Kapitel 13 – Rein rauf runter raus

Ich hatte die Zeit außerdem genutzt, um an der Front wenigstens ein Bisschen aufzurüsten. So einen Gartenzaun wie Marlon und Julian brauchte ich nicht, aber immerhin eine kräftige Stahlverstärkung vor der Frontschürze und ein Rohrbügel über den Scheinwerfern würden dafür sorgen, dass bei meinen gelegentlichen Afrikatouren im schlimmsten Fall ein Kamikazefahrer oder ein entlaufenes Rind nicht gleich den Kühler zu Matsch verarbeitete.

Meine Mitbewohner machten sich schließlich auf den Weg nach Algier, für mich hieß das Ziel, beladen mit 18 Tonnen Fluor, dann Kolding und lag entgegengesetzt. Bei Regen ging es zur Ladestelle bei Eni in Essen, aber noch bevor ich bei Recklinghausen auf die Autobahn kam, hörte der Regen auf und wenig später kam sogar die Sonne durch.

Ereignislos führte mich die Fahrt auf die bereits bekannte Raststätte Grundbergsee zwischen Bremen und Hamburg, wo ich das in England eingesparte Diesel nachtanken durfte. In Dänemark war der Sprit teurer und außerdem musste ich so nur einmal raus.
Die Fahrt in Richtung Bosch ging weiter, die Adresse lag mitten in Kolding. Das bedeutete dann wohl mal wieder enges Rangieren. Aber als ich ankam, war ich überrascht. Offenbar hatte man die fehlenden Quadratmeter aller anderen Niederlassungen hier zusammengesteckt und ein riesiges Areal geschaffen.

Woran es in Kolding fehlte, war ein Autohof oder so was in der Art. Also fuhr ich zu einer Werkstatt, die Stellplätze und Waschräume für Übernachtungen in der eigenen Zugmaschine zur Verfügung stellte. Es war eine eher unruhige Nacht zwischen Hauptstraße, grölenden Ghettokids und den Schall toll reflektierenden Blechtoren und Hochhäusern.

Am nächsten Morgen ging die Fahrt wieder zurück nach Süden, mit einem Tanktainer voll Diesel in mein spezielles „Lieblingsland“. Bei schönem Wetter schaffte ich es bis durch die Lüneburger Heide und kurz vor Hannover.


Allerdings erwartete mich nach der Bockwurst im kleinen Tankstellenimbiss die böse Überraschung, denn es hatte angefangen zu regnen. Das Wetter blieb mir erhalten und zwischen Kassel und Kirchheimer Dreieck wartete die A7 auch noch mit Stau an einer der zahlreichen Baustellen auf.
In dieser Waschküche fuhr ich bis hinter Frankfurt und legte eine Nachtruhe ein. Da auch hier nur eine kleine Tankstelle auf der Raststätte war, versorgte ich mich lieber aus dem Kühlfach, das ab morgen mein bester Freund werden sollte.

Am nächsten Morgen machte ich mich früh wieder auf den Weg und immerhin gab es dafür als Belohnung einen Sonnenaufgang.
Die Mittagspause verbrachte ich auf dem Parkplatz an der Grenze zur Schweiz. Wie lange war hier noch die Durchfahrt frei, bevor die Eidgenossen sich dank der letzten Volksentscheidung wieder Grenzkontrollen einhandeln würden?

Die zweite Tageshälfte verlief unspektakulär und so schaffte ich es durch die ganze Schweiz bis kurz vor Lyon auf einen Rastplatz. Immerhin war es eine große Anlage, also hatte ich keinen Durchgangsverkehr am Fußende meiner Koje.

Am nächsten Morgen hatte sich das Bild leider etwas gewandelt. Meinen eigenen Truck konnte man noch erkennen, der Volvo hinter mir war ebenso verschwunden wie die Tankstelle und die Sonne, die noch tief hinter den Bergen steckte, zeichnete diese als dunkelgrauen Umriss in den hellgrauen Himmel.

Der Nebel war nicht das einzige, das man als trübe und nasskalte Suppe bezeichnen konnte. Auch der Kaffee wäre damit mal wieder umfassend beschrieben. Da sie hier Tee eher noch schlimmer hinkriegten, entschied ich mich für Orangensaft mit den Vitaminen B, A, S und F. Auch das war ein Fehler, der chemische Nachgeschmack sollte mich noch die nächsten zwei Stunden verfolgen. Ein Notfallfrühstück musste ich mir demnächst auf jeden Fall auch ins Kühlfach packen.

Der Regen hielt bis kurz vor mein Ziel Albi an. Nun musste ich nur noch das ansässige Sägewerk des Rettenmeier-Konzerns finden. Die Anfahrt entpuppte sich als schwierig, denn es war eine unbefestigte Straße mit tiefen Spurrillen.

Nun fand ich leider keine Fracht mehr, die mich rechtzeitig nach Spanien heraus führte. Also musste ich, Sonntagsfahrverbot sei dank, meine Wochenruhe in Albi zubringen. Das drohte ein kulinarisches Erlebnis zu werden. Lästermäuler sagten über Großbritannien, dass man am besten dreimal am Tag frühstückte. Ich behauptete dafür über Frankreich, dass man da am besten dreimal am Tag zu Abend essen sollte.

Das Wochenende war ziemlich zäh. Albi konnte mich als Architekturfan wenigstens in der Hinsicht begeistern. Es erwies sich nur mal wieder, verschärft dadurch, dass ich die Landessprache nicht beherrschte, dass Frankreich eigentlich ein schönes Land war, nur leider zu viele Franzosen dort lebten.

Endlich waren die zwei Tage um und ich konnte gegen Mittag das Land der Fremdsprachenverweigerer verlassen. Ich schlug mich ein Bisschen nach dem Motto „Vorfahrt hat man oder nimmt man sich“ zu Fercam durch, sonst wäre ich nach dem glücklich überlebten Wochenende noch am Stoppschild verhungert.

Apropos „verhungern“, es ging nun mit 23 Tonnen Tiefkühlkost nach Meknes, ausnahmsweise mal eine relativ entspannte Tour, auch wenn die Entspannung am Steuer eine versaute Nachtruhe bedeutete.

In Toulouse konnte man wohl ankommen, wann man wollte. Drei Mal war ich hier, drei Mal zu verschiedenen Uhrzeiten und drei Mal steckte ich auf der Straße in die Stadt im Stau.

Nun nahm ich die Pyrenäen in Angriff, hoffentlich war die Straße nicht gar so steil, denn immer noch war ich knapp 100 PS unter meiner Wunschmotorisierung und mit 23 Tonnen Zuladung wog der Zug dann auch 38 und war damit recht schwer.

Aber schließlich hatte ich die Passhöhe und die Grenze zu Spanien erreicht und ließ es den Berg hinab, soweit erforderlich gegen den Retarder, rollen. Weil ich keinen Rastplatz mehr in der Zeit erreichte, stellte ich den Truck einfach über die Nacht auf dem Parkplatz eines Supermarkts ab. Hoffentlich öffneten die erst um 9 Uhr, denn vorher durfte ich hier nicht weg.

Man ließ mich ausschlafen, allerdings wurde ich schon kritisch beäugt, als ich um den Truck lief, um den morgendlichen Kontrollgang zu machen, dass sich keiner an Reifen oder Verbindungsleitungen zu schaffen gemacht hatte.

Mit einem strammen Tagesmarsch und verlängerter Lenkzeit sollte es durch ganz Spanien bis Gibraltar gehen. Zum Glück war hier für LKW 90 auf der Autobahn erlaubt.
Die Mittagspause fiel auf den Autobahnring um Madrid, auch das wurde so ein Standard-Stop, wenn ich mal in der Gegend war. Richtung Süden traf ich dann auf die Windmühlen, gegen die der Sage nach Don Quichotte gekämpft haben sollte.

Bei Cordoba fädelte sich die Autobahn nach Malaga aus. Es war wirklich spät am Abend und genauso spät auf dem Fahrtenschreiber, als ich gegen halb zehn endlich Algeciras erreichte, von wo die Schiffe, die man gerne im Volksmund dem britischen Kronbesitz Gibraltar zusprach, wirklich ablegten. Dank französischem Carnet TIR war der spanische Zoll eine reine Formalität.

Die zweieinhalb Stunden bis zum Ablegen nutzte ich für eine Dusche. Für die 2 Stunden Überfahrt fläzte ich mich in einen Schlafsessel.
In Tangier fuhr ich nur auf die Stellplätze vor dem Fährterminal und schlief weiter.


Als ich am nächsten Morgen feststellte, wie ich da stand, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt wach war, als ich von der Fähre runter gefahren war.
Der Zoll öffnete erst nach 8 Uhr, aber auch der Zöllner hier war ja nicht wirklich zuständig und er blätterte nur kurz die Papiere durch und prüfte das Siegel. Zwar war Marokko Zielland und er hatte das Recht auf eine Einfuhrkontrolle, aber die große Arbeit überließ er wohl lieber seinen Kollegen in Meknes.

Flott ging es auf der Schnellstraße aus der Stadt. Auch hier musste man sich für die Autobahn eine Eintrittskarte ziehen, dafür ging es auch weiter zügig voran. Nach der Autobahnabfahrt legte ich eine Rast ein und nahm dann das Gebirge in Angriff.

Nachdem ich in Meknes angekommen war, lieferte ich mein Tiefkühlessen bei Schenker ab, fuhr einmal durch die Stadt zu Bosch und war mit einer Ladung Autoteile fürs Renault-Werk in Valladolid wieder auf dem Weg an die Küste.
Auf der Strecke hatte ich eine Tankstelle gesehen, wo ich meine Nachtruhe einlegen wollte. Auch wenn ich seit Madrid noch nicht so viel verbraucht hatte, nutzte ich die Preise und tankte noch mal voll. Dann zog ich vor auf die Parkplätze und sah mir die Frachtbörsen an.
In Valladolid würde ich wieder das Wochenende verbringen müssen, aber da war eine Fracht am Montag von dort nach Dortmund. Die wollte ich mir holen. Aber noch bevor ich damit fertig war, hatte sie mir wohl ein anderer weggeschnappt, denn statt einer Auftragsbestätigung bekam ich nur die Meldung „Dieser Auftrag steht nicht mehr auf dem Frachtmarkt zur Verfügung.“ Na toll, also was anderes suchen.

Wieder recht unbürokratisch kam ich am nächsten Morgen durch den Zoll und aufs Schiff. Immerhin hatte ich es geschafft, ohne Halt durch die Stadt zu kommen und so entfiel die Runde mit dem 1“ Ringschlüssel um den Truck. Nicht dass an dem Ding eine einzige zöllige Schraube war. Aber da der Besitz von Baseballschlägern ohne die erkennbare Absicht, damit Ball spielen zu wollen, in manchen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden und der Schweiz, unerlaubter Waffenbesitz war, diente er mir schon seit ewigen Zeiten als Waffe gegen blinde Passagiere im Fahrwerk. Das eingeätzte Eddie Stobart Logo verriet, dass er ein Geschenk eines britischen Truckers in Calais gewesen war, der an einer Ampel beobachtet hatte, wie mir noch zu Mahler-Zeiten illegale Einwanderer unter den Trailer geklettert waren und der ihn „verloren“ und mir überlassen hatte, um sie wieder zu vertreiben.

Nach einer unruhigen Nacht auf einem kleinen Rastplatz zwischen Malaga und Cordoba begann der letzte Tag der Woche schon um 4 Uhr, damit ich rechtzeitig abladen konnte. Die Tour war mal wieder mit relativ wenig Reserve gesegnet. Aber ich schaffte es noch rechtzeitig ans Ziel.

Da mich die entgangene Fracht schon ein Bisschen ärgerte, wählte ich die Nummer von Julian, um zu hören, ob sie ähnliche Probleme kannten und an einer gemeinsamen Lösung interessiert waren. „Hallo Ricky, wo bist Du denn gerade?“ „Hallo Julian. Von Meknes in Valladolid angekommen und jetzt Wochenruhe. Und Ihr?“ Ich hörte, dass sie fuhren, das Handy war wohl mit der Freisprechanlage verbunden. „Gar nicht so weit weg von Dir, auf dem Weg von Alicante nach Nizza und da dann Ruhepause.“ „Immerhin ein klangvoller Name.“ Dass mir das Land, in dem Nizza lag, sonst so gar nicht passte, wollte ich ihnen als Halbfranzosen nicht so unverblümt auf die Nase binden. „Wenn wir Dir unsere Hotelbuchung zeigen, wirst Du beim Gesamtbetrag verstehen, dass wir die Nächte auch lieber in Valladolid verbringen würden.“
„Warum ich anrufe: mir ist gestern Abend eine Fracht durch die Lappen gegangen. Stand gerade mal 4 Stunden drin und als ich sie übernehmen wollte, war jemand einen Mausklick schneller. Passiert Euch das auch?“ „Selten, aber ja. Das kennen wir auch.“ „Weil ich Rechnungen Schreiben auch nicht eben vergnügungssteuerpflichtig finde, hatte ich überlegt, jemanden einzustellen, der Aufträge annimmt, Fahrten disponiert, Rechnungen schreibt und zu normalen Bürozeiten ans Telefon geht, auch wenn unsereins mal nachts fährt und tags schläft. Aber das lohnt für einen Truck nicht, also kann ich das nur machen, wenn Ihr mitziehen würdet.“
„Und wie soll das für beide Seiten gehen? Wir sind ja zwei Firmen.“ „Auf altbewährte Weise. Ein Laden macht den Arbeitsvertrag und stellt die Person ein, der andere kauft die Dienstleistung ein. Warum soll mit einem Disponenten nicht funktionieren, was mit einem Truck und einem Stellplatz geht?“ „Dann sind wir aber dieses Mal dran.“
Ich fing an zu lachen. „Was ist?“ „Ihr stellt also jetzt einen Speditionskaufmann ein, mietet dazu von mir ein Büro, damit ich von Euch die Dispo- und Buchhaltungsdienste mieten kann. Wenn ich Karl das Konstrukt erzähle, springt er mir an den Hals.“ „Wer ist Karl?“ „Mein Steuerberater. Und wenn Ihr bis dahin nicht selber dran denkt, einen zu suchen, bei Eurer ersten Umsatzsteuer-Voranmeldung Ende März bestimmt auch gerne Eurer.“ Das Schweigen am anderen Ende verriet mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
„Okay, ich schalte mal noch schnell für morgen eine Anzeige in der WAZ-Gruppe. Teilzeit reicht aber sicherlich, oder?“ „Ja, denke ich schon.“ „Wie viele Stunden genau unterhalten wir uns noch drüber? Kommst Du, auch wenn wir formal einstellen, dann zur Wochenmitte nach Bochum? Ich denke, wir sollten da alle mitreden.“ „Ich kann’s versuchen.“

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Die fehlerhafte Beschilderung aus rechteckiger ADR-Tafel und den rautenförmigen Klassenkennzeichnungen wird sich nun für einige Zeit durch die Kapitel schleichen, bis man mich mal drauf aufmerksam gemacht hat, dass die Klassen nur an die Seiten und das Heck, aber nicht an die Front kommen.

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