Kapitel 5 – Tag der offenen Tür

Der einzig sinnvolle Auftrag, zumindest aus wirtschaftlicher Sicht, war Joghurt von Wuppertal nach Algier. Ökologisch wollte ich über die Fuhre lieber erst gar nicht nachdenken. Im Gegensatz zu „Echten Büsumer Nordseekrabben“ machte er die Reise wenigstens nur in eine Richtung, hoffte ich.
Also machte ich mich am Sonntagmittag auf den Weg nach Wuppertal, um die Ladung zu holen. Die Tour ging auf Köln und weiter in Richtung Eifel. Bis zum Dienstagmorgen schlug ich mich nach Marseille durch. Wie erwartet war die Fähre schon seit einem Tag weg. Nun musste ich also zwischen einer bunten Sammlung LKW auf die nächste warten, die am Mittwochmittag ablegte.
Als ich auf das Schiff fuhr, war ich der gefilmte. Ein Truckspotter stand neben der Rampe und machte von jedem LKW ein Bild, der auf das Schiff fuhr. Jetzt hatte er einen mehr in seiner Sammlung.

Auf dem Schiff traf ich einige der Fahrer vom Warteplatz wieder. Dort hatten wir uns nicht viel unterhalten, gerade mal vorgestellt. Bei dem am Mittelmeer immer noch recht warmen Wetter blieb man lieber in seinem LKW und ließ sofern vorhanden die Standklima laufen. Wer wie ich keine hatte, war mit dem Bus in die Stadt gefahren und vertrieb sich dort die Zeit. Auf dem Platz im eigenen Saft schmoren war jedenfalls keine Alternative gewesen.
Pascal, ein Belgier mit einem nagelneuen Volvo, der zwei Plätze weiter gestanden hatte, bemerkte meine Unsicherheit am Buffet, wo einiges an nordafrikanischen Speisen angeboten wurde: „Fährst Du zum ersten Mal nach Afrika, Ricky?“ „Ja. Ich war zwar schon in vielen Ecken von Europa, aber vom Kontinent runter bin ich noch nicht.“ „Dann probier unbedingt mal das, das und das.“
Er setzte sich zu mir an den Tisch und machte gleich mit Tipps weiter: „Rechne vor allem in Algier mit dem Schlimmsten. Die Leute fahren da wie die Irren, Vollgas oder parken! Über Land fährst Du am Besten nur am Tag, die Autobahn an der Küste geht noch. Aber auf keinen Fall Landstraßen ohne Mittelbegrenzung, sonst nimmst Du ein schlecht beleuchtetes Fahrzeug mit, das sich einen Dreck um Mittellinien schert. Übernachte besser nie in Deinem Truck! Besonders nicht, wenn Du alleine fährst und keiner Wache schieben kann oder eine bewachte Raststätte erreichbar ist. Nimm Dir möglichst immer ein Hotel, sonst wenigstens bewachte Plätze und gib dem Wächter ein paar Euro Trinkgeld. Harte Währung wirkt immer noch Wunder.“ Worauf hatte ich mich da eingelassen, besonders mit der Folgefracht ins Landesinnere? „Klingt ja nicht sehr beruhigend.“ „An sich ist es nicht so schlimm. Aber nachts gibt es doch immer wieder mal Überfälle. Außerdem solltest Du noch ein paar Dinge beachten für Deine saubere Rückkehr nach Europa. Auch wenn es verlockend aussieht, fahr nie mehr als die in Europa zulässigen 9 Stunden am Tag, 56 Stunden in der Woche und 90 Stunden in 14 Tagen. Die Unterbrechungen von 45 Minuten interessieren keinen Menschen. Aber wenn Du Dich nicht an die Tages- und Wochengrenzen hältst, bekommst Du zwar keinen Strafzettel, aber darfst eine Wochenruhe in Europa auf dem Hafengelände abbrummen, bevor Du rein darfst. Geschwindigkeiten interessieren dafür nicht die Bohne. Wenn Du kannst und willst, schalt Deinen Begrenzer ruhig aus. Ich lasse ihn aber immer drinnen, mit 90 kann man bei dem Verkehr genug Unheil anrichten. Außerdem sollte Dein Truck keine Garantie mehr haben dafür. Und ganz wichtig, wenn Du zurück fährst, achte darauf, dass Dir auf dem Weg zum Hafen keine illegalen Einwanderer aufspringen.“ Ich dachte an meine Tour: „Wie ist es mit den Grenzen zwischen den Ländern?“ „Die westlichen drei Länder sind unkritisch. Von Algerien nach Marokko und Tunesien ist nicht schlimmer als vor dem Fall der EU-Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich. Nur sobald Du mit Libyen und Ägypten zu tun hast, kannst Du schon mal Stunden oder schlimmstenfalls auch Tage stehen. Auch weiter nach Süden.“
Nach einer ruhigen Überfahrt stürzte ich mich in den unruhigen Verkehr von Algier. Regeln schienen keine zu existieren. Sportwagen schossen mit Autobahntempo über die Hauptstraßen. Ich lieferte meinen Joghurt ab und machte mich auf den Weg zu Monsanto für den Folgeauftrag, ein leeres Containerchassis nach Oujda. Die Sache war dringend und deshalb gut bezahlt, obwohl ohne Nutzlast.
Mit dem Chassis am Haken ging der Wahnsinn weiter. An einer Ampel musste ich mich ernsthaft von einer Ente versägen lassen. Auf der Autobahn dann hieß es „Pedal to the Metal“ und musste ich mich eben noch beim Ampelsprint irgendwelchem Geflügel geschlagen geben, konnte ich nun immerhin in der Endgeschwindigkeit der Insektenwelt mithalten. Das Rennen am Rande seiner Leistungsreserve und meines Tempobegrenzers endete erst, als mich ein Sprinter am Autobahnende am Ende der dritten Spur schnitt und in eine Vollbremsung zwang.

Kurz danach hörte aber auch der zweite Fahrstreifen auf und der dreiste Lieferwagenfahrer hatte sich dort hinter einem PKW verfangen. Rache ist eben doch ein Gericht, das am Besten frisch serviert wird. Ich zog auf der Überholspur an beiden vorbei.
Meine Mittagspause verbrachte ich an einer Tankstelle mitten in der Wüste. Es wurde immer dunkler, als ich abends endlich in Richtung Oujda kam. Ich dachte an Pascals Worte und hoffte, dass es bald geschafft war. Endlich tauchten die ersten Gebäude vor mir aus dem Halbdunkel auf. Ich stellte das Chassis bei Dachser auf den Hof und machte mich auf den Weg zum Hotel schräg gegenüber.

Am nächsten Tag nahm ich wieder bei Dachser einen Raupenbagger mit nach Algier. Es war eine ruhige Rückfahrt, auch die Grenze war relativ unkritisch, auch wenn der Bagger genau inspiziert wurde. Mit der Ankunft musste ich auch meine Wochenruhezeit einlegen. Dank des muslimischen Ruhetags war das Hotel gut ausgelastet, aber glücklicherweise bekam ich dann doch noch ein Zimmer mit Blick auf die Lagune und den vollen LKW-Parkplatz.

Neben Sightseeing in der Stadt verbrachte ich meine Zeit vor allem für einen Selbstlern-Sprachkurs Italienisch bei diesem Ausblick vom Schreibtisch im Hotelzimmer. Es hatte sich auf der vergangenen Tour gezeigt, dass es gut wäre, wenn ich die Sprache nicht nur verstehen, sondern auch wieder einigermaßen sprechen könnte.
Sonntagmittag machte ich mich auf den Weg durch Algier zu Monsanto, um einen Kühlcontainer voll Futtermais nach El Hamma zu laden. Die Bürokratie dauerte nicht lange und so war ich schon bald wieder unterwegs. Weil viele Leute, die keine Geschäftsbeziehungen nach Europa pflegten, die islamische Arbeitswoche nutzten, war der Sonntag ein gefühlter Werktag und entsprechend voll war es auch auf den Straßen.

Schon bald hatte ich aber die Großstadt hinter mir gelassen und war auf dem Weg durch die Wüste auf der Hinterland-Piste, die parallel zur Küstenstraße im Landesinneren verlief.
Am Abend erreichte ich Biskra. Eine Firma vermietete Hallenstellplätze als sichere Übernachtungsmöglichkeit für Sattelzüge mit Ladung und so nahm ich dieses Angebot in Anspruch. Ich hätte von der Lenkzeit noch weiter fahren können, hatte aber Pascals Warnung noch zu deutlich in den Ohren, lieber nicht nachts zu fahren.
Am nächsten Tag setzte ich meine Fahrt fort. Am Mittag legte ich einen Tankstop ein und füllte meinen Truck für umgerechnet 14 Cent je Liter auf. Anschließend machte ich eine Mittagspause, die nicht die vollen 45 Minuten, die in Europa verlangt wurden, umfasste.


Die nächste Nachtruhe legte ich in Gafsa ein, nachdem ich mich in den Serpentinen mit einem übervorsichtigen Kollegen herumgeärgert hatte. Am nächsten Morgen würde ich es dann noch mit knapper Reserve ans Ziel schaffen, dachte ich. Noch kurz vor Sonnenaufgang verließ ich die 24-Stunden-Tankstelle.
Die Ernüchterung folgte wieder in den kurvenreichen Abschnitten, wo ein Autofahrer der Meinung war, dass man am sichersten fuhr, wenn man das für PKW ohnehin schon recht langsam ausgelegte Tempolimit noch mal um 15 km/h unterbot. So dauerte es 22 Minuten zu lange, bevor ich bei ND meine Ladung loswurde. Zwar machten die Nordafrikaner da keine Szene draus, aber ihre Strafe abziehen konnten sie dennoch.
Die Anschlussladung gab es bei Bosch abzuholen, 9 Tonnen Elektronikteile nach Split. Zu meinem Missfallen war es ein Curtainsider, immer eine spannende Sache, ob auch 9 Tonnen ankamen oder die Ladung durch eine aufgeschlitzte Plane die galoppierende Schwindsucht bekam.

Nach einer steilen Abfahrt vom Bergkamm kam ich auf die Autobahn an der Küste und fuhr zum Außenhafen von Tunis. Eine Fähre an den passenden Ort zu bekommen war reine Glückssache. Es fuhren wöchentlich je zwei Fähren aus Tunis Stadt nach Nizza und Genua, wöchentlich je eine vom Außenhafen nach Triest und Venedig. Und man konnte sich eigentlich sicher sein, dass so gut wie nie eine dort hin fuhr, wo man es brauchte. Ich hatte einigermaßen Glück, denn es war Dienstag und dann fuhr eine nach Venedig, also ausnahmsweise keine Wartezeit und nur ein kleiner Umweg.
Die Fähre legte Mitternacht ab und brauchte 22 Stunden, also hatte ich bei meiner Ankunft dann einen schönen Besuch unter der Überschrift „Venezia di Notte“. Anders als bei der schwarzen Scherz-Postkarte sah ich nicht einmal einen gelb angedeuteten Umriss der Rialtobrücke, sondern nur Hauptstraßen. Über die in der Spur aus der Stadt hinaus extrem sinnfreien Holperschwellen verließ ich einsam wie immer die italienische Version von „Stadt der Liebe“.


Da die einzige, wechselweise ihre italienischen Ziele anfahrende Fähre zwischen Tunesien und Norditalien sowieso ein Seelenverkäufer ohne jeglichen Luxus war, hatte ich mich am Tag noch mal schlafen gelegt, um die Nacht durchfahren zu können in Richtung Balkan.Noch vor Zadar ging die Sonne auf. Von dem Leuchtturm auf der Landzunge neben der Straße musste man einen noch tolleren Blick auf das Naturschauspiel haben.

Zadar empfing mich mit einem hässlichen Anblick. Das erste, was man von der Stadt sah, war ein altes Tankschiff, das zum Abwracken vorbereitet im Hafen lag. Die Stadt selbst hatte mit Plattenbau-Hochhäusern und chaotischem Berufsverkehr auch nicht wirklich mehr zu bieten. Einige Male stand ich auf der Bremse, weil irgendein Kleinhirn meinte, noch vor mir aus einer Seitenstraße fahren zu müssen.

Direkt hinter der Stadt war meine Lenkzeit um und ich fuhr einen Parkplatz an. Pünktlich zum Sonnenuntergang war die Pause vorbei und ich fuhr wieder in die Nacht hinein. Es war nicht mehr sehr weit und so lieferte ich meine Rohplatinen bei UPS ab, die die Verteilung Last Mile übernahmen.
Der Logistikdienstleister hielt auch meine nächste Fracht bereit, 9 Tonnen Elektronik – das schien ein Fehler in der Matrix sein. Es hatte aber alles seine Ordnung, da UPS als Logistikdienstleister für einige Fabriken in der Region arbeitete. Angeliefert hatte ich die leeren Rohplatinen, die in Nordafrika geätzt wurden. Nun ging es mit bestückten Platinen nach Straßburg, wo sie in Elektrogeräte eingebaut werden sollten.

Ich schaffte es noch bis zur slowenisch-österreichischen Grenze, bevor ich wieder eine Schlafpause einlegen musste. Um halb vier stellte ich meinen Truck auf dem Parkplatz ab. Mit der Aussicht, das Wochenende wieder nicht nach Hause zu kommen, kletterte ich in die Koje. Am nächsten Tag wachte ich auf und hörte ziemlich wenig, dafür war es ungewöhnlich hell in der Kabine. Das konnte nur eins bedeuten und ein Blick am Vorhang vorbei bestätigte es, es hatte geschneit. Mit einem weiten Umweg um den Trailer schaffte ich das Kunststück, meinen eigenen Truck in scheinbar unberührter Schneedecke von außen zu knipsen.

Nun hatte ich kein Problem mit Fahren auf Schnee und machte mich wieder auf den Weg. Meine Zeitreserve würde nun allerdings extrem eng werden. Ich entschied mich erst einmal für die A10 und den Tauern, anstatt über die Bundesstraße den Felbertauern zu fahren. Das Experiment, die Automatik zu benutzen, endete kurze Zeit später im Stillstand, nachdem sich Getriebe, ESP und Motormanagement gegenseitig ausgetrickst hatten. Also wechselte ich zurück aufs sequenzielle Getriebe und nahm im manuellen Modus wieder Fahrt durch die Winterlandschaft auf.

Auf der Nordseite des Tauern war ein Fernlinienbus ins Rutschen geraten. Seine Versuche, wieder vom Fleck zu kommen, zwangen mich dazu, so kräftig wie auf diesem Untergrund möglich zu bremsen, nun zahlte sich aus, dass die Ladung eher leicht war.
Die kurze Pause legte ich an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland ein.

Bis zur Schlafpause schaffte ich es noch bis kurz vor die Geislinger Steige. Das würde morgen eine knappe Angelegenheit, weil ich erst am späten Vormittag weiter durfte. Kurz nach der Grenze zu Baden-Württemberg, wo sich ein paar Scherzkekse am Landesschild vergangen hatten, rief ich mal lieber in Straßburg an: „Kaiser Transporte. Ich soll bis 15:40 Uhr Elektronik aus Kroatien anliefern. Das wird bei dem Wetter wohl eine halbe Stunde später werden.“ „Eine halbe Stunde nur? Wir sind froh über jede Lieferung, die überhaupt noch heute ankommt.“ „Wenn nicht noch eine Sperrung oder so dazwischen kommt. So schlimm sind die Straßen nun auch nicht. Bis nachher.“ „Bis nachher.“

Bei Hellmann, die hier die Verteilerlogistik machten, stellte ich meinen Trailer ab und ging ins Büro. Die Disponentin fragte schon fast flehentlich: „Kannst Du vielleicht noch eine Fuhre von denen da draußen auf dem Hof übernehmen? Vor allem die Tanks müssten dringend nach Stuttgart und der Fahrer ist noch nicht da, obwohl der vor Dir da sein sollte.“ „Nein, ich muss erst mal Wochenruhe einlegen. Vor Montag zwei Uhr Nachmittags ist bei mir nichts zu wollen.“ „Es ist unmöglich, Fahrer zu finden, die mit Schnee klar kommen. Du bist einer von gerade mal drei, die heute hier einigermaßen pünktlich angekommen sind.“ „Gelernt ist gelernt, im Sauerland musste ich auf Schnee fahren, seit ich mit 16 den Motorradschein gemacht habe.“ „Motorrad auf Schnee?“ „Ja, in der Lehre mit der Enduro bei Wind und Wetter zum Betrieb. Im Winter halt gute Motocrossreifen drauf. Ich plaudere an sich gerne, aber jetzt muss ich doch mal ins Hotel, bevor die 144 Stunden seit der letzten Wochenruhe rum sind. Ciao.“ „Tschüß. Und schau bis Montag mal in die Frachtbörsen. Wenn das Wetter anhält, haben wir bestimmt einen Auftrag.“

Andere Disponentinnen hatten auch attraktive Angebote und so begann meine neue Tour am Montagmittag mit einer Fahrt zu Linde anstatt Hellmann.
Am Wetter hatte sich bisher nichts geändert und das, was sich ändern sollte, war nicht zum Positiven. Bei Linde nahm ich meine 9 Tonnen Stickstoff in einem Tanktainer in Empfang und mit der Fracht am Haken verließ ich die Stadt. Schon auf dem Autobahnzubringer verkündeten die Wolken, was mich nun erwarten sollte.

Und schon bald fand ich mich in einem fiesen Schneeregen wieder. Die Straßen wurden dadurch noch glatter. An der Schweizer Grenze musste ich tanken, nachdem mich die Warnung schon vor dem Wochenende seit kurz hinter Stuttgart nervte. Dank des Zusatztanks reichte die Reserve knapp 300 Kilometer, aber das hatte man bei Iveco wohl vergessen, dem Bordcomputer mitzuteilen und mal etwas knapper zu warnen. Okay, irgendwann in Afrika würde der Moment kommen, wo ich ihnen für die großzügige Warnung dankbar war.

Um nicht zu weit hinter den Plan zurückzufallen, nahm ich gleich den ersten Tag mit verlängerter Lenkzeit und schaffte es so immerhin noch bis Lyon. Am nächsten Morgen hatte Tauwetter eingesetzt, außerdem wurde es nach Süden sowieso immer wärmer. Also regnete es nur noch, während ich weiter fuhr.

Am frühen Dienstagabend erreichte ich mein Ziel Shell in Toulouse. Nun wollte ich nach drei Wochen nur noch nach Hause. Mit der Restlenkzeit über zwei Wochen betrachtet wurde das eine knappe Sache. Wenn nun noch mal Winter dazwischen kam, würde ich mit meiner Ladung eine Wochenruhe einlegen und so eine saftige Verspätung kassieren.

Die besagte Ladung bestand aus Baumstämmen von Rettenmeier zu DB Schenker in Frankfurt. Nachdem die Azubine bei Rettenmeier von ihren erfahrenen Kollegen alleingelassen und hilflos 45 Minuten gegen die Frachtpapiere und den einen oder anderen Nervenzusammenbruch gekämpft hatte, konnte ich schließlich losfahren. Unterwegs hörte zum ersten Mal, seit ich in Straßburg in den Schneeregen und weiter südlich nur noch Regen geraten war, auch der Niederschlag auf.

Ich selbst war aber auch nicht mehr der fitteste und so verpasste ich den Rastplatz, auf den ich eigentlich wollte. Meine Schlafpause wurde also hinter eine Mautstelle verlegt und außerdem hatte ich nun auch den zweiten Tag mit verlängerter Lenkzeit verschwendet. Ich steckte mir die Stöpsel in die Ohren und hatte trotz der anfahrenden Fahrzeuge hinter der Mautstation eine einigermaßen ruhige Nacht.

Frisch ausgeschlafen fuhr ich weiter und kam an Montpellier vorbei. Kurz dachte ich an Marlon, Julian und ihren alten R385. Wo waren sie wohl gerade unterwegs?Auf der Autobahn nach Lyon meldete sich plötzlich mein Display mit kräftigem Rotschimmer und drängte darauf, dass ich die nächste Werkstatt aufsuchen sollte. Ich rief erst einmal den Italiener meines Vertrauens an: „Hallo Mario. Was hat es zu sagen, wenn mich aus heiterem Himmel die Werkstattwarnung anblinkt?“ „Keine Unfälle? Kein unnormales Verhalten? Motoraussetzer? Hast Du einen Fehlercode?“ „Nichts sonst. Code 64.“ „Bitte nicht Deiner auch noch.“ „Meiner auch noch was?“ „Vermutlich ist es nur ein Softwarefehler bei der Auswertung vom Öldrucksensorsignal. Miss mal auf dem nächsten Parkplatz mit dem Stab. Wenn alles in Ordnung ist und Du auch sonst keine Auffälligkeiten bemerkst, mach Dir keinen Kopf und komm beim nächsten Mal vorbei.“ „Für einen Steuergeräteflash nach Recklinghausen und zurück? Auf Lenkzeit?“ „Deutsche Meisterwerkstatt mit Iveco-Werksschulung und der offiziellen Software vom Werk. Sonst ist die Garantie futsch.“ Mit etwas Glück durften das auch die Lahrmann-Brüder.

Ich rief genau da als nächstes an, nachdem der Ölstab bis 1 Millimeter unter die Maximum-Marke anzeigte: „Hallo Mahad. Ich habe hier einen Softwarefehler mit dem Ölsensor.“ „Ach, die Geschichte.“ „Ja. Und keinen Bock bis nach Recklinghausen zu gurken.“ „Dann komm einfach vorbei, wenn Du wieder im Lande bist. Wir haben die offizielle Iveco-Software und die passende Urkunde an der Wand.“ „Kannst Du den LKW bei mir abholen wegen Ruhezeit? Sollte Freitagmittag zu Hause ankommen. Also Freitagabend oder Samstag. Wenn ich nicht auf einem Rastplatz vor den Toren von NRW scheitere.“ „Okay, bei mir in der Werkstatt ist zwar relativ voll und für solche Ausflüge in die Parallelstraße habe ich keine Zeit. Aber abholen, flashen und zurückbringen kann Vinni auch übernehmen, der hat nicht so viel zu lackieren und folieren da gerade. Ich sag ihm Bescheid. Ciao.“ „Ciao.“

Hinter Lyon hatte mich dann das regnerische Herbstwetter wieder eingeholt. Zwischen Genf und Bern auf dem Rastplatz legte ich meine Nachtruhe ein. Es war so neblig, dass ich kaum vom Rasthaus zu meinem LKW sehen konnte.

Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört und ich machte mich auf die letzte Etappe mit Fracht. Seit fast drei Wochen war ich nun unter Fracht unterwegs gewesen. Heute Mittag würde ich in Frankfurt sein, aber es reichte nicht mehr nach Hause. Also musste ich dann morgen früh Solo nach Bochum fahren.

Beim Regen blieb es und so wurde ich trotz des Alibi-Blechdachs bei S.C.Henker reichlich nass. Ein 20-Fuß-Containerchassis konnte man da drunter vielleicht trockenen Fußes abkuppeln, aber dieser Langholztransporter passte nicht.

Danach fuhr ich nur noch auf den Parkplatz gegenüber. Am nächsten Morgen begrüßte mich mein Truck wieder mit einem nervigen Piepser und dem roten Display. Noch dieses eine Mal, dann war Ruhe. Ich fuhr durch Frankfurt und auf die Autobahn. Nach gut zwei unspektakulären Stunden erreichte ich endlich das Schild der Heimat.

Nun war es nicht mehr weit. Ich fuhr von der Autobahn und durch Essen, auf der schon vertrauten Strecke. In Bochum bog ich in meine Straße ab und setzte den Blinker nach rechts auf meinen Hof. Als ich die Einfahrt erreichte, fiel mir das Herz in die Zehenspitzen. Das Hallentor stand offen.

Hinterlasse einen Kommentar