Kapitel 15 – Gefühle fahren Achterbahn

Ich sprang auf und hetzte ins Büro zu meinem Handy. Als ich Sekunden später an meinem Schreibtisch stand verlies mich aber doch wieder fast der Mut. Was wollte Sie. In diesem Moment kam mir der Klingelton „Playing with fire“ fast schon symbolisch vor. Aber wenn ich nicht ran gehen würde, würde ich nie erfahren was Sie wollte. Also nahm ich das Telefon, drückte die grüne Taste und meldete mich mit >>Hallo<<. Das war alles was ich rausbrachte, da ich nicht wusste was ich eigentlich sagen sollte. >>Hat dir die Ohrfeige die Sprache verschlagen?<< Ihre Stimme klang freundlich, was mich in dieser Situation ein wenig beruhigte und mir half meine Gedanken zu sortieren. >>Nein ich wusste nur nicht was ich sagen sollte. Es ist lange her…<< >>Fast ein Jahr seit du kommentarlos verschwunden bist.<< Das saß, ich fühlte mich richtig schäbig. Ich war damals aus Schweden weggegangen ohne ihr etwas zu sagen. Ich schwieg, denn ich hatte keine Ahnung wie ich ihr das am Telefon erklären sollte. Auf einmal klopfte es an der Tür.

>>Warte kurz, ich muss mal eben an die Tür.<< Ich sagte das nur um wenigstens irgendwas zu sagen, auch wenn es mir dämlich vorkam. Als ich die Tür öffnete stand Sie draußen, das Handy in der Hand. >>Du kannst jetzt auflegen.<< Wie in Trance schaltete ich das Handy ab und steckte es in die Tasche. Ich war mit der Situation vollkommen überfordert. Wollte Sie mir noch eine Ohrfeige verpassen? Sie schien Gedanken lesen zu können. >>Im Moment will ich dir keine runterhauen.<< Das weckte mich aus meiner Starre und ich erinnerte mich an meine gute Erziehung und bat Sie herein. Kurze Zeit später saßen wir hinter dem Gebäude in der Abendsonne. Inzwischen hatte ich es sogar geschafft Ihr etwas zu trinken anzubieten. Einige Minuten saßen wir uns schweigend gegenüber. Schließlich versuchte ich etwas zu sagen, aber mir fielen nicht die richtigen Worte ein. Um genau zu sein fiel mir eigentlich gar nix ein, was ich sagen sollte. Ich wusste, dass ich Ihr mehr als nur eine Erklärung schuldig war, aber ich hatte keine Ahnung wie ich anfangen sollte. Sie schaute mich erwartungsvoll an und amüsierte sich im Stillen über ein Unbehagen.

>>Du siehst gut aus. Wie geht’s dir?<< war alles was ich rausbrachte und schon in dem Moment als ich das sagte dachte ich nur. Wie dämlich, Junge fällt dir nichts besseres ein. >>Meinst du jetzt im Moment, oder allgemein die letzten Monate?<< Ihre Frage klang leicht gereizt, und doch half sie mir. >>Ich weiß ich hab riesigen Mist gebaut. Und es tut mir wahnsinnig leid, aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen.<< >>Nein, aber du kannst mir erklären, warum du damals abgehauen bist und dich nie gemeldet hast. Ich fand es nicht toll, von meinen Eltern zu erfahren, dass du weg bist. Ich hab zigmal versucht dich zu erreichen.<< Ich sah verschämt auf den Boden, denn das war echt keine Glanzleistung von mir. Als ich damals meine Wohnung ausgeräumte, hatte ich die Möbel und alles was ich nicht mitnehmen konnte in einem Schuppen auf dem Gelände der Firma ihrer Eltern eingelagert. >>Ich wollte dich ja anrufen.<< >>Wann? In zehn Jahren?<< fiel Sie mir ins Wort und lachte sarkastisch. Dabei schien es als würde Sie mit den Tränen kämpfen. >>Nein, aber ich brauchte Zeit um mein Leben in den Griff zu kriegen.<< Schließlich erzählte ich Ihr was damals vorgefallen war und wie leid es mir tut. Sie hörte mir aufmerksam zu und ich hatte das Gefühl, dass Ihre Wut auf mich doch etwas abnahm. >>Warum hast du damals nicht mit mir gesprochen? Wir waren Freunde. Ich wäre für dich da gewesen. Und warum hast du dich dann bis heute nicht gemeldet. So wie es aussieht scheint dein Leben ja inzwischen wieder in geordneten Bahnen zu verlaufen.<< >>Ich wusste nicht was ich sagen sollte nach all der Zeit, als ich dich schließlich anrufen wollte, waren schon drei Monate vergangen und ich hatte keine Ahnung wie du reagieren würdest.<< >>Hättest du dich gemeldet, wenn wir uns heute nicht zufällig gesehen hätten?<< >>Wahrscheinlich nicht.<< >>Wenigstens bist du ehrlich.<< während Sie das sagte, ran eine Träne an Ihrer Wange herunter. Sie nahm ihre Jacke und wollte gehen. >>Aber als ich heute dort vorbeikam, habe ich gehofft dich zu sehen.<< Sie blieb stehen und drehte sich um und meinte >>Jetzt hast du mich ja gesehen.<< Dann ging Sie.

Ich saß noch eine Weile da und machte mich schließlich auf den Heimweg. Mein Haus lag ja einige Kilometer außerhalb von Dresden in einem kleinen Dorf. Als ich zuhause ankam war es schon dunkel. Ich ging ins Wohnzimmer, doch schon wenige Minuten später trieb es mich in mein Arbeitszimmer, denn da stand ein Schuhkarton mit den ganzen Fotos aus Schweden drin. Während ich mir die Fotos anschaute, wurde mir immer mehr klar, was ich für Stana empfand und auch schon damals empfunden hatte.

Ich liebe Sie.

Nur merkt man ja immer erst, was man hat, wenn man es verloren hat. Oder gab es vielleicht doch noch eine Chance, schließlich hatte Sie vorhin Tränen im Gesicht gehabt. Das bedeutete doch, dass Sie noch Gefühle für mich hatte. Auch wenn ich nicht wusste wie diese aussehen würden, war mir doch eines klar. Diesmal würde ich nicht einfach aus ihrem Leben verschwinden, sondern um Sie kämpfen. Nur wie sollte ich das anstellen? Schließlich kam mir eine Idee. Ich setzte mich in mein Auto und raste zurück nach Dresden. Aus der Zeit als ich selbst noch bei Scania gearbeitet habe, wusste ich in welches Hotel standardmäßig gebucht wurde und hoffte, dass das immer noch so wäre. Ich hatte Glück, den vor dem Hotel sah ich schon zwei andere Scanialeute, welche wahrscheinlich gerade aus der Stadt kamen.

Ich parkte und ging in die Empfangshalle des Hotels. Ich fragte beim Portier nach Stana Fredriksen und bat ihn Ihr einen Brief zu bringen. Danach verlies ich das Hotel wieder und wartete in einem kleinen Straßencafé gegenüber.

Es verging eine Stunde, dann noch eine und noch eine. Schließlich war es schon ein Uhr früh. Ich hatte gerade die Hoffnung aufgegeben und wollte gehen, als ich hinter mir eine Stimme hörte >>Willst du wieder einfach abhauen?<< >>Ich dachte du kommst nicht mehr.<< >>Denkst du ich komme gleich angerannt, wenn du mir ein Foto und einen Brief schickst. Du hast mich monatelang warten lassen, da wirst du wohl ein paar Stunden warten können.<< Dem konnte ich nichts entgegensetzen und ich war ja schon froh, dass Sie überhaupt gekommen war. >>Ich hätte nicht gedacht, dass du es noch hast. Hast wohl lange gesucht?!<< Sie meinte das Foto. Es gab viele Fotos von uns, aber dieses war etwas ganz besonderes. >>Nein ich habe es immer bei mir.<< Sie lächelte mich verträumt an. Wahrscheinlich gingen Ihr gerade tausend Sachen durch den Kopf und Sie war sich bestimmt nicht so ganz sicher, was Sie hier eigentlich machte.

Doch schließlich setzte Sie sich zu mir und gab mir das Foto zurück. Es war das einzige Foto auf dem wir uns küssten. Auch wenn es damals mehr ein Spaß war, der vom Fotografen gefordert war, so hatte dieses Foto doch immer eine besondere Bedeutung für uns gehabt. Wir redeten die halbe Nacht und mit zunehmender Zeit wurde unsere Stimmung und das Gespräch immer entspannter.

Als es dann schon fast halb sechs am Morgen war, unterhielten wir uns immer noch, nur war der anfänglich noch sehr sachliche Tonfall und das eher förmliche Gebaren einem sehr vertrauten Gesprächsstil gewichen. Sie hielt schon seit einiger Zeit meine Hand und strich immer mal wieder darüber. Es war fast wie damals, oder vielleicht noch schöner.

Schließlich war es an der Zeit zu gehen. Der Kellner im Café schickte wohl zehn Stoßgebete in den Himmel als ich zahlte. Ich fragte Sie, ob ich Sie nach Hause bringen dürfte, was eigentlich albern war, da es ja nur zwanzig Meter bis zum Hotel waren.

Am Hotel angekommen, was leider schneller ging als mir lieb war, schäkerten wir noch ein wenig herum und verabschiedeten uns schließlich und dieses mal bekam ich keine Ohrfeige sondern einen Kuss auf die Wange.

So ging ein wirklich turbulenter Tag zu Ende.

Hinterlasse einen Kommentar