19. In Keelas Heimat

Montag, den 16. Oktober 2017, 9:30 pm Mountain Daylight Time:

Meinen Reset hatte ich schön gemütlich in Denver, Colorado verbracht. Natürlich reichte die Zeit nicht mal ansatzweise, um die Sehenswürdigkeiten und Vorzüge der Mile High City zu erleben. Ich konnte zwar ein wenig von der Stadt erkunden, aber alleine hatte ich auf das Sightseeing auch nicht wirklich Lust. Am Sonntag war ich zuerst recht müde, hatte aber auch keine Lust, den ganzen Tag zu verschlafen. Daher nutzte ich den Sonntag, um mich noch etwas umzusehen. Mit Keela telefonierte ich erst am Sonntagabend, nachdem sie aus Pacifica wieder zurück war. Schließlich hatte sie ab dem Montagmorgen Frühschicht.

Bei mir sah das etwas anders aus. Da ich am Sonntagvormittag mit meiner Zeit durch war, musste ich am Montagabend wieder fahren. Den Montagvormittag nutzte ich um mich in weiterhin in Denver umzusehen, am Nachmittag telefonierte ich erst eine Zeitlang mit Keela, danach legte ich mich noch mal ein wenig hin.

Am Abend stand ich wieder auf und erledigte die Körperpflege im Bad meines Motel Zimmers. Danach packte ich meine Sachen und checkte schließlich aus. Um halb Zehn, Ortszeit saß ich in meinem Kenworth und begann mit meiner PTI. Dazu meldete ich mich erstmal mit dem Tablet wieder in der Logbuchsoftware und im ORBCOMM an. Die PTI der Zugmaschine war danach schnell erledigt. Schließlich war sie ja noch recht neu. Daher gab es selten was zu finden, was man beseitigen musste. Zurück im Truck, hatte ich meinen Auftrag von Charlie auf dem Bildschirm:

PICKUP: CW-CODE
TRAILER: RE53854
FREIGHT: FROZEN GOODS
WEIGHT: 37,506 LB
TO: JD-WYCY
GATE: 04
REMARKS: URGENT ORDER

CASA-CSA

Dringende Aufträge hatten natürlich immer Vorrang, wenn es keine Ladung nach Hause gab. Daher brauchte ich mich nicht darüber wundern, dass es laut dem Kürzel nach Cheyenne in Wyoming ging. Außerdem ging es mal wieder zu einem Großverbraucher. JD stand in unserer Kundendatei für John Deere. Daher konnte es sich wieder nur um eine Kantine handeln. Ich startete den Kenworth und fuhr zum Zentrallager rüber. Dort war der 53 Fuß Reefer fertig geladen und ich konnte nach dem Papierkrieg sofort aufsatteln. Laut meinen Papieren war bei John Deere außerhalb der normalen Arbeitszeiten ein Pförtner vor Ort, der mich aufs Gelände ließ und mir auch meine Quittung unter Vorbehalt geben würde. Um neun Uhr PDT, also zehn Uhr Ortszeit hatte ich dann die PTI erledigt und konnte mich wieder auf den Weg machen.

Zuerst ging es ein Stück durch Denver, um die I-25 wieder zu erreichen. Es ging auch nicht zurück in den Süden, aus dem ich gekommen war, sondern in den Norden, wo sich Wyoming befand. Der Vorteil dabei war, dass es nun permanent mit einem leichten Gefälle voranging. Schließlich gab es nur wenig Städte, wie Denver, die eine Meile über dem Meeresspiegel lagen. Es dauerte keine zwei Stunden, bis ich die Grenze nach Wyoming erreicht hatte.

Auch danach dauerte es nicht lange, bis ich an der I-80 ankam. Wenigstens ein leichter Anflug von Heimat dachte ich. Schließlich ging die I-80 auch durch meine Heimatstadt. Ich wechselte nur kurz auf die I-80 in Richtung Osten. Dann ging es die nächste Ausfahrt direkt wieder von der Interstate herunter und ich war in Cheyenne. Danach ging es noch ein Stück durch die nächtliche Stadt. Es war hier immerhin schon Mitternacht vorbei.

Um viertel nach Zwölf, Ortszeit erreichte ich die John Deere Niederlassung. Zur Straße hin sah die Firma aber recht klein und unscheinbar aus. Mich wunderte daher, dass die eine Kantine haben sollten, die einen kompletten Trailer mit Tiefkühlware bekommen sollte. Ich meldete mich beim Pförtner und war zu meiner Überraschung tatsächlich richtig hier. Die Kantine war hier wohl so gut, dass sich das auch im Umfeld rumgesprochen hatte. Schließlich hatte man die Kantine auch für externe Besucher geöffnet, so dass es inzwischen beinahe ein Restaurant war. Entsprechend viel Ware benötigte man auch hier.
Allerdings hatte man nicht dafür gesorgt, den Anlieferbereich auch an den Bedarf anzupassen. Entsprechend eng war es hier. Trotz der nächtlichen Temperaturen, die Mitte Oktober auch nicht mehr unbedingt warm waren, kam ich daher ganz schön ins Schwitzen, um den Trailer auf dem dunklen Hof, der auch noch teilweise mit Landmaschinen zugeparkt war, ohne anzuecken auf seinen Abstellplatz zu bekommen. Erst nachdem ich abgesattelt hatte, bemerkte ich daher die Nachricht für meinen Anschluss im ORBCOMM:

PICKUP: JD-WYCY
TRAILER: RE53???
FREIGHT: RECLAIMED FROZEN GOODS
WEIGHT: 37,566 LB
TO CW-MNMN
GATE: —–
REMARKS: —–

CASA-DSN

Ich traute meinen Augen nicht. Anstatt wieder eine Ladung nach Hause zu bekommen, ging es jetzt noch weiter von zu Hause weg. Das Kürzel für die Lieferanschrift stellte sich wirklich als das heraus, was ich vermutet hatte. Keelas alter Ausbildungsbetrieb. Das Walmart Zentrallager in Minneapolis, Minnesota. Auch wenn ich es einerseits sehr interessant fand, Keelas Heimat kennenzulernen, wäre ich lieber wieder auf dem Heimweg.
Ich ging zu dem Pförtner und forderte bei ihm die Reklamierte Ware ab, die ich hier bekommen sollte. Zu meinem Glück hatte er tatsächlich die Papiere für die Ladung dort liegen. Der Pförtner wunderte sich aber selber über meine Ladung. „Du kommst aus Kalifornien und bringst uns Ladung aus Colorado und nimmst wieder Ladung für Minnesota mit? Wer teilt denn sowas ein?“ „So kann das gehen im Fernverkehr. Warum sollen die von Walmart noch einen Truck zum Abholen hier vorbeischicken?“ „Auch wieder wahr.“ Ich unterschrieb die Papiere und sattelte den Trailer auf, den ich jetzt mitbekommen sollte. Es war zu meiner Überraschung ein neutraler Reefer. Daher hatte Danny auch keine Trailer Nummer im System gehabt. Der gehörte wahrscheinlich einem anderen Spediteur.
Nachdem ich aufgesattelt und meine PTI erledigt hatte, konnte ich mich auf den Weg machen. Dazu ging es zuerst durch Cheyenne zurück auf die I-80, auf die ich nun wieder in östlicher Richtung auffuhr. Danach konnte ich es wieder mit 70 mph rollen lassen.
Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis ich wieder eine Staatsgrenze überschritt. „Crossing border – entering Nebraska.“ Kam als Meldung vom Navi. Ich hatte also heute noch keine vier Stunden gefahren und war trotzdem schon im dritten Bundesstaat. Das hatte ich sonst auch noch nicht. Anschließend dauerte es nicht mehr allzu lange, vielleicht eine Stunde, bis sich das Navi mit einer weiteren Meldung zu Wort meldete. „Changing timezone.“ Die Meldung kam mitten in Nebraska. Es war gerade mal eine County Grenze, die ich überquert hatte. Dann fiel mir ein, dass ich in der Schule mal irgendwann gelernt hatte, dass Nebraska in zwei Zeitzonen lag. Nun hatte ich also Central Daylight Time, was zwei Stunden Unterschied zu meiner PDT bedeutete.

Da ich langsam Hunger bekam und auch ein wenig müde wurde, schaute ich nach einem Truckstop. Kurz nachdem die I-80 und die I-76 zusammentrafen, kam ich an die Ausfahrt 107, Big Springs, Nebraska. Dort befand sich ein Flying J Truckstop. Hier hielt ich für meine Pause an. Um viertel nach Vier, Ortszeit, also viertel nach Zwei, PDT hatte ich meinen Truck geparkt. Danach ging ich in den Truckstop um dort was zu essen. Anschließend legte ich mich noch mal etwas hin. Um vier Uhr PDT machte ich mich wieder auf den Weg.

Da es hier schon sechs Uhr war, wurde es langsam hell. Man merkte aber schon, dass es Herbst war. Es ging wieder über die I-80 in Richtung Osten weiter. So durchquerte ich langsam aber sicher Nebraska. Ich hatte erst noch überlegt, ob ich Keela anrufen sollte, und ihr die Neuigkeiten mitteilen sollte. Ich wusste aber auch andererseits, dass Keela am Morgen meistens etwas später dran war und daher keine Zeit für Telefonate hatte. Daher entschied ich mich dagegen. Wir konnten da auch noch nachher drüber reden. So fuhr ich an dem Morgen mit Tempomat 70 daher und hing meinen Gedanken nach.
Die Strecke bot hier wenig Abwechslung, daher war die Fahrt recht eintönig. Dann und wann musste ich mal einen Kollegen überholen, der nicht so schnell konnte oder wollte. Viele Spediteure in den USA hatten ja inzwischen damit begonnen, ihre Trucks freiwillig bei 66 mph abzuregeln, um Kraftstoff zu sparen oder in gewisse Provinzen Kanadas zu dürfen. Diese Kollegen konnten meistens nur im Gefälle schneller fahren.

Es war kurz nach Sieben PDT, als das Telefon klingelte und mir die Nummer der Dispatch angezeigt wurde. „Einen wunderschönen Morgen, mein Schatz.“, meldete ich mich. „Hallo Süßer. Ist das wahr, dass du nach Minneapolis fährst?“ „Hast du jetzt eine Stunde gebraucht, um das zu realisieren?“, fragte ich mit einem Grinsen, was sie natürlich nicht sehen konnte. „Das nicht. Aber manchmal gibt es Wichtigeres, als mit dir zu telefonieren.“ „1:0 für dich, mein Schatz.“ „Ich kann es trotzdem nicht glauben. Du fährst in meine Heimat und ich bin nicht dabei.“ „Dann nimm dir spontan Urlaub und buche einen Flug nach Omaha. Dann treffen wir uns da.“ „Das wird nichts. Da es bei Charlies Frau jeden Tag soweit sein kann, haben Danny und ich erstmal Urlaubssperre.“ „Schade aber auch.“ „Finde ich auch. Möchtest du denn trotzdem meine Familie kennen lernen?“ „Alleine? Ohne Dich? Meinst du, dass das gut ist?“ „Ich fände es auf jeden Fall besser, als wenn sie hinterher rausfinden, dass du in einer der Twin Cities warst und dich nicht bei ihnen gemeldet hast. Wir legen sehr viel Wert auf die Familie.“ „Zu der ich ja gar nicht gehöre.“ „Sind wir jetzt zusammen oder nicht?“, fragte Keela leicht empört. „Das schon, aber nicht verheiratet.“ „Wenn du mein Freund bist, gehörst du auch zu unserer Familie.“ „Was sagt denn deine Software, wann ich da bin? Ich fürchte mal, es wird mitten in der Nacht sein.“ „Es kann genauso gut früher Morgen sein. Meine Eltern stehen immer früh auf und meine Brüder auch. Wir müssen ja arbeiten und Mom macht erst allen Frühstück.“ „Und da soll ich dann zu kommen?“ „Warum nicht?“ „Wenn ich sie schon kennen würde, ja. Aber so? Das finde ich komisch für ein erstes Treffen.“ „Dann planen wir halt einen 10 Stunden Break ein. Dann kannst du zum Mittagessen kommen.“ „Wenn du meinst. Mir wäre das lieber, ich würde sie kennenlernen, wenn du dabei bist.“ „Wenn du das nicht willst, dann tu es bitte für mich.“ Ich stöhnte hörbar auf. „Also gut. Dann sprich das nachher mit Charlie ab. Danach kannst du dich ja nochmal melden.“ „Ich spreche das ab und schreibe dir dann. Du kannst mich anrufen, wenn du wieder auf bist.“ „Okay. Da siehst du wieder, dass ich alles für dich tun würde.“ „Ist es denn so schlimm die Schwiegereltern zu treffen?“ „Kommt auf die Schwiegereltern an.“ „Schlimmer als deine Familie ist meine auch nicht.“ „Und das sagst du im Büro, wo dein Schwiegervater der Boss ist.“ „Deshalb sollten wir jetzt auch auflegen.“ „Okay. Dann bis nachher.“ Wir legten auf.

Während der weiteren Fahrt hatte ich nach dem Telefonat erstmal ein etwas flaues Gefühl im Magen. So hatte ich mir die Tour nach Minneapolis ja auch nicht gedacht. Wenn Keela hier wäre, hätte ich da ja kein Problem mit. Jetzt sollte ich ihre Familie aber kennen lernen, ohne dass sie dabei ist. Ich dachte dabei nicht nur an ihre Eltern, sondern auch an ihre Brüder. Dabei kam mir die Drohung von Jeff in den Kopf. Wenn einer von Keelas Surfkumpels schon solche Drohungen aussprach, was konnte mir von ihren Brüdern drohen, die laut Keelas Aussage auch richtige Muskelpakete waren. Schließlich malochten die ja tagtäglich auf dem Bau. Da konnte mir ja was blühen. Bei Keelas Mutter machte ich mir am wenigsten Gedanken. Mit den Müttern meiner Freundinnen kam ich früher teilweise besser klar, als mit deren Töchtern. Keelas Vater machte mir auch Gedanken. War das auch so ein Vater, für den kein Mann gut genug für die Tochter war? Wir werden es sehen, dachte ich.

Als ich in den Bereich Omaha kam, merkte ich, dass ich müde war. Falls ich wirklich in der nächsten Schicht nur noch nach Minneapolis brauchte, hatte ich auch genug Zeit. Ich fragte meine Handy App nach Truckstops im Raum Omaha und fuhr an der Anschlussstelle 440 von der I-80 ab.

Dort kam ich zum Sapp Brothers Travel Center. Der Truckstop war zwar nicht allzu groß, am Vormittag war es aber kein Problem, hier einen Parkplatz zu bekommen. Ich parkte den Truck und reservierte mir eine Dusche. Anschließend ging ich noch was essen, bevor ich mich schlafen legte.
Hier war es zwar schon Mittag, zu Hause in Sacramento aber noch nicht. Daher machte es jetzt keinen Sinn nochmal mit Keela zu telefonieren. Ich telefonierte mit Mom, die aber in diesem Punkt voll auf Keelas Seite stand. Auch sie meinte, es wäre besser, mich wenigstens bei der Familie zu melden, als einfach nach Minneapolis zu fahren, ohne mich bemerkbar zu machen. Also hatten die Frauen wohl gewonnen. Nach dem Telefonat mit Mom legte ich mich schlafen.

Dienstag, den 17. Oktober 2017, 8:00 pm Central Daylight Time:

Hier in Omaha, Nebraska war es schon acht Uhr am Abend, als ich wieder aufstand. Ich ging schnell zum Duschen und Kaffeetrinken in den Truckstop. Danach telefonierte ich mit Keela. „Hallo Schatz, schön dass du dich meldest.“, begrüßte sie mich. „Ich hoffe, ich sehe das auch so.“, sagte ich als Antwort. „Hey, es wird dir von meiner Familie keiner den Kopf abreißen. Warum sollten sie das auch machen.“ „Du bist also immer noch der Meinung, dass ich mich mit deiner Familie treffen soll, ohne dass du dabei bist.“ „Na klar. Das wird klasse, glaub mir das. Du sagst immer, dass du meine direkte Art so unheimlich magst. Meine Familie ist auch so, wie ich.“ „Das kann aber auch nach hinten losgehen.“ „Es gibt eh kein Zurück mehr. Ich habe dich schon angemeldet.“ „Das habe ich befürchtet.“ „Mit Charlie ist das auch schon besprochen. Im Prinzip ist denen das auch egal. Du machst dort deine Pause und fährst morgen Nachmittag mit einer frischen Schicht weiter.“ „Dann kann ich ja nur noch ja und Amen sagen.“ „Meine Eltern freuen sich schon auf dich. Du kannst die Maschine irgendwo beim Zentrallager stehen lassen und wirst von Dad oder einem meiner Brüder abgeholt. Die bringen dich auch hinterher wieder zum Truck. Ich fürchte nur, dass du in der Pause nicht allzu viel Schlaf bekommen wirst.“ „Ein paar Stunden brauche ich aber schon.“ „Klar. Das wissen meine Eltern auch. Dad und meine Brüder müssen ja auch arbeiten.“ „Okay. Soll ich denn wen grüßen?“ „Wenn Liam da ist, kannst du ihm einen ganz lieben Gruß ausrichten. Nichts gegen Pat und Ken, aber Liam ist mir von meinen Geschwistern der Liebste. Außerdem kannst du im Zentrallager Grüße von mir ausrichten. Die meisten kennen mich ja auch.“ „Okay.“ „Vielleicht ist ja Stella Martin im Dienst. Wir sind sehr eng befreundet. Sie kannst du auf jeden Fall auch grüßen.“ „Mache ich.“ Keela gab mir noch die Rufnummern, die ich brauchte, danach mussten wir schon fast auflegen.

Um halb Zehn Ortszeit, also halb Acht, PDT begann ich mit meiner PTI. Dazu meldete ich mich schon mal in den Systemen an. Noch bevor ich losfahren konnte, klingelte mein Telefon und Charlie rief mich an. „Hallo Charlie, was gibt’s?“, meldete ich mich. „Hallo Marc. Wir sollen dich also in Minneapolis vorübergehend aus der Dispo nehmen?“ „Was heißt aus der Dispo nehmen? Ich werde nur meine Pause etwas vorziehen.“ „Reichen dir denn die normalen zehn Stunden?“ „Was denkst du? Ich treffe meine Schwiegereltern. Da wird das wohl reichen, oder nicht?“ Charlie musste lachen. „Das kommt immer auf die Schwiegereltern an. Das kann auch schon zu viel Zeit sein.“ „Sie sollen ungefähr so sein, wie Keela.“ „Na super. Auch so vorlaut?“ „Kein Kommentar.“ „Besser is‘ das.“ „Sagen wir mal maximal zwölf Stunden Pause.“ „Okay. Ich trage das so ein, damit Danny Bescheid weiß. Dann mal viel Spaß.“ „Danke.“ Wir legten auf und um viertel vor Zehn, Ortszeit machte ich mich wieder auf den Weg.

Es ging zurück auf die I-80 in Richtung Osten. Kurz darauf konnte ich Nebraska hinter mir lassen und kam nach Iowa. Von den Tempolimits passte das aber auch, dass ich weiter mit Tempomat 70 mph fahren konnte. Nun ging es durch den Abend und anschließend durch die Nacht. Dabei hatte ich genug Zeit und Ruhe, um mich auf das Treffen mit Keelas Familie vorzubereiten.
Im Geiste ging ich noch mal alles durch, was ich von Keela über ihre Eltern gehört hatte. Angus Ryan, Keelas Vater war ein typischer Selfmademan, der sich vom Bauarbeiter zum Bauunternehmer hochgearbeitet hat. Das hatte er geschafft, weil er ein sehr ehrgeiziger Mann ist, der sich auch von Problemen nicht so einfach unterkriegen ließ. Er war ein Macher, der sich eben sehr viele Sachen selber beigebracht hatte. Er konnte wohl auch mal ein Donnerwetter loslassen, wenn nicht alles so klappte, war aber auch in der Lage, jede Maschine und jede Tätigkeit auf seinen Baustellen selber zu machen. Er konnte seine Leute zur Sau machen, wenn sie nicht so arbeiteten, wie er sich das vorstellte, er konnte ihnen aber auch zeigen, wie es richtig ging. Auf diese Art hatte er die Ryan Constructions Inc. von einer kleinen Klitsche zu einem der größten und besten Bauunternehmen der Twin Cities gemacht.
Laut Keela erwartete er von seinen Söhnen auch sowas ähnliches. Wobei im Moment nur Kenneth, genannt Ken und sein Bruder Patrick, genannt Pat, in der Firma arbeiteten. Beide führten inzwischen jeweils ihre eigenen Baustellen, wo sie dann für alles verantwortlich waren. Auch Angus war immer noch mehr auf irgendwelchen Baustellen anzutreffen, als im Büro. Dort fühlte er sich sowieso nicht so wohl. Das würde in der nächsten Generation dann eher der Part von Liam sein. Er war der einzige, der Ryans, der studierte. Irgendwann sollte er dann als Bauingenieur die Firma leiten. Ken und Pat waren zwar älter, aber eben auch eher die Praktiker, wie der Vater.
Eireen Ryan, Keelas Mutter hatte früher auch im Büro der Baufirma mitgearbeitet, kümmerte sich aber in der Regel mehr um die Organisation der Familie und den Haushalt. Sie war die Seele der Familie, die alles zusammenhielt. Auf sie war ich ganz besonders gespannt. Ich war neugierig, wie viel Keela von ihrer Mutter abbekommen hatte.

Während ich so meinen Gedanken nachhing, verging die Zeit wie im Flug. Ich hatte inzwischen Des Moines, Iowa erreicht. Hier wechselte ich dann von der I-80 auf die I-35 in Richtung Norden. Über diese Interstate sollte ich direkt nach Minneapolis kommen. Dabei führten die beiden Interstates hier direkt durch den Bereich der Stadt, so dass man doch einiges von Des Moines sah.
Dann ging es wieder durch die Nacht. Immer weiter auf Minnesota zu. Einige Zeit später bekam ich dann Hunger und wurde auch etwas müde. Bei Clear Lake, Iowa fuhr ich von der I-35 und machte am dortigen Pilot Travel Center meine Pause. Dort ging ich erst was essen und legte mich anschließend noch etwas aufs Ohr.

Um halb Fünf, Central Daylight Time machte ich mich auf den weiteren Weg nach Minneapolis. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis ich die Grenze nach Minnesota überquerte. Nun war ich im Heimatstaat meiner Süßen. Schade, dass es noch dunkel war. Ich hätte gerne mehr von der Gegend gesehen, in der Keela aufgewachsen war. Lange würde es aber nicht mehr dauern, bis die Sonne aufgehen würde. Es würde auch nicht mehr allzu lange dauern, bis ich die Twin Cities erreicht habe.
Dort teilte sich die I-35 auf. Laut meinem Navi musste ich auf der I-35 West bleiben, die durch Minneapolis ging. Die I-35 East ging durch Saint Paul. Schließlich konnte ich die Interstate in Minneapolis verlassen und mich auf den Weg zum Zentrallager machen.

Um viertel nach Sechs, Ortszeit kam ich am dortigen Zentrallager an und meldete mich im Büro. Als ich dort die Grüße von meiner Süßen ausrichtete, war das erstmal ein großes Hallo. Keela war hier im Kollegenkreis sehr beliebt gewesen. Alle wollten wissen, was sie inzwischen so tat und wie es ihr ging. Als ich mich noch als Keelas Freund outete, war die Reaktion noch besser. Mir wurde sogar mehrfach zu dieser Freundin gratuliert. Ich musste mir schon aufschreiben, von wem ich Keela alles grüßen sollte, damit ich das alles behielt.

Schließlich wurde mir das Tor genannt, an dem ich den Trailer abstellen konnte. Auf dem Weg zurück zum Truck rief ich die Nummer an die mir Keela gegeben hatte und hatte ihre Mutter, Eireen am Telefon. „Hallo Marc. Schön, dass das geklappt hat. Ich schicke dir sofort jemanden los, der dich abholt. Einen Moment kann das aber dauern.“ „Kein Problem. Ich muss sowieso noch den Trailer ans Dock stellen.“ Wir legten auf und ich setzte den Trailer ans Dock. Danach parkte ich die Zugmaschine da, wo man mir das gesagt hatte. Dort wartete ich auf meine Abholung.

Kurz darauf kam ein Suburban mit GMC Logo, also ein GMC Yukon auf den Parkplatz. Auf der Seite stand groß Ryan Constructions Inc. Das war wohl mein Taxi. Ich stieg aus dem Kenworth und aus dem Suburban stieg ein kräftig gebauter Mann, der etwa ende Fünfzig war. Er trug Jeans und ein kariertes Flanellhemd. Außerdem hatte er einen dichten roten Vollbart, der inzwischen auch einige graue Haare dazwischen hatte. „Hallo. Du musst Marc sein. Ich bin Angus Ryan. Keelas Vater.“ „Hallo Mr. Ryan.“, antwortete ich. „Angus. Wir fangen doch gar nicht erst mit dem Siezen an.“ Nach dem Handschlag, den ich ihm angeboten hatte, nahm er mich gleich in den Arm. „Schließlich bist du mein zukünftiger Schwiegersohn.“ Ich holte noch schnell eine Tasche aus dem Kenworth, wo ich das Nötigste für eine Übernachtung drin hatte, danach stiegen wir in den GMC.
„Schöne Zugmaschine hast du da. Keela sagte was von Nagelneu?“ „Stimmt. Sind erst knapp 16000 Meilen auf dem Tacho.“ „War das dein Traum? Der eigene neue Truck?“ „So kann man das sagen.“ „Das kenne ich. Ich kann mich noch gut an meine ersten eigenen Baumaschinen erinnern. Wie stolz ich war, als da mein Name dran stand.“ Wir fuhren durch Minneapolis nach Saint Paul. Immer wenn wir an einer seiner Baustellen vorbeikamen, musste mir Angus stolz erklären, was dort gebaut wurde. Das waren dann auch einige. Es wurde in den Twin Cities wohl viel gebaut und an sehr vielen der Baustellen stand was von Ryan Constructions. Angus war ganz offensichtlich sehr stolz auf sein Unternehmen, was verständlich war. Er hatte das ja schließlich alles selbst aufgebaut.

Ein wenig später kamen wir dann an einem großen Wohnhaus in Saint Paul an. Das war wohl das Haus der Ryans. Es war größer, als das Haus meiner Eltern, aber bei weitem nicht so protzig, wie unseres. Eben alles sehr einfach und zweckmäßig gehalten. Angus parkte den GMC an der Straße. Dann sah ich auch warum. In der Auffahrt standen vor den Garagen noch zwei Pickup Trucks vom Typ GMC Sierra. Beide hatten ebenfalls die Firmenbeschriftung auf der Seite. Aus einer der geöffneten Garagen schaute noch ein Buick Encore heraus. „Die Pickups werden von Kenneth und Patrick meinen beiden älteren Söhnen gefahren.“, erklärte Angus. „Den Buick fährt meine Frau. Unser GMC Händler hat auch noch Buick im Sortiment.“, fuhr er fort. „Daher auch Keelas Savana.“, schlussfolgerte ich. „Genau. GMC ist quasi unsere Familienmarke.“ Wir gingen ins Haus und dort weiter in die große Küche der Ryans. Dort stand ein großer Esstisch, an dem die ganze Familie Platz hatte. An dem Tisch saßen zwei Männer, die zwischen 25 und 30 Jahre alt waren. Die beiden waren regelrechte Muskelpakete, hinter denen ich mich locker hätte verstecken können.
Die Beiden waren ihrem Vater fast aus dem Gesicht geschnitten. Die ebenfalls roten Haare trugen sie raspelkurz. Dazu hatten beide auch die Vollbärte, wie der Vater. Sie trugen Jeans und T-Shirts, durch die sich ihre Muskelberge deutlich abmalten. Beide hatten auch noch zahlreiche Tattoos auf den Armen. Wo sonst, wollte ich gar nicht wissen.
„Das ist mein ältester Sohn, Kenneth und sein etwas jüngerer Bruder Patrick. Sie arbeiten beide als Bauleiter in unserer Firma. Das ist Marc. Keelas Freund aus Sacramento.“, wurde ich dann auch gleich mit vorgestellt. Die beiden schüttelten mir jeweils die Hand. Danach musste ich dann wohl meine Knochen in der rechten Hand erstmal neu sortieren. Ich hätte auch genauso gut zweimal einem Schraubstock die Hand geben können.
Die Muskelpakete setzten sich wieder an den Tisch und setzten ihr Frühstück fort. Dann hörte ich eine angenehm klingende Stimme von hinten, die mich ein wenig an Keelas Stimme erinnerte. Außerdem hatten hier ja alle den gleichen Midwest Akzent, den man auch bei Keela durchhörte. Ich drehte mich um und schaute in grüne Augen, die in Farbe und Form ebenfalls denen von Keela glichen. Die Augen gehörten zu einer Frau, die ich auch so problemlos als Keelas Mutter hätte identifizieren können. Sie hatte fast genau Keelas Gesicht. Nur eben einige Jahre älter. Im Gegensatz zu den Rotschöpfen der Männer hatte sie aber lange, blonde Haare, die sie zu einem Zopf gebunden hatte. Sie war schlank, wenn auch nicht so schlank, wie Keela.

„Du musst Eireen sein.“, stellte ich fest. „So ist es. Hallo Marc, schön dich endlich mal kennenzulernen. Ich habe schon viel von dir gehört.“ „Danke. Ich hoffe nur Gutes.“ „Das einzige Negative bringt dein Job nun mal mit sich. Meine Tochter fühlt sich sehr oft alleine. Das bleibt aber nicht aus.“ Wir umarmten uns herzlich und ich merkte sofort, dass ich Eireen sehr gerne mochte. Die drei anderen musste man nur zu nehmen wissen. „Setz dich hin und frühstücke mit uns.“, sagte Eireen und stellte mir ein Gedeck hin. Danach setzte sie sich zu uns an den Tisch. „Ja, das ist Keelas Familie.“, sagte Eireen zu mir. „Es fehlen im Moment nur Liam und seine Freundin. Alice ist arbeiten und Liam ist schon zum Collage. Er kommt aber heute Mittag zum Essen, da er dich auch gerne kennenlernen möchte.“ „Dafür sind wir heute Mittag nicht da.“, sagte Kenneth. „Wir nehmen das Essen immer mit auf die Baustellen. Wir haben inzwischen Mikrowellen in den Bauwagen, um uns das Essen warm zu machen.“ „Du weißt doch gar nicht mehr, was ein Bauwagen ist.“, tönte Angus. „Die modernen Containerbüros, die ihr inzwischen an den Baustellen habt, haben doch gar nichts mehr mit den alten Bauwagen zu tun.“ „Ja, Dad.“, sagte jetzt Patrick. „Du hattest es schwer und wir sind nur noch Weicheier.“ „Seid ihr auch.“, polterte Angus. „Wenn ich früher schon diese modernen Maschinen gehabt hätte, die ihr jetzt alle habt…“ „Es ist gut.“, sagte Eireen ruhig. „Was soll Marc denn von euch halten.“ „Wenn er mit Kee zusammen ist, wird er ja wohl wissen, wie wir ticken.“, meinte Patrick. „Kee?“, fragte ich erstaunt. „Eine Unsitte meiner Kinder aus ihren Namen was mit nur einer Silbe zu machen, weil alles andere zu lang ist.“, sagte Eireen mit Kopfschütteln. „Zum Glück sind wir Mom und Dad. Wer weiß was sie aus uns gemacht hätten.“ „Auf der Baustelle bin ich auch nur Boss oder Gus.“, meinte Angus dazu. Ich musste leicht grinsen. „Da würde ich Boss vorziehen.“, meinte ich. „Mach ich auch.“, antwortete Angus lachend. „Wenn wir schon bei den Kurznamen sind, das sind dann Ken und Pat. Keela ist, wie schon gesagt Kee und Liam wird dann zu Lee.“ „Eine schreckliche Familie, nicht?“, meinte Eireen zu mir. „Da kann ich mit leben. Mein Name hat ja zum Glück so nur eine Silbe.“ „Haben deine Geschwister denn keine Spitznamen?“, wollte Patrick wissen. „Steve und Jessy.“ „Das geht ja noch.“, meinte Eireen.
Wir frühstückten erstmal in Ruhe. Anschließend mussten Angus, Ken und Pat zu ihren Baustellen. Ja, selbst der Senior führte immer noch eine Baustelle selbst. Das Büro war nicht so sein Bereich. Da war er nur anzutreffen, wenn es was Wichtiges gab. „Die Geschäftsleitung sollten eigentlich mal Liam und Keela übernehmen.“, erklärte mir Eireen. „Keela hat sich aber anders entschieden. Sie hängt so am Surfen, dass sie eben lieber nach Kalifornien wollte. Wir haben sie wohl früher zu oft mit nach Hawaii genommen. Keela war halt unser Nesthäkchen und dann noch das einzige Mädchen. Da waren die Jungs schon lange alleine zu Hause, während wir im Urlaub waren, da ist Keela immer noch mit uns nach Hawaii geflogen.“ „Wieso hat sie denn die Ausbildung dann bei Walmart gemacht?“ „Du musst halt erstmal eine vernünftige Lehrstelle finden. Wir bilden keine Kaufleute aus und Keela sollte halt die Kaufmännische Leitung übernehmen. Das wird jetzt wohl Alice, die Freundin von Liam machen. Sie hat die Kaufmännische Ausbildung bei einem Baumaschinenhandel gemacht und arbeitet inzwischen in unserem Büro.“ „Und Liam studiert?“ „Er wird Bauingenieur. So jemanden braucht man bei einem Bauunternehmen von unserer Größe als Geschäftsführer.“ „Ken und Pat hatten da keine Lust zu?“ „Die Beiden können mit Zahlen genauso wenig anfangen, wie ihr Vater. Sie kommen halt mehr nach Angus. Keela und Liam eher nach mir.“
Wir gingen ins Wohnzimmer des gemütlich eingerichteten Hauses. Hier hatte Eireen ganz offensichtlich das Sagen. Der Geschmack der Einrichtung gefiel mir. Es ähnelte alles ein wenig Keelas Wohnung, nur eben alles etwas größer.
Dann kam das, wo wohl fast alle Mütter oder Schwiegermütter irgendwann mit anfangen. Sie holte Fotoalben heraus. Wobei ich das doch sehr interessant fand. Vor allem die alten Aufnahmen von Keela. Besonders interessant fand ich die Bilder, wo Keela noch ihre lange Lockenmähne hatte, von der sie mir mal erzählt hatte. Dabei waren auch viele Bilder von Hawaii. Auch Keela, wie sie dort die Wellen mit dem Surfboard meisterte. Ich merkte dabei auch, wie mich Eireen immer mehr ins Herz schloss. Wenn es nach ihr ging war ich schon ein vollständiger Teil der Ryan Familie.
Schließlich wollte ich mich aber erstmal ein wenig hinlegen. Ich hatte ja schon die ganze Nacht hinter mir. Eireen hatte mir dazu das Bett in Keelas Zimmer fertiggemacht, was immer noch Bestand hatte. Sie hatte ja auch bis zu ihrem Umzug nach Sacramento hier gewohnt. Auch in dem Zimmer ließ sich Keelas Geschmack immer noch gut erkennen. Selbst von den Postern, die immer noch an der Wand hingen.
Es war kein Girlie Zimmer, sondern das Zimmer einer jungen Frau, deren Hobbies ganz offensichtlich Surfen und Motorradfahren waren. Die Poster waren von Surfstränden auf Hawaii und von Motorrädern. Ich fühlte mich in ihrem Zimmer aber wieder sofort wohl und schlief recht schnell ein.

Mittwoch, den 18. Oktober 2017, am späten Mittag:

Ich wurde sanft geweckt und dachte im ersten Augenblick, dass ich von Keela geweckt wurde. Als ich etwas wacher wurde, merkte ich, dass es sich um Eireen handelte, die mich da weckte. „Hallo Eireen.“, sagte ich schläfrig. „Hallo Marc. Möchtest du gleich mit uns zusammen essen? Liam und Alice sind hier.“ „Die anderen auch?“ „Ich kann allenfalls Angus noch rüber rufen. Ken und Pat bleiben auf ihren Baustellen. Die sind auch im Moment auf Baustellen in Minneapolis. Nur Angus ist auf einer Baustelle in Saint Paul.“ „Das kannst du entscheiden.“ „Dann lassen wir Angus auf seiner Baustelle. Sonst ist er nur nervös, dass was nicht klappen könnte.“ „Okay. Wie lange habe ich denn geschlafen?“ „Nur etwa vier Stunden. Reicht dir das?“ „Das muss jetzt mal reichen.“ „Okay. Wir essen in einer halben Stunde. Willst du vorher noch duschen?“ „Das wäre klasse.“ Eireen legte mir Duschtücher raus und zeigte mir wo sich das Badezimmer befand. Dort machte ich mich schnell fertig.
Anschließend ging ich wieder runter in die große Küche, wo ich Liam und Alice kennen lernte. Liam hatte etwa meine Größe und auch etwa meine Figur. Er war auf jeden Fall nicht so ein Muskelpaket, wie seine Brüder. Er war aber sportlich und gut durchtrainiert. Er war ebenso rotblond, wie meine Keela und sah ihr auch ein bisschen ähnlich. Nur eben ein wenig männlicher.
Alice sah dann völlig anders aus, als ich gedacht hatte. Sie hatte lange, dunkle Haare und dunkelbraune Augen. Sie hätte genau in mein früheres Beuteschema gehört. Aber inzwischen waren wir ja beide vergeben und ohne meinen Schatz und ihre Familie, hätte ich Alice ja auch nie kennengelernt.
Beide waren sehr nett und ich wurde auch von ihnen sehr herzlich in die Familie aufgenommen. Dann gingen wir zum Mittagessen. Eireen hatte gekocht und es schmeckte wirklich wunderbar. So gesehen war es schade, dass Keela früher andere Interessen hatte und sich nicht allzu viel von ihrer Mutter hatte beibringen lassen. Aber auch bei Keela schmeckte es mir ja.

Nach dem Essen ging ich mit Liam und Alice noch etwas spazieren und lernte dabei noch ein wenig die Gegend kennen, in der mein Schatz früher gewohnt hatte. Dabei richtete ich auch die Grüße von Keela aus. Ich wollte ja nicht im Familienkreis sagen, dass ich gerade Liam ganz besonders liebe Grüße ausrichten sollte. Je länger wir uns unterhielten merkte ich auch warum Keela ihn von ihren drei Brüdern am meisten mochte. Auch wir lagen auf einer Wellenlänge. Er war mir auch wesentlich sympathischer, als seine beiden Brüder. Wir unterhielten uns auch noch ein wenig über die Ziele der Beiden. Sie wollten wirklich die Firma von Angus übernehmen und gemeinsam leiten. Alice hatte die richtige kaufmännische Ausbildung, um die Geschäfte zu führen und Liam war als angehender Bauingenieur genau der Richtige, um die Firma in technischer Hinsicht zu führen. Ken und Pat würden wohl eher bei ihrer Position als Bauleiter bleiben. Genau wie Angus das machen würde, bis er in den Ruhestand ging. Keela hatte zwar auch Anteile an der Firma bekommen, so wie ich meinen Schatz aber kannte, würde sie auf Liam vertrauen und hinter seinen Entscheidungen stehen.
Langsam gingen wir zum Haus zurück, wo ich jetzt noch einen Blick in die Garagen warf. In der einen Garage stand der Buick von Eireen, in den anderen Garagen standen mehrere Motorräder. Keelas Brüder hatten alle mindestens eine Maschine und sogar Alice fuhr eine Einsteigermaschine. Liams Motorrad war der Electra Glide von Keela recht ähnlich, während die Maschinen von Pat und Ken eher Custombikes waren. Außerdem zeigte mir Liam noch seinen neuen Buick Cascada, ein recht schickes Cabriolet.
Danach gingen wir wieder ins Haus und setzten uns noch gemütlich im Wohnzimmer zusammen. Am späten Nachmittag, als Angus nach Hause kam, holte ich meine Sachen und er brachte mich wieder zu meinem Truck zurück. Als wir dort ankamen, war mein kurzer Besuch bei Keelas Familie beendet. Ich versprach aber, dass es mit Sicherheit nicht mein letzter Besuch bei den Ryans war.

Es war sechs Uhr am Abend Central Daylight Time, als ich mit meiner PTI begann. Nachdem ich diese abgeschlossen hatte, war auch mein nächster Auftrag im System:

PICKUP: ES-MNMN
TRAILER: CT48652
FREIGHT: FIREWORKS
WEIGHT: 10,000 LB
TO: FED-SKRE
GATE: 05
REMARKS: ADR 1.4

CASA-CSA

Ich bekam also mal wieder Feuerwerk und war wahrscheinlich mal wieder einer der Wenigen, die hier dafür zur Verfügung standen. Bei der Zieladresse stutzte ich aber erst. Welcher Staat hatte denn das Kürzel SK? Den musste ich in der Schule wohl verpasst haben. Als ich auf die Adresse klickte, merkte ich, dass es ja auch gar kein Staat war, sondern eine Kanadische Provinz. Mein Feuerwerk sollte nach Regina, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Saskatchewan. Da hätte ich den Staat ja lange suchen können. Dachte ich bei mir. An Kanada hatte ich jetzt gar nicht gedacht.

Um meine Papiere zu bekommen, ging ich noch mal schnell in das Büro des Zentrallagers, vor dessen Toren ich ja immer noch stand. Außerdem hatte ich noch Grüße an Keelas beste Freundin auszurichten, die immer noch hier arbeitete. Ich ging also in die Dispatch. Dort fragte ich mich nach Stella Martin durch.
Schließlich hatte ich die hübsche Blondine gefunden, die an einem Schreibtisch in ihren Computer vertieft war. „Hallo, sind Sie Stella Martin?“, fragte ich dann. Sie blickte mich aus ihren tiefblauen Augen an. „Richtig. Die bin ich.“ „Können Sie mir wohl Papiere fertigmachen?“ „Klar. Welche Ladung?“ „Feuerwerk nach Regina.“ „Okay, mach ich fertig. Die hätten Sie aber auch am Außenlager bekommen.“ „Weiß ich. Ich bin ja nicht nur deswegen bei Ihnen. Ich soll Ihnen auch noch ganz liebe Grüße ausrichten.“ Sie blickte mich erstaunt an und runzelte die Stirn. „Wir kennen uns doch gar nicht. Von wem sollen Sie mich denn grüßen?“ „Von meiner Freundin. Keela Ryan.“ Stellas Augen begannen regelrecht zu strahlen. Sie musterte mich dann kurz von oben bis unten. Danach fragte sie: „Bist du Marc?“ „Ganz Recht. Marc Murdock. Nett dich kennenzulernen.“ Sie stand auf und fiel mir, zu meiner Überraschung vor Freude um den Hals. „Ich freue mich auch. Ich habe schon so viel von dir gehört.“ „Ich wusste gar nicht, dass Keela noch so viel Kontakt zu dir hat.“ „Im Zeitalter des Internet ist das doch kein Problem. Entweder wir schereiben miteinander oder wir skypen.“ „Klar. Ich bekomme das ja nicht so mit, da ich ja viel unterwegs bin, wie du siehst.“ „Das hat sie mir schon erzählt. Aber nicht, dass du hierhin kommst.“ „Vielleicht ist die da nicht mehr zu gekommen.“ „Kann sein.“ Stella setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und machte mir die Papiere fertig. „Schade, dass du nicht länger bleiben kannst.“, meinte sie nebenbei. „Ich habe ja schon meine Pause hier gemacht. Dabei habe ich Keelas Familie kennengelernt.“ „Du warst bei den Ryans?“ „Ja.“ „Und was hältst du von Keelas Familie?“ „Sehr nette Leute.“ „Wen magst du denn am meisten?“ „Du bist ja gar nicht neugierig.“, meinte ich als Antwort. „Sorry. Aber so bin ich leider.“ „Ist aber auch kein Geheimnis. Eireen habe ich total gerne und Liam und Alice mag ich auch sehr.“ „Geht mir auch so. Keelas Vater und Ken und Pat muss man erstmal zu nehmen wissen.“ „Das stimmt.“ Inzwischen hatte Stella die Papiere ausgedruckt und gab sie mir. „Dann kommst du wohl am Wochenende nicht nach Hause.“ „Mal sehen. Wahrscheinlich nicht.“ „Dann bestell Keela mal ganz liebe Grüße zurück. Ich kann gut verstehen, warum sie sich in dich verliebt hat.“ Nach der Bemerkung wurde ich natürlich mal wieder rot, was Stella ein glockenhelles Lachen entlockte. „Das hat mir Keela auch schon erzählt, dass du schnell rot wirst.“ Das half natürlich nicht, um meine Gesichtsfarbe wieder zu normalisieren. „Danke.“, sagte ich nur. Stella stand noch mal auf und umarmte mich. „Grüß Keela von mir und gute Fahrt.“ „Danke.“ Dann ging ich wieder zum Truck.
Dabei wunderte ich mich nur, wie Keela mit Stella klar gekommen war. Sie passten eigentlich gar nicht zueinander. Trotzdem waren sie wohl beste Freundinnen.

Nun machte ich mich auf den Weg zum Außenlager. Dort bekam ich meinen Trailer mit den Feuerwerkskörpern. Nachdem ich dort die PTI erledigt hatte, konnte ich mich auf den Weg nach Kanada machen.
Zuerst ging es aus Minneapolis hinaus und dann auf die I-94 in Richtung Westen. Als ich aus dem Bereich der Twin Cities heraus war, wählte ich Keelas Nummer auf dem Handy an. „Hallo Schatz. Alles gut überstanden?“, fragte mich Keela. „Doch. Es war zwar eine sehr anstrengende Pause, aber ich habe viele liebe Menschen kennengelernt und auch noch einiges über dich erfahren.“ „Über mich?“, wunderte sich Keela. „Wie denn das?“ „Na ja. Deine Familie und dein Umfeld hat dich ja auch irgendwie geprägt. Wenn man die Leute kennengelernt hat und auch noch in deinem alten Bett geschlafen hat, dann lernt man doch einiges von dir.“ „Wie? In meinem alten Bett?“ „Klar. Eireen hat mir dein Zimmer zum Schlafen gegeben.“ „Auch das noch.“, stöhnte Keela. „Wen hast du denn alles Kennengelernt?“ „Ich glaube so ziemlich alle. Angus hat mich abgeholt und weggebracht. Beim Frühstück waren neben deinen Eltern auch noch Pat und Ken da.“ „Hast du den Kulturschock überstanden?“, fragte Keela lachend. „Aber sicher, Kee.“ „Nein! Meinen Spitznamen haben sie dir auch verraten?“ „Natürlich.“ „Ich werde sie umbringen.“, sagte Keela lachend. „So schlimm ist das auch nicht.“ „Liam und ich haben das immer gehasst.“, sagte sie. „Pat und Ken haben sich daran gewöhnt.“ „Wo wir dann gerade bei Peinlichkeiten sind. Deine Mom hat natürlich auch dazu beigetragen.“ „Oh nein. Die Fotoalben.“, stöhnte Keela. „Da waren aber auch viele süße Bilder von dir bei.“ „Das habe ich befürchtet.“ „Du hattest übrigens recht. Mit den langen Haaren hat dir auch sehr gut gestanden.“ „Das habe ich ja auch nicht bestritten. Das war halt nur unpraktisch. Hast du eigentlich auch Liam kennengelernt?“ „Ja. Er und Alice waren zum Mittagessen da.“ „Alice hätte ja nicht sein brauchen.“, sagte Keela mit einem Anflug von Eifersucht in der Stimme. Ich hatte ihr ja mal gesagt, auf welchen Frauentyp ich früher immer gestanden habe. „Keine Panik. Erstens liebe ich dich und zweitens ist die Freundin deines Bruders für mich tabu.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ „Der größte Kulturschock war aber heute Abend Stella.“ Keela musste herzlich lachen und kriegte sich erst gar nicht mehr ein. „Sie kann schrecklich sein. Nicht wahr?“ „Wie bist du denn an die geraten?“ „Wir haben zusammen die Ausbildung begonnen und eigentlich immer zusammengehangen. Dabei haben wir uns angefreundet.“ „Sie passt ja eigentlich gar nicht zu dir.“ „Das stimmt. Aber Gegensätze ziehen sich manchmal an.“ „Die quasselt ja wie ein Wasserfall.“ „Das Schlimmste sind aber ihre Gefühlsausbrüche. Im Positiven, wie im Negativen.“ „Ich habe wohl nur die positive Reaktion gemerkt. Als sie mir um den Hals fiel, wusste ich gar nicht, wie mir geschieht.“ „Sei froh, dass du nicht miterleben brauchtest, wie es bei ihr ist, wenn es ihr schlecht geht. Die Menge ihrer Tränen hat dabei sicher dazu beigetragen, dass es 10.000 Seen in Minnesota gibt.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ „Wo wir gerade bei Stella sind. Was hat sie dir denn geben dürfen?“ „Ich darf mal wieder Feuerwerk fahren. Nach Regina.“ „Mit Kanada hatte ich jetzt nicht gerechnet.“ „Ich auch nicht.“ „Denk aber daran, vorher noch vollzutanken.“ „Ja, mache ich. Muss ich sowieso.“ „Dann erstmal eine schöne Schicht.“ „Danke, Süße.“ „Das ist mir zehnmal lieber, als wenn man mich Kee nennt.“ „Dann weiß ich ja jetzt, wie ich dich ärgern kann.“ „Für dich finden wir auch noch einen Spitznamen, den du hasst.“ Was machen deine Brüder eigentlich aus Alice? Al?“ „Ich glaube schon.“ „Das ist ja auch schrecklich.“ „Mom war auch immer froh, dass man das bei ihr nicht gemacht hat.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ „So. Dann erst mal gute Fahrt.“ „Danke Schatz.“ Wir legten auf.

Nun konzentrierte ich mich wieder mehr auf den Verkehr auf der I-94, auf der ich nicht nur in den Abend, sondern auch auf North Dakota zufuhr. Es war schon zehn Uhr am Abend durch, als ich North Dakota erreichte. Inzwischen war auch meine Tankleuchte angegangen. Daher hatte ich gar keine Möglichkeit, das Tanken zu vergessen. Als ich Fargo erreichte, fuhr ich dort von der Interstate, um an einem Truckstop zu tanken.

Auf eine Pause hatte ich aber irgendwie noch keine Lust. Um viertel vor Elf stand ich an der Tanksäule und beschloss, anschließend sofort weiterzufahren. Da ich von Eireen auch noch mit Essen versorgt worden war, brauchte ich auch nicht zum Essen irgendwo anhalten. Außerdem war das so portioniert, dass man auch während der Fahrt davon was essen konnte. Irgendwie wollte ich im Moment unbedingt an die Grenze kommen. Daher machte ich mich um elf Uhr wieder auf den Weg und fuhr nun auf die I-29 in Richtung Norden.

Nun fuhr ich direkt auf Kanada zu. Die nächtliche Fahrt verlief ruhig und ohne weitere Probleme. So kam ich um halb Zwei, Central Daylight Time an der Grenze zu Kanada an. Da ich meine internationale Motorcarrier Nummer direkt am Truck stehen hatte, ging die Abfertigung vergleichsweise schnell. Das größte Problem war in dem Moment erstmal die Abfertigung des Gefahrguts. Da aber alle Papiere vollständig und in Ordnung waren, konnte ich nach einer halben Stunde nach Kanada einreisen. Nun wollte ich aber doch meine Pause machen. Inzwischen rächte sich nämlich die kurze Schlafzeit, die ich am Tag gehabt hatte. Vier Stunden Schlaf waren einfach etwas wenig. Ich fuhr daher auf der kanadischen Seite der Grenze noch mal auf den Parkplatz und legte mich erstmal schlafen. Dafür plante ich jetzt erstmal zwei Stunden ein. Danach wollte ich noch die Fahrzeit vollmachen. Ich legte mich in die Koje und schlief fast augenblicklich ein.

Um vier Uhr, Central Daylight Time machte ich mich wieder auf den Weg. Dabei fuhr ich nun über den Manitoba Highway Nummer 75 auf die Hauptstadt der Provinz, Winnipeg zu. Diese Strecke war nur wie eine einfache Landstraße ausgebaut. Dabei musste ich mich nun dem langsam zunehmenden Verkehr anpassen. So ging es recht langsam auf Winnipeg zu. Für mich war nun die größte Umstellung, dass es nun mit metrischen Angaben weiterging. Damit hatte ich bisher wenig zu tun gehabt. Allerdings konnte ich nun ein wenig die Erfahrungen nutzen, die ich mit dem Mack gemacht hatte. Der hatte ja einen metrischen Tacho gehabt. Auf meiner Tachoskala waren beide Maßeinheiten angegeben. Nur der Streckenzähler stand halt auf Meilen, da ich die in meiner Heimat verwendete. Auf der schmalen Strecke war das aber kein Problem, da ich sowieso kaum die Möglichkeit gehabt hätte, zu überholen.

Schließlich erreichte ich die Wahlheimat von dem deutschen Trucker Manni, den ich in Barstow kenngelernt hatte, Winnipeg. Dort angekommen, konnte ich auf den Trans Canada Highway wechseln, diese berühmte Straße war der Highway Number 1. Auf dieser Straße ging es nun in Richtung Westen weiter. Diese Strecke war wieder Autobahnartig ausgebaut. Das Tempolimit war bei 100 Km/h. Ich stellte meinen Tempomat also auf 62 Meilen.
Eine ganze Zeit später erreichte ich den Ort Portage la Prairie, die Heimat eines bekannten You Tube Truckers. Dort gabelte sich der Trans Canada Highway in eine nördliche und südliche Route. Ich folgte weiter der Südlichen Route die auch als Highway 1 weiterführte, während die nördliche Route als Highway 16 auf der Karte Stand. Meine Route sollte mich nach Regina führen.
Heute kam ich allerdings nicht mehr allzu weit. Kurz bevor ich die Ortschaft Brandon erreichen würde, kam am Highway noch eine Tankstelle mit Truckstop. Dort sollte heute Morgen Feierabend sein. Da ich, trotz der zweistündigen Schlafpause in der Nacht immer noch ziemlich kaputt war, legte ich mich schnell hin und schlief auch fast sofort ein. Ich musste ja noch viele neue Eindrücke verarbeiten. Es sollten auch noch viele weitere in der nächsten Zeit folgen.

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