Ich entschuldigte mich kurz bei Frau Wirtschaftsförderung und nahm das Gespräch an.
„Wübbena?“
„Guten Tag Herr Wübbena! Wehmann von der BLT, ich rufe wegen ihrer Bewerbung an.“
„Ah, wenn sie anrufen ist das kein ganz schlechtes Zeichen , oder?“
„Richtig, ich würde mit ihnen gerne einen Termin für ein persönliches Gespräch ausmachen.“
„Das freut mich, haben sie schon einen Terminvorschlag? Ich hätte in dieser Woche noch Luft.“
„Ich hoffe das ist nicht zu kurzfristig, wir würden sie gerne bereits morgen Nachmittag treffen.“
„Das lässt sich sicherlich einrichten, senden sie mir doch bitte Zeit und Ort per Mail zu, ich bin gerade außer Haus und kann nichts notieren“.
„Sehr gut, ich schicke ihnen die Daten gleich zu.“
„Vielen Dank! Dann bis morgen!“
„Bis morgen Herr Wübbena!“
Damit war das Gespräch beendet. Ich hatte bewußt vermieden, daß Frau Wirtschaftsförderung aus dem Gespräch erkennen konnte, worum es ging.
Sonst hätte sie womöglich nachgehakt, warum sie einem Arbeitslosen Gewerbegrundstücke präsentieren musste.
Gemeinsam fuhren wir wieder zurück ins Stadtzentrum, unterwegs besprachen wir noch einige Details zum geplanten Kauf, ich wies nochmals darauf hin, daß sie die Kaufoptionen für das Nachbargelände in den Vertrag aufnehmen sollte.
Am Rathaus verabschiedeten wir uns voneinander, sie wollte sich bereits zum Wochenende wegen der Kaufverträge melden. Zufrieden machte ich mich auf den Weg ins Hotel und ging in Gedanken noch einmal alles durch:
– Ich hatte eine Wohnung gefunden;
– die Erlaubnis für den Betrieb eines Fuhrunternehmens nach GüKG war quasi geritzt;
– ein Betriebsgelände war auch gefunden.
Jetzt fehlte nur noch ein solider Steuerberater, der mich beim alltäglichen Papierkrieg unterstützte. Auch für den Job hatte ich mir schon jemanden ausgekuckt, das Internet war dabei sehr hilfreich.
In einem Forum für Spediteure war ich über den Namen gestolpert, dort wurde die Kanzlei in den höchsten Tönen gelobt. Schwertmann hieß der Typ, kannte angeblich alles und jeden.
Da die Suche nach einem Grundstück nicht allzu lange gedauert hatte, entschied ich mich dem Steuerbüro spontan einen Besuch abzustatten.
Das Büro lag zentral, nur einen Fußmarsch vom Hotel entfernt. Nach dem Mittagessen machte ich mich auf den Weg. Nach 20 Minuten hatte ich den Bürokomplex erreicht und landete im zweiten Stock an einer Infotheke. Die dort anwesende Azubine brachte mich reichlich ins Stottern, aber nach einem Moment hatte ich meine Fassung wiedergefunden und verkündete, daß ich einen Steuerberater bräuchte. Sie schmunzelte und bat mich in einen Warteraum, sie würde nachsehen ob ich so kurzfristig einen Gesprächstermin bekommen konnte.
Hatte ich eben wirklich verkündet, daß ich einen Steuerberater bräuchte?!
Nun ja, was besseres fiel mir nicht ein, schließlich hatte ich mich mit diesen Dingen nie wirklich befasst. Den ganzen Steuerkrempel hatte ich früher von meiner Ex erledigen lassen, später hatte sich der Lohnsteuerhilfeverein darum gekümmert.
Nach etwa einer Viertelstunde kam das blonde Geschoß wieder auf mich zu und bat mich in eines der Büros, Dr. Schwertmann würde gleich zu mir kommen.
Wie bei meinem Hausarzt, dachte ich mir…
Es dauerte weitere fünf Minuten, dann schob sich ein massiger älterer Mann durch die Tür. Ein bißchen schnaufend gab er mir die Hand,
„Schwertmann! Sie brauchen also einen Steuerberater?“
„Moin, Wübbena! Ja, äh, das ist richtig. Ich plane den Einstieg in die Selbstständigkeit und brauche jemanden, der mir große Teile des Papierkrams vom Hals hält“.
„Ich nehme an, daß sie in der Transportbranche aktiv werden wollen? Darauf haben wir uns hier nämlich spezialisiert“.
„Ja, das ist der Plan. Ich will wieder zurück in die norddeutsche Heimat und als Spediteur starten. Nach einem mittleren Fiasko bei meinem letzten Arbeitgeber will ich eigenverantwortlich arbeiten.“
„Das klingt doch ganz ordentlich, ich nehme an, daß sie bereits einige Vorbereitungen getroffen haben?“
„Kann man sagen, ich bin seit ein paar Tagen in der Stadt und habe mir bereits ein Grundstück gesichert und mit der IHK alles nötige beschnackt.“
„Da hat sich aber einer Gedanken gemacht“, meinte er grinsend, „das hab ich auch schon anders erlebt. Für irgendwelche Mätzchen sind wir hier nicht zuständig. Ich erwarte von meinen Klienten daß sie sich fundiert mit der Materie befassen, sonst geht’s eh in die Hose!“
„Ich bin mir durchaus bewusst, worauf ich mich einlasse. Ich habe mich entschieden, auch erst in ein paar Monaten wirklich den Geschäftsbetrieb aufzunehmen, vorher möchte ich noch eine Zeit als angestellter Fahrer arbeiten. Wenn es los geht, will ich zumindest ein kleines Netzwerk im Bremer Umland haben“.
„Das klingt vernünftig, wo arbeiten sie denn derzeit?“
„Im Moment bin ich sozusagen arbeitslos, mein bisheriger Arbeitgeber hat mir gekündigt, ich habe aber morgen ein Vorstellungsgespräch hier in der Stadt.“
„Wo?“
„BLT, die suchen Leute für den Verteilerverkehr“.
„Das wäre gut, wenn sie dort anfangen können. Das ist ein ordentlich geführter Betrieb, der Alte..ääh…Herr Kampmann ist ein Bekannter von mir, da würden sie sicherlich einiges an Wissen mitnehmen können und wahrscheinlich auch den einen oder anderen Kontakt bekommen.
Aber mal was anderes, wenn sie sich ordentlich vorbereitet haben, haben sie hoffentlich auch ausreichend finanzielle Mittel? Gerade die Anfangszeit kann mühsam werden.“
Ich nannte ihm die Summe, die ich voraussichtlich zur Verfügung haben würde.
Er brummelte nicht unzufrieden vor sich hin.
„Sollte reichen für den Anfang. Also: Was meinen sie? Versuchen wir es miteinander?“
„Ich habe einen guten Eindruck von ihrer Kanzlei, ich denke wir kommen zurecht.“
„Gaud, dat Muuske vörn gifft die aals wat an Papiern nödig is, wi proten dann weer!“
Der alte Schwertmann schien hin und wieder ins Plattdeutsche abzurutschen, gefiel mir aber, ich hatte es viel zu lange nicht gehört.
Er entschuldigte sich als er mein etwas irritiertes Gesicht sah, freute sich aber umso mehr, als ich ihm zu verstehen gab, daß ich ihn gut verstünde und er ruhig auf Platt mit mir reden könne.
Gefiel mir, der alte Knochen.
Wir verabschiedeten uns, ich versprach mich bald wieder wegen der Gründung zu melden. Im Rausgehen bemerkte ich seinen Griff zum Telefon und als ich die Tür hinter mir schloß, hörte ich daß er mit einem „Kampmann“ verbunden werden wollte…
„Dat Muuske“ an der Infotheke drückte mir dann mit ihrem schönsten Lächeln einen ganzen Schwung Papier in die Hand und wünschte grinsend „Viel Spaß!“
Ebenso grinsend dankte ich ihr und verabschiedete mich auch von ihr.
Auf dem Rückweg ins Hotel dachte ich noch kurz über meine Begegnung mit Schwertmann nach. Guter Typ, ein bißchen robust in der Ansprache, aber damit konnte ich umgehen.
Im Hotel gelandet sortierte ich mich erst einmal, sah die Papiere, die ich im Lauf des Tages bekommen hatte, durch und machte eine Liste mit den Dingen um die ich mich noch kümmern musste. Inzwischen war auch die Mail von BLT mit dem Termin für mein Vorstellungsgespräch angekommen.
Nach einem guten Abendessen wollte ich noch kurz schauen was es im TV gab, aber kaum daß ich auf dem Bett lag, war ich auch schon eingeschlafen.
Der nächste Morgen begann wenig verheißungsvoll, als ich die Augen öffnete, sah ich aus dem Fenster echtes Bremer Schietwetter. Es regnete Bindfäden, aber gut…gehörte eben auch dazu wenn man so nah an der Küste ist…
Nach einer heißen Dusche und einem ordentlichen Frühstück setzte ich mich an den Rechner und informierte mich erstmal ein wenig über BLT, die spontane Bewerbung war tatsächlich sehr spontan, ich hatte mich kaum über den Laden in dem ich künftig arbeiten wollte, informiert.
Aber das Schwertmann sich so positiv geäußert hatte, wertete ich als gutes Zeichen. Und so war es wohl auch, ich fand kaum ein schlechtes Wort über die Firma, ein bißchen Gemaule gab es in den Foren ja immer, aber im großen und ganzen schien mir das ein seriöser Betrieb zu sein.
Ich entschloß mich noch zu einem kleinen Spaziergang, bevor ich mich auf den Weg zu BLT machte. Ich kam am späten Nachmittag im Regen auf dem Firmengelände an, es herrschte reger Betrieb, gerade wurde einige Schenker- Züge abgefertigt.
Ich fragte im Verwaltungstrakt nach Frau Wehmann mit der ich am Vortag den Termin ausgemacht hatte. Man schickte mich in den zweiten Stock, ich würde dort abgeholt.
Oben angekommen wurde ich schon erwartet, allerdings nicht von Frau Wehmann, ein älterer Herr nahm mich in Empfang und bat mich in ein Büro. Laut Namensschild an der Tür war ich im Büro von Werner Kampmann gelandet, dem Chef der BLT.
Nun stellte er sich auch vor, es war tatsächlich der Kampmann. Er bot mir einen Platz an und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
Er blätterte in meinen Unterlagen, murmelte, sah mich über seine Brille an, murmelte weiter…
„Und du willst also für mich arbeiten?!“, platzte es plötzlich aus ihm heraus.
„Ääh…ähm..ja?!“
Er hatte mich auf dem falschen Fuß erwischt, mit so einem Gesprächseinstieg hatte ich nicht gerechnet. Wieder verschwand sein Kopf hinter meinen Papieren, wieder fing er an zu murmeln.
„Ich suche derzeit aber nur ein paar Leute um Auftragsspitzen abzudecken! Der Job ist also nur befristet!“
Er hatte eine ziemlich polterige Art und schien jeden Satz mit einem Ausrufezeichen zu beenden.
„Ich weiß, ich habe mich durchaus bewußt beworben.“
Die kleine Spitze konnte ich mir nicht verkneifen, zumal ich ja in einer recht komfortablen Position war und nicht auf den Job angewiesen war.
„Vorlaut auch noch…“, der Alte murmelte wieder.
„Sehen sonst ja ganz ordentlich aus, deine Papiere, hatte Schwertmann, der alte Hühnerdieb gar nicht Unrecht.“
Jetzt begriff ich erst, mein zukünftiger Steuerberater und mein künftiger Boss hatten sich über mich ausgetauscht. Er bemerkte auch, daß er sich gerade verraten hatte und grinste mich ein bißchen schief an.
„Ich denke, ich werde einem künftigen Jungunternehmer eine Chance in meiner Stadt geben.“
Der Alte sprach tatsächlich von „meiner Stadt“, ein bißchen größenwahnsinnig schien er doch zu sein…
„Wann kannste anfangen?“
„Zum nächsten Ersten sollte ich meinen Umzug organisiert haben. Dann kanns auch los gehen.“
„Klingt gut. Ich erklär dir kurz wie es laufen wird: Du wirst Springer sein, hast also kein festes Fahrzeug. In dein Aufgabengebiet fallen sämtliche regulären Transporte in einem 500km- Radius. Anfänger verdienen bei mir xxxx plus Prämi…“
„Ich bin aber kein Anfänger.“
„Und auf den Mund gefallen auch nicht. Gut, sagen wir xxxx plus Prämien.“
„Das klingt besser.“
„Und, wie gesagt: Das ganze ist befristet auf sechs Monate, dann ist definitiv Schicht. Achja: Hast du eigentlich Erfahrung mit Schwerlast? Und was ist mit ADR?“
Ich wollte ihm jetzt nicht nochmal auf die Füße steigen und ihm erklären, daß das alles in meinen Unterlagen stünde, daher berichtete ich von meinen überschaubaren Erfahrungen mit Schwerlast und daß ich zumindest den ADR- Basiskurs bestanden hätte.
„Mmmhja, gut. Papiere schicken wir dir zu, unterschrieben wieder zurück. Klar?“
Ich nickte nur zustimmend, so ein schräges Vorstellungsgespräch war neu für mich. Und warum duzt der mich eigentlich? Darf ich ihn jetzt auch duzen?
„Schön“, er drückte sich aus seinem Schreibtischstuhl hoch und gab mir die Hand.
„Dann sehen wir uns am Ersten wieder!“
Ich bedankte mich noch und verließ den Raum.
Nachdem ich das Firmengelände verlassen hatte, atmete ich erstmal tief durch. Bremen schien ein Dorf zu sein, zumindest in der Transportbranche waren die Verbindungen sehr kurz. Ob das nun gut oder schlecht war, würde sich zeigen. Zumindest hatte ich die ersten nicht uninteressanten Kontakte geknüpft.
Damit endete ein weiterer ereignisreicher Tag In Bremen. Ich marschierte zurück ins Hotel und ließ den Tag ausklingen.
Am nächsten Tag sollte es zurück nach Köln gehen, ich hatte auch dort noch reichlich zu erledigen.
