1. Alles auf Anfang

Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts waren angebrochen. Inzwischen hatte ich eine Fünf vorne in meinem Alter und ich stand inzwischen vor den Scherben meines Lebens.

Ehe kaputt, Gesundheit kaputt und Job weg. Das war in Kurzform meine aktuelle Lebenssituation. Ein bisschen Geld war mir geblieben, nachdem das gemeinsame Reihenmittelhaus, welches in Menden, einer Stadt im Nordwesten des Sauerlandes lag, verkauft war.

Was sollte ich damit anfangen. Was konnte ich tun, was mir meine Gesundheit zuließ? Die war sowieso ein Thema für sich. Die körperlichen Beschwerden hielten sich in Grenzen. Durch eine langwierige, sitzende Tätigkeit gab es natürlich den obligatorischen Bandscheibenvorfall. Langes Laufen war durch einen Fersensporn und eine Arthrose in den Kniegelenken auch nicht wirklich meins. Irgendwann hatte ich beim Lesen auch noch festgestellt, dass mit zunehmendem Alter gefühlt die länge der Arme abnahm. Jedenfalls reichte sie nicht mehr, um Schriftstücke mit kleiner Schrift zu lesen und gerade im Kleingedruckten standen in wichtigen Dokumenten meist die Sachen, mit denen man aufs Kreuz gelegt wurde.

Die psychischen Einschränkungen waren aber die gravierenderen. Eine sogenannte kombinierte Persönlichkeitsstörung schränkte mich ein. Die eine forderte Perfektionismus von mir und die andere beschränkte meine Selbstsicherheit. Das war eine blöde Kombination.

Jeder, der sich mal im Berufsleben befunden hat, weiß, dass es quasi unmöglich ist, seine Aufgaben ohne Fehler zu bewältigen. Es heißt ja nicht umsonst, wer Arbeitet macht Fehler. Wenn es einen dann völlig fertig macht, wenn der Vorgesetzte einen auf die Fehler hinweist, ist das schon ein Problem. Das ist schon problematisch, wenn der Kritiker seine Anmerkungen einfühlsam und konstruktiv äußert. Wenn das Ganze auch noch im rauheren Tonfall passiert, wird die Sache nicht besser. Letzteres endete bei mir in einer Depression. Durch die andauernde Krankheit war dann eben noch der Job weg.

So! Genug rumgejammert. Ich ließ mein Leben Revue passieren und versuchte rauszufinden, wo das Risiko, erneut zu erkranken, am geringsten war. Es gab nicht viele Tätigkeiten, bei denen ich mir sicher war, dem eigenen Leistungsanspruch zu genügen. Es gab aber eine Sache, bei der ich genau wusste, was ich tat und was ich zu tun hatte. Diese Tätigkeit hatte ich knapp 20 Jahre in meinem bisherigen Berufsleben ausgeführt. Die nächste Frage ließ sich auch leicht beantworten. Wie vermeidet man am besten, von einem Vorgesetzten kritisiert zu werden? Indem man keinen Vorgesetzten hat. Also Selbstständigkeit.

Mein Eigenkapital würde sicher nicht ausreichen, um alles, was ich dafür brauchte, zu kaufen, ein gutes Konzept, langjährige Erfahrung und gute Kontakte würden aber reichen, um eine Bank davon zu überzeugen, mir ein Existenzgründungsdarlehen zu geben. Die langjährige Erfahrung und die guten Kontakte waren nach über 30 Jahren in der Logistik auf beiden Seiten des Schreibtischs vorhanden. Nun ging es darum, ein gutes Konzept zu erstellen.

Übrigens, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Müller, Marc Müller.

Mein Konzept sah das vor, was man als Alleinunterhalter in der Logistik allenfalls machen konnte. Mehr wäre am Anfang sowieso nicht möglich. Die fachliche Eignung ist durch meinen Berufsabschluss als Speditionskaufmann und der entsprechenden Berufserfahrung gegeben. Die finanzielle Eignung lag durch das Eigenkapital, welches ausreichte, um eine GmbH zu gründen, ebenfalls vor. Für die Gründung einer GmbH, die Gewerbeanmeldung und die Beantragung einer EU-Lizenz würde ich einen Anwalt einschalten. Ich kannte aus meinem Rechtsstreit mit meinem Ex- Arbeitgeber einen guten Anwalt für Arbeitsrecht. Dieser war Namenspartner in einer Kanzlei mit mehreren Anwälten. Auch der Hausverkauf und meine Scheidung wurden durch diese Kanzlei abgewickelt. Dort hatte man auch einen Anwalt, der sich in diesem Bereich auskannte.

Als Nächstes stand auf meiner Liste, meine Kontakte abzuklappern, um zu schauen, wer denn als Kunde für mich in Frage kam, oder besser, wer mich als Transportunternehmer einsetzen würde. Um einen Kredit bei der Bank zu bekommen, bräuchte ich mindestens einen Vertrag mit einer monatlichen Umsatzgarantie. Besser wären natürlich mehrere. Wobei das vermutlich mit einem LKW schwierig wurde.

Ich bekam bei dem Gedanken schon wieder Magenkrämpfe. Meine Unsicherheit wurde wieder größer. Was, wenn ich keinen Auftraggeber finden würde. Wenn doch, würde ich die Anforderungen erfüllen können? War ich überhaupt in der Lage, das alles zu schaffen?

Ich wischte den Gedanken an die Seite. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich war schon ganz unten. Es konnte also nur noch aufwärts gehen.

Am darauffolgenden Montag hatte ich den Termin in der Anwaltskanzlei im Zentrum von Unna. Bisher war ich mit dieser Kanzlei immer erfolgreich gewesen. Daher vertraute ich ihnen bedingungslos.
Mich begrüßte Dr. Michael Bergmann, ein agiler Mittdreißiger. Er führte mich in sein stilvoll eingerichtetes Büro.
Wir nahmen am großen Besprechungstisch platz, der auf einer Seite des Raumes stand. Der ausladende Schreibtisch stand auf der anderen Seite. „Wenn wir hier sitzen, haben wir ausreichenden Abstand und können die Masken ablegen.“, erklärte Bergmann. „Herr… Müller. Sie wollen sich also in der Speditions- und Transportbranche selbstständig machen. Haben Sie sich das gut überlegt?“ „Das habe ich.“, antwortete ich. „Im Jahr 1989 habe ich meine Ausbildung zum Speditionskaufmann begonnen. Seitdem war ich in der Logistikbranche in so ziemlich jeder Position tätig. Da macht mir so schnell keiner was vor.“ Bergmann nickte nachdenklich. „Dann wissen Sie, dass es nicht gerade einfach wird.“ „Das weiß ich. Ich erwarte auch nicht, dass es einfach wird. Aber ich kann nichts besser, als das.“ „Warum wollen Sie nicht als Angestellter arbeiten?“ „Das würde mein psychisches Problem nicht ändern.“Aber Sie meinen, den psychischen Druck als Unternehmer können Sie bewältigen?“ „Wissen tue ich es nicht. Aber die Chancen stehen gut.“ „Das ist eine harte Branche. Fahrermangel, billige Konkurrenz aus Osteuropa, die Preise sind im Keller…“ „Das ist mir alles bekannt. Ich werde als ein Mann Firma beginnen. Ich fahre selbst, mache selbst die Auftragsbearbeitung und die Abrechnung. Ein früherer Schulfreund von mir ist Steuerberater. Ihn werde ich für die Buchhaltung und die Abschlüsse nehmen.“ „Sie haben schon alles durchdacht.“, sagte Bergmann anerkennend. „Das zeigt mir, dass sie es ernst meinen und dass sie alles gut abgewogen haben.“ „Wäre schlecht, wenn nicht.“, sagte ich grinsend. „Gut. Wir melden ein Gewerbe für Spedition und Transporte an. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen Sie eine GmbH gründen. Haben Sie die 25.000 Euro Mindestkapital, oder müssen wir eine u.G. Gründen?“ „Das Kapital habe ich aus meinem Hausverkauf. Ich werde es aber vermutlich auch als Eigenkapital benötigen, um mir ein Grundstück und eine Halle als Firmensitz zu kaufen.“ „Das geht in Ordnung. Das Kapital muss ja nicht bar im Tresor liegen. Das geht genauso gut als Sacheinlage. Und welche Sacheinlage ist sicherer als ein Grundstück oder eine Immobilie? Haben Sie denn nur genau 25.000 Euro oder mehr?“ „Mehr. Ein Grundstück mit einer günstigen Gewerbeimmobilie dürfte drin sein.“ „Das klingt gut. Das Geld für eine Sattelzugmaschine ist dann zusätzlich aber nicht mehr drin. Oder?“ „Nein. Das muss ich dann aufnehmen.“ „Sie denken daran, eine Zugmaschine zu leasen?“ „Ungern. Wenn ich dann die Raten in einem schlechten Monat nicht mehr zahlen kann, ist die Maschine weg und ich bin quasi pleite.“ „Woran denken Sie dann?“ „An einen Bankkredit und einen Barkauf einer gebrauchten Zugmaschine. Später dann auch an einen eigenen Auflieger.“ „Also lieber eine eigene, gebrauchte Zugmaschine, als eine neue, geleaste?“ „Das ist mir lieber.“ „In Ordnung. Sie sind der Boss.“ Bergmann machte sich ein paar Notizen. „Dann mache ich alles soweit fertig. Wie soll die Firma denn heißen? Spedition Müller GmbH?“ „Ich glaube, dafür habe ich den falschen Nachnamen. Da fehlt das Alleinstellungs-Merkmal.“ „Verstehe. Zu viele Müllers. Alles Müller, oder…“ „Bitte nicht.“, stöhnte ich auf. „Haben Sie denn eine Idee für einen Namen?“ „Meine Transporte sollen nach dem Grundsatz schnell, sicher und zuverlässig laufen. Da ich europaweite Transporte anbieten will, möchte ich das ganze international halten. Ich dachte an Eurospeed Logistics GmbH.“ Das klingt zumindest modern und innovativ. Haben Sie den Namen geprüft?“ „Es gibt europaweit sicher einige Unternehmen mit dem Namen. Das bekannteste Unternehmen ist eine große Speditionsgesellschaft aus Bulgarien. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass es in Deutschland erheblich mehr Speditionen und Transportfirmen mit dem Namen Müller gibt.“ „Mit Sicherheit.“, sagte Bergmann lachend. „Ich werde die rechtliche Situation prüfen. Also ob uns da ein eingetragenes Warenzeichen im Weg steht. Ansonsten werde ich die Anmeldung vornehmen.“ Wir besprachen noch mehrere Details, danach war der heutige Termin beendet.

Zurück zu Hause, überlegte ich, wie die nächsten Schritte aussehen sollten. Ich brauchte einen Firmensitz. Dazu musste ich mir überlegen, wo dieser sein sollte. Mein aktueller Wohnsitz lag in Menden im Märkischen Sauerland. Dort hatte ich mir eine kleine Wohnung genommen, als ich mich getrennt hatte. Hier hatte ich auch meine letzte Arbeitsstelle. Den Job hatte ich verloren, weil DHL Freight meinen befristeten Arbeitsvertrag aufgrund meiner andauernden Krankheit nicht verlängert hat und nicht, weil ich schlechte Arbeit geleistet hatte. Der Bürojob, den ich angenommen hatte, nachdem ich den letzten Fahrerjob aufgeben musste, war aber sowieso nicht wirklich mein Ding. Trotzdem hatte ich auch hier gute Kontakte.

Menden lag aber nicht wirklich optimal, wenn man nicht gerade hier gute Kunden hatte. Geboren war ich in Hagen. Ich mochte die Stadt aber nicht wirklich und wollte auch nicht unbedingt wieder hierhin zurück. Ich hatte hier zwar meine erste, eigene Wohnung gehabt, trotzdem musste ich hier nicht hin.

Aufgewachsen war ich in Herdecke. Einer 25.000 Einwohner Stadt, die genau zwischen Hagen und Dortmund lag. Die Kleinstadt war schön und ich hatte hier immer gerne gelebt. Sie war aber auch teuer. Daher fiel Herdecke leider aus.

Meine Wahl fiel schließlich auf Dortmund. Hier war ich ein paar Jahre zur Schule gegangen. Herdecke, wo meine Eltern noch lebten, war nur einen Steinwurf entfernt. Auch zu meinem geliebten Sauerland war es nicht weit. Außerdem war es sehr verkehrsgünstig.

Bei der Internet Recherche nach Gewerbeimmobilien stieß ich auch auf ein Angebot der Stadt Dortmund. Dort wurden in regelmäßigen Abständen Gewerbeimmobilien versteigert. Diese waren nach dem Konkurs von Firmen in den Besitz der Stadt übergegangen, um Steuerschulden zu tilgen. Am Ende der Woche sollte wieder eine entsprechende Auktion stattfinden. Es gab auch schon eine Liste der Objekte, damit man schon vorher einen Blick auf Grundstücke und Gebäude werfen konnte. Die Liste druckte ich mir aus. Vielleicht war da ja was für mich bei.

Als nächstes überlegte ich, mit wem ich Kontakt aufnehmen könnte, um potentielle Auftraggeber zu finden. Spontan fielen mir zwei Namen ein, bei denen ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Vertrag bekommen würde. Mein ehemaliger Chef bei DHL Freight in Menden und mein letzter Disponent, bei dem ich als Fahrer gearbeitet hatte. Letzterer hatte vor einem Jahr den Arbeitgeber gewechselt und war inzwischen Niederlassungsleiter bei der Raben Trans European Germany GmbH in Kamen. Beide Unternehmen suchten eigentlich immer Frachtführer. Außerdem bestand bei beiden die Möglichkeit, als Unternehmer im Trailer Trucking zu fahren. Das würde mir ersparen, direkt am Anfang einen eigenen Auflieger zu kaufen.

Was mich an dem Gedanken ein wenig störte, war die Tatsache, dass ich bei beiden im Prinzip nur Subunternehmer eines Spediteurs war. Mir wäre es lieber, direkt für eigene Kunden aus der Wirtschaft zu fahren. Andererseits war es ein Anfang, wenn ich wenigstens ein, zwei Verträge mit einem monatlichen Mindestumsatz hatte.

Trotzdem überlegte ich, wen ich denn noch gut kannte, der mir vielleicht Aufträge verschaffen konnte. Ich machte mir eine Liste fertig und dann hieß es Klinkenputzen.

Am Dienstag begann ich die nährere Umgebung um meinen Wohnort Menden abzuklappern. Ich hörte aber immer wieder folgende Sätze. „Bist du sicher, dass du das schaffst? Ich meine, du warst lange krank. Wenn wir einen neuen Transportpartner einsetzen, dann müssen wir uns da auch drauf verlassen können. Es bringt uns nichts, wenn wir dir einen Auftrag geben und du uns dann kurz vorher anrufst und sagst, dass du nicht fahren kannst, weil du wieder krank bist.“ Meine Gegenargumente zogen meist wenig. „Eine Umsatzgarantie geht schon mal gar nicht. Wenn du vielleicht nur eine Woche im Monat fahren kannst, wie sollen wir dann den Mindestumsatz erreichen?“

An diesem Tag fuhr ich durch Menden, Hemer, Iserlohn, Hagen und Schwerte. Das Ergebnis war schließlich ein Angebot, was ich, wie erwartet, von meinem letzten Chef bei DHL bekam: „Okay Marc. Wir geben dir eine Chance. Wenn du hier warst, hast du ja gute Arbeit geleistet. Allerdings kann ich den Mindestumsatz nicht allzu hoch einsetzen. Wir müssen am Anfang erstmal schauen, wie zuverlässig du bist. Hast du denn vor, ausschließlich für uns zu fahren?“ „Eigentlich nicht.“, druckste ich rum. „Das ist wenigstens ehrlich.“ „Ich möchte mich nicht nur an einen Auftraggeber binden. Da ist mir das Risiko zu groß.“ „Das kann ich gut verstehen. Das ist auch richtig so. Nur mit unserem Angebot würdest du auch nicht über den Monat kommen. Aber wir haben ja auch noch unsere anderen Unternehmer. Da ist es nur gerecht, wenn du auch für verschiedene Kunden fährst.“ Ich atmete erleichtert auf. „Wir machen dir einen Standardvertrag fertig. Ladungsverkehre und Trailer Trucking. Soll ich dich nur für DHL Freight freischalten?„Was würde denn sonst noch gehen?“ „Also Ladungsverkehre und Trailer Trucking würde ich so lassen. Ich könnte dich aber auch noch für die weiteren Konzernbereiche DHL Express, DHL Supply Chain, DHL Paket und DHL Global Mail freischalten. Gerade, wenn es um Rückladungen geht, ist das Angebot dann größer.“ „Einverstanden.“ „Okay. Ich schicke dir den Vertrag dann zu. Du schickst mir ein Exemplar unterschrieben zurück, danach kann es losgehen.“ „Ich danke dir.“ „Es hat mir immer ein wenig leidgetan, dass wir deinen Arbeitsvertrag nicht verlängern konnten. Daher bin ich dir da jetzt entgegen gekommen.“

Zurück zu Hause, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Gut. Ich hatte einen Vertrag. Aber auch nur den, mit dem ich vorher bereits gerechnet hatte. Bei den anderen, wo ich mir ebenfalls was erhofft hatte, bekam ich nur Absagen. Da hatte sich gezeigt, wie wenig manche meiner guten Kontakte letztlich Wert waren. Andererseits einen Tag Klinken geputzt, einen Vertrag. Wenn es so weiter gehen würde, hätte ich Ende der Woche zumindest so viel zusammen, dass ich starten könnte.

Am heutigen Mittwoch hieß es Klinkenputzen die Zweite. Für den Vormittag nahm ich mir meine Kontakte im Ennepe-Ruhr-Kreis vor. Breckerfeld, Ennepetal, Schwelm, Gevelsberg, Wetter und Herdecke. Ohne Erfolg. Meine Kontakte die ich zu meiner Zeit, als Fahrer eines Subunternehmers der Schmidt-Gevelsberg GmbH hatte, waren entweder schon in Rente oder hatten die Firmen verlassen. Ich musste aber zugeben, dass ich dort in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gearbeitet hatte. Das war vielleicht doch zu lange her. Die Nachfolger in den vakanten Positionen gaben mir entweder sofort eine Absage oder notierten sich wenigstens meine Kontaktdaten. Ich vermutete aber, dass sich von denen keiner jemals melden würde. Die Mittagspause machte ich schließlich bei meiner Mutter in Herdecke.

„Und? Wie läufts?“, fragte sie mich beim Essen. „Heute gar nicht.“, gab ich zu. „Ich verstehe sowieso nicht, dass du dir das wieder antun willst.“ „Was meinst du?“ „Die Fahrerei. Hat dich das nicht krank gemacht?“ „Der Fahrerjob war das weniger. Die wechselnden Schlafzeiten sind zwar nicht gut für mich, aber das war ja nicht die Ursache.“ „Und du meinst nicht, dass du im Büro besser aufgehoben bist?“ Nicht wirklich.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf und wir aßen erstmal weiter.
Nach einer Weile sagte sie dann doch wieder was: „Aber deine Ehe hat der Job auf dem Gewissen.“ „Das stimmt eigentlich so auch nicht. Während ich gefahren bin hat sie gehalten. Das ging erst in die Brüche, als ich krank wurde und dadurch ständig zu Hause war.“ „Aber wenn du früher mehr zu Hause gewesen wärst…“ „hätte die Ehe keine 20 Jahre gehalten. Dann wäre sie schon vorher zu Ende gewesen.“ „Du musst es ja wissen.“ „Jetzt bin ich glücklicher Single. Kein Streit, keine Kompromisse.“ „Aber auch keine schönen Seiten. Keine Zweisamkeit, Keine Enkelkinder für mich.“ „Die gab es auch nach 20 Jahren Ehe nicht.“ „Auch wahr.“ „Ich weiß, was ich da mache.“ „Na hoffentlich.“

Für den Nachmittag nahm ich mir Dortmund vor. Auch hier herrschte lange Fehlanzeige. Warum wollte ich die Firma hierhin legen??? Langsam zweifelte ich an der Idee. Wenn ich nur für DHL fahre, kann ich auch in Menden bleiben. Kurz vor Feierabend kam noch das Licht am Ende des Tunnels. Hoffentlich kam das nicht von dem Zug, der mich überrollen wollte.

Ich war im Bauhaus in der Dortmunder Nordstadt. Hier kannte ich Holger Schenk, den Leiter vom Lager und dem Wareneingang. Ich saß mit Holger in seinem Büro, einem kleinen Glaskasten im Lager. Ich hatte ihm mein Konzept vorgestellt und ihm gesagt, dass ich ihn gerne als Kunden gewinnen würde. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich was für dich tun kann.“, überlegte er. „Die meisten Waren werden hier frei Haus von den Spediteuren der Lieferanten angeliefert. Da haben wir keinen Einfluss auf die Wahl des Logistikers. Bei den Lieferanten, die unfrei anliefern, wird die Spedition in der Regel von der Deutschland Zentrale in Mannheim oder selten von der Europazentrale in der Schweiz vorgegeben.“ „Da hatte ich nicht dran gedacht.“, gab ich zu. „Was ich schonmal vergeben kann, sind Ladungen mit Leerpaletten zu den Lieferanten oder auch mal Verpackungsmüll. Da gibt es aber nicht viel Geld für.“ „Natürlich nicht.“ Ich überlegte kurz. „Selbst habt ihr nichts im Ausgang?“ „Wenig.“, sagte Holger. „Wir sind ein Baumarkt. Da holen die Kunden selbst ab. Von den paar Sachen, die wir als Lieferservice versenden, wirst du auch nicht satt. Außerdem geht das dann an Privatkunden im Raum Dortmund. Was willst du da mit ’nem Sattelzug?“ „Tretet ihr nicht als Großhändler auf?“ „Das kommt vor, aber auch nicht so oft. Die meisten Großhandels-Aufträge werden direkt vom Lieferanten als Streckengeschäft zum Kunden geliefert. Wir ziehen das nur bei Neutralität über unser Lager.“Aber ab und zu könntest du mir da was zukommen lassen.“ „Ab und zu. Den Umsatz kann ich dir aber nicht garantieren.“ „Besser als nichts.“ „Ich werde auf jeden Fall auch mit meinem Ansprechpartner in Mannheim reden. Vielleicht bekomme ich so was hin.“ „Danke, Holger.“

Ich wollte gerade gehen, da sagte er: „Moment. Warte mal. Mir fällt da gerade was ein.“ „Okaay.“ „Kommst du an Tieflader ran?“ „Wieso Tieflader?“ „Wir steigen mit ein paar Niederlassungen demnächst als Baumaschinenvermietung ein.“ „So was wie HKL?“ „Ganz genau. Da soll, laut Planung alles vermietet werden. Mit kleinen Geräten machen wir das ja schon länger. Nicht nur für den Heimwerker. Inzwischen auch in Profi Qualität. Jetzt hat die Zentrale beschlossen, das im großen Stil anzubieten. Vom Minibagger bis zum großen Raupenbagger. Auch Radlader und Gabelstapler und so weiter.“ „Klingt nicht schlecht. Aber was verdiene ich am Transport von hier nach Aplerbeck oder Hombruch?“ „Da wirst du nicht mit auskommen.“, sagte Holger. „Da wir uns nicht an jedem Baumarkt sämtliche Großgeräte hinstellen können, werden die, je nach Bedarf transportiert. Das kann zum Beispiel auch heißen, dass die Maschine in München steht, aber nach Dortmund muss oder umgekehrt.“ „Ach so.“ „Aus Platz und Kostengründen wird das so laufen. Wir werden also keinen Platz wie HKL bekommen, wo 20 Baumaschinen stehen. Der Kunde kann sie im Baumarkt ordern und wir liefern die Maschine frei Baustelle. Nach Gebrauch holen wir sie wieder ab und bringen sie zu einem Baumarkt, der gerade Platz dafür hat.“ „Klingt interessant.“ „Schaff dir einen Tieflader an und du kannst das für uns fahren.“ „Ich denke, Anfangs werde ich mir die Trailer eher mieten müssen.“ „Vielleicht bekommen wir ja auch eigene.“ „Okay Holger. Du legst da ein gutes Wort für mich ein?“ „Klar. Wir sind schließlich alte Kumpels.“

Als ich zu Hause war, zog ich dann doch ein positives Resümee. Der Tag hatte beschissen begonnen, sich aber mit dem Gespräch mit Holger doch noch gut entwickelt. Ich setzte vor allem Hoffnungen in die Baumaschinenvermietung. Das klang gut und lukrativ.

Am Donnerstag nahm ich mir das nächste Gebiet zum Klinkenputzen vor. Wickede (Ruhr), Werl, Hamm, Bönen, Unna und Kamen standen auf meiner Liste. Auch hier war der Großteil des Tages von Misserfolgen geprägt. Leute, mit denen ich Jahrelang gut zusammengearbeitet hatte, zweifelten aufgrund meiner Krankheit in den letzten Jahren, an meiner Zuverlässigkeit. Auch hier zeigten sich wieder die wahren Freunde oder Kollegen.

Zum Abend hin, es dämmerte schon, fuhr ich noch zu Raben. Mit der Spedition hatte ich nie vorher zu tun. Das Kaltwalzwerk auf der anderen Straßenseite war mir besser bekannt. Aber auch dort hatte ich eine Absage bekommen.

Ich wollte gerade bei Raben ins Büro, da kam mir im Eingang Daniel Schröder, mein früherer Disponent entgegen. Hier war er jetzt Niederlassungsleiter. „Hallo Marc.“, sagte er erstaunt. „Hast du dich verlaufen?“ „Hallo Daniel. Eigentlich nicht. Ich wollte zu dir.“ „Suchst du einen Job?“, fragte er direkt. „Fahrer wie dich könnte ich gut gebrauchen. Allerdings nur, wenn du wieder fit bist. Ein kranker Fahrer bringt mir auch nichts.“ „Schon klar.“, antwortete ich. „Brauchst du auch Subunternehmer?“ „Nicht so dringend wie Fahrer.“ „Also eher nicht…“ „Das habe ich nicht gesagt. Hast du dich etwa selbstständig gemacht?“ „Bin gerade dabei. Dafür suche ich nach Auftraggebern.“ „Ich wollte zwar gerade nach Hause, aber lass uns noch mal eben ins Büro gehen.“

Wir gingen in Daniels Büro. „Doch schicker, als dein altes in Wickede.“, stellte ich fest. „Ist ja auch ein Unterschied ob man Disponent ist oder Niederlassungsleiter.“ „Wohnst du denn noch in Wickede?“ „Momentan ja. Wir haben noch nicht das richtige gefunden. Außerdem ist das ja auch nicht soo weit.“ „Okay. Zum Geschäftlichen. Was könntest du mir denn als Subunternehmer anbieten?“ „Eigentlich alles. Von der Dauerbeschäftigung bis zu gelegentlichen Einsätzen. Dauerbeschäftigung natürlich nur, wenn du wieder richtig fit bist. Aber sonst würdest du dich ja nicht selbstständig machen.“ „Gilt der Vertrag dann nur für Kamen?“ „Das wäre nur der Fall bei Stückgut Nahverkehr oder Linienverkehr. Aber so wie ich dich kenne, ist das nicht dein Ding.“ „Du sagst es.“ „Was hast du denn für ein Fahrzeug? Sattelzug? Gliederzug Wechselbrücke? Fahren kannst du ja alles.“ „Vermutlich vorerst nur eine Zugmaschine. Später kompletter Sattelzug.“ „Das schränkt die Sache natürlich ein. Ladungsverkehre oder Sammelgut?“ „Bei Sammelgut nur den Hauptlauf.“, sagte ich grinsend. „Also Ladungsverkehre.“, blieb Daniel ernst. „Das ganze anfangs im Trailer Trucking. Linie oder Begegnungsverkehr entfällt?“ „Wenn, dann nur ungerne.“ „Kein Problem. Wir haben auch genug Komplettladungen. International?“ „Sehr gerne.“ Wie sieht es mit Osteuropa aus?“ „Bin ich da nicht zu teuer für?“ „Das lass unsere Sorge sein.“ „Dann ja.“ „Also europaweit.“ „Vom Nordkapp bis zum Mittelmeer…“ „…fahren wir im Nahverkehr. Ja klar.“ „Ich hätte ja jetzt Direktverkehr gesagt.“ „Whatever.“, sagte Daniel grinsend. „Für die Bank brauchst du sicher einen Vertrag mit garantiertem Mindestumsatz.“ „Wäre gut.“ „Kriegen wir hin. Allerdings ist der anfangs noch nicht so hoch. Wir müssen ja erstmal sehen, wie sich das so entwickelt.“ „Schon klar.“ „Ich hoffe, es reicht, wenn ich dir den morgen fertig machen lasse. Jetzt will ich nämlich nach Hause.“ „Natürlich.“ „Dann schmeiß ich dich jetzt raus.“ „Okay. Bis die Tage.“

Zu Hause ließ ich wieder den Tag Revue passieren. Ich hatte zwar bisher jeden Tag was erreicht, allerdings waren zwei Verträge auch von Spediteuren. Da war es, aufgrund der allgemeinen Fahrerknappheit, klar gewesen, dass man händeringend was suchte. Aus Produktion und Handel hatte ich aber nur die noch nicht wirklich feste Geschichte vom Bauhaus. Morgen war die Auktion. Da hatte ich keine Zeit, Kunden zu akquirieren. Das ginge erst wieder in der kommenden Woche. Mit den beiden Verträgen hatte ich aber schon einen gesunden Grundstock, der mir bei meiner Bank sicher helfen würde.

Während ich die letzten Tage eher leger in Jeans, Hemd und Lederjacke unterwegs war, nahm ich am heutigen Freitag doch den Anzug und die Krawatte. In der Logistikbranche wurde das ja locker gesehen. Aber heute ging es um Immobilien. Da gehörte der Anzug zum guten Ton. Während ich frühstückte, nahm ich mir die Liste vor, die ich ausgedruckt hatte. Nun begann ich erstmal zu streichen. Ladenlokale und Büroetagen in Verwaltungsgebäuden konnte ich nicht gebrauchen. Alles, was sich in der Dortmunder Innenstadt befand, war auch nichts für mich. Für die letzten zehn Objekte machte ich mir den PC an und schaute mir die Adressen zuerst auf Google-Maps an. Dabei fiel nochmal die Hälfte weg, weil die Adressen in Mischgebieten lagen, die Zufahrt durch ein Wohngebiet führte oder sie einfach verkehrsungünstig lagen. Von den letzten fünf Adressen waren zwei definitiv zu groß. Das wäre alleine von der Fläche des Grundstücks schon viel zu teuer. Die letzten drei kamen in die engere Wahl. Die erste lag im Gewerbegebiet Dortmund-Wickede, nördlich des Flughafens, Die zweite war nordöstlich des Stadtzentrums, im Norden von Dortmund-Körne an der Hannöverschen Straße und die dritte lag im Hafen. Ich beschloss, mir alle drei Grundstücke vor der Auktion noch persönlich anzusehen.

Nachdem ich zu Hause alles erledigt hatte, fuhr ich los. Da ich von Menden aus über Unna fuhr, kam ich zuerst nach Dortmund-Wickede. Das Grundstück gefiel mir auf Anhieb. Der Platz würde für ein kleines, aufstebendes Unternehmen durchaus reichen. Auf dem Platz konnte man problemlos fünf, sechs Auflieger abstellen. Die moderne Halle bot eine gute Lagerfläche oder andernfalls Platz für sechs Zugmaschinen in drei Fahrspuren. Auch der angebaute Bürotrakt würde für eine kleine Spedition mehr als groß genug sein. Alles war sehr gepflegt und in bestem Zustand. Ich befürchtete nur, dass dieses Objekt meinen finanziellen Rahmen sprengen könnte. Je nachdem, wie viele Interessenten da sein würden.

Als nächstes lag das Grundstück an der Hannöverschen Straße auf meinem Weg. Das war ein regelrechtes Kontrastprogramm zu dem Objekt in Wickede. Das Grundstück war verwildert und voller Unrat. Die Halle war winzig. Sie reichte allenfalls für eine Zugmaschine. Außerdem sah sie schon recht marode aus. Auf einer Seite standen zwei Raumcontainer. Das war wohl das Büro. Ich fand das schade. Lag die Adresse doch verkehrsgünstig. Von der Hannöverschen Straße kam man direkt auf die B236, die auf ihrem Weg von Lünen nach Schwerte, als Schnellstraße in Nord- Süd Richtung durch Dortmund ging. An der gleichen Straße lagen die Verkaufsniederlassungen von MAN und IVECO. DAF-BTS lag in einer Seitenstraße. Damit könnte man drei der großen sieben LKW Marken fußläufig erreichen. Andererseits hatte das Grundstück auch Vorteile. Es war groß genug, um dort mindestens eine Halle, wie in Dortmund Wickede draufzustellen. Vielleicht auch mehr. Außerdem könnte der Zustand potentielle Käufer abschrecken und so den Preis niedrig halten.

Nun fuhr ich zum Borsigplatz und von dort durch die Nordstadt zum Hafen. In dem Stadtviertel mit der höchsten Kriminalitätsrate von Dortmund fühlte ich mich immer etwas unwohl. Trotzdem waren die Objekte zwei und drei nicht weit von der Nordstadt entfernt. Aber auch der Baumarkt, der vermutlich zu meinen zukünftigen Kunden gehörte lag nur knapp nördlich der Nordstadt an der Bornstraße.

Das Objekt im Hafen bestand, genau wie an der Hannöverschen Straße aus einer alten Wellblechhalle. Das Grundstück war gepflegter und die Halle etwas größer. Dafür war das Grundstück insgesamt aber kleiner. Außerdem war es ziemlich verwinkelt. Solange hier nur Zugmaschinen standen, kein Problem. Eine Zugmaschine samt Auflieger ließ sich auch noch abstellen. Sollte dann ein zweiter Sattelzug auf den Platz kommen, würde es aber problematisch. Das Bürogebäude bestand aus einem kleinen Backsteinbau, der separat stand. Darin konnten sich höchstens zwei Büros und ein kleiner Waschraum mit WC befinden. Das sollte zwar auch reichen, meine Hoffnung, eventuell einen Teil als Wohnung abzutrennen, konnte ich aber vergessen.

Als ich schließlich zur Auktion fuhr, stand meine Reihenfolge fest. Wickede hätte ich am liebsten. Aber nur, wenn mein Budget dafür reichte. Dann folgte aufgrund des Potentials das Objekt an der Hannöverschen Straße und zum Schluss die enge Ecke im Hafen.

Auf der Auktion musste ich mich lange gedulden. Man versteigerte zuerst die Ladenlokale und Büroetagen. Der Vorteil für mich war, dass ein Großteil der Interessenten die, gut zu vermietenden Objekte ersteigerte und an den weiteren Objekten nicht interessiert waren, beziehungsweise ihr finanzielles Pulver bis dahin bereits verschossen hatten. Der Saal im Dortmunder Rathaus leerte sich langsam. Für mich erhöhte sich aber langsam die Spannung.

Dann war es soweit. „Objekt mit der laufenden Nummer 45.“, verkündete der Auktionator. „Gewerbegrundstück in Dortmund-Wickede mit Produktions / Lagerhalle aus dem Jahr 2002. Außerdem Bürogebäude mit zwei Etagen ebenfalls aus 2002 und großzügiger Freifläche. Einstiegsgebot liegt bei…“, er nannte den Preis von meiner Liste. Ich war offensichtlich nicht der einzige, der sich für das Objekt interessierte. Ich konnte gerade zweimal mitbieten, danach überstieg der genannte Preis mein Budget. Den Zuschlag erhielt zum Schluss ein Interessent für das Dreifache meines Budgets. Das kann ja heiter werden, ging es mir durch den Kopf.

Etwas später kam das nächste Objekt an die Reihe. „Objekt mit der laufenden Nummer 49. Gewerbegrundstück in Dortmund-Hafen. Produktions / Lagerhalle aus dem Jahr 1950 mit nachträglich eingebauten Sozialräumen. Separates Bürogebäude mit etwa 30 Quadrahtmeter Nutzfläche, ebenfalls aus 1950. Ideal für kleinen Handwerksbetrieb. Einstiegsgebot liegt bei…“ Zu meiner Verwunderung gab es hier ebenfalls einige Interessenten. Dabei waren auch welche, die bisher nicht mitgeboten hatten. Vielleicht wirklich Inhaber von Handwerksbetrieben, die eben genau sowas suchten. Die Immobilienspekulanten boten zwar auch erst mit, hielten sich aber zurück. Ich bot wieder bis zu meinem Budget mit, wurde aber schließlich doch überboten. Auch hier überstieg der Preis zum Schluss deutlich mein Budget.

Nun hieß es nochmal warten. Das letzte Objekt hatte die Nummer 58.
Endlich war es dann soweit. Mir war inzwischen schon richtig schlecht. Was machte ich, wenn das jetzt auch zu teuer wurde? Der Auktionator begann: „Objekt mit der laufenden Nummer 58. Gewerbegrundstück in Dortmund-Körne Nord. Bebaut mit einer Werkstatthalle aus dem Jahr 1965. Eine Fahrspur mit Reparaturgrube. Ansonsten unbebaut. Zu dem Gelände gehören zwei Raumcontainer. Einer mit Strom- der Zweite mit Strom- und Wasseranschluss. Im Gegensatz zu den bisherigen Objekten ist dieses Objekt nicht leer und sauber übernommen worden, sondern mit Altlasten von Unrat und Sperrgut. Die Entsorgung geht zu Lasten des Käufers. Ob dort Sondermüll lagert oder Altlasten im Boden sind, ist der Stadt Dortmund leider nicht bekannt. Das Risiko geht ebenfalls zu Lasten des Käufers. Im Gegenzug wurde von der Stadt Dortmund das Einstiegsgebot nach unten korrigiert. Es liegt nun bei…“ Das war nochmal ein ganzes Stück weniger, als vorher auf der Liste stand. Im Vergleich zu der Grundstücksgröße war das eigentlich ein Schnäppchen. Allerdings waren die Folgekosten auch eine Wundertüte.

Die Immobilienspekulanten boten gar nicht erst mit. Denen war wohl das Risiko der Folgekosten zu hoch. So gab es neben mir nur noch zwei Leute, die mitboten. Kurz nachdem das ursprünglich auf der Liste aufgeführte Mindestgebot erreicht war, gaben die anderen beiden auf und ich bekam den Zuschlag zu einem Preis, der mir sogar noch etwas Luft nach oben ließ. Das konnte ich schonmal für die Entsorgung des Mülls zur Seite legen.

Nach der Erledigung der Formalitäten fuhr ich mit den Dokumenten und Schlüsseln bewaffnet nochmal zur Hannöverschen Straße. Nun schaute ich mich genauer auf dem Grundstück und in der Halle um. Dass die Halle wirklich schon entsprechend betagt war, konnte man sehen. Sie war aber zum Glück hoch genug, dass eine moderne Zugmaschine mit annähernd vier Metern Höhe hineinpassen konnte. Beim ersten Mal würde ich langsam die Durchfahrtshöhe testen. Sollte aber funktionieren.
In der Halle gab es auch nicht viel zu sehen. Auch hier lag allerhand Müll herum. Der letzte Besitzer konnte oder wollte das hier wohl in keinem guten Zustand belassen.

Auf dem Gelände lagen eine menge alter Kabeltrommeln. Falls hier vorher schon ein Transporteur seine Firma hatte, war der entweder für einen Energieversorger, einen Telekommunikationsanbieter oder eine Kabelbude gefahren. Vielleicht aber auch für eine Drahtseilbude. Die Firma WADRA, die Wambeler Drahtseilfabrik war nicht weit von hier. Sonst gab es hier noch Bauschutt, alte Fässer und alte 20 Fuß Container. Die Fässer und der Inhalt der aktuell verschlossenen Container machten mir von der Entsorgung am meisten Kopfschmerzen. Die Kabel- oder Seiltrommeln konnte sicher noch jemand gebrauchen. Ansonsten würde ich ein Holz-Recycling Unternehmen beauftragen.

Als Nächstes begutachtete ich die Raumcontainer, deren Schlüssel ich auch bekommen hatte. In beiden roch es ziemlich muffig. Hier war schon seit Ewigkeiten nicht mehr gelüftet worden. Das machte ich nun als erstes. Der vordere Container stellte sich tatsächlich als Büro heraus. Das Mobiliar konnte aber auch fast das Alter der Halle haben. Es gab einen alten Schreibtisch mit einem Holzstuhl davor. Ein zweiter Holzstuhl stand noch in der Ecke. Dann gab es noch ein paar Regale, die die besten Zeiten ebenfalls hinter sich hatten. In den Regalen befand sich aber nicht mehr viel. Der Konkursverwalter hatte offensichtlich sämtliche Unterlagen mitgenommen.
Am besten alles raus und neue Sachen rein, dachte ich. Wobei ich noch nicht genau wusste, ob ich den Container wirklich als Büro nutzen wollte. Beim Blick in den hinteren Container stellte sich dieser als „Sozialraum“ heraus. In der Ecke war eine Dusche, bei der man aber auf jeden Fall den Duschvorhang austauschen sollte. Weiterhin gab es ein Waschbecken, was man auch als Spüle nehmen konnte. Der Spiegel darüber war aber schon ziemlich blind. Als weitere Küchenutensilien gab es einen alten Kühlschrank, auf dem eine 220 Volt Doppelkochplatte stand. Gegessen wurde aber offensichtlich im Büro, denn Tisch oder Stuhl fehlten hier. Das weitere Mobiliar bestand aus einem Geschirr- und Vorratsschrank, einem Metallschrank mit zwei Spinden und zu meiner großen Überraschung, einem alten Metallbett. Hatte hier tatsächlich mal jemand drin gewohnt? Ging das überhaupt? Gut es gab warmes Wasser durch einen Durchlauferhitzer und hier, wie auch im Büro einen elektrischen Heizlüfter. Vielleicht war es doch ein Transportunternehmer gewesen. Im Fernverkehr war man eh kaum zu Hause. Wofür eine teure Wohnung mieten? Wobei das für mich allenfalls als Übergang in Frage kam. Ich verwarf den Gedanken. Schließlich schloss ich alles wieder ab und machte mich auf den Weg nach Hause.

Die ersten Schritte waren gemacht. Die Unternehmensgründung war auf den Weg gebracht, ich hatte meine ersten zwei, drei Auftraggeber und ich hatte einen Firmensitz, der zwar alles andere als schön war, aber wenigstens sehr günstig lag.


Willkommen zu einem neuen Tagebuch von mir. Dieses kommt als zusätzliches, drittes Tagebuch von mir. Das Tagebuch von Marc Murdock ist ja von vornherein bereits abgeschlossen gewesen. Da folgen ja nur noch die Kapitel, die vorher bereits im TSM Forum standen.
Die Geschichte von Steve Murdock wird von mir ebenfalls weiterhin fortgesetzt. Allerdings hab ich momentan wenig Lust auf Nordamerika. Daher gibt es nun ein neues Standbein in good old Germany.

Die neue Story ist auch ziemlich autobiographisch. Marc Müller hat erheblich mehr von mir selbst, als es die bisherigen Protagonisten hatten. Aktuell bin ich selbst neugierig, wie sich das weiter entwickelt. Feedback ist natürlich nach wie vor gern gesehen.

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