Montag, 02.09.2019, Uppsala.
Ich sitze im Büro und stelle die leere Kaffeetasse ab. Dabei blicke ich gedanklich auf die vergangenen Monate zurück, die sowohl Sandra als auch mich an die Grenzen unserer Möglichkeiten gebracht haben.




Unseren für Mai geplanten Urlaub in den USA konnten wir ersatzlos streichen und auch der Wassersport ist mangels Zeit fast komplett untergegangen. So hatte ich mir das laufende Jahr eigentlich nicht vorgestellt.
Die neuen Niederlassungen in Neapel und Helsinki hatten mehr Aufmerksamkeit im administrativen Bereich gefordert als wie wir ursprünglich eingeplant hatten. Doppelt angeforderte Formulare und Audits diverser Behörden sind nervig und kosten Zeit, die man eigentlich sinnvoll nutzen könnte… Dagegen waren die Touren mit dem rovfågel und dem in Berlin staioniertem Scania P410 schon fast erholsam.
Ende Juli, ich war gerade von einer Regionaltour zurück im Büro, kam dann Tania mit der Info, dass der Bär aus Odense vierzig weitere Tankauflieger geordert hatte. Lieferung so zeitnahe wie möglich. Diesen Kraftakt habe ich mit meinem Team am vergangenen Freitag mit der Auslieferung des letzten Aufliegers auch geschafft. Wie gut, dass ich mich auf meine Leute vom Trailerservice in Hamburg verlassen kann und ich mit Kjell und Janina hier in Uppsala auch noch einen Teil des Auftrages abarbeiten konnte.
Airin betritt mein Büro und reißt mich aus meinen Gedanken. „Hej Christian.“ „Hej.“ „Adrian Palsson von Scania Stockholm hat eben angerufen. Der ‚R‘ für Neapel ist fertig und wird uns heute zum Abend hin hier nach Uppsala geliefert.“ „Sehr gut. Wenigstens das läuft..“ „Holt sich Luca den hier oben ab?“ „Nej. Ich habe vor einen der Flachbettauflieger in Neapel zu stationieren. Außerdem sind da noch zwei von den älteren Tiefladern nach Afrika verkauft; die kann ich in dem Zuge gleich mit zum Hafen in Neapel schaffen.“ „Ok. Und dann hab ich da noch eine Anfrage von Maier-Flink…“ „Was hat der Gauner sich dieses mal ausgedacht? Bei den Standardsachen gibt er ja nur noch die Termine vor…“ „Was genau hat er noch nicht gesagt. Ich weiß bisher dass wir wenn dann in Stockholm, Berlin und München laden sollen. Und dann nach Zypern runter.“ „Griechischer oder türkischer Teil? Rückladung? Und vor allem wann?“ „Er hatte mir den Ort genannt; muss ich nachher auf meinen Zettel schauen. Rückladung bis jetzt keine, wollte er sich aber drum kümmern. Er weiß dass du solche Touren sonst von vorneherein ablehnst.“ „Mhm, hat lange genug gedauert ihm das verständlich zu machen.“ „Am 16. ab 06:00 Uhr wäre in Stockholm zu laden. Berlin und München dann in Folge so wie du es schaffst. Maier-Flink meinte es reicht wenn ein Fahrer alleine die Tour macht.“ „Passt. Wenn du weißt wie viele Lademeter auf den jeweiligen Etappen offen sind kannst du ja noch Stückgut vom gelben Riesen oder so dazu disponieren.“ „Ganz sicher. Mein Bleistift ist gespitzt.“
Airin verschwindet in Richtung Dispo, da ihr Telefon klingelt. Ich gucke in meine Kaffeetasse. Die ist immer noch leer. Also auf in die Küche und eine Kanne Kaffee angesetzt.
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Dienstag, 03.09.2019, Uppsala.
Es ist kurz nach Mitternacht als die Hells Bells von AC/DC mich aus dem Schlaf reißen. Ich stelle meinen Wecker schnell ab damit Sandra weiter schlafen kann. Ich beuge mich zu ihr und gebe ihr einen Kuss. Verschlafen murmelt sie „Kör försiktigt.”
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Es ist 01:15 Uhr als ich das Firmengelände verlasse und mich auf den Weg zu meiner Rennstrecke gen Süden, die E4, mache. Die Straßen sind wie leergefegt und ich komme gut voran. Stockholm. Nyköping. Norrköping. Linköping. Jönköping.
Am Trafikplats Kropp bei Helsingborg wechsele ich auf die E6. Wenig später setze ich den Blinker und fahre auf bei Glumslöv auf den Rastplatz. Es ist 11:26 Uhr als ich den digitalen Wächter auf Pause stelle.
Mittwoch, 04.09.2019, Glumslöv.
Möwengekreische reißt mich aus dem Schlaf. Häää??? Wo? Wat? Ich bin doch noch gar nicht am Meer. Der Blick zu meinem Mobiltelefon verrät mir, dass ich mir als Weckton Ratatöska mit ”Antrieb” ausgesucht hatte und die Uhr der Meinung ist wir hätten bereits 00:30 Uhr. Na guuuut; raus aus’m Bett. Hunger habe ich gerade keinen – aber ein Kaffee geht immer. Ich setze das Wasser auf und mache mich dann rüber zur Tankstelle um fix Platz in der Blase zu schaffen und die Zähne zu putzen.
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Es ist 04:20 Uhr. Ich war an Malmö vorbei und über die Øresundbrücke bis nach Gedser zum Fährhafen von wo es via Fähre erst einmal nach Rostock gehen soll. Ich melde mich am Checkin und stelle mich anschließend auf die Wartespur.
Mein Telefon klingelt. Im Display ist Sandras Rufnummer. ”Hej, hur mår du min älskling?” ”Bis auf ein bisschen Kopfschmerzen geht es ganz gut. Ich fahre gleich die kleine Tour ab Södertälje und werd mich nachher dann wieder im Büro zu schaffen machen. Vad sägs om dig?” ”Ich bin gerade in Gedser angekommen. Mal gucken wie weit ich nachher auf deutschem Boden komme. Will eigentlich Berlin hinter mir lassen heute.” ”Klingt nach einem Plan. Ich wäre jetzt gerne bei dir.” ”Na dann komm her…” ”Zaubern kann ich leider nicht. Ich hab gesehen, dass wir demnächst ne Tour nach Zypern drinstehen haben. Fährst du die?” ”Ja, ist so geplant. Laut Airin auch alleine.” ”Mhhhm. Ich könnte in der Woche eh nicht mit.” ”Wieso?” ”Mama und Papa brauchen mich da auf einem ihrer Busse.” ”So wirklich begeistert klingst du nicht.” ”Wundert dich das? Unseren Urlaub konnten wir in den Wind schreiben. Wir sehen uns kaum, weil wir ständig unterwegs sind. Irgendwie geht mir das aktuell ziemlich an die Nerven.” Ein Mitarbeiter vorm Fährterminal deutet mir, dass ich aufs Schiff fahren soll. ”Das glaube ich dir, Süße. Ich muss jetzt auflegen. Zeit auf die Fähre zu fahren.” ”Mach das mal.” ”Bis heute Abend.” Ohne weitere Worte legt Sandra auf. Na super; ihre Laune scheint ja tiefer als im Keller zu sein. Ich meine sie hat schon Recht… die aktuelle Situation zehrt schon ziemlich an den Kraftreserven; aber wir haben uns die Aufgabe als Selbstständige selbst so gewählt. Selbst. Und ständig.
Ich merke, dass meine Laune auch gerade nicht da ist wo ich sie gerne hätte. Ändern kann ich es aber auch nicht. Im Hinterkopf meldet sich die Verantwortung für meine Mitarbeiter. Und auch das Bewusstsein, dass ich ohne dieses Team an den verschiedenen Niederlassungen heute nicht da wäre wo ich aktuell bin.

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Freitag, 06.09.2019, südlich von Rom.
Es ist kurz nach 11:00 Uhr. Rom habe ich hinter mir gelassen und mit knapp unter zehn Stunden Lenkzeit für heute auch genug am Rad gedreht. Feierabend. Mittwochabend und auch gestern Abend habe ich wie üblich mit Sandra telefoniert. Ihre Laune war immer noch im Keller gewesen was meiner eigenen Laune nicht unbedingt positiv zu Buche schlug. Maaaaanno. Eigentlich liebe ich es unterwegs zu sein. Und an sich ist die aktuelle Tour auch ziemlich stressfrei. Schietkram nur, wenn die Gedanken ständig zu Hause hängen.
Ich greife zum Telefon und wähle die Rufnummer von Sandras Büro. ”hansekontor i Uppsala. Tania Skeppare.” ”Hej Tania. Var är Sandra?” ”Laut Disposystem ist sie mit einer Umlagerung von IKEA unterwegs. Gesehen habe ich sie heute aber noch nicht. Sie scheint insgesamt ziemlich angespannt. Wie sieht es bei dir aus?” ”Ja, die letzten Monate waren ziemlich heftig und eigentlich wird es dringend Zeit den ausgefallenen Urlaub nachzuholen. Aber vor Oktober wird das nichts.” ”Das glaube ich dir. Ihr habt euch ja in letzter Zeit eigentlich noch nicht mal den Sonntag frei gegönnt.” ”Und das wird auch diese Woche wieder so sein.” ”Bist du eigentlich schon in Neapel angekommen?” ”Nej, bin trotz Zehner heute nur bis ein Stück unterhalb von Rom gekommen. Macht morgen dann noch mal ne halbe Schicht bis ich die Trailer am Hafen abgekippt habe und den neuen Scania an Luca übergebe. Den Rückflug hatte ich ja bewusst schon auf Sonntag gepackt. Ich denke, dass es in der Niederlassung auch noch das ein oder andere zu erledigen gibt.” ”Ok.” Im Hintergrund höre ich ein Telefon klingeln. ”Christian? Ich muss eben ans andere Telefon. Hast du noch was?” ”Nej. Vi lyssnar. Ha en trevlig helg.” ”Tack. Du också.”
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Samstag, 07.09.2019, Neapel.
Am Morgen war ich wieder um kurz nach Mitternacht aufgestanden und hatte die knapp drei Stunden bis zum Hafen von Neapel hinter mich gebracht wo die beiden Tieflader abgeladen wurden . Im Anschluss war ich dann zu unserer jüngsten Niederlassung gefahren wo bereits Fahrer Luca auf mich gewartet hatte um seinen neuen Scania zu übernehmen. Er war ganz froh, dass er endlich den gemieteten Iveco Stralis los werden konnte.
Inzwischen ist es 19:00 Uhr und wir sitzen in einer kleinen Pizzeria. Mein Telefon klingelt. Im Display eine Rufnummer aus München.
