Kapitel 43 – A Bulldog Mack with a Can on the Back

Das Wochenende saß ich wieder zu Hause und konnte nicht viel mehr als kochen, essen und im Garten sitzen. Ich war froh, als ich am Sonntagabend den Wecker stellte und wieder ins Bett ging.


Montag, 11.05.2020

„Ah, mein Senior Driver!“ Wenn Brian mich so begrüßte, hatte er was mit mir vor. Ich wusste noch nicht mal, dass ich der Senior war. Okay, Casey war nur ein paar Wochen älter als ich, aber hatte scheinbar später angefangen. Viele warteten ja, bis sie 21 waren und Interstate fahren durften, nur wenige machten den Schein früher wie ich und fuhren erst mal bis zum 21. Geburtstag Intrastate. Evan war der älteste von uns mit 27, aber hatte erst seit etwas über einem Jahr die CDL. „Der Titel verheißt selten was Gutes. Du hast mal wieder irgendwas krudes zum Probefahren.“ „Stimmt. Gleich zwei Sachen auf einmal. Einen Mack mit Lebensmitteltanker. Mit dem Truck kommst Du wohl klar, vom Trailerhersteller gibt Dir noch gleich jemand eine Einweisung.“

Also stand ich kurz danach mit Gesichtsmaske neben dem Außendienstler vom Trailerhersteller auf dem Hof und ließ mir die Geheimnisse von Schieberarmaturen und Schlauchverschlüssen näher bringen.

Natürlich hatte ich schon vorher am Tablet entsprechend umgeschaltet und so kam ich dann auf über eine Stunde PTI. Sollte das bei einer Kontrolle dumme Fragen geben, bekam ich aber immerhin einen Wisch, dass ich eine Einweisung gemäß FDA-Vorschriften für den Umgang mit Lebensmitteln als Massengut bekommen hatte. Die könnten auch Kunden sehen wollen.

Dann holte ich meine Sachen und schloss die Zugmaschine auf, um die „echte“ PTI zu machen. Ich sah den Knüppel und freute mich – ein Handschalter. Dann stieg ich ein, um meine Sachen abzuladen und sah die Bulldogge und nicht den Eaton-Schriftzug auf der Oberseite. Also ein Maxitorque. Einmal hatte ich damals als Ersatz für meinen Superliner einen Titan mit so einem Getriebe. Es war bekanntlich als Zufallsgenerator weit besser geeignet als zur Kraftübertragung. Als ich mit der Prüfung der Zugmaschine fertig war, hatte ich einen Auftrag.

PICKUP: ORMFR-KRH
DESTIN: NVEKO-XYZ
TRAILER: FBT-43
LOAD: RAW MILK
WEIGHT: 52,910
REEFER: 41F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also fuhr ich zu Kraft-Heinz. Und hier wollten sie in der Tat das FDA-Zertifikat sehen. Befüllt wurde von deren Personal durch den Domdeckel. Es ging überraschend schnell. Also war ich dann wieder mal mit der Bulldogge auf dem Kühler unterwegs.

Immerhin hatte ich diesmal eine hilfreiche Ganganzeige. Die Führung des Getriebes war gar nicht mal so schlecht, nur war es immer eine Überraschung, in welchem Gang man tatsächlich raus kam. Dank der Anzeige merkte man also nicht erst dann, dass man falsch war, wenn der Gang entweder gar nicht rein ging oder die Drehzahl irgendwo hing ging, wo sie nichts zu suchen hatte. Keine Ahnung, wie sie so einen Schmu zusammengebaut hatten, aber dieses Getriebe war so ziemlich der Alptraum für Handschalter.

Andererseits machte der Truck aber auch Spaß. Die Motoren von Mack waren im Gegensatz zum Getriebe über jeden Zweifel erhaben und zogen problemlos von unten aus dem Keller. Während man bei anderen Trucks oft schon oberhalb von 1,000 rpm runter schalten musste, konnte man hier bedenkenlos auf 900 absacken und der Truck zog noch brauchbar an.
Und auch die Motorbremse war wirkungsvoller als das Ding der Paccar-Marken, die im Prinzip nur das Auspuffgeräusch aber kaum die Geschwindigkeit veränderten. Sie übertraf sogar noch den International und das wollte was heißen, denn auch die war gut. Volvo war ich nur einmal gefahren, Freightliner noch nie, da hatte ich keine aussagfähigen Vergleiche.

Schon wieder eher störend war, dass der Anthem eigentlich nur ein Titan mit einer moderneren Haube war. Die Kabine war in ihren Grundfesten immer noch diejenige der C-Series aus den 90er Jahren. Sie war breiter als mein Superliner, ein Peterbilt 389 oder W900, aber schmaler als Peterbilt 579 / Kenworth T680 oder International Prostar / LT / LoneStar.

Das Cockpit dagegen gefiel mir sehr gut.

Allerdings sind Kraft und Kraftstoff wortverwandt. Als Brian anrief, musste ich Farbe bekennen: „Und, wie ist der Truck?“ „Durchwachsen. Die Kabine eng, das Getriebe von Mack bekanntermaßen Mist, deshalb kauft man die Marke besser mit einem von Eaton-Fuller. Allison waren der Maschine früher nicht gewachsen, das war damals das Todesurteil für den Superliner von Joe Ferguson. Ob das heute anders ist weiß ich nicht. Der Motor zieht gut an, aber auch gut was durch.“ „Was meinst Du damit?“ „Durchschnittsverbrauch derzeit 5.1 mpg.“ Bitte!!! WAS??? Im schlimmsten Fall hole ich Dich direkt mit einer Rückfracht wieder rein und bezahle Dich fürs Rumsitzen zu Hause. Das kommt mich billiger, denn Du verbrauchst dabei keinen Diesel für zwei.“ Das war zwar etwas übertrieben, aber der International LT und Caseys Cascadia ließen sich zwischen 6 und 7 mpg bewegen. Sogar der LoneStar war nicht viel schlechter gewesen, obwohl deutlich zerklüfteter als der LT.

Heute kam ich gut durch und so machte ich Schluss im Gewerbegebiet von Battle Mountain (NV). Das war so ziemlich das weiteste, was wir über den State Highway 140 erreichen konnten. Es gab nicht viel was Sinnvolles zu tun und auf Abhol-Essen hatte ich auch keine Lust. Also sah ich mir zu Dosensuppe ein paar Youtube-Videos über die Geschichte vorwiegend britischer und europäischer Autos auf dem Channel „Big Car“ an.
Manche davon, wie Ford Escort, Ford Mondeo / Contour / Fusion, diverse Volvos oder europäische Modelle der 70er wie Citroen SM oder die Triumph TR-Serie hatte es auch hier gegeben, letztere waren mir dank meiner Herkunft aus besseren Kreisen nicht ganz unbekannt. Zumal ich wusste, dass meine Mutter von einem Citroen SM als Sommerauto bis heute träumte. Sie bezeichnete das Modell als „das größte Kunstwerk, das jemals eine Autofabrik verlassen hat“. Da die Dinger hierzulande aber noch seltener waren als in Europa und das Modell in dem Ruf stand, seine Besitzer an seinen technischen Launen nervlich wie finanziell ziemlich leiden zu lassen, hatte sie bisher davon Abstand genommen. Oder wie man in meinen Kreisen als Autofreak ohne wirkliche Markenbindung witzelte, stand SM weder für „Serie Maserati“ noch für „Sport Maserati“, wie man sich in der Citroen-Szene bis heute stritt, sondern schlicht für „Sado-Maso“, weil man Schmerzen schon ziemlich erregend finden musste, um sich dieses Auto freiwillig anzutun.
Und dank meines Austauschjahrs in Deutschland wusste ich auch, was ein VW Polo oder Peugeot 205 war, denen Videos gewidmet waren. Nur mit so urbritischen Modellen wie Rover 200 oder Austin Maestro konnte ich nichts anfangen. Wenn sie wie der GM EV1 ihrer Zeit technisch voraus oder wie der Pontiac Aztek einfach nur gnadenlos hässlich und ein weiterer Sargnagel einer ganzen Marke waren, bekamen auch amerikanische Modelle ein Video.


Dienstag, 12.05.2020

Durch die späte Abfahrt gestern war es erst 8:26, als ich los fuhr. Die Osino Weigh Station ließ mich ziehen. Ankunft bei der kleinen Molkerei war nach 2 Stunden Fahrt. Ein Weißkittel kam und zog eine Probe. Dann durfte ich entladen. Ich schloss den Trailer mit einem der mitgeführten Schläuche an und öffnete das Belüftungsventil – ganz wichtig, sonst machte die Saugpumpe aus dem Trailer moderne Kunst. Anschließend musste ich erst einmal zu einer Tankwaschanlage fahren, wo der Tank und die Anschlussschläuche von innen mit einer Lauge gereinigt und mit Dampf sterilisiert wurden. Dann konnte ich meinen neuen Auftrag antreten.

PICKUP: NVEKO-XYZ
DESTIN: AZPHX-XYZ
TRAILER: FBT-43
LOAD: WHOLE MILK
WEIGHT: 48,501
REEFER: 41F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Es ging an der gleichen Molkerei also weiter mit Vollmilch nach Phoenix (AZ). Immerhin ersparte mir das zumindest eine manuelle Zieleingabe in das Saugnapfnavi. Ich fuhr zurück und ließ den Tank wieder füllen. Damit war die Woche auch komplett, denn von Phoenix war ich nicht vor Freitag zu Hause und sowohl Truck als auch Trailer mussten wieder zurückgegeben werden.

Immerhin durfte ich die Osino Weigh Station passieren. Ich beschloss, obwohl ich an der Trailerwaschanlage schon eine Pause zusammenbekommen hatte, den Flying J in Wells (NV) anzusteuern. Hier konnte ich vor allem meine Vorräte aufstocken, stand mir doch eine längere Heimfahrt durch Kalifornien bevor und ich musste entsprechend verpackte und industriell verarbeitete Ware dabei haben, sollte ich dort irgendwo anhalten müssen, wo ich keine einheimische Ware kaufen konnte. Außerdem war das Zeug hier billiger als dort. Und schließlich hatte der Vorführer die kleinsten Tanks und musste auch Futter kriegen.

An der US-93 kurz vor Crystal Springs war Schluss. Der Lonely Hawk hatte mal wieder eins seiner alten Videos aufbereitet, diesmal in einem alten Zementwerk im Süden von Washington State. Er war dort mit zwei Freunden unterwegs, die genauso unkenntlich waren wie er selbst. In einer Szene waren die unten und er lief oben zwischen den Silos auf einem Metallsteg. Dabei fiel Zementstaub runter auf seine Kumpels. Das „Hey!“ von unten quittierte er mit dem Def Leppard Song „Pour some sugar on me!“ als Hintergrundmusik des Videos. Genialer Humor, musste ich zugeben.

Und eine gute Nachricht fand sich auch auf einem Nachrichtenportal. Nachdem bereits fast alle Counties von Oregon es in den letzten Tagen beantragt hatten, hatte Gouverneurin Kate Brown heute offiziell erlaubt, die Anträge auf Wiedereröffnung der Wirtschaft auf dem sogenannten Level 1 zu prüfen.


Mittwoch, 13.05.2020

Ich nutzte die Gunst des Stellplatzes und lief zur anderen Seite des Highways. Dort schlich ich hinter das verlassene Anwesen und kletterte über den Bauzaun. Hier hatte mal eine Fabrik im Niemandsland gestanden, davon gab es aber nur noch Grundmauern und Keller. Damit die Arbeiter irgendwo wohnen konnten, obwohl hier keine Stadt war, hatte der Betreiber wohl ein Gebäude mit kleinen Wohnungen gebaut, das noch mehr oder weniger stand – eher weniger wenn man ehrlich war.
Ansonsten waren ein vollkommen verrosteter Peterbilt 270, der Urahn des aktuellen 389 aus den späten 40er Jahren, und ein zweifelsohne erst nach der Schließung des Geländes hier abgefackelter Chevy S10 oder GMC Sonoma im Gestrüpp abgestellt. Ein zum Elefanten geschnittener Busch rundete das Bild ab, bedeutete aber auch, dass hier ab und zu jemand nach dem Rechten sah. Und wenn es nur der Hausmeister vom Truckstop oder Campingplatz war.

Ich nahm danach im Rasthaus eine Dusche und kaufte mir Frühstück. Einsteigen und die Antwort auf die übliche Frage eines Mack-Fahrers mit herstellereigenem Getriebe finden: „Erster Gang? Wo ist der denn hingekommen?“ Dann war ich wieder unterwegs, beim Abbiegen auf den Highway mit einem Blick auf das eben erkundete Objekt. Ich hatte keinen Moment zu früh aufgehört, denn inzwischen war wirklich ein Hausmeister eingetroffen.

Es ging weiter, unspektakulär durch die weniger sehenswerten Randbereiche von Las Vegas, das sich generell für unsereinen bloß dann sehenswert zeigte, wenn man die I-15 entlang fuhr. Am schon seltsam weit hinter der Grenze gelegenen Arizona Port of Entry sollte ich zur Waage. 78,992 lbs, danke schön und weiterfahren. Ich steuerte dennoch den Parkplatz an, um meine Mittagspause zu machen. Immerhin hatte ich in den letzten Wochen gelernt, dass die Waagen so ziemlich die saubersten Fahrertoiletten derzeit hatten.

Bis auf einen Kreisverkehr gab es auch auf der weiteren Fahrt nach Phoenix keine Besonderheiten zu vermelden. Das Ziel war eine Großbäckerei, die industriell Waffeln herstellte, die dann in Folie verpackt in Supermärkten zu kaufen waren. Auch hier musste ich natürlich danach erst einmal zum Tank waschen, ein fester Bestandteil jedes Auftrags, und konnte mir aus Mangel an Alternativen anschließend gleich einen Stellplatz im Industriegebiet suchen. Gut dass ich heute Morgen geduscht hatte.

LOCATION: AZPHX
ACTION: 11H BREAK / RELEASE
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Ich fing an, das Video von heute Morgen zu schneiden.


Donnerstag, 14.05.2020

Ich wurde kurz vor 5 von meinem Handywecker wach, machte eine Kanisterwäsche und frühstückte Mini-Wheats mit Milch. Dann aktivierte ich mich in Isotrak und machte die PTI. Hinterher wusste ich auch, wo ich hin sollte. Es war der nächste für Isotrak zu kleine Betrieb, diesmal eine Saftkelterei. Auch das Ziel war nicht separat hinterlegt, eine ebenso kleine Lohnfüller-Bude in Barstow.

PICKUP: AZPHX-XYZ
DESTIN: CABAR-XYZ
TRAILER: FBT-43
LOAD: APPLE JUICE
WEIGHT: 48,501
REEFER: 36F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also fuhr ich das kurze Stück zur Ladestelle, ließ den Tanktrailer auffüllen und machte mich kurz nach 6 auf den Weg. Bei einer der letzten Möglichkeiten vor Kalifornien füllte ich noch mal Diesel in den winzigen Tanks der Vorführmaschine auf. Eine Menge Treibstoff würde gleich den Cajon Pass rauf wieder verballert werden.

Obwohl ich mit 7:39 am Steuer einen neuen Rekord aufgestellt hatte, würde ich es aber weder unter 8 Stunden und somit bevor ich Pause machen musste, zum Kunden schaffen, noch würde ich es länger ohne Klo schaffen. Also fuhr ich auf dem Flying J vor Barstow (CA) ab und machte Mittagspause.
Anschließend ging es die letzte Stunde ans Ziel. Nach dem Entladen schickte man mich einfach zur firmeneigenen Tankreinigung. Von Brian kam nichts. Also rief ich ihn an: „Hallo Brandon.“ „Hallo Brian. Wie geht es weiter?“ „Weiß ich selbst noch nicht. Zumal Du nach Hause kommen musst. Immerhin müssen beide Teile des Zuges zurück an die Händler.“ „Ich bin hier aber in 5 Minuten fertig und muss vom Hof.“ „Gib mir danach noch 10 Minuten. Stell Dich irgendwo an den Straßenrand.“ „Okay.“
Die Zeit verging und dann war Brian mit seinem Latein trotzdem am Ende.

LOCATION: CABAR
ACTION: 13H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also fuhr ich zurück zum Flying J und schnitt mein Video fertig, um es anschließend hochzuladen. Dann war es Zeit zum Abendessen, was ich nach dem späten Burger zum Mittag auf ein Sandwich aus meinem Vorrat beschränkte. Auf Youtube gab es gerade nichts in der Vorschlagliste, was mir gefiel. Also ging ich mal ein paar mögliche Filmklassiker durch und blieb, um heute Abend wenigstens noch was zu lachen haben, bei „Ein Fisch namens Wanda“ hängen.

Außerdem meldete sich mitten im Film mein Handy. Wir wollten uns am Sonntag bei Isaac am Haus treffen und als geschlossene Gesellschaft die heute erfolgte Freigabe der Wirtschaft feiern. Theoretisch könnten wir uns auch einen Tisch Downtown reservieren, aber die Idee hatten schon einige bei wegen der Abstandregeln reduzierter Kapazität, also wollten wir erst mal nur ausnutzen, dass man sich wieder ohne Grund in der Öffentlichkeit bewegen durfte und eine Party auf privatem Grund feiern.


Freitag, 15.05.2020

Wie gewünscht wurde ich um 5 wach und schaltete vorsichtshalber erst mal Isotrak ein, ohne schon was am E-Log zu verstellen. Gute Entscheidung, denn es gab immer noch nichts zu tun, also noch mal die Decke ans Kinn ziehen.

LOCATION: CABAR
ACTION: 1H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Auch nach dieser Stunde war noch nichts drin. Aber die neue Zeit verriet mir, dass Brian zumindest an der Arbeit war und vermutlich fieberhaft was suchte.

LOCATION: CABAR
ACTION: 3.5H BREAK
REMARKS: THEN YOU GO, AND IF EMPTY!
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Okay, wenn Brian bis dahin nichts fand, sollte ich leer los, sonst war der Reset in Gefahr. Also wartete ich und ging so frühstücken und noch mal aufs Klo, dass ich passend dienstbereit war. Er hatte am Ende sogar einen Auftrag gefunden.

PICKUP: CABAR-XYZ
DESTIN: CARDD-XYZ
TRAILER: FBT-43
LOAD: ORANGE JUICE
WEIGHT: 48,501
REEFER: 36F
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also wieder rein nach Barstow, bei einer kleinen Saftbude den Trailer füllen lassen und ab nach Hause, oder jedenfalls bis Redding. Gegen 11 AM war alles fertig, ich war losgefahren und aus der Stadt, bog auf die CA-58 Richtung Bakersfield ein. Bis auf eine Baustelle ging es gut voran.

Für eine Mittagspause war es durch den späten Start noch zu früh, auch wenn die Uhr schon 1:24 PM zeigte. Also fuhr ich vorbei, obwohl dort ein verlassenes Haus über dem Rastplatz stand, das eigentlich dazu einlud, es zu exploren. Aber aus irgendeinem Grund lief mir dann bei dem Gedanken auch gleichzeitig ein eiskalter Schauer durch den Körper. Vielleicht besser doch nicht.

Die Pause wollte ich dann auf den R.V.J’s Truck Stop in Fresno legen. Ein von Norden kommender Druckgas-Tanker hatte es aber scheinbar eiliger als ich, eine Pause einzulegen und nahm mir erst mal die Vorfahrt.

Ich wollte mich aber nicht groß drüber aufregen, immerhin war nichts passiert. Ich hatte genug Platz zum Bremsen, musste nur neu anfahren. Also stellte ich ihn auch nicht auf dem Truckstop zur Rede. Pause erst um 4 PM hatte ich auch schon eine Weile nicht mehr.

Es blieben noch 5 Stunden Lenkzeit, von denen ich viereinhalb nutzte. Colusa County wollte mal wieder wiegen, mit 78,625 lbs. war alles in Ordnung. Mit nur noch 25 Minuten auf der Uhr beschloss ich, gleich für die Nacht an der Waage zu bleiben.


Samstag, 16.05.2020

Nach der gründlichen PTI unter den wachsamen Augen eines unter dem an eine Telefonzelle ohne Tür erinnernden Blechdach eine Zigarette rauchenden Officers trat ich den letzten Tag mit dem Mack Anthem an. Zweieinhalb Stunden dauerte es dann noch bis Redding. Ich ließ den Tank leer laufen und vor Ort auswaschen und mit Heißdampf sterilisieren. Dann gab es den erwarteten Heimatschuss leer.

START: CARDD
DESTIN: ORMFR-PCT
TRAILER: FBT-43
LOAD: EMPTY
REMARKS: DETACH TRAILER, CLEAR TRUCK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Das waren weitere dreieinhalb Stunden Fahrt und kurz nach 3 PM fuhr ich auf unseren Hof. Dort räumte ich meine Sachen teils in den Silverado und teils in den Umzugskarton, sattelte wie gewünscht den Trailer ab und ging nach oben, auf dem Weg über den Hof mit Blick auf die Statistik.

WEEK START: MO:07:25 AM
WEEK END: SA:03:08 PM
WEEK DRIVE: 56:21 HRS
WEEK WORK: 59:32 HRS
WEEK FRAME: 5D:07H:43M
WEEK MILES: 2,464
REVENUE MILES: 2,262
PERFORMANCE: 91.8 %
WEEK PAYLOAD: 198,413
SH TON MILES: 56,036
WEEK FUEL ECO: N/A
WEEK AVG SPEED: 43.7 MPH

Sonderlich schnell war ich bei dem belämmerten Verbrauch auch nicht gewesen, den Verbrauch las ich im Display der Zugmaschine ab. Als ich ins Büro kam, lieferte sich Brian scheinbar mit dem Menschen von Mack einen Schlagabtausch mit Sicherheitsabstand und Mundschutz: „Es kann doch nicht sein, dass ein moderner Truck… Wieviel, Brandon? Verbraucht!“ „Am Ende 5.7 mpg. Das war aber vor allem dadurch, dass ich einmal Kalifornien längs hatte. In Phoenix am Donnerstag bin ich mit 5.3 abgefahren.“
„Dann kann er wohl nicht fahren. Vielleicht sollte ein erfahrener Fahrer testen und kein so junger.“ Ich wollte schon selbst Luft holen, aber gegen das ablaufende Uhrwerk namens Brian war ich zu langsam: „Jetzt passen Sie mal auf! So was sagen Sie über meine Fahrer nicht und schon gar nicht ihnen ins Gesicht! Brandon ist vielleicht erst 25, aber fährt seit 6 Jahren Trucks, hat mit 19 angefangen und ist mit 21 LCV und Spezialtransporte gefahren. Seinen ersten Truck in dieser Firma, einen 2007er International 9400, hat er mit so einem Schnitt bewegt und seinen International LoneStar mit einer 6 vorm Komma, beide handgeschaltet. Wenn es daran liegt, dass er nicht damit umgehen kann, dann hat Mack also offensichtlich mit dem Anthem ein Vehikel auf die Räder gestellt, das sich komplizierter fahren lässt als der Wettbewerb und sogar ein 13 Jahre alter International. Das wollten Sie doch damit sagen, oder? Und jetzt nehmen Sie Ihren Unrat und verschwinden mit diesem versoffenen Monster von meinem Hof!“ Der Mack-Typ nahm Papiere und Schlüssel und trollte sich kleinlaut vom Hof. Dazu in dem Wissen, dass er hier wohl so schnell nicht wieder aufschlagen musste.

„Ist doch wahr!“ Fast hörte es sich so an, als wollte sich Brian bei mir entschuldigen, nachdem unten der Mack vom Hof gerollt war. „Die Leute in der Niederlassung sind echt okay. Aber dieser schleimige, arrogante Außendienst-Typ geht mir auf den Geist. Am Montag rufe ich mal an. Ich kann mir an sich nicht vorstellen, dass ein moderner Truck so schlecht ist.“ „Außendienst? Sind die von so weit weg?“ „Nein, hier in Medford, oben hinterm Flughafen. Aber sie hatten bis vor ein paar Tagen geschlossen und alles lief über den Außendienst.“
„Die Woche war übrigens Mist. Auch mit dem Trailer.“ „Habe ich gemerkt. Man kriegt keine sinnvollen Touren damit, die Routenplanung ist extrem schwierig. Ich hatte mir gerade jetzt, wo Lebensmittel das einzige sind, was richtig läuft, was davon versprochen, aber ich werde keinen kaufen. Die großen wollen Dich gar nicht sehen. Die kleinen haben kaum sinnvolle Aufträge.“ 
Ich fuhr nach Hause, mit einem Umweg am Walmart vorbei und machte zu Hause erst mal Wäsche, die übliche Wochenendbeschäftigung.

Sonntag, 17.05.2020

Morgens bereitete ich für die Gartenparty einen Farmersalat zu. Da ich bis morgen früh um 7 rum meinen Alkohol abbauen konnte, aber Danny mit einem Pager für die Rufbereitschaft in der Tasche zur Party fuhr, holte er mich ab. Klingel brauchte er mit seinem Auto sowieso keine.

Die Sonne heizte uns gut ein, Baseballcaps waren angesagt. Dabei entstand eine kurze Rückfrage von Casey an Isaac, die in manchen Runden durchaus Sprengkraft gehabt hätte. Die sachliche Klärung zeigte aber, wie unser Zusammenhalt war: „Sag mal, Isaac. Ich dachte, Du hättest die Truppe verlassen. Oder bist Du dem ANG-Cap nach zu urteilen doch noch aktiv?“
„Nein, offiziell nicht. Die Army National Guard ist eine Reservetruppe – und zwar so ziemlich die letzte Notreserve, die die Army hat. Wenn es jemals so weit kommt, dass wir zum Dienst an der Waffe gerufen werden, dann stecken die USA so tief in der Krise, dass auch Du Vorzeigepazifist danach schreien wirst, dass wir von der ANG das Land verteidigen. Denn nach uns wirst dann nur noch Du auf Basis US Code 10, §246 zur Musterung gerufen werden, weil dem Land alle anderen wehrtauglichen Männer ausgegangen sind.“
„Und wozu gibt es Euch dann? Denn der Fall ist ja doch sehr unwahrscheinlich geworden.“ „Einerseits können wir, allerdings außerhalb von der Verteidigung des US-Territoriums nur auf Ebene unseres Heimatstaats, einberufen werden. Das ist normalerweise Katastrophenschutz. Wenn hier in Oregon irgendwo zum Beispiel ein schwereres Erdbeben, ein Erdrutsch oder ein riesiger Waldbrand ist, dann laufe ich wieder im Rang eines Staff Sergeant im Logistikcorps hier rum und sorge dafür, dass bei der aktiven Army und ihren einberufenen Reservisten alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.“ Keiner konnte ahnen, wie dicht uns dieser Fall bevorstand. „Und ganz ehrlich ist das auch zu unserem eigenen Vorteil. Nur so behalten wir unseren Army-Status und zum Beispiel die ständige psychologische Betreuung, auf die viele von uns angewiesen sind, um sich im zivilen Leben zurecht zu finden. Auch ich spreche mich da nicht 100% frei von, selbst wenn ich keine Sitzungen brauche. Ich schraube zum Beispiel prinzipell nicht an Freightliner FLD und den unterm Blech fast identischen Century, weil beim Anblick dieser Maschine ein dumpfer Knall von einer schweren Tür oder so ausreicht und ich unter der Karre in Deckung liege. Das ist durchaus eine psychische Macke, die ich mir in Afghanistan eingefangen habe, wo so ein Geräusch bedeuten konnte, dass gleich eine Mörsergranate durch die Hallendecke kommt. Bei anderen Modellen passiert mir das lustigerweise nicht und M35 kriegt man sowieso nicht in die Werkstatt.“
Casey guckte betreten drein. Soweit hatte sich Isaac aber bisher uns auch noch nie geöffnet. „Entschuldige. Ich wusste ja nicht, was Du durchgemacht hast. Und nicht, dass die Army im Inland und nicht zur Verteidigung auch so wichtig sein kann. Ein solches Beben ist mir zum Glück bisher erspart geblieben, also habe ich das noch nie gesehen.“ „Und wir sind offiziell Veteranen, was ganz banal das eine oder andere Eintrittsgeld in Museen erspart oder Vergünstigungen bei privaten Veranstaltern wie zum Beispiel Spiele von NFL, NBA, NHL und MLB bringt. Aber wir sind glaube ich nicht hier, um den Sinn der Army zu diskutieren, sondern um Spaß zu haben. Egal was ich auf dem Kopf trage.“

Danach wurde es eine schöne Party, auch wenn sich zwischen Evan und mir ein kleiner Flirtwettstreit mit Danny im Zentrum entwickelte. Auch wenn ich seit unserem letzten Zusammentreffen vor dem Lockdown den Verdacht hegte, dass Danny und Evan beide schwul waren, hatte ich für keinen von beiden irgendwelche Gefühle entwickelt. Das war jetzt zumindest von meiner Seite her unverbindlich. In Evan konnte ich natürlich nicht hineinschauen.

Nach der Party brachte Danny mich wieder nach Hause. Vor meiner Tür machte er das Auto aus: „Kann ich kurz auf einen Kaffee mit rein kommen? Ich bin ziemlich müde.“ Hilfe! Klischeealarm! „Da fragst Du nicht ganz den richtigen. Ich habe nur so Becher mit Cappuccino Latte im Kühlschrank und mit ein Bisschen Glück im Backschrank ein paar Röhrchen mit Kaffeegranulat.“ „Was Du als alles als Glücksfall betrachtest. Aber die Cappuccini sind meistens ganz okay.“
Wir gingen rein und nahmen jeder einen Becher. „Hübsches Haus. Und so gut in Schuss, dafür, dass Du nie da bist.“ „Tja. Ein Bisschen zu viel an sich. Aber ich brauche den Platz halt draußen wegen meinen ganzen Fahrzeugen. Eine Wohnung geht nicht, dann muss ich mir eine Halle für den ganzen Plunder dazu mieten.“
Über meinem Esstisch in der Küche hing ein billiger Kunstdruck im Stil der Schule von Posillipo. Es erinnerte entfernt an Consalvo Carellis „Ansicht von Neapel“. Meine größte Sorge war, dass meine Mutter mir, wenn sie dieses „Elend“ sah, irgendwann eine Reproduktion des Originals schenken könnte. „Italienischer Stil. Schön. Ich bin ja Halbitaliener.“
Seine italienische Hälfte kam mir gefährlich nahe. Es war eine Mischung aus Ausweichen und Führen, die uns im Wohnzimmer und auf dem Sofa enden ließ. „Tesoro mio!“ „Ti voglio!“ Ich verstand zwar nichts, Spanisch war zu weit weg davon. Aber der Sinn war klar. Und anschließend war mir klar, was ein Italian Lover war.
Nicht klar war mir, was das zu bedeuten hatte. Wollte er mich als Freund? Keine Ahnung! Wollte ich ihn als Freund? Heute Nachmittag nein, jetzt keine Ahnung! Hatte ich nur mal wieder mit dem Feuer gespielt und irgendwem dabei die Finger verbrannt? Ihm? Mir? Keine Ahnung! Fragen über Fragen, die mich benebelt vor meinem Sofa stehen ließen, während das Pfeifen des Kompressors anzeigte, dass der Dodge Charger Hellcat die Straße runter fuhr.

Hinterlasse einen Kommentar