Kapitel 22 – Umbuchungen

Als wir zurückkamen und eincheckten, gaben wir erst einmal ein Zimmer zurück und belegten das verbliebene als Doppelzimmer, aber blieben trotzdem die beiden Nächte artig.
Da ich bereits Erfahrung mit einer Wochenruhe in Valladolid gesammelt hatte, machte ich den Touristenführer und schnell war das Wochenende in Zweisamkeit wieder um und die Arbeit rief uns.


Der Ruf ging von einem Bagger aus, der bei DB Schenker auf jemanden wartete, der ihn nach Griechenland bringen sollte. Diese Jemande waren wir und bei dem nassen Wetter war ich der Depp und durfte ankuppeln, während Chris im Büro bei einem Kaffee auf die Papiere warten konnte. Daher hatte ich noch mal das T-Shirt von gestern angezogen, gleich war es eh nass.
Da der Kaffee wohl noch nicht fertig war, hatte ich es aber vor seiner Rückkehr geschafft, mich wieder abzutrocknen und mit trockenen Sachen hinters Lenkrad zu setzen.

Eine Stunde später hörte der Regen auf und die Sonne bahnte sich ihren Weg durch die Wolken. Bis zur Grenze nach Frankreich war es eine ruhige Fahrt und wir machten eine Pause, um uns noch einmal im binationalen Restaurant mit spanischem Essen für die Frankreichpassage zu stärken. Dann ging es mit Chris am Steuer weiter.

Unterwegs stellte er eine nicht uninteressante Frage: „Wann und wie sagen wir es denn den anderen?“ „Bevor wir die Spesenabrechnung machen. Spätestens wenn Judith das Doppelzimmer einbucht, dürfte sie Rückfragen haben.“ „Und was denkst Du, wie sie reagieren werden?“ „Keine Ahnung. Marlon und Judith kann ich gar nicht einschätzen. Julian wird sich nichts draus machen, der hatte zumindest mich schon längst durchschaut.“ „Wie jetzt?“ „Ja, Ostern und im ADR-Lehrgang schon. Hat er mir letztes Wochenende erzählt. Geahnt hat er schon länger was.“ „Und was weiß er?“ „Nicht die letzten Entwicklungen. Sein Stand ist, ich steh zwar auf Männer, aber will nichts von Dir wegen Chef und Angestellter und 8 Jahren Altersunterschied und Dein komisches Verhalten kommt daher, weil Du was gemerkt hast und ich Dir zu dicht auf den Pelz rücke.“ „Echt?“ „Ja, das war unsere Vermutung, als wir vor einer Woche in die Trucks geklettert sind und ich habe mich noch nicht bei ihm gemeldet.“

Chris fuhr durch bis seine Zeit fast um war. Auf dem Weg hatte uns wie immer die Mautstation vor Toulouse viel Zeit gekostet. Kurz hinter der Stadt mussten wir daher wieder einen Fahrerwechsel machen. Wir nutzten die Standzeit für eine kleine Kaffee- und Teepause.
Während meines zweiten Slots fing es wieder an zu regnen und bei entsprechend schlechtem Wetter parkte ich den Zug hinter Montpellier auf dem Rastplatz ein. Das kleine, aber liebevoll geführte Rastplatz-Restaurant hatte gute Küche zu bieten, also nutzten wir die Gelegenheit, mal in Frankreich nicht auf den Vorrat zurückgreifen zu müssen. Und am nächsten Morgen beim Frühstück lachte auch wieder die Sonne.

Chris brachte uns, eingebremst nur durch einen kurzen Stau, bis Genua. Auch meine Etappe ging glatt und so kamen wir noch am gleichen Abend in Ancona am Hafen an. Da die Fähre immer am frühen Nachmittag ablegte, nahmen wir uns wieder ein Hotelzimmer. Immerhin hatte man in Italien öfter mal die Gelegenheit, für ein kleines Fachgespräch auf Markenkollegen zu treffen, als in Deutschland.

Über die immer noch nicht asphaltierte Zufahrt ging es nach einer weiteren Nacht auf der Fähre, allerdings mal wieder mit engen Einzelkabinen, die nicht umbuchbar waren, aufs Griechische Festland in Igoumenitsa.
Dank der Steigungen brauchte ich fast meine ganze Fahrtzeit bis zu Hellmann in Trikala. Hier tauschten wir Fahrer und Fracht und kurz darauf waren wir mit Chris am Steuer und chemisch reinem Benzin im Tankauflieger wieder auf dem Weg.
Der Tag brachte uns bis an die Grenze zwischen Albanien und Kroatien. Am Freitag schafften wir es ereignislos durchs ehemalige Jugoslawien und legten die letzte Nachtruhe in der Fahrerkabine an der Grenze zwischen Slowenien und Österreich ein.

So blieb uns am Samstagvormittag noch die restliche Strecke nach St. Pölten. Nach dem Abliefern fuhren wir zum Hotel, wo ich schon von unterwegs auf Doppelzimmer umgebucht hatte.
Das Kerlchen an der Rezeption schien das aber mit zwei Mannsbildern vorm Tresen für einen Fehler zu halten: „Äh, also, hier scheint was nicht zu stimmen.“ „Wieso?“ „Hier ist ein Doppelzimmer gebucht.“ „Ja und?“ „Ach, das ist richtig so?“ „Ja, wieso?“ „Ich war nur überrascht. Entschuldigung. Dann wünsche ich einen angenehmen Aufenthalt. Zimmer 157.“ Mit einem scheuen Lächeln gab er uns zwei Chipkarten für die Zimmertür.


Wir beschlossen, erst einmal die Stadt zu erkunden und abends mal richtig vornehm zu essen, was uns in der Arbeiterstadt Valladolid nicht gelungen war. Also stoppte ich noch mal kurz an der Rezeption: „Wo kann man denn heute Abend gut essen?“ „Was soll es denn sein?“ „Gehobene Küche, auch gerne österreichisch und Candlelight.“ „Am besten die Wasserburg. Wenn Euch da ein Andreas bedient, sagt ihm, der Markus hat Euch das Haus empfohlen.“

Nachdem wir einige Sehenswürdigkeiten besichtigt hatten, folgten wir dem Ratschlag und wurden in der Tat von einem jungen Mann im Alter unseres Hotelportiers empfangen, auf dessen Namensschild „Andreas“ stand. Er geleitete uns zu einem Tisch, zündete die Kerze an und brachte uns die Speisekarten und eine Weinkarte. Als wir die Grüße ausrichteten, huschte ein Lächeln über seinen professionellen Gesichtsausdruck. Ich dachte mir nun endgültig meinen Teil.
„Kennst Du Dich mit Wein aus?“ „Ja, bin kein Experte, aber für einen Restaurantbesuch reicht es.“ „Dann ist das Deine. Ich habe Null Ahnung und trinke nur Weißwein.“ Ich reichte Chris die Weinkarte rüber. Dafür ließ ich mir nach dem exzellenten Viergang-Menü die Spirituosenkarte kommen und suchte uns noch einen guten Single Malt Whisky aus.

Am nächsten Tag fuhren wir mit einem Mietwagen raus und gingen eine leichte Tour Bergsteigen. Die Mühen wurden belohnt mit einem tollen Ausblick über die Stadt.


Zurück im Hotel schälte sich Chris aus dem Shirt. Ich konnte meinen Blick nicht von seinem strukturierten Oberkörper lassen. Er war – zum Glück, denn das mochte ich nicht – kein Muskelberg, aber man konnte durchaus den Trainingseffekt erkennen, den die körperliche Arbeit im Brennstoffhandel geleistet hatte.
In der Tür zum Bad blieb er, schon vollkommen entblättert, stehen: „In die Dusche passen übrigens auch zwei.“ Diesem aufreizenden Blick konnte ich nicht widerstehen, und leistete ihm Gesellschaft.
„Du könntest mir den Rücken einseifen.“ „Nur den Rücken?“ „Wenn Du Deine Sache da gut machst, drehe ich mich auch um.“
Die Wasserrechnung, die aus unserer Körperpflege resultierte, musste zum Glück das Hotel tragen. Sie würde aber auch für ein Doppelzimmer deutlich überdurchschnittlich ausfallen…

Aus verschiedenen Gründen hatten wir beschlossen, nach diesem entspannten und entspannenden Wochenende schnell nach Hause zu kommen. Judith hatte zwar nur einen Weg gefunden, der erst einmal deutlich vorbei ging, aber wir waren doch früh genug da. Am Anfang standen aber 9 Tonnen Stickstoff bei Linde, die nach Dänemark wollten.

Chris brachte uns damit bis an die deutsche Grenze, wo wir unsere Mittagspause einlegten. Unspektakulär setzte ich die Fahrt, dank Umleitungen zum Teil über Landstraße fort bis zu einer Tankstelle bei Erfurt. Chris beendete den Fahrtag vor Hannover auf einem Rastplatz, wobei uns die zahlreichen Baustellen auf der A7 aufgehalten hatten. Ich hatte keine Lust mehr weiter zu fahren und wir waren immer noch ausreichend im Zeitplan.

Leider war es mal wieder einer unserer besonderen Lieblingsparkplätze, also mit Mini-Sanitäranlagen, Imbiss statt Restaurant und Durchgangsverkehr gefühlt quer durchs Fahrerhaus. Dank Ohrschutz war die Nacht trotzdem halbwegs ruhig.
Auf die überteuerten Aufbackbrötchen zum Frühstück am Tankstellenimbiss verzichteten wir. Zwar hatten wir im eigenen Vorrat auch nichts anderes zu bieten, aber das wenigstens für einen Bruchteil des Preises.


Ich fuhr bis an die dänische Grenze, dann übernahm Chris zu Bosch in Kolding. Auf dem Weg zur neuen Ladestelle, ebenfalls die Firma Bosch, aber in Esbjerg, steuerte er einen Rastplatz an. Wo wir schon mal Fast Food in Dänemark essen mussten, entschieden wir uns für dänische Hot Dogs klassisch mit den ungesund farbenfrohen Würstchen „Röd Pölser“ und allem. Das hieß Senf, Ketchup, Remoulade, Gewürzgurken und Röstzwiebeln.


Mit leichter Ladung ging es schnell voran und Chris schaffte es wieder bis an die Grenze. Hier übernahm ich noch und fuhr um Hamburg herum, so dass wir am nächsten Morgen aus dem Hamburger Berufsverkehr schon raus waren und den Bremer nicht mehr mitbekommen sollten, bis wir da waren. Weiter brauchten wir nicht zu fahren, auch wenn noch Zeit über war. Bis ans Ziel und nach Hause reichte es nicht mehr und Rastplätze waren zwischen Bremen und Ruhrgebiet Mangelware.

Um kurz vor 11 drückte Chris nach nicht ganz vier Stunden Fahrt den Trailer bei ND in die Parkposition, dann fuhren wir nach Bochum zur Garage. Hier machten wir uns erst einmal an die Spesenabrechnung, die wir nachher mit Ansage einreichen wollten. Da ich Julian und Marlon per GPS verfolgen konnte, riskierte ich mal einen Blick und sie waren vor Köln.

Mit ihrem Abladehalt dauerte es dann noch knapp 2 Stunden, bevor sie auf den Hof rollten. Ich mochte diese dramatischen Auftritte nicht, aber was sein musste, musste sein. Da Judith und Chris sich das Büro ohnehin teilten, Marlons erster Weg dort hin führte und ich so nur noch Julian einfangen musste, fand die Betriebsversammlung dort als zwanglose Stehparty statt.
Ich stützte mich dabei auf der Rückenlehne von Chris Stuhl ab, Julian quittierte es mit einem fragenden Blick, in dem ein Hauch von Erstaunen steckte. „Tja, Leute. Es gibt Neuigkeiten. Chris und ich können beide nicht wirklich was mit Frauen anfangen, aber der Typ auf der anderen Seite vom Fahrerhaus ist scharf. Heißt: wir sind seit der ersten Etappe unserer Tour vor zwei Wochen zusammen.“ Damit nahm ich die Hände von der Rückenlehne und legte ihm meine Arme über die Schultern.
„Wow. Ich meine, über Dich haben wir ja vor Eurer Tour gesprochen. Aber dass es eine Wende in diese Richtung nimmt, überrascht mich jetzt doch. Da kann ich Euch nur gratulieren, dass ihr Euch gefunden habt.“
Judith meinte, uns erst einmal foppen zu müssen: „Toll, aber Eure Spesenabrechnung brauche ich trotzdem spätestens übermorgen früh auf dem Tisch.“ Nachdem sie eine Künstlerpause lang unsere dummen Gesichter genossen hatte, fing sie an zu lachen. „Das freut mich für Euch. Hat das Schicksal ja mal wieder die richtigen Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zusammengeführt. Das ist keine Spedition, das ist eine Kontaktbörse…“
Marlon war auf jeden Fall auch überrascht, blieb mit einer Reaktion aber erst mal verhalten: „Glückwunsch.“ „Das ist alles, was Dir dazu einfällt?“ „Entschuldigt. Das ist das erste Mal, dass ich so direkt ein Paar gegenüber stehen habe. Nicht dass Ihr denkt, ich habe ein Problem damit. Es ist nur irgendwie… ungewohnt, sich umarmende Jungs gegenüber zu haben.“ „Wenn Du einmal in Deinem Leben aus Deinem Schneckenhaus heraus gekommen und zum Beispiel mal in Montpellier mit in die Clubs und Discos gegangen wärst, wäre es das jetzt auch nicht.“
„Hört bitte auf, Ihr zwei.“ „Von mir aus gerne. Ich bin halt nicht so extrovertiert wie mein Bruder. Aber was haltet Ihr davon, wenn am Wochenende einen Abend mal nicht jeder in seine Richtung verschwindet, sondern wir alle zusammen hier grillen?“ „Wenn das Wetter mitspielt…“ „Du suchst Argumente gegen Geselligkeit, während ich versuche, ein Fest zu organisieren. Den Tag merke ich mir. Wenn das Wetter nicht mitspielt, dann stellen wir den Grill in die Halle, machen ein Tor auf  und setzen uns rein. Da unten ist, wenn wir die Zugmaschinen hintereinander fahren wie die PKW und Motorräder, technisch eine komplette Bahn frei.“

Vor die Feier hatte sich aber nun einmal die Arbeit gesetzt. Chris kündigte seine auch irgendwie eher halblegal (Mietzahlung bar auf Kralle) gemietete Wohnung, was das Ehepaar logischerweise mitten im Semester nicht so toll fand. „Bevor ich ihn zerreiße. Falls Du noch mal lesen willst, was man anderswo geboten bekommt.“
Ich überflog den Arbeitsvertrag. „Das kann ich Dir auch zahlen. Dann schreibst Du Dein Hotel-Essen demnächst halt aufs eigene Zimmer.“ Ich stupste ihm den Ellenbogen in die Seite. „Nee, passt schon.“ Mit einem Kuss löste er sich von mir und stopfte wieder Wäsche aus dem Schrank in einen Karton.

Nach dem Umzug organisierten wir noch ein Doppelbett. Weil das Geld nicht so dicke war und die vielen Feiertage mit ihren Fahrverboten derzeit auch die Einnahmen knapp hielten, mussten wir auch weiterhin nach dem Motto „italienisch fahren und schwedisch wohnen“ leben. Bis das mal anders rum zu finanzieren war, würden auch noch einige Monate bis Jahre ins Land ziehen.
Da wir keinen Lieferwagen auf die Schnelle bekamen, wurde es ein abenteuerlicher Transport. Chris hatte sich Julians Astra geliehen und ich war mit dem C4 da, dank Rollmatratzen und Flachkartons ging es aber irgendwie und schließlich klappte auch der Zusammenbau bei uns überraschend einfach. Die Möbel, die wir nicht brauchten, kamen in meine leerstehende Containerwohnung hinter der Halle.

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Dieses Kapitel war das Ende einer Ära. Wer so lange den Anblick ausgehalten hat – das Zeitalter der Würfelgrafik-Screenshots ist vorbei! Ich habe damals einige damit in Erstaunen versetzt, dass ETS2 mit der damals größten Modkarte TSM (SCS hatte für die TSM seinerzeit das maximale Limit an Städten im Spiel erhöhen müssen) und einer Hand voll anderer Mods auf 2×2,3 GHz mit 2 GB RAM, Geforce 210 und Windows XP überhaupt noch irgendwie ans Laufen zu kriegen war.

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