Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Evan hatte das „Gaydar“ angeworfen. Das war ein Szenebegriff und kein Flirten, es war ein Prüfen des Verhaltens der anderen. Ich musste zugeben, dass das funktionierte. Viele Leute waren sich entweder nicht bewusst, dass sie in ihren Aktionen Signale aussendeten oder konnten diese nicht ausreichend unterdrücken. Also legte ich auch mal los.
Bei Evan brauchte ich keine Zeit zu verschwenden, er hatte mich sowieso drauf gebracht. Und nachdem mich letzten Sommer mein Sperrbildschirm auf dem Smartphone geoutet hatte, tat er das scheinbar auch nicht bei mir, denn ich hatte keine entsprechenden Blicke in meiner Richtung bemerkt. Dennoch war er aber nicht uninteressant. Denn Evan war auch optisch sehr attraktiv mit seinen braunen, mit Gel aufgestellten Haaren und seinem sportlichen Körper. Er war der Beweis, dass Inlineskaten auf einem Hindernisparcours den ganzen Körper stählte.
Casey nahm ich als nächstes ins Visier. Optisch stach er als Afrolatino aus der Gruppe deutlich heraus mit dunkler Haut, schwarzen Haaren und ebenso schwarzen Augen. Unnützes Wissen: bei unter 5% Bewohnern afrikanischer Abstammung in ganz Oregon und die meisten davon im Großraum Portland-Salem stach er auch sonst hier in Medford raus. Eine weitere Beschäftigung mit seinem durchaus attraktiven Körper war aber verschwendete Energie. Er baggerte die Kellnerin an, dass ein ab Werk sandgelber CAT 322F vor Neid zu einem leichten Beige erblassen würde. Und das wirkte zu aller Peinlichkeit auch noch authentisch.
Brian hatte schon Freundinnen und auch jetzt gingen seine Blicke in diesem All You Can Eat Asiarestaurant intensiver zu Frauen, die in Richtung Buffet unterwegs waren. Eigentlich schade, denn auch er sah nicht schlecht aus mit seinen kurzen blonden Haaren, auch wenn er damit ein ganz anderer Typ war als mein so übliches Beuteschema. Na ja, abgehakt. Außerdem war er mein Vorgesetzter, ohnehin eine schlechte Kombination, selbst wenn es einen Anlass zu Hoffnungen gegeben hätte. „Never f**k the company!“
Auch Isaac konnte ich wohl abhaken. Er war auch an den vorbeikommenden Damen interessiert. Sein Aussehen war immer noch typisch Army. Die Frisur übernahm die Haarschneidemaschine, Shaved & Short hieß der Stil, weil die Seiten komplett weg waren, oben drauf entweder mit der Schere kurz geschnitten wurde oder ein für Army-Verhältnisse relativ langer Aufsatz von 3/8“ oder maximal 1/2“ zum Einsatz kam. Und man sah, dass er als Besitzer der Werkstatt dennoch mit im Tagesgeschäft anpackte und auch in der Freizeit den Drill seines ersten Arbeitgebers aufrecht hielt. Sein Körper schien ausschließlich aus Muskeln zu bestehen.
Danny jedoch schien mehr Aufmerksamkeit aufzubringen, wenn junge Männer an unserem Tisch vorbei kamen. Eine durchaus interessante Erkenntnis. Generell hatte ich mich bisher schwer getan, Danny einzuschätzen. Er war sehr wandlungsfähig. Mal ernst, mal sehr locker. Er konnte verbissen ein sportliches Ziel verfolgen und im nächsten Moment war ihm seine Fitness egal, denn da lag dieses Stück Fleisch auf dem Grill. Optisch hatte er mit seinen vollen, schwarzen Haaren auch etwas südländisches, aber europäisch. Der Nachname Copeland war zwar englisch, aber an seinem Aussehen war etwas Spanisches oder Italienisches.
Und Alex schließlich war gerade nicht in dieser Welt. Zumindest nicht mehr als körperlich. Was für ein Film auch immer hinter seinen blauen Augen ablief. Es schien auf der Wand hinter mir zu spielen und durch das Loch sichtbar zu sein, das er mittlerweile durch mich hindurch gestarrt hatte. Dass die Bedienung fragte, ob wir noch was zu trinken wollten, bekam er auch nicht mit. Ein klarer Fall für die NASA: „Bodenstation für Alexej Yastreb! Bitte melden!“ „Hä? Was?” „Ob Du noch was trinken willst.” „Ja, ein Bier noch, bitte.”
Alex war ohnehin eher ruhig, vielleicht beeinflusste ihn seine Vergangenheit doch mehr als er sich und uns eingestehen wollte. Er kam im Sommer mit zum Skaten, jetzt zum Essen oder in die Kneipen. Er lachte mit der Gruppe, hatte auch sonst seinen Spaß an den gemeinsamen Aktivitäten, beteiligte sich an Gesprächen. Aber die bei insbesondere Evan, Casey und manchmal mir selbst raussprudelnden Albernheiten waren gar nicht sein Ding – zum drüber lachen ja, aber nicht selber reißen. Seine Witze waren seltener, aber pointiert und scharf. Charakterlich erinnerte er mich an meinen osteuropäischen Kumpel Marius. Optisch waren sie sich auf den ersten Blick dagegen überhaupt nicht ähnlich. Alex hatte hellbraune Haare mit einem gleichmäßigen und eher konservativen Schnitt, dazu blaue Augen.
Brians neuer Surfkumpel Paul war auch nicht so aktiv beteiligt, aber es war ja auch erst sein drittes Treffen in der großen Runde oder so. Er schien zwar durchaus ein eher extrovertierter Typ zu sein, aber noch etwas unsicher innerhalb der Runde. Mit seinen braunen, längeren Haaren erfüllte er fast schon das Surferklischee, auch wenn die Föhnfrisur nach Hinten dem Wasser wohl nicht lange standhalten würde. Und auf dem Weg hier her hatte er ein Hooters-Werbecap getragen. Bei der Restaurantkette, die sowieso in dem Ruf stand, dass die Gäste eher nicht wegen der gebratenen „Chicks“ hin gingen, eine eindeutige Sache für meine gerade eingeläuteten „Nachforschungen“. Evans und meine Gruppenanalyse blieb eine kurze Episode des Abends, der wie immer in der Runde eine spaßige Veranstaltung war.
Ich war außerdem einer politischen Partei beigetreten. Das war nichts Besonderes, in den USA waren mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten auch Parteimitglied. Aber wenn das mein Vater wüsste. Nicht nur, dass ich das blaue Parteibuch genommen hatte, was ihm per se in Dorn im Auge war. Dass ich auch noch in der Vorwahlkampagne fleißig Flugblätter verteilte, auf denen ausgerechnet für Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat geworben wurde, würde vermutlich sein ohnehin schwer beschäftigtes Herz endgültig überfordern.
Und trotz dass der auch bei den Jungen Demokraten organisiert war, stand ich nun im politischen Wettstreit mit Casey, der für Pete Buttigieg warb. Sonst wusste ich in unserem Freundeskreis nur, dass Isaac Republikaner war, der aber trotzdem eine ablehnende Meinung zum amtieren Präsidenten pflegte.
Außerdem kümmerte ich mich mal etwas um den Garten. Im Prinzip war das hier sowieso zu viel Haus. Ich bräuchte eigentlich eine Gewerbehalle mit kleiner Wohnung, wie ich es in Philadelphia hatte. Das Außengelände anstatt Garten bestenfalls noch betonieren und grün anstreichen. Ich hatte mich ja vor allem für das Haus und gegen eine Wohnung entschieden, weil ich einen Pickup, einen Camperaufsatz und einen Anhänger mit Rennwagen drauf irgendwo abstellen musste. Und weil in dieser Stadt sowieso vernünftige Wohnungen Mangelware waren, die Bruchbude von Alex bewies das ja sehr eindrücklich. Danny hatte eine gute Wohnung in einer großen Wohnanlage, zahlte aber für Wartung, Gärtner und so eine Menge Miete. Und wenn ich bei mir dann noch zwei Stellplätze dazu rechnete, die ich extern anmieten musste, dann war ich bei der gleichen Miete wie hier.
Da in den folgenden Wochen immer wieder bei jemandem die Arbeit dazwischen kam. Und dann, mit der Zunahme an Covid-Fällen in den USA, führte schließlich auch Oregon am 23. März Ausgangsbeschränkungen ein. Somit war’s das erst mal mit Freundeskreis und Vorwahlkampf.Das letzte Video vom Tschernobyl-Trip war auch veröffentlicht, also blieb mir in der Hinsicht nur, mal wieder mehr auf meinem Truckerkanal zu machen.
Montag, 30.03.2020
Brian war inzwischen auch auf Homeoffice übergegangen, nur einmal in der Woche musste er die Papiere einsortieren, die wir zumeist samstags anschleppten. Neue gab es nicht mehr, den Service hatte er eingestellt und wir mussten uns auch die Startaufträge im Truck selber drucken.
PICKUP: ORMFR-HOM
DESTIN: WAWEN-WAL-ES
TRAILER: DRY48
LOAD: HOUSEHOLD APPLIANCES
WEIGHT: 25,650
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Es ging also mit Haushaltsgeräten vom hiesigen Home Depot Lager nach Wenatchee (WA) zum Walmart-Außenlager. Da gab es sogar mal neue Strecke zu sehen, denn die US-97 südlich von Yakima hatte ich bisher noch nicht geschafft. Ich musste nicht mehr ins Büro gehen sondern die Papiere gab es je nach Kunde entweder an der Rampe oder beim Pförtner, in jedem Fall durch eine Schutzscheibe aus Plexiglas mit so wenigen Öffnungen wie nur irgend nötig. Bei Isaacs Konkurrenz auf dem Pilot Travel Center in der Nachbarstadt Central Point schob ich die Trailerachsen nach hinten und machte eine Kontrollwiegung. Isaac hatte keine geeichte Waage auf dem Gelände und das vorhandene Schätzeisen, auf das maximal eine Doppelachse passte, war auch noch in der Halle. Bei Casey hatten sie es mal geschafft, die Waschmaschinen alle nach vorne zu stellen, so dass nicht mal mit Verschieben der Achsen legale Gewichte erreichbar waren und er zurück musste, die Last gleichmäßiger zu verteilen.
Und schon ging es die bekannte I-5 rauf, frühe Mittagspause auf Jacks Truck Stop in Albany, auch wenn man den mit den aktuellen Beschränkungen eh nicht sinnvoll nutzen konnte. Für heute Mittag hatte ich sowieso ein kaliforniengerecht eingeschweißtes Sandwich vorgesehen, da ich zu Hause die Himmelsrichtung noch nicht kannte.
In Portland überraschte mich der Leihtruck mal wieder – nachdem es zuvor die Waage bei Myrtle Creek schon getan hatte, indem sie mich durch ließ. Die steilen Rampen in Portland bei der Auffahrt auf die Marquam Bridge waren heftig. Und bisher war ich noch nicht mit diesem Dingsbums unter solcher Last da vorbei gekommen. Obwohl das neue Getriebe besser war als damals bei Costco im T680, hatte ich Angst, dass es mich da rauf verhungern lässt. Am Ende war ich schneller als von Hand geschaltet, 40 mph war das langsamste. Stop! Aus! Pfui! Am Ende machte mich das Ding noch zum Automatikfan!

Cascade Locks Weigh Station funktionierte dafür umso gründlicher. Nicht nur dass ich bei gewogenen 60,174 lbs. raus durfte zur Kontrolle der Papiere, auch der Truck war fällig. Nach 20 Minuten Inspektion bis ins letzte Detail durfte ich weiter. Und immer 6‘ Abstand vom Officer halten…
Bei Biggs Junction begann dann der neue Abschnitt über die Sam Hill Memorial Bridge und dann im Abendrot den Berg rauf. Der Tag hatte trüb und neblig begonnen und wurde am Abend noch richtig romantisch.

Goldendale Weigh Station, bitte einmal wiegen! 60,056 lbs, vielen Dank und weiterfahren! Am Gear Jammer Truck Plaza in Yakima (WA) erhöhte ich das Gewicht erst mal wieder durch Volltanken. Zum Abendessen gab es Bohneneintopf aus der Mikrowelle, danach ging ich noch duschen.
Dienstag, 31.03.2020
Anstatt mir drinnen Frühstück zum draußen im Truck essen zu holen, gab es gleich Mini-Wheats. Nördlich der Stadt ging es zuerst über den Yakima River.

Und nach ein paar Meilen folgten die Selah Cliffs, eine Canyon-Form, die ich jetzt nur beeindruckend fand. Da sollte aber demnächst eine ganz andere Art der Bewunderung zu kommen, was ich jetzt noch nicht ahnen konnte.

Es dauerte ziemlich genau 3 Stunden, bis ich am Ziel war, das auch Start werden sollte.
PICKUP: WAWEN-WAL-ES
DESTIN: ORBUR-CSC
TRAILER: DRY48
LOAD: OFFICE SUPPLIES
WEIGHT: 36,982
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
„Was bringst Du denn?” Der Typ an der Schranke könnte das zwar theoretisch im System sehen, aber mein Truck war halt inkognito, so dass er keine Firmenzuordnung hatte. „Haushaltsgeräte aus Medford. Und ich soll mit Büromaterial für Costco in Burns wieder weg. Pacific Coast Transport.“ „Rampe 2, die ist hinter dem Lager.“
Auch wenn es mit entladen und neu beladen entsprechend lange dauerte, war es für Mittagessen noch zu früh. Das war der Haken an unseren großen Trucks. Die Europäer hatten den Kühlschrank direkt neben sich und konnten sich während der Fahrt etwas Verzehrfertiges raus nehmen. Wir mussten immer erst anhalten, weil der Kühlschrank um die Ecke stand. Zwar direkt hinterm Fahrersitz, aber um 90 Grad gedreht und damit man ihn aus dem Bett besser erreichen konnte, auch noch die Tür nach vorne angeschlagen. Tauschen wollte ich trotzdem nicht.
Vor der staatlichen Waage gab es hier keine private. Also nahm ich mir den Taschenrechner und die Frachtdaten, rechnete so aus, wie viel weiter noch die Achsen verschoben werden mussten und hoffte, dass es passte. Büromaterial war natürlich auch so ein Fall, wo man mit Pech das Gewicht ungleich verteilen konnte und so die Achsen total daneben liegen konnten, auch wenn das Gesamtgewicht okay war.
Die Peshastin Weigh Station durfte ich tatsächlich mal wieder passieren. Offenbar hatte ich den Score der Maschine allmählich so weit verbessert, dass nur noch jede zweite Waage mich raus nahm. Dafür war Grandview an der I-82 auf dem Weg nach Yakima wieder der ganz große Volltreffer. Zu früh gefreut.
Hier durfte ich trotz 8,000 lbs. unterm Limit und korrekten Achsen auch wieder mit den Papieren antraben. Allerdings gab es Wartezeit, da der Officer gerade noch die Ladungssicherung der Kabelrollen auf dem nebenan stehenden Peterbilt mit Tieflader kontrollierte.

Aber mit 4 Stunden verbleibender Zeit fuhr ich weiter, überquerte den Columbia River und war wieder in Oregon. Schon ein gutes Stück hinter Pendleton ging die Sonne unter und als ich in einer Haltebucht den Tag gegen 8 PM beendete, war nur noch ein Lichtschein am Horizont erkennbar, der die Landschaft erahnen ließ, für die man diese Parkmöglichkeit aus eher touristischen Gesichtspunkten angelegt hatte.

Mittwoch, 01.04.2020
Nach Katzenwäsche mit Kanisterwasser, Toilettengang hinter der Leitplanke im Blickschutz des Trucks, der obligatorischen Schüssel Mini Wheats zum Frühstück und einer PTI ging es los. Allzu viel war in dieser Gegend eh nicht los, die Kleinstädte am Weg waren wie ausgestorben.
Kurz vor Burns dann waren immerhin mal Menschen zu sehen, die in einer Straßenbaustelle arbeiteten. Und das bedeutete an dieser Stelle dann Anfahren am Berg. Und wie das mit der neuen Automatik ging. Aus! Pfui! Automatik im Truck ist böse!

10:18 AM war ich bei Costco und durfte die Papiere wieder in den Trailer legen, bevor ich andockte. Der Folgeauftrag war auch schon da.
PICKUP: ORBUR-DOL
DESTIN: CATRK-WAL-NM
TRAILER: DRY48
LOAD: CANNED FRUIT
WEIGHT: 33,984
PRIORITY: URGENT
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Dole lag im Paiute-Reservat nördlich der Stadt und gab der Urbevölkerung auf ihrem Land gut bezahlte Arbeit in Anbau und Verarbeitung von Obst und Gemüse, die Zufahrt war unbefestigt.

Auch hier gab es Vorsichtsmaßnahmen. Die Papiere konnte ich mir beim Pförtner an der Ausfahrt abholen, wo es sowieso so eine Art Bahnhofsschalter mit Scheibe und Schublade gab. Die Achsen ließ ich stehen, bei 3,000 lbs. weniger war ich zu faul, das eine Loch zu verstellen, das das ausmachte.
Und wieder ein Tag, der ohne Truckstop endete. In einer Haltebucht aus festgefahrenem Kies bei Buntingville (CA) machte ich Schluss. Alle besseren Rastplätze waren zu früh, in den verbleibenden 17 Minuten kam nichts. Die US-395 war nicht das beste Revier für Übernachtungen.
Donnerstag, 02.04.2020
Und wieder ging es mit Katzenwäsche, Buschtoilette und Frühstück aus der Packung Mini Wheats in den Tag. Ja, auch wenn es Wochen gab, wo ich das Wasser komplett in einen Gully kippte, war ich in welchen wie diesen wiederum froh, zu der Minderheit an Fahrern in Nordamerika zu gehören, die einen dabei hatten. Anschließend rollte ich los, kurz nach Nevada und in Reno auf die Interstate 80 nach Westen. Das war ein Umweg, ließ sich aber schneller und bequemer fahren als die kürzere Strecke über CA-49 und CA-89 durch die Berge. Der knappe Zeitplan ließ mich leider etwas Wichtiges ignorieren.
Als ich um 9 bei Walmart ankam, wurde die Ladung schon erwartet. Hier hatten sie in einem Baucontainer auf dem Hof eine improvisierte Dokumentenstelle eingerichtet, damit die Fahrer nicht ins Gebäude mussten. Daneben stand für die dringenderen Bedürfnisse der Fahrer ein Dixiklo.
Es sollte hier auch gleich weiter gehen.
PICKUP: CATRK-WAL
DESTIN: CASFO-POR
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY BOTTLES
WEIGHT: 39,424
TERMINAL: PIER 96
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Die Flaschen waren nicht nur leer sondern gleich zerschlagen dazu, es war Altglas in Palettencontainern. Das erklärte auch das hohe Gewicht.
Und dann war es so weit, ich fuhr los und mit einem Piepen wurde mir klar, dass ich doch mal besser in Reno kurz raus gezogen wäre. Nun ging es also in Truckee an die Zapfsäule und die Preise hatten sich in Kalifornien bekanntlich gewaschen. Zu allem Überfluss schaffte dieser Truck, möglicherweise wegen der nur 12 Gänge auch noch nur 6 mpg plusminus, mein handgeschalteter LoneStar mit 18 Gängen war im Schnitt auf 6.5 gekommen.

Gefühlt war San Francisco um die Ecke, aber in Kalifornien sollte man die Größe nie unterschätzen. 4 Stunden war ich unterwegs. Pier 96 war in einem großen Recyclingcenter, neben Altglas wurden hier auch noch Dinge wie Schrott und Bauschutt umgeschlagen. Importware aus Fernost kam einen Hafenteil weiter nördlich an.
PICKUP: CASFO-POR
DESTIN: CALAN-CST
TRAILER: DRY48
LOAD: TV SETS
WEIGHT: 32,342
TERMINAL: PIER 80
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also fuhr ich das kurze Stück wieder nach Norden und meldete mich dort an. Nach fast 2 Stunden im Hafenbereich von San Francisco war ich wieder über die Bay Bridge, I-580 und I-5 unterwegs nach Süden. Die US-101 oder einen der kurvigen Querschläge zur I-5 im Süden musste ich mir nicht geben. Am Travelcenter of America in Buttonville machte ich endlich mal in Reichweite einer Dusche Feierabend. Auf dem Rückweg zum Truck nahm ich mir bei Taco Bell noch was zu Essen mit.
Freitag, 03.04.2020
Als ich den Truck startete, hatte ich eine Isotrak-Textnachricht.
TEXT: EVER CONSIDERED FUELLING OUTSIDE CALIFORNIA FOR PRICE? 🙂
SENDER: ORMED-PCT-BRW
Also war mein kleiner Tankstellen-Fauxpas aufgefallen. Das sollte man ernst nehmen, aber sich keine Sorgen machen, dass Brian deshalb gleich Sanktionen ergriff. Es war ja noch ein Smilie dabei. Die I-5 über den Tejon Pass fuhr ich inzwischen auch notfalls im Halbschlaf, da gab es nichts Erwähnenswertes mehr dran. Und in Los Angeles erwartete mich der Heimatschuss.
PICKUP: CALAN-BBY
DESTIN: ORMFR-HAW
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY PALETTS
WEIGHT: 41,872
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Aus Paletten geschreinerte Möbel waren derzeit ja scheinbar schwer im Trend. Es gingen mehr alte Paletten zu Heartwood als ins Sägewerk zu Deepgrove. Und wenn dort hin, dann waren das solche Trümmer, mit denen man laut Alex außer mahlen und in die Spanplattenpresse stecken wirklich nichts mehr anfangen konnte.
Auf dem Rückweg kam ein Anruf von Brian: „Hallo Brian.“ „Hallo Brandon. Ich habe da eine Frage.“ „Und zwar?“ „Dazu muss ich etwas ausholen. Uns geht die Arbeit aus. Und da Ihr nach Leistung und nicht nach Festgehalt bezahlt werdet, bekomme ich kein Kurzarbeitergeld für Euch. Wir sind systemrelevant, also sollten wir an sich auch genug verdienen, um zu fahren meint man in Washington – nützt halt nix, wenn die Kunden nix zu fahren haben. Hast Du eine Arbeitslosenversicherung.“ „Nein, willst Du einen von uns raus schmeißen oder was?“ „Nein, natürlich nicht. Aber die würde für die Tage einen Satz berechnet aus den letzten Wochen vor der Krise zahlen, wenn ich einen von Euch in Zwangsurlaub schicke und wir wären alle vier unsere finanziellen Sorgen los.“ Dass es in diesem Land mal so weit kommen könnte, hatte wohl keiner von uns auf dem Schirm. Die Transportbranche war an sich chronisch unterbesetzt.
„Was ich eben nicht garantieren kann, ist dass Ihr immer alle fahren könnt. Den Reefer und den Dryvan kriege ich immer voll. Den Stakespine können wir derzeit einmotten. Flatbed ist so eine Sache. Da kann es passieren, dass derjenige, der den kriegt, auch mal einige Tage zu Hause aussetzen muss oder irgendwo in den Staaten in der Gegend rumsteht. Durch die ersten Lockdowns in diversen Staaten geht das Baugewerbe gerade etwas ein.“ „Aha.“
„Ich werde versuchen, das gleichmäßig auf Euch aufzuteilen. Aber da nicht sicher ist, dass der Flatbed regelmäßig hier her kommt, hat halt einer mal zwei oder drei Durstwochen mit geringen Fahrzeiten. Jetzt gibt es halt zwei Wege, damit umzugehen. Entweder wir halten uns alle an unsere Verträge und wer den Flatbed fährt, hat Pech gehabt und kriegt weniger Kohle in der Zeit. Bei der nächsten Tour ist ein anderer dran. Oder wir vereinbaren eine solidarische Sonderlösung und so lange die Krise anhält, addiere ich Eure realen Gehälter auf anstatt sie nach Leistung auszuzahlen und teile das platt durch drei.“ „Klingt ja fast schon sozialistisch.“ „Was heißt das?“ „Wenn ich zu Hause bin, gucke ich mal, ob ich noch irgendwo einen Stapel Bernie Sanders Flyer für Dich finde. Natürlich bin ich dabei.“
Wenn man mal in Deutschland gewesen war, dann war die Debatte lächerlich. Der „Sozialist“ Bernie Sanders wollte eine Anhebung des Mindestlohns, Lehrmittelfreiheit, Mindest-Jahresurlaub und ein aus europäischer Sicht nicht mal ernstzunehmendes Krankenversicherungssystem. Eine verpflichtende Arbeitslosenversicherung, wie sie Deutschland und viele andere Länder hatten, fand sich nicht auf seiner Agenda. Lediglich etwas, das an das deutsche ABM-Programm in Zeiten großer Arbeitslosigkeit erinnerte, Arbeitslose staatlich zu beschäftigen, bis sie auf dem regulären Arbeitsmarkt wieder etwas fanden.
Die Handvoll „echter“ amerikanischer Sozialisten hatte ihn in der Vergangenheit mehrfach als zu kapitalistisch bezeichnet, und sogar ein führender Politiker der deutschen SPD hatte gemeint, dass Bernie Sanders in der Partei als zu weit rechts betrachtet würde und, wäre er deutscher, es doch mal bei der CDU versuchen sollte. Dort würden seine Positionen besser rein passen. Ab und zu schaute ich mal in den Stream der Heute-Nachrichten, um zu sehen, wie das Ausland über Amerika dachte.
„Die Flyer kannst Du behalten. Wenn der für die Demokraten und Trump für uns antritt, dann gehe ich am 03.11. nicht wählen sondern mich lieber besaufen! Aber ich bin irgendwie stolz auf Euch. Alle haben zugestimmt. Sobald einer nein gesagt hätte, wäre das nicht gegangen.“ Okay, Brian war dem „uns“ nach also auch ein mit der Parteiführung unzufriedener Republikaner.
Natürlich gab es heute wieder Feierabend ohne Dusche. Und an einem bei Truckern selten dafür genutzten Ort, denn ohne dass sie mich sehen wollten, war ich an der Colusa County Weigh Station rausgezogen und hatte mich auf den Platz gestellt. Das war erlaubt, man hatte auf jeden Fall Toilette und Waschbecken und sauber waren die auch immer an den Waagen.
Samstag, 04.04.2020
Heute standen noch mal knapp 6 Stunden Fahrt auf der Agenda. Bis auf die Waage am Oregon Point of Entry eine harmlose Sache. Und auch das ging mit 75,973 lbs. harmlos aus. Mit Abladen war es dann schon 20 nach 1, als ich auf dem Hof den Truck abstellte.
WEEK START: MO:07:35 AM
WEEK END: SA:01:21 PM
WEEK DRIVE: 58:47 HRS
WEEK WORK: 61:02 HRS
WEEK FRAME: 5D:05H:46M
WEEK MILES: 2,686
REVENUE MILES: 2,623
PERFORMANCE: 97.7%
WEEK PAYLOAD: 210,295
SH TON MILES: 44,833
WEEK FUEL ECO: 6.1
WEEK AVG SPEED: 45.7 MPH
Im Büro war Brian gerade da, aber an seinem Schreibtisch weit hinter dem Tresen mit den Papieren. „Hallo Brandon. Bitte einmal da unterschreiben wegen Solidaritätsgehalt, leg Deine Papiere daneben und dann kann ich Dich leider nur raus komplimentieren und ein schönes Wochenende wünschen.“ „Hallo Brian. Ich freue mich auch, Dich zu sehen.“
Die Maßnahme sollte enden, wenn die am 17.03. von der Gouverneurin für Oregon erlassene Executive Order 20-06 auslief und nicht zuvor verlängert wurde. Auslaufen sollte die nach 30 Tagen, also am 16.04. Ich unterschrieb das Ding. „Schönes Wochenende, bleib gesund!“
In der kommenden Woche durften wir alle drei ausrücken, Evan erwischte den Flatbed. Am 07.04., also unterwegs, las ich, dass Kate Brown ihre EO 20-06 mit der neuen EO 20-15 auf unbestimmt verlängert hatte. Es bedurfte nun auf jeden Fall einer neuen Order, die „ungewöhnliche Störung des Marktes“ in Oregon zu beenden. Ein Ablaufdatum gab es nicht mehr.
Ins darauf folgende Wochenende wurde ich aber dann schon mit „Indefinite release“ geschickt. Brian ließ mich wissen, dass er vorerst nichts hatte. Er wollte mich anrufen. Man durfte nicht rausfahren zum Wandern, die Skaterbahn war zu. Unnötiges Herumfahren, was so der übliche Verwendungszweck von Motorrädern war, stand auch unter Strafe. Es war lediglich erlaubt, sich außerhalb seines Grundstück aufzuhalten, um die notwendigsten Dinge wie Lebensmittel und Körperpflege einzukaufen oder im eigenen Wohngebiet sich sportlich zu betätigen, z.B. zu joggen. Sportlich betätigte ich mich im Garten rund ums Haus. Das stand etwas erhöht, die Garage war aber unter dem Haus, die Einfahrt hatte entsprechend eine Mauer, die für die eine oder andere Freerunning-Übung zu gebrauchen war. Ich beschloss außerdem, wenn ich nicht gerade in der Einfahrt herumturnte, Youtube leer zu gucken und fand auch recht bald in meinen Vorschlägen einen interessanten Kanal.
