Der Channel hieß „Lonesome Hawk“ und das Video, das mich da „eingefangen“ hatte, hieß „Exploring old mill in Eugene“. Gab es hier doch Objekte, die man erkunden konnte? Ja, mit einer entscheidenden Betonung auf „gab“. Denn ich fand schnell heraus, dass die alte Fabrik abgerissen und das Gelände in den letzten Monaten eingeebnet worden war.
Die Videos waren generell älter als der Kanal, der erst vor ein paar Wochen eingerichtet worden war. Das war aber auch kein Wunder. Derzeit war es wahrscheinlicher, auf dem Weg zum Objekt von der Polizei verhaftet zu werden als am Objekt selbst. Aber so gab es wenigstens Nachschub. Scheinbar saß der Youtuber zu Hause und konnte außer Schneiden und Upload gerade nicht viel machen.
Es gab in den nächsten Wochen immer wieder was zu fahren und in meinen Pausen machte ich weiter mit meinem „Projekt Youtube leer gucken“. Es gab genug Explorerkanäle und Truckerkanäle, ich zog mir beides rein.
Wir erwischten bei der Arbeit jeder mal den Flatbed und durften entsprechend Kurzarbeit leisten und / oder ein Wochenende draußen absitzen.
Montag, 04.05.2020
Nun war aber wieder Evan dran und ich sollte mir einen der Stückguttrailer nehmen. Mal sehen ob mit oder ohne Kühlung.
PICKUP: ORMFR-KRH
DESTIN: NVELY-WAL-NM
TRAILER: DRY48
LOAD: MILK POWDER
WEIGHT: 43,119
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also ohne. Milch wurde gerade produziert wie noch was, aber die Leute kauften sie ebenso schnell wieder weg. Gleiches galt für Klopapier, Dosensuppe und – typisch USA – natürlich für Feuerwaffen. Deshalb sprang nun auch die Nachfrage nach Milchpulver dramatisch an. Zumal das haltbarer war und kompakter, deshalb noch besser zu horten als H-Milch. Wenigstens hatten amerikanische Häuser große und im wahrsten Sinne des Wortes atombombensichere Kellerräume, wo so was rein passte. 3 Wochen waren das glaube ich, die eine Familie nach den Bauvorschriften aus dem Kalten Krieg im Keller ausharren können musste, bis man damit rechnete, dass sich der Fallout niedergeschlagen hatte.
Ich fuhr zum Truckstop tanken, schob das Fahrwerk nach Schätzung in der entsprechenden App auf meinem Diensttablet nach hinten und war auf der I-5 nach Süden. Mit Lebensmitteln musste ich mich sowieso am California Point of Entry melden. Ein Inspektor des DFA nahm eine Probe von dem Milchpulver und machte einen Schnelltest. Während der ausgewertet wurde, unterzog ein anderer meinen Kühlschrank einem Schnelltest. Nach gerade einmal 17 Minuten war ich wieder unterwegs. Das konnte auch länger dauern, aber die PKW-Spuren waren fast komplett leer.
In Redding hatte jemand schlecht gesicherte Rohre von seinem Flatbed Trailer verloren, weshalb ich nicht dort am Interchange auf die CA-44 wechseln konnte. Also nutzte ich den erzwungenen Umweg durch die Stadt für eine Mittagspause am Sacramento River.
Schließlich ging es dann doch über CA-44 und US-395 nach Reno. Letztere wurde dort zur I-580, die ich bei Carson City verließ. Die folgende US-50 war eine der Fernstraßen mit eher mäßiger Infrastruktur und so endete der Tag in einer Haltebucht aus festgefahrenem Kies.

Ich machte mir ein Abendessen in der Mikrowelle warm und weil man hier in der Pampa sogar akzeptable mobile Internetverbindung hatte, sah ich wieder auf Youtube vorbei. Es gab was Neues vom „Lonesome Hawk“, aber keine Exploration schien mir. Es hieß „Crossing Jefferson County in a straight line“. Das Intro, über die Beifahrerperspektive eines Autos auf einem Waldweg gelegt, war eine simple Map. Sie verband einen Flecken im Wald und fernab jeder Siedlung mit einem anderen auf freiem Feld. Dann kam Text:
– Jefferson County, Oregon
– Immer genau auf 120°8‘ West
– 20 Meilen geradeaus
– Tümpel, Bäche, Schluchten
– Zielabweichung unter 100 Yards
„Da fährt Mick. Ich stehe hier ungefähr 500 Yards in Crook County. Es ist Freitag, der 14.02.2020, 10 Uhr und der Plan ist, Mick übermorgen ein paar hundert Yards hinter der Grenze in Wasco County wiederzutreffen.“ Man sah einen ziemlich neuen Dodge Durango SUV den Waldweg entlang wegfahren und verstand mal wieder fast nichts. Wahrscheinlich hatte der Typ auch mitten im Wald wieder seinen Wollschal im Gesicht. Fairerweise war es der gleiche Tag gewesen, an dem ich auf einem anderen Kontinent mein großes Abenteuer begonnen hatte – aber eiskalt war es auf beiden gewesen.
Und sein Equipment war auch nicht das Beste. Dass Gopro nicht die beste Marke beim Weißabgleich war, wusste ich selbst und auch andere Youtuber hatten immer wieder mal Probleme mit der Farbtreue, wenn sie einem erklären mussten, dass ihr blauer Truck grün sei und auch meine war da relativ launisch, ich bearbeitete die Videos aber teilweise entsprechend nach. Bei meiner Videorate konnte man das bringen.
Dieser Lonesome Hawk konnte da auch ein Lied von singen. Wenn er mal sich selbst zeigte, dann war der schmale Streifen Haut zwischen Maskenschal und Kopfbedeckung je nach Lust und Laune seiner Kamera käsebleich, braungebrannt oder krebsrot. Seine paar unter dem Cap raus guckenden Haare waren entsprechend dunkelblond, hellbraun oder rotbraun und seine Augen grau, blau oder grün. Der Greifvogel auf seinem dunkelblauen, schwarzen oder dunkel weinroten Cap war silber, gold oder kuperfarben. Der Wollschal, den er bis über die Nase zog, schien immerhin konstant schwarz zu sein. Der Habicht war nicht nur einsam sondern auch sehr wandlungsfähig. Vielleicht hätte er seinen Kanal „Lonesome Chameleon“ nennen sollen.
Und das Mikrofon seiner Kamera war kein Deut besser, was auf ein älteres Modell schließen ließ, denn da hatten sie definitiv ihre Hausaufgaben besser gemacht als beim Weißabgleich. Er musste das Genuschel, das die Kamera einfing, grundsätzlich untertiteln, weil man kaum erahnen konnte, dass das Englisch war. Und dennoch war der Kanal nicht uninteressant, besonders weil er vor meiner Haustür spielte.
Er drehte sich um und marschierte schnurstracks in den Wald. „Wie kommt man auf so was werdet Ihr Euch fragen. Das frage ich mich auch, die Idee habe ich bei einem Engländer abgeguckt. Und diese Strecke habe ich mir ausgesucht, weil hier nichts ist. Vor allem keine Farmgebäude mit Farmern und Gewehren. Außerdem nur ein richtig großes Hindernis, das dafür doppelt. Aber kein Fluss oder See.“ Es gab nur Bäume zu sehen und so erfolgte ein Schnitt. Eine Einblendung sagte: „0.3 Meilen, Grenze nach Jefferson County“ Es sah aus wie eben auch. In der nächsten Szene sah man einen Tümpel, vielleicht 5 Yards neben seiner Route. Es waren 0.4 Meilen Strecke. „Glück gehabt. Da darf ich dran vorbei.“
Es war ein ziemliches Bergauf und Bergab. Teilweise waren die Hänge auch ordentlich steil. Ich wunderte mich, wie man so zielstrebig sein konnte. Ich neigte eher dazu, den Weg des geringsten Widerstandes zu suchen. Er kletterte aber dann über Steine, wo ich einfach 10 Yards weiter rechts an den Felsen vorbei den Hang rauf wäre. Aber es war ja auch sein Ziel, auf der geraden Linie zu bleiben. Diese 10 Yards wären 10% seiner Toleranz gewesen, die er sich auf die gesamte Strecke gesetzt hatte.
2.6 Meilen. Der erste Tümpel lag am Weg, er quälte sich durch den flachen aber natürlich trotzdem rutschigen Schlamm am Ufer, keine 5 Yards daneben war es trocken. Direkt danach setzte er seinen Rucksack ab und packte einen Energieriegel und eine Flasche Wasser aus. „Mittagspause“.
3.1 Meilen. Ein verschlammter Tümpel war mitten im Weg. Er zog sich eine Gummihose über, kämpfte sich die 40 Yards durch den Schlamm und zog das Ding wieder aus.
5.4 Meilen. „Schluss für heute. Es wird zwar noch nicht dunkel, aber auf den nächsten Meilen kommt nur noch offenes Land und ich brauche zwei Bäume für meine Hängematte. Außerdem ist hier Windschatten, hier geht nämlich ein eiskalter Wind, heute Nacht soll es noch kälter werden als es sowieso schon ist. Ich habe natürlich kein Mobilfunknetz hier. Es ist 8 Meilen zum nächsten Dorf, Ashwood, das wahrscheinlich auch kein Netz hat. Die nächste Stadt Madras oder die Fernstraßen US-26 und US-97 sind jeweils 15 Meilen Luftlinie entfernt. Aber Mick hat mir ja etwas mitgegeben dafür. Ich gehe mal auf den Hügel, damit es funktioniert und melde mich in Sicherheit.“ Der Globalstar-Schriftzug auf dem funkgeräteartigen Teil wies es als Satellitentelefon aus. Dann machte er sich auf einem Gaskocher Wasser heiß, um ein Outdoorpack mit Mac n‘ Cheese zuzubereiten. Ein bekanntes Ritual, dessen Gefühl von „Der Tag ist erfolgreich beendet“ ich in der Ukraine auch immer gerne genossen hatte.
Dienstag, 05.05.2020
Es gab eine Kanisterwäsche und Miniwheats, die PTI und los. Auf der Straße waren einige Baustellen. Scheinbar nutzte Nevada den geringen Verkehr und die hohe Arbeitslosigkeit und hübschte mit ein paar Baustellen Straßennetz, Wirtschaft und Statistik auf.

Schließlich kam ich beim Neighborhood Market an und dank der Beschränkungen war er relativ leer, auch der Parkplatz. Mit 48‘-Trailer und langem Radstand hatte man hier gar keine Chance. Also zog ich im weiten Bogen auf den Parkplatz für die PKW.

Dort schob ich erst mal das Fahrwerk zusammen auf das vorderste Loch am Trailer, damit der Zug wendiger wurde und rangierte so an die Rampe. Ein Trick aus Costco-Zeiten, wo wir ja ab und an auch Walmart Neighborhood Markets beliefern durften. Leider erkaufte man sich die Wendigkeit mit einem langen Überhang, mit dem man dann irgendwo hängen bleiben konnte.Es sollte gleich von hier wieder zurückgehen.
PICKUP: NVELY-WAL-NM
DESTIN: CARDD-WAL-CW
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY PACKING
WEIGHT: 34,316
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Ich nutzte die Zeit, in der die Jungs hinten am Laden waren, um mal vorne einzukaufen. Immerhin brauchte ich morgen noch mal verpackte Lebensmittel, da es wieder nach Kalifornien ging. In den kleinen Märkten ging das problemlos, bei einem Supercenter hatte man oft doppelt Pech. Hinten durfte man seinen Truck nicht verlassen und vorne durfte man ihn nicht abstellen. Im Laden stürzten sich die Kunden schon auf das Milchpulver, das auf Palette aus dem Lager kam. War Covid nun eine Lungen- oder Hirnkrankheit?
Es dauerte am Ende über anderthalb Stunden, bis sie ent- und wieder beladen hatten. Ganz schön viel Zeug für so einen kleinen Laden. Auf dem Parkplatz streckte ich meinen Zug wieder in das mit Hilfe von Pi und Daumen ermittelte Loch, da hier keine Waage verfügbar war. Danach ging es wieder durch die ganzen Baustellen in Richtung Carson City.
Immerhin hatte ich meine Lektion gelernt und tankte diesmal in Austin (NV) für $ 2,65 anstatt in Kalifornien für $ 4,03, wo mir die Reserveleuchte bestimmt wieder angegangen wäre.
Als nächstes meldete sich das Display, ich sollte eine Werkstatt zur Wartung aufsuchen. Also Anruf beim Chef: „Hallo Brian!“ „Hallo Brandon. Was gibt’s?“ „Der Truck will innerhalb der nächsten 5,000 Meilen zur Inspektion.“ „Einmal mit Profis zusammenarbeiten! Ich rufe die Vermietung an. Eigentlich wollte ich einen, der mindestens 3 Monate ohne Werkstattaufenthalt eingesetzt werden kann.“ Ich fuhr bis vor die I-580 und beendete den Arbeitstag in einer Haltebucht.
Die nächste gerade Strecke des Lonesome Hawk war auf Youtube online. Ich musste grinsen, denn dieses Porridge hatten wir auch in der Ukraine. Dann packte er seine Hängematte wieder ein, machte das Geschirr sauber, zum Schluss kam der abgekühlte Gaskocher ans Gepäck und dann begann seinen Tag gleich mal mit einem heftigen Anstieg über einen felsigen Steilhang.
Er musste gelegentlich kleine Bäche, eher nur Rinnsale überspringen, es ging im offenen Land bergauf und bergab, er beklagte sich über den schneidend kalten Wind. Bei 10.5 Meilen jubelte er, als hätte er es geschafft und zeigte sein Garmin-GPS-Gerät. Vor ihm lagen zwei Tümpel und sein Track führte genau über die nur ein paar Yards breite Landbrücke dazwischen.
11.6 Meilen, Wasser nachfüllen. Was waren wir doch für Amateure. Einen Leitungswasserfilter und Desinfektionstabletten hatten wir in Prypjat genommen. Er nahm stattdessen einen Sterilfilter, wo man das Wasser in einen Beutel füllte, durch den Filter in eine Flasche drückte und so in einem Arbeitsgang den Schmutz und die Bakterien raus filterte. Die Dinger hatte es im Laden in Kiew auch gegeben, aber sie waren uns zu teuer, dabei waren sie auch viel sicherer als die Tabletten. Das Wasser fand bei 12.6 Meilen gleich Verwendung, um in der Mittagspause eine Tütensuppe zu kochen.
14.3 Meilen brachten Zivilisation in das Blickfeld. Neben Offroadtracks und Zäunen war diese asphaltierte Autostraße das einzige von Menschen geschaffene auf seinem gesamten Weg. Er ging dann am Nachmittag einen immer schroffer werdenden Hang runter und stand schließlich vor einer Canyonflanke. Es war einer dieser Canyons, die gar nicht so wild aussahen. Unten schräg und nur oben das letzte Stück steil, vielleicht 10 oder 15 Yards. Er müsste nun also da rauf klettern, verzichtete aber für den Moment darauf, um im geschützten Canyon campen zu können. Inzwischen hatte ich mir die Linie mal auf Google Maps angeschaut und er musste da im nächsten Video auch noch ein zweites Mal durch, weil ein anderer Arm weiter nördlich auch auf der Linie lag.
Mittwoch, 06.05.2020
Wieder gab es Kanisterwäsche und Mini-Wheats. Hoffentlich gab es heute Abend eine bessere Parkmöglichkeit. Es folgten fast 5 Stunden auf dem gleichen Weg, den ich auch gekommen war, bis ich Redding und das dortige Walmart Zentrallager erreichte. Und wieder sollte es hier gleich weiter gehen. So musste sich der Job anfühlen, wenn man Walmart-Sub war. Wobei die so wie ich damals bei CAT keine eigenen Trailer benutzten und Drop & Hook viel schneller wieder vom Hof waren.
PICKUP: CARDD-WAL-CW
DESTIN: WAWEN-TIB
TRAILER: DRY48
LOAD: BEVERAGES
WEIGHT: 42,786
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Ich wusste ja noch von der keine 400 Pfund schwereren Ladung von Montag, welches Loch das sein sollte und schob die Achsen passend. Nicht mal auf die Fahrertoilette durfte man hier, die war wegen Corona gesperrt, also kneifen. Auf dem Weg zur I-5 steuerte ich deshalb noch mal eine Tankstelle an, aber auch Fehlanzeige aus dem gleichen Grund.
Bevor das eine Odyssee durch Redding auf der Suche nach einem zugänglichen Urinal wurde, hielt ich hinter der Auffahrt auf die Interstate gleich wieder auf dem Pannenstreifen an und pinkelte zwischen den Büschen, die den Parkplatz eines ohnehin geschlossenen Hotels von der Fernstraße abtrennten. Wer will, der kriegt, was er verdient, liebes Gewerbe von Redding. Ich war immer mehr davon überzeugt, dass dieser Virus aufs Gehirn schlug.
Nicht mehr ganz 6 Stunden Fahrzeit blieben mir noch, das war grob bis Bend (OR). Ab Weed (CA) fuhr ich für den Rest des Trips auf der hier beginnenden US-97. Ob Brian mich dann von Wenatchee weiter nach Kanada schickte, wo die Straße als BC-97 weiter ging, blieb abzuwarten.
Die Waage Klamath Falls gab mir einen Bypass und der P.S. Ogden Viewpoint war ob seiner Rolle als wichtiger Rastplatz für den Fernverkehr tatsächlich geöffnet. Hier gab es zwar keine Dusche aber wenigstens Toiletten mit Waschbecken. Wobei die schon länger kein Reinigungspersonal gesehen hatten. In einer Zeit, wo Hygiene allgemein als wichtig erachtet wurde, entstand gerade eher hygienischer Notstand.
Im Truck gab es Dosensuppe und Youtube. Immerhin wollte ich wissen, wie Mr. Walk in a Straight Line seine Challenge beendete. Er sah sich nach seinem Frühstück die Canyonwand an und entschloss sich, nicht gerade zu klettern. Nicht die einzige Abweichung, denn er hatte auch aufgehört, die Strecke vom Start zu messen. Jetzt stand dort „3.3 Meilen zum Treffpunkt“ Er erklärte in Nuschel- und als einzige Möglichkeit, den Sinn wirklich zu erfassen, der Untertitel-Schriftform: „Okay. Der gerade Weg führt über diese kleine Felsnase, direkt vor die größere weiter da oben und dann 120 Yards quer durch die Wand. Ich glaube, ich bin so gut dabei, dass ich mir eine Abweichung erlauben kann und der Kerbe folgen werde. Das sind maximal 25 Yards Abweichung.“ So krabbelte er dann das Geröll hoch und durch die Kerbe im Fels. Die letzten, 10 oder 15 Yards, wo es senkrecht nach oben ging, konnte er so breitbeinig an beiden Seiten klettern, eine energiesparendere Lösung, als flach in die Wand zu gehen. 3.1 Meilen zum Treffpunkt, er war oben. Die Aktion hatte ihn für 350 Yards nun knapp 30 Minuten gekostet. Oben sagte er, dass er erst mal seinen Kumpel anrufen wollte, dass der Aufstieg geklappt hatte.
Bäche galten schon irgendwie nicht mehr als Hindernis. 2.1 Meilen vor dem Treffpunkt ging es noch mal 8 Yards Felswand nach oben. 1.9 Meilen vor dem Treffpunkt kippte die Landschaft um 45 Grad nach vorne ab. 66 war die kleine Zahl des Teufels und nach wie er sagte 66 Yards öffnete sich der Eingang zur Unterwelt. Es ging wieder in den Canyon runter. Und diesmal musste er in der Wand klettern und das auch noch nach unten. Ich wusste von wesentlich berechenbareren Gebäudefassaden, wie schwierig es war, Halt für die Füße zu finden, wenn man abwärts kletterte. Immerhin eins war sicher, das hatte mich zu dessen wilden Zeiten auch immer bei Marius beruhigt – wenn das Video online war, dann hatte derjenige überlebt.
Er hatte Teile des Kletterns raus geschnitten, aber der Moment, wo er merkte, dass er so nicht weiter kam, war natürlich drin: „Mein Fuß findet keinen Halt mehr. Ich glaube, da ist ein Überhang!“ Und dann passierte es, der Stein, auf dem sein anderer Fuß war, brach aus der Felswand, man hörte es poltern, sein Fluchen war noch unverständlicher als sonst, aber der Sinn auch ohne Untertitel klar. Er behielt den Halt mit den Händen, hing schnaufend in der Wand und kriegte schließlich wieder Fels unter die Füße, dann kletterte er seitwärts, bis er wieder Halt nach unten fand.
Die Geröllschräge war hier auch steiler als vorhin und auch da verlor er den Halt und rutschte ein Stück auf dem Hosenboden: „Verdammt, das hat weh getan. Ich glaube, heute Nacht schlafe ich auf dem Bauch!“ Am Talboden machte er Pause, es war jetzt fast 11 Uhr bei ihm, noch 1.8 Meilen zu seinem Treffpunkt. 1.4 Meilen in 3 Stunden, jetzt wusste ich, warum er am Vortag um 3 PM Schluss gemacht hatte.
Er humpelte etwas über die Felshänge am Talboden. Bei 1.7 Meilen stand er vor der anderen Canyonseite, bis auf zwei Felsen im unteren Teil und das letzte Stück Fels unter der Geländekante sah das nach seinen beiden letzten Talflanken aus wie ein Fahrradweg.
12:20 PM, 1.6 Meilen zum Treffpunkt, gefühlt hatte er es geschafft und das sagte er auch. 1.2 Meilen vorm Treffpunkt: „Mal winken, von hier müsste Mick mich mit dem Fernglas schon sehen können. Und ich freue mich auch, wenn ich ihn gleich sehe, in sein Auto steige und erst recht, wenn ich in 3 Stunden endlich unter der Dusche stehe.“
1.0 Meilen zum Treffpunkt, immerhin lief er schon wieder normal, die Rutschpartie schien folgenlos geblieben zu sein: „Das war die Grenze, ich bin jetzt in Wasco County. Das war der Versuch, ein County in einer geraden Linie zu durchqueren.“ Er marschierte über die fast ebene Wiese, auf eine Person oben auf einer Böschung zu, dann blendete das Video aus. Es gab noch Statistik. Seine 100 Yards hatte er ganz knapp eingehalten. Von den 98 Yards entfielen nach seiner Aussage alleine 30 auf die beiden Ausweichmanöver im Canyon, der Rest kam dadurch zustande, dass man doch immer wieder mal nach links oder rechts von der Linie pendelte, bis man es auf dem GPS erkennen konnte.
„Und ich mache ja normalerweise keine Werbung und will es auch nicht machen. Aber hier muss ich es einfach. Vielen Dank an meine Freunde Mick und Nico, die mich mit ihrem Outdoor- und Adventure-Vertrieb bei dieser Aktion unterstützt haben. Von ihnen hatte ich leihweise das Satellitentelefon, das GPS-Gerät und eine zum Glück nicht gebrauchte Signalpistole. Die Hängematte, den Thermoschlafsack, Kocher, Outdoorgeschirr und Lebensmittel habe ich bei ihnen gekauft. Die beiden Sterilfilter haben sie mir geschenkt und Mick ist zweimal 5 Stunden Auto gefahren, um mich abzusetzen und einzusammeln. Den Link zu ihrem Webshop findet Ihr in der Videobeschreibung.“ Der Laden war in Parkrose, einem zur Hälfte aus Gewerbegebiet bestehenden Stadtteil von Portland.
Donnerstag, 07.05.2020
Inspiriert durch die Videoserie und die Tatsache, dass einer hier am Parkplatz vorbei führte, beschloss ich auch, mal einen Canyon zu durchqueren. Allerdings aufgrund der Zeit und der Tiefe nicht an den Wänden runter und wieder rauf. Das Fachwerk der Eisenbahnbrücke war mir da deutlich lieber. So bekam der Streetclimber Malik Channel auch mal wieder Futter, es war da abgesehen von dem Trip nach Pripyat im Februar seit meinem Umzug nach Oregon ziemlich ruhig geworden.
Nicht ganz so ruhig war es, wenn man mitten im Fachwerk des Unterzugbogens kletterte und oben ein Güterzug drüber donnerte. Zum Glück merkte man es rechtzeitig, weil nicht nur die Schienen sondern die ganze Brücke zu singen anfing und konnte sich sicheren Halt in einem Fachwerkknoten suchen, bevor die ganze Konstruktion anfing zu vibrieren.

Die anschließende Fahrt ging die US-97 weiter über Madras. Ich dachte daran, dass „Lonesome Hawk“ seine geradlinige Wanderung 15 Meilen östlich von hier gemacht hatte und diese Straße als nächstgelegene Zivilisation bezeichnet hatte, sofern man die am Handynetz definierte. Bei Biggs Junction querte ich den Columbia und kroch hinter einem wirklich untermotorisierten Tanker mit 15 mph den Anstieg zur WA-14 hoch, die die US-97 versetzt kreuzte. Keine 15 mph, Blumen pflücken während der Fahrt verboten, ein paar standen sogar am Straßenrand.

An der folgenden Waage in Goldendale bekam ich einen Bypass. Diesmal umfuhr ich Yakima und bewunderte den Selah Creek Canyon unter der Fred G. Redmon Memorial Bridge heute auf eine ganz andere Weise als beim letzten Mal, als ich vor ein paar Wochen mit dem gleichen Gespann hier lang gefahren war.

Die Mittagspause verbrachte ich am Love’s Travel Stop in Ellensburg (WA). Hier gönnte ich dem Truck Diesel und mir erst mal eine Dusche und anschließend einen Burger, den ich natürlich in meinem Truck essen musste. Bei TidbiT hatte Brian nichts mehr mit mir vor. Die Ladezeit nutzte ich für einen Einkauf. Diese Bioladenkette hatte sehr gute Salate, Wraps und belegte Brötchen.
LOCATION: WAWEN
ACTION: 14H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Das bedeutete, ich musste gegen 6:30 wieder losfahren. Genug Zeit, um zum Wenatchee Valley Truck Stop rüber zu fahren auf die andere Seite des Wenatchee River. Geduscht hatte ich zwar, aber so bekam ich wenigstens Zugang zu Waschmöglichkeiten und Toilette sowie morgen früh mal was anderes als Mini-Wheats zum Frühstück. Das Abendessen bestritt ich mit dem Salat von eben. Einen Haken hatte der Truck Stop leider auch, zwei parallele Stahlprofile, auf denen laut hupende Dinger fuhren.

Freitag, 08.05.2020
Am nächsten Morgen stand ich gegen 5:30 auf, ging in den Truck Stop um mich frisch zu machen, kaufte mir, weil Rührei oder andere Eigerichte bis auf dem Parkplatz eine lauwarme Pampe wurden, einen Bagel mit Frischkäse, Hähnchenfilet und Orange und für den korrekten Blutzuckerspiegel einen Muffin und kochte mir im Truck eine Kanne Tee dazu. Den restlichen Tee füllte ich um in die Thermoskanne, bevor ich die PTI machte. Um 06:28 war ich fertig und sah mir den Auftrag an.
PICKUP: WAWEN-KRH
DESTIN: ORBND-711
TRAILER: DRY48
LOAD: READY MEALS
WEIGHT: 41,314
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Das sah nach glattem Heimatschuss aus, heute Abend dürfte ich in Bend stehen. Ich holte meine Ladung östlich des Columbia River bei Kraft Heinz ab und fuhr los, also die US-97 wieder zurück.
An der Peshastin Weigh Station bekam ich den nächsten Bypass. Scheinbar hatte ich inzwischen den Score der Zugmaschine so weit verbessert, dass das öfter vorkam. Der nächste Mieter konnte mir dankbar sein.
Den anschließenden Anstieg nach Ellensburg nahm der Truck mit 50 PS weniger und seiner intelligenten Automatik – technisch korrekt mit seinem automatisierten 12-Gang Schaltgetriebe – genauso schnell wie ich es mit dem handgeschalteten 18-Gang im International geschafft hatte. Ich musste zugeben, dass die zweite Generation, die direkt als solche Getriebe entwickelt worden war, deutlich besser war als die erste, wo man einfach an das schon in den 40ern konstruierte Schaltgetriebe ein paar Stellmotoren drangebastelt hatte.
Der Ausgleich für das bisherige Glück an den Waagen kam dann in Goldendale. Diesmal musste ich raus, aber durfte nach der Wiegung mit meinen 76,392 lbs. weiter. Es wurden wohl wegen des Virus inzwischen sowieso kaum noch Trucks als Stichprobe rausgezogen. Nur wenn der optische Eindruck zu wünschen übrig ließ, kam es vor, dass man eine Vollkontrolle bekam.
Die Mittagspause verbrachte ich am Biggs Junction Pilot Travel Center, wo ich mir im Wissen, heute Abend in Bend wohl mal wieder mehr oder weniger wild campen zu müssen, eine Dusche gönnte und einen XL-Hotdog auf dem Parkplatz futterte. Anschließend ging es unspektakulär die Strecke weiter. Nach der I-5 dürfte die US-97 die zweitmeistgefahrene Fernstraße sein, wenn man die OR-140 über den Abschnitt zwischen Medford und Klamath Falls hinaus berücksichtigte.
Um 5:18 PM war ich am 7-Eleven in Bend und wurde abgeladen. Hier verzichtete ich auf einen Einkauf an der Vorderseite.
PICKUP: ORBND-711
DESTIN: ORMFR-PCT
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY
REMARKS: CLEAR TRUCK AT ORMFR-PCT FOR SERVICE
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Und damit ging das Elend wieder los, das ich noch aus Redding kannte. Beim Supermarkt auf dem Parkplatz durfte ich nicht bleiben. Die Tankstelle in der Nähe war zu klein, um einen Sattelzug abzustellen und viele verboten derzeit auch die Pausen ganz. Also endete ich auf einem öffentlichen Parkplatz quer über die PKW-Stellplätze und stand in diesem Mischgebiet vor einer sagen wir mal „sanitären Herausforderung“.

Samstag, 09.05.2020
Am Morgen machte ich die PTI und fuhr los. Von hier waren es unspektakuläre 4 Stunden nach Hause, mit Pause auf einer Rest Area, um das mitten in Bend verkniffene, große Geschäft zu erledigen.
An der Firma räumte ich wie gewünscht meine Sachen aus dem Truck in einen Umzugskarton. Mal sehen, was Brian mit mir vorhatte. Wahrscheinlich gab es eine baugleiche Kiste vom gleichen Vermieter. Mit der Versicherung des Mexikaners lag er sich wohl noch über den zerstörten LoneStar im Clinch. Wie war denn die Woche?
WEEK START: MO:06:48 AM
WEEK END: SA:10:57 PM
WEEK DRIVE: 54:54 HRS
WEEK WORK: 57:40 HRS
WEEK FRAME: 5D:04H:09M
WEEK MILES: 2,350
REVENUE MILES: 2,120
PERFORMANCE: 90.2 %
WEEK PAYLOAD: 161,535
SH TON MILES: 43,012
WEEK FUEL ECO: N/A
WEEK AVG SPEED: 42.8 MPH
Das war eine langsame Woche, der Bordcomputer des Trucks steuerte mit 5.9 mpg noch einen ziemlich mäßigen Verbrauchswert bei. Unter den aktuellen Umständen war sie von den Frachtdaten als normal zu bezeichnen, sonst wäre sie eher schlecht. Nun also wieder bis Montagmorgen einsperren. Ich war nicht für so was gemacht, dazu war ich viel zu aktiv.
