Diese Woche…
…kommt raus, dass die Menschheit sich freiwillig mit Gefahrgut besprüht…
…ein Volvo FH lernt fliegen…
…und Timo geht fremd!
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Der Anruf kam am Sonntagabend, als wir eigentlich langsam mit Chris Auftauchen rechneten. Nach einer nicht ehrlich bedauernd wirkenden Begrüßung ließ Chris die Katze aus dem Sack: „Ich habe meinen Zug verpasst und sitze fest. Es gibt eine Verbindung, die ist um 3:17 Uhr in Bochum. Ich nehme mir dann ein Taxi und bin passend zur Abfahrt da. Fährst Du alleine? Dann lass den Iveco auf und ich nehme meine Sachen raus, ohne Dich zu wecken.“ „Nein, mit Ilarion. Und Deine Sachen stehen eh in Deiner Tasche in der Werkstatt-Ecke. Ich war letzte Woche mit Julian unterwegs.“
„Oh, was habt Ihr vor?“ Jetzt klang er doch zur Feier des Tages ein Bisschen überrumpelt. Befürchtete er, dass wir an seinem Ausschluss bastelten? „Das wollten wir Dich vorhin auch schon fragen. Aber Du warst ja nicht da.“ „Kann ich was für die Bahn?“ Jetzt war er schon wieder selbstsicher und streitbar wie bei seinem Abgang.
„Also sehen wir uns dann heute Nacht?“ An sich konnte ich seit eben wieder drauf verzichten. „Wenn Du rauf kommst schon. Ilarions S-Bahn ist erst um 4:48 in Langedreer West und dann muss er noch rauf laufen und seine Sachen rüber räumen. Also werde ich wohl erst kurz vor 5 runter gehen.“ So sauer wie ich aktuell auf ihn war, sollte er mal schön zu mir kommen. Nach dieser Nummer konnte ich jedenfalls für den kläglichen Rest des Wochenendes auch auf ihn verzichten.
Nachdem wir uns recht frostig voneinander verabschiedet hatten, blickte mich Julian fragend an.
„Er hat die Bahn verpasst und kommt mit dem Nachtzug.“ „Nein?“ „Doch!“ „Ohh!“ „Wenn die Lage entspannter ist, lache ich über Dich, Julien des Funès!“ „Tut mir leid. Manchmal ist bei mir nun mal das Mundwerk schneller als das Hirn.“ „Das ist mir nicht erst nach einem Jahr aufgefallen.“ Ich quälte mir ein Lächeln aufs Gesicht.
„Und was hast Du nun vor?“ „Heute Abend besser nichts mehr. In der Verfassung trifft man keine wichtigen Entscheidungen.“
Chris kam natürlich rauf als ich im Bad war und war schon mit Marlon und dem Magnum verschwunden, als ich runter ging. Er hatte nur mal kurz durch die Tür gegrüßt. Beide Ivecos standen noch in der Halle, den alten würde Julian fahren. Timo war das Wochenende mit seinem Premium in Ostrava gewesen.
Als Ilarion, in die Halle kam, musste er noch seine Sachen aus dem alten Stralis in den neuen räumen. Er hatte die frohe Botschaft, diese Woche mit mir im Zweierteam zu fahren, erst am Samstag per SMS bekommen. Danach machten wir uns auf den Weg, ich fuhr die erste Runde.
Das hieß, dass ich auch im kalten Regen bei ENI in Essen den Tanker mit Schwefelsäure ankuppeln durfte. Als wir hinter Hamm aus dem Ruhrpott draußen waren, wurde das Wetter besser.
Auf einem überraschend leeren Rastplatz machten wir gegen 10 Kaffeepause, bevor es weiter ging nach Berlin. Shell schien nun auch auf der von Küchenmaschinen bis Autos wuchernden Retrodesign-Welle zu schwimmen. Jedenfalls war das Logo schon lange nicht mehr aktuell gewesen, als der Trailer vor uns gebaut wurde.

Als nächste Fracht gab es Natriumdisulfat. Für unsere Verhältnisse mal was harmloses, lediglich heiß war es. Durch die gestapelten Brücken an den Dreiecken Werder und Potsdam steuerten wir Kurs Süd.

Bei abends wieder einsetzendem Regen endete der Tag in der Nähe von Darmstadt. Es hatte sich den ganzen Tag keine gute Gelegenheit ergeben, über Großbritannien zu sprechen.
Am Dienstag ging es ohne nennenswerte Probleme nach Straßburg. Lediglich der Stadtverkehr war noch ziemlich dicht. Von da sollte es mit einer Ladung Magnesium wieder nach Berlin zurückgehen. In der letzten Woche vor Weihnachten gab es nicht mehr allzu viele vernünftige Frachten und so war diese Woche ein heilloses Stückwerk von Mittelstrecken quer durch halb Europa.
Die Fahrt lief gut und wir wollten wieder irgendwo an der Bergstraße Rast machen. Aber dann meldete der Verkehrsfunk eine Vollsperrung, also umdisponieren. Wir fuhren weiter auf die A81 und dann zur A6 nach Nürnberg.
Schließlich meldete sich die digitale Nervensäge. Die Zeit ging schneller runter als die Kilometer zum Rastplatz. „Das hat keinen Sinn. Was soll ich nur machen? 8 Minuten brauchen wir noch, 3 habe ich noch.“ „Warnblinker und rechts raus auf den Standstreifen. Wir wechseln hier.“ „Das ist doch nicht erlaubt.“
„Überziehen auch nicht. Und ich habe ja noch meine Geheimwaffe.“ Ich zog ein Stück von einem alten Spanngurt aus der Ablage, den wir extra mal in Wales angeschnitten und dann zwischen meinem und Keith Truck durchgerissen hatten.
„Schau in den Spiegel, dass sich keiner gleich hinter uns setzt, wenn wir noch am Anhalten sind. Wenn sie erst danach aufkreuzen, hat das einer vor uns verloren und es flatterte im Gestell vom Tanktainer rum. Kann man aber natürlich nur machen, wenn man kurz stehen bleiben muss. Für eine 45er Pause braucht man andere Ausreden. Und es ist den Versuch wert, Überziehen macht Dir in jedem Fall 28 Tage lang hohen Blutdruck.“
Der kurze Fahrerwechsel ging glatt, nach nicht mal zwei Minuten und ohne das Auftauchen von Beamten saß ich am Steuer und es ging weiter.

Als nächstes steuerten wir einen Ort an, den wir beide noch nicht kannten, aber dessen Ruf quer durch Europa reichte – Autohof Berg. Über Nacht wollten wir hier sowieso nicht bleiben, lediglich Pause mit Abendessen war eingeplant.
Das Essen war gut und reichlich, die Atmosphäre schon ein Bisschen anders als auf den bekannten Autohöfen. Aber wie das so mit Mythen war, es war am Ende doch nur ein Rastplatz, der vielleicht alles ein Bisschen besser machte, weil er einen Ruf zu verlieren hatte. Nur konnten das andere Rastplätze auch, irgendwann kannte man seine Favoriten und die Plätze zum besser Vorbeifahren landauf und landab. Aber wir fanden hier nichts, das den Hype um das Ding rechtfertigen würde und fuhren noch eine Runde weiter in Richtung Berlin.

Der Mittwoch brachte erst einmal wieder Regen beim Umsatteln in Berlin. Als wir dann mit 25 Tonnen Peroxid-Essigsäure auf dem Weg nach Bremen waren, fand sich endlich die Gelegenheit. Ich versuchte es erst einmal ohne Begründung: „Könntest Du Dir vorstellen, dauerhaft im Ausland stationiert zu sein?“ „Was? Welches Ausland?“ „Großbritannien.“
„Steht es doch so schlimm?“ „Was?“ „Na ja. Der Zoff zwischen Chris und Dir.“ Nun war ich erstaunt. „Woher weißt Du das denn schon?“ „Wir sind 7 Leute. Und auch wenn ich selten CB-Funk an habe. Der Flurfunk läuft immer im Hintergrund mit.“
„Also gut. Wieso sollte bei uns auch was geheim bleiben, wenn sogar bei Talke die Nachrichten schneller übern Flur waren als am schwarzen Brett. In der Dispo bei BP hing ein Poster mit dem Spruch ‚If plan A fails, the alphabet has 25 more letters!‘ Wir sprechen hier gerade über Plan D. Und gerade weil wir so ein kleines Unternehmen sind, haben wir beschlossen, dass wir Euch da mit einbinden. Du bist sowieso am weitesten von allen Dingen weg. Was Judith von Marlon mitkriegt, kann ich nur vermuten, aber sicherlich nicht zu wenig. Und Timo schnappt in einer WG mit Julian, Chris und mir auch eine Menge aus der Chefetage auf. Insofern erfährst Du gerade nur das, was die anderen sich sowieso schon zusammengereimt haben dürften.“
„Was passiert, wenn ich Ja sagen würde und was wenn ich Nein sagen würde?“ „Wenn wir Plan D ziehen müssen und Du Ja sagst, dann gehen wir zusammen an einen noch nicht näher bekannten Ort in Südwales, den Midlands oder den Scottish Lowlands, nehmen zwei unserer Trucks mit und fangen neu an. Wenn Du Nein sagst bleibst Du bei Julian und Marlon und ich frage Timo dasselbe. Wenn Ihr beide Nein sagt, fliegt einer raus, der andere bleibt bei Julian und Marlon, wenn er denn will.“
„Warum habe ich immer Pech?“ „Wie meinst Du das?“ „Mein erster Ausbildungsbetrieb war nicht toll, teilweise meinetwegen illegal gegenüber den ausgelernten Fahrern, aber der Laden funktionierte irgendwie. Bis einer der Fahrer das Maul aufgemacht hat und damit den Anfang vom Ende eingeläutet hat. Auf einmal merkten andere Fahrer auch, dass sie Rückgrat haben und es wurde unruhig, die Fahrer haben auf einmal auf Lenkzeiten und Ladungssicherung geachtet und sich nicht mehr alles bieten lassen. Damit war Schluss mit den über die Rasierklinge gerechneten Billigpreisen und der Laden ging 3 Monate zu früh für mich den Bach runter. Ich wollte da eh nicht bleiben, aber die Sintflut bitte erst nach meiner Ausbildung.
Dann werde ich von einem Betrieb übernommen, bei dem alles besser läuft, aber der mich in der damaligen Lage einfach nicht behalten durfte.
Und am Ende komme ich zu Euch, habe den Traum eines Truckers und bei Euch zählen Lenkzeiten noch was. Auch wenn man seinem 45-Stunden-Schnitt mal ziemlich nahe kommt, am Ende des Tages wird rechtzeitig angehalten. Ladungssicherung ist auch eher selten ein Thema, noch ein Vorteil von Flüssig- und Staubtransporten. Und wenn es doch mal sein muss, wird nicht einfach losgefahren, sondern man kann sich als Fahrer sicher sein, dass man bekommt, was man bekommen muss. Und wenn es nur die Rückendeckung von Dispo und Chefs ist, vorm Kunden so lange den dicken Max markieren zu können, bis die Ladung sicher ist. Aber jetzt droht wohl die Unternehmensauflösung, wenn Du wieder auswandern willst?“
„Na ja. Noch ist der Bär nicht tot, also kein Grund, das Fell schon zu verkaufen. Aber Du solltest Dir durchaus überlegen, welcher Teil vom Fell Dir für den schlimmsten Fall am liebsten wäre. Uns allen wäre natürlich lieber, wenn die Pläne A bis C schon funktionieren, nach denen das Unternehmen erhalten bleibt.“ „Ich denke spontan nein. Es hat mir auf der Tour da sehr gefallen, aber ich bin in Essen zu fest verwurzelt. Aber ich überlege noch mal ein Bisschen darüber, okay?“ „Ja, lass Dir ruhig Zeit. Selbst wenn der Ernstfall schnell eintreten würde, würde es bestimmt bis Mitte Januar brauchen, bevor Du und Timo Euch einig sein müsstet.“ „OK.“
Danach herrschte erst einmal betretenes Schweigen, während wir weiter gen Bremen rollten. Dort wechselten wir gegen eine eher normale Fracht. Zumindest konnten wir mal wieder ohne Beschilderung fahren. Während ich auf einen Tee und einen Satz Frachtpapiere in der Dispo war, durfte Ilarion also ankoppeln, die Ladungssicherung prüfen und die Schilder von der Stoßstange abbauen.

Auf der Hansalinie kamen wir an der Garage von Diektrans vorbei, die damals den DAF übers Internetforum zum Verkauf angeboten hatten. Wüsste gerne mal, wo der gelandet war. Irgendwann war er einfach als verkauft markiert.
Aber freiwillig würde ich sowieso keinen DAF kaufen. Ilarion hatte den Iveco Stralis Hi-Way für seine im Vergleich aufgeräumten und gut ablesbaren Instrumente gelobt. Wenn er das schon tat, obwohl sogar ich mir als Fan der Marke zumindest in Sachen Arbeitsplatz eher ein älteres Modell zurück wünschte, wollte ich erst gar nicht wissen, wie verspielt und fummelig der Arbeitsplatz im DAF sein musste.
Durch eine Zeit lang sehr schlechtes Wetter kämpften wir uns noch an Osnabrück vorbei, durch die östlichen Niederlande und bis an die Südgrenze von Belgien. Auch wenn es am Ende wieder klar gewesen war, kamen Regen und Nebel über Nacht zurück.
Auf der Fahrt Richtung Paris musste ich teilweise das Tempo auf 50 drosseln, weil der Nebel so dicht war, dass andere Fahrzeuge, Schilder und ganze Mautstationen erst knapp vor dem Truck sichtbar wurden.

Bei DB Schenker in Paris wechselten wir die Fracht. Ilarion schaute erst mal ein Bisschen verdutzt: „Wieso denn ADR-Klasse 2? Ich denke wir fahren Deodorant!“ „Ja. 9 Tonnen Ladung. Und davon sind vermutlich fast 4 Tonnen Treibgas.“ „Das heißt, ich sprühe mich jeden Morgen mit genauso viel Butangas wie Deo ein?“ „Du und einige Millionen Menschen mehr. Ich weiß schon, warum ich Roller statt Spray nehme.“
Um halb 12 steuerte Ilarion mit unserem wohlriechenden Gefahrgut aus Paris hinaus.

Ereignislos ging es nach Albi und mit tiefgekühlten Gänsen am Freitag zurück ins Rheinland. Der Trailer gehörte allerdings zu denen, die ein großer Getränkehersteller mit Werbung hatte bepflastern lassen und passte nicht so recht zum Inhalt.

Trotz der Ankunft erst nach 8 Uhr abends ging es noch in die Waschkabine, die die sechste Bahn belegte, die eigentlich auch noch hier hin gepasst hätte, und ans Aussaugen. Ein Blick in die Halle zeigte mir, dass Marlon und Chris noch nicht da waren. Der Magnum fehlte. Julian und Timo waren aber schon da.
Nachdem wir fertig waren, ging Ilarion zur S-Bahn und ich in die Wohnung. Wegen einer Vollsperrung waren Marlon und Chris 4 Stunden stecken geblieben und hatten es deshalb heute nur noch bis vor Frankfurt geschafft.
Das gab mir am kommenden Tag die Möglichkeit, Chris Platz zu dekorieren. Grünes Licht von Marlon und Julian hatte ich. Also drapierte ich den Hefter mit dem Angebot von Volvo, ein Kalenderblatt Februar 2015 und das Modell, dessen Zugmaschine ich in unseren Farben angemalt hatte, auf seinem Platz im Besprechungsraum.
Als sie nach getaner Zugmaschinensäuberung hoch und in den Raum kamen, konnte ich Chris Körperhaltung nicht so recht einschätzen. Da war immer noch dieses unerträglich herablassende, aber irgendwo auch eine Mischung aus Bedauern und schlechtem Gewissen. Mal sehen, was er zu sagen hatte.
Er sah den Aufbau, wechselte die Gesichtsfarbe von normal über blassweiß zu knallrot, während er die Tragweite dieses Arrangements auf seinem Platz so langsam begriff. Hastig blätterte er in dem Angebot.
„Ich muss mal schnell telefonieren.“ Er hatte so leise und schnell gesprochen, dass wir es nur verstanden, weil er gleichzeitig sein Handy aus der Tasche nahm und darauf herumtippte. Dann war er aus dem Besprechungsraum verschwunden.
Wir waren sprachlos und starrten uns noch an, bis er wieder zur Tür rein schaute. „Da habe ich mächtig Mist gebaut. Ich muss noch mal ein paar Tage weg fahren und die Sache vor Ort klären!“
Die sichtbaren Spuren meines Wutausbruchs waren ein jetzt aus Fahrgestell, Fahrerhaus und dem Plastikeinsatz aus Kühlergrill und Inneneinrichtung bestehendes Volvo-Modell mit Auflieger zerlegt in Rahmen und mittig in zwei Hälften gespaltenen Tank. Dazu eine ziemlich deftige Macke in der Tür vom Besprechungsraum.
Julian musste mich in ein kleines Handgemenge verwickeln, um mich im Besprechungsraum zu halten. Marlon und Chris waren aus dem Treppenhaus zu hören: „Chris, wenn wir Dir helfen können, dann rede doch mit uns.“ „Nein. Das habe ich mir alleine eingebrockt, aus der Nummer muss ich auch alleine wieder raus kommen!“
Dann hörte ich Schritte auf der Treppe und schließlich die Haustür. Aus dem Fenster sah ich Chris über den Hof zur Straße und Richtung S-Bahn weggehen.
„Jetzt reicht es! Ich buche eine kleine Rundreise durch Großbritannien! Es ist aus!“ Julian setzte sich auf seinen Stuhl und fing an zu heulen. Marlon versuchte zu beschwichtigen: „Jetzt mach bitte nichts unüberlegtes.“
„Ich habe mir das schon ganz genau und seit 2 Wochen überlegt. So ein großes Weihnachtswunder kann es gar nicht mehr geben, wie es hier braucht!“ „Das ist bedauerlich.“ „Dann hofft und betet, dass er geht. Oder wenn Ihr mich unbedingt halten wollt, ergreift verdammt noch mal endlich Partei für eine außerordentliche Kündigung des Gesellschaftervertrages mit Chris!“ „Nein!“ „Doch!“ „Julian, bitte. Das hatten wir geklärt!“
Ich ließ die beiden mit ihrer aufkommenden Debatte zurück, die begann, dahin zu zielen, dass Julian sich eher von seinem Bruder lossagen könnte als von mir und setzte mich an meinen PC. Frühester Flug zu einem bezahlbaren Preis nach London war am Montagvormittag von Köln nach Gatwick.
Der Montag war dann sowieso in Sachen Maklertermine gelaufen. Also nahm ich mir aus Kostengründen einen Mietwagen erst am Dienstag in Newport. Nach Südwales konnte man von Gatwick auch bequem mit dem Zug fahren.
Julian steckte traurig den Kopf durch die Tür: „Du ziehst das durch?“ „Nach wie vor nur wenn wir uns weder einigen noch er freiwillig geht noch Ihr beide die nötige Mehrheit für seinen Rauswurf aufbringt. Aber zumindest die Version mit dem Einigen habe ich eh langsam abgeschrieben.“ „Wann reist Du ab?“ „Ich habe am Dienstag um halb neun den ersten Termin mit einem Makler in Newport und für viertel nach elf einen in Pontypridd bei Cardiff. Flug ist für Montag gebucht, früher gab es nix.“
„Dann verordne ich Dir morgen als Ablenkung Fußball.“ „Was?“ „Ja, ich bestelle zwei Karten für VfL Bochum gegen Erzgebirge Aue und Du kommst mit. Keine Widerrede!“ „Bestell 3!“ Timo hatte die ganze Zeit hinter Julian gestanden und starrte mit leerem Blick durch mich durch.
„Was? Du alter Schalker?“ „Ja und? Einfach blau-weiß anfeuern. Ist jetzt kein Neuland für mich und ‚Bochum, ich komm aus Dir‘ kriege ich auch gerade so hin.“ „Also gut, habe außer packen ja eh nix besseres zu tun.“
„Das war’s dann also wirklich? Ich denke, uns passiert nichts.“ Timo klang vorwurfsvoll. „Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber irgendwann ist sie tot! Wenn Du mit mir rüber nach Großbritannien gehst, passiert Dir auch nix, wenn hier Schluss sein sollte. Nur dass Du dann vermutlich den Magnum mitnehmen darfst und den Premium hier lässt.“
„Und wenn ich nicht mit gehe?“ „Ilarion hat die gleiche Frage gestellt bekommen, war aber spontan nicht begeistert. Einer kann bei Marlon und Julian bleiben, einer bei mir. Wenn keiner mit übern Kanal ziehen will, fliegt leider einer von Euch raus.“ „Ach so. Na gut. Ich erinnere mich dann mal besser dran, wie katholisch ich eigentlich bin und fange mit beten an, dass hier alles noch ins Lot kommt und wir hier bleiben. Und wenn nicht, lerne ich auch noch ‚God Save The Queen‘! Ich würde spontan sagen, ich gehe mit, wenn es gar nicht anders zu lösen ist! Hauptsache ich kann mir da mein eigenes Essen kochen. Sonst ist es ja nicht so schlecht auf der Insel.“
Marlon machte sich wieder vom Acker zu Judith, die Spannungen zwischen ihm und Julian waren spürbar. Letzterer sperrte sich in seinem Zimmer ein. Timo verschwand zu seinem Kumpel und ich telefonierte mit meiner Mutter. Schon alleine, weil ich ihr klar machen musste, dass ich Heilig Abend zum zweiten Mal hintereinander wieder nicht zur Familie kommen würde.
