Das Wochenende in Valladolid bestand aus vielen Kirchen, aber die waren eine schöner als die andere vom Baustil.
Am Montag war meine erste Amtshandlung, das Kühlfach für die Frankreichpassage aufzurüsten, also legte ich auf dem Weg vom Hotel zur Ladestelle noch einen Stopp in einem Supermarkt ein.

Schließlich hatte ich meine beiden Druckbehälter am Haken. Immerhin brauchte ich dieses Mal keine Schilder. Der Trailer hatte Normalmaß, blieb in der EU und an dem Transport war nichts gefährlich.
Dann verließ ich die Stadt Richtung Nordosten, der Sonnenaufgang kündigte einen schönen Tag an. Problemlos kam ich an Bilbao vorbei durch Spanien und bis zum Mittag an die französische Grenze, kurz danach machte ich meine Mittagspause.
Die Fahrzeit reichte nicht mehr bis an mein Ziel in Clermont, also fuhr ich auf einen Rastplatz und musste dann die letzte Stunde am Dienstag fahren. Ich riskierte ein Abendessen im Rasthaus und für eine Raststätte war es auch gut.
Als ich wieder in die Kabine kletterte, klingelte mein Handy, es waren Julian und Marlon: „Hallo Ricky, wann bist Du in Bochum?“ „Donnerstagabend. Ich bin kurz vor Clermont, habe von da eine Anschlussfracht nach Erfurt und hoffe noch was in unsere Richtung zu bekommen. Warum?“ „Wir haben schon vier Bewerbungen und müssten sehen, wen wir einladen. Sollen wir sie Dir mal weiter mailen?“ „Ist datenschutzrechtlich nicht sauber, wenn Ihr das macht. Das wisst Ihr?“
„Nicht so wirklich. Aber ich habe vor über 10 Jahren meinen einzigen Arbeitsvertrag in Frankreich unterschrieben und Julian ist gleich von der Schulbank in die Selbstständigkeit gefallen. Du warst zwar auch noch nie Chef von Angestellten, aber immerhin schon bei drei deutschen Firmen länger angestellt und bist erst ein Jahr selbstständig, kennst also noch die andere Seite. Das macht Dich zum Einäugigen zwischen blind im deutschen Arbeitsrecht herumirrenden.“
„Dann sagt doch mal, was Ihr da habt. Das ist nicht verboten.“ „Frank Wörner, 23 Jahre, sucht eine neue Herausforderung.“ „Klingt nach Standard-Schmu von einer Internetseite mit Beispielbewerbungen. Wenn er gut ist, hat er sogar die quasi einzige Herausforderung gefunden, die wir bieten können. Und in dem Alter Teilzeit? Wahrscheinlich Fernstudium oder Überbrückung und irgendwann weg.“
„Judith Mertens, 30 Jahre, hat vor 3 Jahren bei Schenker gekündigt, weil sie ihre Mutter pflegt, will für ca. 25 Stunden wöchentlich wieder arbeiten. Gibt neben Englisch noch gutes Französisch an.“ „Klingt vernünftig.“
„Jutta Kriebel, 54 Jahre, hat das letzte Mal vor fast 30 Jahren bei Danzas gearbeitet. Wochenstunden offen gelassen.“ „Und jetzt ist das letzte der Kinder aus dem Haus, der Garten auch komplett umgestaltet und ihr ist langweilig… Befürchte, ihr Fachwissen hat ein Bisschen Flugrost angesetzt und disponiert hat sie noch auf der Stecktafel. Die würde ich vergessen.“
„Hans Altmeier, 36 Jahre, will 20-25 Stunden wöchentlich arbeiten, hatte seinen Job bei UPS aufgegeben, als vor 4 Jahren die Kinder geboren wurden. Die Bewerbung liest sich aber irgendwie gestelzt.“ Sie gaben mir eine Textprobe, in der Tat umständlich formuliert. Entweder eine schlechte Vorlage oder er war so kompliziert, Piet Klocke nur als Speditionskaufmann anstatt Professor.
„Also, was meinst Du?“ „Auf jeden Fall sollten wir die Judith Mertens mal interviewen. Die ältere Frau würde ich abhaken, was Ihr mit den Männern macht, müsst Ihr wissen. Aber vielleicht seht Ihr es anders. Und vielleicht kommt noch was rein. Für Bewerbungsgespräche würde ich erst Freitag können, wenn Ihr mich dabei haben wollt.“ „Wollen wir.“ „Ich würde an Eurer Stelle dann versuchen, die Leute so zu verplanen, dass der Favorit am Ende kommt. Dann könnte man gleich einen Vertrag machen, wenn sich die Erwartungen erfüllen.“
„Apropos Vertrag…“ „Wann seid Ihr da?“ „Wir sind jetzt auf dem Weg nach Linz und von da nach Kassel und leer heim, sollten also Mittwoch nicht zu spät da sein.“ „Dann könnt Ihr ja noch was organisieren. Da gibt’s sicherlich was Fertiges bei der IHK oder Arbeitsagentur.“ „Gute Idee.“ „Ich habe noch eine. Geht auch mal bei Benny im Erdgeschoss vorbei und lasst Euch einen Kostenvoranschlag für ein kleines Disposystem machen. Einen kompletten Arbeitsplatz für die Dispo im Büro, weitere Softwarelizenzen auf unseren Büro-PCs und unseren Mobilgeräten. Welchen Umfang wir da jeweils haben müssen, könnt Ihr Euch ja auch von ihm sagen lassen. Bei mir wäre das Mobilgerät übrigens ein Android-Tablet.“ „Machen wir. Aber jetzt klettern wir mal langsam in die Kojen. Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“
Am nächsten Morgen ging es bei Regen zu Schenker in Clermont abladen und gleich um die Ecke bei Eni wartete der Tank mit Chemikalien auf seine Reise nach Erfurt. Auf dem Hof war einiges los.
Um 8:30 Uhr war die Stadt kurz vor dem Verkehrskollaps. Ich brauchte 20 Minuten bis zur Autobahn. Die armen Hunde, die in einer Seitenstraße standen, aus der ihnen keine Ampel half, waren in der Zeit sicherlich noch nicht sehr weit gekommen.

Das Wetter besserte sich zwar, aber bei immer noch mit grauen Wolken verhangenem Himmel durch die uninspirierte Landschaft Mittelfrankreichs zu fahren war kein Vergnügen und einen Gesprächspartner gab es schließlich auch keinen. Funk hatte heute so gut wie keine Bedeutung mehr. Als ich vor über 10 Jahren angefangen hatte, fand man da immer jemanden zum quatschen.
Ich schaffte es bis fast nach Straßburg, wo ich auf einem Rastplatz die Nachtruhe einlegte. Am nächsten Morgen kämpfte die Sonne noch die letzten Reste Morgennebel nieder, als ich mich abfahrbereit machte.

Über Mannheim und Frankfurt erreichte ich am Nachmittag und ziemlich gegen Ende der Lenkzeit mein Ziel und fuhr für die Nacht in ein Gewerbegebiet.
Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zu meinen Äpfeln bei ADM. Schnell hing der Kühler hinter der Zugmaschine und die Papiere waren vollständig, also auf nach Osnabrück.

Über Kassel und Hannover, also auch durch die zahlreichen Baustellen auf der A7, ging es nach Osnabrück und ich fand mich auf dem vollen Lidl-Parkplatz wieder. In Millimeterarbeit zwischen teuren Karossen zirkelte ich den Truck in die Ladebucht.

Der Heimweg zog sich bei zunehmend schlechtem Wetter gefühlt in die Ewigkeit. Endlich kam ich zu Hause an und war reichlich hungrig, aber auch Just in Time für Julian und seinen berühmten Nudelauflauf.
Am Freitag dann kamen die Bewerber. Sie hatten den aufstrebenden Jungdisponenten Frank Wörner und Judith Mertens eingeladen. Die anderen beiden erst einmal nicht. Marlon und ich hatten den Küchendienst, Julian die Büromaterial-Requisite und am Ende war der Besprechungsraum mit Kaffee, Tee, Keksen und Schreibzeug an jedem Platz aufgerüstet.
Unser erster Kandidat kam fast auf die Sekunde pünktlich mit seinem Audi A3 auf den Hof gebrettert. Wenn er nur halb so viel Schwung in die Arbeit legte wie ans Lenkrad, würde er bald mit 2 Trucks unterfordert sein. Er kam schnellen Schrittes die Treppe rauf und wir gingen in den Besprechungsraum, wo wir uns vorstellten und aufs Du einigten.
Er fragte nicht nach, was es mit den zwei Unternehmen auf der Tür auf sich hatte oder warum wir ihn zu dritt quasi zahlenmäßig niederkämpften. Sein Lebenslauf führte vom Abitur in einen Logistik-Studiengang und nun hatte er seinen Bachelor of Science in Logistik in der Tasche, mit Praktikum und Abschlussarbeit bei Kraftverkehr Nagel. Seine Erwartungen an unsere Unternehmen und seinen Job hier zu schildern spulte er wie befürchtet aus dem Lehrbuch ab.
Danach begann die Prüfung zum verbalen Freischwimmer: „Welche Herausforderung meinst Du denn, hier zu finden?“ „Bei Nagel war alles so starr und eingefahren. Ich denke, bei einem kleinen Unternehmen kann ich mehr gestalten und neue Ideen einbringen.“ „Hast Du Dich mal damit befasst, wer wir sind? Es sind ja keine tollen Seiten und aus dem Homepage-Baukasten des Internetproviders, aber beide Speditionen haben einen Internetauftritt und von Julian und Marlon, bei denen Du Dich beworben hast, ist es nur ein Klick zu mir.“
Er schwieg betreten und sah den Schreibblock vor sich an. Ich sah kurz und mit angedeutet verdrehten Augen zu Marlon und Julian rüber, die ohne Erfahrung in Bewerbungsgesprächen auch eher unbeteiligt waren. Marlon schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, Julian zeigte mir um die Ecke vom Tisch „Daumen runter“
„Und bist Du sicher, dass Du hier richtig bist?“ Nun war er vollkommen verunsichert. „Wir denken wohl alle drei, dass Du nicht der richtige Bewerber bist. Tut mir leid.“ „Ich gebe Dir jetzt noch ein Bisschen Karriereberatung und Bewerbungstipps.
Erst einmal gibt es in kleinen, inhabergeführten Unternehmen nicht viel zu melden. Ich bin schon mal für eins gefahren und das war deutlich größer als hier. Aber oben stand der Chef und der sagte, was gemacht wurde. Wer nicht nach seiner Pfeife tanzte oder sich über eine 12 Jahre Zugmaschine beschwerte, war draußen. Die Disponenten waren reine Sachbearbeiter, die Touren suchten, die dem Chef in die Strategie passten, ob es ihnen selber passte oder nicht.
Wir hier brauchen im Prinzip auch nichts anderes, selbst wenn wir nicht vorhaben, nach Gutsherrenart über die Dispo zu befehlen. Meine Strategie heißt „Geld verdienen“, bei Marlon und Julian aufgrund ihrer Erfahrung gutem Namen in dem Bereich „Nordafrika“. Bewegen kannst Du hier auch nichts, dazu sind zwei Ein-Truck-Firmen zu klein. Ein Blick ins Internet hätte gereicht, um das herauszufinden.
Und einen Studierten brauchen wir auch nicht. Abgesehen davon kenne ich mich damit zwar nicht wirklich aus, aber der Bachelor ist doch irgendwie mitten drin, mehr als gelernt und zu wenig, um als Studium akzeptiert zu werden. Mein Tip an Dich ist, mach Deinen Master hinterher, such Dir ein größeres Unternehmen, das aber nicht einem Konzern gehört, sondern in privater Hand ist. Da dürftest Du mit Deinen Wünschen am Ende am besten aufgehoben sein. Ich habe alles durch und kenne es, Familienbetrieb mit 30 Trucks, große Aktiengesellschaft im Werksverkehr, privater Großbetrieb mit hunderten Trucks weltweit und jetzt One-Man-Show.“
Wir verabschiedeten ihn, er wirkte irgendwie kaum enttäuscht, sondern eher dankbar für die Hinweise. Dann warteten wir auf unsere zweite Bewerberin. Judith Mertens war auch pünktlich und wirkte außerdem ein Bisschen überrascht über unser zahlreiches Erscheinen. Wir stellten uns vor, boten ihr was zu trinken an und als alle mit Kaffee oder Tee versorgt waren, sollte sie mal erzählen.
Sie hatte eine Ausbildung als Speditionskauffrau bei Schenker gemacht und dann 8 Jahre in verschiedenen Niederlassungen gearbeitet, darunter auch im Ausland. Als sie Clermont erwähnte, rutschte mir raus: „Da habe ich noch Dienstag abgeliefert.“
Sie erzählte weiter: „Vor 3 Jahren ist meine Mutter auf der Treppe gestürzt und braucht seitdem Pflege. Mein Vater war da schon zwei Jahre tot. Also habe ich gekündigt und bin zu Hause geblieben. Im November hat mich mein Freund verlassen und da habe ich gemerkt, dass ich wieder ein eigenes Leben führen muss. Meine Mutter ist jetzt im betreuten Wohnen unter der Bedingung, dass ich sie jeden Tag für einige Stunden besuche. Deshalb schweben mir 25 Stunden in der Woche vor. Dann könnte ich zum Beispiel von 9 bis 14 Uhr arbeiten und danach den Nachmittag zu ihr.“
„Dann erzählen wir mal was über unsere Mini-Speditionen. Julian und ich sind Brüder, wir sind im Ruhrpott geboren, aber in unserer Jugend nach Frankreich gezogen. Ich habe nach der Schule erst als Verteiler für einen Getränkegroßhandel gearbeitet und dann mit 21 eine gebrauchte Zugmaschine gekauft. Julian ist nach der Schule zu mir auf den Truck gekommen, wir sind viel Afrika gefahren.“
Sie nickte, als könnte sie sich denken, was Julian da ohne Führerschein getrieben hatte. „Im Herbst haben wir dann Ricky kennen gelernt und vor ein paar Wochen hat es sich ergeben, dass wir zurück nach Deutschland sind. Wir haben einen Truck und fahren als Zweierteam, als Schwerpunkt auf der Strecke Europa-Nordwestafrika.“
Ich machte weiter: „Eigentlich bin ich Landmaschinenmechaniker, komme aus dem Sauerland und habe den LKW-Schein für schnelle Trecker und die LKW der Bauern gemacht. Aber kurz danach bin ich doch in den Fernfahrerjob gerutscht und erst mal einige Jahre für eine kleine Spedition aus Nordhessen gefahren, meistens aus Kassel, Gießen, Fulda oder Rhein-Main nach Skandinavien und Großbritannien. Dann war ich mal ausgewandert und bin Tankzüge für BP in England, Wales und Schottland gefahren. Nach vier Jahren hatte es mich zu Talke nach Hürth verschlagen und seit mittlerweile einem Jahr bin ich mit meinem eigenen Truck als One-Man-Show selbstständig. Wirklich spezialisiert auf irgendwas bin ich nicht und fahre von Dänemark bis Nordafrika und Milchprodukte wie Benzin, aber mit meiner Vergangenheit habe ich eben Scheine für so gut wie alles, was an Gefahrgut unterwegs ist und erwäge irgendwann eine Spezialisierung in diese Richtung.“
„Auf dem Papier würden wir Sie für unsere Firma einstellen, aber tatsächlich würden Sie beide Trucks disponieren. Deshalb ist Eric auch hier dabei.“ Untereinander wollten wir uns nicht im Bewerbungsgespräch siezen, aber Julian musste sich schon einen Moment lang anstrengen, meinen richtigen Vornamen und nicht den Spitznamen zu benutzen.
„Wir müssen hier in den kommenden Tagen erst noch ein System aufziehen lassen, wir waren bisher Excel-Disponenten. Haben Sie da irgendwelche Präferenzen?“ „Nein. Schenker hatte eh eine eigene Software.“
Wir sprachen noch über ihre Berufserfahrung bei Schenker, dann verließ ich mit Marlon und Julian den Raum: „Ich habe persönlich und fachlich einen guten Eindruck. Wenn sie meine Angestellte werden sollte, würde ich sie nehmen.“ „Dann gehen wir mal wieder rein und reden über Konditionen. Du kannst ja schon mal zu Benny und die Computersysteme anfordern.“ Marlon drückte mir eins der Angebote in die Hand.
Als ich wieder rauf kam, waren sie fertig und sich einig. Also wechselten wir zum Du und führten Judith noch auf der Etage herum. Marlon und Julian wollten ihre Schreibtische in ein Büro zusammenschieben, so dass sie ein eigenes Büro bekommen würde. Sie konnte sofort anfangen und das war dann auch sofort. Auf dem Papier morgen, aber weil der 1. März ein Samstag war also real erst am 3.
Noch im Treppenhaus kamen uns zwei von Bennys Jungs mit einiger Computerhardware entgegen. Also durfte Julian seinen Schreibtisch nicht rüber schieben, sondern eher ausräumen und morgen schnell einen neuen kaufen. So was nannte man wohl prompte Bedienung.
Nachdem Julian schnell noch einen neuen Schreibtisch „Bullerbü“ gekauft hatte, konnten Bennys Mannen auch den letzten PC installieren. Am Ende der Aktion hatten wir einen Arbeitsplatz mit den Modulen für Disposition, Buchhaltung und Einkauf – irgendwie mussten ja auch Kopierpapier & Co ihren Weg in das Buchhaltungsmodul finden – bei Judith. Das Chefpaket mit Allmachtsfunktion gab es bei Marlon und mir, aber aus Kostengründen nicht bei Julian. Der hatte einen Innendienst-Arbeitsplatz für Fahrerabrechnungen. Die Untwegsmodule, über die wir alles machen konnten, was wir auf der Tour brauchten, waren auf Julians Laptop und meinem Tablet. Die Software einer eher kleinen, aber dafür flexiblen Softwareschmiede war natürlich für unseren Sonderfall geeignet, dass Judith von einem Platz für zwei getrennte Unternehmen Dispo und Finanzen regeln konnte, aber Marlon und ich nicht an die Datensätze des jeweils anderen Unternehmens kamen.
Entsprechend umfangreich wurde auch die Schulung am Montag. Judith kam damit auf Anhieb klar. Die Sachen sahen anders aus und wurden auch anders bedient als in ihrer alten Software bei Schenker, aber sie war mit den Abläufen und ihrer Abbildung in so einer Software vertraut. Uns drei Helden von Word und Excel rauchte dagegen am Montagabend der Kopf. Während der Einarbeitung waren auch gleich unsere ersten Touren entstanden.
Und so rollten Marlon und Julian am Dienstag früh vom Hof in Richtung Wuppertal und von dort mit Traktoren nach Meknes.
Für mich ging es erst um 10 Uhr los zu meiner beliebtesten Ladestelle Linde in Bochum. Hier hatten die meisten meiner Touren begonnen. Mit dem Ziel war ich nicht glücklich, aber es war in der Bezahlung je Kilometer der lukrativste Auftrag gewesen, also auf nach Orleans.

Der Ärger ging gleich in Essen los, wo ein Solo mit einer TGX-Zugmaschine fahrender Kollege leichte Probleme hatte, das Gaspedal zu finden und den Verkehr mit mir mitten drin aufhielt. Endlich war ich auf der A4 und kam schnell voran in Richtung Belgien.
Am Abend merkte ich, dass mit der Planung was nicht stimmen konnte. Okay, vielleicht hatte Judith es nicht bemerkt, aber mir fehlte eine Rastmöglichkeit. So musste ich eine Stunde verlängern, bis ich endlich hinter Paris einen Parkplatz hinter einer Mautstation für meine Nachtruhe fand.
Man gönnt sich ja sonst nichts, also zum Abendessen eine Suppe a la Büchs und dann mit Ohrstöpseln in die Koje und auf eine einigermaßen ruhige Nacht hoffen. Morgen um die Zeit wollte ich aus diesem Land wieder draußen sein.

Auf dem Weg zum Abladen rief ich dann doch mal bei Judith an: „Guten Morgen, wie ist die Lage im Pott?“ „Alles unter Kontrolle. Suche Dir gleich mal eine Anschlussfracht für morgen Nachmittag.“
„Apropos. Wie hattest Du Dir das eigentlich vorgestellt gestern? Ich musste die Bonusstunde überziehen, bis ich auf einer Mautstelle hinter Paris endlich die Nacht-Unruhe einlegen konnte.“ „Oh.“ Die gute schien ja ein Bisschen überrascht zu sein.
„Wenn Du nicht auf den Ring gefahren wärst, sondern weiter Richtung Innenstadt, dann wären bald links und rechts Betriebe mit Stichstraßen gekommen. Das sind nachts inoffizielle LKW-Parkplätze. Da sind unsere Schenker-Jungs immer über Nacht geblieben.“ „Gut zu wissen. Solche Insidertipps bitte demnächst vorher. Frankreich ist nicht mein Expertengebiet.“ „Okay.“
Sie klang sehr eingeschüchtert. „Alternativ hättest Du mir einfach einen Marco Polo Reiseführer für Paris mitgeben können. Die haben ja angeblich auch Insidertipps.“ Ich lachte und sie stimmte nach einer kurzen Pause zum Durchatmen mit ein. Außerdem entschuldigte ich mich für das vielleicht etwas zu locker sitzende Mundwerk für so früh im Arbeitsverhältnis. „Bist Du schon der zweite, der das macht.“ „Lass mich raten. Julian?“ „Ich sage nichts, aber da sind wir uns einig geworden, dass ich entsprechend antworten darf, ohne dass es mit negativ ausgelegt wird.“ „Das nenne ich Arbeitsgrundlage. Ich stecke auch lieber mal einen Spruch ein, als mich selbst bremsen zu müssen.“
In Orleans wurde ich meine Druckbehälter bei Fercam schnell los und so machte ich mich auf den Weg zu Strabag. Hier sollte mal wieder ein Leasingrückläufer an den Baumaschinenhersteller JCB zurück auf die Insel.
Schnell war der Trailer aufgesattelt, aber im Büro liefen die Uhren langsamer. Die zwei Damen beendeten ihre Diskussion über irgendwas nur schleppend und eine davon schleppte sich dann an den Schreibtisch. Durch meine – mit nicht vorhandenen Sprachkenntnissen unausweichliche – Weigerung, französisch mit ihr zu sprechen, wurde sie noch langsamer und der Minutenzeiger auf der Wanduhr hatte schon einen Halbmarathon absolviert, bevor ich endlich alle Papiere in der Hand hatte.
Die unvermeidliche Solo-Zugmaschine mit talentfreiem Fahrer war dieses Mal ein weinroter DAF, der mir auf der Autobahn bis zur Gabelung nach Paris und in die Bretagne auf die Nerven ging. Sein Tempo war zu schnell zum Überholen und zu langsam zum dahinter bleiben. Zum Glück wollte er in die andere Richtung.
Die Mittagspause legte ich auf einem Parkplatz hinter Paris ein. Während ich mein Brot futterte, klingelte das Telefon, die Büronummer stand im Display: „Ricky hier. Hallo Judith!“ „Hallo Ricky. Wenn Du brav bist, darfst Du am Wochenende nach Hause.“ „Ich bin doch immer brav, was hast Du denn?“ „Schwefelsäure nach Recklinghausen. Muss bis Freitag spät abends da sein.“ „Okay, klingt gut.“ „Dann hole ich den Auftrag mal und schicke Dir die Daten rüber. Tschüß und gute Fahrt noch.“ „Danke, Ciao!“
Schließlich blickte ich noch mal auf die Tankanzeige und zog raus auf den Rastplatz. Nicht dass mir am Ende wieder in England die Reserve anging und ich für umgerechnet 1,50 Euro tanken durfte.
Während der Sprit in den Tank lief, klickte ich mich auf dem Tablet durch die Auftragsdaten meiner Anschlussfracht. Das System war schon genial. Ich brauchte nur eine mobile Internetverbindung und bekam Auftragsdaten und Fahrtauswertungen angezeigt, konnte dafür meinen Standort und Fahrtdaten an den Zentralserver senden.
Da es noch ein Stück bis Calais war, genügte mir ein kurzer Kontrollblick in Sachen illegaler Einwanderer. Die sprangen meistens später auf. Und ein Tieflader war nun sowieso nicht ihr bevorzugtes Transportmittel.
Es ging noch mit dem Zug rüber. Endlich fuhr ich in Folkstone wieder mal auf britischen Boden.

Viel Lenkzeit blieb mir nicht mehr, also fuhr ich für die Nachtruhe auf den Rastplatz Maidstone.
Am nächsten Morgen dann machte ich mich voller Vorfreude auf den Weg ins Restaurant und orderte „One Full Traditional“. Kurz danach hatte ich einen Teller voll mit Speck, Würstchen, Pilzen, Spiegelei und Bohnen in Tomatensoße vor mir stehen. Dazu einen Ständer mit zwei wie hierzulande üblich diagonal halbierten Scheiben Toastbrot, ein Half-Pint-Glas Orangensaft und ein Kännchen schwarzen Tee.
So konnte ein Tag beginnen. Da dieser Rasthof für viele britische Trucker die erste Nacht in der Heimat bedeutete, hatte das Frühstück einen hervorragenden Ruf und es wurde ihm auch gerecht.
Gut gestärkt stürzte ich mich in den dicken Pendlerverkehr Richtung London. Auf dem Ring ging es anfangs etwas stockend voran, aber schon bald wurde der Verkehr wieder flüssiger.
Ohne weitere Zwischenfälle erreichte ich über die Autobahn und zum Schluss ein Stück Landstraße Grimsby.
Natürlich durfte ich den Trailer in die engste Lücke auf dem ganzen Hof rangieren, aber das war trotzdem eine eher kleine Herausforderung.
Danach ging es zum Laden nach Linde. Es standen zwei Tanks von Nijhof-Wassink auf dem Hof, aber der eine hatte Tafeln für brennbare Flüssigkeiten dran. Ich fuhr also vor den mit der Kennzeichnung „ätzend“ und machte mich auf den Weg ins Büro. Als ich wieder zurückkam, durfte ich noch beschildern.
Mit meiner Lenkzeit schaffte ich es noch locker nach Hull an die Fähre, auch die Reservierung fürs Schiff hatte ich auf das Tablet bekommen. Neben einem Kollegen mit einem gewöhnungsbedürftig grün-braun lackierten Renault Premium wartete ich auf die Freigabe der Fähre.

Am nächsten Morgen ging es von Rotterdam über Amsterdam Richtung Deutschland. Aber noch vor der Grenze meldete sich das Navi mit einem Stau und schickte mich auf die Landstraße. Dort war ich aber auch nicht alleine, das wurde mir schon in der Ausfahrt klar.

In Recklinghausen quälte ich mich mal wieder durch die enge Einfahrt aufs Bosch-Gelände, stellte meine Ladung Säure ab, erledigte den Papierkrieg und durfte mich dann mit den Leuten auf der Straße herumschlagen, die früh Feierabend hatten und nach Hause wollten.
Als ich an der Halle ankam, war nur noch bei Benny und seinen Leuten im Erdgeschoss Aktivität zu sehen. Judith war bestimmt schon bei ihrer Mutter im Pflegeheim, Marlon und Julian trieben sich noch irgendwo in Afrika herum. Ich setzte mich an meinen PC, machte die Spesenabrechnung der Fahrt und sah mir schon mal an, wo ich am Montag hin fahren sollte. Ab jetzt bestimmte also jemand anders meinen Kurs, ich durfte ihn nur noch steuern.
