Kapitel 31 – One Way Ticket

Montag, 22.04.2019

Heute war der Tag. Wir fuhren zu Isaacs Wohnung, luden seine Sachen auf, dann weiter zur Lagerhalle mit meinen Sachen. Dort kam mein Umzugsgut noch dabei und ich packte mir den Camper auf die Ladefläche und den Anhänger mit dem Rennwagen dahinter. Das Motorrad war mit im Trailer, aber nicht alleine, denn auch Isaac war Biker. Also konnte die Yamaha MT-03 da drin Isaacs Buell XB9SX Lightning City Gesellschaft leisten.

Und dann kam der Moment, wo es galt, Abschied zu nehmen. Verglichen zu den schönsten Zeiten war es eine kleine Runde. Tristan war natürlich gekommen. Vom ersten Moment in Philadelphia an, als ich meinen Oldsmobile Kombi hinter seinem Umzugswagen abgestellt hatte und wir uns das erste Mal gegenüber standen, hatte es zwischen uns geklickt. Egal was passierte, mit ihm hatte ich den Freund gefunden, den man alleine in der Ferne brauchte und das hatten wir uns mehrmals gegenseitig bewiesen. Erst in den letzten Monaten, als auch er berufsbedingt viel Zeit nicht zu Hause verbrachte, klappte das nicht mehr. Aber bei ihm wusste ich, dass er eines Tages an meiner Tür klopfen würde. „Hallo, wir bauen 200 Meilen von hier eine Brücke und da dachte ich, ich schaue mal am Wochenende vorbei!“

Ralph war mein zweiter Kontakt gewesen, damals als Dispatch bei Costco. Er war eine stille Natur und so auch als Freund immer eher unauffällig gewesen. Aber wenn ich zu Hause war und nicht wusste, was ich abends machen sollte, war es ein Anruf und kurz danach saßen wir in einer Bar, standen an einem Billardtisch oder vor einem Dartboard. Ansonsten war aus dieser Gruppe niemand hier erschienen, was mich doch etwas enttäuschte. Sie meinten wohl, dass der Abend in der Bar vor ein paar Tagen genug des Abschieds war.

Und die Streetclimber-Gruppe war zerbrochen. Jamie, Hayden und David hatten mir lediglich noch mal über die sozialen Medien geschrieben, dass sie sich über meine Genesung freuten. David immerhin noch auf meine Ankündigung hin, Philadelphia zu verlassen, alles Gute an der Westküste gewünscht. Caleb und Connor kamen natürlich auch hier her, schließlich war Caleb mit sowohl Ralph als auch Tristan gut befreundet.

„Also, Jungs. Macht es gut. Wir hören uns und wenn ich mal in Philadelphia bin, werden wir uns auch bestimmt wiedersehen.“ Isaac kletterte in seinen T680 und ich in den Silverado. Wir starteten die Motoren. Getriebe auf D – ja, mit meiner Häme schaltete auch Isaac auf D und nicht in 1 oder 2L – und Abfahrt in eine zwar nicht so riskante Zukunft wie damals, aber wieder mal eine mit einigen Unbekannten in der Gleichung.
Die Fahrt begann gleich mit der ersten Erinnerung an die Vergangenheit. Um in Manayunk auf die I-76 zu kommen, mussten wir an der Halle vorbei, die mal meine gewesen war.

Kurz danach passierten wir die Stadtgrenze, wie so oft zuvor. Aber diesmal war es ein anderes „Sie verlassen Philadelphia“, ein endgültigeres, das mich nur zu Besuch oder zu einer Ladestelle wieder hier her führen würde. „Wie schnell kannst Du fahren?“ „Keine Ahnung, ob der einen Ontario-Begrenzer hat. Ich werde es herausfinden.“ Weil der T680 mit 405 PS und zwei Hausständen eher unterfordert, mein Silverado mit Camper und Autotransportanhänger dagegen traditionell am oberen Ende seiner Leistungsfähigkeit belastet war, zog mir Isaac also erst mal bei seinem Selbstversuch davon.

Wir einigten uns, da sein Kenny offen war, auf 70 mph. Das war die Geschwindigkeit, bei der mein Autoanhänger noch ruhig lief. Wahrscheinlich lag das an dem Rennwagen und seinen Spoilern, die die Verwirbelungen des Campers beruhigten und den Anhänger auf die Straße drückten, denn im Internet gab es Leute, die sich beschwerten, solche Gespanne würden schon bei 60 anfangen zu schlingern.

Die nächste Erinnerung überkam mich an der I-81 Intersection, wo damals mein Mack Superliner sein Leben ausgehaucht hatte. Dann klingelte mein Handy, ich nahm über die Freisprecheinrichtung an. „Hallo Randy.“ „Hallo Brandon. Ihr seid unterwegs?” “Ja, seit über einer Stunde. Gerade an Harrisburg vorbei.“

„Und, traurig?“ „Halb. Es war eine tolle Zeit hier, ich habe viel erlebt und werde vieles vermissen. Aber ich freue mich auch auf die Zukunft.“ „Und Du wirst Dich da gut einleben. Du lernst unglaublich schnell Leute kennen, da beneide ich Dich ein Bisschen drum.“ „Und ich muss nicht mal sofort jemanden kennen lernen wie damals. Isaac ist mit dem LKW in meinem Rückspiegel zum gleichen Ort unterwegs. Ich kenne Brian persönlich und so ein ganz normaler Kommando-Chef ist der bestimmt nicht geworden. Im Prinzip war er ja schon vorher mein Chef.“ In Europa war das, was ich mit CAT gemacht hatte, sogar strafbar, weil es gegen die Sozialgesetze verstieß, ein Unternehmen so unter einen einzigen Auftraggeber zu stellen, als wäre man dort angestellt. Nach deren Gesetzgebung wäre Brian also wirklich mein Vorgesetzter gewesen.
„Und in einer so international vernetzten Welt ist ja auch vieles einfach. Auch wenn ich mal alleine war, bin ich nie einsam gewesen. Ich hatte Dich, ich hatte Christian und seit Sommer hatte ich vor allem Marius.“ „Marius?“ Ich nannte seinen Urbexer- und Youtubenamen. „Schon klar. Aber mit dem?“ „Ja, vermutlich sogar mehr als mit jedem anderen außer Dir. Wir sind nicht nur durch die kompletten USA zusammen gefahren und dabei ein paarmal geklettert. Da wir beide keine einfache Jugend hatten, haben wir auch viel miteinander gesprochen und uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet. Gerade was das angeht, weiß er vermutlich sogar mehr über mein Inneres als Du, obwohl Du es damals live miterlebt hast.“ „Krass. So kommt der gar nicht rüber.“ „Sein Youtube-Kanal und das coole Gehabe auf schmalen Trägern und hohen Kanten ist nur Fassade. Sobald die Kamera aus ist, wird ein verunsicherter und schüchterner, junger Mann aus ihm.“ „Okay…“
„Den Youtube-Typen würde ich nicht mal kennen wollen. Aber der Marius ohne laufende Kamera ist ein echter Freund. Ich habe ihn aufgebaut, als sein Kumpel Ende des Jahres ins Ausland gezogen ist und er dadurch ziemlich runtergezogen wurde, dass ihm vor Ort in Kaunas nur noch eher oberflächliche Freunde blieben. Und dafür war er vermutlich neben Dir der zweite, der mich nach Wesleys Unfall bis zu meinem Brückensturz im Wortsinne am Leben gehalten hat.“ Und er hatte sich auch Sorgen nach meinem Unfall gemacht. Mein Youtube-Postfach war voll von seinen Nachrichten, als ich plötzlich nicht mehr aktiv war und auch bei den anderen aus der Gruppe nicht mehr in den Videos auftauchte. Viel mehr als „Er lebt noch!“ hatte David nach dem Streit in der Gruppe ihm aber auch nicht geantwortet. Und wenn man so was wie Gefühle aus Textnachrichten und wie sie verfasst waren erkennen konnte, dann auch seine Erleichterung, als ich ihm letzte Woche dann endlich geantwortet hatte.
„Das wusste ich gar nicht. Aber schön, wenn Ihr um die halbe Welt so sehr für Euch da seid. Die gemeinsame Fahrt und das Wochenende beim Bergrennen schien es ja eher eine Zweckgemeinschaft mit Schwierigkeiten zu sein.“
 „Die Schwierigkeiten gab es und sie haben uns am Ende glaube ich überhaupt erst an den Punkt gebracht, den anderen zu hinterfragen und uns unsere unrunden Lebensläufe zu erzählen.“ Ich erzählte Randy so viel, wie er wissen musste. Dann verabschiedete er sich, weil er am Büro angekommen war und Geld verdienen musste.

Es war schon weit nach Mittag, als wir zur ersten Pause an North Somerset Service Plaza (PA) raus zogen. „Ich würde sagen, wir kochen heute Abend mal kanadisch? Pâté Chinois ist wenig Arbeit und macht nach so einem Tag wie heute auch gut satt.“ „Gerne.“

„Ich würde jetzt noch so 6 Stunden am Stück durch ballern. Wenn Dir das zu viel ist, sag Bescheid.“ 
Wir hatten Funk dafür, in meinem Silverado war ein CB-Gerät, die Miettrucks hatten meistens keine, aber Isaac hatte eine Handquetsche mit externem Schnurmikrofon. „Noch eine Pinkelpause können wir aber einlegen. Meine Fernfahrerblase kriegt das auch ohne hin.“ „Nicht wegen mir. Ich war in der Army. Da musst Du aufs Klo, wenn Du den Befehl kriegst und du musst nicht, wenn Du keinen kriegst.“

Wir passierten die Grenze nach Ohio und damit verließen wir unsere Heimat Pennsylvania. Weder Isaac noch ich war hier geboren, er kam ursprünglich aus Reno (NV), war aber mit seinen Eltern als Baby hier her gekommen. Und beide hatten wir uns dort wohl gefühlt, aber für beide hatte das Leben wohl was anderes vor.

„Wenn Engel reisen, weint der Himmel“ hatte meine Oma immer gesagt und kaum waren wir 10 Meilen in Ohio, begann es zu regnen. Das blieb für den Rest des Tages auch so, bis wir vor South Bend (IN) gegen 9 PM CDT auf dem Henry Schricker Travel Plaza Schluss machten.
Issac sah ziemlich geschafft aus: „Hätte nie gedacht, wie anstrengend es sein kann, nur zu sitzen und zu fahren. Auch in den paar Wochen mit Deinem Truck war das anstrengend.“ „Gewohnheitssache. Ich merke aber auch, dass ich nicht im Training bin. Wenn Du was gesagt hättest, dann wären wir aber schon früher raus.“ „Nein, war noch okay. Aber wenn Du nicht hier angekündigt hättest abzufahren, dann hätte ich was gesagt.“
Isaac nahm eine Stahlkassette mit NRA-Siegel aus dem Fahrerhaus mit in den Camper. „Was ist da drin?“ „Meine Pistole und die passende Munition. Das ist eine Berufskrankheit ehemaliger Soldaten. Ohne Feuerwaffe fühlen sich viele von uns quasi nackt.“ „Du brauchst Dich nicht zu rechtfertigen. Auch wenn ich Schusswaffen eher nicht so sehr mag, bin ich auch nicht wehrlos in diesem Land unterwegs.“ Ich hielt das KA-BAR hoch, das in jedem meiner Fahrzeuge und in jedem Zimmer, in dem ich wohnte, seinen festen Platz hatte. „Ein echtes Tactical Mark 2? Cool!“ Tactical Combat Knife Mark 2 war die offizielle Bezeichnung bei den Streitkräften.
Erst mal mussten wir noch ein paar Zutaten für die Pâté kaufen und dann hieß es Küchendienst. Nach einem leckeren Abendessen gingen wir noch unter die Dusche und dann recht schnell ins Bett. Erst die Möbel von zwei Haushalten schleppen und dann auch noch eine volle Tagesschicht und etwas mehr fahren war doch eine Menge. Und ich war körperlich für die Möbel noch weniger in Form gewesen. Das könnte morgen ein lustiger Tag werden.


Dienstag, 23.04.2019

In der Tat spürte ich einige Muskelpartien deutlich, als ich aufwachte. „Dann hilft am besten eine Runde leichter Sport, um die Muskeln gleich wieder zu bewegen!“ Isaac zog sich Sportsachen und Laufschuhe an. „Wenn Du meinst.“ Ich nahm dennoch eine weite Jeans und ein Sweatshirt, dazu sportliche Straßenschuhe mit dicker Gelsohle und Greifhandschuhe. „Was wird das denn?“ „Andere Sportart. Freerunning.“ Während er den Weg von den Angestelltenparkplätzen hinter dem Rasthof zur Straße und zurück joggte, machte ich am Tor in der Hintereinfahrt, ein paar Betonsperren und der Laderampe hinter dem Supermarkt wieder erste, einfache Freerunning-Übungen.
Danach gab es also wieder Dusche, Frühstück und um 7:33 AM waren wir wieder unterwegs. Die erste Etappe dauerte aufgrund einer Sehenswürdigkeit am Rande der Interstate 80 nur knapp 4 Stunden.

Einerseits musste Isaac sowieso den Tank des Kenworth auffüllen. Ich hatte meinen Chevy schon gestern Abend betankt. Ich tankte aber auch hier noch mal nach, damit wir dann immer gleichzeitig tanken konnten, wenn bei mir leer war. Und danach gingen wir in den Iowa 80 Truck Stop, aßen einen Hotdog und schlenderten ein Bisschen durch Shop und Museum. 1:20 Stunden war zwar zu wenig Zeit, aber wir wollten ja noch mal irgendwann ankommen.

Gegen 4 PM erreichten wir Omaha. Hier war die Stadt, wo aus einem Beifahrer erst mal ein arroganter Schnösel und aus seinem Fahrer ein rachsüchtiger Idiot wurde, nur damit sie sich im Fahrerlager einer Bergrennstrecke in Virginia gegenseitig ihr Herz ausschütten konnten. Marius und sein Kumpel waren weiter gute Freunde, wenn auch inzwischen räumlich in Kaunas und London voneinander getrennt. Marius hatte ihm gesagt, was er für ihn empfand, aber sein Freund konnte die Gefühle nicht erwidern. Es hatte ihrer Freundschaft aber nicht geschadet. Danach hatte sich Marius allerdings erst mal per Skype bei mir ausheulen müssen.

Heute blieben wir unter 11 Stunden Lenkzeit, um 8:28 PM war in North Platte (NE) am Flying J Travel Center Schluss. Jetzt sollte es Nudelauflauf geben, ein kleines kulinarisches Andenken an meine deutsche Gastmutter. Während wir das Essen vorbereiteten, klingelte das Handy und weil es sich automatisch im Soundsystem des Campers einloggte, war es auf Lautsprecher. Das war vor allem praktisch, wenn man fettige Hände hatte.
„Hallo! Brandon hier.“ „Hallo Brandon, hier ist Brian. Klingt nach Kochstunde.“ „Hallo Brian, bitte keine geheimen Details zum Arbeitsvertrag oder so. Ich habe Gesellschaft.“ „Bestimmt nicht, sonst lacht noch jemand über meine miese Bezahlung.“ Das war sie meines Erachtens und meiner Nachforschungen zum ortsüblichen Level nicht. „Soll ich später anrufen?“ „Würde nix bringen, erst morgen bei der Fahrt wieder. Mein Mechaniker hatte den gleichen Umzugsweg, weil er die Werkstatt von seinem Onkel übernimmt. Also teilen wir uns einen LKW-Trailer für unsere Möbel, den er fährt und ich fahre meinen Pickup.“
„Wenn Du mir jetzt erzählst, dass Du mit dem Neffen vom alten Jonathan Mackay Zwiebeln schälst, glaube ich nicht mehr daran, dass die Erde 25,000 Meilen Umfang hat. Die muss dann kleiner sein!“ 
„Nein, wir haben uns die Arbeit gerecht aufgeteilt. Er schneidet Zwiebeln und ich reibe Käse.“ „Grüß mir Onkel Jon von seinem Neffen Isaac, wenn Du ihn vor Freitag siehst! Woher kennst Du den?“ „Dreimal darfst Du raten, wo Brandons Zugmaschine diese Woche noch hin geht, um vor der Übergabe eine professionelle Grundreinigung und eine Inspektion zu kriegen…“
Brian fragte mich, ob unsere Ankunft bei Freitag blieb, weil er mich schon am Freitag treffen wollte. Immerhin hatte ich schon fürs Wochenende ein paar Besichtigungstermine vereinbart. Wenigstens hatte ich bei einem Haus auch die Möglichkeit, Camper und Rennwagen auf dem Grundstück abzustellen. Wohnungen gab es in der Stadt sowieso recht wenige. Städte unter 100,000 Einwohner in den USA waren meistens ziemlich zersiedelte Einfamilienhaus-Teppiche in der Landschaft.

Mittwoch, 24.04.2019

Mein Drill Instructor animierte mich wieder zum Frühsport. Weil es hier eher wenige Hindernisse gab, beschloss ich, mit ihm zusammen zu joggen. Isaac verzweifelte zwar einerseits daran, dass ich eh schon langsamer war als er und es nicht sein lassen konnte, auch noch unterwegs eine Werbewand anzulaufen und einen Wandsalto zu machen. Andererseits bewunderte er mich aber auch für diese Aktionen. „Kannst Du das nicht?“ „Nein, man steht hinterher wieder da, wo man abgesprungen ist und hat Energie verbraucht. Also ist sinnlos, das beim Militär zu trainieren.“ Um meinen Wasservorrat zu schonen, ging es danach zum Duschen in den Truck Stop.

Eine Schüssel Cerealien mit Obst später machten wir uns wieder auf den Weg. Isaac blieb auf der Rampe zur Interstate fast stehen und sofort hörte ich ihn wütend über Funk. „Jedes Mitglied der Streitkräfte, das in ein Kriegsgebiet entsendet wird, muss ein Seminar mitmachen, wo man lernt, keine Dummheiten zu begehen, wenn Dir zum Beispiel in Kabul ein Teenager Details zum Beruf Deiner Mutter zuruft, während Du eine geladene Maschinenpistole in der Hand hast! Sollte mir jemals der Typ gegenüberstehen, der die Eaton Ultrashift erfunden hat, dann kann er aber so was von dankbar sein, dass ich dieses Seminar mitgemacht habe!“
Dass das eine Menge Leute mitgehört hatten, schien er nicht bedacht zu haben. Jedenfalls war einiges Gelächter auf dem Funk. Eine Stimme mit hartem deutschen und latentem kanadischen Akzent kommentierte es: „Ja, das Ding ist Kacke! Ich habe hier auch eine drin. Aber dass Ihr Amerikaner immer gleich ans Schießen denken müsst.“ Ich beschloss, noch ein Bisschen Öl ins Feuer zu gießen: „Hast Du bei der Autovermietung nicht gefragt, ob sie vielleicht einen schönen Mack Titan mit Maxitorque für Dich haben?“ „Okay, Du hast gewonnen. Wenn es irgendein Schaltgetriebe mit der Ultrashift aufnehmen kann, dann das Maxitorque.“ „Ich weiß, ich hatte auch schon beides.“ Ob man die Lottozahlen ziehen wollte oder versuchte im Maxitorque einen Gang einzulegen, kam ungefähr aufs Gleiche raus.

In Nebraska und Wyoming gab es wie gewohnt nicht viel zu sehen. Dank Zeitzonenwechsel war es für uns schon nach 12, als wir um 11:08 AM Ortszeit am Akal Travel Center für die beste indische Küche, die mir in Nordamerika je begegnet war, anhielten. Wir nahmen beide ein Hähnchencurry, allerdings mit verschiedenen Soßen. Während meins mild-süß mit einer cremigen Mangosoße war, hatte sich Isaac für die Version Marke „Feuerschlucker“ entschieden. Mit der Todesverachtung eines ehemaligen GI zwängte er es in den Magen, fragte mich aber auf dem Weg zu den Fahrzeugen ganz scheinheilig nach einem Dessert und nahm dankbar einen Vanillepudding aus dem Kühlschrank des Campers an. Schon klar, mein Freund. Da mein Essen süß genug war, gönnte ich mir als Nachtisch ein paar geröstete Cashewkerne.

Heute überzogen wir, da niemand nach einer Pause fragte, die 11 Stunden wieder etwas. Dann allerdings meldete sich Isaac vor der Abfahrt East Wells: „Hier bitte runter.“ „Warum? War es lang genug?“ „Auch das, Fahren wird auch langsam anstrengend. Aber der Colonel hat Pinkeln befohlen.“ „Okay. Ich sehe drei Masten. Flying J ist eigentlich mein Favorit, Love’s und Petro US sind aber auch okay und Rabatt kriege ich eh keinen mehr irgendwo.“ „Das, wo wir am schnellsten sind! Hauptsache es gibt ein Klo.“ Also wurde es Petro, denn die hatten eine direkte Abfahrt, die beiden anderen gingen über die große Abfahrt mit Ampel, Abiegen und Brücke unter der Interstate durch.
Dank der reichhaltigen Mahlzeit heute Mittag bei Akal gab es jetzt nur noch Sandwiches. Dann ging es vor den Fernseher und schließlich ins Bett.

Donnerstag, 25.04.2019

Der Morgen wurde langsam zur Routine. Frühsport, Dusche, Frühstück, Losfahren. Heute durfte allerdings Isaac wieder alleine joggen. Ein Paradies aus Eisenrohr-Zäunen, Betonpfosten und Stützpfeilern ergab hier ein perfektes Übungsgelände für mich. Von alter Kondition war aber genauso wenig zu merken wie im Badezimmerspiegel von altem Körperbau. Um 07:23 AM lösten wir die Bremsen.

Weiter als Osino kamen wir aber erst mal nicht, denn die Waage war offen, die erste überhaupt auf der Tour. Ich griff zum Funkgerät: „Du bist zwar kein Commercial Driver im Sinne der Lenkzeitüberwachung, weil wir keinen bezahlten Auftrag fahren, aber Du unterliegst den gleichen Achslastregeln und so. Also musst Du raus und zur Waage. Einen Transponder habe ich nicht in Deiner Zugmaschine gesehen. Ich lasse mich so weit zurückfallen, dass Du mir sagen kannst, was sie wollen. Wenn Sie Dich ganz raus ziehen, dann komme ich mit rein.“
Es passierte natürlich das, was man bei diesem Gespann erwarten konnte und nach nicht mal 40 Minuten standen die Räder wieder still.

Nimm die Fahrzeugpapiere mit und Deine vorbereiteten Papiere.“ Ich hatte eine vergleichbare Mappe gemacht. Bei Isaac waren ein Brief von seinem Onkel drin, dass er die Werkstatt überschrieben bekommen sollte, dazu sein alter Arbeitsvertrag und die Abmeldebescheinigung von der Stadtverwaltung in Philadelphia. Ich hatte den Vertrag von Brian dabei, meine Abmeldebescheinigung und die Verkaufsverträge der Lizenzen, die bescheinigten, dass ich dort ein Unternehmen aufgelöst hatte.
„Guten Morgen, Sir!“ Isaacs zackige Begrüßung machte Eindruck. Fehlte nur noch, dass er salutierte, aber um den Reflex auszulösen war eine Highway Patrol Uniform wohl die falsche. „Guten Morgen, Sir!“ „Guten Morgen! Ich bin Officer Miller!“ An mich gewandt, den er hier nicht rein gebeten hatte: „Und wer sind Sie?“ „Der Fahrer des Silverado und die zweite Hälfte des Umzuges. Außerdem berufsbedingt routinierter mit Wiegestationen als er.“
„Dann können Sie sich ja denken, warum wir den Truck rausgeholt haben?“ 
„Lassen Sie mich raten. Daycab, 28‘ Einachsauflieger, Mietfahrzeug, das alles aber mit Zulassung in Pennsylvania zu weit weg für Nevada.“ „Alles korrekt. Umzug sagten Sie? Ist das keine gewerbliche Fahrt?“ „Nein, Sir. Wir sind Bekannte aus Philadelphia und haben am gleichen Ziel Arbeit bekommen. Also haben wir gemeinsam einen Truck mit kleinem Trailer gemietet.“ „Können Sie das belegen?“ Wir gaben ihm die Unterlagen und Isaac musste logischerweise auch seinen Führerschein vorlegen, dass er eine CDL-A für dieses Gespann hatte.
„Ich muss den Truck dennoch kontrollieren. Und wenn Sie so freundlich sind, hier anzuhalten Ihren gleich mit.“ Also gingen wir raus, da wir zu zweit waren, mit insgesamt 3 Polizisten. „Erste Standardfrage, bevor wir da sind. Haben Sie Waffen in Ihren Fahrzeugen?“ „Ja, Sir!“ „Gut, fangen wir beim Pickup an. Was?“ „Ein Kampfmesser, Sir!” Das Kunai erwähnte ich lieber nicht, Wurfmesser waren nicht überall legal. Außerdem lag es irgendwo in irgendeinem der Umzugskartons auf dem Trailer und da auch nicht gerade oben drauf. „Okay, geben Sie es mir langsam und Griff zu mir!” Ich kannte die Prozedur inzwischen. „Legierungsstempel, kein Militärbestand. Okay.“ Er gab es mir wieder zurück, so dass ich die Scheide auf der Klingenseite greifen musste. Dann prüfte er noch, ob der Camper und der Nissan sicher auf dem Gespann verzurrt waren und ließ mich einen Lichttest machen. „Sie fahren bei der Ausfahrt noch über die Waage!“ „Ja, Sir!“
Dann ging es zum Kenworth: „Ihre Waffe?“ „Trommelrevolver in einer verschlossenen Cassette, Sir!“ Mit den Pistolen der beiden anderen Polizisten auf ihn gerichtet, öffnete Isaac die Cassette und übergab seine Schusswaffe Hand am Lauf: „Trommel Null Patronen, Pistole entspannt und gesichert, Sir!“ „Sie waren bei den Streitkräften, oder?“ „Ja, Sir!“ „Man merkt es an der vorschriftsmäßigen Übergabemeldung. Und kaum einer kommt auf die Idee, eine entladene Pistole zu sichern, bis mal versehentlich einer beim Einlegen des Magazins oder Schließen der Trommel losgeht.“ Die Pistole musste anhand ihrer Seriennummer geprüft werden, weshalb Miller die Daten per Funk in das Häuschen durch gab. Außerdem sah er nach, ob wirklich keine Patrone eingelegt war, denn das war in Nevada wie in vielen Staaten verboten, wenn man eine Schusswaffe in einem Fahrzeug transportierte.
Dann ließ er auch hier einen Lichttest machen. „Öffnen Sie den Trailer!“ Wir schnitten das Siegel durch, das eins meiner alten Unternehmenssiegel war, wenn mir keins gestellt wurde und ich sicher gehen wollte, dass ein Trailer nicht geöffnet worden war. Miller ließ einen seiner Officers rauf klettern, der als erstes die Standsicherheit der beiden direkt am Rolltor verstauten Motorräder prüfte und dann weiter rein kletterte. „Möbel, Umzugskartons, Sportgeräte. Zwei kleine Haushalte würden passen. Keine Anzeichen für gewerblich.“ Aus der Bude kam per Funk auch noch die Rückmeldung, dass Isaacs Pistole legal war. „Okay. Das E-Log brauchen wir dann nicht auszulesen, weil die Regeln für kommerzielle Transporte nicht bei Ihnen gelten. Sollten Sie die Tageslenkzeiten überschritten haben, ist das zwar bei Kontrollen wie dieser folgenlos, aber denken Sie daran, dass die aus gutem Grund so gewählt sind und dass Sie die Fahrt beenden müssen, bevor Sie zu erschöpft sind, um das Fahrzeug sicher zu führen! Ein Unfall würde möglicherweise trotzdem zu Ihren Lasten ausgelegt.“ „Ja, Sir!“ Bei 20 bis 30 Minuten wurde es das nicht. Wenn man natürlich mit so einem Gespann 14, 15 Stunden am Stück fuhr, was es ja dennoch aufzeichnete und dann mit seinem privaten Umzugsgut an einer roten Ampel die Warteschlange abräumte, dann war versicherungsrechtlich was los.

Schließlich waren wir wieder unterwegs, ich bekam auf der Waage grün. Mein Silverado war ausgelastet, aber nicht überladen in dieser Konfiguration. Das hatte ich vorher mal ermittelt. In Elko mussten wir dann wegen einer Baustelle die Stadtrundfahrt nehmen.

Die Mittagspause machten wir in Reno, nun war das Ziel schon langsam greifbar und begreifbar nahe, auch wenn wir noch bis morgen Vormittag unterwegs sein würden.

Um 02:45 PM erreichten wir Kalifornien auf der US-395. Und wieder gingen meine Gedanken zurück zu dem Moment, wo ich es mit dem Oldsmobile auf der I-15 bei Primm viel weiter südlich verlassen hatte.

An der Long Valley DFA Station wurde dann dank des Campers ich von vorne bis hinten gefilzt, während Isaac nur kurz einen Kontrollblick in seine Tasche vorm Beifahrersitz über sich ergehen lassen musste. Aber keiner von uns hatte natürlich illegales Obst und Gemüse dabei. Auf einem Campingplatz machten wir für heute Schluss. Der Platzwart war zuerst etwas skeptisch, ob er Isaac mit dem Truck drauf lassen sollte. Aber da er auch mich sonst nicht als Kunden haben würde und ein schwerer Camper auf Bus- oder LKW-Chassis den Boden genauso belastete, willigte er dann doch ein.


Freitag, 26.04.2019

Um 6 Uhr morgens nagelte, nach verdammt frühem Frühsport, Dusche und Frühstück wie gehabt, der kalte Paccar MX-13 den Campingplatz wach, bis die Bremse löste. Dann waren wir auf dem letzten Abschnitt der Fahrt in die neue Heimat.

Bei Redding waren wir auf die I-5 gefahren und nun waren die Entfernung zum Ziel und die Entfernung auf dieser Straße im Navi fast gleich. Unser neuer Heimatstaat empfing mich nicht mit Schild, denn an der Staatsgrenze war ich gerade auf der Überholspur. Dafür empfing er uns mit einer offenen Waage. Allerdings war die Wartespur vor der Wiegebrücke recht voll, weshalb Isaac ein grünes Licht bekam und vorbei durfte. Dann war es wirklich nicht mehr weit, 30 Meilen bis zur Abfahrt. Und für die brauchten wir nur noch etwas mehr als eine halbe Stunde, bevor Isaac vor mir den Blinker setzte und ich ihm und dem Kommando meines Navis folgte: „Jetzt von der Interstate abfahren auf die Oregon State Route 62, Crater Lake Highway in Richtung North Medford!“

Um 9:40 AM waren wir an der angemieteten Lagerhalle. Hier stellte ich den Anhänger mit dem Nissan ab und wir packten meine Möbel hinein. Den angemieteten Raum hatte der Hausmeister mit Gittern abgetrennt, die in einem Schienensystem eingehängt wurden, um die Halle nach den Wünschen der Kunden aufzuteilen. Die Seite des Käfigs zur Hallenmitte enthielt ein abschließbares Doppeltor. Den Camper behielt ich drauf, da ich erst mal auf einem Campingplatz wohnen würde.

Als nächstes fuhren wir zum Haus von Isaacs Onkel Jon. Seine und nach einer Übergangszeit von zwei bis drei Wochen dann Isaacs Werkstatt mit Freightliner-Vertrag lag fast direkt an der I-5, besser ging es kaum. Aus „Jon’s Truck Stop“ würde dann demnächst „Isaac’s Truck Stop“ werden. Um davon seine Ruhe zu haben, hatte er ein Haus, das er auch an Isaac überschreiben wollte, im Vorort Four Corners.
Es wurde erst mal möbeltechnisch etwas beengt. Jon hatte schon einen Teil seiner Möbel ausgeräumt und zusammengestellt. Isaac musste seine nun ebenfalls erst mal in ein Zimmer zusammenstellen, bis sein Onkel auszog und er das Haus einrichten konnte.

Anschließend machte ich mich auf den Weg zu Brian in die Firma. Die Trucks waren noch draußen, meiner in der besagten Werkstatt. Auf dem Hof standen an Trailern ein 48‘ Reefer und ein 40‘ Spread Axle Staked Bolster. Ich schaffte es nicht vom Auto bis zur Tür, bevor Brian aus dem Gebäude kam: „Hallo Brandon. Willkommen in Medford und bei Pacific Coast Transport.“ „Hallo Brian.“ „Die Jungs mit ihren Maschinen sind noch draußen.“ „Lustige Zusammenstellung von Trailern.” „In der Halle steht noch ein 53‘ Dryvan, wegen den Kaliforniern mein persönlicher Albtraum in der Flotte. Die anderen beiden sind Flatbeds, ein STAA Double mit Dolly, also notfalls auch als zwei unabhängige 28‘ Flatbeds einzusetzen. Und ein normaler 45‘. Zum Spezialisieren ist die Gegend hier nicht groß genug. So was kann man in Philadelphia oder Boston machen, aber nicht in Medford. Ich gucke immer, womit ich die besten Tourstarts zusammen kriege und dann werden drei Gespanne ausgesucht für die Woche. Mein Opa hat keinen großartigen Fernverkehr gemacht, aber da will ich durchaus hin.“

Brian managte das kleine Büro natürlich alleine, bei 3 Trucks keine große Herausforderung. Er kochte erst mal Kaffee und dann musste ich ein Bisschen konkreter erzählen, was mir passiert war. Außerdem hatte ich ein weiteres Isotrak-Upgrade verpasst. Brian hatte sein vertrautes System auch hier eingeführt und halbseidene Excel-Tabellen seines Großvaters abgelöst. Allerdings hatten hier die beiden älteren Trucks keine integrierte Lösung auf Tablets mit Bluetooth-Verbindung zum Truck. Isotrak lief auf einem Laptop und nur im Kenworth T800 vom ehemaligen Chef, den Evan jetzt fuhr, gab es ein Tablet, ein Festeinbaunavi und die integrierte Lösung von Isotrak. Also gab es gleich eine kleine Schulung.

Die Tür ging auf, ein Afro-Latino kam rein. „Hallo Casey, das ist Brandon.” „Ach, er muss jetzt Harolds alten Truck fahren?“ Mir fiel auf, dass Brian mir zwar gesagt hatte, dass mein neuer Truck 12 Jahre alt war, aber ich nicht mal weiter gefragt hatte in meiner Begeisterung über das Angebot und die Aussicht, den sowieso nicht allzu lange zu fahren, was genau es denn nun war. „Ja, er kriegt Harolds alten.“ „Äh, was ist das eigentlich?“ „Du hast das nicht gefragt? Na dann lass Dir das Wochenende auch jetzt nicht mehr versauen!“ Casey kriegte sich nicht mehr ein, Brian sprang auf den Zug auf. „Dann machen wir doch Montag eine Überraschung draus!“
Ich versuchte noch, nachdem man den Ansatz eines Freightliner Cascadia der ersten Generation durchs Fenster erkennen konnte, Casey aus der Reserve zu locken: „Na wenn es mir das Wochenende versauen könnte, kann es ja an sich nur ein Freightliner werden.“ „Hey! Das sind jawohl die besten!“ „Also kriege ich keinen. Egal, was es dann ist, Brian – ich werde mindestens zufrieden sein!“ Casey holte Luft, aber hielt den Mund. Entweder hatte er gemerkt, dass ich ihn dazu provozieren wollte, sich zu verplappern oder er sah ein, dass ich damit leben konnte, keinen Freightliner zu kriegen und wir einfach bei der Markenfrage nicht einer Meinung waren. Mein Fahrschultruck war mir genug Freightliner gewesen, auch fand ich die optisch nicht sonderlich gelungen. Und das Cockpit war noch extremer europäisiert als bei Volvo.

Schließlich machte ich mich auf den Weg zum gebuchten Campingplatz und stellte den Camper ab. Mein vorläufiger Wohnsitz wurde die Sunny Slope Mobile Home Ranch in Gold Hill.

Da mir noch etwas Zeit blieb, fuhr ich zu einer Bank, eröffnete ein Konto, ließ mein altes Konto aus Philadelphia hier her umziehen und kaufte ein paar Lebensmittel ein.


Samstag, 27.04. bis Sonntag 28.04.2019

Am Wochenende sah ich mir Häuser an, traf am Sonntag eine Entscheidung und rief den Vermieter an. Er hatte keinen Makler dazwischen und wir machten noch am Nachmittag bei um 70 °F Kaffee und Kuchen auf seiner Veranda den Mietvertrag fertig. Das Haus stand leer, ich konnte also auch schnell einziehen.

Zufrieden ging ich ins Bett. Nun blieb als größtes Fragezeichen, was mich morgen für eine Zugmaschine erwartete. Und auch das ließ mich ruhig schlafen.

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