Kapitel 54 – Im falschen Film

Samstag, 01.08.2020

Es sollte heute „nur noch“ 93°F werden. Unter der Woche hatte es zumindest hier in Medford die 100°F gerissen. Das war aber dennoch zu warm, um sich anzustrengen. Also machten wir heute mal die Motorradtour zu zweit. Anfangs waren die Maschinen kalt, draußen über Land ging es. Eklig wurden nur die letzten Meilen zurück innerhalb von Medford, wenn wir an einer Ampel stehen mussten. Von oben grillte die Sonne, von unten stieg die Gluthitze vom dunklen Asphalt auf und zwischen den Beinen heizte der Motorblock.

Wir waren zu mir gefahren, wo ich nun dankbar war, dass die Terrasse 24/7 im Schatten lag. Wir machten uns eine Schüssel Salat, dazu grillte ich ein paar Putensteaks, die es dann in Streifen auf den Salat gab und Röstbrot dazu. Wir saßen lange draußen. Von den Vormietern oder dem Besitzer gab es auch eine Hollywoodschaukel hier, gut für ein paar Schmuseeinheiten. Auf die Terrasse gucken konnte ja auch keiner.

Am späten Nachmittag machte ich meine Sachen für die kommende Woche soweit fertig, denn wir wollten morgen Abend bei Alex bleiben. Es folgten nach dem Abendessen und noch einiger Zeit auf der immer noch warmen Terrasse wieder das nacheinander duschen und der Umbau der Couch zum Doppelbett.


Sonntag, 02.08.2020

Das Freibad war wegen Covid nur auf Voranmeldung zu besuchen und auf Tage und Wochen ausgebucht. An den Seen und am Meer war bei dem Wetter auch kein Durchkommen mehr. Sicherheitsdienste regelten schon seit Tagen den Zugang zu den ausgewiesenen Stränden, um die Social Distance zu wahren.
Da wir entschieden hatten, dass es trotzdem nur im Wasser auszuhalten war, scrollten wir ein Bisschen durch Google Maps und fanden am Ende einer öffentlichen Straße, die aber technisch nur eine mehrere Meilen lange Sackgasse war, die zu Privathäusern und Farmen führte, einen Zugang zum Rogue River und beschlossen mal zu gucken, ob wir mit der Idee alleine waren. Das waren wir zu unserer Überraschung sogar, erwartet hatten wir es nicht.
So kamen wir doch noch in den Genuss von Wasser. Und nachdem wir mit einem langen Ast geprüft hatten, dass das Wasser in dem Becken zwischen Ufer und einer nur 2‘ hoch aus dem Wasser stehenden Felsplatte überall tief genug war, wechselten wir zum Kunstspringen in Form von Freerunner-Jumps vom Felsen ins Wasser. Die Katze lässt das Mausen nicht.

Nach unserem Mittags-Sandwich aus der Kühltasche bekamen wir allerdings Besuch. Ein Elternpaar mit ihrem Sohn, wohl um die 15 Jahre, stand am Ufer und sah sich überrascht an: „Oh, scheinbar ist unser geheimer Badeplatz nicht mehr geheim. Dürfen wir uns hier auch niederlassen?“ „Klar, die Wiese ist ja groß genug und der Fluss auch. Wir sind aber waghalsige Springer.“ „Danke. Frank Gatlin, meine Frau Jessica, unser Sohn Peter. Waghalsige Sprünge sind wir gewöhnt.“ Auch wir stellten uns noch vor. Das ganze etwas lautstark wegen des Abstands dazwischen.

Und wie Jungs in der Spätpubertät so waren, sprang Peter irgendwann in einem Backflip aus dem Stand ins Wasser, tauchte wieder auf und hielt sich seinen Posen nach für den größten. Auch für uns wurde es mal wieder Zeit, ins Wasser zu kommen. Alex sah mich an: „Synchron-Sideflip?“ „Okay. Eins, zwei, drei!” Peter staunte, als wir wieder auftauchten, obwohl das nichts dolles war – aber wenn zwei Leute spiegelsynchron das gleiche machten, reichte das oft schon aus: „Cool, Ihr habt ja was drauf. Was ist damit?“ Er nahm Anlauf und ging nun im Doppelsalto baden. Alex Antwort war ein Auerbachsalto, ich entschied mich für einen Roundoff an Land mit Backflip ins Wasser.
Als Peter wieder in Richtung Ufer schwamm, nahm mir Alex die Worte aus dem Mund: „Ich bin raus. Klar könnte ich mehr. Aber wir haben glaube ich alle drei gesehen, was wir können und müssen nicht immer weiter nachlegen.“ „Ich auch.“ Außerdem war es im Wasser angenehmer. Peter nahm für seinen nächsten Sprung dann Action raus und begnügte sich mit einem einfachen Salto.

Als wir dann am Nachmittag unsere Sachen zusammenpackten, fragte Frank noch: „Ihr scheint ja auch Freerunner zu sein und verantwortungsbewusst auch. Jedenfalls habt Ihr das nicht weiter aufschaukeln lassen. Kennt Ihr noch eine Trainingmöglichkeit hier? Seit letzten September das Trampolincenter zu gemacht hat, müssen wir immer nach Eugene oder Bend fahren. Das sind Wochenendausflüge.“ „Nein, wir trainieren auch nur bei mir im Garten.“ „Wenn sie frei ist oder man zwischen dem fahrenden Volk mal drauf rumlaufen darf, geht auch die Skaterbahn in Central Point neben der Grundschule.“
„Also nichts Betreutes, wo jemand aufpasst?“ 
„Nein, leider nicht.” „Dann muss er halt zusehen, dass immer Freunde dabei sind, falls was passieren sollte. Im Februar darf er dann zwar alleine Auto fahren, aber so weit weg muss das auch nicht sein.“ „Ich gebe Dir mal meine Mailadresse oder Handynummer. Dann kann ich mal nach seiner Schule und meiner Arbeit mit ihm trainieren. Und wenn Ihr nichts dagegen habt, können wir auch mal am Wochenende mit ihm nach Bend oder Eugene.“ Ui, Alex war ja heute richtig extrovertiert.

Am Abend hatten wir dann beschlossen, mal wieder mit der Truppe auf einen Burger auszugehen. Die Wahl war auf das BricktownE gefallen, einer der vielen Pubs mit Hausbrauerei im Staat der Kleinbrauereien. Kein anderer Staat hatte so viele wie Oregon. Ein weiterer Vorteil dieses Lokals war, dass es keine 10 Minuten zu Fuß von Alex Wohnung waren.
Danny und Evan waren schon da, ihnen gegenüber saßen Isaac und Brian. Alex und ich schlossen nebeneinander an Isaac an. Casey kam kurz nach uns und setzte sich mir gegenüber neben Evan, Paul komplettierte schließlich die Reihe gegenüber.
Man konnte fast schon ahnen, wie schwer es Danny und Evan fiel, so brav nebeneinander zu sitzen. Und Danny schielte immer wieder mal verlegen in meine Richtung. Wobei die Verlegenheit sogar noch Spuren von Sehnsucht zu enthalten schien. Ich würde wetten, dass die beiden aber hauptsächlich deshalb so schön brav nebeneinander saßen, weil sie von Brian und Isaac mit Rücksicht auf mich eingenordet worden waren.

Das konnte halt nicht ewig gutgehen und noch bevor wir mal die Gelegenheit hatten, unsere Neuigkeiten zu verkünden, fing Danny an, Evan irgendwas ins Ohr zu flüstern. Und dessen debiles Grinsen zeigte, dass das wohl erregende Inhalte waren. Scheinbar sogar nicht mal englisch, denn wenn es mal nicht ganz so geflüstert war, kamen italienische Wortfetzen bei mir an. Ich hatte keine Ahnung, ob Evan das verstand oder nur drauf stand. Brian sah erst böse rüber und ergriff dann ernst das Wort: „Findest Du das richtig?“ „Was?“ „Beim Ersten Zusammentreffen mit Brandon gleich Evan mit italienischen Turteleien vollzutexten?“
„Lass ihn doch!“ Mir fiel der Film von neulich ein: „Das ist sowieso eine hässliche Sprache…“ Danny guckte entsprechend böse, weil er logischerweise nicht erkannte, wo die Reise hin gehen sollte. Scheinbar kannte Alex den Film aber auch und kam meiner eigenen Idee mit dem richtigen Filmzitat zuvor: „Wie wäre es mit… Russisch?“ Ich guckte ihn schelmisch an: „Probier’s halt aus.“ „Давай! Ты такой милый парень! Вы меня заводите! Я не могу дождаться, пока смогу отсосать твой…!“ Ich hatte keine Ahnung, was das hieß, aber unterstellte mal pauschal nichts Anständiges. Und weil mich in solchen Fällen gerne mal eine gewisse Albernheit überfiel, fing ich zu Alex Worten an, lustvoll zu stöhnen wie Jamie Lee Curtis im Film, was mir erst mal einen Ellenbogencheck von Isaac einbrachte.
Am Nachbartisch hatte das die Bedienung wohl vom Aufnehmen der Getränkebestellung zweier Paare in ihren 50ern abgelenkt. Laut genug waren wir ja schon vorher gewesen. Sie guckte erst empört zu uns rüber und versuchte dann, ernst und seriös ihren Job zu machen: „Bitte schön?“ Der angesprochene Mann landete aber gleich mal einen Lacher über beide Tische und zeigte auf mich: „Ich weiß zwar, dass ich im falschen Film bin. Aber ich nehme genau das gleiche, was er auch hatte.“

Nachdem Alex und ich dann noch bestätigt hatten, dass wir zusammen waren und Alex sich bei Isaac für die Sache vor der Tankstelle bei unserer Tour zu dritt entschuldigt hatte, ging der spaßige Abend weiter bis zum Weg raus.
„So schnell ist man bei Dir also als Freund vergessen?“ Das klang eifersüchtig. Danny erntete gleich aus drei Richtungen fassungslose Blicke, da nun scheinbar neben mir auch Alex und Evan meinten, im falschen Film zu sein. Ich hatte mich aber schnell wieder gefangen und war auch reichlich angesäuert: „Pass mal gut auf, mein Freund! Wenn Du nicht das Talent hättest, sowohl charakterlich als auch optisch meinem verstorbenen Ex aus Philadelphia ziemlich ähnlich zu sein, wären wir vermutlich nicht mal zusammen gekommen. Du hast Dich zum Glück für uns alle vier, die wir hier stehen, für Evan entschieden. Dadurch konnte ich endlich erkennen, wer wirklich mein Traumpartner ist. Wenn es Dich aus irgendwelchen Gründen beruhigt, kann ich Dir versichern, dass ich trotzdem drei Wochen und vor allem die Erkenntnis mit der Ähnlichkeit gebraucht habe, über Dich hinweg zu kommen. Und jetzt entschuldige uns. Die Ablenkung durch Dich hat Alex und mich genug gemeinsame Zeit gekostet!“
Danny guckte immer noch reichlich angefressen, Evan „unbeschreiblich“, denn ich wusste wirklich nichts mit diesem Gesichtsausdruck anzufangen und Alex versuchte verzweifelt, nicht zu breit zu grinsen. Wir ließen die beiden stehen und gingen zu Alex Wohnung.


Montag, 03.08.2020

Gemeinsames Frühstück konnte unromantisch sein, vor allem mit Arbeitsbeginn im Nacken. Frischzeug nahm ich aus Angst nach Kalifornien zu müssen sowieso keins mit, meine Tasche war schon im Auto.


Ich holte mir am Hof bei Brian meine Mappe ab und machte PTI. Die Papiere vom Flatbed waren wieder drin. Einerseits mochte ich den Trailer, andererseits war es aber auch anstrengender, weil man beim Laden selbst mit anpacken musste. Der Auftrag wurde in der Zwischenzeit auch von Isotrak geladen.

PICKUP: ORMFR-ASH
DESTIN: UTOGD-XYZ
TRAILER: FLT45
LOAD: HOUSE PARTS
WEIGHT: 36,410
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also mit Hauselementen nach Ogden in Utah. Das Ziel war offenbar eine Baustelle, jedenfalls eine Privatanschrift. Ich wollte gerade einsteigen, als Evan angelaufen kam. Gab es jetzt noch was für gestern Abend zu hören? Ja, aber anders als gedacht. „Guten Morgen Brandon.“ „Guten Morgen Evan.“ „Vielen Dank für gestern. Ich glaube, jetzt habe ich Danny wirklich für mich alleine.“ „Wie meinst Du das?“
„Auch nachdem er sich entschieden hatte, kam es mir so vor, als würde immer noch Dein Schatten mit auf dem Sofa sitzen. Und auch wenn ich gestern einen ziemlich schmollenden Freund ertragen musste, brauchte es wohl die kleine verbale Ohrfeige vom Schatten.“ 
„Ich hoffe, er kommt drüber hinweg.“
„Das hat er zu kommen. Sonst helfe ich nach. Ich habe Deinen Freund in Philadelphia ja nicht gekannt. Aber im Nachhinein dann an Deinem Verhalten einordnen können, wie Dich das getroffen hat. Mir ist meine erste Liebe damals aus Boston weggezogen nach Texas. Ich habe auch erst mal versucht, Andy gleichwertig zu ersetzen, bevor mir nach dem kleinen Umzug hier her klar wurde, dass das nicht funktionieren kann. Eine entsprechende Standpauke kriege ich schon hin, wenn Danny drum bettelt.“

Na das klang ja nicht so ganz harmonisch zwischen den beiden. Aber vielleicht lag das ja auch „an mir“ bisher. Bei Alex und mir dagegen war es zu zweisam gewesen. Randy hatte nach meinen Erzählungen der letzten Woche so sein Bedenken angemeldet, ob das mit meinem Job klappen würde und er sich nur dran gewöhnen musste oder ob Alex vielleicht etwas zu anhänglich war, was Gift für eine Truckerbeziehung werden dürfte.
„Und wie bist Du nun so schnell auf Alex gekommen?“ „Alex ist auf mich gekommen und das schon vor einiger Zeit. Ist mir nur nicht aufgefallen, so lange ich angestrengt in Dannys Richtung geguckt habe und dabei auch noch Dich im Auge behalten musste.“ „Na dann alles Gute Euch beiden. Und Dir erst mal eine gute Arbeitswoche.“ „Danke, Dir auch. Lass die Gummiseite unten!“ Während sie in Deutschland sich laut Christian den guten Ratschlag auf den Weg gaben, die Stoßstange sauber zu halten, war unter amerikanischen Truckern eine der gängigen Standardfloskeln „Keep the rubber side down!“ Wir stiegen ein und fuhren los. Evan musste zum Home Depot Großlager und eine Ladung Haushaltsgeräte für Arizona laden.

Ich war dann gegen 7:30 AM mit den Fertighausteilen auf dem wohlbekannten Weg zur OR-140 nach Osten. Anderthalb Stunden bis Klamath Falls, der Mittagshunger meldete sich erst hinter Lakeview. Nach meiner Erfahrung kürzlich ließ ich aber The Adel Store links oder eher rechts liegen und ließ den Magen noch über eine Stunde weiterknurren, bevor ich schon nach der Staatsgrenze an der Virgin Valles Rest Area auf mein übliches Paket für den Notfall namens Kalifornien zertifizierte Sandwiches zurückgreifen konnte.

Wie immer kam ich bis zum Flying J in Battle Mountain (NV). Weil ich wenig Hoffnung hatte, irgendwo demnächst an einem Supermarkt vorbei zu kommen, deckte ich mich hier im Shop zumindest mal mit ein paar Vorräten ein. Anschließend ging ich duschen und was essen.

Zurück im Truck telefonierte ich mit Alex und erzählte ihm, dass ich auf dem Weg nach Utah war. Danach ging es noch ein Bisschen um dies und das.


Dienstag, 04.08.2020

Es gab das Frühstück im Truck Stop, danach machte ich mich auf den Weg. Ich wollte in einem Stück durchfahren. Um die Mittagszeit müsste ich dann in Ogden sein.

Nevada war heute kein guter Staat für Autofahrer. Erst wurde der Verkehr in Elko von der Interstate herunter und auf der anderen Seite der Anschlussstelle wieder hinauf geleitet, weil jemand seinen Lincoln Crossover in die Leitplanke gedübelt hatte.

Und kurz vor der aus dem Grund dann auch vorübergehend geschlossenen Osino Weigh Station war ein Audi A6 ausgebrannt.

Am Utah Point of Entry musste ich dann aber doch mal rausziehen, durfte mit 70,382 lb. immerhin gleich weiter.

Es waren über 5 Stunden Fahrt bis Ogden. Das Neubaugebiet war zentrumsnah auf ehemaligem Bahngelände. Also musste ich durch die Innenstadt fahren.

Der folgende Auftrag machte das kommende Wochenende spannend. Es war nicht unmöglich nach Hause zu kommen, aber auch nicht wirklich einfach. Da musste dann schon alles passen.

PICKUP: UTOGD-EXN
DESTIN: AZCVE-DOL-FA
TRAILER: FLT45
LOAD: FERTILIZER
WEIGHT: 30,360
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also machte ich mich auf den Weg zu Exxon und suchte dabei verzweifelt und vergebens eine Parkmöglichkeit für meine Mittagspause. Schließlich tauchte das riesige Areal vor mir auf.

An der Einfahrt bekam ich einen Pager und nach einiger Bürokratie meinen Parkplatz zum Warten. Vielleicht klappte es ja und ich kriegte eine Pause zusammen. Das Glück war mit mir und erst nach 46 Minuten durfte ich vorfahren. Genauso lange dauerte es noch mal, die Ladung zu empfangen und zu sichern.

Dann mal los, mir blieben noch ungefähr 5 Stunden Lenkzeit. Mit denen kam ich noch ein gutes Stück durch den Staat nach Süden bis zum Love’s Travel Stop in Cedar City.

Hier tankte ich erst mal voll, dann ging ich duschen und essen. Anschließend telefonierte ich mit Alex. Als ich ihm erzählte, dass ich auf dem Weg nach Arizona war, fragte er natürlich mit der Sorge immer noch frisch verliebter: „Kannst Du es von da überhaupt noch nach Hause schaffen?“ „Wenn alles glatt läuft ja, sonst nicht. Viel Spielraum hat Brian da nicht mehr.“ Und damit ging er dazu über, mir zu erzählen, dass er heute Nachmittag mit unserem jungen neuen Freund Peter in Central Point ein paar Sprünge geübt hatte.


Mittwoch, 05.08.2020

Nach dem Weckerklingeln ging ich in den Truckstop, machte mich frisch und nahm auch noch das Frühstück mit. Draußen folgte die PTI, bei der ich einige Gurte noch mal nachspannen musste, weil sich das Granulat in den Säcken gesetzt hatte und um 8:24 AM MDT war ich abfahrbereit, einen Ladevorgang von gestern hatte ich so schon abgesessen und brauchte nicht mehr aufzupassen, über 11 Stunden Lenkzeit zu rutschen.
Vor der Staatsgrenze verließ ich die I-15 in Richtung des Städtchens Hurricane und nahm von dort die UT-59, die schon mal als AZ-389 am Zielstaat kratzte. Weil die US-89A mit einem Semi durch den Pasture Canyon nicht wirklich fahrbar war, nahm ich die wieder in Utah gelegene US-89.
Es ging durch die felsige Landschaft im Süden Utahs und an die Waage vom Arizona Point of Entry. Mit meinen 64,892 lb. war ich aber leicht genug und durfte weiter. Weil mir aber wegen der gestrigen Ladevorgänge um die Mittagszeit bald drohte, die 11 Stunden in 24 Stunden zu überschreiten, musste ich in Page die Mittagspause einlegen. Ich steuerte den Glen Canyon Dam Overlook an. Ein Kollege hatte dort seinen Kenworth T680 geparkt, aber war nirgends zu sehen. Am Himmel waren ein paar Ballons unterwegs.

Nach ein paar Minuten mehr als der vorgegebenen halben Stunde machte ich mich wieder auf den Weg. Es ging weiter die US-89 runter bis Flaggstaff und dort für das letzte Stück auf die I-17. Nach einem typischen, ereignislosen Kilometerfressertag erreichte ich um 6 PM die Farm am Rand von von Camp Verde. Und mit dem Abladen sollte es das auch gewesen sein.

LOCATION: AZCVE
ACTION: 11.5H BREAK
DISPATCH: ORMED-PCT-BRW

Inzwischen war es fast 7 PM, gegen 6:30 AM wollte Brian mich also wieder am Steuer sehen. Ich fuhr nur von der Farm und zum Schotterplatz neben einer Tankstelle auf der anderen Seite der AZ-260. Auf das ebenfalls dort ansässige Wendy’s konnte ich verzichten, lieber machte ich mir eine Dose weiße Bohnen mit Speck auf dem Gaskocher warm, dazu dann Toastbrot a la Crocodile Dundee.
Es war zwar mal wieder im „falschen Film“, nämlich in einem durchwachsenen Remake des Kinderklassikers Flipper, aber immerhin der Schauspieler Paul Hogan, der mit dem Schweißbrenner Weißbrot für seinen von Elijah Wood gespielten Filmneffen toastete. Ich nahm nach dem Gleichen Prinzip einfach den Topf vom Campingkocher und legte von jeder Seite für ein paar Sekunden das Brot direkt auf den Brenner.

Nach dem Essen telefonierte ich mit Alex, dass ich in Arizona angekommen war und morgen erst erfahren würde, wie es weiter ging. Hinterher merkte ich, dass ich ihm das gesagt hatte, bevor er überhaupt fragen konnte, ob ich am Wochenende nach Hause kam. Ich ging aber davon aus, dass Brian sein möglichstes versuchte.
Ich mochte die Flatbed-Frachten zwar, aber es bedeutete eben auch Mithilfe an der Ladestelle- Und es hatte ohne Zweifel auch seinen Reiz, beim Laden einfach nur da zu sitzen und nichts zu machen wie mit Box und Reefer.


Donnerstag, 06.08.2020

Nach meinen bei am Standort unbrauchbarem oder nicht erhältlichem Frühstück obligatorischen Mini-Wheats und der PTI durfte ich gleich mal wieder laden, wo ich gestern abgeladen hatte.

PICKUP: AZCVE-DOL-FA
DESTIN: NVTPH-DOL-WH
TRAILER: FLT45
LOAD: PLOUGHS
WEIGHT: 6,613
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Es ging schon deutlich auf 8 AM zu, als ich von der Farm auf die AZ-260 in Richtung Westen einbog. In Cottonwood wechselte ich auf die Westbound AZ-89A. Zwischen Jerome und Prescott gab es auf der Strecke ein paar ordentliche Kehren durch die Berge zu meistern. Bei Prescott wechselte ich schließlich auf die AZ-89 ohne A, die mich zur I-40 brachte.
Ich sollte es heute bis zum Ziel schaffen. In Kingman verließ ich die Interstate auf die gleichermaßen gut ausgebaute US-93. Die wurde vor Vegas zur I-11 und dann zur als I-515 bezeichneten Westtangente.

Obwohl die meisten Beschränkungen nicht mehr in Kraft waren, lag über „America’s Playground“ eine gespenstische Stille. Kaum Autos waren auf der Straße, der Tourismus kam noch nicht wieder richtig in Schwung. Nach etwas über 6 Stunden Fahrzeit machte ich Pause am Love’s Travel Stop North Las Vegas an der Abfahrt von der I-15 auf die US-93, die ich weiter nehmen musste. Eigentlich hätte ich ja nach Tonopah eher die US-95 genommen, aber wahrscheinlich lag mein Ziel mal wieder „in der Nähe der Stadt“.

Nach der Pause fuhr ich weiter und hatte bald einen untermotorisierten Kollegen vor mir, an dem ich aber an einer übersichtlichen Stelle auch gut vorbei ziehen konnte. Vom Gewicht her war ich ja fast leer unterwegs.

Schon deutlich nach 6 PM kam ich beim Lager von Dole an. Es lag wie erwartet 35 Meilen außerhalb von Tonopah, irgendwo im Nirgendwo von Nye County. Das führte dazu, dass ich nach dem Entladen mit meinen 39 Restminuten auch nirgends sinnvolles mehr hinkommen würde und mich einfach am Rand der Straße zum Depot hinstellte. Brian hatte mich für morgen früh gegen 7 AM dienstbereit bestellt.

Es dauerte eine Weile, bis Alex ans Telefon ging. „Hallo Brandon. Ich war noch unter der Dusche.“ „Sollen wir später telefonieren?“ „Nein, ist schon okay. Ich sitze nur mit einem Handtuch um auf meinem Sofa und habe Dich am Telefon. Mehr geht wohl unter der Woche nicht.“ Und dieser aufreizende Tonfall dazu… Sag Du nochmal, Du wärest schüchtern. „Was auch immer Dich um die Zeit aus der Dusche kommen lässt.“
„Die Arbeit. So ein kanadischer Knallfrosch, der uns kurz vor Toresschluss Ahornstämme gebracht hat, ist meinem Mitarbeiter in den stehenden Stapler rangiert, fing dann in deutlich schlechterem Englisch als vorher an, sich zu beschweren, dass er gerammt worden sei und konnte am Ende nur noch Französisch. Erst als ich eine aus Louisiana stammende Buchhalterin dazu geholt hatte, die übersetzen sollte, kam sein Englisch wie durch ein Wunder fließend zurück. Wenn ich jedes Mal, wenn mir was nicht passt, nur noch russisch reden könnte… Bis dann mit dem Vogel alles wegen Versicherung geklärt war, hatten wir fast 6 PM. Am liebsten hätte ich den Typen bis nach Hause gejagt. Mit Axt und einer kleinen Nachhilfestunde in russischen Beleidigungen.“
„Ist ja schon gut, Mister Hyde!“ Ich musste lachen. „Wie? Was?“ „Hast Du Dir eben mal selbst zugehört? Der schüchterne Alex, der sich nicht getraut hat, seine große Liebe anzusprechen und der Meinung war, er würde im Freundeskreis untergebuttert, läuft ab wie ein Uhrwerk und kriegt Gewaltphantasien von Äxten und russischem Kampfgeschrei. Wie in dem 100-mal verfilmten Buch ‚Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde‘ eben.“
„Ups. War wohl noch ein bisschen aufgeladen von den Typen. Na ja, ich habe an der High School damals schon Lagerhaltung und Logistik als Schwerpunktfächer für die Berufskurse gehabt. Dann habe ich erst in einem Holzhandel in Portland gejobbt und jetzt über 3 Jahre hier im Sägewerk gearbeitet. Beim Holzumschlag macht man mir nichts vor und ich habe am Arbeitsplatz deshalb meine Selbstsicherheit. Und wenn man mir zu blöd kommt, rege ich mich auch auf. Es gibt halt keine Kurse ‚richtig flirten mit Brandon‘ oder ‚so geht man als Neuling zwischen alten Freunden namens Brian, Evan, Brandon und Isaac nicht unter!‘ Und wenn ich mir bei irgendwas unsicher bin, werde ich leider gleich etwas zu vorsichtig.“

Das war allerdings richtig, schon damals als ich privat noch nichts mit ihm zu tun hatte, war er mir gegenüber bei der Arbeit sehr routiniert und kompetent aufgetreten. Allerdings dennoch freundlich, aber ich war ja auch nicht gegen einen stehenden Stapler gefahren und hatte anschließend behauptet, dass der meinen Truck gerammt hätte. Wir suchten uns noch ein paar erbaulichere Themen für das weitere Gespräch.

Danach machte ich mir eine Dose Gulaschsuppe warm. Die hatte ich auch in Deutschland lieben gelernt und hier bekam man die in den richtigen Läden zum Glück halbwegs brauchbar in Dosen zu kaufen.


Freitag, 07.08.2020

Um 06:50 AM war ich wie von Brian gewünscht kultiviert genug, um einem Kunden gegenüber zu treten, die Mini-Wheats waren verspeist, der Truck geprüft und Isotrak gestartet.

PICKUP: NVTPH-DOL-WH
DESTIN: ORBND-DOL-FA
TRAILER: FLT45
LOAD: FERTILIZER
WEIGHT: 30,360
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Also umdrehen und wieder hinter mir ins Lager fahren. Gut, dass ich gestern nicht mehr weiter weg gefahren war.

Das würde wieder ein Kilometerfresser-Tag. Nach ereignislosen und wüstenreichen fast 6 Stunden füllte ich die Tanks am Flying J in Battle Mountain, ging duschen und essen. Die Mittagspause musste sowieso was länger werden, damit ich nachher nicht noch für eine zweite Pause oder früheren Feierabend anhalten musste, weil mir die 11-Stunden-Regel im Nacken saß.

Am späten Nachmittag kam ich nach Oregon. Die Burns Junction Weigh Station durfte ich passieren. Und so endete der Tag in der Wildnis. Irgendwo entlang der OR-78 ging mir die Lenkzeit aus und ich parkte auf einer Schotterfläche am Straßenrand.

Als Alex hörte, dass ich in Oregon war, freute er sich: „Das bedeutet, Du bist am Wochenende zu Hause?“ „Ja. Da gehe ich fest von aus. Morgen Mittag in Prineville, wird aber wohl dennoch sehr später Nachmittag, bis ich von da bis Medford bin.“ Und er hatte nicht mal die ganze Woche gefragt. Okay, wir hatten immer darüber gesprochen, wo ich war und wo ich hin fuhr. Aber die permanenten Fragen von letzter Woche, ob ich schon wusste, ob ich nach Hause kam, waren ausgeblieben, außer als ich nach Arizona fuhr, ob es von da überhaupt möglich war, es zu schaffen.

Ich hatte noch eine Packung mit einem gut zugeschnittenen Steak und einen Bohnensalat im Kühlschrank, also warf ich den Grill an.


Samstag, 08.08.2020

Noch vor Sonnenaufgang war ich vom beginnenden Verkehr wachgeworden. Ich suchte in der spärlichen Vegetation irgendwo etwas Blickschutz für meinen morgendlichen Toilettengang. Das dichteste Buschwerk hier stand leider 150‘ hinter meinem Truck direkt am Straßenrand.

Nachdem ich mich aus dem Wasserkanister frischgemacht hatte und eine Schüssel meiner Lieblingscerealien hatte, kam der Truck an die Reihe. Um 7:31 AM war die PTI fertig, das Log schaltete sowieso gleich beim Anfahren von Work auf Drive um.

Mit einer der aktuell ziemlich zahlreichen Baustellen als Hindernis kam ich um 11:20 an der mir schon gut bekannten Farm in Prineville nordöstlich von Bend an. 40 Minuten später waren die Paletten abgeladen und die Gurte sowie zu den fest angebrachten Spannrollen zusätzlich benutzten Ratschen alle im Staukasten unterm Trailer. Ende mit Aufträgen.

LOCATION: ORBND
ACTION: RELEASE
DISPATCH: ORMFR-PCT-BRW

Ich fuhr zurück nach Bend und machte an der Tankstelle meine Pause.

Die Waage vor Klamath Falls zog mich noch raus und ließ mich leer mit 34,133 Pfund kleinlaut weiterziehen. Hatten die keine Kameras da oben dran, um das leere Flatbed zu sehen?

Es war schon nach 5 PM, als ich den Truck abstellte und kurz die Statistik durchging.

WEEK START: MO:06:26 AM ±0
WEEK END: SA:05:16 PM ±0
WEEK DRIVE: 61:13 HRS
WEEK WORK: 68:24 HRS
WEEK FRAME: 5D:10H:50M
WEEK MILES: 2,921
REVENUE MILES: 2,688
PERFORMANCE: 92.0 %
WEEK PAYLOAD: 103,743
SH TON MILES: 25,993
WEEK FUEL ECO: 6.0 MPG
WEEK AVG SPEED: 47.7 MPH

Nicht besonders schnell, aber es war auch viel Single Lane Highway. An die 6.0 MPG Plusminus hatte ich mich schon gewöhnt und sie waren auch nicht mein Problem. Die Frachten waren auch nicht so schwer, weshalb die Short Ton Miles niedrig blieben. Alles, was für mich am Ende entscheidend war, waren die 2,688 Revenue Miles, denn nach denen wurde ich bezahlt. Beim Flatbed mit Zuschlägen für die insgesamt 8 Ladevorgänge.

Nun packte ich meine Sachen zusammen und fuhr mit meinem Chevy zu Alex Wohnung. Der Duft im Treppenhaus kam aus dieser, es roch nach frischem Apfelkuchen. Alex hatte einen gebacken. Keinen dieser amerikanischen Apple Pies, die als Klischee in jedem halbwegs lustigen Film vergewaltigt wurden – in drittklassigen Teenagerkomödien auch schon sehr wörtlich.
Es war einer im europäischen, vermutlich russischen Stil. Nach unserer innigen Begrüßung ließen wir uns also erst einmal am Küchentisch nieder, um das frische Backwerk anzuschneiden und zusammen mit ein bis zwei Tassen Tee zu genießen.

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