen das Geld. Sie sind nicht so reich wie deine Eltern.“ „Ich würde meine Eltern auch nur als gehobene Mittelschicht bezeichnen.“ „Das mag sein. Als Gebietsleiter verdient dein Dad aber sicher nicht schlecht.“ „Schon. Es gibt aber in Kalifornien sehr viele Leute, die viel reicher sind, als meine Eltern.“ „Mag sein. Aber meine Eltern haben weniger Einkommen, als wir.“ „Ich weiß.“ „Rufst du denn heute Abend noch an?“ „Ich glaube nicht, dass ich da noch zu komme, wenn ich bei deinen Eltern bin.“ „Okay, dann telefonieren wir morgen.“

Um viertel nach Drei machte ich mich dann wieder auf den Weg. Ich fuhr zurück auf die I-5 S in Richtung Los Angeles, wo ich mich dann vermutlich im dicksten Feierabendverkehr wiederfinden würde.
Zuerst stand mir aber der Tejon Pass bevor. Hier erinnerte ich mich an eine Regel, die vermutlich jeder Amerikaner schon mal gehört hatte. Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum. In der Steigung merkte ich, dass dem Kenworth im Vergleich zu meinem früheren Cascadia doch Kraft fehlte, obwohl er nominell 25 PS mehr hatte. Er hatte aber eben auch drei Liter weniger Hubraum. Auch der Peterbilt hatte hier mit 30 PS, einem Liter Hubraum und drei Gängen mehr, besser abgeschnitten. Mit diesem Defizit musste ich dann wohl die nächsten Jahre leben. Die restlichen Arbeitsbedingungen waren aber so gut, dass ich gut damit leben konnte, in den Bergen ein Verkehrshindernis zu sein. Ein Stau ist ja auch hinten schlimmer, als vorne.

Im Gefälle stellte ich aber fest, dass ich auch bei meinem neuen Arbeitsgerät mit der Leistung der Jake Brake sehr zufrieden sein konnte. Nun hatte ich Greater Los Angeles erreicht. Solange ich jetzt noch im San Fernando Valley war, hatte ich den Vorteil, dass ich auf LA zufuhr. Die meisten Leute wollten aber um diese Zeit aus der Stadt raus und in ihre Häuser in den Vorstädten. Es herrschte zwar Verkehr, in meine Richtung war er aber noch erträglich. Ich durfte ja sowieso nur 55 fahren. Nachdem ich Burbank und Glendale passiert hatte, kam ich dann wirklich nach LA. Aber auch hier blieb der Verkehr so, dass ich die meiste Zeit mit 55 fahren konnte. Es waren eben doch viele Leute im Home-Office.

Ich folgte dann erstmal weiter der Beschilderung in Richtung Santa Ana. Hinter Santa Ana verließ ich dann auch langsam den Ballungsraum wieder nun ging es wirklich auf San Diego zu.
Es ging nun an der Küste entlang. Erst passierte ich San Clemente, dann kamen Orte, die mich mit meiner eigenen Vergangenheit konfrontierten.
Es ging an Camp Pendleton vorbei. Hier war ich vor meiner Zeit als Ausbilder stationiert. Hier hatte ich das Truckfahren gelernt und von hier ging es auch zu Einsätzen raus, an die ich nicht mehr zurückdenken wollte. Es waren Einsätze, wo es wirklich um Leben und Tod ging, wo ich mit scharfer Munition in echten Kampfhandlungen war, wo ich Kameraden sterben sah.
Ich schüttelte kräftig den Kopf und verdrängte die Bilder wieder. Andere Kameraden hatten das nicht so gut wie ich überstanden und Traumata zurückbehalten. Bei mir hatte es nur zu dem Entschluss geführt, dass ich lieber zu Hause neue Rekruten ausbilden wollte, als weiter tagtäglich mein Leben aufs Spiel zu setzen.

An Carlsbad vorbei ging es nun nach San Diego. Inzwischen war es so dunkel, dass ich auf die Lichter der Stadt zufuhr. Es ging durch den Norden, an der University of California, San Diego vorbei, über mir hörte ich die Kampfjets von Navy und Marine Corps, die in Miramar landeten. An Pacifc Beach vorbei, ging es nun auf Downtown San Diego zu.
Nun hatte ich rechterhand die Basis liegen, an der ich die letzten Jahre meinen Dienst verrichtet und neue Marines ausgebildet hatte.

Irgendwie war es immer noch das Gefühl, nach langer Zeit nach Hause zu kommen. Schließlich hatte ich hier Pam kennengelernt und Tim ist hier zur Welt gekommen.
Es ging an Downtown vorbei und dann am Hafen der US-Navy. Immerhin der zweitgrößte der USA nach Norfolk, Virginia.
Anschließend passierte ich noch Chula Vista, was San Diego von South San Diego trennte.

Es war dann schon acht Uhr durch, als ich an der Ausfahrt 5A auf die Palm Avenue wechselte. Dann ging es rechts auf die Saturn Avenue, an der das Supercenter direkt neben der Interstate lag. ORBCOMM hatte mir inzwischen Dock 2 zugewiesen. Bevor ich den Trailer ans Dock setzte, rief ich kurz bei meinen Schwiegereltern an. Als ich am Dock stand, hatte ich folgende Anweisung im System:

11,5 H BREAK / REST

WAT-CASAC-JMU

Jessy hatte wohl noch nichts für mich. Das war mir aber recht. So brauchte ich jetzt nur die Maschine parken und nicht einen kompletten Lastzug. Ich stellte die Maschine auf die Seite und erledigte meinen Papierkram.

Dann packte ich noch schnell die Sachen zusammen, die ich mitnehmen wollte. Als ich fertig war, stand auch schon Alejandros alter 93er Chevy Caprice neben der Maschine. Ich setzte erstmal meine Maske auf und stieg aus.

Ich schloss den Kenworth ab. Alejandro war nun auch ausgestiegen. „Hola Steve. ¿Cómo estás?“, begrüßte er mich. „Estoy bien. ¿Y tu?“, antwortete ich. „Brenda y yo también estamos bien. ¿Cómo están Pam y Tim?“ „A los dos les va bien según las circunstancias.“ „Ja, wir haben ein verrücktes Jahr.“, sagte Alejandro nun auf Englisch. Wobei sein doch sehr deutlicher mexikanischer Akzent die Sprache prägte. „Musst du dieses Ding Tragen.“, fragte er mit Blick auf meine Maske. „Nur solange man mich hier noch sieht.“  Wir stiegen in den Caprice und fuhren nach San Ysidro zurück. „Wieso fährst du immer noch dieses alte Schlachtschiff?“ fragte ich ihn. „Dieser Chevrolet ist ein gutes Auto.“, sagte Alejandro. „Es gibt keinen Grund, mir ein neues Auto zu kaufen, solange dieses noch fährt. Der Motor ist unverwüstlich.“ „Kein Wunder. Aber der Achtzylinder frisst dir doch die Haare vom Kopf.“ „Ist doch nur ein Small Block.“ „Auch der hat 5,7 Liter Hubraum.“ „Dafür fährt der auch noch in 20 Jahren. Dann ist euer Ford Edge schon längst Geschichte.“

Wir kamen am Haus meiner Schwiegereltern an. Brenda begrüßte mich nun mit einer Umarmung. „Hallo Steve. Willkommen bei uns. Du warst ja lange nicht mehr hier.“ „Bei euch im Haus muss das letztes Jahr, Weihnachten gewesen sein.“ „Ich habe dir dein Leibgericht gekocht. Setz dich zum Essen.“ Ich ging noch schnell ins Bad und wusch mich, dann setzten wir uns am Esstisch zusammen.
Wie Pam schon vermutet hatte, prasselten nun zahlreiche Fragen auf mich ein. Natürlich ging es in erster Linie um Pams Gesundheit. Sie hätte ihren Eltern ja am Telefon oder über Skype auch was vorlügen können. Sie freuten sich natürlich, dass sie seit der Rückführung so große Fortschritte gemacht hatte und dass es ihr meist gut ging. Dann fragten sie mich über Tim aus. Gerade bei ihm gab es natürlich viel neues zu erzählen. Wie gut er inzwischen sprechen konnte, merkte Brenda ja auch immer, wenn sie mit Pam und Tim skypte.
Dann erzählten die beiden auch von sich. Ihnen ging es auch den Umständen entsprechend gut. Zwischenzeitlich hatten sie mal den Verdacht, dass Alejandro an Covid19 erkrankt war. Der Test war dann aber schließlich negativ. Zu meiner Verwunderung war das genau in der Zeit gewesen, als Pam Albträume hatte, bei denen sie von der Beerdigung ihres Vaters träumte. Es musste da wohl eine unterbewusste Verbindung geben, die ich mir nicht erklären konnte.
Dann berichteten sie von Pams Großeltern, die ja noch in Mexico lebten. Denen ging es inzwischen sehr schlecht. Vermutlich schafften sie es auch nicht mehr, Brenda und Alejandro nochmal in San Diego zu besuchen. Da Alejandro seinerzeit illegal in die USA gekommen war und erst durch die Heirat mit Brenda einen legalen Status und die Greencard bekommen hatte, traute er sich ja nicht über die Grenze. Brenda war also die Einzige, die dann ab und zu nach Mexico fuhr und sich um ihre Schwiegereltern kümmerte. Das machte Alejandro doch schwer zu schaffen.

Bevor wir ins Bett gingen fragte mich Brenda noch, wann ich denn morgen aufstehen wollte. „Ich denke mal gegen Sechs. Um Acht muss ich wieder im Truck sein.“ „Dann sind wir gerade unterwegs. Ich bringe Alejandro dann zur Arbeit, damit ich das Auto habe. Ich bin aber allerspätestens um halb Sieben wieder hier.“ „Okay. Kein Problem.“ „Du kennst dich ja hier aus.“ Ich verabschiedete mich dann noch von Alejandro, den ich ja morgen nicht mehr sehen würde, dann gingen wir schlafen.

Dienstag, den 6. Oktober 2020, 6:00 am, PDT, San Diego, CA:

Ich hatte mich von meinem Handy wecken lassen und stand dann auf. Anschließend ging ich ins Bad, wo ich mich in aller Ruhe fertigmachte. Nachdem ich mich dann angezogen hatte, ging ich in die Küche.
Brenda war auch gerade wieder zurück und hatte begonnen, für uns beide Frühstück zu machen. „Pam sagte gestern, dass du eigentlich gar nicht zu uns wolltest.“, sagte sie zu mir. „Ich wollte euch nicht zur Last fallen.“ „Das tust du nicht. Irgendwie bist du doch auch unser Sohn. Als du anfangs mit Pam zusammenwarst, hattest du doch quasi nur uns als Eltern.“
Ich erinnerte mich an die Zeit zurück. Als ich Pam kennenlernte, war das Corps meine Familie. Zu meinen Eltern hatte ich keinen Kontakt. Pams Familie hatte mich damals aufgenommen wie einen eigenen Sohn. Gerade Alejandro konnte meine Situation gut nachvollziehen, weil er damals erst auf seine Eltern verzichten musste, als er in die USA gekommen war. Er hatte damals öfter überlegt, wieder zurück nach Mexico zu gehen, weil er seine Familie so vermisste. Erst, als er selbst eine kleine Familie hatte, war sein Heimweh nicht mehr so schlimm. Vermutlich hätten sie mich sogar weiter als „Sohn“ akzeptiert, wenn es mit Pam und mir nicht funktioniert hätte. So war es natürlich besser.

So wurde ich auch heute wieder von Brenda bemuttert, wie ein eigener Sohn. Auch wenn sie in den USA geboren war, hatte sie sich viel von Alejandros mexikanischer Mentalität angeeignet. Sie fühlte sich inzwischen selbst schon als Halbmexikanerin und war in die Nachbarschaft, die überwiegend aus Latinos bestand, voll integriert.
Um zwanzig vor Acht machten wir uns dann langsam auf den Weg. Dabei merkte ich, dass sie den alten Chevy genauso selbstverständlich fuhr, wie Alejandro. Kurz vor Acht setzte sie mich dann an meiner Zugmaschine ab. „Ist praktisch. Dann kann ich jetzt direkt hier einkaufen.“, sagte sie. „Danke für alles.“ „Das ist doch selbstverständlich. Gib Pam und Tim einen Kuss von mir.“ „Das mache ich bestimmt.“ „Lass dich ruhig wieder bei uns sehen, wenn du wieder in San Diego bist.“ „Okay.“ Ich nahm meine Sachen und stieg aus. Dann winkte ich und sah ihr nach, wie sie mit brabbelndem V8 auf den Parkplatz fuhr.

Ich stieg in den Kenworth und stellte die Systeme auf PTI. Dann erledigte ich die Kontrolle. Anschließend schaute ich im ORBCOMM nach dem nächsten Auftrag:

PICKUP: STP-CASAN
TRAILER: DVN106986
FREIGHT: OFFICE SUPPLIES
WEIGHT: 36,982 LB
DROP: CST-CAOXR
PRIORITY: STANDARD
REMARKS: ORDER-NO. OXR2544844865

WAT-CASAC-KMU

Ich hatte eigentlich mit einer Ladung Altverpackungen oder Leerpaletten vom hiesigen Supercenter gerechnet. Andererseits machte ich auch lieber Transporte mit „richtiger“ Ladung und nicht nur mit Abfall. Dann geht es hier eben erstmal Bobtail hier los.

Ich verließ das Gelände und fuhr zurück zur Interstate. Dann nahm ich die I-5 N in Richtung San Diego, wie es hier im Süden noch auf den Schildern stand. Nach knapp 13 Meilen verließ ich die Interstate an der Ausfahrt 18A wieder und nahm den Pacific Highway. Dann ging es irgendwann links ab und ich erreichte die Staples Niederlassung. Dabei kam ich ziemlich dicht an meiner letzten Wirkungsstätte als Marine vorbei. Von unserem früheren Zuhause konnte man zu Fuß zu dieser Staples Filiale gehen.

Zur Hauptstraße hin gab es auch den üblichen Markt für Büromöbel und Bürobedarf, auf der Rückseite war aber zu sehen, dass der Markt nur ein kleiner Teil des Gebäudekomplexes war. Dahinter war noch ein großes Lager. Sozusagen ein Zentrallager mit angeschlossenem Laden. Hier, auf der Rückseite, hatte man sogar einen Pförtner.
Ich nahm meine Maske und meldete mich bei diesem. „Guten Morgen. Abholung für Walmart, Oxnard. Es sollte hier ein Trailer für mich stehen.“ „Guten Morgen. Hast du eine Auftragsnummer?“ „Ich habe hier unsere Ordernummer.“ „Die sollte reichen. Wie lautet sie?“ Ich las ihm die Nummer vor, die ich mir vorher abgeschrieben hatte. Der Pförtner tippte in seinem Computer rum. „Ah, hier habe ich es. Der Trailer steht dahinten an der Rampe.“, er zeigte mit dem Finger quer über den Hof. „Die Lieferpapiere sind auf Kundenwunsch an der Ware. Du müsstest mir auf unserem Schein aber die Übernahme quittieren.“ Er legte mir einen Lieferschein vor. Ich unterschrieb unter Vorbehalt einer späteren Mengen- und Qualitätsprüfung mit meiner Truck Nummer und Namen. Damit gab er sich zufrieden. Anschließend durfte ich auf den Hof fahren.

Dort sattelte ich auf und erledigte die PTI des Trailers. Ein Blick auf den Trailer zeigte mir, dass es viele Paletten mit Papier waren. Es gab aber auch noch jede Menge anderen Bürobedarf. Da es zu einem Zentrallager ging, wo in der Regel Lebensmittel gelagert wurden, vermutete ich, dass es sich um Eigenbedarf für Walmart handelte. Schließlich hatten wir dort ja auch genug Büros. Anschließend konnte ich mich auf den Weg nach Norden machen.

Über die Camino del Rio fuhr ich dann zur Interstate. Hier ging es dann auf die I-5 N in Richtung Los Angeles.
Das letzte Mal, dass ich hier auf die Interstate 5 gefahren war, tat ich das mit einem kleinen Truck von U-Haul, der mit unseren Habseligkeiten beladen war. Heute machte ich es mit einem Class 8 Truck, der mein Arbeitsgerät und in der Woche mein ein Zimmer Appartement war.

Diese erste Tour mit dem neuen Truck brachte auch viele Erinnerungen an meine Vergangenheit wieder. An gute und auch schlechte Zeiten. Trotzdem bereute ich nichts davon. Hier musste mein Weg herführen, damit ich Pam kennenlernen konnte und von hier musste er wegführen, damit wir glücklich blieben.
Auch bei der erneuten Fahrt durch Camp Pendleton kamen wieder Erinnerungen hoch. Aber auch dieser Schritt auf meinem Lebensweg war notwendig. Hier hatte ich nicht nur das Truckfahren gelernt, sondern auch die Eigenschaften, die ich später als Ausbilder brauchte. Außerdem hatte ich hier den Wandel vom Rebellen zum disziplinierten Soldaten und verantwortungsvollen Familienvater vollzogen.

Südlich von Santa Ana hatte ich dann die Wahl zwischen der mautpflichtigen CA-73 N und der I-405 N. Ich nahm dann die Interstate in Richtung Long Beach. Später passierte ich dann Long Beach. Dann ging es am sogar besungenen LA International Airport vorbei. Weiter ging es an bekannten Orten wie Santa Monica, Beverly Hills und Bel Air vorbei.

Der Verkehr auf dieser Strecke war zwar dicht, am späten Vormittag war er aber noch halbwegs erträglich. Hinter Santa Monica und Beverly Hills ließ der Verkehr aber merklich nach.
Westlich von Hollywood wechselte ich dann auf die US-101 N in Richtung Ventura.

Eine knappe Stunde später verließ ich an der Ausfahrt 60 den Highway und wechselte auf die Rice Avenue in Richtung Süden. Diese war auch Teil der CA-1, die ja als schöne Küstenstraße an weiten Teilen der Kalifornischen Pazifikküste entlangführte.
Nach dreieinhalb Meilen ging es dann über den E Channel Islands Boulevard nach Oxnard hinein. Nach knapp zweieinhalb Meilen musste ich noch einmal abbiegen, um über eine Seitenstraße die Einfahrt zum Walmart Zentrallager für Südkalifornien zu erreichen.
Den Trailer mit dem Bürobedarf sollte ich dann an Dock 20 absatteln. Anschließend kam ein weiterer unerwarteter Auftrag:

PICKUP: 711-CAOXR
TRAILER: FEXXXX
FREIGHT: USED PACKAGING
WEIGHT: 29,079 LB
DROP: EST-CASAC
PRIORITY: STANDARD

WAT-CASAC-KMU

Keela holte mich also über den Umweg via Oxnard nach Hause. Dass ich das heute nicht mehr schaffen würde, war klar. Dazu musste ja schon auf der direkten Strecke von San Diego nach Hause alles passen.
Da man mich bei 7Eleven sicher nicht länger, als unbedingt nötig auf dem Gelände haben wollte, fuhr ich aber jetzt erstmal nur unter dem Trailer weg und stellte mich an die Seite.

Ich stellte die Systeme auf Pause und ging erstmal in die Sozialräume des Zentrallagers, die ich als Betriebsangehöriger ja nutzen durfte und nutzte dort die Toilette. Anschließend ging ich zurück in den Truck. Dort machte ich mir in meiner Mikrowelle das Essen warm, welches mir Brenda mitgegeben hatte. Um viertel nach Eins beendete ich die Pause und fuhr zum 7Eleven.

Ich fuhr nördlich auf die Saviers Road welche nach einer Meile zum S Oxnard Boulevard wurde. Weitere zwei Meilen später bog ich rechts in die E Gonzales Road ab. Schließlich ging es links in den Outlet Center Drive, an dem sich der kleine Markt von 7Eleven befand.

Ich stoppte die Maschine und meldete mich bei dem Security Mann, der vor dem Laden stand. „Hallo. Ich soll im Auftrag von Sam’s Club Altverpackungen abholen.“ „Ja, ich weiß Bescheid. Fahr nach hinten zum Wareneingang. Da steht nur noch ein Trailer. Unterschreiben brauchst du wohl nichts. Die Papiere sollen hinten auf dem Trailer sein.“ „Okay, alles klar. Danke.“ Es folgte das übliche „You’re welcome.“
Ich ging zur Maschine zurück und fuhr zum Wareneingang. Dort sattelte ich den FedEx Reefer auf.
Ich fuhr zwar nicht gerne Werbung für Logistiker, da ich mir hierzu aber die Meinung von Ben angeeignet hatte, war mir diese Werbung immer noch lieber, als welche vom Wettbewerber. Nach der Kontrolle des Trailers konnte ich dann losfahren.

Es ging wieder zurück zur E Gonzales Road, über die ich wieder in die Richtung fuhr, aus der ich hergekommen war. Über die N Rose Avenue fuhr ich dann zur US-101 N, wo ich dann erstmal in Richtung Ventura fuhr. Dort wechselte ich an der Ausfahrt 66A auf die CA-126 E in Richtung Santa Clarita. Via Santa Paula ging es nun das Tal des Santa Clara Rivers hinauf.
Bereits hier merkte ich wieder, dass der Cummins ISX12 die Berge nicht so gut leiden konnte, wie die 15 Liter Variante.

Als ich eine Dreiviertelstunde später auf die I-5 N in Richtung Sacramento wechselte, hatte ich dann direkt den Tejon Pass vor der Nase. Hier krabbelte ich dann mit gerade mal 29.000 Pfund Ladung mit 35 mph und eingeschalteten Warnblinkern den Berg hinauf. Ich wollte nicht wissen, wie langsam ich hier mit vollen 80.000 Pfund Gesamtgewicht werden würde. Wie war das mit dem Hubraum, der nicht zu ersetzen ist?
Auf der anderen Seite ging es dann aber, Dank Jake Brake wenigstens entspannt wieder herunter. Nun hatte ich mehr oder weniger Rollstrecke mit 56 mph vor mir.

An der Gabelung folgte ich dann mit der I-5 N dem West Side Freeway. Nun hieß die Devise Fahrzeit voll machen. Da ich gestern aber schon leicht überzogen hatte, entschloss ich mich, heute wieder etwas früher stehenzubleiben.

Da ich mein Ziel sowieso nicht erreichen konnte, hatte ich da auch keinen Druck hinter. Ich konnte mir mein Tagesziel dann ein wenig aussuchen.

Nachdem ich noch weitere 200 Meilen hinter mich gebracht hatte, suchte ich mir dann langsam einen Platz für die Nacht.
Schließlich verließ ich dann an der Ausfahrt 434 die Interstate und fuhr rechts auf die CA-130 E.
Es war zwar riskant, gerade hier, im Gewerbegebiet von Patterson, CA einen Parkplatz zu suchen, da hier einige Distributionszentren angesiedelt waren, unter anderem von Amazon, RH, Platt Electric und CVS Pharmacy. Trotzdem hatte ich Glück und fand auf dem Flying J Travel Center, Patterson noch einen freien von 124 Parkplätzen, die es hier gab. Auch eines der neun Duschbadezimmer war noch für mich frei.

Nachdem ich die Systeme auf Feierabend gestellt hatte, ging ich dann erstmal duschen. Da ich auf Wendy’s gut verzichten konnte, stellte ich mir mein Abendessen hinterher lieber im PJ Fresh zusammen. Dieses gab es dann natürlich als Takeaway.
Nach dem Essen telefonierte ich noch eine Weile mit Pam. Wir hatten schließlich gestern Abend schon darauf verzichtet. Anschließend stand mir dann die erste Nacht im Kenworth bevor.

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