Kapitel 15 – Viel Party und wenig Meilen

Sonntag, 19.11.2017

Ich kam mit dem Taxi noch gut vor Randys Flug an und wartete am Ausgang auf ihn. Als er aus der Tür kam, umarmten wir uns zur Begrüßung. Er verriet mir immer noch nicht, was er geplant hatte. Wir holten den Mietwagen ab, Randy bekam einen Kia Forte Stufenheck. Da uns anderthalb Stunden blieben, bis Javier raus kommen würde, fuhren wir schon mal einkaufen. Im Laden ließ sich Randy immer noch nicht entlocken, was er denn vorhatte.

Wir waren auf dem Flughafenzubringer, als Javier mir schrieb, wo wir denn wären. Also hatte ich ihn vors Terminal in die Haltezone gelotst. Wir nahmen das Schild „Kiss and Fly“ noch nicht wörtlich. Einerseits war viel los und ich war im Auto sitzen geblieben. Andererseits wusste ich noch nicht, ob Javier schon so offen sein wollte. Auch jetzt tat Randy geheimnisvoll und fuhr dem Navi nach, das mir nur mitteilte, dass wir 19 Meilen fahren und dafür 31 Minuten brauchen sollten.
Wir nahmen die Howard Frankland Bridge über die Old Tampa Bay und direkt danach die Abfahrt nach St. Petersburg. Dort fuhr er in ein sehr vornehmes Wohnviertel und auf ein künstliches Inselsystem namens Venetian Islands. Vor einem Haus hielt er an und ein Mann wartete dort schon auf uns. Das Auto, das vor dem Haus stand, machte Werbung für eine Ferienhausvermietung.

„Was ist das?“ „Das ist unser Wohnsitz bis Dienstag früh.“ „Für zwei Tage ein komplettes Ferienhaus?“ „Für uns zwei hätte ich auch eine Hotelsuite genommen. Aber ich dachte mir, mit Deinem Freund willst Du vielleicht ein Bisschen mehr Privatsphäre.“ „Du bist der großartigste Bruder, den man sich wünschen kann.“ Ich fiel meinem Zwillingsbruder um den Hals.
Der Vermieter zeigte uns noch ein paar Dinge, die wir beachten mussten, wie die zu dieser Jahreszeit auch in Florida nötige Heizung des Außenpools funktionierte, der Whirlpool-Bereich desselben bedient wurde und fragte uns, ob wir mit dem Boot fahren wollten. Randy bejahte, sagte aber auch, dass wir uns durchaus mit Motorbooten auskannten.
Wir hatten zwar selbst keins, aber unser Vater hatte in den Ferien öfter mal welche gemietet, die Randy und ich als Teenager auch gesteuert hatten. Darunter waren auch größere Wohnyachten, da sollte uns dieses kleine Sportboot nicht vor unlösbare Aufgaben stellen. Also bekamen wir nur die Bedienelemente erklärt und den Schlüssel für den Poller und die Benzinpumpe.

Javier stand ein Bisschen verloren in der nicht wirklich bescheidenen Unterkunft: „Okay. Welchen Teil in Deinem Leben habe ich bei unserem letzten Zusammentreffen nicht mitbekommen?“ „Den, den ich gar nicht erwähnt habe. Ich habe ja nur gesagt, dass ich früh zu Hause ausgezogen bin. Unser Vater ist Unternehmer und nicht gerade arm. Ich habe mich mit 18 mit ihm endgültig zerstritten und den goldenen Löffel ausgespuckt, mit dem ich im Mund aufgewachsen bin. Randy arbeitet dagegen für mehr Erfahrung in einem anderen Unternehmen mit einem normalen Studentenjob und ist nebenberuflich weiter Sohn und Firmenerbe.“ „Krass. Da scheinst Du ja ein Leben in Saus und Braus für ein ziemlich einfaches aufgegeben zu haben.“
„Och, ich bin trotzdem glücklich. Geld ist nicht alles. Ich lebe in einer tollen Stadt, habe dort nette und vor allem echte Freunde und das beste von allem ist, ich habe Dich. Ein Bisschen Geld habe ich von meinem alten Herren auch bekommen und mich davon selbstständig gemacht. Für die Klage bin ich nach San Diego geflogen und da war doch dieser süße Flugbegleiter. Am Ende hatte die Sache also was sehr gutes – wenn ich mich nicht mit meinem Vater zerstritten hätte, dann hätten wir uns nie kennen gelernt. Und auch wenn ich diesen Palast im Leben nicht bezahlen könnte – so schlecht geht es mir auch vom Geld her heute nicht.“

Wir richteten uns erst einmal ein, danach war der Pool warm und wir gingen ins Wasser. Zum Abend hin fing Randy an, uns zu bekochen. Das Haus hatte einen Grill, den man offen mit Hitze unterm Rost oder geschlossen mit Feuer neben dem Rost verwenden konnte. Der kalifornische Grillstil war aber ähnlich dem europäischen mit offenem Feuer oder glühender Kohle direkt unter dem Fleisch. Außerdem konnte man so auch noch Brot rösten und Bohnen kochen. Typisches kalifornisches Essen vom Grill bestand aus Rindfleisch, Röstbrot, gekochten weißen Bohnen, Salat und einem Dip aus Paprika und Tomaten, der entfernt an ein südosteuropäisches Ajvar erinnerte.
Randy hatte unsere Wünsche gehört und das Fleisch perfekt auf den jeweiligen Punkt gegrillt. Er und ich bevorzugten es Medium Rare, Javier hatte sich für Medium entschieden. „Sehr lecker. Ich wusste gar nicht, dass Du so gut grillen kannst. Ich weiß nur, wo Du das nicht gelernt haben kannst.“ Bei uns zu Hause hatte niemand gegrillt, weil die Haushälterinnen es nicht konnten und sonst auch niemand. Bei größeren Anlässen hatte unser Vater allenfalls mal einen Cateringservice bestellt, der dann einen Grill mitgebracht hatte. „Ich habe in Stanford nicht nur für die Universität gelernt sondern auch fürs Leben.“

„Wollen wir noch mit dem Boot raus fahren und uns die Tampa Bay im Dunkeln anschauen?“ „Ist das im Dunkeln nicht gefährlich? Ihr kennt Euch hier doch nicht aus und seht im Dunkeln keine Untiefen und so.“ „Nicht gefährlicher, als im Dunkeln eine unbekannte Straße mit dem Auto zu fahren. Inwieweit Brandon die Regeln noch drauf hat weiß ich nicht. Aber ich kenne die Seefahrtkennzeichen ganz gut und außerdem ist die Old Tampa Bay rund rum bebaut, das macht auch Licht und hilft sehr beim Navigieren. Ich will raus finden, wie viel das Ding läuft und verbraucht, um zu sehen, wie weit wir morgen damit kommen können, wenn wir Boot fahren wollen.“
Da ich mir nicht mehr zutraute, ein Boot im Dunkeln zu steuern und die Verkehrslage anhand der Positionslichter anderer Schiffe sicher zu beurteilen, ließen wir Randy vorne am Steuer sein Ding machen und ich saß mit Javier hinten auf der Zweierbank. Anfangs hielten wir uns an den Händen, aber irgendwann legte ich meinen Arm über seine Schultern. Er erwiderte es, so dass wir nun eng zusammen rückten. Um uns herum waren die Lichter der Städte rund um die Bay zu sehen, es war eine sehr romantische Stimmung, auch wenn wir nur 3 Fuß hinter Randy saßen.
Javier flüsterte mir irgendwann ins Ohr: „Meinst Du, er schaut weiter nach vorne?“ „Wenn er sich nicht gerade orientieren will und umschaut. Warum?“ „Ach, eigentlich ist es ja egal. Ist ja nur Dein Bruder.“ Daraufhin küsste er mich scheu auf die Wange. Ich erwiderte den Kuss genauso flüchtig, was bei mir aber nur gespielt war. Also flüsterte ich ihm danach ins Ohr: „Warum nur so schüchtern?“ und setzte selber zu einem deutlich ausgiebigeren Kuss an. Da schien Javier auch seine Schüchternheit zu vergessen und bald darauf hatte sich eine wilde Knutscherei daraus entwickelt.
Die endete ziemlich plötzlich, als Randy das Boot eine scharfe S-Kurve bei hohem Tempo fahren ließ. Das Teil war sportlich genug, um dabei in das beim Umlegen selbst aufgewirbelte Wasser zu fahren. „Wenn Ihr denkt, Ihr seid nicht sauber genug, braucht Ihr Euch nicht abzulecken. Hier ist genug Wasser um uns rum.“ „Sehr lustig.“ „Zur Rechten seht Ihr Tampa, vor uns den Flughafen und knapp hinter uns die Howard Frankland Bridge. Vielleicht wolltet Ihr den Anblick doch genießen, bevor Ihr auf der Rückfahrt wieder Euch selbst überlassen seid.“ In der Tat war das ein schönes Panorama.

Schon auf der Rückfahrt war die Nähe, die Javier zu mir suchte, aber dann eine andere. Er war am längsten von uns wach und inzwischen dafür nicht mehr so richtig. Er kuschelte sich an mich und irgendwann lag sein Kopf auf meiner Schulter. Zurück im Ferienhaus gingen wir auch schnell ins Bett.

Montag, 20.11.2017

Am nächsten Morgen wurde ich wach und Javier schien nur darauf gewartet zu haben. Denn als ich meine Augen aufschlug, sah ich direkt in seine schwarzen Augen. „Guten Morgen. Und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“ Wir blieben liegen und küssten uns noch leidenschaftlicher als gestern Abend. Dabei kamen wir mit den Unterkörpern aber irgendwie nicht ganz so dicht zusammen wie mit den Oberkörpern. Es war was im Weg…

Irgendwann störte Randy doch wieder und klopfte vorsichtig an die Zimmertür: „Sind die Herrschaften schon wach? Das Frühstück ist fertig!“ „Wir gehen nur schnell ins Bad!“ „Nacheinander?“ „Zusammen, geht schneller!“
Das wage ich pauschal zu bezweifeln. Am schnellsten wird sein, wenn Javier in Eures geht und Du in meins!“ Jedes der beiden Schlafzimmer hatte nämlich ein eigenes Badezimmer.

Als wir dann ins Esszimmer kamen, hatte Randy in der Tat groß aufgetischt. Wir umarmten uns und gratulierten uns gegenseitig. Uns gegenseitig was zu schenken hatten wir inzwischen eingestellt. Auch Javier gratulierte Randy und wurde dann verlegen: „Ich habe gar keine Geschenke für Euch hier. Für Brandon habe ich nur ein Foto vom Geschenk mit.“ Er zeigte mir sein Handy, wo ein Foto mit zwei Eintrittskarten für das Flyers-Spiel am Freitagabend gegen die Islanders zu sehen war. „Danke! Bist Du auch Fan?“ Ich fiel ihm um den Hals.
„Nicht in dem Sinne. Ich sehe mir ab und zu die Flyers an und bei mir in Voorhees ist das Trainigszentrum und viele aktive Spieler oder Spieler im Ruhestand leben da. Deshalb komme ich nicht ganz am Eishockey vorbei. So richtig als Hardcore-Fan dann doch die 76ers im Basketball.“

Dann wendete er sich Randy zu: „Ja, also ich wusste nicht, was ich Dir schenken sollte. Ich kenne Dich ja erst seit einem Tag.“ Randy nahm Javier in den Arm: „Du hast mir schon was geschenkt. Brandon ist glücklich wie schon lange nicht mehr. Es gibt nichts zu kaufen, das mir mehr wert sein kann als das.“

Über den Tag fuhren wir mit dem Boot runter nach Anna Maria Island, eher eine bebaute Sandbank als eine Insel. Auf der offenen Bucht steuerten Javier und ich auch mal das Boot, aber in dem Hafen dort anlegen machte Randy. Wir gingen einen Salat essen und etwas einkaufen, denn heute an unserem Ehrentag wollte Javier uns abends kubanisch bekochen.
Zurück nahm Randy mich hart ran. Ich musste sowohl in Anna Maria ablegen und aus dem Hafen raus steuern als auch an unserem Steg, der geradewegs in den Garten führte, wieder anlegen.

Wir spielten im Garten ein Bisschen Ball, bevor Javier sich in die Küche verabschiedete. Randy und ich räkelten uns in den Liegestühlen am Pool. „Da hast Du einen guten Freund gefunden. Ich hoffe, Ihr bekommt kein Problem, dass Ihr beide so viel unterwegs seid.“ „Wir hoffen mehr, dass wir das zum Vorteil machen können. Wenn ich längere Touren habe und früher weiß, wo ich meine Wochenenden habe, will er versuchen, sich für Außenwochenenden dorthin einteilen zu lassen.“
Nachdem Randy noch ein paar Sachen über Javier erfragt hatte, kam der auch wieder raus. Das Essen durfte jetzt erst mal eine Weile vor sich hin köcheln, also durfte wieder der Volleyball ran. Und irgendwann verschätzte sich Javier und der Ball landete auf dem Dach und blieb natürlich auch oben hinter dem Abluftrohr der Küche liegen. „Was bin ich blöd! Wie kriegen wir den jetzt wieder da runter?“
Ich ging zum Haus, aber auch Randy hatte sich auf den Weg gemacht, stand aber weiter weg. Bis der drinnen war, die Dachluke offen und eine Leiter angestellt hatte, war ich dreimal mit Ball wieder unten. „Lass da mal den Experten ran!“ Ich sah mir kurz das Dach an, aber zum Anspringen war es nicht geeignet. Dann inspizierte ich die Dachrinne und fand sie stabil genug. Also kletterte ich am Fallrohr rauf, als Randy gerade auch dort war. Aber wenn er mich aufhalten wollte, dann blieb ihm vor Überraschung das Wort im Hals stecken. Wobei er nicht wirklich so überrascht aussah, eher so ein Gesichtsausdruck von „habe ich es doch geahnt!“
Ich warf den Ball runter, sprang hinterher und um es spektakulär aussehen zu lassen, machte ich die Landung als Diagonalrolle. Aus der Höhe auf den Rasen wäre ein einfacher Sprung ausreichend gewesen. Und zu meiner Überraschung war ich mit der Meinung nicht alleine: „Viel anders hätte ich es auch nicht gemacht. Aber aus nicht mal 3 Yards auf weichen Untergrund machst Du gleich eine Rolle?“ Nachdem ich meine jetzt dafür echte Überraschung überwunden hatte, musste ich wohl zum Geständnis kommen: „Nur Show. Hätte ich gewusst, dass sich hier jemand auskennt, wäre ich wohl doch besser in die Hocke gesprungen. Aber dass Du Dich mit so was beschäftigst.“
„Schon seit Jahren. Als ich das erste Mal die Los Penasquitos Bridge auf dem Spannbogen überquert habe, warst Du noch damit beschäftigt, mit einem Honda Civic – nein, nicht Subaru Impreza – schnell bergauf zu fahren.“ Das hörte sich dramatischer an, als es war, denn der Bogen der Los Penasquitos war ein Unterzug, also unterhalb der Fahrbahn. „Um genau zu sein, habe ich Deinen Windschatten der Rundstrecken- und Bergrennen ausgenutzt, um das von unseren Eltern unbemerkt lernen zu können. Warum habe ich Dich denn nie dabei entdeckt?“ „Weil ich das erst hier angefangen habe und auch noch nicht so lange mache.“
„Dafür bist Du aber gut, wenn ich den Augenausschnitt zwischen Mundschutztuch und Manowar-Kappe richtig erkannt habe.“ „Hast Du. Wie kommst Du denn an die Videos?“ „Über Deinen weinrothaarigen Freund David. Wir schreiben uns im Explorerforum und ich kenne seine Videos auf Youtube. Er weiß aber nicht, dass wir beide verwandt sind oder uns überhaupt kennen. Ich war mir ja auch bis eben nicht sicher bis eben, ob Du es wirklich bist.“
Javier stand etwas verloren daneben, sah aber nicht sonderlich amüsiert aus. „Was ist? Wir kennen doch unsere dunklen Seiten.“ „Was machst Du denn dunkles? Exploration wohl nicht?“ „Ich bekämpfe meinen Adrenalinmangel mit Wildwasserkajak. Aber wir haben uns versprochen, das Risiko abzuwägen. Deshalb bin ich gerade ein Bisschen sauer wegen einer Rolle nur aus Show.“ „Das war ja auch nicht gefährlich. Eine ganz normale Standardtechnik, wie der andere Sprung, den man normalerweise gemacht hätte auch.“ Randy sprang mir unterstützend bei: „Das war nur so, als würde man mit dem Ferrari zum Bäcker um die Ecke fahren. Wer diese Rolle nicht im Schlaf beherrscht, bleibt besser mit beiden Füßen am Boden, aber man wendet sie eigentlich noch nicht bei einem Sprung aus dem Stand und 8 Fuß Höhe auf Rasen in den Stand an sondern wenn man mit Anlauf abspringt, von höher runter springen muss oder nach der Landung sofort weiterlaufen will.“ „Ach so. Ich frage besser nicht wie hoch.“ „Das muss jeder für sich ausmachen. Kommt immer auch auf die Situation an. Auf so einen weichen Rasen wie hier natürlich höher als auf eine Betonplatte. Da bin ich dann wieder bei meinem Versprechen.“ Zumindest halbwegs beruhigt ging Javier wieder in die Küche. Risikosport, den man selbst nicht kannte, war immer schwer einzuschätzen. Wahrscheinlich machte er im Kajak auch Sachen, die für ihn so normal wie Treppe steigen waren, aber bei denen ich am trockenen Ufer einen Teufelstanz aufführen würde.

Es gab als Hauptspeise Ropa Vieja, die „zerrissenen Kleider“ waren das kubanische Nationalgericht. Es bestand aus in Tomatensoße geschmortem Rindfleisch, das dann ähnlich wie man es von Pulled Pork heute überall kannte, in Fasern zerteilt wurde. Dazu gab es gelben Reis mit schwarzen Bohnen und gebratene Süßkartoffeln mit Kochbanane. Der Nachtisch Arroz con Leche war platt gesagt Milchreis mit Zucker und Zimt.

Als es schon dunkel war, gingen wir noch mal in den Pool. Aus der Whirlpool-Ecke hatte man einen tollen Blick über die Bucht, auch wenn gegenüber nur kleine Häuser standen und ihr Licht übers Wasser schickten, aber keine Skyline zu sehen war.

Danach gingen wir ins Bett, denn morgen mussten wir ja wieder weg. Randy hatte den Vermieter schon zwischen 7:00 und 7:15 AM bestellt. Javier und ich kuschelten noch eine Weile und schliefen eng aneinander ein.

Dienstag 21.11.2017

Das Frühstück war also wirklich früh, damit wir abgewaschen hatten, bevor das Haus übergeben werden sollte. Die Zählerstände für Strom, Wasser, Gas und Yachttreibstoff wurden aufgenommen, dann machten auch wir uns auf den Weg. Randy fuhr zuerst zu meinem Truck, den sowohl er als auch Javier nun das erste Mal in Natura sahen. Die Fahrt hatte bei etwas über 20 Meilen genau eine Stunde gedauert, Berufsverkehr sei Dank – und dabei hatten sicherlich schon viele Leute Urlaub. Natürlich musste ich beiden erst mal ein paar Sachen zeigen und zuletzt startete ich den Motor, um während der PTI Druck aufzubauen, bevor ich die beiden verabschiedete und sie weiter zum Flughafen fuhren.

Brian hatte natürlich was vorbereitet, einen schweren Brocken.

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Die Waage bei Ocala hatte geöffnet, also hatte ich jetzt den Jackpot gewonnen. Ich musste raus und bei diesem Trümmer war mir vorher klar, dass ich die rote Ampel bekommen würde. Die Waage zeigte 84,897 lb. an, also musste ich auf die Abstellfläche und den Officers einen Besuch abstatten
.

Im Bürocontainer waren zwei Beamte, ein Mann und eine Frau. „Good morning, Sir, good morning ma’am!“ Der Mann war ranghöher, was wichtig war, dass ich es blitzschnell an den Schulterabzeichen gemerkt und ihn zuerst begrüßt hatte. Er stellte beide vor: „Ich bin Sergeant Norman Walsh, meine Kollegin Trooper Rebeccah Cannon. Wir haben fast 85,000 lb. gemessen. Was haben Sie denn zu diesem Gewicht zu sagen?“ „Ich darf das, Sir!“ Ein Bisschen Selbstbewusstsein konnte nie schaden, wenn man sich gegenüber der Polizei seiner Sache sicher war. Ich händigte meine Papiere aus. Sergeant Walsh begann in den Papieren zu blättern. „Erst einmal herzlichen Glückwunsch nachträglich. Sie sind ja gestern 23 geworden.
Sondergenehmigung für 90,000 lb. von Caterpillar für den Auftrag beantragt und bewilligt, der Truck ist bis 87,200 lb. zugelassen. Das scheint wirklich in Ordnung zu gehen.“
„Mailen Sie mir mal bitte die Daten aus dem elektronischen Log? Die Adresse steht auf dem Blatt unter der Glasplatte.“ „Ja, ma’am. „Die fünfte Woche mit dem Truck erst?“ „Ja, ma‘am.“ „Letzte Woche haben wir zwei winzig kleine Abweichungen, Norman. Die anderen 4 sind nicht nur sauber sondern porentief rein.“ Er sah sich das an: „Eine Minute Tagesfahrzeit drüber am Donnerstag und am letzten Tag eine Minute vor maximaler Wochenarbeitszeit umgestellt auf Privatfahrt und danach 12 Minuten länger gefahren als die Wochenzeit zugelassen hätte? Da habe ich was gesehen.“ Er blätterte in den Unterlagen. „Ein Kassenbon von 7 Eleven. So offensichtlich wie das Manöver auch sein mag, rechtlich nicht zu beanstanden. Ansonsten nur die eine Minute?“ „Ja. Alle anderen Pausen sauber und im Schnitt 45 bis 50 Minuten anstatt 30. Nachtpausen zwar oft 11 Stunden und mehr, aber Beginn teilweise sofort wenn gesetzlich wieder im Rahmen der 24-Stunden-Regel möglich. Aber auch nicht immer, manchmal länger. Dafür Reset deutlich über 34 Stunden, oft um die 40.“
„Ich sehe mir mal das Fahrzeug an.“ Sergeant Walsh ging mit mir raus und inspizierte den Truck. An der Zugmaschine gab es natürlich nichts zu finden, die war nach 5 Wochen makellos. Auch der Trailer war zwar wie die meisten bei Caterpillar durch den harten Einsatz optisch ein Bisschen gezeichnet, aber technisch gut in Schuss. Der Bagger war mit Spannketten über das Raupenfahrwerk, an die Rahmenösen und seiner eigenen Feststellbremse gesichert. Walsh rüttelte an den strammen Ketten: „Okay, der bewegt sich nirgendwohin.“
„Wegen dieser einen Minute machen wir mal kein Fass auf und bleiben bei einer Ermahnung. Aber sowohl diese Minute als auch der grundsätzlich erst mal legale Trick mit der Privatfahrt werden bundesweit hinterlegt. Sollte so etwas öfter vorkommen, wird das Folgen für die DOT-Beurteilung haben.“ „Ja, Sir!“ „Denken Sie dran, wenn Sie mit über 80,000 lb. unterwegs sind, werden Sie auf jeden Fall raus gezogen, um die Papiere zu prüfen und wir finden so was dann auch auf jeden Fall. Da sollten Sie also immer sehr sorgfältig kalkulieren, ob Sie durch kommen und keine Abweichungen haben. Hier sind die Papiere. Gute Fahrt.“ „Danke, Sir!“

Da die Kontrolle im System hinterlegt war, durfte ich immerhin an der Hamilton County Weighing Station vorbeifahren. Eine vorherige Kontrolle war keine Garantie, durchfahren zu dürfen, aber wenn man einen Transponder für die Stationen eingebaut hatte, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit zumindest innerhalb vom gleichen Staat
.

Kurz danach machte ich eine Mittagspause auf dem Pilot Truck Stop in Jennings, FL. Javier war noch in der Luft, also gab es keinen Grund zu telefonieren. In Georgia setzte auf der Weiterfahrt Regen ein. Hinter Macon dann beleuchtete die schon tief stehende Sonne die abziehende Regenfront und sorgte für ein beeindruckendes Farbenspiel.

Wie wichtig eine eingeplante Reserve war, merkte ich dann heute auch noch. Denn an sich hätte ich um die 20 Minuten Zeit haben sollen, wenn der Tag endete. Aber gegen 9 PM herrschte ein ziemliches Gedränge schon in der Zufahrt zum Love’s Travel Stop in Thomson (GA). Bis mein Truck dann tatsächlich in einer der verbliebenen Lücken stand, war davon kaum noch was übrig.

Nun konnte ich mit Javier telefonieren. Wir verständigten uns für das kommende Wochenende. Am Donnerstag wollte er alleine zum Thanksgiving-Essen bei seiner ganzen Familie. Am Freitag sollte ich dann dazu kommen, wir wollten mit seinen Eltern und Geschwistern mittags essen, abends waren wir beim Eishockey. Am Samstag wollte ich mit meinen Freunden feiern. Sonntag war dann Javiers Wochenende schon wieder durch und er musste morgens gegen 10 zur Arbeit.


Mittwoch, 22.11.2017

Das bitter nötige Tanken hatte ich daher auch auf den nächsten Morgen verschoben und deshalb fuhr ich nach dem Frühstück erst mal vom Parkplatz zur Tankstelle und erst danach auf die Autobahn.

Von Thomson war es nur noch etwas über eine Stunde nach Augusta. Hier lieferte ich auf der bereits aus den letzten Wochen bekannten Baustelle den Bagger an. Brian war der Meinung, dass ich den daneben stehenden Trailer gleich wieder mitnehmen sollte. Da stand ein Radlader drauf. Es kam nicht so oft vor, dass eine Maschine von einem Kunden direkt zum anderen ging. Wenn es aber eilig war, wurde es auch so gemacht. Dann gab es eine Abnahmeprüfung beim Versender und eine Annahmeprüfung beim Empfänger durch CAT.

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Auf meiner weiteren Reise durch die Südstaaten machte ich die Mittagspause in Bishopville (SC) und musste dann im weiteren Verlauf der Tour auf die Überholspur. Mit einer Oldsmobile Ciera Limousine hatte jemand entweder die Langsamkeit entdeckt oder mit dem Iron Duke keine andere Wahl. War das auch im kommenden Frühjahr schon 5 Jahre her, dass ich mit dem Vor-Facelift-Kombi dieses Fahrzeugs die Staaten einmal komplett durchquert hatte? Auch wenn ich den Mustang und zwei Rennwagen in Kalifornien besessen hatte, war das Oldsmobile gefühlt mein erstes eigenes Auto. Wahrscheinlich weil es mein erstes eigenes Auto in der „Freiheit“ gewesen war.

In Washington kam ich dann bei Coastline erst gegen 8:30 PM an. Der Werksschutz war informiert und öffnete mir das Tor. Den Trailer sollte ich in einer Ecke abstellen. Der Sicherheitsdienstler sollte unterschreiben, hatte aber keinen Stift dabei. Also gingen wir in den Container. Dort lief die NHL auf einem kleinen Fernseher. „Oh, wie steht es denn für die Flyers?“ Die spielten gerade in New York, schon Übermorgen war ja das „Rückspiel“. Da gerade Drittelpause war, kamen wie auf Aufforderung die Zwischenstände. „1:1 nach 20 Minuten. Um uns steht es schlimmer. Die Capitals liegen 0:2 hinten.“ Das erste und bisher einzige Zusammentreffen zwischen Philadelphia und Washington hatte die alte Hauptstadt höflich gesagt sehr deutlich mit 8:2 gegen die aktuelle gewonnen.
„Willst Du einen Tee? Ist gerade fertig.“ Da konnte ich nicht ablehnen und so saßen wir noch gut 20 Minuten zusammen und redeten über Eishockey.

Danach fuhr ich nur noch zu einer Tankstelle, die ich vorhin gesehen hatte und stellte den Truck ab. Brian hatte noch keinen Auftrag für mich eingegeben. Wenn er was hätte, dann wäre es schon drin. So durfte ich mir auf jeden Fall jetzt was suchen, falls sich eine gute Fracht fand. Und das tat sie, mal wieder für den Einzelhandel. 19.500 lb. Möbel sollten vom hiesigen Walmart-Lager nach Philadelphia zu Costco.

Danach sah ich auf dem auch fürs Privatvergnügen brauchbaren Tablet, wie meine Flyers sich das während der Fahrt von Coastline Mining zur Tankstelle auf 2:2 erhöhte Unentschieden erst von New York abnehmen ließen, dann selbst ausglichen und nach einem torlosen Schlussdrittel sich in der Overtime geschlagen geben mussten.


Donnerstag, 23.11.2017

Nach dem Frühstück machte ich mich auf den Weg. Bei Walmart war trotz Feiertag die Hölle los, aber wenigstens arbeiteten auch die Leute im Lager dazu passend wie die Teufel. Morgen war schließlich Black Friday, der wichtigste Tag im Einzelhandel.Das größte Problem in diesem Ameisenhaufen war es, sich nicht gegenseitig in die Karre zu fahren. Aber schließlich hatte ich doch meinen Trailer am Haken und fuhr aus Washington raus. Es war ein Welpe und an einer Ampel trafen wir uns im Rudel. Ich war allerdings der einzige Hundeführer, dessen Leine weiter weg zu reichen schien. Denn die anderen beiden waren mit Daycabs unterwegs.

Das miese Wetter verbesserte sich dann bei Baltimore auch und so kam ich um genau 11:40 AM in Philadelphia an. Auch hier war Hektik angesagt, also stellte ich nur schnell den Trailer ab, bekam die Papiere abgenommen und war wieder vom Hof. Nun ging es noch Bobtail nach Roxborough-Manayunk und die kurze Woche war zu Ende.

WEEK DRIVE: 24:51 HRS
WEEK WORK: 26:59 HRS
WEEK START: TU:08:44 AM
WEEK END: TH:12:20 PM
WEEK FRAME: 2D:03H:36M
WEEK MILES: 1,303
WEEK FUEL ECO: 5.9 MPG
WEEK AVG SPEED: 52.4 MPH
WEEK PAYLOAD: 99,170 LB

Zu Hause machte ich erst mal Wäsche.
Bis zum Wochenbeginn dürfte meine Waschmaschine im Dauerstress sein.


Freitag, 24.11.2017 bis Sonntag 26.11.207

Und nun war es Zeit, für das Zusammentreffen mit Javiers Familie. Immerhin hatte er gemeint, dass eine Jeans und ein ordentlicher Pullover ausreichten. Also mal Familienfeier ohne Kleiderordnung. Ich entschied mich für die Edeljeans, die ich mir vorm ersten Treffen mit Javier gekauft hatte und einen höherwertigen Strickpullover über das Hemd mit Kragen. Es war inzwischen auch gut kalt in Pennsylvania, das sollte in New Jersey als auch nicht anders sein. 93 Meilen wollte das Navi fahren, ich legte D ein und fuhr los.

Als ich der Adresse in Atlantic Highlands näher kam, stellte ich fest, dass das Viertel auch nicht gerade arm war. Das Haus der Noguerras gehörte aber zu den eher bescheidenen Unterkünften. Zwischen den bis zu dreistöckigen Villen stand das eine oder andere Haus mit 2 Etagen oder Bungalows wie dieser. Javier schien gewartet zu haben, denn er kam aus dem Haus, bevor ich komplett ausgestiegen war.

„Hallo. Süß, ein Sonic! Wächst der kleine noch?“ „Hallo. Zum Einkaufen reicht er, große Parklücken suche ich die ganze Woche über oft genug. Welches davon ist Deiner?“ In der Garageneinfahrt standen ein knapp 5 Jahre alter Chevrolet Camaro und ein dafür mindestens 10 Jahre alter GMC Yukon XL. Am Straßenrand, direkt vor meinem Sonic parkte noch ein GMC Acadia. „Der Yukon, muss ja ein Kajak drauf und die Ausrüstung rein passen und drin geschlafen wird auch. Der Camaro gehört meinem kleinen Bruder und der Acadia ist der Pampersbomber meiner Schwester. Lass uns reingehen.“
Javier hatte mich vorgewarnt, dass er selbst nicht wusste, was kommt. Zwar hatte er sich mit 17 geoutet und war nach einer etwas turbulenten Gewöhnungsphase akzeptiert worden, aber danach allenfalls flüchtige Affären gehabt und weder so ernst gewesen wie bei mir, dass er jemanden so schnell zu Hause vorgestellt hatte, noch hatten sie lange genug gehalten, um so ernst zu werden. Also ähnlich wie bei mir, seit ich in Philadelphia angekommen war. Das waren auch vorrangig „One Month Stands“ gewesen, teilweise auch One Night, aber das dann mit Ansage.

Drinnen stellte mich Javier seiner Familie vor. Seine Mutter Amelia hatte deutlich mehr afrikanisches Blut als Javier, war noch mal ein paar Zoll kleiner als ich und versprühte schon bei der herzlichen Begrüßung eine Energie, die nur eine Latina haben konnte. Jedenfalls fand ich mich gleich in ihren Armen wieder.
Der Herr des Hauses, Juan, war ein weißer Latino, wie er einem auch in Südeuropa hätte begegnen können. So richtig aus der Rolle des Kaufmanns und Abteilungsleiters kam er wohl auch in seiner Freizeit nicht raus. Jedenfalls trug er als einziger eine Stoffhose und über dem Hemd mit verstärktem Kragen eine ebenso seriöse Weste. Auch seine Begrüßung war freundlich, aber zurückhaltend.

Javiers 2 Jahre ältere Schwester Amaya war mit ihrem Mann Estevan da, sie trugen beide Jeans und einfarbige Pullover. Amaya hatte das Feuer ihrer Mutter geerbt und sah ihr bis auf die hellere Haut auch sonst sehr ähnlich. Auch sie nahm mich ihn den Arm. Estevan begrüßte mich per Handschlag, aber mit viel weniger Distanz als Juan.

Joaquin war der Nachzügler, mit 17 Jahren war er 5 Jahre jünger als Javier, sah dem aber ansonsten trotzdem ähnlicher als ich meinem Zwillingsbruder. Auch er nahm seinen Schwager in Spe freundlich auf und umarmte mich ebenfalls.
„Der letzte der Familie ist im Wohnzimmer und liegt im Babykörbchen. Mein Neffe Julio.“ Wir gingen also ins Wohnzimmer, ich irgendwo mittendrin und auf dem Weg dahin sagte Joaquin hinter mir leise, aber laut genug, dass ich es verstand, zu Javier: „Para la plena integración en nuestra familia debe enseñarle español.“ Na wenn es nur an der spanischen Sprache lag, in die Familie aufgenommen zu werden, brauchte mir Javier die erst gar nicht beizubringen, denn als Kalifornier konnte ich sowieso schon Spanisch. Ich drehte mich breit grinsend um: „No hay problema. Soy californiano y ya hablo español.“ Javier ging lachend am Türrahmen angelehnt zu Boden, auch der Rest lachte herzlich, nur Joaquin stand bedröppelt da und erbrachte den unfreiwilligen Beweis, dass man es dieser Hautfarbe sehr wohl ansehen konnte, wenn jemand rot anlief. „Entschuldige. Ich wusste ja nicht…“ Ich klopfte Joaquin auf die Schulter und redete gleich spanisch weiter: „Schon gut. Beurteile ein Buch nie nach seinem Umschlag! Und sei vorsichtig mit Fremdsprachen. Irgendwer um Dich rum könnte sie immer verstehen, erst recht so was wenig Exotisches wie Spanisch.“ Amaya meinte zu Joaquin noch: „Und am einfachsten wird es, wenn Du auf Dein loses Mundwerk aufpasst und öfter mal nur denkst, was Du immer so alles sagst. Aber Du bist ja noch jung.“ „Gnagnagna!“

Das Essen war sehr gut, ich musste natürlich viel erzählen, wo ich so alles bei meiner Arbeit herum kam und was ich so für Hobbys hatte. Hier ließ ich die Exploration aber mal großzügig weg und beschränkte es auf Motorrad fahren, Inlineskaten und den mit den Freunden in Philadelphia gerne mal betriebenen „Kneipensport“ wie Billard, Bowling oder Dart.

Am Nachmittag fuhren wir dann nach Voorhees und wollten von da weiter zur Arena. „Ich glaube, ich stimme Dir zu mit dem Einparken. Lass uns mit Deinem Auto fahren.“ Also durfte der Kleinwagen ran und wir fuhren zur Arena. „Premium-Parken?“ „Was?“ „Da sind die Plätze doppelt so teuer. Weißt Du das nicht? Fahr da rüber.“ „Ich bin immer mit der U-Bahn hier.“ Als der Wärter 20 Dollar von mir wollte, guckte ich doch ziemlich überrascht. Direkt an der Arena also 40?

Ich hatte dann ein Deja-Vu in Live. Philadelphia ging im ersten Drittel in Führung. Das Mitteldrittel war ein Feuerwerk an Toren für die Flyers. 1:1 dann die 2:1 Führung, der 2:2-Ausgleich, das 3:2 von meinem Lieblingsspieler Shayne Gostisbehere, dessen Name auf meinem Trikot stand und der schon das 1:0 geschossen hatte. Dann fiel sogar das 4:2. Das brachte aber nichts, da New York nach der Pause den Anschluss schaffte, zur Mitte des Schlussdrittels ausglich und dann in der Overtime einen weiteren Sieg holte. Das war jetzt die siebte Niederlage der Flyers in Folge. Wir waren auf dem Weg dahin, wo wir schon in der vergangenen Saison waren – und das waren nicht die Playoffs.

Nach dem Spiel fuhren wir wieder zu Javier. Er wohnte in einem Mehrfamilienhaus in einer Wohnanlage direkt hinter dem Einkaufszentrum, wo wir im Steakhouse waren. Wir gingen recht schnell ins Bett, denn es war schon spät. Am nächsten Morgen blieben wir erst mal lange in seinem Queensize-Bett liegen und machten danach das, was Randy am letzten Wochenende erfolgreich verhindert hatte. Zusammen duschen und dabei sehr ausgiebig gegenseitig einseifen

Am späten Nachmittag hatte ich dann Ralph, Caleb, Lennart, Cody, Scott und Tristan auf die Bowlingbahn eingeladen, um dort meinen Geburtstag nachzufeiern. Tristans Freundin hätte mitkommen dürfen, da ich Javier dabei hatte und auch Scott und Cody ein Paar waren. Man musste ja für Gleichberechtigung einstehen. Sie hatte aber keine Lust darauf, das einzige weibliche Wesen in der Runde zu sein.

Nach einer weiteren Nacht bei Javier gab es am Sonntag noch eine ungewöhnliche Feier, zu der ich wieder Caleb traf. Die anderen Gäste waren natürlich Hayden, Jamie und David. Ungewöhnlich war, dass es überhaupt zu einer Feier kam. Wir stiegen auf das Dach einer alten Fabrik, die wohl mal dem International-Harvester-Konzern gehört hatte und von da auf ein altes Betongestell, von dem wir alle irgendwie keine Ahnung hatten, wozu es mal da gewesen war, aber von dem man den besten Rundblick bei viel Platz hatte.
Und dort oben packten dann Caleb und David Einweggrills, Plastikgeschirr, Steaks und Steakhouse-Nudelsalat aus. Es war wohl eine der verrücktesten Aktionen, die man sich nur vorstellen konnte. Da saßen wir auf einer stillgelegten und reichlich von Vandalismus gezeichneten Fabrik, von allen Seiten von Bahnstrecken umgeben, sahen den haltenden SEPTA-Zügen am Bahnhof North Philadelphia und den durchrauschenden Fernzügen von Amtrak und Güterzügen zu und aßen dabei Steaks mit Nudelsalat. Ich gab mein Smartphone, das ausnahmsweise mal mit dabei war, an Caleb: „Mach mal ein Foto von uns!“ und rückte direkt neben David.
Ich schrieb „Explorer-Geburtstagsparty“ drunter und klickte auf Senden. „Wem willst Du das schicken?“ „Meinem Zwillingsbruder. Ich habe keine Ahnung, unter welchen Namen, aber Ihr kennt Euch. Er ist aus San Diego, lebt aber zurzeit in Stanford.“ „Ich glaube, ich weiß, wen Du meinst. Und Du bist sein Zwillingsbruder?“ „Ja. Auch wenn es nicht so aussieht.“ „Kleine Welt, muss ich sagen.“ Randy schrieb ziemlich schnell eine Antwort.

Warum kann ich da nicht dabei sein? Das dürfte die mit Abstand coolste Party aller Zeiten sein.

Hättest nur mal sagen müssen, dass Du Explorer bist. Dann hätte ich Dich hier her kommen lassen. Florida war aber auch cool.


Ich war heute der Meinung, dass ich mal wieder den freien Ausblick brauchte. Wenn man auf einem Dach stand, dann hatte man immer noch optische Bodenhaftung. Auf einem Schornstein oder Metallgerüst war das anders, da man nicht mehr sah, dass man auf etwas stand. Es fühlte sich ein Bisschen an wie Fliegen.
Also war heute Hayden der einzige, der auf dem Dach blieb, da er grundsätzlich nicht auf Schornsteine, Kräne oder Gittermasten stieg. Caleb und ich machten es eher selten und mit deutlich weniger Risiko als Jamie und David – auch wenn in diesem Sport „wenig Risiko“ albern klingen mochte.

Die Nacht auf Montag verbrachte ich dann im heimischen Bett, bevor wieder das Bett im Truck auf der Agenda stand.

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