Kapitel 37 – Des Dramas dritter Akt, Klimax

Diese Woche…
…rufen wir einen Freund über Funk…
…Ricky berührt die Lippen eines jungen Italieners…
…und Chris darf nicht Auto fahren!

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Wir fingen unsere Woche wie üblich an, also nachts um 4. Julian und Marlon wollten nach Nordafrika, ihr regelmäßiger Zweiwochentrip stand an. Timo und Ilarion starteten später zu ihren Touren als Einzelfahrer. Judith schaffte es irgendwie in den letzten Wochen, dass die zwei zum Wochenende zu Hause waren. So gesehen waren Chris und ich wirklich die Rekordhalter mit Außenwochenenden, auch wenn es zuletzt weniger waren als noch im Sommer. Immerhin diese Woche war auch eine, die endete, wo sie anfing.

Anderthalb Stunden nach der Abfahrt waren wir mit 25 Tonnen Triethylaluminium im Nacken unterwegs von Düsseldorf nach Bari. Mal wieder ein eher unspaßiges Transportgut – brennt, darf nicht nass werden, nicht mal mit Luft in Berührung kommen.

Auf dem nächsten Rastplatz hatte Chris sein altes Hobby wieder entdeckt: leistungsstärkere Trucks begaffen. Zur Auswahl standen zwei Volvo New FH16. Wobei ich zugeben musste, dass der Vorgänger mich letzte Woche auch im Sturm erobert hatte.
Und nicht mal gesoffen hatte er wie von mir befürchtet.

Bei Mailand meinte ich, eine vertraute Stimme im Funk mit jemand anders reden zu hören und das Thema passte auch.

„Hast das mitbekommen letzten Montag? Hat ja beim Dachser einer randaliert, weil die ja erst um 1 anfangen von Sonntag auf Montag.“ „Ne habe ich zwar nicht mitbekommen, aber das muss man in Dachser kreisen wissen, dass Landsberg die einzige Niederlassung ist, die um 1 erst anfängt. Aber ich denke mal mit Pförtner wäre das nicht passiert.“
„Dachser? Landsberg im Saalekreis? Bist du das, Patrick? Chris und Ricky von KFL hier!“ „Moin ihr beiden. Zufälle gibt es. Nur zum Vorstellen… Habe meinen Angestellten Luca im Schlepp.“ „Moin.“

„Wohin geht die Reise?“
„Süditalien mit ein bisschen Triethylaluminium. Wie immer sind wir eine rollende Bombe. Und ihr holt Pizza?“ „Na da halten wir lieber Abstand. Nein leider nicht. Habe jetzt 12 Tonnen Zucker im Gepäck und zurück gibt es Eis.“ „So lustig es ist, ich bekomme TK Pizza nach Lille in Genova. Und jetzt habe ich das heilige Getränk geladen.“
„Ich will’s nicht wissen… aber es ist in blau-silbernen Dosen?“ „Nein. Besteht aus Hopfen und Malz. Hoffe der Lagerleiter ist gut drauf, habe nämlich Durst!“ „Ah, okay. Das können sie in Italien nicht so richtig herstellen.“ „Nein, vor allem nicht das gute Altenburger“ „Luca, das habe ich dir vorgesetzt, du hattest ja dein Hasseröder bis du bei mir angeheuert hast.“

„Ich muss mich auch noch für unseren neuen Fahrer entschuldigen. Er kannte dich natürlich nicht und wie die Jugend von heute so ist, braucht man ja keinen Funk, so lange man ein Handy hat.“ „Ist nicht schlimm, so sind die nun mal.“
„Tja. Unsereins ist noch durch Finnland und Schweden gedonnert und war froh, wenn irgendwer überhaupt Deutsch oder Englisch im Funk gesprochen hat und die Jungs lassen das Teil ganz aus. Und wahrscheinlich war ich damals für die alten Hasen auch ein junger Wilder ohne Ahnung, nur weil ich nie im Iran war oder so.“
„Genau so sieht es aus. Aber ist deren Pech es aus zu lassen. Fahren se halt in den Stau rein.“
„Dazu haben sie ja TMC auf dem Navi. Wobei das in seinem alten Iveco auch so ein lustiges Teil ist. Er wird’s irgendwann lernen.“ „Mal sehen.“

Luca klang ein Bisschen geschockt: „Ihr fahrt Iveco?“ „Ja. Und wer keinen mehr bekommen hat, fährt Renault.“ „Ach du Kacke. Danke für den New FH, Chef!“ „Ich hoffe du weißt es zu schätzen! Jungs, nehmt es ihm nicht übel. Er ist halt ein verwöhntes Balg.“ Vielen Dank Luca, ich durfte es gleich ausbaden. Schon dass mir Chris die Hand rüber hielt und das Mikrofon wollte, war ein todsicherer Hinweis auf einen verkorksten Abend. „Wie, New FH? Und unser neuer will einen XF106 gesehen haben? Dann 730er Scania und was hab ich da im KLV rumdonnern sehen? Ein 3er Actros oder so, ne? Wo habt ihr die Kohle her?“
„Um die Flotte aufzuklären: 2 New FH, 1 XF106 und 2 Actros MP3. Den Scania habe ich nicht mehr, den hat man mir angezündet in der Nacht. Naja Chris, irgendwo müssen die 2 Mille ausm Lotto hin.“
Zwei Mille waren zweitausend, aber weil er wie die meisten Deutschen mit diesem Irrtum ja Millionen meinte, dann fuhr er vielleicht nicht, damit ihm nicht langweilig wurde, aber so war die Anschubfinanzierung einfacher als per Existenzgründerdarlehn und man konnte auf etwas größerem Fuß anfangen. Das war so ein Betrag, von dem man entweder leben konnte oder mit dem man was aufbauen konnte, aber eher nicht beides auf einmal.
„Aber keine Panik, inzwischen hat unser XF mit 510PS den stärksten Motor. Brauche ja noch was fürs Alter.“
„Na okay. Weißte, Luca – nicht jeder Chef gewinnt im Lotto. Aber immerhin haben wir hier auch 500 PS und unsere halbfranzösischen Brüder einen Magnum 520. Die Nachwuchsliga fährt aktuell noch einen alten Stralis 450 und einen Premium 460. Aber die fliegen bei nächster Gelegenheit raus. Bei den schweren Tankern brauchen wir für manche Strecken eine Vorlaufachse.“
„Okay, das ist verständlich. Aber so ne Vorlaufachse ist echt teilweise von Vorteil, bin ich das h
albe Jahr vor Patrick gefahren, im Linienverkehr nach Dänemark.“ „Aber du vergisst da den Punkt der Kosten. Für unsere maximal 25 Tonnen auf dem Kühler langt ein 4×2.“

Es ging noch ein Bisschen um Achslasten, alte britische Brücken und schließlich um Strafzettel als Reiseandenken an Großbritannien. „Und kassieren können sie auch gut. das weiß inzwischen sogar Timo. Der hat sich, auch wenn Patrick jetzt vielleicht dumm guckt, da drüben mit 56 statt 50 Meilen abschießen lassen.“ „Glückwunsch. Aber immerhin, Timo fährt schneller. Ich sage ja nur Lüttich.“ „Na ja. Lüttich damals war Timos erste Fahrt ohne Fahrlehrer. Der hatte erst bei Aachen an der Grenze übernommen. Aber die Woche drauf war er mit Julian unterwegs und der hat Timo dann komplett versaut. Julian ist unser heimlicher Truck-GP Pilot.“ „Na dann weiß ich ja, mit wem ich kein Elefantenrennen anfange. Aber zu Timo, war schon Scheiße das er mich als Verkehrsgegner ziehen musste. Naja, Shit happens.“
„Noch würdeste gewinnen, der Premium hat da ein bisschen Leistungs-Handicap. Aber Rennen fährt bei uns eh keiner, zumindest nicht mehr als einmal. Es wird nur überholt, wenn einer langsamer ist und ab und zu verpennt man mal einen Blitzer. Auf das Teil zwischen Folkstone und Southampton hatte ich früher auch ein Abo.“ „Na dann…“ „Ist es nicht so, dass Strafen beim Blitzer und so mit Gefahrgut teurer sind?“ „Landesabhängig. die Briten hauen aber auch so schon rein. Die 6 Meilen kosten 120 Pfund und ein britischer Fahrer hätte sein Punktekonto damit schon zu einem Drittel voll. Egal ob du wie Timo damals flüssigen Stickstoff ziehst oder 20 Tonnen Babyschnuller.“

Chris passierte mit dem Quäken vom Telepass die Mautstation, jetzt waren wir vom Mailänder Ring runter. Bei Patrick düdelte wohl eher ein Handy: „Weib jetzt nicht. So. Äh, ja kann sein. Deswegen fahre ich ja auch kein Gefahrgut. Dauerhaft 80 bei uns würde mir auf den Geist gehen.“
Auch bei Luca meldete sich der Klingelknochen zu Wort. „Wir sind gleich auf dem Rastplatz und ihr werdet am Telefon verlangt. dann würde ich mal sagen, noch eine gute Fahrt und bis bald auf diesem Kanal. Ciao.“
„Okay alles klar. Dann noch knitterfreie Tage. Wenn es passt, seid ihr auch mal bei mir herzlichst auf einen Kaffe oder ein Bierchen und Essen vom Grill eingeladen.“ „Ciao.“ „Ciao.“
„Danke. Wenn wir mal in der Gegend sind, melden wir uns. Und bei uns gibt es auch gerne was, wenn es zeitlich passt.“ „Jo alles klar. Bi… n.. mal..“ Und damit trennte uns das schlechte Funkwetter.

Auf dem Rasthof platzte es aus Chris raus: „Hast Du Luca gehört? Wie abfällig er über Iveco gesprochen hat? Ich will endlich einen vernünftigen Truck!“ „Und hast Du Patrick gehört? Lottogewinn. Mit zwei Millionen Cash inne Täsch kann man etwas größere Sprünge machen, als mit einem dauernd aufs neue an den Rahmen ausgeschöpften Firmenkredit.
Aber in 2 Monaten rum wollten Marlon und ich Timo von seinem Premium erlösen. Dann holen wir uns einen schönen Truck und er kriegt unseren Stralis.“
„Und was schwebt den Herren Einkäufern als Ersatz vor? Renault T, DAF XF oder was gescheites, wo dann die PS fehlen, um den Mehrpreis für die Qualität einzusparen?“
Das war nicht fair und eigentlich war auch nicht fair, dass wir anfingen, denn Julian und Marlon aus dem Magnum zu befreien wäre an sich viel wichtiger als uns aus dem Stralis. Aber das würde ich ihnen ob der Dringlichkeit der Lage schon irgendwie beibringen müssen.
Der Abend wurde schweigsam und die Nacht unruhig. Das kurze Zwischenhoch schien schon vorbeigezogen zu sein, die nächste Kaltfront zog auf.

Ausgebremst von einem hirnfreien Lieferwagenfahrer bei Bologna fuhren wir am Dienstag weiter auf der Straße nach Süden. Die Pause mussten wir bei Ancona mangels Rastplätzen am Straßenrand einer Ausfallstraße improvisieren.
Danach kamen wir aber auch nicht so weit wie gehofft. Vor uns kroch ein Truck rum, dem trotz der eher anspruchslosen Topographie ziemlich überfordert wirkenden Fahrverhalten nach wohl ein DAF XF105-410. „Siehst Du, es gibt auch noch Trucker, die über unsere Zugmaschine sicherlich froh wären.“
Ein ebenfalls überforderter, aber wegen seines biblischen Alters nicht abgeregelter Iveco Turbo-Zeta zog mühsam an uns und dem DAF vorbei. Er hatte es fast geschafft, als das Unglück hinterrücks zuschlug.

Ein Sportwagen zischte an uns vorbei, der Fahrer erkannte zu spät, dass der Zeta es nicht rechtzeitig schaffte, die Spur zu wechseln oder sich trotz Lichthupe nicht beeilen wollte. Der Sportwagen quetschte sich mit reichlichem Tempoüberschuss zwischen dem Zeta auf der Überholspur und dem XF auf der normalen Fahrspur durch. Allerdings reichte die Lücke nicht oder er war zu früh rüber. Jedenfalls streifte er den DAF.
Dessen Fahrer verlor die Kontrolle oder verriss das Steuer. Sein Gespann schoss nach rechts in die Böschung, schlingerte zurück, riss sich unterwegs den Kühler oder die Ölwanne auf und wurde in eine Dampfwolke gehüllt, kippte mit dem Trailer auf die Beifahrerseite, die Zugmaschine senkrecht in die Höhe. Die knickte die Sattelplatte ab und schlug dann mit einem lauten Knall ebenfalls auf die Beifahrerseite.
Der Sportwagen schoss auch in die Böschung und mähte ein paar Büsche um, nahm aber sonst wenig Schaden.

Chris brachte unser Gespann ungefähr auf halber Strecke zwischen den beiden Unfallfahrzeugen auf dem Seitenstreifen zum Stehen. Der Zeta-Fahrer bedachte den Fahrer des Sportwagens mit Ausdrücken, die in keinem Italienisch-Sprachkurs vorkamen. Der antwortete auf Deutsch: „Ich kann Deine Sprache eh nicht. Wärst Du Itaker nicht so rum geschlichen, wäre das nicht passiert.“
„Soll ich Dir Sackgesicht mal die Meinung in einer Sprache sagen, die Du verstehst?“ Chris hatte sich also für ein Schlachtfeld entschieden. Also wendete ich mich dem Teil der Unfallstelle zu, der auf jeden Fall mal wie eins aussah.
Ein PKW-Fahrer hatte auch angehalten und das Handy am Ohr. Da die Worte „Ambulanza“ und „Polizia“ fielen, ging ich mal wohlwollend davon aus, dass er den Notruf gewählt hatte und nicht mitteilte, dass er später zum Essen kommt.

Die Scheibe des DAF hing noch im Rahmen, war aber komplett gesplittert und teilweise aus der Dichtung gerutscht. Durch die Scherben und Ritze konnte ich den Fahrer erkennen, er hing schlaff im Sicherheitsgurt. Immerhin hatte er ihn getragen, das war in Italien hoch überm Sichtfeld der Polizei nicht unbedingt selbstverständlich.

Die Arbeitshandschuhe hatte ich mir sowieso mitgenommen. Also riss ich damit die Scheibe ganz raus und kletterte in die Kabine. Der Fahrer reagierte nicht und ich fühlte keinen Puls. Er war eher schlank, aber da er mit vollem Gewicht in dem Gurt hing, öffnete das Schloss nicht. Um ihn abzustützen fehlten mir ein paar Zentimeter.
Ich sah mich um und entdeckte den Mikrowellenherd, der abgerissen war und hinterm Beifahrersitz herumlag. Hoffentlich hielt das Gehäuse das Gewicht aus. Ich legte den Ofen ins Beifahrer-Seitenfenster und stellte mich drauf. Nun konnte ich den Fahrer hoch drücken und den Gurt öffnen. Mit dem leblosen Körper auf den Schultern wand ich mich aus dem Frontscheibenrahmen und legte ihn dann auf dem Standstreifen ab.

Zum Glück mussten wir als Kraftfahrer immer Erste Hilfe können. Ich prüfte den Puls, nichts. Auch Atmung war keine zu spüren. Also begann ich mit Herzdruckmassage, im Wechsel mit Mund-zu-Mund-Beatmung.
Die Handgriffe waren mit Puppen eingeübt. Nie hatte ich mir Gedanken darüber gemacht. Es war eher eine lästige Pflicht gewesen, so lange die Maßnahmen durchzuführen, bis es dem Ausbilder gut genug war und er mit einem kleinen Gummiball die Halsschlagader wieder pulsieren ließ.
Aber jetzt ging es um das Leben dieses jungen Italieners, vielleicht 30 Jahre und ohne diesen Kamikazepiloten in seiner Sportflunder noch das meiste vom Leben vor sich. Wenn ich keinen Erfolg hatte, dann war sein Leben jetzt gleich zu Ende.

Das Herz setzte schnell wieder ein, mit der Atmung hatte ich länger zu kämpfen. Der telefonierende Autofahrer hatte inzwischen die Unfallstelle gesichert und kam zu mir. In schlechtem Englisch und nach meinem kurzen „Parlo Italiano!“ auf italienisch erklärte er, dass der Krankenwagen unterwegs war.

Plötzlich setzte die Atmung wieder ein. Noch bevor ich den Trucker in der stabilen Seitenlage hatte, schlug er die Augen auf. Ein weiterer Autofahrer hielt an und kam angelaufen. Obwohl sein Satz in schlechten Filmen abgenutzt war, war ich selten so froh, ihn zu hören: „Ich bin Arzt!“

Während dann auch der Rettungsdienst eingetroffen war und sich um den italienischen Trucker kümmerte, mussten wir bei der Polizei unsere Zeugenaussage machen.
Nachdem ich gefragt worden war, ob uns ein Schaden entstanden war und das verneint hatte, wurde ich noch gefragt, ob ich einwilligen würde, dass dem Unfallopfer meine Adresse mitgeteilt würde. Ich stimmte mal zu, auch wenn ich noch gar nicht wusste, ob die sich vielleicht in Kürze ändern würde.

In Bari hatten wir noch eine Anschlussfracht nach Taranto. Dort lieferten wir noch am gleichen Abend ab, denn es war ja direkt um die Ecke. Für die Nacht hatten wir uns ein Hotelzimmer gegönnt.
Chris wollte den Pool benutzen und ich war keine Wasserratte. Also blieb ich auf dem Zimmer. Das gab mir die Gelegenheit, mal bei Volvo nach einem New FH16 Globetrotter XL 600 zu schauen. Zu schaffen war es, zumal die Dinger wegen immer noch nicht serienreifer E6-Motoren unter Wert verkauft wurden, weil die meisten Unternehmer inzwischen auf die Einsparungen bei Maut und Steuer achteten und keine E5-Trucks mehr wollten.
Wenn ich den Zeitwert des Premium gegen rechnete, waren wir irgendwann im Februar so weit.

Am nächsten Tag hatten wir es mal wieder nicht mit Gefahrgut zu tun, sondern mit einem Raupenbagger. Der sollte zurück nach Mailand, nachdem er für Bauarbeiten in der hiesigen Bayer-Niederlassung gebraucht worden war.
Ob der deutlich sichtbare Bedarf an schwerem Gerät und Baustoffen auf dem Betriebsgelände mit der verbrannten Leiche eines Tanktrailers zu tun hatten, ließ sich nicht herausfinden.

Unspektakulär verlief die Fahrt nach Mailand, wo wir den Bagger los wurden und dann mit Salzsäure weiter fuhren. Im Tankstellenkiosk bei unserer Mittagspause kaufte ich heimlich das Modell eines Volvo New FH16 Globetrotter XL in BP-Farben.
Das Nachtfahrverbot in der Schweiz nagelte uns kurz vorm Gotthard mal wieder in einer illustren Runde aus großen Scanias und einem MAN mit der lustigen Kombination aus Flachdach und V8 fest.

Der Donnerstag hatte vor allem ein Ereignis zu bieten, nämlich den hirnbefreiten Fahrer eines Audi A6, der bei Kassel auf der Überholspur angeprügelt kam, uns schnitt und dann abfahren wollte. Es war noch keine 48 Stunden her, dass wir gesehen hatten, wo das enden konnte und ich das Leben eines unschuldigen Truckers gerettet hatte. Ganz schnell könnten wir diejenigen sein, die Hilfe brauchten.

Wir lieferten in Hamburg ab und hatten Pause über Nacht im Gewerbegebiet.

Der Freitag war kurz, wir kamen um 20 nach 2 nachmittags an, nachdem wir noch eine Ladung Gemüse nach Wuppertal gefahren hatten. Es folgte die übliche Prozedur mit Truck sauber machen und Spesenabrechnung ins System hacken.

Eine interne Systemnachricht poppte auf, abgeschickt eine Tür weiter. Der Titel war „Eure Tour für nächste Woche.“ Die erste Runde ging nach Aberdeen mit Bleiacetatlösung. Ich sah mit einem Auge am Monitor vorbei, aber kurz darauf starrte ich nach gegenüber.
Chris klickerte grimmig an seinem PC rum und knallte die flache Hand auf den Tisch. Kurz danach kam der Sound, dass Windows heruntergefahren wurde. „Nicht schon wieder auf die Affeninsel!“
Zumindest er war zwei Monate nicht mehr da gewesen. Judith, die nachsehen wollte, was geknallt hatte, bekam den Ausraster nun auch in voller Lautstärke mit: „England, England, immer England! Wann kommen wir mal nach Osteuropa? Aber es geht ja immer nur nach Dir! Dauernd Wochenende draußen, weil es Dir so gefällt. Dauernd England, weil es Dir so gefällt. Iveco fahren, weil es Dir so gefällt. Die alte Dreckskarre, die mich fast das Leben gekostet hätte, wieder zusammenflicken, anstatt uns einen besseren Truck zu kaufen, weil es ein Iveco ist.“
„Jetzt wirst Du unfair! Der Reparatur und dem Hi-Way hast Du zugestimmt. Und die Anweisung, dass Judith uns nach größtem Gewinn pro Strecke disponiert, kommt von Marlon und Dir!“ „Ich mache eine Woche Urlaub! Denk mal über Dich und Deine Rolle hier im Unternehmen nach!“
Ich starrte ihm nach, als er in die Wohnung ging. Judith zog sich verstört wieder in ihr Büro zurück.

Ich kam wieder in dieser Welt an, nachdem ich Löcher zwischen die Icons auf meinem Desktophintergrund gestarrt hatte, als ich das Klappern des Autoschlüssels hörte, während Chris das Treppenhaus runter ging. So weit sollte es erst einmal kommen.
Auch ich holte einen Schlüssel, aber aus dem Schlüsselkasten in Judiths Büro und lief die Treppe runter. Dort schloss ich den Schaltschrank für die Torsteuerung auf, drückte den Hauptschalter runter und das Tor vor dem Auto auf der letzten Bahn blieb einen Meter überm Boden stehen. Ich schloss den Schalter ab und dann den Schrank.

„Hey, was soll das?“ „Du wirst hier nicht wieder einfach mit dem Auto weg fahren und einen offenen Streit hinterlassen!“ „Warum nicht? Wir kommen doch eh nicht weiter bei dem Thema! Automäßig seid Ihr doch nur zu zweit und Timo fährt eh immer mit der Bahn rum! Also reicht Dir eins!“ „Ich will nur Deine Vorurteile erfüllen und hier alles bestimmen! Du lässt mein Auto schön brav da!“ „Dann nehme ich eben den Opel!“ „Den lässt Du auch so lange da, bis Timo hier ist und entschieden hat, ob er den braucht!“

Der stand gerade in der Tür: „Das Tor geht nicht.“ „Ja, weil unser Alleinherrscher die Steuerung abgeschaltet hat!“ „Sobald unser Spontanurlauber sich dazu durchgerungen hat, den Zug zu nehmen oder wenigstens zu fragen, ob er mit dem Auto weg kann, schalte ich die Steuerung wieder ein.“
„Brauchst Du etwa am Wochenende das Auto?“
Der arme Timo hatte keine Ahnung, was hier gerade für ein schlechter Film ablief. Aber aus zwei Richtungen wurde er giftig angeschaut. „Ähh… ja…“ „Den hast Du also auch schon gegen mich aufgehetzt?!“ „Spätestens jetzt wirst Du wirklich unfair!“ „Ach ja? Damit kennst Du Dich ja aus! Ich wünsche Dir eine schöne Inselwoche!“

Chris legte den Autoschlüssel auf den Hallenboden, glitt unter dem Tor durch nach draußen, marschierte mit der Reisetasche in der Hand über den Hof und verschwand die Straße runter aus dem Blick.

„Tut mir leid, aber ich brauche es wirklich.“ „Schon gut, Du kannst da eh nichts für.“ Ich schaltete die Tore wieder ein, sammelte den Citroen-Schlüssel ein und ging nach oben. Timo stand mit einem dicken Fragezeichen überm Kopf in der Halle, bis er sich einen Ruck gab und seinen Premium rein fuhr.

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