Montag, 06.07.2020
Ich kam in die Firma, Evans Truck stand noch, Caseys war weg. Brian war etwas verlegen. „Morgen.“ „Morgen Brandon.“ „Wo geht es denn hin?“ „Ich hätte Arizona im Angebot oder Kansas.“
Einen Moment lang dachte ich daran, den Trip nach Arizona zu nehmen, denn von Kansas kam Evan garantiert nicht fürs kommende Wochenende nach Hause. Aber vielleicht tat mir Luftveränderung ja besser. „Schade, Nova Scotia wäre toll.“ „Dann nimm doch erst mal Kansas, ich sehe dann, was ich tun kann.“ Ich bezweifelte, dass ich wirklich eine Wahl gehabt hätte, behielt diesen Gedanken aber für mich.
Der Auftrag war schon im System, lange bevor ich mit der PTI fertig war.
PICKUP: ORMFR-KRH
DESTIN: KSCBY-711
TRAILER: DRY48
LOAD: CANNED FOOD
WEIGHT: 41,314
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also machte ich mich auf den Weg zu Kraft-Heinz und holte meine Konserven ab. Das Ziel war also Colby (KS). Bei der Last durfte ich die Achsen nach hinten schieben und wo ich schon mal in Seven Oaks war, bot es sich an, am Pilot Travel Center gleich mal die Stellung zu überprüfen.
Anschließend ging es auf die OR-140, eine wohlbekannte Strecke, die aber wenigstens gewunden genug war, um sich aufs Fahren konzentrieren zu müssen. Durch die Randbereiche von Klamath Falls und Lakeview folgte ich weiter der Strecke. Die Mittagspause war eine Premiere, denn ich hielt am Fuel Commander & Adel Store in Adel (OR). Der Truck hatte im Gegensatz zu mir Appetit und das reichlich. Bei Isaac war ich ja auf dem Weg aus der Stadt nicht vorbei gekommen.
Auf dieser Strecke langte er mit 5.2 mpg ordentlich zu, aber andererseits hatte ich schon auf der I-5 in Richtung Portland hohe 6er gesehen. Sollte auch nicht mein Problem sein, Diesel kam aus der Zapfsäule, das Geld dafür von der Tankkarte und dass da genug drauf war, gehörte in Brians Problembereich. Dennoch hätte ich, wenn ich ihn selbst zusammengestellt hätte, dem Truck die nächstlängere Achse verpasst. Hätte das Temperament sicherlich nicht getötet, aber die Drehzahl doch das entscheidende Stück abgesenkt. Am Begrenzer bei 66 mph lag eine Nadelbreite über 1,400 rpm an. Nach dem Tanken fuhr ich über die abzweigende Nebenstraße auf die Stellfläche und bummelte lustlos meine Pflichtpause ab.

Anschließend ging es weiter in Richtung Nevada. 100-mal gefahren, so trostlose und zerklüftete Landschaft wie meine Seele.

Um 3 PM hatte ich es hinter mir. Also Oregon. Und um 7:18 PM hatte ich ihn dann hinter mir, also den Arbeitstag. Am Flying J in Battle Mountain NV ging ich ausgiebig duschen, holte mir einen Depressions-Burger und futterte einsam in meinem Truck. Mein Kopf war leer, also versuchte ich, ihn auf Youtube zu füllen. Es fand sich auch nach so langer Zeit in der Szene mal wieder ein unbekannter Kanal in den Empfehlungen, diesmal ein schon 3 Jahre alter, britischer Kanal eines Jugendlichen oder jungen Erwachsenen aus London, der sich aufs Rooftopping spezialisiert hatte. Sogar mir kitzelte das in den Fußsohlen, was der zeigte. Aber es galt die Regel für Climber-Kanäle: Wenn er es hochgeladen hat, muss er vorher heile runter gekommen sein.
Es stimmte schon, was Isaac mir vorgeworfen hatte. Als mich Lenny hatte abblitzen lassen, immerhin mit der allzu verständlichen Begründung, hetero zu sein, war ich auf dem Schornstein der Hershey’s Fabrik gewesen, mein erster Rooftop, was nicht zwangsweise nur ein Dach sein musste, auch Schornsteine, Brücken, Masten und Kräne waren „Rooftops“. Alle hohen Dinge, auf die man um des Raufkletterns willen rauf kletterte. Nachdem es mit Javier aus war, bin ich mit David und Jamie auf den Langwellensender Annapolis geklettert und hatte auch noch diese Szene gedreht, wo ich es vom Schnitt so hatte aussehen lassen, als wäre ich vom 600‘ hohen Turm gesprungen. Und nachdem Wesley verunglückt war, hatte ich mir mit Caleb und Connor die Eisenbahnbrücke vorgenommen, war abgestürzt und wäre fast im Fluss ertrunken.
Vielleicht war es doch nicht ganz verkehrt, dass er gestern auf mich aufgepasst hatte. Sonst hätte ich mir vielleicht mit dem Motorrad den Hals abgefahren. Jedenfalls war er, obwohl er die stärkste und schnellste Maschine hatte, derjenige gewesen, der mich und sogar Fahranfänger Alex ordentlich einbremsen musste, dass wir es nicht übertrieben.
Dienstag, 07.07.2020
Was sollte ich lange rum sitzen? Schlecht geschlafen hatte ich sowieso. Sobald ich konnte, fuhr ich mit nur einem Schokoriegel im Magen los. Die Müdigkeit der schlechten Nacht überkam ich mit Mountain Dew, meinem Power-Softdrink für langweilige Fahrten und anstrengende Explorations.
Bei Osino musste ich auf die Waage, durfte aber mit meinen 76,721 lb. gleich weiter. Und so erreichte ich um 10:30 AM Utah, weshalb es dann auch am Grenzschild 11:30 wurde, willkommen in der Mountain Daylight Time. Die Staatspolizei funkte mir ihre Willkommensgrüße nur aufs WPass, am Point of Entry bekam ich den Bypass.
Kurz danach gab es einen kleinen Stau, denn scheinbar waren andere noch viel weniger bei der Sache als ich. Jedenfalls hatte erst mal ein Pickup einen PKW pulverisiert und der nachfolgende Cadillac hatte nicht viel Freude dran, rechtzeitig gebremst zu haben, nachdem der danach von einem Audi rücklings abgeschossen worden war.

So was brachte mich dann auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und bis Salt Lake City war ich dann sehr aufmerksam vom schrecklichen Anblick. Andere Kollegen, die keinen Begrenzer im Truck hatten, pflasterten dafür richtig los, ich schien mit meinen 66 fast zu parken.
Hinter Salt Lake City auf dem Parkplatz der Echo Reservoir Viewing Area machte ich meine Pause und stellte fest, dass ich mich am Flying J mal besser im Laden eingedeckt hätte. Mein Vorrat beschränkte sich auf zwei Halbgallonenkanister Mineralwasser, reichlich Mountain Dew, eine Packung Schokoriegel, die trotz der enthaltenen Erdnüsse auch nicht so richtig den Hunger stillten und was halt sonst noch so zufällig im Gefrierfach und Vorratsschrank rumkollerte. Und ich hätte jetzt gerne schon etwas mehr als Schokoriegel. Eine Dose Suppe wollte ich mir aber auch nicht warm machen, das wäre dann wieder zu viel. Also doch Schokoriegel.

Der aufziehende Gewitterguss trieb mich während der Pause wieder in den Truck und als die Pause um war, fuhr ich weiter. Wenigstens schaffte ich es auf einen bekannten Platz für die Übernachtung. Das Akal Travel Center in Laramie (WY). Das bedeutete, heute Abend würde ich den Hunger besiegen. Das bedeutete aber auch, dass ich keine Vorräte kaufen konnte. Wenigstens sollte ich morgen um die Mittagszeit einen Supermarkt beliefern.
Mittwoch, 08.07.2020
Das Frühstück war so indisch wie das Abendessen, es gab ein mit Hackfleisch gefülltes Brot mit Kräuterjoghurt. Ungewöhnlich, aber gut. Und es sollte ja auch noch irgendwo Gegenden auf diesem Planeten geben, wo sie Pfannkuchen mit Sauerkraut zum Frühstück hatten.
Ab Laramie gab es schon nicht mehr allzu viel Landschaft. In Cheyenne wechselte ich auf die I-25 South und erreichte um 09:40 Colorado. In Denver wechselte ich auf die I-70 East und damit endgültig auf die große befahrbare Tischplatte. Die hieß ab 12:45 PM Kansas, was dann auch ein County nach der Staatsgrenze zu Central Daylight Time wurde.
So viel dann auch zu mittags anliefern. Um 3 PM fuhr ich durch Colby. Bevor ich am 7-Eleven war, ergriff ich noch die Gelegenheit, die Tanks zu füllen.

Anschließend ging es zwei Straßen weiter zum Abladen und während die Leute vom Markt damit beschäftigt waren, ging ich vorne einkaufen. Da ich nicht wusste, was noch alles kam und auf jeden Fall wusste, dass ich den Reset draußen verbringen würde, ergab sich ein Großeinkauf.
Es sollte heute noch ein Stück weiter gehen. Ich hatte ja auch noch etwas über 5 Stunden Lenkzeit.
PICKUP: KSOLE-VLM
DESTIN: MOSTL-JDE
TRAILER: DRY48
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WEIGHT: 40,383
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also ging es erst mal leer weiter in die Nachbarstadt. Bei Voltison Motors bekam ich meine Reifen für John Deere St. Louis (MO). Um 3:40 PM verließ ich Oakley. Am Ende des Tages ließ ich sogar etwas über eine Stunde verfallen, was an der ungünstigen Lage der Rastmöglichkeiten lag. Der Flying J in Salinas (KS) beendete meinen Arbeitstag.
Nach Duschen und Essen sah ich, dass der Lonesome Hawk scheinbar schon gestern Abend PDT ein neues Video hochgeladen hatte. Da lag ich allerdings in der MDT schon im Bett. Und es war zwar neu auf Youtube, aber definitiv kein neues Video, wie schon der Name zeigte: „Aus dem Archiv – mein erstes Rooftop“. Das Video passte so gar nicht zu seinen aktuellen. Okay, auch wenn sie alle die Gesichter verdeckt hatten, konnte man erkennen, dass sie noch Teenager waren, wohl so 15 bis 18, was geschätzt vor 5 Jahren gewesen wäre.
Sie schmuggelten sich irgendwie in einer Menschengruppe am Pförtner vorbei und fuhren mit dem Aufzug so hoch es ging, dann suchten sie den Ausgang aufs Dach. Es dämmerte schon, das Gebäude hatte einen Überstand aus blauem Glas. Sie fingen nach einiger Zeit an, über die Streben nach außen zu gehen und dann über den umlaufenden Querträger am Rand zu balancieren.
Das war irgendwie seltsam. Ich selbst hatte damals in Annapolis auf dem Turm gestanden und dachte natürlich nicht ans Runterfallen. Nicht im Sinne einer Angst jedenfalls. Das war so die mahnende Erinnerung im Unterbewusstsein, sich drauf zu konzentrieren, wo man hintrat. Aber wenn man gemütlich auf seinem Bett lag und so was sah, dann bekam sogar jemand der es selbst machte, ein komisches Gefühl.
In den seit der Veröffentlichung vor knapp 20 Stunden zusammengekommenen Kommentaren konnte ich sehen, dass es wohl ein Wohnhochhaus namens „Olive 8“ in Seattle gewesen war. Dass sie extra nach Seattle gefahren waren, hatte er sogar im Einleitungstext geschrieben. Ansonsten hatte irgendwas, vielleicht sogar dieses Video ihm einen Boost bei den Abonnenten gegeben, er war von ein paar hundert auf fast 10,000 gesprungen. Und wie viele davon die Kommentare zuspammten: „Ich bin aus Seattle, lass uns mal eine Cooperation machen!“ Jungs, schaut Euch mal die anderen Videos an, dann werdet Ihr drauf kommen dass er offensichtlich aus Portland ist! Und noch mal dieses, da steht drin, dass er zumindest nicht aus Seattle ist!
Bei mir hatten die meisten solche Anfragen ob der großen Mobilität schnell drangegeben, nachdem meine Videos berufsbedingt jede Woche wo anders spielten und man schnell merkte, dass man mich überall und nirgendwo treffen konnte. Aber auch da gab es immer wieder welche, die es dann auf die Methode „Wenn Du mal zufällig in … sein solltest!“ versuchten. Gerade zu der Zeit, wo ich wöchentlich was eingestellt hatte und obendrein auch noch mit CAT jedes Wochenende tausende Meilen vom vorherigen verbrachte verbrachte, tauchte außerdem in den Kommentaren ständig die Frage auf, wie ich genau das bewerkstelligte.
Donnerstag, 09.07.2020
Auf die Minute nachdem meine 24-Stunden-Lenkzeit unter 11 Stunden sackte, fuhr ich los. Früher ging halt nicht. Es war noch zweieinhalb Stunden bis zur Staatsgrenze von Missouri und mir wurde klar, dass ich nicht früher am Ziel sein würde als gestern, was einen Lenkzeitverstoß bedeuten würde, da ich dann wieder die 11 Stunden überschreiten würde. Also steuerte ich schon nach 4 Stunden die Concordia (MO) Rest Area an. Noch mal über 3 Stunden dauerte es dann von dort nach St. Louis zu John Deere.
Es war ein unspektakulärer Tag. Der Nächste Auftrag kam schon, weiter nach Osten.
PICKUP: MOSTL-XYZ
DESTIN: VASTA-SHV
TRAILER: DRY48
LOAD: EMPTY BOTTLES
WEIGHT: 39,424
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Also zu einer Kelterei von Shenandoah Vineyards. Und die leeren Flaschen waren kein altes Leergut sondern neu geblasene, die Paletten waren bis unters Dach gestapelt. Ein ereignisloser Tag ging am Flying J in Haubstadt (IN) zu Ende.
Freitag, 10.07.2020
Auch dieser Tag begann wie ein normaler Truckertag. Frühstück im Truckstop, PTI und los. Gestern in St. Louis hatte ich die I-70 als mein Langstrecken-Weg gegen die I-64 eingetauscht. Und so kam ich um 10:15 durch Louisville (KY). Apropos Kentucky, die Chancen standen gar nicht mal so schlecht, dass ich am Wochenende in Philadelphia sein und Freunde treffen könnte.
Kurz nach 1 PM wechselte ich wieder den Staat und erreichte West Virginia, damit auch die East Coast Time Zone. Auf dem TA in Hurricane (WV) tankte ich voll und machte meine Mittagspause. Die Landschaft begann nun wieder, sich ins Zeug zu legen. Heute stand noch eine Appalachen-Überquerung auf der Agenda.
Auf dem Abschnitt zwischen Charleston und Beckley, wo I-64 und I-77 sich den Verlauf teilten, wurden die Hügel schon immer höher und man konnte langsam von Bergen sprechen. Und dann gabelte sich die Strecke, ich bog ab, um mit der I-64 weiter nach Osten zu fahren.
So wenig, wie man es merkte, wenn man aus der Ebene des mittleren Westens in die Rockies fuhr, merkte man es, dass man auch in die Appalachen ständig Höhe gewann. Und so gab es zwar schon ein paar Talbrücken, aber das erste beeindruckende und fahrerisch anspruchsvollste Zeichen, dass nicht nur die Berge um einen hoch waren, sondern auch die Straße sich dem Gebirge anpassen musste, war der New River Descent.

Das war aber alles noch das Vorland. Es ging über Kämme und durch Täler, die aber noch recht weit waren. Und dann kamen die parallelen Hauptkämme der Appalachen. Die Berge hier waren nicht so schroff wie die Rockies und natürlich auch niedriger, aber man sollte sie nicht unterschätzen. Auf den gewundenen Strecken, die hier auch die Interstates nahmen, hatte schon so manch ein Trucker den Notausgang ins Kiesbett nehmen müssen oder sein Fahrzeug in die stabile Seitenlage befördert.

Um 5 PM erreichte ich den Zielstaat Virginia. Noch einmal 40 Minuten später mündete die I-64 in die I-81 ein. Sie liefen nun bis an mein Ziel in Staunton gemeinsam. Ich lieferte ab und machte an einer Tankstelle mit ausreichend Stellfläche für Trucks Schluss. Denn irgendwas hatte Brian noch mit mir vor.
LOCATION: VASTA
ACTION: 11.5H BREAK
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Hier wurde zumindest eine günstige Dusche angeboten, die dafür leider nur halbwegs sauber war. Zum Essen verkrümelte ich mich in meinen Truck.
Samstag, 11.07.2020
Und in der Tat hatte Brian noch was vor. Leider nichts in die richtige Richtung. Ich löffelte gerade meine Mini Wheats, als die unfrohe Kunde kam.
PICKUP: VASTA-XYZ
DESTIN: NCCLT-GEM
TRAILER: DRY48
LOAD: DRIED FRUIT
WEIGHT: 34,133
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW
Na toll. North Carolina, Südstaaten waren ja auch so wundervoll für ein Wochenende. Aber es half nichts, auf einem Bauernhof holte ich die Trockenfrüchte in Kisten ab und nahm die I-81 in die falsche Richtung.
Die Strecke führte durch das Appalachen-Gegenstück des Central Valley. Ein breites Tal, links und rechts in einiger Entfernung Berge und mittendrin Felder und Wiesen. Im Verlauf traf ich einen Bekannten vom Vortag wieder, den New River, der hier nun deutlich unspektakulärer zu überqueren war.

Um die Mittagszeit wechselte ich fürs letzte Stück bei Fort Chiswell auf die I-77. Um 12:42 PM erreichte ich North Carolina. Und damit erreichte ich auch gleich eine Waage, aber man ließ mich mit meinen 69,406 lb. ohne genauere Kontrolle ziehen.
Es war dann schon um 3 PM, als ich General Mills erreichte. Hier suchte ich erst mal die Fahrertoilette auf, während die Entladung lief und machte mir dann ein Sandwich im Truck. Der nächste Truck Stop hier war das Pilot Travel Center in Monroe. Um kurz nach 4 PM war ich da und sah mir nun doch aus Neugierde mal nach so einer Langstreckenwoche die Statistik wieder an. Außerdem gab es ja sonst nichts zu tun hier.
WEEK START: MO:07:00 AM ±0
WEEK END: SA:01:07 PM +3
WEEK DRIVE: 59:23 HRS
WEEK WORK: 60:32 HRS
WEEK FRAME: 5D:06H:07M
WEEK MILES: 3,126
REVENUE MILES: 3,048
PERFORMANCE: 97.5%
WEEK PAYLOAD: 155,254
SH TON MILES: 60,894
WEEK FUEL ECO: 6.0
WEEK AVG SPEED: 52.6 MPH
Dass die Anfangs- und Endzeit mit Bezug zur Logzeit versehen wurden, war wohl neu. Und den Wochenrahmen 5:06:07 musste man auch erst mal treffen. Beim Verbrauch war ich mir immer noch sicher, dass ich den mit einem handgerissenen 18-Gang besser hinbekommen hätte. Aber dafür war die Eaton Endurant, gerade an einem Cummins-Motor, einfach nur bequem. Eaton hatte das Getriebe gemeinsam mit Cummins entwickelt, daher harmonierten die beiden besonders gut. Und typisch Long Haul war ich schnell unterwegs gewesen.
Zum Abendessen ging ich dann in den Truck Stop. Es war noch wahnsinnig heiß hier. Der Teenie, der kam, um meine Bestellung aufzunehmen, war so der typische Bubi, der sich was verdiente, um Mum und Dad nicht auf der Tasche zu liegen, wenn er nach seinem hervorragenden Highschool-Abschluss dann aufs College ging.
Als ich mit langem Arm zur Karte griff, um die dämlichen Nummern noch mal nachzusehen, damit ich nichts falsches bestellte, bekam er Augen wie Spiegeleier und ich konnte schwören, dass nur sein Mundschutz mich gerade daran hinderte, durch seinen aufgerissenen Mund bis in den Rachen gucken zu können. Was war denn so besonders an mir? Als ich noch jünger aussah als er, aber schon Truck fuhr, hätte ich das ja verstanden. Aber inzwischen nahm man mir den Mittzwanziger einigermaßen ab.
Als er das Essen dann servierte, hatte er wohl genug Mut zusammengekratzt, um die Frage zusammen zu stottern, die ihm auf dem Herzen zu liegen schien, während er auf das Tattoo auf meinem rechten Arm zeigte: „Das Assassin’s Creed Logo… Oh Gott! Bist Du… Bist Du Streetclimber Malik?“
Ich war im Alltag erkannt worden. Nun war ich ein Youtube-Star. Die Lösung all meiner Probleme. Ich brauchte nicht mehr zu arbeiten. Bald würden Firmen mir angesagte Kleidung und schnelle Autos zur Verfügung stellen und ich würde gestellte Exploration-Videos machen, die so aussahen, als würde ich irgendwo die Sicherheitsmaßnahmen überwinden und wäre der coolste Typ auf der Welt. Ich musste mir sofort ein eigenes Logo ausdenken und einen Store mit Merchandise-Artikeln anlegen! Nicht!
Den vor ein paar Tagen entdeckten Kanal aus London hatte ich nämlich aus genau dem Grund ganz schnell wieder deabonniert. Da fehlte nur das Label „Dauerwerbesendung“. Je öfter man betonen musste, dass etwas so unglaublich, aber kein Fake war, umso sicherer war es Fake. Und wenn man eine 24-Stunden-Challenge in einer Skihalle antrat, dort das Licht in Umkleiden und Fluren brannte, man dem Sicherheitsdienst in die Hände lief und den so zugeschwafelt bekam, dass der einen nicht mitsamt der hanebüchenen Erklärung an die Polizei auslieferte, sondern stattdessen einer Gruppe Jugendlicher oder eher junger Erwachsener mit ein paar Gopros noch den Generalschlüssel überreichte und als Sahnetupfen das Hauptlicht auf der Skipiste für den „Webespot-Dreh“ einschaltete, von dem er als Sicherheitsdienst eigentlich wissen müsste und für den man auch etwas professionellere Ausrüstung erwarten dürfte – Gesundheit!
Wer noch glaubte, dass das nicht mit dem Besitzer als PR-Stunt abgesprochen war und die von dem lancierte Pressemeldung über die eingeleitete Fahndung nur veröffentlicht worden war, um den Anschein zu wahren und kostenlos weitere PR für das „ausgetrickste“ Unternehmen zu erzielen, hatte sein Gehirn beim letzten Backflip wegen der Fliehkräfte durch ein Nasenloch aus dem Kopf geschleudert. Zumal das Auffinden einer Person, die im fraglichen Video auf ihren eigenen Shop mit ladungsfähiger Adresse verlinkte und ohnehin bereits einschlägig aktenkundig war, einen Polizeischüler am ersten Ausbildungstag unterfordern dürfte.
Meinem Gegenüber antwortete ich also mit einem eher gleichgültigen: „Ja, bin ich.“ „Wie kommst Du auf einen Truckstop?“ Blöde Frage. „Mit einem Truck?“ „Ooooookay. Das ersetzt alte Fragen mit neuen. Hättest Du Lust auf eine Coop?“ Das war natürlich kein genossenschaftlicher Supermarkt sondern ein gemeinsames Video. Und warum sollte ich? Ich beließ es bei einem zögerlichen Blick.
„Noch was zu den Pommes? Ketchup, Mayo?“ Da hatte er wohl ob meines Zögerns selbst lieber den Notausgang genommen ins Dienstliche. „Habt Ihr Sour Cream?“ „Bringe ich gleich.“ Als er sie brachte, hatte er einen kleinen Zettel mit, auf dem ein Username und eine Handynummer standen. „Mein Youtube-Channel und meine Handynummer. Bis 10 PM muss ich arbeiten. Wenn Du willst, melde Dich, sonst habe ich eben Pech gehabt.“
Nach dem Essen und Bezahlen ging ich in meinen Truck und sah mir mal seine Videos an. Ein guter Freerunner und Roofer, ab und zu etwas Exploration. Und dass er mir die Auswahl ließ, ob ich wollte, fand ich gut. Trotz durch die gesunkene Aktivität reduzierte Zahlen hatte ich immer noch deutlich mehr Abonnenten und Views als er, war also nach den „Gesetzen“ der Videoplattform der „Star“, worauf ich nichts gab. Ich war Trucker und filmte mein Hobby. Versehentlich hatte ich damit Erfolg.
Ich schrieb per Whatsapp an die Handynummer: „Okay. Was hast Du vor? Ich habe Reset bis Montagmorgen.“ „Ich würde sagen, wir fahren zu mir, schlafen etwas, stehen früh auf und machen ein Rooftop bei Sonnenaufgang? Oder ich hole Dich morgen tagsüber hier ab und wir machen eine Exploration. In der Nachbarstadt gibt es ein altes Internat, ein richtiges Campus über mehrere Gebäude. Wenn wir die Power haben auch beides.“ „Klingt beides gut. Komm nach Feierabend in der letzten Parkreihe vorbei, dann sehen wir weiter. Ein International Lonestar, Oregon YABR724.“ „Bloß weil ich auf einem Truckstop arbeite, weiß ich nicht, wie die Dinger im Einzelnen aussehen.“ „40er Jahre Retrodesign. Das sollte reichen. So häufig ist das Modell nicht, derzeit sehe ich keinen zweiten hier.“
Kurz nach 10 klopfte es. Ich war quasi bereit, hatte die Klettersneaker an, Drohne und Kamera im Rucksack, etwas Wechselwäsche und meinen Kulturbeutel dabei. Wir stiegen in seinen nicht mehr so ganz frischen Kia Cerato, der nicht in mein etwas voreingenommenes Bild vom brav wirkenden Vorzeigesohn mit dunklem Geheimnis passte.
„Ich bin Jeffrey.“ „Brandon.“ „Jetzt wird mir wenigstens klar, wie Du es schaffst, dauernd woanders zu sein, ohne Werbung für eine Airline machen zu müssen. Ich war schon damals überrascht, als Du so viele Abonnenten hattest, dass Du da nicht mehr raus gemacht hast.“ „Exploration, Climbing und Freerunning sind nur Hobbys. Ich will das auch gar nicht zum Haupterwerb machen. Das ist ein dünnes wirtschaftliches Gerüst. Und deshalb auch weniger Videos. Dass das weniger Abonnenten macht, ist mir egal.“ „Vernünftige Sache. Ich studiere auch lieber.“
Die sogar im Dunkeln eher durchwachsen aussehende Wohnanlage, in der er parkte, zerstörte endgültig das Bild vom Vorzeigesohn. Hier musste eher jemand jeden Cent umdrehen, bevor er ihn ausgab. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Sein Apartment war eine Einzimmerwohnung mit Küchenzeile und Raumteiler, hinter dem sein Bett stand. Ein kleines Badezimmer, ein Abstellraum und fertig. Aber ich hatte dieses Jahr schon schlechter gewohnt. Ich machte es mir auf dem Sofa bequem, lange würde ich eh keinen Schlaf kriegen.
Sonntag, 12.07.2020
Aus strategischen Gründen fuhren wir gegen halb 5 mit Uber in die Innenstadt und nicht mit seinem Auto. Der Komplex Legacy Union war noch in der Entstehung. Eins der drei Hochhäuser war schon in Betrieb, die anderen beiden im Rohbau soweit fertig. Es war für unsereins keine nennenswerte Herausforderung, den Bauzaun, eine hierzulande übliche, ca. 8‘ hohe Bretterwand, zu überwinden.
Erst mal drin, kamen wir problemlos aufs Dach des höheren der beiden Rohbauten. Wir sahen uns um, packten die Kameras auf die Gorillapod-Stative und machten ein paar Freerunning-Übungen auf der Dachfläche vor dem langsam heller werdenden Horizont. Dann setzten wir uns auf die Kante und ließen die Füße über dem 326‘ hohen Abgrund baumeln. Dabei stießen wir mit unseren Getränken an. Meine neon-gelbgrüne Plastikflasche mit dem obligatorischen Mountain Dew könnte man für den Sonnenaufgang halten, er hatte eine schwarze Blechdose mit Energydrink und einem ziemlich gruseligen, grünen M als Logo. Ich grüßte auch mit der Flasche in die Kamera: „Prost Isaac!“ Offiziell mochte er die Videos wie das ganze Hobby nicht. Aber ich wusste, er guckte es trotzdem.
Als die Sonne gegen viertel nach 6 aufgegangen war, blieb uns nicht mehr viel Zeit, um runter zu kommen, zumal wir einen Polizeiwagen in unsere Richtung fahren sahen. Waren wir vom Boden gesehen worden? Meine Flüsterdrohne sollte man so weit unten eigentlich nicht hören. Wir gelangten ins Parkhaus und auf der Vorderseite stand wirklich ein Streifenwagen. Also zum Hinterausgang, wo die Luft scheinbar rein war.
Wenigstens wie man so eine Aktion meisterte, hatte ich bei meinem Kurzzeitabo gelernt. Jeffrey bestellte ein Uber an die nächste Kreuzung und beobachtete die App. „Ein weißer Honda Accord. In 2 Minuten da.“ „Also los!“ Wir machten aus dem Deck einen Zielsprung auf die Oberkante des Bauzauns als Zwischenetappe, mit der wir aber nur Höhe und Schwung abbauten. Um eine Landung zu stehen war der zu schmal. Aber nur so war die Höhe bis zum Grund ohne Verletzung zu schaffen.
Als wir beide unten waren und uns umsahen, kam der Honda tatsächlich schon. Wir stiegen ein gaben uns lachend den Faustgruß und fuhren wieder zu Jeffreys Apartment.
Dort legten wir uns noch mal für 3 Stunden in die Betten, fuhren dann mit seinem Auto in die Nachbarstadt Concord. Wegen seines nicht auf ein Frühstück zweier hungriger Kletterer ausgelegten Kühlschranks hielten wir unterwegs für ein Frühstück am McDrive.
Das Gelände der Stonewall Jackson Manual Training and Industrial School war auch kein Hindernis für uns. Zum „einfach so“ drüber klettern war NATO-Draht vielleicht der bessere Schutz als Stacheldraht. Aber gegen Jeffreys Wolldecke aus versteigertem Altbestand der Coast Guard war er umso machtloser.
Leider hatten sie die Gebäude einzeln eingezäunt anstatt das komplette Gelände. So hielt der Wechsel der Gebäude uns mehr auf. Aber wir schafften es dennoch, das Hauptgebäude und ein Wohnhaus von ihnen zu erkunden.
Am späten Nachmittag ging es zurück zu seiner Wohnung. Dort duschten wir, kochten uns Nudeln mit Tomatensoße und legten uns noch mal hin. Er musste um 22 Uhr am Truckstop sein. Das drohte eine harte Nachtschicht für ihn zu werden, denn viel und vor allem lange am Stück hatten wir in den letzten 24 Stunden eher nicht geschlafen. Ich konnte dann wenigstens in meinem Truck noch mal eine Nacht ausschlafen.
