Samstag, 20.06.2020
Vor lauter Haushalt, Wäsche und so hatte ich die Zeit am Abend ziemlich versemmelt. Der Bus war abgefahren, Taxi dauerte auch erfahrungsgemäß bis zu 20 Minuten, bevor das hier war. Also musste ich das Auto nehmen und nichts trinken.
Isaac, Brian, Paul und Alex waren schon da. Casey kam quasi gleichzeitig mit mir. Paul trank Cola, seine Ford Focus Alltagsrutsche hatte ich auch vor der Tür schon gesehen. Beim Anblick von Isaacs Sharp’s wurde mir anders. Miller kriegte man schon mit Alkohol kaum runter, geschweige denn ohne. Das Zeug war ihnen ja auch so peinlich, dass sie eine eigene Marke dafür geschaffen hatten.
Ich bestellte mir stattdessen natürlich, nachdem hier auch Flaschenware ausgeschenkt wurde, ein Mountain Dew. Alex erzählte, dass er sich nun ungeplant ein neues Auto kaufen musste. Wobei es ein neues altes war, ein gebrauchter VW Jetta, den er am Montag abholen konnte. Sein Oldsmobile hatte vor zwei Wochen am Sexton Mountain Pass sein erbärmliches Leben ausgehaucht. Das war ein gar nicht mal so schlimmer Anstieg auf der I-5 von Eugene kommend. „Die Registrierungsstellen sind ja wenigstens wieder offen. Kannst Du das Motorrad gleich mit anmelden?“ „Das ist es schon längst. Damit bin ich ja derzeit mobil.“ „Ich denke, da war geschlossen.“ „War es auch, musste man alles mit der berittenen Schneckenpost machen.“
„Wollt Ihr zu Essen bestellen?“ Brian sah in die Runde. „Wir warten noch auf zwei Gäste.“ „Darf’s noch was zu trinken sein?“ Es ging mit den Bestellungen rund. „Derzeit nichts.” “Melon Crush.“ „Moscow Mule.“ „Whisky Sour.” “Sidecar.” Soviel also zu “kein Alkohol.” Aber 4 cl waren bis nachher weg und mit dem Auto durfte ich sowieso 0,8 Promille haben.
Schließlich kamen dann auch Danny und Evan. Gleichzeitig! Die beiden bekamen ihre ersten Getränke, dass Evan Bier und Danny Cola bestellte, ließ auf Anreise in einem gemeinsamen Fahrzeug schließen.
Bevor das Essen kam, ging ich noch mal zur Toilette und als ich gerade am Waschbecken stand, kam Evan rein, zischte mir gehässig zu: „Ich habe dann wohl mit Danny zu Dir gleichgezogen!“ Nun, das letzte Mal, dass wir uns überhaupt unterhalten hatten, war auf dem Hof und fast einen Monat vorbei. Da hatte ich ihm auf die Nase gebunden, dass Danny und ich Sex hatten.
Während Danny, der neben Evan saß, versuchte, den davon abzuhalten, machte Evan zu mir immer wieder mal provokante Gesten. Ich tötete ihn mit Blicken und wir beide töteten die Stimmung. Irgendwann hatten scheinbar zwei Leute gleichzeitig die Nase voll. Nur Brians Zündschnur war entweder einen Zentimeter kürzer gewesen oder sie brannte schneller ab als Isaacs. Erst mal rief er in Richtung des Kellners: „Zahlen!” und dann wendete er sich an die Runde, vor allem an die unrunde Stelle der Runde: „So! Schluss jetzt hier! Die Runde ist beendet! Ich habe von Eurem Zickenkrieg heute die Schnauze einfach nur voll! Entweder Ihr bringt Eure Dreiecksbeziehung in irgendeiner Form in Ordnung. Sei es nun, dass einer von den balzenden Hähnen in die Röhre guckt und der andere kriegt was er will oder dass Ihr von mir aus einen offiziellen Dreier aufmacht! Das ist mir inzwischen so was von scheißegal, aber das hier gebe ich mir nicht länger! Vorher will ich privat keinen von Euch dreien mehr sehen!“
Ich hatte bezahlt, auch wenn ich mir nicht mal sicher war, was und ob ich da jemandem einen mit ausgegeben hatte, es war mir aber in dem Moment auch scheißegal. Ich griff in meine rechte Hosentasche und Isaac brauchte zum zweiten Mal heute Abend zu lange zum Luft holen, so dass nun Alex die Ehre hatte, ihn zu überholen. Er baute sich vor mir auf, auch wenn er eigentlich genauso ein Zwockel war wie ich selbst: „Gib mir Deinen Autoschlüssel!“ „Was?“ „Du fährst heute nirgends mehr mit dem Auto hin!” „Was denn? Wegen einem Shortdrink vor anderthalb Stunden?” „Ja, wegen dem auch. Und dazu noch vier Flaschen Corona, einem Caipirinha und einem Whiskey on the Rocks!“
Mir blieben die Worte weg. Ich hatte weder mitbekommen, dass ich das alles getrunken hatte noch dass ich es soeben offensichtlich auch bezahlt hatte. „Entweder Du nimmst Dir ein offizielles Taxi, ein Isaac-Taxi, der ja nicht viel Umweg bei Dir vorbei hat oder meine Schlafcouch im Wohnzimmer und holst morgen das Auto hier ab!“ Mit Isaac in einem Fahrzeug zu sitzen hatte ich gerade gar keine Meinung drauf und ein Taxi zu bezahlen auch nicht, da der Abend befürchtungsweise jetzt schon mehr gekostet hatte als ich dachte. Wenn der Wirt eben eine Null mehr eingetippt hatte, dann hatte ich das auch unterschrieben. Morgen sollte ich mal im Onlinebanking die Buchung nachsehen. „Also gut, dann Deine Couch!“
Der Weg zu ihm nach Hause war ja zum Glück fast noch in Fuß statt Yards zu messen. „Willst Du was trinken? Wasser? Cola? Mors? Leider habe ich kein Dew hier.” „Was für ein Zeug?” „Ach so, entschuldige. Mors ist eine russische Limonadenart aus Beeren- oder Kirschsaft und Wasser ohne Kohlensäure.“ „Cola bitte.“ Ich hoffte mal auf die richtige Marke und zum Glück kam dann auch die Flasche mit dem rot-weißen Etikett. Die Marke mit Hauptfarbe blau war nicht so ganz mein Ding. Er trank dem Getränkekarton mit dem kyrillschen Aufdruck und den Kirschen auf dem Bild nach scheinbar dieses Mors.
Hier war zwar kein Alkohol im Spiel, aber geistreiche Getränke für weniger geistreiches Gelaber hatte ich scheinbar genug vorhin. Jedenfalls redete ich die ganze Zeit über Dinge, die Alex eigentlich nichts angingen. Mein Streit mit Evan, mein Wochenende mit Danny, wie sehr ich mir wünschte, Danny in einer festen Beziehung zu haben. Alex saß in seinem Sessel, hörte mir geduldig zu und guckte tief in die rote Brühe in seinem Glas.
Als ich genug geredet hatte, fing er mit irgendwas an, aber mein Tag war am Ende. „Das ist leider wirklich schlimm, wenn jemand anders die gleiche Person will wie man selbst. Aber Du hast zumindest…“ Verehrte Zuschauer, dieser Film ist gerade gerissen. Ich sackte zusammen.
Sonntag, 21.06.2020
Ich wurde wach von meiner Sneakerallergie. Immer wenn ich die noch trug, wenn ich einschlief, hatte ich am nächsten Morgen übelste Kopfschmerzen. Zum Glück war das letzte Mal lange her, noch in Philadelphia. Ich musste erst mal gucken, wo ich hier überhaupt lag, denn mein Bett war es nicht. Auf einem Sofa, neben einem Wohnzimmertisch mit zwei Gläsern, einer Flasche Cola, einem Getränkekarton mit Kirschlimonade und russischer Aufschrift und einer Flasche Wodka, von der ich keine Ahnung hatte, welche Rolle die am Vorabend gespielt hatte oder dass überhaupt. Das Fenster war geöffnet, was vermutlich gut war, denn ich merkte selbst, dass ich stank wie ein Puma. Da war es ganz gut, wenn der Käfig belüftet wurde.
Der Pumakäfig schien dann wohl Alex Wohnzimmer zu sein. Er hatte mich gestern daran gehindert, mit dem Auto stockbesoffen nach Hause zu fahren. Bewusst hingelegt und mit diesem dünnen Deckchen zugedeckt hatte ich mich nicht. Irgendwann war ich einfach weg – als hätte ein kleines Männchen in meinem Kopf den Hauptschalter umgelegt. Entweder war ich danach noch mal halbwach oder Alex hatte mich hingelegt, zugedeckt und das Fenster geöffnet. Ich hörte den Hausherren in der Küche rüstern.
Ich stand schön langsam auf und ging in die Küche. „Guten Morgen.“ „Morgen…“ Gut war er nicht, ein guter Morgen fühlte sich anders an. „Frühstück dauert noch. Wenn Du duschen willst, das Bad ist auf dem Flur links.“ Das war nett umschrieben. Wenn er gesagt hätte „Du solltest vorher duschen!“ wäre das auch nicht verkehrt gewesen. Ein Handtuch lag schon bereit auf dem Hocker. Auch wenn ich wieder in die gleichen Klamotten steigen musste, war das schon mal ein Fortschritt. Selbst wenn Alex Sachen mir sicherlich passen würden, musste ich mir ja nicht auch noch was von ihm ausleihen. Ich war ihm bestimmt schon lästig genug gewesen und nun machte er auch noch ein Frühstück, das nicht nötig gewesen wäre.
Als ich in die Küche kam, war der Tisch gedeckt. „Setz Dich. Berauschend ist es nicht. Aber ich war nicht auf einen Gast eingestellt.“ „Wegen mir brauchst Du Dir doch auch nicht solche Umstände machen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich frühstücke sonntags an sich immer so ausgiebig. Dann brauche ich mittags nichts oder nur ein Butterbrot. Und der Sonntag ist auch häufig mein russischer Tag, wenn ich alleine bin. Irgendwie bin ich scheinbar ein Sechstage-Amerikaner.“
Ich setzte mich an den kleinen Tisch, Alex gegenüber. „Das ist im Prinzip das gleiche wie das angloamerikanische Porridge, nur aus anderem Getreide. Ist eine Buchweizen-Dinkel-Mischung. Kannst Du Dir nach Geschmack mit Honig und / oder der Marmelade süßen. Und die Pfannkuchen sind Blini, eins der russischsten Gerichte überhaupt. Aus Buchweizenmehl. Das puristischste ist, nur saure Sahne drauf zu streichen. Wenn Du es süß willst, nimmst Du dazu noch Marmelade. Ich bevorzuge sie herzhaft mit saurer Sahne, Sauerkraut und Speck.“ „Ungewöhnliches Frühstück.“ „Das habe ich auch anfangs gesagt, wenn ich bei amerikanischen Freunden übernachtet habe und nur das russische Essen von Onkel und Tante kannte. Da gab es am Sonntagmorgen gebackenen Schinken, Spiegeleier Over-Easy und Kartoffel-Wedges, danach Pancakes mit Ahornsirup und Blaubeeren.“ „Okay, so betrachtet hast Du Recht.“
„Der Tee in der Kanne ist ungenießbar hochkonzentriert, den koche ich morgens nur einmal. Mach Dir einen Fingerbreit in den Becher und auf der Küchentheke im Samowar ist heißes Wasser, mit dem Du auffüllst. Das Ding ist meiner Meinung nach der praktischste Haushaltsgegenstand, den Russland hervorgebracht hat. Musst nur einmal welchen kochen und hast den ganzen Tag sofort eine Tasse heißen Tee.“
Nach dem Frühstück machte ich mich auf den Heimweg: „Alex. Vielen Dank für Nachtlager und Frühstück. Und auch dafür, dass Du mir vielleicht meinen Führerschein und Job gerettet hast.“ „Keine Ursache.“ Er lächelte etwas gequält. Ich war ihm wohl doch ziemlich lästig gewesen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir einen stockbesoffenen Kumpel freiwillig für eine Nacht ans Bein binden wollte.
Der Fußweg zum Auto tat ganz gut. Dann fuhr ich nach Hause und verbrachte den Vormittag vor allem auf dem Sofa damit, viel Wasser zu trinken, um den Kater zu ertränken. Ich hatte Angst. Angst davor, nach diesem Auftritt morgen Brian unter die Augen treten zu müssen. Und Angst, dass ich über meinen Eifersuchtsstreit mit Evan um Danny mein Leben aus dem Griff verlieren könnte.
Normalerweise würde ich mit Randy über so was sprechen. Aber das, was schon alles passiert war, war mir sogar für meinen Zwillingsbruder zu peinlich. Und dass ich es nach meinen schemenhaften Erinnerungen auch noch letzte Nacht im besoffenen Kopf Alex erzählt hatte, machte die Sache nur noch schlimmer. Es musste was passieren, ich versuchte Danny anzurufen. Er ging aber nicht ans Telefon. War etwa Evan immer noch bei ihm?
Ich beschloss, mich mal aufs Motorrad zu setzen und so halbwegs inkognito zum Spionieren fahren zu können. Evan kannte das Teil gar nicht, Danny allerdings schon. Der erste Weg führte zu Dannys Wohnanlage. Dort konnte ich nur von der Straße auf den Parkplatz gucken, fand aber Evans Auto nicht auf den Besucherplätzen, allerdings leuchtete auch auf dem Anwohnerparkplatz nirgends ein gelber Dodge Charger. Also fuhr ich weiter zu Evans Wohnung, wo sein eigenes Auto brav vor der Tür stand. Auch hier allerdings keine Spur von Dannys Charger. Es blieb der Abstecher zum Flughafen. Und dort stand dann auch die knallgelbe Supersportlimousine auf dem Mitarbeiterparkplatz von Mercy Flight.
Also machte ich nun eine Vergnügungsrunde mit dem Motorrad draus. Es ging die OR-227 nach Canyonville, notgedrungen die I-5 runter nach Wolf Creek und von dort durch den Nationalpark nach Grants Pass und die OR-238 zurück nach Hause, eine nette Runde von 4 Stunden.
Montag, 22.06.2020
Als ich in die Straße einbog, wo die Firma stand, kam mir Evan mit seinem Kenworth entgegen und zeigte sogar eine Reaktion, die ich nicht mal unfreundlich wertete, sondern als Warnung. Er wedelte mit seiner Hand. Das konnte ja heiter werden. Casey machte gerade seinen Truck fertig, also war ich wohl der letzte heute. Ich parkte ein und ging nach oben.
„Guten Morgen Brian.“ „Morgen Brandon. Da ist ja der zweite Wochenendverderber.” Tendenziell waren mir ja klare Ansagen lieber als irgendwelches Herumgerede, aber das war mal zu direkt. „Entschuldige…“ „Es fällt mir schwer, die anzunehmen, aber Du hast die gleichen Chancen verdient wie Evan. Dem habe ich schließlich vor 3 Wochen auch zugestanden, es bei einem ernsten Gespräch zu belassen, als er sich abgeschossen hat. Ich gehe davon aus, dass Du jetzt fahrtüchtig bist. Wenn nicht, dann sag es lieber jetzt als dass ich es auf schlimmere Weise herausfinde. Denn wenn Du betrunken oder mit Restalkohol was verbockst, kannst Du Dir auf jeden Fall schon mal einen Termin beim Arbeitsamt vereinbaren, wenn Die Justiz Dich nicht gleich am Arbeiten hindert!“ „Alles in Ordnung, ich habe Samstagabend den letzen Alkohol getrunken.“
„Okay. Die Ansage ging ja diesmal an alle drei und unbeteiligte Beisitzer. Wir waren so eine tolle Gruppe, bis das angefangen hat. Ich versuche ja das Kunststück, beruflich und privat zu trennen, obwohl ich mit Euch bei beidem zu tun habe. Dieses Jahr mehr als geplant, weil in einem normalen Jahr wäre ich bestimmt schon ein paar Wochenenden mit Paul in Kalifornien zum Surfen gewesen. Aber das geht halt dieses Jahr nicht vernünftig mit den ganzen Einschränkungen.“
Dann kam der Punkt, wegen dem Evan wohl eben die Handbewegung gemacht hatte: „Und ich habe das eben schon Evan gesagt – eigentlich solltet Ihr Euch nicht nur besser vertragen, weil Ihr beide hier arbeitet und den gleichen Freundeskreis habt. Ohne den einen wäre der andere nicht hier!“ Wie auch immer das sein sollte, denn immerhin war Evan vor mir hier. „Evan hatte von dem Job am Anfang überhaupt keine Ahnung und eine lausige Performance. Hoher Verbrauch, hoher Verschleiß, langsames Tempo, langwierige Ladevorgänge. Ich habe für ihn aus Freundschaft draufgezahlt. Als dann Walter gekündigt hat, brauchte ich ohne Experimente einen guten Fahrer, der das garantiert ausgleichen kann und im nächsten Moment rufst Du an. Ich wusste, was ich an Dir habe und nur deshalb habe ich Dir trotz der Bedenken, dass Du wegen Deines Hobbys jederzeit wieder ausfallen könntest, wenn ich Dir da nicht ein Bisschen Vorsicht abverlange, diese Stelle angeboten. Und nur weil Du schnell hier her gekommen bist und sofort eine gute Arbeit gemacht hast, war ich in der Lage Evan zu behalten, sonst hätte ich dem wohl oder übel kündigen müssen, um die damals ziemlich angeschlagene Firma zu halten.“
Dann konnten wir uns in der Tat gegenseitig dankbar sein. „Aber diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen brauche ich Dich nicht mehr, um ihn durchzufüttern – und er ist gut genug, um auf dem Arbeitsmarkt in dem Beruf auch außerhalb dieser Firma zu bestehen. Und eins solltest Du genauso wissen wie er – wenn ich der Meinung bin, dass einer von Euch beiden wegen Eurer privaten Scharmützel nicht in der Lage ist, seinen Job sicher und gut zu machen, werde ich keine Sekunde zögern, denjenigen rauszuschmeißen!“
Das war mal eine Ansage. „So lange Ihr mir privat auf den Sack geht, hat das keine Auswirkungen auf die Firma, keine Sorge. Dann befasse ich mich einfach nur in meiner Freizeit nicht mit Euch. Die Warnung gilt nur, wenn Ihr schlechter im Job werdet oder Euch neue Freunde namens Johnny, Jim und Jack suchen solltet und so zum Risiko für Euch und andere im Verkehr werdet. So, das war das Wort zu Montag, dann mal los. Im Gegensatz zu mir hast Du schließlich keine Probleme, nach Kalifornien einzureisen.“ Kleinlaut begab ich mich an die Arbeit. Aber so überraschte mich wenigstens nicht, was nach der PTI im Display stand.
PICKUP: ORMFR-HAW
DESTIN: CABAR-XYZ
TRAILER: FLT45
LOAD: HOUSE PARTS
WEIGHT: 36,410
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Wie so oft bei Fertighausteilen war die Anlieferstelle eine Privatanschrift mitten im Wohngebiet, bei der kein großer Baukonzern die Bauleitung hatte. Um genau 8 AM war ich mit gesicherter Ladung unterwegs.
Am California PoE durfte ich durch, aber dafür musste ich Colusa County raus und sogar Papiere und Ladungssicherung prüfen lassen. Ich beschloss also, hier auch gleich die Pause zu machen. Ereignislos ging es weiter. Um wenigstens auf dieser 1000 mal gefahrenen Strecke was neues zu sehen, entschied ich mich, mal die CA-132 als Querschlag zwischen I-5 und CA-99 zu nutzen. Aber auch das war eigentlich nur eine Straße durch die typische Landschaft von Central California.

Und so war am R.V.J’s Truck Stop bei Fresno der Tag zu Ende. Ich ging duschen und was essen, dann warf ich mich in die Koje. Vom Fahren ein ereignisloser Tag, aber ansonsten… Es war einerseits eine ziemlich heftige Ansage von Brian gewesen. Das letzte Mal, dass mich jemand dermaßen rund gemacht hatte, dürfte gewesen sein, als mir Randy und Tristan erklärt hatten, wie sie vergeblich versuchten, meine Firma zu retten und ich damals sauer geworden war, weil ich dachte, Randy hätte den Weg des geringsten Widerstands gewählt.
Aber Brian wäre nicht er, wenn er das nicht trotz aller Dringlichkeit und Nachdrücklichkeit fair gestaltet hätte. Er hatte die Situation erklärt, aber am Ende auch aufgezeigt, dass es weiterhin ein Miteinander geben konnte. Ich durfte nur keinen groben Fehler machen, was mir aber selbst klar war.
Dienstag, 23.06.2020
Auch fürs Frühstück ging ich wieder in den Truckstop. Außerdem kaufte ich ein, da ich nicht wusste, wie lange ich in Kalifornien bleiben musste oder wie schnell ich wieder rein kam und dann legale Frischwaren haben wollte. Auf die Minute genau wie am Vortag machte ich mich auf den Weg.
Die US-58 war ich seltener gefahren, aber auch hier gab es nicht so viel zu bewundern. Kalifornien wurde verglichen mit Oregon, Washington oder Idaho überschätzt. Nach genau 5 Stunden Fahrzeit war ich dann in Barstow. Kalifornien war auch noch groß dazu und dank 55 für Trucks kam man nicht vorwärts.
Typisch! Wenn ich mir überteuerte Lebensmittel in Kalifornien kaufte, konnte das nur eins bedeuten.
PICKUP: CABAR-JDE
DESTIN: IDTWF-DOL-WH
TRAILER: FLT45
LOAD: PLOUGHS
WEIGHT: 6,613
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also raus aus Kalifornien. Ich fuhr zur John Deere Niederlassung und ließ die beiden Pflüge aufladen. Dann gab es eine Mittagspause auf der Fläche direkt vor der Vertretung. Die diente wohl meistens als Wartefläche für Fahrer, immerhin standen auch zwei Dixiklos dort, also war eine sanitäre Grundausstattung da, die über eine blickdichte Hecke hinausging.
In der Pause kam eine Textnachricht über Isotrak.
MSG: KEEP FUEL LEVEL LOW FOR END OF WEEK
SENDER: ORMFR-PCT-BRW
Den Tank leer halten, nach Brians Aussage, dass er mir eine weitere Chance gegeben hatte, könnte das bedeuten, dass es auch den neuen Truck gab, von dem er mal gesprochen hatte. Oder hatte ihm doch was an meinem Verhalten nicht gepasst? Ich machte mich auf den Weg.
Knapp 700 Meilen war aktuell so unsere übliche Entfernung eines einzelnen Auftrags. Nach 2:40 Stunden erreichte ich Nevada und direkt hinter der Grenze Primm mit seinem brach liegenden Vergnügungspark.

Nachdem unser überaus „kompetenter“ Präsident ja die Tage festgestellt hatte, dass das Problem der hohen Neuansteckungen darin lag, dass zu viel getestet und daher zu viel gefunden wurde, sollten sie doch einfach weniger testen, dann würde die Zahl schon sinken und die Wirtschaft konnte wieder hochgefahren werden.
Ich war nun innerhalb meiner eigenen Partei nicht als Biden-Fan bekannt und hatte bei der Vorwahl im Mai auch für Sanders gestimmt, um dem „linken“ Flügel der im internationalen Vergleich immer noch deutlich rechtslastigen Demokratischen Partei mehr Gewicht in der zukünftigen Politik zu verleihen. Aber inzwischen würde ich im November auch ohne Magengrummeln für einen Besenstiel stimmen, wenn es denn half, das Trumpeltier loszuwerden.
Es ging weiter durch das ebenso brach liegende Las Vegas und bis Crystal Springs, wo ich noch mal volltankte, das sollte bis zum Ende der Woche dann knapp werden, notfalls noch mal vorsichtig nachfüllen.
Ich griff mal zum Handy, nachdem sich Danny seit dem Eklat von Samstag nicht mehr gemeldet hatte, aber er war offline. Ich schrieb ihm eine WhatsApp, wie es ihm denn ging nach dem plötzlichen Ende am Samstag.
Mittwoch, 24.06.2020
Heute ging es erst um 20 nach 7 los, aber gestern hatte ich mir eh keinen Spielraum nach vorne gelassen, denn es waren nur ein paar Minuten Fahrzeit übrig geblieben. Danny hatte heute Nacht, wo mein Handy aber für alle Kontakte außer Brian stumm geschaltet war, geantwortet. Jetzt war seins wieder aus. Die Antwort war aber auch eher so alibimäßig und das einzige Wort war „einsam“. Immerhin war dann also Evan scheinbar nicht mit ihm zusammen geblieben danach?
Dennoch, so waren in Summe schon 60 Minuten in zwei Nächten liegen geblieben. Ich dachte nach, das war mir in den letzten Wochen, ungefähr seit der Eifersuchtsstreit begonnen hatte, öfter passiert. Hatte Brian das etwa jetzt gemerkt? Dann gab es am Wochenende doch keinen neuen Truck sondern einen Rausschmiss?
Ich fuhr durch die Wüste, passend zu meiner Stimmung. Mittags am Flying J in Wells (NV) aß ich gar nichts, sondern bummelte nur meine Zeit runter und starrte Löcher in die Luft – das auch noch für 43 Minuten anstatt der erforderlichen 30 ohne es gemerkt zu haben – und fuhr weiter.
Auch in der Wüste gab es zwar Wasser, zum Beispiel den Salmon Falls Creek, aber ich ergötzte mich lieber an Sand, Steinen und Ödnis.

Um 5:22 PM, allerdings MDT, kam ich bei Dole in Twin Falls an. Und beim Blick ins Isotrak konnte man erst mal wieder an der Logistikbranche verzweifeln.
PICKUP: IDTWF-DOL-WH
DESTIN: WAPAN-JDE
TRAILER: FLT45
LOAD: PLOUGHS
WEIGHT: 6,613
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Mit 6,613 Pfund schweren Pflügen von John Deere hier her, mit 6,613 Pfund schweren Pflügen wieder zu John Deere. Als ich die anderen Pflüge drauf bekam, war mir allerdings auch klar, was es damit auf sich hatte. Waren die Pflüge eben glänzend blank mit grünem Rahmen gewesen, so waren diese verkratzt, rostig, die Rahmen hatten mehr als eine Ausbesserung mit roter Rostschutzfarbe bekommen. Die mussten mindestens mal aufgearbeitet werden.
Eben war ich direkt gefragt worden, ob ich „die anderen Pflüge wieder mitnehmen“ sollte, deshalb gar nicht so genau geschaut, wo es hin ging. Okay, Washington State. Nun musste ich aber doch mal einen Blick riskieren, um das Navi zu programmieren. Es ging nach Port Angeles – war das etwa ein Zeichen?
Mir blieben noch über zweieinhalb Stunden Fahrzeit. Damit schaffte ich es bis zum Pilot Travel Center in Ontario (OR). Wollte ich morgen abliefern, war das ein strammer Trip.
Donnerstag, 25.06.2020
Heute machte ich mich pünktlich auf den Weg. 3 Minuten waren liegen geblieben. Ich hatte nach dem gestrigen Tag in Lethargie beschlossen zu kämpfen. Bei Brian zu kämpfen und um Danny zu kämpfen. Wobei letzteres durch dessen ausweichende Antworten und schlechte Onlineverfügbarkeit diese Woche echt unmöglich wurde. Hatte er sich etwa schon entschieden? Also dann mal los. Alles Weitere würde sich ergeben.
Die kryptisch benannte ODOT Truck Scale MP 227 wollte mich dann sehen und wiegen. Mit 40,248 lb. durfte ich gleich wieder raus auf die Interstate. Ich ging aber davon aus, dass das sowieso mehr eine „Sehen“ als „Wiegen“ Aktion war, um hier technisch nicht so ganz einwandfreie Trucks raus zu holen. Immerhin ging es gleich nach Pendleton den Dead Man Pass bergab.
Die Mittagspause verbrachte ich nach bewährter Weise am Pilot Travel Center Biggs Junction. Nach der im weiteren Verlauf der I-84 folgenden Cascade Locks Weigh Station ging es zwar nicht bergab, aber auch dort wurde ich wieder raus gezogen und direkt wieder raus gelassen. Auf der I-205 überquerte ich den Columbia und war in Washington State. Dort war bekanntlich eine Dauerbaustelle auf dem direkten Weg und so ging es über die WA-14 zur I-5 und weiter nach Norden.
Olympia wechselte ich auf die US-101, die ein ganzes Stück an der Dabob Bay entlang führte. Berge links und Wasser rechts. Schön hier!

Um 6:24 PM erreichte ich den John Deere Händler, das Tor war noch offen. Ich stellte den Zug ab und ging rein. „Guten Abend.“ „Guten Abend. Wie kann ich helfen?“ „Ich bringe gebrauchte Pflüge aus Twin Falls Idaho.“ „Ach ja, fahr auf den Hof, die nehmen wir noch schnell runter.“ Mit einem etwas unwilligen Radlader wurde aus „schnell“ nichts. Also musste er wieder die Halle aufschließen und den Gabelstapler raus holen.
Anschließend fuhr ich runter zum Hafen. Dort gab es eine Tankstelle mit Stellplätzen.

Der Grill-Imbiss am Ende des Yachthafens war leider wie viele Gastronomiebetriebe in Washington noch wegen Corona geschlossen. Also blieb mir nur, mir was im Truck zu machen. Ich hätte die Inliner unterschnallen können und zum Thai im Wohngebiet auf dem Berg fahren. Aber das war nur Takeaway und wie sollte ich das Essen dann ohne aus der Soße eine große Schweinerei zu machen transportieren? Mit den Inlinern drehte ich lieber vor dem Essen noch eine Runde, so lange es hell genug war.
Freitag, 26.06.2020
Heute schaffte ich sogar das Kunststück, auf die Minute pünktlich abfahrbereit zu sein. Das sah nach dem Heimatschuss aus, Rest wohl dann leer, wenn Brian keinen Zufallstreffer landete.
PICKUP: WAPAN-AVS-SY
DESTIN: ORSLE-AVS-SM
TRAILER: FLT45
LOAD: SCRAP CARS
WEIGHT: 38,830
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also machte ich mich auf den Weg zum Schrottplatz. Unterwegs fiel mir ein unscheinbares Schild auf, das im Vorgarten eines Wohnhauses stand. Ich merkte mir das für den Rückweg. Der Schrottplatz war am Ende eines langgezogenen Gewerbegebiets. Im benachbarten Sägewerk war ich hier schon mal gewesen.
Wie üblich bei Massengut, wo auch Metallschrott zu zählte, wurde einmal leer gewogen, dann kam die Ladung drauf, die Gurte und Netze drüber und dann wurde voll gewogen. Die Abweichung vom Sollgewicht wurde eingetragen und ich korrigierte auch gleich den Eintrag in Isotrak entsprechend für Brians Berechnung an Avalanche und im Endeffekt mein Gehalt. Auf dem Weg vom Gelände war ich froh, dass bis jetzt noch kein Druckluftsensor angesprochen hatte und ich hoffte, dass das auch so blieb. Reifen aufschlitzen ging auf Schrottplätzen besonders toll.

Und nun hielt ich vor dem Haus an, „TTC“ stand dick auf dem Schild, kleiner darunter „Büro hinterm Haus“. Also ging ich durch die breite Einfahrt hinters Haus. Das Büro war allerdings dunkel und abgeschlossen. Auch auf mein Klingeln reagierte keiner. Ich fotografierte die Telefonnummer ab, denn zu lange wollte ich hier nicht stehen. Immerhin konnte Brian sehen, wo ich war und vor allem dass nicht in Bewegung. Dennoch riskierte ich einen Blick auf den schwarzen Kenworth W900 mit Airbrush und in voller Ausstattung, der dort parkte. Hier merkte man, dass die Gebrüder Juniorchef den gefahren waren. Das Teil war mal ganz edel. Und dahinter parkte noch ein bestens gepflegter Truck aus den 70ern, der wohl nur noch zu Shows zum Einsatz kam.
Immerhin nahm ich den als Alibi und machte ein paar Fotos extra davon. So konnte ich, sollte Brian Fragen stellen, immer noch behaupten, ich hätte den von der Straße gesehen und gerade mal einen Blick riskiert.
Albany ließ sich von hier noch knapp in einem Rutsch fahren, das sollten knapp 6 Stunden sein. Das wurde auch nicht mehr nennenswert durch eine Vollsperrung der I-5 durcheinander gebracht, die mich in Portland auf die westliche Runde via Fremont Bridge und I-405 schickte.

Zuerst einmal machte ich die Pause und füllte an der Tankstelle Diesel nach. 25 würde ich verbrauchen, viel war nicht mehr drin, 27 Komma irgendwas wurden es. Notfalls musste ich noch mal unterwegs nachtanken. Dann ging es zum Stahlwerk. Der neue Auftrag kam und war kein wirklicher Auftrag. Damit sollte der Diesel aber auf jeden Fall reichen.
START: ORSLE
DESTIN: ORMFR-PCT
TRAILER: FLT45
LOAD: EMPTY
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Ich fuhr noch bis zur Gettings Creek Rest Area. Es wäre noch mehr gegangen, aber ich war seit 12 Stunden unterwegs. Außerdem hetzte mich nichts. Wenn Brian mich morgen früh zu einer bestimmten Zeit da haben wollte, hätte er es geschrieben.
Samstag, 27.06.2020
Also ließ ich mir auch heute Zeit, fuhr kurz vor 7 AM los und war gegen 10 AM auf dem Firmenhof. 5 Gallonen, 38 Meilen Restreichweite – besser ließ sich die Anweisung kaum umsetzen.
LOCATION: ORMFR
ACTION: 46.5H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also hatte ich Wochenende bis Montag um 8:30 AM. Auf meinem Hallenplatz standen kommentarlos drei Umzugskartons, in die ich die Sachen aus dem Truck räumte.
Dann hatte ich Wochenende und nach dem holprigen, letzten Wochenende auch noch einen leeren Kühlschrank. Also fuhr ich zu Walmart und kaufte ein. Als ich meine Sachen vom Kassenband wieder im Wagen hatte und los wollte, bemerkte ich erst, dass drei Reihen weiter Richtung Ausgang gerade Danny und Evan gemeinsam mit einem Einkaufswagen die Kasse verließen. „Ach deshalb gehst Du nicht ans Telefon und antwortest nur so knapp? Den Arsch in der Hose, mir direkt mitzuteilen, dass Du mit ihm zusammen bist, hast Du aber nicht?“ Ich schob schnell weiter auf den Parkplatz.
Danny lief mir hinterher und holte mich ohne Wagen natürlich ein: „Warte, Brandon! Es ist nicht so, wie es aussieht!“ Nun hatte Evan uns mit ihrem Einkaufswagen eingeholt und fauchte Danny ebenfalls an: „Nein? Ist es also nicht? Ich habe die Schnauze langsam voll! Unter der Woche schaltest Du scheinbar Dein Handy offline, damit Dich keiner von uns beiden kriegt! Dann machst Du am Wochenende mit dem ersten von uns rum, der sich einfangen lässt und wenn der andere auftaucht, schwenkst Du um, damit Du den auch warm gehalten kriegst!“
Danny biss sich auf die Lippe. „Mir reicht es jedenfalls! Sind wir zwei zusammen unterwegs und er taucht auf der Bildfläche auf, heißt es „Warte, Brandon! Es ist nicht, wonach es aussieht!“ Stehst Du mit ihm zusammen, Ihr haltet Euch an den Händen und ich komme dazu, lässt Du ihn los, um nach mir zu greifen! Entscheide Dich mal endlich! Und wenn es nur so aussah, als würden wir für ein gemeinsames Wochenende einkaufen, muss ich wohl damit leben! Ich wünsche Euch beiden ein schönes, gemeinsames Wochenende! Unseres ist jedenfalls in diesem Moment vorbei!“ Evan drehte sich um und ging.
„Dein Auto steht doch noch bei mir!“ „Danke für die Erinnerung! Schwacher Versuch! Aber mach Dir keine Sorgen. Bis Ihr bei Dir seid, ist der Besucherparkplatz frei für Brandons Pickup! Es gibt für solche Fälle ja immer noch ein…“ Evan rannte winkend auf die Hauptstraße zu, nachdem er gerade ein auffällig lackiertes Auto gesehen hatte: „…TAXI!!!“
Die Versuchung war groß, die Gelegenheit zu meinem Vorteil zu nutzen. Aber mir war klar, wenn ich ihr erliegen würde, blieb alles wie bisher. Und irgendwann würde es schief gehen, mit ernsten Konsequenzen für mich und meine persönliche Verfassung und bei meiner Verantwortung im Beruf schlimmstenfalls für unbeteiligte Verkehrsteilnehmer. „Hast Du Lust, mit zu mir…“ „Nein, Danny! Für mich gilt das gleiche wie für Evan! Auch ich halte das einfach nicht mehr aus! Ich bin kein Teilzeit-Lover! Nicht weiterhin mich festhalten und ihm hinterherrufen oder anders rum! Nutze die plötzlich freie Zeit an diesem Wochenende, um darüber nachzudenken!“ Ich drehte mich um und schob meinen Einkaufswagen weiter zu meinem Pickup, bevor ich es mir anders überlegte. Danny blieb bedröppelt mit einem für ein Single-Wochenende Großeinkauf vor sich im Wagen stehen.
Zu Hause wartete dann der Rasen, der mal gemäht werden wollte. Auch der übrige Garten konnte mal ein Bisschen Aufmerksamkeit vertragen.
Sonntag, 28.06.2020
Ich schnaufte noch einmal durch, dann wählte ich die Nummer. Es klingelte, schließlich meldete sich eine Frau: „TTC, Sie sprechen mit Susan.“ „Brandon Ridley mein Name. Ich habe vor ein paar Wochen Jordan getroffen und er sagte, es könnte eine freie Arbeitsstelle geben, wenn der alte Truck von ihm und seinem Bruder neu besetzt wird?“ „Typisch Jordan. Grundsätzlich ist das richtig, aber derzeit sind wir froh, wenn wir zwei bis drei Trucks ausgelastet kriegen. Ob wir einen vierten einsetzen wollen, bei drei bleiben, aber dafür jemanden neu einstellen und auf zwei ständige Doppelbesetzungen und diesen Einzelfahrer gehen oder lieber einen verkaufen ist noch vollkommen unklar.“
„Ach so. Ich war die Tage für meine aktuelle Firma in Port Angeles und habe den Truck zufällig gesehen. Jordan sagte, es wäre ein Kenworth W900 und der stand da neben dem Büro auf dem Platz. Ist ja schon ein tolles Teil.“ „Ja, den hat sein älterer Bruder sich damals zum 18. Geburtstag vom Bausparvertrag so zusammengestellt, dann ist er damit 3 Jahre Intrastate gefahren, ein Jahr alleine Interstate und nachdem beide 21 waren, sind sie 7 Jahre als Doppelbesatzung Interstate damit gefahren. Mit über 11 Jahren und über 900,000 Meilen ist das Ding auch ziemlich durchgeritten. Der neue Fahrer würde dann entweder einen vorhandenen T680 bekommen oder kann sich einen neuen Kenworth oder Peterbilt zusammenstellen. Aber das sind alles ungelegte Eier in der aktuellen wirtschaftlichen Phase. Wo kommen Sie eigentlich her?“
„Aus Medford, Oregon.“ „Und dann nach Port Angeles? Da kommt man ja auch nicht eben aus einer Laune drauf.“ „Private Gründe.“ „Ah ja. Wie alt sind Sie denn? Und wie lange im Beruf?“ „25 Jahre, mit 19 angefangen. Bis auf 3 Staaten schon in allen Mainland 48 gewesen, dazu Kanada und Mexiko. Ersatzfahrzeuge und kurzzeitige Leihen mal weggelassen mit Kenworth T680 und W900, International Prostar, Mack Superliner, Peterbilt 579, International 9400i und International LoneStar gefahren. Endorsement für LCV und tatsächliche Erfahrung mit STAA-Double, Rocky Mountain-Double und auch wenn es schon lange her ist Turnpike-Double und Pup-Triples.“
„Das klingt alles interessant, aber ist derzeit vor dem Hintergrund von Corona alles in der Schwebe. Zumal solche Entscheidungen hier immer noch von den Eltern getroffen werden und nicht den Söhnen, so lange wir die verantwortlichen Geschäftsführer sind. Und dann müsste man sich mal persönlich treffen, wenn es so weit ist. Ich schreibe mir mal die Nummer auf, dann können wir uns melden, wenn wir eine Entscheidung haben.“
Das kam mir schon recht, ich brauchte ja vorher selbst noch ein bis zwei Entscheidungen anderer Leute. Es war zwar nicht das, was ich auf einem Truckstop im Columbia Valley gehört hatte, aber es klang für ein unverbindliches Vorfühlen nicht mal schlecht.
Und nach 20 Minuten klingelte das Telefon schon, aber es war eine Nummer aus dem Adressbuch. „Hallo Danny!“ „Hallo Brandon. Können wir uns treffen?“ „Wenn das die Entscheidung ist.“ „Hm, also… Nein, aber es könnte sie erleichtern.“ So wie es ein Wochenende im Camper getan hatte? Oder eins gemeinsam mit Evan mutmaßlich bei ihm zu Hause? Gerade so schluckte ich die spontane Antwort runter und ließ den Verstand sprechen: „Bisschen viel Konjunktiv, oder? Was sollte Dir denn dieser Tag bringen, was das Wochenende an der Küste nicht schon aufgezeigt hätte?“ „Ich bin halt einfach einsam.“
„Du hast gestern doch die Lösung zweimal aufgezeigt bekommen. Entscheide Dich einfach!“ „Aber dann muss ich doch einem von Euch weh tun.“ „Ja, das ist wohl leider so. Aber scheinbar sind sich Evan und ich immerhin darin einig, dass uns beiden dieses Ende mit Schrecken lieber wäre als Schrecken ohne Ende.“
„Warum tut Ihr mir das an?“ „Warum wir Dir? Warum tust Du uns das an? Wir haben unsere Gefühle jedenfalls noch im Herzen! Und da ist halt nur Platz für einen.“ „Ich kann mir zwar denken, worauf Du hinaus willst, aber es ist bei mir auch Liebe. Ich liebe Euch nur eben beide, kann mich weder entscheiden noch jemandem wehtun.“ „Und tust uns dennoch beiden weh. Ich kann damit nicht umgehen. Und wenn Evan es könnte, wäre er weder mir gegenüber so drauf noch hätte er dann gestern so eine Szene auf dem Parkplatz gemacht.“ „Was soll ich denn machen?“ „Auf jeden Fall diese Frage einem neutralen Freund, Deiner Mutter oder sonst wem stellen. Wenn ich sie Dir beantworte, dann wird die Antwort wohl immer in Richtung „Nimm’s leicht, nimm mich!“ gehen.“
„Also darf ich nicht vorbei kommen?“ „Nein. Außer Du entscheidest Dich für mich und teilst das direkt auch Evan mit. Und genauso erwarte ich das übrigens anders rum. Solltest Du Dich, was ich natürlich nicht hoffe, für ihn entscheiden, dann will ich das auch sofort wissen. Und nicht erst später erfahren oder sogar, weil er vorher keinen Bock mehr auf das Spiel hatte und Dir einen Korb erteilt hat, zu Deiner Notlösung werden! Ich bin nicht nur kein Teilzeit-Lover, ich bin auch keiner auf Abruf, wenn der andere nicht mehr will!“ „Das…“ Ich hörte ein Schniefen. „Das hat Evan eben auch so gesagt. Fast als hättet Ihr Euch abgesprochen.“ „Vielleicht sind wir auch nur nach dem gleichen Wertekanon erzogen worden. Zumindest meine Eltern waren sehr konservativ und noch katholischer! Ich wünschte mir, mit Evan überhaupt mal wieder ein freundliches Hallo wechseln zu können. Von Absprachen in diese Richtung sind wir weit entfernt.“ „Also dann mach’s gut. Ich denke weiter nach.“ Geknickt legte er auf.
Ich fühlte mich gut, zweimal der Versuchung widerstanden zu haben, den einfachen Weg zu nehmen, der uns erst in diese verfahrene Situation gebracht hatte. Eine Baustelle war das noch immer, aber hatte zumindest endlich einen klaren Bauplan bekommen. Eine zweite hatte ich vielleicht noch nicht als Baustelle vorhin selbst aufgemacht, aber zumindest einen Entwurf gezeichnet. Mal sehen, welche Schaufel mir Brian dann morgen früh auf der dritten in die Hand zu drücken gedachte.
