Montag, Uppsala.
Inzwischen zeigt die Uhr in meinem Büro 16:00 Uhr. Die Vorbereitung für die Tour nach Tula habe ich soweit abgeschlossen. Einer meiner Fahrer wird das D-TEC-Chassis mit dem Container für Tula am späten Abend in Södertälje abholen und mir morgen früh im Tegelvikshamnen Stockholm übergeben. Die Tasche mit Klamotten für zwei Wochen liegt bereits in meinem V8, der noch in der Halle vor sich hin schlummert. Das einzige was mir immer noch fehlt ist eine Rückladung. In den Frachtbörsen lässt sich in Tula und Umgebung nicht eine einzige Dose finden. Und Palettenware bekomme ich mit dem leeren Chassis nicht weg – der Container den ich runter fahre verbleibt beim Empfänger.
Sandra kommt in mein Büro und sieht die Sorgenfalten auf meiner Stirn. Ich bekomme einen Kuss. Dann einen
zweiten. „Älskling, runzel nicht so die Stirn. Dann siehst du immer aus wie ein alter Mann.“ „Passt doch – ich werde dieses Jahr noch vierunddreißig. Ich habe letztens in München einen gesehen auf dessen T-Shirt stand: Ich bin über 30. Bitte helfen Sie mir auf’s Motorrad.“ „Bei dir müsste dann auf dem T-Shirt wahrscheinlich stehen: Bitte helfen Sie mir in den Truck. Oder: Bitte helfen Sie mir ins Kajak.“ Bei dem Gedanken daran muss ich lächeln.
Mein Telefon klingelt. Im Display die Rufnummer von Yanaa und Alex in St. Petersburg. Die beiden können aber unmöglich schon zu Hause sein – sie sind ja gestern frühestens um 22:00 Uhr in München gestartet. „hansekontor in Uppsala. Christian Dansör.“ „Hallo. Hier ist Alena von Baltic Transport in St.Petersburg.“ „Hi Alena. Ich hoffe du hast gute Nachrichten für mich?!“ „Klaro. Sonst würde ich nicht anrufen. Yanaa sagte du fährst mit dem großen D-TEC-Chassis und müsstest entsprechend auch nen 40er Container weg bekommen?“ „Ja, genau.“ „Gut. Dann fährst du bitte zu TRANZIT-AVTO in Efremof. Zeitfenster für die Abholung: nächste Woche Montag früh bis spätestens
Mittwochmittag. Der muss dann nach Helsingborg. Genauer gesagt Helsingborgs Hamn AB. Den Container rufst du dann in unserem Auftrag bei TRANZIT-AVTO ab.“ „Das heisst die Rechnung für die Tour dann an euch schicken…“ „So soll es laut Yanaa sein.“
Alena gibt mir noch die Lade- und Lieferadressen und alle Nummern die ich beim Versender und für den Zoll brauche und legt dann auf. Kurz darauf rattert mein Faxgerät und spuckt ein Paket Unterlagen aus.
…
Nach dem Abendessen guckt Sandra mich mit einem Grinsen an und flitzt in Richtung Schlafzimmer. Was hat sie jetzt wieder vor? Als sie kurz darauf wieder zurück ist steht sie nackt vor mir und fordert mich auf: „Mitkommen, Schatz.“ Sie geht in Richtung Bad. Ich hinterher.
…
Das Duschen zu zweit hat natürlich länger gedauert, als wenn jeder für sich alleine geht. Aber was spielt Zeit heute Abend schon für eine Rolle – ab morgen früh bin ich mindestens zwei Wochen wieder unterwegs, wo wir uns nur am Telefon hören werden. Und mit Telefon duschen gehen ist suboptimal. Wir sitzen auf der Couch und Sandra kuschelt sich an mich.
…
Da mein Wecker mich am nächsten Morgen um 04:00 Uhr rausschmeißen soll gehen wir beizeiten ins Schlafzimmer.
„Das waren schöne Tage mit dir in München und heute hier zu Hause. Jag älskar dig.“ „Ja. Tage die wir so viel zu selten haben. Ich liebe dich auch. Schlaf gut.“ Sandra erwidert meinen Kuss und kuschelt sich dann an mich.
Dienstag, Uppsala.
Es ist 04:00 Uhr als mein Wecker sich wie gewünscht lauthals meldet. Sandra blinzelt mich an. Ich gebe ihr einen Kuss und sage: „Bleib liegen und schlafe noch etwas, Schatz. Ich ruf heute Abend an, wenn ich von der Fähre runter bin.“ „Kör försiktigt.“ murmelt sie. Ich gehe in die Küche und mache mir einen Kaffee und ein Brötchen zum Frühstück.
Um 04:45 Uhr bin ich mit Frühstück und Abfahrtskontrolle am V8 fertig. Es geht wieder einmal auf die E4 in Richtung Stockholm. Als ich im Tegelvikshamnen ankomme sehe ich schon den Scania von Ludvig. Den D-TEC hat er schon abgesattelt, sodass ich meinen V8 direkt ankoppeln kann. Bevor ich aus meinem Fahrerhaus ausgestiegen bin hat Ludvig schon alle Leitungen vom Chassis mit dem V8 verbunden. „Hej Christian.“ „Moin Ludvig. Alles ok?“ „Jo. Die Jungs bei Scania hatten sich nur kurz gewundert. Magnus hatte denen wohl nicht gesagt, dass ich die Dose für dich hole.“ „Na wenns weiter nix ist. Ich muss noch kurz einchecken. Hast du noch Zeit für nen Kaffee?“ „Ja. Bevor mein Trailer, den ich einsacken soll, nicht von der Fähre aus Turku ist kann ich eh nicht weg.“
…
Ich stelle meinen V8 an die zugewiesene Deckposition und mache mich auf den Weg zu meiner Kabine. Ich stelle aber nur die Tasche ab und gehe dann aufs Oberdeck – es war mal wieder Zeit das Auslaufen von Deck aus zu beobachten. Pünktlich um 07:45 Uhr legt die Fähre ab in Richtung Turku, mit Zwischenstop in Mariehamn. Beim
Auslaufen scheint mir noch die Herbstsonne ins Gesicht. Kurz darauf wird es aber ungemütlich grau, sodass ich mich ins Innere verziehe.

…
Es ist nach 20:00 Uhr als ich in Turku von der Fähre rolle. Ich fahre aus dem Hafen heraus und folge den Schildern zur E18 in Richtung Helsinki. Ich wähle per Sprachsteuerung die Rufnummer von Sandras Mobiltelefon. In der Freisprecheinrichtung höre ich es tuten. Einmal. Zweimal. Dann ein Knackgeräusch. Ich höre das Klappern einer Tastatur und Rockmusik, die leiser wird. Vom Klang her könnte es ein Titel von den ‚Dire Straits‘ gewesen sein. Dann meldet sich Sandra: „Hej Älskling.“ „Hi Süße. Was isn bei dir los? Party im Büro?“ „Neee. Ich bin alleine. Schreibe gerade noch Rechnungen. Und mit Musik im Ohr geht das besser.“ „Was hast du denn gerade laufen gehabt bevor du leiser gemacht hast?“ „Money for Nothing.“ „Wie passend. Die guten ‚Dire Straits’…“ „Ja genau. Und was läuft bei dir?“ „’Metallica‘ mit ‚Enter Sandman‘.“ „Oh Oh. Aber nicht einschlafen.“ „Keine Angst. Ich hab auf der Überfahrt genug geschlafen. Jetzt geht’s ab durch die Nacht. Ich denke mal bis zur russischen Grenze
komm ich mit der Fahrzeit locker. Und dann schauen wir mal wie gnädig die Behörden sind. Ich fahre jetzt aus Turku raus.“ „Und ich wechsel gleich auf die Couch. Komm gut durch die Nacht.“ „Ich geb mir Mühe. Schlaf du nachher gut. Bussi.“ Sandra schickt einen Schmatzer durch die Leitung und legt auf. Ich habe inzwischen die E18 erreicht. Hin und wieder kommt mir ein einzelner PKW oder Truck entgegen. In meine Fahrtrichtung bin ich allein. Passenderweise lässt mein Radio jetzt ‚Driver’s Seat‘ von ‚Sniff’n the Tears‘ vom Stapel.
Mittwoch, Vaalimaa
Wie geplant bin ich problemlos bis zur Grenze gekommen. Auf finnischer Seite ist die Abfertigung Formsache. Ein Blick auf den verplombten Container. Ein Blick auf die Papiere und ich bin durch. Als ich an der Zollabfertigung auf der russischen Seite ankomme ist es 03:45 Uhr. Ich stelle den V8 an die Seite und melde mich am Zoll an. Mit ein paar wenigen Worten wird mir gedeutet, dass ich Geduld haben soll. Ich gebe dem Zöllner zu verstehen, dass ich dann erst einmal schlafen gehen werde.
…
Es ist 12:30 Uhr als ich wieder wach werde. Kein Zöllner weit und breit zu sehen. Aber die Papiere liegen im Zollbüro. Ich mache eine schnelle Körperpflege aus dem Wasserkanister während mein Kaffeewasser anfängt zu kochen – andere nutzen eine Kaffeemaschine, ich setze mir meinen am liebsten klassisch auf: 2 Teelöffel gemahlenen Kaffee in den Kaffeepott und da dann das kochende Wasser drüber (man muss nur aufpassen, der
letzte Schluck aus dem Pott hinterlässt sonst Krümel zwischen den Zähnen).
Da ich seit dem Aufstehen noch keinen Zöllner gesehen habe mache ich mich um 14:00 Uhr auf in Richtung Zollbüro. Dort riecht es nach frischem Kaffee. Auf meine Frage bezüglich Abfertigung bekomme ich nur die Antwort, dass man sich bei mir am Fahrzeug meldet wenn ich dran bin.
Na toll denke ich. Rumstehen auf unbestimmte Zeit. Ich gehe zurück zum V8 und komme an einem Scania mit russischem Kennzeichen vorbei. Als ich genauer hinschaue sehe ich, dass es einer von Alex‘ Fahrzeugen ist. Der Fahrer lehnt gedankenverloren mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Fahrerhaus. Es ist Yevgeni. „Hallå. Привет, Евгений.” begrüße ich ihn mit einer Mischung aus schwedisch und russisch. ”Hej Chris. Dich habe ich hier jetzt gar nicht erwartet. Wo verschlägt es dich denn hin?” ”Wenn die hier mal irgendwann fertig werden geht’s runter nach Tula.” ”Fertig werden? Das kann dauern. Wenn du Glück hast zwölf Stunden. Wenn du Pech hast auch achtundvierzig. Man gewöhnt sich daran. Ich bin ja öfters mal in Finnland.” ”Wie lange stehst du schon?” ”Über dreißig…” In dem Moment unterbricht uns eine Zollbeamte: ”Baltic Transport?” Yevgeni meldet sich. Ich verabschiede mich noch kurz von ihm und lasse ihn dann mit der Beamtin alleine.
Zurück am V8 schmeiße ich meinen Laptop an und richte mich auf noch etwas Wartezeit ein. Ich schreibe dem Bär von EISITRANS per Mail, dass ich wohl übernächsten Samstag gegen Mittag bei ihm in Odense sein werde. Wenn das nicht klappen sollte, würde ich mich noch einmal melden. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich wie Yevgenis Scania vom Zollgelände rollt.
Als sich bis zum Abend seitens des Zolls immer noch nichts getan hat schreibe ich Sandra kurz per SMS, dass ich immer noch an der russichen Grenze stehe und warte. Anschließend mache ich mir aus meinen Vorräten etwas zum Abendessen. Um 22:00 Uhr lege ich mich in die Koje.
Donnerstag, russische Grenze.
Um kurz vor 05:00 Uhr werde ich von einem Klopfen an der Fahrertür geweckt. Ich öffne die Tür. ”Guten Morgen. Der russiche Zoll.” ”Guten Morgen.” Ich kann ein Gähnen nicht unterdrücken. Der Zöllner geht einmal um den V8 und vergleicht die Kennzeichen mit denen, die in den Papieren stehen. Alle stimmig. Bei der Zugmaschine hatte Magnus ja im Vorfeld mit mir gesprochen, welche ich nehme und den D-TEC hatte er zur Beladung vor der Nase. Ein weiterer Blick gilt dem Container. Verplombt, also alles in Ordnung. Ich bekomme meine Papiere und dazu den Gebührenbescheid, den ich direkt vor Ort begleiche. Danach wird mir die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt. Ich mache mir jedoch erst einmal einen Kaffee und eine Schale Müsli zum Frühstück.
Um 06:00 Uhr bin ich dann mit Frühstück und Abfahrtskontrolle durch. Es geht weiter. Wartezeit etwa fünfundzwanzig Stunden – das geht ja noch…
Ich rolle über die E18 St.Petersburg entgegen, wo ich nach dreieinhalb Stunden Fahrzeit dann bei Baltic Transport auf den Hof rolle.

Schon von weitem sehe ich den weißen Baustoffzug – Yanaa und Alexej sind also aus München bereits angekommen. Ich gehe in den Bürotrakt wo mich die beiden freudig begrüßen.
Nach einer Dusche und einem Kaffee ist es dann wieder Zeit weiter Kilometer zu machen. Es geht auf der E105 in Richtung Moskau. Unterwegs mache ich noch eine weitere Pause.
17:15 Uhr. Die zehn Stunden Fahrzeit für heute sind fast voll. Mein Tagesziel ist die BP in Kolomno. Ich tanke den V8 auf. Im benachbarten Hotel Baltika gehe ich dann zum Abendessen. Da ich dort kostenfrei den W-LAN-Zugang nutzen kann telefoniere ich dann gleich noch über WhatsApp mit Sandra.
…
Ich stelle meinen Wecker mal wieder auf 04:00 Uhr und lege mich dann in die Koje.
Freitag, Kolomno.
Es ist 03:55 Uhr als ich wach werde. Ich gucke auf den Wecker und fange an zu lachen. Ääätsch, heute bin ich vor dir wach 😀
Fix Zähne geputzt und Katzenwäsche gemacht. Anschließend mache ich mir noch wie üblich einen Kaffee und etwas Essbares fertig. Mein Mobiltelefon meldet den Eingang einer Nachricht „Guten Morgen mein Schatz. Fahr vorsichtig.“
…
Ich bin seit 05:30 Uhr wieder auf der E105 unterwegs und habe Torschok bereits passiert.


Bei Karpovo leitet mein Navi mich auf die M-11 auf der ich dann westlich um Moskau herum fahre.

Der weitere Weg führt mich auf der M-2 weiter gen Süden.
…
Nach etwas über neuneinhalb Fahrstunden erreiche ich in Tula den Kunden. Ich hatte bereits von unterwegs meine Ankunft avisiert, sodass der Container kurz nach der Ankunft schon vom D-TEC gehoben wird.
…
Samstag, Tula.
Ich hatte mich am Abend im Gewerbegebiet in eine ruhige Sackgasse gestellt, sodass ich heute in Ruhe ausschlafen konnte. Nach dem Frühstück mache ich noch einen kleinen Spaziergang ans Ufer der Upa. Als ich wieder am Scania zurück bin führe ich meine Abfahrtskontrolle durch und mache mich auf den Weg nach Efremof.
…
…
Montag, Efremof.
Es ist 06:30 Uhr als ich bei TRANZIT-Avto auf den Hof rolle. Ich war am Samstag für die Wochenruhezeit ein Stück außerhalb von Efremof stehen geblieben um die freien Stunden in Ruhe in der Natur zu verbringen.
Ich gehe ins Büro. Da meine Russischkenntnisse ziemlich lausig sind beginne ich das Gespräch gleich auf Englisch. ”Guten Morgen. Ich soll im Auftrag von Baltic Transport, St. Petersburg, einen Container für Helsingborg aufnehmen.” Die stark geschminkte blondhaarige Frau mittleren Alters, die gerade dabei war eine Tasse Kaffee an den Schreibtisch zu bugsieren ist gut zwei Köpfe größer als ich und zudem auf waffenscheinpflichtigem Schuhwerk unterwegs, was sie noch höher im Raum stehen ließ. ”Guten Morgen. Einen Moment, ich schaue eben in unser Versandsystem… Ah. Ja. Trailerchassis für 40er Container haben Sie dabei steht hier?!” ”Ist korrekt.” ”Ok. Meine
Kollegen haben für diesen Container bereits alle Papiere fertig gemacht. Schwedische Zugmaschine ‚TCS 144‘ und Chassis mit deutschen Kennzeichen stimmt?” Sie nennt mir die Kennzeichenkombinationen. ”Ja, stimmen beide.” Sie greift zum Telefon und führt ein kurzes Telefonat. ”Ich hab gesehen Sie stehen vorne an der Straße. Bleiben Sie eben dort stehen. Mein Kollege setzt Ihnen den Container drauf. Der ist verplombt. Übernahme quittieren Sie bitte bei meinem Kollegen.” Sie reicht mir die Papiere und verabschiedet mich.
…
Ich folge der R132 in nordwestlich in Richtung Wjasma. Die Übernahme der Dose ging erstaunlich zügig über die Bühne und die Straße ist ziemlich leer. Ich lasse den V8 entspannt mit Tempomat auf 84 km/h eingestellt laufen.
Als ich durch Wjasma fahre wechsele ich auf die E30, die mich dann an Krasnaya Gorka vorbei an die Grenze zu Weißrussland führt.



Ich stelle den Scania ab und melde mich beim Zoll.

Ich bekomme die Antwort die ich bereits erwartet habe: Bitte warten Sie. Wir melden uns. Da ich für den heutigen Tag bereits zehn Fahrstunden hinter mir habe stört mich das gerade nicht wirklich. Mein Telefon meldet eine SMS. Jetzt nicht…
Nach dem Abendessen, welches ich mir auf meinem Gaskocher zubereitet habe, lese ich zuerst die SMS und telefoniere dann kurz mit Sandra. ”Huhu Süße.” ”Hej Rumtreiber. Feierabend?” ”Jo. Ich stehe an der Grenze zu Weißrussland. Fahrzeit voll und natürlich Warten auf die Abfertigung.” ”Das ist ja nix Neues. Hat bei TRANZIT-AVTO alles geklappt?” ”Ja. Papiere waren vorbereitet. Die Dose auch fix aufm Chassis. Nur bekommt man bei denen im Büro nen steifen Nacken.” ”Wieso? Klimaanlage auf Tiefkühlung?” ”Nein. Die Dame im Büro war mindestens zwei Köpfe größer als ich und dazu auf hochhackigen Schuhen unterwegs.” Sandra fängt an zu Lachen. ”Witzig finde ich das nicht.” ”Tut mir Leid Schatz. Aber ich hab mir gerade vorstellen müssen wie du da von 1,68m zu über 2m aufschauen musst.” ”Phhh. Wenn ich jetzt zu Hause wäre…” ”Na? Was dann?” ”Ich würd dich durchkitzeln bis du um Gnade flehst.” ”Das darfst du nachholen. Mal zurück zur Arbeit: wenn du in Helsingborg ankommst willst du von da aus gleich weiter Dosen verschieben?” ”Ich werd den D-TEC in Malmö in die Niederlassung bringen. Für den Samstag hab ich dann im Hinterkopf nach Odense zu fahren. Der Bär von EISITRANS hat um ein Gespräch in seinen Räumlichkeiten gebeten. Weiter weiß ich auch noch nicht. Ich muss morgen noch mit James telefonieren.” ”Das muss ich morgen auch noch – hab da vorhin nur ne SMS von ihm bekommen.” ”Ich auch.” Im Telefon höre ich das Klappen einer Tür. ”Bist du noch im Büro?” ”Jetzt nicht mehr. Bin gerade rüber ins Wohnzimmer gegangen. Ich leg dich jetzt auch gleich zur Seite. Hab noch nix zum Abendbrot gehabt.” ”Dann lass es dir schmecken. Jag älskar dig.” ”Jag också du. Drück dir die Daumen, dass du nicht so lange am Zoll warten musst.” ”Danke.”
…
Dienstag, Grenze bei Krasnaya Gorka.
Ich habe mir keinen Wecker gestellt. Nach dem Aufstehen mache eine fixe Wäsche aus dem Wasserkanister und frühstücke danach in aller Ruhe.
Als ich dann gegen Mittag im Zollbüro nachfrage bekomme ich dort wieder die Antwort, dass man sich bei mir meldet. Hmpf. Was kann so schwer sein die Papiere für einen verplombten Container zu überprüfen. Aber was solls. Aufregen bringt auch nichts. Ich gehe zum V8 zurück und komme dort mit ein paar Kollegen ins Gespräch.
…
Um 20:00 Uhr klingelt mein Telefon. ”Na du. Schon wieder unterwegs?” ”Nö. Ich bin da, wo ich vor vierundzwanzig Stunden auch schon stand.” ”Na klasse.” ”Ich möchte wette, dass ich sofort weiter könnte, wenn mir unauffällig ein Briefumschlag im Büro runterfällt. Aber um ehrlich zu sein hab ich kein Bock dieses korrupte System zu unterstützen. Mir schenkt auch keiner was.” ”Hej, reg dich nicht auf. Wir wissen beide dass es so ist. Ich würds genauso machen wie du… Aussitzen, solange es die Zeit erlaubt.”
Als wir auflegen ist es bereits 22:00 Uhr. Ich beschließe mich schlafen zu legen und stelle mir den Wecker vorsichtshalber auf 06:30 Uhr.
Mittwoch, immer noch Grenze bei Krasnaya Gorka.
Um 06:30 Uhr meldet mein Wecker sich. Linkes Auge auf. Rechtes Auge auf. Beide wieder zu. Mein Wecker klingelt immer noch. Na gut… dann steh ich halt auf. Regen trommelt aufs Dach. Na supi. Rumstehen und schon wieder Regen. Dieses Jahr scheint es nur die Jahreszeit ‚Regenzeit‘ zu geben. Naja, nicht ganz, aber doch sehr ausgeprägt.
Ich esse in Ruhe Frühstück.
…
Ich vernichte inzwischen die zweite Tasse Kaffe als es um 08:00 Uhr an der Fahrertür klopft. ”Baltic Transport???” ”Ja, für die bin ich unterwegs.” Ohne weitere Worte lässt mich der Zollbeamte zurück. Was war das jetzt gerade?
Mein Telefon klingelt, die Büronummer von Yanaa auf dem Display. ”Christian hier.” ”Heyho. Ich bins, Yanaa. Ich wollte mal horchen wo du steckst.” ”Inzwischen den zweite Nacht an der Grenze zu Weißrussland. Gerade eben war ein Beamter da, fragte mich nach dem Auftraggeber und hat mich aber gleich wieder wortlos stehen lassen. Kein Plan was da gerade abgegangen ist. Mal schauen, wann die in die Pötte kommen.” „Hmm. Ich drück dir die Daumen. Hoffentlich lassen die dich da nicht ne ganze Woche zappeln.” In dem Moment steht der Zollbeamte wieder am V8 und deutet mir mitzukommen. ”Yanaa, der Zöllner deutet mir gerade an das ich mit ins Büro soll. Wir hören uns später nochmal.” ”Ist ok. Bis später.”
Im Büro geht es jetzt erstaunlich schnell. Nach Zahlung eines Gebührenbescheids und einer Unterschrift wird mir die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt.
Zurück am V8 mache ich meine Abfahrtskontrolle und rolle dann Punkt 10:00 Uhr am Schlagbaum vorbei. Zwei Kilometer später werde ich noch einmal am weißrussischen Zoll ausgebremst. Dort wirft man aber nur einen Blick auf den Container. Verplombt. Ich darf weiterfahren. Ich beschleunige auf 85km/h und stelle den Tempomaten dann auf diese Geschwindigkeit. E30 immer gen Westen, der Beschilderung erst in Richtung Minsk und später dann in Richtung Brest folgend.



…
Kurz nach 19:00 Uhr, achteinhalb Fahrstunden auf der Karte, beschließe ich dann Feierabend zu machen. Bis zur Grenze nach Polen sind es noch knapp einhundert Kilometer. Zu viel um heute noch dort anzukommen ohne zu überziehen. Den zweiten Zehner für die Woche hebe ich mir lieber noch auf.
Ich rolle nach rechts auf den Grünstreifen aus. Einmal über die Straße ist das Cafe Valentina und ein Vierundzwanzig-Stunden Supermarkt. Letzteren nutze ich zuerst einmal um meine Vorräte ein bisschen aufzufüllen. Was auf den Verpackungen draufsteht kann ich nur Erahnen – meine Russischkenntnisse tendieren gen Null. Aber anhand der
‚Serviervorschläge‘ lässt sich ja vieles zuordnen. Nach dem Einkauf gehe ich ins ebenfalls rund um die Uhr geöffnete Cafe Valentina. Ich werde von der Bedienung freundlich begrüßt. Ich bestelle mir einen Kaffee und etwas zu Essen.
…
Es ist 22:00 Uhr als ich zurück zum Scania gehe. Zähne putzen und den kleinen Toilettengang erledige ich am Grünstreifen – im Cafe gab es für die Kunden kein WC. Dafür war das Essen lecker und die Preise niedrig. Es waren außer mir noch weitere Fahrer im Cafe mit denen ich ins Gespräch gekommen bin. Die Einladung zu einem Bier habe ich auch nicht abgelehnt.
Ich schaue auf mein Telefon und sehe, dass Sandra schon zwei mal angerufen hat. Wie so oft habe ich das Telefon zur Pause einfach im Scania gelassen. Ich drücke die Rückruftaste und nach kurzem Klingeln nimmt Sandra ab: ”Na du. Immer noch in Russland auf Warteposition?” ”Nö. Inzwischen etwa 100 Kilometer vor Polen. War gerade Abendbrot essen.” ”Und bist dabei am Tisch eingeschlafen?” ”Nööö. Mit anderen Fahrern ins Gespräch gekommen und zum Bier eingeladen worden.” ”Achso.”
Wir quatschen noch gut zwanzig Minuten über den Tag. Nach dem Auflegen mache ich die Gardinen zu und lege mich hin.
…
Donnerstag, irgendwo in Weißrussland an der M1.
Wieder einmal ist es 04:00 Uhr als ich vom Wecker aus der Koje geworfen werde. Nur der Klingelton wundert mich – erinnert mich irgendwie an einen Song aus dem Film ‚Die Pinguine aus Madagascar‘. Keine Ahnung was ich da wieder eingestellt hab nachdem mir mein Telefon gestern früh einmal abgestürzt war.
Ich gehe kurz rüber ins Kaffee Valentina und lasse mir ein paar belegte Brötchen geben und meine Kanne mit Kaffee auffüllen. Die Bedienung ist die selbe wie vom Abend. ”Bist du der Fahrer von dem schwedischen Truck da draußen?” ”Ja. Wieso?” ”Ach nur so… Ich find dich irgendwie süß. Und dein Scania sieht schick aus.” ”Danke für die Blumen. Aber bevor du dich in etwas verennst… ich bin Trucker. Stets unterwegs.” ”Wie so viele, die hier anhalten um bei uns zu essen.” „Wahrscheinlich. Aber wie gesagt… verenn dich nicht. Meine Frau ist nämlich der selben Meinung wie du.” Ich sehe wie ihr Lächeln einem enttäuschtem Gesichtsausdruck weicht. Ich verabschiede mich und mache mich auf den Weg zur polnischen Grenze, wo ich gegen 06:30 Uhr meine Anmeldung am Zoll vornehme.


Nur zwei Stunden später bin ich dann wieder in der EU angekommen. Der Weg führt mich über die E67 und die E77 in Richtung Danzig.

Bevor ich los gefahren bin habe ich noch einen Blick in die Karte geworfen. Wenn nichts dazwischen kommt sollte ich die Fähre am Abend erreichen. Entsprechend habe ich mir ein Ticket für die Überfahrt nach Karlskrona gebucht – natürlich mit der Option gegebenfalls auch eine spätere Abfahrt nutzen zu können.
…
Meine Rechnung ist aufgegangen. Unterwegs gab es keine Behinderungen. Mit einer Tagesfahrzeit von knapp unter zehn Stunden rolle ich im Fährhafen auf die Warteposition.
Ich wähle Sandras Rufnummer. Keine Antwort. Hmmm…. Momentos. Donnerstag? Dann könnte sie mit Tania zusammen gerade wieder beim Sport sein. Ich schreibe ihr also nur eine kurze Nachricht, dass ich nachher auf der Fähre gen Schweden bin.
…
Freitag, Karlskrona.
Mit einer kleinen Verspätung legt die Fähre im Hafen von Karlskrona an. In der Ferne sehe ich zwei dunkelgrüne Scania mit Containerchassis – zwei von meinen Fahrern aus der Niederlassung Malmö. Ich fahre auf die E22 in Richtung Kristianstad.
…
Um 12:00 Uhr erreiche ich Helsingborgs Hamn. ”Moin. Ich soll bei euch die Dose vom Chassis pflücken lassen.” Ich gebe die Papiere über den Tresen. Einen Augenblick später bekomme ich eine Spur zugewiesen. Dort angekommen öffne ich die Verriegelung und schon schwebt der Container am Kran davon.
Mitdem leeren Chassis fahre ich nach Malmö zur Niederlassung. Ich tanke den V8 auf. Nach dem Waschen und Aussaugen des Innenraums hat dieser dann Wochenende. Ich gehe noch ins Büro und rufe bei Yanaa an um ihr die Ablieferung des Containers mitzuteilen.
…
Samstag, Malmö.
Am Abend hatte ich noch fix die Wäsche der vergangenen zwei Wochen in die Waschmaschine gestopft. Durch das Warten darauf ist es dann etwas später geworden als ich gedacht hatte. Mein Wecker meldet sich heute daher erst um 08:00 Uhr. Noch fünf Stunden bis ich in Odense sein will.
Ich frühstücke in Ruhe und überlege ob es Sinn macht heute Anzug und Krawatte anzulegen. Die Idee verwerfe ich aber schnell wieder. Zum einen kennt mich der Bär eh in Zivil, da ich zuletzt mit dem Actros bei ihm war. Zum anderen fällt mir ein, dass der Anzug eh in Uppsala liegt.
Ich hatte mir vor einiger Zeit aus Jux und Dallerei mal einen Mercedes AMG S600 gekauft und diesen in der Malmöer Niederlassung untergestellt. Mit diesem mache ich mich jetzt auf den Weg.

E20 Richtung Kopenhagen. Ich fahre über die Øresundbrücke – vom Wasser sehe ich aber aus der niedrigen PKW-Sitzposition heraus nicht viel. Auch auf der Storebæltsbroen verdecken die Leitplanken den Blick.
…

Gegen 13:00 Uhr – also pünktlich wie angekündigt – lenke ich den Benz auf den Hof von EISITRANS|europe. Ein paar seiner Fahrer sind gerade dabei ihre Trucks zu waschen bzw. auszusaugen. Ich grüße kurz rüber und geh in Richtung Bürogebäude. Es riecht nach Kaffee.
”Moin. Ich glaube hier bin ich richtig.” Der Bär begrüßt mich und stellt mir die Anwesenden vor – seine Frau Petra und zwei Büromädels. ”Hier haste nen Kaffee. Lass uns mal in den Wohnzimmerbereich rüber gehen.” Ich folge ihm.
Wir sprechen erst mal wegen seiner Trailer für Düsseldorf. Dann erzählt mir der Bär, dass er vor kurzem einen Abraumbagger fahren musste. Da dieser aber unter keine Brücke passt musste er über Felder fahren. Mit einem leicht mißmutigem Klang in der Stimme erzählt er von einem sturen Landwirt, dem Geld scheinbar wichtiger
war als alles andere. Ich höre mir die Story an, sage aber erstmal nichts dazu. Ende vom Lied war der Kauf des Hofes samt dazugehörender Felder. “Nun habe ich den Hof mit allen Ländereien.Ich plane dort derzeit ein neues Logistikzentrum. Die
Bauarbeiten laufen seit einigen Tagen und mein Exchef, der Herbert aus Köln, fährt ab und zu schauen wie es aussieht. Bisher wird gebaggert und die sind noch nicht auf der errechneten Tiefe. Hättest du auch Interesse an Stellplätzen für Trailer, Trucks oder Waren?“ Ich runzele die Stirn – ein Zeichen dafür dass ich über etwas intensiver nachdenke. ”Vorstellen kann ich mir das schon. Die Anfragen für den Bereich Warehousing werden immer mehr. Und auch der Bereich Trailerrental wächst. Hamburg wird dafür zwar der Hauptstandort bleiben, aber die Stellplätze dort sind doch ziemlich begrenzt. Ich muss da mal mit Sandra drüber sprechen und gebe dir dann Bescheid.”
Der Bär berichtet dann noch weiteres zu dem Projekt und auch das er Investoren aus dem Ausland hat, die das Ganze unterstützen. Namen nennt er dabei nicht. Aber das ist auch egal.
…
Mit dem Wissen dass ihm das von uns vorgeschlagene Design für die KRONE-Planenauflieger und auch der Entwurf für die fünfzehn Chereau-Kühler – die er inzwischen bestellt hat – gefällt verabschiede ich mich vom Bär, seiner Frau und den Büromädels. Auch die Fahrer sind noch da und sind immer noch mit der Wagenpflege zugange. Ich grüße, wie bei der Ankunft, einmal über den Hof und setze mich in meinen Benz.
Der Besuch hinterlässt bei mir den positiven Eindruck, dass es hier recht familiär zugeht und die Firma mehr ist als nur Arbeit. Mit anderen Worten ausgedrückt: Hobby und Lebensaufgabe – wie bei Sandra und mir.
Als ich vom Hof fahre sehe ich im Rückspiegel wie mir die Fahrer hinterherschauen. Im Radio setzt in dem Moment der Song ‚Euphoria‘ der Gruppe ‚emil bulls‘ ein…
