20. Nachtdienst, geliehene Trailer und Leermeilen

Donnerstag, den 19. Oktober 2017, 3:30 pm Central Daylight Time:

Ich hatte sehr gut und tief und fest geschlafen. Den Schlaf hatte ich auch gebraucht. Schließlich hatte ich gestern nicht allzu viel Schlaf abbekommen. Dafür hatte ich eine große Anzahl an neuen Eindrücken bekommen. Ich hatte ja nun die Familie von meinem Schatz kennengelernt. Außerdem noch ihre beste Freundin aus der Ausbildung. Dann waren noch weitere Eindrücke dazugekommen. Schließlich war ich zum ersten Mal in meinem Leben nach Kanada gekommen. Ob nun gerade Manitoba die richtige Provinz war, um mir einen Eindruck von unserem Nachbarland im Norden zu vermitteln stand auf einem anderen Blatt. Den üblichen Klischees über Kanada entsprachen wohl eher andere Provinzen des Landes.
Bis in die Nähe der kleinen Stadt Brandon, im Westen von Manitoba war ich heute früh noch gekommen, danach war Pause angesagt. Diese hatte ich aber auch komplett verschlafen, da ich eben etwas Nachholbedarf hatte. Hier war es halb Vier am Nachmittag, als ich wieder aufstand. Ich reservierte mir eine Dusche und trank anschließend den obligatorischen Kaffee im Truckstop. Danach hatte ich noch etwas Zeit, bis ich wieder arbeiten durfte. Inzwischen war es hier halb Fünf, also in Sacramento halb Drei. Vermutlich war Keela jetzt zu Hause angekommen. Ich versuchte, ob ich sie erreichte und hatte Glück. So hatten wir noch eine halbe Stunde Zeit, miteinander zu telefonieren und uns nochmal über meine Erlebnisse bei ihrer Familie auszutauschen. Eine halbe Stunde später war meine Pause um und ich durfte wieder arbeiten. Daher beendeten Keela und ich das Telefonat und ich begann mit meiner PTI. Um viertel nach Fünf, Central Daylight Time machte ich mich auf den Weg nach Regina.

Dazu ging es wieder auf den Trans Canada Highway. Genauer gesagt auf die südliche Route des berühmten Highways, den Highway 1. Nun ging es in westlicher Richtung weiter. Da diese Strecke im Gegensatz zu den meisten Highways in Kanada vierspurig war, konnte ich gut fahren, ohne dass es Behinderungen gab. Etwa zwei Stunden später passierte ich im diesigen Dämmerlicht des Herbstes die Grenze nach Saskatchewan.

Wer denkt sich solche Namen für eine Provinz aus, war immer mein Gedanke, wenn ich den Namen gehört hatte. Vermutlich waren es die Indianischen Ureinwohner gewesen, die auf einen solchen Namen gekommen waren.

Etwa eine halbe Stunde später klingelte mein Handy und die Nummer der Dispatch wurde mir mal wieder im Display angezeigt. Das bedeutete nichts Gutes, da die Dispatcher nur anriefen, wenn irgendwas nicht nach Plan lief. „Hallo Charlie. In letzter Zeit telefonieren wir aber häufig miteinander. Schon das dritte Mal innerhalb einer Woche.“ „Hallo Marc. Leider ist das so. Du weißt ja selbst, dass wir nur telefonieren, wenn etwas nicht wie geplant läuft.“ „Was haben wir denn diesmal für ein Problem?“ „Ich habe in Regina keinen Anschluss für dich.“ Ich stutzte erstmal. Seitdem ich bei Walmart fuhr und das waren jetzt schon zweieinhalb Monate, hatte es das noch nicht gegeben. „Das kann doch gar nicht sein. Eineinhalb Wochen vor Halloween hast du keine Ladung für mich? Das glaube ich jetzt nicht. Es wird doch wohl in Regina irgendeine Ladung für Walmart geben.“ „Das bestreite ich nicht. Sicher gibt es Ladungen für Walmart in Regina. Die darf ich dir aber nicht geben.“ „Wieso das den nicht?“ „Weil ich dir keine Ladung innerhalb von Kanada vermitteln darf. Das wäre illegale Kabotage. Du darfst nur eine Ladung zurück in die USA annehmen.“ „Da hatte ich ja jetzt gar nicht mehr dran gedacht.“ „Ich habe hier alles Mögliche im System. Nach Alberta, nach British Columbia, nach Manitoba, innerhalb von Saskatchewan, sogar nach Ontario. Nur eben nichts in die USA.“ „Na super. Was machen wir jetzt?“ „Da gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten.“ „Die da wären?“ „Möglichkeit eins: Du suchst dir selbst über eine Frachtenbörse eine Ladung in die Staaten. Da kann ich dich aber nicht bei unterstützen. Möglichkeit zwei: Du machst gleich schon wieder Feierabend und bleibst bis morgen früh in Regina stehen. Ob Keela aber morgen früh mehr für dich im Angebot hat, steht in den Sternen.“ „Und Möglichkeit drei?“ „Bei FedEx in Saskatoon habe ich eine Ladung Tiefkühlware für eine John Deere Kantine in Duluth, Minnesota stehen. Ich hätte sogar eine Ladung nach Saskatoon, die darf ich dir aber aus eben genannten Gründen nicht geben. Die Ladung aus Saskatoon schon.“ „Also als Bobtail nach Saskatoon.“ „Das wäre die Alternative.“ „Wie weit ist das von Regina nach Saskatoon?“ „Etwa 160 Meilen.“ „Wie wird mir das vergütet?“ „Das ist eben der Haken an der Sache. Wärst du einer unserer eigenen Fahrer, würde ich das gar nicht mit dir absprechen, sondern dich einfach leer nach Saskatoon schicken. Das wäre dann meine Sache und mein Risiko. Als Subunternehmer kann ich das nur mit dir absprechen. Leermeilen werden von uns natürlich nicht bezahlt. Ich könnte dir nur was zahlen, wenn ich einen leeren Trailer von dir ziehen lassen würde und den darfst du ebenfalls nicht ziehen, wenn der Trailer in Kanada zugelassen ist. Das würde auch schon als gewerbliche Beförderung gelten. Wenn du einen eigenen Trailer hättest, würdest du ja auch nichts von uns dafür bekommen.“ „Das heißt, ich muss mir dann die 160 Meilen selbst ans Bein binden.“ „Wenn du die Ladung annimmst, schon. Sonst bleiben dir nur die anderen beiden Möglichkeiten.“ „Ich gehe jetzt mal davon aus, dass alle anderen Ladungen, die du von Kanada in die USA hast, noch weiter weg liegen.“ „So sieht das aus.“ „Wenn ich bis morgen früh warte, ist die Ladung nach Duluth auch schon vergeben.“ „Da kannst du von ausgehen. Ich kann dir die Ladung nicht blocken, wenn du nicht sofort im Anschluss dahin fährst.“ „Das dacht ich mir. Okay. Mit 160 Leermeilen kann ich noch leben. Das ist ja eher die Ausnahme. Bisher hatten wir das ja auch noch nicht.“ „Bisher warst du ja auch noch nicht für uns im Ausland.“ „Gut. Ich nehme die Ladung aus Saskatoon.“ „Okay. Alles Weitere bekommst du dann übers ORBCOMM.“ „Okay, Charlie. Gruß an die werdende Mutter.“ „Richte ich aus. Bis morgen, Marc.“ 
Wir legten auf und ich kalkulierte das im Kopf durch. 160 Meilen ohne Vergütung. Das ging ja von der Entfernung noch. Das war ja quasi Nahverkehr. Außerdem fuhr ich ja Bobtail. Da verbrauchte die Maschine vergleichsweise wenig Diesel und so gut, wie kein DEF. Auch die anderen Verschleißkosten lagen bei einem Minimum. Da konnte ich noch ganz gut mit leben. Ich hatte mich ja schon in einigen Trucker Foren angemeldet und ein wenig mitgelesen. Die freien Owner Operator wurden zwar per Auftrag besser bezahlt, hatten aber auch schon mal Leerfahrten, bei denen die Entfernungen erheblich weiter waren, als 160 Meilen. Außerdem mussten diese dabei dann auch noch einen leeren Trailer mit sich herumzeihen. Da ging es mir so schon etwas besser. Falls ich danach schon Wochenende haben sollte, konnte ich mit Duluth auch noch recht gut leben. Direkt am Lake Superior gelegen und auch nicht allzu weit von den Ryans in Saint Paul entfernt. Da gab es schlimmere Orte für einen Reset. Das müsste man aber erstmal abwarten. Zuerst musste ich jetzt erstmal nach Regina kommen.

Das dauerte auch nicht mehr allzu lange. Seitdem ich in Saskatchewan war, durfte ich ja wieder 110 Km/h fahren. Entsprechend hatte ich meinen Tempomat mal wieder auf 70 mph gestellt. Das war dann zwar geringfügig mehr, lag aber im Toleranzbereich. Es war schon Neun Uhr, Ortszeit durch, als ich in die Hauptstadt der Provinz, nach Regina kam. Gegen halb Zehn hatte ich die FedEx Niederlassung erreicht, an der ich die Feuerwerkskörper anliefern sollte.

Ich meldete mich an und bekam sofort ein Dock zugewiesen, an dem ich den Trailer abstellen konnte. Nachdem ich abgesattelt hatte, stand auch meine nächste Ladung im Display:

PICKUP: FED-SKSK
TRAILER: RE53???
FREIGHT: FROZEN GOODS
WEIGHT: 37,566 LB
TO: JD-MNDU
GATE: —–
REMARKS: —–

CASA-CSA

Offensichtlich hatte es Charlie geschafft, mir die Ladung zu blocken. Damit man in Saskatoon auch nicht allzu lange auf die Abholung warten brauchte, entschloss ich mich meine Pause erst nach der Übernahme des Trailers zu machen.
Ich fuhr wieder durch Regina und hielt mich immer in Richtung des Highways SK-11, der direkt nach Saskatoon führen sollte. Zu meinem Glück war die Verbindung zwischen den beiden größten Städten der Provinz ebenfalls wie eine Autobahn ausgebaut. Da es aber inzwischen auch schon zehn Uhr durch war, herrschte kaum noch Verkehr auf den Straßen. Entsprechend gut kam ich durch und brauchte für die Strecke zwischen den beiden FedEx Niederlassungen zweieinhalb Stunden. So erreichte ich eine Viertelstunde nach Mitternacht die Niederlassung in Saskatoon.
Zum Glück waren unsere Systeme mit denen der großen Logistiker, mit denen Walmart zusammenarbeitete, so gut vernetzt, dass man hier bereits Bescheid wusste und alles in die Wege geleitet hatte. Dementsprechend war schon alles für mich fertig geladen. Allerdings hatte man wohl bei FedEx in Saskatoon weder einen Walmart Reefer, noch einen eigenen Reefer auf dem Hof gehabt. Daher hatte man mir einen Reefer eines anderen Speditionspartners für mich geladen. Besser, als wenn dort Werbung für einen Wettbewerber auf der Seite gewesen wäre. So fuhr ich bei diesem Auftrag Werbung für die Gordon Trucking Inc.
Als ich die Beschriftung sah, dachte ich: So ist ja nur der Gordon falsch. Der Rest passt ja sogar. Nach der PTI des geliehenen Trailers fuhr ich bei FedEx vom Hof und suchte mir einen Platz im Gewerbegebiet, wo ich mich für meine Pause hinstellen konnte. Nachdem ich einen Platz gefunden hatte, aß ich noch etwas von den Sachen, die mir Eireen eingepackt hatte. Danach legte ich mich etwas schlafen. Um drei Uhr, Ortszeit machte ich mich nochmal auf den Weg.

Nachdem ich aus Saskatoon wieder heraus war, ging es über den Canada Highway 16, der auch als Yellowhead Highway bezeichnet wurde in Richtung Osten. Das war auch die nördliche Route des Trans Canada Highways. Viel Fahrzeit hatte ich heute nicht mehr übrig. Außerdem merkte ich, dass hier die Rest Areas und Truckstops nicht ganz so dicht gestreut waren, wie in den USA. Daher musste ich meine Strecke und vor allem meine Fahrzeit jetzt schon ganz genau planen. Ich hatte meine Fahrzeiten in letzter Zeit zweimal bewusst überzogen, um eine Tour noch zu schaffen. Ich hatte nicht vor, meine Zeiten auch noch zu überzeihen, weil ich nicht rechtzeitig für eine Pause anhielt. Zwischen den Städten ging es hier meistens durch dichte Nadelwälder und Mischwälder, die einem keinen Platz zum Parken ließen. Daher musste ich das wirklich beachten.

Hinter Saskatoon war der Highway noch vierspurig. Es dauerte aber nicht mehr allzu lange, bis ich nur noch eine zweispurige Landstraße hatte. Noch war es Nacht und es herrschte nicht allzu viel Verkehr. Das könnte sich zum Morgen aber mit Sicherheit ändern. Bisher hatte ich auch das Glück, das sich der Highway nicht durch Ortschaften zog, sondern drumherum führte. So konnte ich ganz gut durchfahren.
Schließlich näherte ich mich den Quill Lakes. Dort ging der Highway erst ein Stück gemeinsam mit dem Saskatchewan Highway 6 in Richtung Süden, bevor es wieder in östlicher Richtung weiterging. So kam man an dem größeren der Seen vorbei. Nun begann ich etwas intensiver mit der Suche nach einem Platz für die große Pause. In der Nähe des Städtchens Wynyard gab es einen kleinen Truckstop. Da ich nicht wusste, was in der nächsten Zeit noch kommen würde, beschloss ich, hier meinen Feierabend zu machen. Um sechs Uhr am frühen Morgen fuhr ich dort auf den Parkplatz und fand eine Lücke, da schon der eine oder andere Kollege losgefahren war.

Da ich immer noch was von den Sachen hatte, die mir Eireen mitgegeben hatte, ging ich nicht zum Essen in den Truckstop. Ich ging nur kurz duschen und zog mich danach in meinen Truck zurück. Dort angekommen, war es auch an der Zeit, dass Keela aufstehen musste. Also weckte ich sie per Telefon. Da sie aber nicht viel Zeit hatte, sprachen wir nur kurz miteinander. Anschließend legte ich mich recht schnell in mein Bett und schlief auch recht schnell ein.

Freitag, den 20. Oktober 2017, 4:00 pm Central Daylight Time:

Ich hatte hier auch recht gut geschlafen. Im Gegensatz zu den Übernachtungen in meiner Heimat und in diversen Wüsten, brauchte ich hier, in den kanadischen Wäldern keine Standklimaanlage mehr. Die Standheizung war hier für mich mehr angebracht. Ich war schließlich kalifornische Temperaturen gewöhnt.
Nachdem ich aufgestanden war, ging ich in den kleinen Truckstop zum Duschen. Auch der obligatorische erste Kaffee der Schicht kam mal wieder von dort. Da Keela noch am Arbeiten war, sparte ich mir das Telefonat mit ihr. Stattdessen telefonierte ich mit Mom, um ihr mitzuteilen, dass ich wohl auch an diesem Wochenende nicht nach Hause kommen würde. Um vier Uhr am Nachmittag, Central Daylight Time begann ich mit meiner PTI. Das war wieder mal die Ironie der Situation. Keela machte in diesen Minuten Feierabend und ich begann mit der Arbeit. Eine Viertelstunde später hatte ich alles kontrolliert und für gut befunden. Ich konnte mich also wieder ganz beruhigt auf den Weg machen.

Es ging in östlicher Richtung auf den Highway 16, den Yellowhead Highway. Nun ging es langsam in den anbrechenden Abend, wobei ich die langsam untergehende Sonne allenfalls im Rückspiegel sah. Dabei ging es überwiegend durch die kanadischen Wälder. Leider war um diese Uhrzeit noch etwas mehr Verkehr, als in der Nacht. Es war zwar nicht voll, es herrschte aber trotzdem Verkehr. So kam ich eher selten dazu, die erlaubten 110 Km/h zu fahren. Lange konnte ich diese Geschwindigkeit sowieso nicht mehr fahren. Etwa zwei Stunden nach der Abfahrt überquerte ich die Grenze nach Manitoba und durfte ab dort nur noch 100 Km/h fahren. Solange ich den Tempomat einschalten konnte, stellte ich ihn auf 62 mph, meistens hatte ich aber gar nicht die Möglichkeit, den Tempomat zu nutzen, da ich immer wieder auf langsamere Fahrzeuge auflief. Bei dem zweispurigen Highway bestand auch eher selten die Möglichkeit zu überholen.
Gegen sieben Uhr am Abend war ich in der Nähe von Russell, Manitoba, wo der Highway 16 kurzzeitig mit dem Manitoba Highway 41 eine Trasse nutzte. Danach ging die MB-41 aber weiter in Richtung Süden und ich folgte weiter dem Highway 16 in Richtung Osten.
Dann ging es wieder weiter durch die Wälder. Gegen viertel vor Sieben war ich bei Minnedosa, wo der Highway 16 und die MB-10 wieder eine Trasse nutzten. In diesem kurzen Stück ging meine Tankleuchte mal wieder an. Im Moment machte ich mir Gedanken darüber, ob ich wohl doch besser einen modernen Truck genommen hätte, der etwas sparsamer war. Nun hatte ich diesen Truck aber gekauft und konnte da erstmal nichts mehr dran ändern. Zumal ich den Truck ja noch abbezahlen musste. Gerade hier in Kanada wollte ich eigentlich nicht so gerne tanken. Dagegen waren sogar die Dieselpreise in meiner Heimat Kalifornien noch Sparpreise.
In der Nähe von Neepawa fand ich einen kleinen Truckstop, an dem ich 40 Gallonen Diesel nachtankte. Ob das jetzt zu viel war, wusste ich nicht so genau. Ich wollte aber auch kein zweites Mal in Kanada zum Tanken anhalten. Nachdem ich nun dem Kenny wieder was zu trinken gegeben hatte, konnte ich mich um mein leibliches Wohl kümmern. Dazu suchte ich mir auf dem kleinen Truckstop erstmal einen Parkplatz.

Nachdem ich mich in eine ganze Reihe von Trucks eingereiht hatte, konnte ich in Ruhe essen gehen. Als ich mich gestärkt hatte, legte ich mich noch ein Stündchen aufs Ohr. Gegen elf Uhr am Abend machte ich mich wieder auf den Weg in Richtung USA.

Es ging weiter in Richtung Osten auf dem Highway 16. Inzwischen war nicht mehr viel los und ich konnte ganz ruhig und entspannt mit Tempo 62 durch die Nacht fahren. So kam ich eine Viertelstunde nach Mitternacht wieder auf dem Highway 1 bei Portage an. Nun ging es vierspurig in Richtung Winnipeg weiter. Auch hier konnte ich mein Tempo bei 62 mph beibehalten. Nochmal eine Stunde später hatte ich Winnipeg erreicht, wo ich in südliche Richtung auf die MB-75 wechselte. Da diese Strecke wieder nur zweispurig war, brauchte ich noch einmal über eine Stunde, bis ich an der Grenze zur USA ankam. Wenigstens war in der Nacht bei der Abfertigung nicht wirklich viel los. Die Einreise in die USA war für einen US Bürger sowieso nur eine einfache Formalität.
Um drei Uhr, Central Daylight Time hatte ich die Formalitäten beendet und reiste wieder in die USA ein.

Nun war ich wieder auf der I-29 in North Dakota. Meine Fahrzeit neigte sich langsam dem Ende zu. Ich beschloss daher, in Grand Forks nach einem Truckstop für meine Pause zu suchen. Von da aus sollte es eh über US Routes weiter nach Duluth gehen. Über meine Handy-App suchte ich nach einem Truckstop. Nachdem ich einen gefunden hatte, gab ich ihn als Zwischenziel in mein Navi ein. Nun ging es nicht mehr allzu lange durch die Nacht. Gegen halb Fünf erreichte ich Grand Forks und gegen viertel vor Fünf hatte ich einen Parkplatz für meine Pause gefunden. Danach ging ich noch eine Kleinigkeit essen. Anschließend legte ich mich recht schnell hin und schlief auch schnell ein.

Samstag, den 21. Oktober 2017, 4:00 pm Central Daylight Time:

Ich hatte gut geschlafen und war gegen halb Drei, Central Daylight Time wieder aufgestanden und hatte mein übliches Programm auf einem Truckstop absolviert. Erst die komplette Körperpflege mit Dusche und Rasur, dann der obligatorische Kaffee im Truckstop. Gegen halb Vier kam ich wieder in meinem Truck an. Da Keela am Wochenende Bereitschaft hatte, konnte ich sie beruhigt auf ihrem Privathandy anrufen. Surfen oder Biken war ja eh nicht angesagt.
„Hallo Schatz. Bist du schon wieder in meinem Heimatstaat?“, fragte sie mich zur Begrüßung. „Aus deiner Betrachtungsweise bin ich noch auf der Falschen Uferseite vom Red River. Ich stehe noch in Grand Forks.“ „Das geht ja gar nicht. Wie kann man bloß auf der Seite von dem Fluss stehen bleiben?“ „Die elektronische Überwachung der Fahrzeiten hatte noch was gegen die Einreise nach Minnesota.“ „Und da du immer brav und folgsam bist, hast du das auch gemacht.“ „Ich bin ja nicht immer brav und folgsam. Sonst behauptest du gleich wieder, ich sei spießig. Aber ab und zu sollte man schon auf die Elektronik hören.“ „Ich habe auch im Moment noch ein Problem mit dir. Keine Sorge, nicht Privat, sondern nur beruflich. Ich habe nämlich noch keinen Anschluss in Duluth.“ „Das ist nicht gut. Ich habe zwar schon wieder knapp über 50 Stunden, aber was soll ich denn in Duluth?“ „Es gibt schlimmere Orte für einen Reset. Da bist du zumindest direkt am Lake Superior. Es gibt genug Leute, die da zur Erholung hinfahren. Sogar aus meiner Heimatstadt.“ „Das ist ja von Saint Paul aus auch das nächste, größere Gewässer.“ „Stimmt.“ „Du kommst doch aus Minnesota. Hast du denn da keine Kontakte?“ „Mal überlegen… …in Duluth fällt mir gerade gar nichts ein. Sonst müsste ich Dad fragen…“ „Charlie hatte da letztens ja auch noch in die Trickkiste gegriffen, als er mir die Ladung aus Sierra Vista nach Denver besorgt hat. Haben deine ehemaligen Kollegen denn nicht auch so eine Trickkiste?“ „Das wäre vielleicht noch eine Idee. Ich rufe gleich mal meinen ehemaligen Ausbilder an, ob der eine Idee hat.“ „Es würde ja schon eine Ladung nach Minneapolis reichen. Dann könnte ich bei deiner Familie resetten.“ „Dann kann der Kulturschock ja nicht so groß gewesen sein, wenn du freiwillig auf eine solche Idee kommst.“ „Deine Mom ist doch klasse und mit dem Rest komme ich schon klar.“ „Okay. Ich werde mal sehen, was ich tun kann.“ „Dann mach das. Und ich werde zusehen, dass ich auf die richtige Seite komme.“ „Beneiden tue ich dich aber nicht. Am Samstagnachmittag über die US-Route 2 zu fahren. Das kann man vergessen.“ „Wie ist die denn ausgebaut?“ „Gar nicht. Eine ganz normale zweispurige Landstraße.“ „Der Nachmittag ist ja zum Glück schon fast vorbei.“ „Es ist doch gerade erst kurz vor Zwei.“ „In Sacramento. Hier ist es kurz vor Vier.“ „Stimmt ja.“ „Schon vergessen?“ „Ich bin das nur nicht gewohnt, wenn ich mit dir spreche.“ „Okay, mein Schatz. Ich mache mich mal wieder auf den Weg.“ „Ich melde mich, wenn ich was für dich habe.“ Wir legten auf und ich begann mit meiner PTI. Inzwischen war es ja auch vier Uhr. Eine Viertelstunde später machte ich mich auf den Weg.

Als erstes fuhr ich aber nur bis zur Tanksäule. Ich hatte ja am Morgen nicht mehr getankt, weil es besser war, sofort auf einen Parkplatz zu fahren, um meine Zeiten nicht zu überziehen. Also tankte ich jetzt erstmal voll. Um halb Fünf kam ich endlich los. Es ging erst durch Grand Forks und anschließend über den Red River zurück nach Minnesota. Nun kam ich auch auf die US-2. Dabei musste ich dann feststellen, dass Keela leider Recht hatte. Sowohl mit der Ausbaustufe der Route 2, als auch mit dem Verkehr, der auf dieser Strecke herrschte. Ich hätte hier zwar 65 mph fahren dürfen, konnte dieses aber zum großen Teil gar nicht. Wenn vor mir mal jemand abgebogen war, ging das mal kurzzeitig, dann lief ich aber wieder auf den nächsten Vordermann auf und ich konnte wieder vom Gas gehen. Da die Leute auch kein gleichmäßiges Tempo auf der Strecke fuhren, war auch nicht daran zu denken, mit eingelegtem Tempomat zu fahren. Das ging leider bis in den Abend hinein und fast die ganze Strecke so. Ich brauchte über vier Stunden, bis ich endlich in Duluth ankam.

Die positive Neuigkeit kam an diesem Abend von Keela. Sie hatte ihre alten Kontakte etwas spielen lassen und doch noch eine Ladung für mich bekommen. Bei einem kleinen Subunternehmer von Walmart, Minneapolis, der ein Lager in Duluth hatte, bekam ich einen Trailer, der mit Obst und Gemüse für die Kantine einer Vistaprint Druckerei in Green Bay, Wisconsin beladen war. Wie es von dort aus weitergehen würde, sollte sich am Sonntag zeigen. Außerdem gab es noch weitere Neuigkeiten: „Charlie hat sich eben gemeldet. Er und seine Frau sind eben ins Krankenhaus gefahren. Die Fruchtblase ist geplatzt. Es kann sich wohl nur noch um Stunden handeln. Entsprechend hat er nächste Woche frei.“ „Wie macht ihr das dann?“ „Montag um sechs Uhr übernimmt Danny erstmal. Dann arbeiten wir nächste Woche in zwei Schichten á 12 Stunden.“ „Dann mal viel Spaß dabei.“ „Du treibst dich ja eh in meiner alten Heimat rum. Dann kann ich auch etwas mehr arbeiten.“ „Wenn du das sagst.“

Um viertel nach Neun kam ich bei John Deere in Duluth an. Glücklicherweise war hier etwas mehr Platz als bei der letzten Niederlassung, wo ich richtig kämpfen musste. Hier war das Rangieren wesentlich entspannter. Gegen halb Zehn hatte ich abgesattelt und meinen Papierkram bereits erledigt. Im ORBCOMM stand nun folgende Meldung von Keela:

PICKUP: XX-MNDU
TRAILER: RE53???
FREIGHT: FRUITS
WEIGHT: 33,157 LB
TO: VP-WIGB
GATE: —–
REMARKS: TRAILER IS PROVIDED BY THE SENDER

CASA-KRY

Das meiste davon hatte mir Keela ja schon am Telefon gesagt. Die Adresse des Absenders bekam ich angezeigt, nachdem ich auf die entsprechende Zeile klickte. Ich ließ das ORBCOMM die Adresse in das Navi überspielen und konnte mich auf den Weg machen. Eine Viertelstunde später kam ich bei der Adresse an. Es handelte sich wohl um einen Subunternehmer, der etwas größer war, als ich. Er hatte auf jeden Fall einen größeren Platz. Zugmaschinen waren gerade keine auf dem Platz, aber mehrere Trailer.
Eine Frau, Mitte Vierzig kam auf den Hof und lief schnurstracks auf meine Zugmaschine zu. „Hallo. Sollst du die Ladung für Green Bay übernehmen?“ „Richtig.“ „Gut so. Dann bleibt mein Mann vielleicht mal einen Tag bei mir zu Hause.“ „Mit wem rechne ich die Tour denn ab?“ „Mit uns. So habe ich das mit Keela Ryan besprochen. Wir haben die Ladung ja schon für Walmart übernommen. Die kommen sonst durcheinander.“ „Den Preis hast du mit Keela auch schon besprochen?“ „Ja. Das ist alles klargemacht. Die Ladung ist auf dem Reefer da vorne.“ Sie zeigte auf einen alten aber gepflegten Trailer. „Der ist aber auch schon ein paar Tage älter.“ „Solange alles in Ordnung ist, gibt es doch keinen Grund den Trailer zu verkaufen.“ „Stimmt.“ Wir erledigten den Papierkram und ich sattelte den Trailer auf.

Dann fragte ich die Frau, ob ich hier noch für meine kurze Pause stehen bleiben konnte. „Vor Mitternacht erwarte ich keinen mehr zurück. So lange störst du hier keinen.“ „Okay. Danke.“ Sie ging wieder ins Haus und ich machte die PTI. Anschließend verzehrte ich die letzten Reste von den Sachen, die mir Eireen eingepackt hatte. Danach legte ich mich noch etwas aufs Ohr. Pünktlich um Mitternacht fuhr ich aber weiter.

Es dauerte nicht lange, bis ich Minnesota wieder verließ. Direkt nach dem Ortsausgang von Duluth ging es nach Superior, Wisconsin. Nachdem ich auch diesen Ort hinter mir gelassen hatte, ging es wieder auf einer US Route weiter. Die Route 53 war im Gegensatz zur Route 2 aber vierspurig ausgebaut und ich konnte vernünftig durch die Nacht fahren. Allzu viel Verkehr herrschte um diese Zeit auch nicht. So wurde es eine recht entspannte Etappe. Gegen viertel vor Drei war ich kurz vor dem sehr französisch klingenden Ort Eau Claire. Von hier aus sollte es über State Highways weiter in Richtung Green Bay gehen.
Ich wechselte auf die WI-29 in Richtung Osten. Dabei realisierte ich langsam, dass ich mein Ziel in der aktuellen Schicht nicht mehr erreichen konnte. Ich ließ mir also auf meinem Handy die Truckstops anzeigen, die ich noch auf dem Weg vor mir hatte. Ich musste schauen, ob ich noch vor Wausau, oder erst danach meine Pause machen wollte. Letztlich passierte ich die Stadt noch. In der Nähe des sehr deutsch klingenden Örtchens Wittenberg gab es das Wilderness Travel Center. Bis dorthin kam ich ziemlich genau mit meiner Fahrzeit. Pünktlich um fünf Uhr in der Frühe machte ich dort Feierabend. Da ich von der Schicht doch sehr müde war legte ich mich erstmal hin. Ich schlief auch recht schnell ein.

Sonntag, den 22. Oktober 2017, 3:00 pm Central Daylight Time:

Ich hatte mich heute mal dafür entschieden, richtig auszuschlafen. Ich hatte keinen Termin mit der Ladung und außerdem war es Sonntag. Da sollte einem das mal gegönnt sein. Es war letztlich drei Uhr, Central Daylight Time, als ich wach wurde. Ich hatte wirklich richtig ausgeschlafen. Danach ging ich in den Truckstop und erledigte dort mein Körperpflege Programm. Anschließend wollte ich noch eine Kleinigkeit essen und dabei natürlich den obligatorischen Kaffee trinken. Ich hatte gerade mein Essen beendet und saß noch bei der zweiten Tasse Kaffee, als mein Handy klingelte. Es war das Diensthandy von Keela. Wenn sie das nahm, war es meistens auch dienstlich.
„Hallo, hier Wagen 3761. Was kann ich für sie tun?“, meldete ich mich entsprechend. „Was hältst du davon mal wieder zu arbeiten?“, fragte Keela als Antwort. „Wenn es denn sein muss, kann ich das machen.“ „Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass du heute keine Lust auf Arbeiten hast.“ „Das kann gar nicht sein. Wie kommst du denn darauf?“ „Na ja. Du stehst jetzt immerhin schon über elf Stunden auf dem Truckstop. Sonst bist du meistens nach zehn Stunden wieder am Rollen.“ „Gemach, gemach. Es ist Sonntag.“ „Das weiß ich.“ Da kann man doch mal ein, zwei Stunden länger stehen. Zumal ich keinen Termin habe.“ „Du solltest aber schon langsam da ankommen. Wir fahren ja heute nicht für Walmart, sondern für den Unternehmer aus Duluth.“ „Okay. Ich fahre gleich weiter.“ „Eine volle Schicht kannst du sowieso nicht mehr fahren. Oder?“ „Was sagt denn dein Computer? Ich bin gerade nicht im Truck.“ „Der sagt mir was von 62,5 Stunden.“ „Das sollte passen.“ „Dann können wir sowieso nicht mehr viel machen. Leider haben wir in Green Bay nichts für Minneapolis. Einen Reset bei meiner Familie kannst du also vergessen.“ „Wird Wisconsin denn nicht von Minneapolis versorgt?“ „Nicht wirklich. Es gibt in Milwaukee auch noch eine komplette Niederlassung mit allem Drum und Dran.“ „Liegt das nicht am Lake Michigan?“ „Genau. Wie Green Bay auch. Nur Milwaukee liegt nicht in einer Bucht des Sees, sondern direkt daran.“ „Scheint doch ein schöner Ort für eine längere Pause zu sein.“ „Das habe ich ja auch nicht bestritten.“ „Gut. Wenn du was dort hin hast, könnte ich das ja noch machen und dann machen wir den Reset.“ „Da werde ich mal schauen. Und du siehst jetzt erstmal zu, dass du diese Tour beendest.“ „Jawohl, Ma’am.“ Wir legten auf und ich trank noch in Ruhe meinen Kaffee aus. Danach ging ich zurück zum Truck. Um fünf Uhr begann ich mit meiner PTI, eine Viertelstunde später war ich auf dem Weg nach Green Bay.

Es ging weiter über die WI-29 in Richtung Osten. Die Fahrt verlief Sonntagsmäßig ruhig. So kam ich entspannt um halb Sieben bei meiner Entladestelle, der Druckerei in Green Bay an.

Ich meldete mich an und durfte den Trailer an eine der Wareneingangsrampen setzen. Bei meiner letzten Anlieferung an einer Druckerei kam der Trailer noch vor die Kantine. Hier war das eben anders. Ich sattelte den Trailer ab und bekam von einem Mitarbeiter, der Wochenenddienst hatte, meine Unterschriften. Zurück im Truck hatte ich meinen nächsten Auftrag auf dem Tablet stehen:

PICKUP: JD-WIGB
TRAILER: RE53??
FREIGHT: EMPTIES
WEIGHT: 37,000 LB
TO: ES-WIMI
GATE: —–
REMARKS: —–

CASA-KRY

Es gab also eine Ladung Leergut von der hiesigen John Deere Niederlassung für das Außenlager in Milwaukee. Somit hatte Keela ihr Versprechen wahrgemacht. Ich überspielte die Adressen zur Routenplanung ins Navi und machte mich anschließend auf den Weg zu John Deere. Das dauerte eine Viertelstunde, dann kam ich dort an. Hier war am Sonntag zwar nicht allzu viel los, es gab aber einen Security Mann, der mich auf das Gelände ließ und der auch meine Papiere hatte. Wir erledigten den Papierkram und im Anschluss konnte ich aufsatteln und meine PTI machen. Es war viertel nach Sieben, als ich mich auf den Weg nach Milwaukee machte.

Während ich noch durch Green Bay fuhr, klingelte mein Handy. Wieder rief mich Keela an. „Hallo Schatz, hast du Langeweile?“ „Die habe ich tatsächlich. Es ist nicht allzu viel los heute und dann hängt man zu Hause rum und weiß nicht, was man tun soll.“ „So geht das leider manchmal.“ „Ich wollte dich eigentlich fragen, ob ich dir schon mal ein Motel reservieren soll. Oder möchtest du lieber im Truck übernachten?“ „Wenn du was Preiswertes mit Seeblick findest, kannst du mir das gerne reservieren.“ „Sonst noch wünsche? Sauna, Solarium, Swimmingpool, Zimmerservice?“, fragte Keela. Die Ironie war förmlich zu spüren. „Eine hübsche Masseurin wäre nicht schlecht.“, sagte ich, um sie zu ärgern. „Komm du mir mal nach Hause.“, war ihre Antwort. „Gerne. Sag das meiner Dispatch.“ „Ich werde die Woche dran arbeiten.“ „Hoffentlich macht Danny nicht das Gegenteil.“ „Der hat, glaube ich, im Moment andere Sorgen. Du hast doch letztens die Lions kennengelernt.“ „Ach, das war das Geschwisterpaar mit dem Volvo, wo mir die Frau die Löcher in den Bauch gefragt hat.“ „Genau. Die waren ja zur Vertragsübernahme bei uns und Frank hat Gina auch uns zugeteilt. Das war gerade bei der Schichtübergabe von Danny an mich. Du hättest mal seine Blicke sehen sollen.“ „Wieso?“ „Ich glaube er hat sich in Gina verguckt.“ „Sie sieht ja auch nicht schlecht aus.“ „Das gebe sogar ich, als Frau, zu.“ „Dann ist Sheila Miller Geschichte?“ „Da hatte Danny eh zu wenig Geld für.“ „Und jetzt glaubst du, er will sich an Gina Lion ranmachen?“ „Ich denke schon.“ „Das kann ja noch interessant werden.“ „Ich werde mal schauen, ob ich ein Motel für dich finde.“, wechselte Keela wieder das Thema. „Mach das, Schatz.“ Wir legten auf und ich konnte mich wieder mehr auf die, mir unbekannte, Route konzentrieren.

So kompliziert war die Route aber gar nicht. Nachdem ich aus Green Bay raus war, ging es direkt auf die I-43 in Richtung Süden. Diese Strecke führte quasi direkt am Lake Michigan entlang in Richtung Milwaukee. Aber selbst, wenn es hier einen Blick auf den See gaben würde, hätte ich da in der Dunkelheit nicht mehr viel von. Ich freute mich schon auf die kommende Woche, wo ich wieder am Tage unterwegs war. Leider würde ich dadurch auch nicht viel Kontakt mit Keela haben, die ja die zwölf Stunden Nachtschichten hatte.
Die ruhige Fahrt am Sonntagabend lief ohne weitere Probleme. So kam ich nach circa zweieinhalb Stunden Fahrt entspannt in Milwaukee an. Das Außenlager war dort auch schnell gefunden.

Dort konnte ich den Trailer schnell ans Dock setzen. Ich brauchte noch nicht einmal an ein schwieriges Dock fahren. Um zehn Uhr hatte ich angesetzt und abgesattelt. Keela hatte mir inzwischen noch eine WhatsApp geschrieben, wo sie mir die Adresse eines Motels mitteilte, an dem sie mir ein Zimmer reserviert hatte. Das Motel lag so gut, dass ich es weder zum Zentrallager, noch zum Lake Michigan allzu weit hatte. Seeblick gab es aber verständlicherweise nicht. Dann wäre das Zimmer mindestens doppelt so teuer gewesen.
Am Motel angekommen, checkte ich ein und brachte meine Sachen in mein Zimmer. Den weiteren Abend verbrachte ich in der kleinen Hotelbar, die zu dem Motel gehörte. Gegen Mitternacht war ich aber im Zimmer und kurz darauf in meinem Bett verschwunden.

Montag, den 23. Oktober 2017:

Den Montag verbrachte ich mit Sightseeing in Milwaukee. Langsam erkannte ich einen der Vorteile, den ich als Long Haul Driver hatte. Ich bekam viel von meinem Land zu sehen. Letzte Woche hatte ich noch Sightseeing in Denver gemacht, nun war ich in Milwaukee und hatte wieder mal Zeit mich hier ein wenig umzusehen. Ich besorgte noch eine Kleinigkeit als Souvenir für Keela. So ging dann der Tag recht schnell um und ich konnte mich dabei gut erholen.
Am späten Nachmittag telefonierte ich eine ganze Zeit mit Keela. Sie erzählte mir noch, dass Charlies Frau ein gesundes Mädchen auf die Welt gebracht hatte. Nun war Charlie Vater von zwei Töchtern. Schließlich musste Keela aber arbeiten gehen und ich ging in Ruhe zum Abendessen. Danach zog ich mich auf mein Zimmer zurück.

Dienstag, den 24. Oktober 2017, 7:30 am Central Daylight Time:

Hier, in Milwaukee, war es schon halb Acht, als ich aufstand. Ich nutzte noch mal ausgiebig das Badezimmer des Motel-Zimmers, danach ging ich frühstücken. Anschließend packte ich meine Sachen zusammen und telefonierte noch mal kurz mit Keela, die ihre erste zwölf Stunden Schicht hinter sich hatte. „Zum Glück habe ich die Nachtschicht dabei erwischt. Da ist es immer noch etwas ruhiger, als am Tage.“, resümierte sie die Schicht. Was ich jetzt für einen Auftrag bekommen würde, konnte sie mir aber noch nicht sagen. Das stand noch nicht ganz fest, als sie Feierabend machte. Pünktlich um viertel nach Neun saß ich in meinem Truck und begann mit der PTI. Anschließend hatte ich den nächsten Auftrag von Danny erhalten:

PICKUP: CW-WIMI
TRAILER: RE53569
FREIGHT: FROZEN GOODS
WEIGHT: 33,157 LB
TO: VP-NDFA
GATE: 01
REMARKS: —–

CASA-DSN

Es gab also eine Ladung Tiefkühlware für Fagro. Die Ladung sollte dort wohl zu einer weiteren Druckerei der Vistaprint Gruppe gehen. Offensichtlich hatten wir da das komplette Netzwerk als Kunde. Fargo lag zumindest schon mal westlich von hier. Eigentlich Nordwestlich, aber die generelle Richtung stimmte. Ich fuhr also zum Zentrallager und war innerhalb von wenigen Minuten dort angekommen. Als ich mich im Büro meldete, waren meine Papiere bereits fertig. Ich erledigte also den Papierkrieg und konnte danach auf den Platz fahren und aufsatteln.
Dort bekam ich einen Reefer, der neuesten Generation. Walmart machte zurzeit einen Feldversuch mit aerodynamisch optimierten Trailern, die auch noch am Heck des Trailers Kunststoffteile hatten, die die Luft-Verwirbelungen am Heck reduzieren sollten. Ob das bei meinem nicht gerade aerodynamisch optimiertem Truck etwas bringen würde, wagte ich zu bezweifeln. Ich fand nur die Optik der Trailer immer wieder merkwürdig. Es kann aber durchaus sein, dass diese Trailer bei den neuen, aerodynamisch optimierten Cascadia, die von Walmart gekauft wurden, tatsächlich den Kraftstoffverbrauch weiter senken würden.
Ich sattelte den Trailer auf und machte meine PTI. Um viertel vor Zehn konnte ich mich auf den Weg machen.

Es ging noch ein Stück durch Milwaukee, danach ging es auf die I-94 in Richtung Westen. Nun konnte ich den Truck auf 65 mph beschleunigen, dann rollte ich gemütlich meinem Ziel entgegen. Es lief ganz gut und ich fuhr entspannt in den Vormittag hinein. Dabei passierte nichts Ungewöhnliches. Schließlich passierte ich mal wieder eine Staatsgrenze. Ich war wieder zurück in Keelas alter Heimat.

Es dauerte nicht mehr lange, bis ich ganz nah bei den Ryans war. Über die I-94 passierte ich nämlich erst Saint Paul und anschließend Minneapolis. Wenn ich jetzt wüsste, wo ich den Truck parken sollte, hätte ich meine Pause bei den Ryans machen können, ich hatte aber nicht die Absicht mit dem kompletten Truck in ein Wohngebiet in Saint Paul zu fahren. Da es sich um eine kurze Pause handeln würde, entschied ich mich dagegen und fuhr erstmal weiter.

Ich blieb auf der I-94 und fuhr weiter. Nun ging es wirklich sprichwörtlich durch das Land der 10.000 Seen, wie es auch auf den Kennzeichen aus Minnesota stand. Überall waren kleinere und auch größere Seen. Zwar nicht so groß, wie Lake Michigan oder Lake Superior, aber groß genug, um Freunden des Wassersports was bieten zu können. Es sei denn, man stand auf einen Wassersport, bei dem man Wellen bezwingen musste, wie mein Schatz.
So ging es in den Nachmittag hinein. Langsam bekam ich Hunger und ich musste auch laut dem E-Log meine Pause machen. Ich war schließlich schon eine ganze Zeit unterwegs.
Bei Alexandria gab es laut meiner App ein Pilot Travel Center, das ich mir für meine kurze Pause aussuchte. Ich fuhr dort von der Interstate und auf den Truckstop. Dabei musste ich hinter einem Tankzug aus Ontario herschleichen, der recht langsam auf den Truckstop fuhr. Schließlich entdeckte der Kollege einen freien Parkplatz und parkte. Da dort noch mehr freie Plätze waren, stellte ich mich neben den Kollegen, der zu meiner Überraschung ebenfalls einen W900 fuhr.

Danach kümmerte ich mich aber erstmal nicht weiter um den Kollegen, sondern um meine Elektronischen Systeme. Ich gab im E-Log und im ORBCOMM meine Pause ein und machte mich anschließend auf den Weg in den Truckstop.
Zuerst musste ich dort die Sanitärabteilung aufsuchen. Nach über sechs Stunden Fahrt war es aber normal, dass man die Toilette aufsuchen musste. Im Anschluss musste ich am Waschbecken warten, bis ein Mittvierziger, der etwas untersetzt war und Brille trug, fertig war. Der bewegte sich irgendwie etwas langsamer. Anschließend konnte ich meine Hände waschen. Beim Weg zum Restaurant überholte ich wieder den Mittvierziger.
Kurz darauf hörte ich eine Frauenstimme rufen: „Hey, Marc!“ Wer zum Teufel sollte mich denn hier in Alexandria, Minnesota kennen?

Fortsetzung folgt…

Hinterlasse einen Kommentar