Kapitel 46 – T680 Owner’s Club Convention

Montag, 01.06.2020

Mit einem merkwürdigen Gefühl fuhr ich zur Arbeit. Brian war dann auch ziemlich wortkarg, als er die Papiere herausgab. Es sollte diesmal ziemlich weit nach Norden gehen. Nach der PTI durfte ich den Auftrag dann auf dem Laptop anschauen und wie immer von Hand ins Navi des Miettrucks eintippen.

PICKUP: ORMFR-KRH
DESTIN: WAGCO-TIB
TRAILER: DRY48
LOAD: PACKED FOOD
WEIGHT: 41,315
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also fuhr ich zu Kraft-Heinz, ließ mir die Fracht aufladen und dann ging es wie immer zum Truck Stop tanken. Ich suchte dabei auch Isaac für ein persönliches Gespräch auf und er nahm mich mit in sein Büro. „Was hast Du denn auf dem Herzen?“ „Ich mache mir Sorgen wegen Evan und Brian.“ „Inwiefern?“ „Na ja. Dass Danny mit Evan und mir zwei Eisen im Feuer hat, ist ja leider kaum zu übersehen. Und Evan ist Brians bester Kumpel und dazu unser beider Chef. Wenn der Partei ergreift?“ „Denkst Du das wirklich?“ „Er war mir eben gegenüber ziemlich kurz angebunden und brummig.“
„Ich weiß es natürlich auch nicht sicher, aber da ich ja trotz Brians dicker Freundschaft zu Evan vermutlich aufgrund der Tatsache, hier zu wohnen und zu arbeiten, derjenige bin, der den meisten Kontakt zu Brian hat, schätze ich ihn nicht so ein. Was ich Dir sagen kann, uns beide nervt Euer Zickenkrieg ziemlich. Er schlägt sich auf die Stimmung in der gesamten Gruppe. Die letzten Treffen, seit das zwischen Euch so ist, sind einfach anders. Und gestern musste Brian einschreiten, damit Evan den Hauch einer Chance hatte, heute Morgen fahrtauglich zu sein. Ich denke eher, dass er seinem Kumpel mal so richtig den Kopf gewaschen hat.“
„Meinst Du?“ „Ja. Und das mache ich jetzt auch mit Dir. Es ist mir egal wie, aber kriegt das irgendwie hin, bevor unsere Gemeinschaft da dran kaputt geht. Bevor einer von Euch beiden persönlich da dran kaputt geht!“ „Ich habe es ja versucht. Aber Danny ist leider trotzdem – ich sage mal „unentschlossen“ zwischen uns.“ „Und Du kannst damit leben?“ „Nein, das habe ich ihm ja auch versucht zu erklären. Warum muss Liebe immer so kompliziert sein?“
Diese Bemerkung endete dann darin, dass ich Isaac mein ganzes Leid klagte von Matthew über Javier bis zu Wesley, wobei er bei letzterem die Geschichte ja schon so weit kannte. Frisch ausgeheult war ich dann in der Lage, den Dienst anzutreten und machte mich auf den Weg auf die I-5 North.

Myrtle Creek Weigh Station ließ mich so durch. In Troutdale (OR) am Rand von Portland und ziemlich dicht am Columbia River steuerte ich das Travelcenter of America an für die Mittagspause. Ich rollte auf den Parkplatz und direkt neben mir parkte ein Truck mit Flatbed und einem Lüftungsschacht drauf ein. Wir stiegen aus und der andere Fahrer guckte mehr an mir vorbei als mich an: „Bin ich hier richtig auf dem Jahrestreffen des Kenworth T680 Owners Club?“ Ich drehte mich um und sah die Reihe entlang. Alle 6 Trucks in diesem Abschnitt waren das gleiche Modell. Vom Day Cab mit Aero Roof bis zum Fernverkehrshaus mit 76“ High Roof.

Seiner war aber bis auf eine lackierte Stoßstange wie mein Leihfahrzeug eher Basispaket, zumindest außen. Vorm Aussteigen hatte ich die hochwertige Innenausstattung gesehen. TTC aus Port Angeles (WA), noch nie bewusst gehört, obwohl ich in der Gegend auch schon manchmal gewesen war. Der Fahrer war ungefähr in meinem Alter, vielleicht etwas älter. Er hatte einen Army-Irokesenschnitt, bei dem man erst mit einem langen Aufsatz den ganzen Kopf rasierte und dann mit einem kürzeren die Seiten, sodass oben eine 1“ Bürste stehen blieb und daneben nur ¼“ Stoppeln. Bei seinen ganzen Piercings in Ohren, Nase und Augenbrauen sowie gefühlten 200 Friedensbändchen am Arm war die Frisur aber wohl eher praktisch als ein Relikt des Wehrdienstes wie bei Isaac.
„Ich bin Jordan.“ „Brandon. Hallo.“ Wir gingen mit dem vom Gesetzgeber geforderten Abstand von 6’ in Richtung Rasthaus, erst einmal zur Toilette und dann zur Essenausgabe. Ich nahm Zwiebelringe mit einem BBQ-Dip und ein Mountain Dew. Es wurde leider selten in Bechern verkauft, so dass es zum Truckstop-Menü von der Bedientheke oft was anderes gab. Derzeit bekam man sowieso Flaschen, also war die Auswahl entsprechend größer. Anschließend setzte ich mich auf meinen Fahrersitz, Jordan auf seinen Beifahrersitz und so konnten wir uns von Truck zu Truck unterhalten. Multnomah County war das letzte in Oregon, das noch im vollen Lockdown steckte und die Restaurants noch geschlossen waren.
„TTC habe ich ja noch nie gehört.“ „Familienunternehmen im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Adoptivbruder, meine Adoptiveltern und ich, drei Trucks. Entweder unsere Eltern oder wir Jungs fahren abwechselnd Doppelbesatzung mit einem richtig großen Truck, die anderen zwei einzeln mit ihrem eigenen Truck und diesem kleinen Schätzchen hier. Sie haben einen Peterbilt 587, wir kriegen in den nächsten Wochen einen Kenworth T990. Dann geht entweder dieses Ding oder unser alter W900 weg und der verbleibende ist der Einzelfahrertruck oder wir stellen jemanden ein für den W900 und er hier bleibt in seiner jetzigen Rolle da. Mal sehen, was die Wirtschaftslage macht.“ „Aha.“ Ich beschloss, mir das mal zu merken, sollte es in Medford zum Äußersten kommen.
„Und für wen fährst Du? Bestimmt nicht für eine Autovermietung.“ 
„Nein. Auch drei Trucks. PCT aus Medford, Oregon.“ „Ach, einen Deiner Kollegen habe ich glaub kürzlich mal getroffen. Ein Latino mit einem fast neuen Freightliner und über 500 PS. Kann das sein?“ „Ja, das war Casey. Wir hatten bis zu einem Parkplatzbrand im Februar einen 28‘ Dolly Flatbed und für das damit zusammenzubauende Rocky Mountain Double den starken Motor. Und weil dabei das Feuer auch auf meine Zugmaschine übergesprungen ist, fahre ich gerade dieses Mietgerät.“ „Was hattest Du?“ „Einen International Lonestar, genauso gut motorisiert.“ „Sind irgendwie auch cool, habe mich aber mit meinem Bruder auf Kenworth geeinigt. Den kriege ich nicht zu was anderem überredet. Zumindest nichts, was heute noch gebaut würde.“
Wir sprachen noch über dies und das, bis die halbe Stunde rum war und fuhren weiter. Dabei sprachen wir über Funk, an der Waage bei Cascade Locks bekamen wir beide einen Bypass. „Oh, Mietfahrzeug und Bypass?“ „Ja. Das war anfangs anders. Der Nachmieter von dem Hobel wird mir ewig dankbar sein.“ Biggs Junction setzte ich den Blinker und aktivierte die Jake Brake für die Ausfahrt. Jordan donnerte hupend vorbei und blieb auf der I-84, seine Richtung für den Auftrag war Denver.

Auch Goldendale bekam ich den Bypass. Ellensburg in Angriff zu nehmen erschien mir zu riskant, also fuhr ich mit 49 Minuten Restzeit in Yakima auf den Gear Jammer Truck Plaza und holte mir eine Folienkartoffel mit Pulled Pork zum Abendessen. Auch Yakima County hatte zumindest noch geschlossene Gastronomie, also wieder mal im Truck essen.
Dazu gab es ein Video von Marius. Sein Kumpel aus der Anfangszeit seines Kanals war aus England zurück in Litauen und die beiden nahmen sich erst mal ein leer stehendes Gebäude vor. Es standen ein paar alte Autos drin, darunter für Osteuropa ziemlich kurios ein US-Ford aus den 70ern und den 4 Liter Reihensechser, tatsächlich der Basismotor, aber bei europäischen Herstellern wie Audi war der Hubraum fast schon die doppelte Zylinderzahl wert, bekam von Marius den Kommentar „Kleiner Motor“ zu hören. Okay, so ein 7.6 Liter V8 war wirklich deutlich größer weshalb der Motorraum auch so groß war, dass selbst dieser schon ordentliche Sechzylinder etwas verloren drin saß.


Dienstag, 02.06.2020

Heute machte ich mich erst mal an den Sport. Sehr früh hatte sich der Wecker gemeldet. 10 Minuten später war ich angezogen und ich „ging“ im Dunkeln die Rudkin Road rauf bis sie in einer 90° Kurve zur East Viola Avenue wurde und die nächste Gelegenheit nach Norden zu kommen die South 18th Street war. Die East Nob Hill führte mich über die US-12 und dahinter kam ich an die Birchfield Road und eine Kleinigkeit zu exploren. Ein Autoverwerter mit riesigem Gelände. Ich ging ein Stück am Yakima River hoch und hatte mit dem schlecht gewarteten Maschendrahtzaun keine Probleme auf das Gelände zu kommen und ein paar alte Autos zu erkunden. Anschließend ging ich am Yakima River entlang, während sich die Sonne immer dichter an den Horizont schob und die Szenerie immer heller wurde. Der nächste Weg ging nur ein Stück südlich des Truckstop unter der US-12 hindurch und kurz danach 30 stand ich unter der Dusche. Anschließend gab es im Truck eine Schüssel Mini-Wheats und ich war abfahrbereit.

Über Ellensburg nach Wenatchee war die Strecke so was wie Routine. Danach die US-2 war ich bisher nur einmal mit dem 9400i gefahren. Der Pine Canyon war schon eine ziemlich trockene Gegend, nur im Talgrund am Fluss wuchsen die Bäume.

Bei Coulee City wechselte ich auf die WA-155 und das Navi lotste mich durch die ganze Stadt Grand Coulee hindurch. Der gleichnamige Damm war schon ein beeindruckendes Bauwerk.

Über eine Brücke ging es in die Stadt Coulee Dam. Isotrak war besser aufgelöst als die Konkurrenz, aber auch hier konnte nicht jede Kleinstadt ihren eigenen Code haben. 12:25 PM war ich am Tidbit und nutzte die Entladezeit für einen Einkauf, denn ich konnte die nächsten 2 Tage damit rechnen, keinen Müllsack eines Beamten des California DFA mit meinem Bioobst beglücken zu müssen. Wenn die leeren Paletten zu Costco gingen, warf das aber einen kleinen Schatten auf Bio – dafür war Costco nicht wirklich berühmt und irgendwas lieferten auch die also hier hin.

PICKUP: WAGCO-TIB
DESTIN: WACOL-CSC
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY PALLETS
WEIGHT: 41,827
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Kurz vor 2 PM war ich wieder auf dem Weg raus aus dem Städtchen zur US-2. Auch an der Reardan Weigh Station durfte ich durch. Den Truck wollte ich nicht behalten, aber den Bypass-Transponder hätte ich gerne.

Die weitere Strecke war nicht sonderlich interessant, Hochlandsteppe bis Spokane, auf der US-2 durch die Stadt, auf die US-395 und ab dann Wald bis zum Ziel in Colville. Um 6:22 PM kam ich am Ziel an und hatte, nachdem ich lange an der Rampe stand, den Befehl zum Nichtstun.

LOCATION: WACOL
ACTION: 11.5 H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Aus Mangel an Alternativen entschied ich mich für den Safeway-Parkplatz, wo ich zuvor die Tanks auffüllen konnte, da die Supermarktkette an diesem Standort auch Tankstellenbetreiber war.


Mittwoch, 03.06.2020

Um 6:51 loggte ich mich zur PTI ein, der Auftrag blieb im Staat und sogar in der Organisation des Kunden.

PICKUP: WACOL-DOL-ST
DESTIN: WAYKM-DOL-PF
TRAILER: DRY48
LOAD: FERTILISER
WEIGHT: 33,000
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also machte ich mich auf den Weg. Dole hatte hier mehrere Standorte. Auf der Farm war ich schon mal gewesen, heute also das Lager direkt gegenüber. Colville schien Kreisverkehrs-Hauptstadt zu sein. Der eine aus Richtung Spokane war so groß und oval, dass der eine oder andere Fahrer gar nicht mitbekommen könnte, dass es einer war. Aber hier oben gab es noch mal einen, der auch deutlich kleiner war
.

Bis die Ladung drauf war, hatten wir 8 AM. Also wieder nach Spokane und auf die Interstate. An der US-395 hatten sie über Nacht eine Baustelle eingerichtet. Und heute wollte mich auch mal die Waage sehen. Mit 68,377 lb. durfte ich aber sofort weiter. In der Gegend um Sprague Lake fiel mir mal wieder auf, wie abwechslungsreich die Gegend im Westen war. Hier gab es Berge mit Wald und am gleichen Tag dann Ebene mit Wüste oder Steppe.

Und wenn man Glück hatte, war auch noch der Ozean mit dabei. Von Philadelphia war man einen Tag durch die Berge gefahren, dann einen durch fruchtbare Ebene, einen durch die Steppe und Wüste, dann kamen erst wieder Berge.
Der nächste See war Moses Lake, wo mir ein gespenstisch verlassener Campingplatz am Seeufer die Frage aufdrängte, wie ich wohl dieses Jahr meinen Urlaub verbringen würde – und die ins Herz stechende Zusatzfrage mit wem.
Ohne diese Frage beantworten zu können, erreichte ich nach 6 Stunden den Verarbeitungsbetrieb von Dole bei Naches (WA), einer Kleinstadt westlich von Yakima. Hier wurden Obst und Gemüse angeliefert, verarbeitet und verpackt. Und genau so was sollte ich mitnehmen.

PICKUP: WAYKM-DOL-PF
DESTIN: CARDD-711
TRAILER: DRY48
LOAD: CANNED FRUIT
WEIGHT: 33,984
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Von Reinigung des Trailers nach speziellen Anforderungen war keine Rede, also kehrte ich einfach nur mit dem Besen durch und ließ mir die Obstkonserven aufladen. Es waren aber wie ich auf dem Ausdruck der Frachtpapiere sah, auch Trockenfrüchte, Gemüsekonserven und Cerealien dabei. Also das Phänomen, das Brian beschrieben hatte, dass eine Palette den ganzen Trailer bezeichnete.

Wie an vielen Dole-Standorten gab es im Fahrerbereich ein Regal, wo man sich mit zum Verzehr geeigneter Ausschussware bedienen konnte. Meistens war das Mindestgewicht nicht erreicht oder ein falsches Haltbarkeitsdatum aufgestempelt worden. Ich griff zu, aber konnte mit einem Ziel in Kalifornien nicht allzu viel auswählen, was in den Staat rein durfte. Weil Nüsse aber geröstet erlaubt waren, nahm ich jeweils einmal gesalzene Honigmandeln und Curry-Cashews.

Es war fast 4 PM, als ich wieder losfahren konnte. Die Waage kurz vor der Grenze durfte ich wieder passieren, direkt hinter der Grenze am Südufer des Columbia machte ich am Biggs Junction Pilot Travel Center Schluss für heute.


Donnerstag, 04.06.2020

Heute sollte ich bequem ans Ziel kommen. Die US-97 kannte ich ja inzwischen im Schlaf. Und bis Bend gab es auch keine besonderen Vorkommnisse. Dort allerdings machten zwei Trucks von XPO den stehenden Synchronstart an der Ampel.

So gleichmäßig wie die Trailertüren nebeneinander blieben, waren sie gleich lang, gleich motorisiert und gleich schwer. Das zog sich auch durch die ganze, mit 8 Meilen Durchmesser reichlich zersiedelte Stadt hin. Am Ende ging doch der Rechte von Gas und ließ den anderen rein. Ich überzog dann mal die Geschwindigkeit für 5 mph, denn wenn meine Theorie stimmte, war das ein T680 Daycab mit Basismotorisierung wie der, an dem ich gerade vorbei zog. Den musste ich nicht bis Klamath Falls vor mir haben.

Das wäre sowieso nicht der Fall gewesen, denn ich machte an der Beaver Marsh Rest Area meine Mittagspause. Danach ging es mit einem Stopp auf der Waage vor Klamath Falls weiter und um 3 PM erreichte ich Redding und den 7-Eleven. Wie die meisten Märkte war er relativ klein, das Konzept dieser Kette war anders als zum Beispiel Walmart und Safeway nicht auf riesige Märkte ausgelegt. Die meisten waren ähnlich der Walmart Neighborhood Markets und in Asien lagen sie sich teilweise direkt gegenüber, so dass man zum Einkaufen nicht mal die Straße überqueren musste. Das führte zu der originellen Situation, dass 7-Eleven dank dieses inflationär dichten Netzes von Mini-Märkten die weltgrößte Einzelhandelskette nach Anzahl der Verkaufsstellen war, obwohl sie im Umsatz eine ganz kleine Nummer waren und sich weit hinter Costco oder Europäern wie Aldi, Kaufland-Lidl und Carrefour wiederfanden.
Die Stille vom Tablet war mir unheimlich. Und wirklich, obwohl mir noch über eine Stunde Fahrzeit blieb, sollte ich die Arbeit einstellen, als schließlich die Meldung kam.

LOCATION: CARDD
ACTION: 13.5 H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Redding hatte kaum wirklich brauchbare Parkmöglichkeiten. Ein gutes Stück außerhalb nach Süden an der I-5 war ein TA-Truck Stop, der als teuer verschrien war und an dem manche Gäste auch schon hygienische Probleme erkannt haben wollten, bevor die groß geschrieben wurden. Ich fuhr stattdessen zu einer Haltebucht an einer Nebenstraße westlich der Stadt, um im Wald „wild zu campen“. Auf dem Platz versuchte ich dann mal rauszukriegen, was am Wochenende geplant war. Der erste, den ich nach vergeblichen Anrufen bei fast allen dran bekam, war Isaac. „Am Wochenende? Bisher nicht viel. Paul muss arbeiten, Alex besucht Freunde, Evan wird seinen Reset wohl in Texas verbringen dürfen, ich muss an meiner Buell Öl und Bremsflüssigkeit wechseln und mal die Züge und den Antriebsriemen prüfen. Bleiben Brian, Casey, Danny und Du.“

Kurz danach rief Danny zurück: „Hallo Brandon. Was wolltest Du eben?“ „Fragen, was am Wochenende los ist. Aber Isaac hat mich schon aufgeklärt.“ „Ja. Ich würde ja gerne mit dem Motorrad an die Küste fahren. Aber die Motels sind noch geschlossen oder nur für wichtige Reisen geöffnet. Und Zelt auf der Maschine mitnehmen muss nicht sein.“ „Wir könnten die Motorräder auf den Anhänger schnallen und mit meinem Camper hinfahren.“ „Das wäre cool!“
Also klärte ich kurz mit Brian per WhatsApp ab, dass ich nach Möglichkeit am Freitagabend oder sehr früh am Samstag zu Hause sein wollte und buchte einen Campingplatz in Newport. 1:0 für mich. Pech gehabt, Evan. Viel Spaß in Texas.


Freitag, 05.06.2020

Wie gefordert stand ich früh auf und war um halb 6 einsatzbereit. Es ging weiter, wo der Tag aufgehört hatte.

PICKUP: CARDD-711
DESTIN: CASAC-WAL-CW
TRAILER: DRY48
LOAD: SOFTDRINKS
WEIGHT: 42,786
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Softdrinks vom Supermarkt ins Lager? Das klang auch mal wieder nach spannender Hintergrundgeschichte. Also fuhr ich zum Laden. Während gestern ein Schichtleiter die Sache abgefertigt hatte, war nun der Marktleiter persönlich da. „Guten Morgen. Pacific Coast Transport. Ich soll hier Softdrinks für das Walmart-Lager abholen?” Wahrscheinlich war mein Blick fragend genug: „Ach ja, der Herstellerrückruf. Ist möglicherweise mit Reinigungsmittel kontaminiert.“ Nun, das war in der Tat ein guter Grund für einen Transport in diese Richtung. Er schickte mich an Rampe 1 und ich bekam die Paletten drauf.
Hoffentlich hatten sie Ersatz. Die genauen Vorschriften kannte ich zwar nicht, aber auch hier wurden langsam wieder die Einschränkungen gelockert und selbst wenn nicht, konnte man immer noch in seiner eigenen Familie ein Barbecue machen und das Wochenende im Garten verbringen. Also los nach Sacramento. Auch das war mal wieder so ein Rätsel der Logistik. Wenn der Zaun nicht wäre, könnten sie die Ware mit dem Hubwagen zu Walmart bringen, denn auch Redding hatte ein beachtliches Zentrallager der Handelskette und das lag gleich auf dem nächsten Grundstück. Nicht fragen – einfach fahren – bringt Geld!

Das einzige potenzielle Hindernis auf einem glatten Durchmarsch wäre die Colusa County Weigh Station gewesen und auch die ließ mich ohne Halt vorbei. Isotrak meldete sich schon automatisch auf der Hauptstraße, das war ein sicheres Zeichen, dass ich hier meine Anschlussfracht abholen sollte.

PICKUP: CASAC-WAL-CW
DESTIN: CARDD-711
TRAILER: DRY48
LOAD: UHT MILK
WEIGHT: 33,984
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also wieder zurück zum gleichen Markt, jetzt mit H-Milch und vermutlich einigem mehr. Dreimal die gleiche Abladestelle in einer Woche hatte ich bisher auch noch nie, erst recht nicht in drei aufeinander folgenden Aufträgen. Ich meldete mich an, bekam mein Tor, wickelte mit dem hinter Plexiglas sitzenden Mitarbeiter die Papiere ab, ließ mir die neue Fracht aufladen, schob die Achsen am Trailer nach Daumenformel zurecht und war wieder unterwegs.

Unterwegs musste ich lachen. Der Lockdown wurde zwar gelockert, man durfte scheinbar auch hier wieder im Garten grillen – aber dass es manche Leute dann gleich so mit dem Bier zum Gegrillten übertreiben mussten.

Um 4:20 PM war ich wieder da, wo ich vor 11 Stunden schon mal war. Der Schichtleiter im Markt musste auch lachen. „Du schon wieder? Warst doch gestern Abend erst hier.“ „Ja. Und heute Morgen auch, aber Du nicht sondern Dein Boss!“ „Was bringst Du denn jetzt?“ „H-Milch – die Softdrinks waren ja nix!“ „Fahr an die 1, aber Vorsicht, an der 2 steht ein Trailer!“ Glückwunsch, einmal mit dem Kamel durchs Nadelöhr. Ich schob den Radstand zusammen, dann musste man zwar aufpassen, dass man nicht mit dem langen Überhang aneckte, aber dafür brauchte man auch weniger Platz.

Während ich entladen wurde, holte Brian mich im Anschluss leer nach Hause.

PICKUP: CARDD-711
DESTIN: ORMFR-PCT
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also ging es danach auf die Piste nach Norden. Bis nach Hause würde ich nicht kommen, nur zu der grausigen Tankstelle bei Hornbrook. Heute lag das mal nicht an der Lenkzeit, die zwar auch knapp würde, aber zu schaffen war. Das Problem war wegen der vielen Ladevorgänge mal die Schichtzeit.

Auf dem Parkplatz dann kam ich zur Erkenntnis, dass ich beim Exploring in einer Sache Glück gehabt hatte. Vor 2 Jahren war ich mit Shane ins Disney River Country geschlichen und wir hatten die Anlage erkundet, es dunkel werden lassen, die Nachtstimmung mitgenommen und dann im Schutz der Dunkelheit wieder raus. Das war, auch wenn die Tschernobyl-Serie mit strammen Schritten hochzählte, das bis heute mit Abstand meistgesehene Video des Malik-Channels.
Nun hatte Jake von Bright Sun Films ein Update in seiner Serie „Abandoned“ rausgebracht. Das River Country gab es nicht mehr. Nach mehr als 10 Jahren Verfall und tollen Plänen, was man machen könnte, hatte Disney angefangen, das Gelände einzuebnen, um dort nun wirklich ein neues Resorthotel zu bauen.
Auf dem mit einigen Freunden zusammen betriebenen Kanal gab es unter der Rubrik „Abandoned“ Exploration-Videos – eigene oder mit Fremdfilmmaterial – zusammen mit Informationen über die Geschichte des Objekts. Wer auf den morbiden Charme verfallener Gebäude stand, aber nicht ständig in der Angst leben wollte, dass jemand von einem Gerüst stürzte oder durch einen maroden Fußboden krachte wie auf Marius Kanal, der war hier richtig. Daneben gab es die Serien „Bankrupt“ über den Niedergang nordamerikanischer Firmen bis zur finalen Insolvenz nach Chapter 7 oder der erfolgreichen Sanierung unter Chapter 11, unter „Cancelled“ stellte er Projekte vor, die es über die Planungsphase und bunte Präsentationen nie hinausgeschafft hatten.
Teilweise hatte er Interviews mit Schlüsselpersonen geführt. Als Youtuber um die 20 Jahre alt ein Interview mit dem Vorstand der Kreuzfahrtreederei Carnival Cruises musste man erst mal vereinbart kriegen. Und derzeit arbeitete er an seinem ersten Dokumentarfilm in voller Länge. „Closed for Storm“ sollte über den nach den Schäden von Hurricane Katrina geschlossenen und nie wieder eröffneten Six Flags Park in New Orleans handeln, mit offizieller Drehgenehmigung und allem was dazu gehörte.
Er hatte das Hobby zum Beruf gemacht. Und aus dem konzeptlos drein sabbelnden Teenager war über die Jahre ein ziemlich profihafter Dokumentarfilmer geworden, was man schon an seinen Videos auf dem Kanal merkte. Auch wenn seine euphorische Begrüßung „Whazzup guyyyyys! My name is Jake! Welcome to abaaaaandoned!“ als Markenzeichen geblieben war und an sein erstes und von der Community in der Luft zerrissenes Video erinnerte, bei dem er vor 7 Jahren hektisch und mit mehr mittendrin abgebrochenen als vollendeten Sätzen die Szenerie kommentiert hatte, während er vom Fort Wilderness Resort durch den Zaun in genau jenes River Country filmte. Jake war definitiv jemand aus der Szene, den ich gerne mal treffen würde. Allerdings wohnte er bei Toronto, also nicht gerade um die Ecke.


Samstag, 06.06.2020

Dieser Tag hatte das Zeug, einer der kürzesten Arbeitstage meiner Karriere zu werden. 2:14 einschließlich PTI und Überfahrt der Waage am PoE und Volltanken bei Isaac hatte ich dann im E-Log stehen, bevor um 6:44 Feierabend war.

Ich fuhr nach Hause, setzte den Camper auf, koppelte den Anhänger an und zog ihn auf festen Untergrund, leierte die Stützen runter, fuhr den Nissan unter die Überdachung und die Yamaha auf den Trailer, spannte sie mit drei Gurten runter und fuhr zu Danny. Der packte seine Tasche und seine Motorradklamotten in den Camper, wir stellten seine Suzuki auf die andere Seite des Anhängers und ab ging es an die Küste, mit Zwischenhalt am Supermarkt für die Verpflegung, die Danny kaufte, während ich alle drei Fahrzeuge volltankte.
Etwas vor 2:30 PM waren wir am Campingplatz und ich stellte das Gespann ab. Wir rollten die Motorräder vom Anhänger, den ich danach abkoppelte und das Schloss über die Kupplung stülpte.

Nach einem Snack zum Mittag zogen wir uns unsere Kombis an und waren kurz danach auf zweimal zwei Rädern unterwegs. Es ging an der Yaquina Bay entlang bis Toledo, die mir bestens vertraute US-20 nach Eddyville, bis Blodgett den Umweg über die US-180, vor Philomath auf die OR-34. Die endete in Waldport auf der US-101, die wir dann zurück nach Newport fuhren. Die Runde dauerte knapp 3 Stunden.

Durch den langen Tag war ich ein Bisschen fertig. Danny nahm das zum Anlass, die Küche zu erobern. Ich war wohl eingenickt, denn das nächste, was ich registrierte, war, als Danny Teller auf den Tisch stellte. Ich fand mich einem Suppen- und einem flachen Teller gegenüber, neben Löffel, Messer und Gabel verriet der Dessertlöffel, dass das nicht alles sein würde.
„Sagne e fagioli, eine Tomatensuppe mit Bohnen und Nudeln. Dazu Brot mit Oliven. Eine typische Suppe aus der Region, wo meine Urgroßeltern geboren sind.“ Anschließend gab es Gnocchi mit Speck, Ei und Käse. Und dann begab sich Danny noch mal in die Küche und wurde mit dem Schneebesen in einer Schüssel hektisch. „Und als Krönung zum Schluss Zabaione.“

Nach dem Vergnügen kam die Arbeit, denn das Schlachtfeld wollte wieder abgewaschen werden. Und danach folgte die zweite Krönung des Abends, die aber nicht am Esstisch stattfand sondern auf einem etwas weicheren und größeren Möbel. 


Sonntag, 07.06.2020

Nach dem Frühstück packten wir alles zusammen, räumten den Stellplatz und ich parkte das Gespann nördlich der Stadt auf der Parkfläche am Lighthouse. Mehr als ein Blick von außen war aber nicht möglich, denn diese Attraktion war noch wegen der Pandemie geschlossen. Heute fuhren wir die US-20 nach Toledo, die OR-229 nach Norden bis Kernville, ein richtig schmales Nebensträßchen mit Schotteroberfläche nach Rose Lodge, OR-18 nach Williamina, weitere, diesmal aber asphaltierte Backroads, bis wir in Beaver wieder auf die US-101 stießen und mit einer Hotdog-Pause in Hebo, den Weg zurück zum Auto antraten.

Gegen 9 PM hielt ich bei Danny vor dem Apartmentkomplex und begann die Sicherung an seiner Maschine zu lösen, während er seine Sachen in die Wohnung brachte. Er setzte sich auf seine Maschine. „Ciao! Ich wünsche Dir eine schöne Woche.“ „Ciao. Und Danny…“ Er würgte die Gretchen- oder eher Daniele-Frage gleich ab, indem er mit dem Zeigefinger über meine Nasenspitze strich: „Es war ein wundervolles und unvergessliches Wochenende, Brandon. Vielen Dank für alles.“ Dann drückte er den Starterknopf und sein 650er Einzylinder machte Kommunikation unmöglich, er fuhr auf den Innenhof mit den Parkplätzen aus meinem Blickfeld.

Ich dachte ja das gleiche über dieses Wochenende. Aber ich wollte endlich die Gewissheit, dass sich das wiederholen ließe. Und noch viel mehr die Gewissheit, dass ich dieses Gefühl nicht mit Evan teilen musste. War das so schwer zu verstehen?

Hinterlasse einen Kommentar