2. Banker, Schweden im Sauerland und dichter Nebel

Am Samstagmorgen packte ich zu Hause sämtliches Putzzeug zusammen. Als ich das im Auto hatte, fuhr ich nach Kamen zum IKEA. Hier kaufte ich mir eine einfache Büroausstattung. Anschließend fuhr ich noch zum Bauhaus an der Bornstraße in Dortmund, wo ich mir das besorgte, was mir für meine Arbeit am Wochenende noch fehlte. Holger Schenk war am Samstag sowieso nicht hier, also brauchte ich ihn auch nicht fragen, ob es schon was neues gab. Der Kofferraum meines Audi A4 Avant war jetzt rappelvoll, also machte ich mich auf den Weg zur Firma.

Zur „Firma“. Verdiente die marode Halle mit den zwei Containern dahinter überhaupt diesen Namen? Egal. Alt, aber bezahlt, dachte ich.

An der Halle angekommen, parkte ich den Audi vor den Containern. Auch heute roch wieder ziemlich muffig hier drin. Wahrscheinlich steckte das schon in den alten Möbeln. Also nix wie raus damit.
Dabei konnte ich erstmal den Frust abbauen, den ich in der vergangenen Woche bekommen hatte, als ich von einigen guten Bekannten enttäuscht war. Den ließ ich damit frei, indem ich die alten, gammeligen Möbel mit mehreren gekonnten Fußtritten zerlegte. Ich ließ meinem Ärger freien Lauf, bis alles in Bruchstücken am Boden lag. Jetzt ging es mir schon erheblich besser.
Die Frage, wohin mit den Überresten war schnell beantwortet: „Da liegt schon so viel Müll auf meinem Platz, da kommt es auf die paar alten Möbelreste auch nicht mehr an.“ Ich räumte die Sachen aus dem Container, und warf sie zu dem anderen Altholz auf dem Platz.
Als der Bürocontainer leer war, setzte ich das im zweiten Container fort. Hier konnte ich nicht so viel zur Frustbewältigung machen. Der Metallschrank, das aus gleichem Material bestehende Bett und der alte Kühlschrank ließen sich sowieso nicht so gut zerlegen. Jetzt kam mir erst der Gedanke, dass ich vielleicht ein zweites paar Hände gebrauchen konnte.

Ich nahm mein Handy und rief meinen, 14 Jahre jüngeren Halbbruder (das „Halb“ sparten wir uns) Eric an. „Hey Marc. Wie geht’s?“, begrüßte er mich. „Hallo Eric. Hast du heute spontan Zeit für mich?“ Wenn es nicht zu lange dauert. Heute Abend habe ich was vor.“ „Das passt. Wenn du weg musst fährst du eben. Ich wollte hier auch nicht bis tief in die Nacht bleiben.“ Ich gab ihm die Adresse. „In einer Stunde bin ich da.“

Während ich auf Eric wartete, begann ich mit dem Großreinemachen im Bürocontainer. Ich war damit so beschäftigt, dass ich nicht mal mitbekam, wie Erics Renault auf den Platz fuhr. „Wenn dein Auto nicht draußen gestanden hätte, wäre ich hier glatt dran vorbei gefahren.“, sagte er zur Begrüßung von hinten. Ich schreckte hoch. „Was ist?“, fragte Eric lachend. „Schlechtes Gewissen?“ „Nee. Ich hab dich nur nicht kommen hören.“ „Ach so.“, sagte er. „Was soll das hier eigentlich darstellen? Willst du einen Schrottplatz aufmachen?“ „Das hier“, sagte ich grinsend, „ist die Europa Zentrale der Eurospeed Logistics GmbH.“ „So sieht das auch aus.“, sagte er lachend. „Nee, im Ernst.“ „Am besten, du reißt hier alles ab und baust einmal komplett neu.“, sagte Eric kopfschüttelnd. „Haste Geld? Ich hab dafür nämlich keins.“ „Na ja. Ein Baudarlehen bekommt man ja recht einfach.“ „Aber auch das muss irgendwann zurückbezahlt werden.“ „Schon klar.“ „Priorität hat jetzt erstmal ’ne Zugmaschine.“ „Hast du noch keine?“, fragte Eric überrascht. „Nope.“ „Kann es sein, dass du da was falsch machst? Was ist für einen Fuhrunternehmer wichtiger? Zugmaschine oder Firmensitz?“ „Schon klar. Natürlich die Zugmaschine. Aber für die Unternehmensgründung brauchte ich ja auch eine Adresse.“ „Das hättest du auch auf deinen Wohnsitz anmelden können.“ „Ich wollte aber einen Firmensitz in Dortmund. So hätte ich sie erst in Menden angemeldet und dann, kurz danach ummelden müssen.“ Na und?“ „Jetzt ist es sowieso egal. Lass uns lieber was tun.“ „Okay. Womit fangen wir an? Du bist der Boss, oder sag ich besser Geschäftsführer?“

Zusammen räumten wir den zweiten Container leer. Anschließend sahen wir zu, dass der Bürocontainer wieder richtig sauber war. „Was kommt nun?“, fragte Eric. „IKEA’s Bastelstunde.“, antwortete ich grinsend. „Na super.“, sagte Eric. Er grinste aber ebenfalls.
Eine ganze Weile später hatte der Bürocontainer eine neue Innenausstattung. Diese bestand aus einem neuen Schreibtisch, mehreren Regalen, einem bequemen Bürosessel und einem Besucherstuhl. An den Fenstern hingen nun moderne Alu-Jalousien und die alten Funzeln waren durch modernere Leuchten mit LED Technik ersetzt. Zufrieden setzten wir uns auf die neuen Sitzgelegenheiten und tranken einen kräftigen Schluck. „Das Büro des Geschäftsführers sieht doch schon mal ganz gut aus.“, meinte Eric grinsend. „Was hast du jetzt hinten vor?“, er deutete auf die Wand, hinter der der zweite Container stand. „Ich bin mir nicht sicher.“, sagte ich nachdenklich. „Sah ja so aus, als ob da schon mal jemand gehaust hat.“ „Ja eben.“, sagte ich. „Sag jetzt nicht, dass du das ernsthaft in Erwägung ziehst.“ „Ich hab schonmal kurz dran gedacht.“, gab ich zu. „Ernsthaft?“ „Überleg mal. Im Fernverkehr bin ich sowieso die ganze Woche unterwegs. Wenn ich, wie geplant, europaweit fahre, bin ich auch öfter am Wochenende draußen. Wofür brauche ich dann hier eine vernünftige Wohnung?“ „Ich weiß ja nicht.“, sagte Eric zweifelnd. „Dazu kommt noch, dass ich von hier nach Menden auch noch eine dreiviertel Stunde unterwegs bin. Hin und zurück eineinhalb Stunden.“ „Herdecke ist näher.“, überlegte Eric. „Wenn es frei ist aber auch mindestens eine halbe Stunde. Außerdem von den Mieten teurer.“ „Meinst du nicht, du bist es irgendwann leid, nur Blech um dich rum zu haben?“ „Dann fahre ich zu Mutti oder zu dir.“ „Was machst du mit deinen Möbeln? Die passen auch nicht alle in den Container.“ „Guck dich hier auf dem Platz um. Hier stehen noch einige alte 20 Fuß Büchsen. Ich muss sowieso noch gucken, was da noch für Überraschungen drin sind. Da kann ich sicher ein oder zwei von leerräumen und die Möbel drin einlagern, bis ich hier neu gebaut hab.“ „Oder so.“ „Die Miete und die Fahrtkosten kann ich mir doch sparen.“ „Auch wahr.“ „Ganz sicher bin ich mir aber auch nicht.“ „Überleg dir das gut. Wenn du einmal ausgezogen bist, gibt es kein Zurück mehr.“

Eric verabschiedete sich und fuhr nach Hause, um sich für den Abend fertig zu machen. Auch ich hatte heute keine Lust mehr. Wir hatten aber auch gut was geschafft. Der Bürocontainer war fertig und der zweite Container immerhin schonmal leer. Morgen war auch noch ein Tag. Ich fuhr zurück nach Menden und verbrachte den Samstagabend auf der Couch vor dem Fernseher.

Am Sonntag fuhr ich auch wieder nach Dortmund. Für diesen Tag hatte ich mir die Grundreinigung des zweiten Containers vorgenommen. Dabei festigte sich immer mehr die Idee, wirklich hier zu wohnen, oder zu hausen, wie mein Bruder gestern meinte. Ich konnte damit wirklich Zeit und Geld sparen. Wenn es laufen würde war ich sowieso kaum zu Hause.
In den Pausen, die ich zwischendurch machte, schaute ich mir die 20 Fuß Büchsen und die Halle näher an. Mit den Containern hatte ich Glück. Die meisten waren leer. Außerdem waren sie immer noch dicht. Da konnte ich sicher die Möbel einlagern. In einem Container fand ich noch mehrere Stapel mit gammeligen Europaletten vor. Die könnte ich aber entweder an einen Palettenhandel verkaufen oder versuchen, sie als Tauschpaletten zu nehmen. Mit Paletten kannte ich mich gut aus, da mein letzter Job bei DHL im Paletten- und Behältermanagement war.
In einem weiteren Container waren noch ein paar 200 Liter Fässer mit undefinierbarem Inhalt. Das wäre sicher das Teuerste, was ich zu entsorgen hatte.

Auch in der Halle standen noch Container. Weiß der Geier wie man die da rein bekommen hatte. In denen war wohl früher mal das Werkstattequipment aufbewahrt worden. Natürlich war da nichts von übrig. Das war im Zuge des Konkursverfahrens verkauft worden. Die Grube war immer noch gut nutzbar. Wobei ich mich fragte, was ich überhaupt noch selbst machen konnte. Aus meiner Anfangszeit als Fahrer kannte ich noch Arbeiten, wie das Abschmieren von LKW und Anhänger, sowie das Nachstellen der Bremsen. Inzwischen hatten die Kardanwellen nicht mal mehr Schmiernippel und die Bremsen automatische Nachsteller, beziehungsweise gleich Scheibenbremsen. Selbst der Glühlampenwechsel nahm mit zunehmender LED Beleuchtung ab. Ich kannte aber auch nur die Arbeiten, die früher noch zu den monatlichen Wartungsaufgaben gehört hatten. Ich war zwar Sohn eines KFZ-Mechaniker Meisters, hatte es aber selbst nie gelernt. Mit den Werkstätten für drei LKW Marken in unmittelbarer Nähe war ich hier aber gut bedient. Außerdem gab es ein Stück weiter noch die freie LKW Werkstatt von Kemal Yildirim, die angeblich alle Marken betreute. Der war sicher auch günstiger, als die Vertragswerkstätten.

In einer Ecke der Halle fand ich eine alte Anschlussdose, auf der noch das alte Posthorn zu sehen war. An Festnetz hatte ich noch gar nicht gedacht. Das meiste machte ich mit dem Handy. Ein modernes Unternehmen braucht aber einen Internetanschluss. Außerdem wäre eine Festnetznummer für die Firma nicht schlecht. Ich brauchte nur die Möglichkeit einer Rufumleitung auf mein Handy, während ich unterwegs war.


Schließlich war auch der zweite Container blitzblank. Außerdem hatte ich einen neuen Duschvorhang aufgehängt. Noch hatte ich hier keine Möbel. Da würde ich aber auch welche von denen nehmen, die momentan noch in meiner Mendener Wohnung standen. Ich beschloss, heute etwas früher Feierabend zu machen und nach Hause zu fahren. So hatte ich noch etwas vom Sonntag.

Für den Montagnachmittag war der nächste Termin bei Dr. Bergmann angesetzt. Ich konnte also erstmal ausschlafen. Das würde demnächst sicher Luxus werden, daher nutzte ich das aus. Gegen Mittag leerte ich den Briefkasten. Der Vertrag von Raben war, wie erhofft in der Post. Der DHL Vertrag war schon Ende der letzten Woche gekommen. Das lief wie geplant, wollte ich die Verträge doch von Dr. Bergmann prüfen lassen, bevor ich sie unterschrieb.

Am Nachmittag fuhr ich also wieder nach Unna. Dr. Bergmann und ich nahmen wieder am Konferenztisch platz. „So, Herr Müller.“, begann er das Gespräch. „Nach der Prüfung, ob es rechtliche Probleme mit dem Namen „Eurospeed Logistics“ gibt, kann ich Ihnen sagen, dass wir damit keine Probleme haben. Entsprechend habe ich alles vorbereitet. Es fehlt auf den Dokumenten nur noch Ihre Unterschrift. Nehmen Sie sich Zeit und lesen Sie sich alles in Ruhe durch.“ „In Ordnung. In der Zeit könnten Sie sich zwei Verträge anschauen, die ich von DHL und Raben bekommen habe.“ „Gerne.“
Die nächsten Minuten verbrachten wir beide mit Lesen. Bergmann hatte nicht so viel zu lesen, wie ich. Nachdem er die Verträge geprüft hatte, zog er sich an seinen Schreibtisch zurück und las in einer anderen Akte.
Nachdem ich durch war, rauchte mir der Kopf. Gewerbeanmeldung, Gründungsdokument für Gründung einer GmbH, Eintragung ins Handelsregister, EU-Lizenz und so weiter und so weiter. Da ich es nicht gewohnt war, fiel mir ein Detail gerade nicht auf, was noch geändert werden musste.
Dr. Bergmann merkte, dass ich alles unterschrieben hatte und kam zurück an den Konferenztisch. Er ließ die Dokumente von seiner Sekretärin abholen, damit sie rausgeschickt werden konnten. Danach fuhren wir fort. „Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“ „Fürs erste nicht.“ „In Ordnung. Sollten sich später irgendwelche Fragen ergeben, melden Sie sich bei mir.“ „Mache ich.“ „Zu den Verträgen. Beides sind Standardverträge für die Beschäftigung als Subunternehmer. Laut beiden Verträgen besteht auch keine Verpflichtung, ausschließlich für den Vertragspartner zu fahren. Das ist soweit in Ordnung.“ „Das klingt doch gut.“ „Die garantierten Umsätze sind überschaubar. Das ist aber am Anfang nicht unüblich. Diese Summen gehen erst hoch, nachdem die vertragliche Probezeit abgelaufen ist. Danach wird meist ein Mittelwert der tatsächlich Umsätze errechnet, der danach als neuer Mindestumsatz genommen wird.“ „Verstehe. Das wusste ich nicht. Was ist das für eine Geschichte mit der Probezeit?“ „Das ist nicht so, wie sie es aus einem Arbeitsvertrag kennen. Man hat nur die Bezeichnung beibehalten. Bei groben Vertragsverletzungen kann ein Vertrag so oder so fristlos gekündigt werden. Dazu müssten Sie aber schon die sprichwörtlichen, silbernen Löffel klauen.„Das beruhigt mich.“ „Wo Sie drauf achten sollten, ist die Einhaltung des Mindestumsatzes von Ihrer Seite. Sie haben zwar laut Vertrag jederzeit die Möglichkeit Anfragen abzulehnen, was bei einem Fuhrpark mit einem Fahrzeug und mehreren Verträgen gar nicht anders möglich ist. Wenn Sie die Vertragssumme aber unterschreiten, es aber nachweislich möglich war, diese zu erreichen, zahlen Sie eine Vertragsstrafe.“ Ich schluckte erstmal. „Im Gegenzug zahlt Ihr Auftraggeber die Differenz zur Vertragssumme, wenn er Ihnen nicht genug Aufträge zukommen lässt. Das ist ja gerade in schlechten Zeiten der Sinn einer Umsatzgarantie.“ „Ich verstehe.“ „Das heißt im Klartext, wenn Sie jetzt beispielsweise sehr viel für Raben fahren und deswegen Aufträge von DHL ablehnen, was sich im Email Verlauf nachweisen lässt, kann es passieren, dass Sie am Monatsende einen Betrag an DHL zahlen müssen.“ „Wie viel wäre das dann?“ „Das steht im Einzelnen in den Verträgen. Das ist dann Aufgabe Ihres Steuerberaters beim Monatsabschluss.“ „Verstehe. Was raten Sie mir dazu?„Halten Sie im Auge, wie hoch die Differenz zum Mindestumsatz ist und arbeiten Sie gleichmäßig für beide Unternehmen. Wenn Sie irgendwann einen kaufmännischen Mitarbeiter im Büro haben, der die Auftragsannahme erledigt, fällt das in sein Ressort.“ „Das ist aber so in Ordnung?“ „Genau. Das ist Standard.“ „Dann kann ich die Verträge so zurückschicken?“ „Genau. Setzen Sie ihren Friedrich Wilhelm unter die Verträge und ab in die Post.“ „Dann brauche ich jetzt nur noch eine Zugmaschine.“ „Haben Sie noch keine?“, fragte Bergmann überrascht. Jetzt fängt der auch so an wie Eric, dachte ich. „Nein. Der Firmensitz und die Kundenakquise waren mir vergangene Woche wichtiger.“ „Wo wir gerade davon reden, Sie haben jetzt eine Firmenadresse?“ „Ganz richtig. Ich hab eine Halle in Dortmund ersteigert.“ „Einen Moment.“ Er ging an seinen Schreibtisch. Er betätigte die Sprechanlage zu seiner Sekretärin. „Frau Schumann, haben Sie den Vorgang Eurospeed Logistics in Bearbeitung?“ „Da bin ich dran.“ „Welche Firmenadresse haben Sie auf den Dokumenten?“ Sie nannte meine Mendener Adresse. „Kommando zurück!“, sagte er scharf. „Wie lautet Ihre Firmenadresse?“, fragte er mich freundlich. Ich nannte sie ihm. „Die Firmenadresse lautet Hannöversche Straße… …Dortmund.“ „Die Handelsregistereintragung also nicht ans Amtsgericht Arnsberg?“ „Natürlich nicht.“, sagte Bergmann unwirsch. „Amtsgericht Dortmund. Wohin denn sonst?“ „In Ordnung, Herr Dr. Bergmann.“, sagte sie unterwürfig. „Die Dokumente dann umgehend zu mir. Ich habe den Mandanten hier im Büro.“ „In Ordnung, Herr Dr. Bergmann.“ Er schaltete die Sprechanlage aus. „Entschuldigung. Das hätte ich von vornherein sagen müssen.“ „Das kann passieren. Momentan haben Sie sicher viel um die Ohren. Allerdings müssen Sie gleich alles nochmal unterschreiben. Der Inhalt bleibt der Gleiche, nur die Firmenadresse wird geändert. Natürlich auch die Gewerbeanmeldung, die jetzt bei der Stadt Dortmund erfolgt, sowie die Handelsregister Eintragung beim Amtsgericht Dortmund. Wollen Sie in der Zeit einen Kaffee?“ „Kaffee geht immer.“, antwortete ich. Bergmann nahm wieder die Sprechanlage: „Frau Schumann, bringen Sie uns bitte zwei Kaffee.“ „Sofort, Herr Dr. Bergmann.“
Zwei Minuten später kam die Sekretärin mit knallrotem Kopf herein und brachte die zwei Tassen Kaffee. Sie tat mir irgendwie leid. „Tut mir leid, dass Sie jetzt alles nochmal machen müssen.“, sagte ich zur Entschuldigung. „Schon okay.“, sagte die junge Frau schüchtern. Sie verließ schnell wieder das Büro, um die Dokumente fertig zu machen. Als Chef wollte ich Dr. Bergmann auch nicht haben, ging es mir durch den Kopf.
Schließlich waren die Dokumente ein weiteres Mal fertig und ich unterschrieb sie abermals. Ebenso Dr. Bergmann. Mit einem Blick auf die Verträge sagte er freundlich: „Wenn Sie wünschen, können wir die Verträge ebenfalls versenden. Das gehört zum Service.“ „Gerne.“ Bergmann nahm die Verträge und drückte sie seiner Sekretärin mit den anderen Dokumenten zusammen in die Hand. „Die Verträge senden Sie bitte an die jeweiligen Vertragspartner. An Eurospeed brauchen Sie sie nicht zu versenden. Herr Müller nimmt sie gleich mit.“ „Mit Anschreiben?“, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. „Machen Sie mal. Dann sehen die Vertragspartner gleich, dass die Verträge juristisch geprüft wurden.“ Sie huschte aus dem Büro und ließ uns alleine. „Gibt es noch irgendwas zu besprechen?“, fragte Bergmann. „Habe ich jetzt alles, was ich bei meiner Bank brauche?“ „Für ein Existenzgründungsdarlehen sollte das reichen. Sie haben zwar jetzt noch keine Unterlagen für den Kauf des Gewerbeobjekts in Dortmund, aber als Sicherheit sollten die Verträge vorerst ausreichen“. „Ich hab doch die Unterlagen von der Auktion am Freitag.“, erwiderte ich. „Aber noch keine notarielle Urkunde und noch keine Eintragung ins Grundbuch.“ „Ach ja.“, stöhnte ich auf. „Da wird die Stadt Dortmund in den nächsten Tagen auf Sie zukommen.“ Verstehe.“ „Haben Sie eine Ahnung, wie Sie jetzt ohne Zugmaschine weitermachen?“ „Die EU-Lizenz ist beantragt?“ „Natürlich. Der Antrag war ja eben bei den ganzen Dokumenten dabei.“ „Okay. Termin bei der Bank habe ich morgen Vormittag, Termin bei der KRAVAG habe ich morgen Nachmittag. Um die ganzen erforderlichen Versicherungen abzuschließen. Sobald ich die EU-Lizenz und die Versicherungen habe, kann ich auch mit einem Leihwagen oder Vorführer gewerblich fahren.“ „Die Voraussetzungen als Fahrer haben Sie auch alle erfüllt?“ „Die Gesundheitsprüfung war erst kritisch, ich habe jetzt aber wieder fünf Jahre Ruhe. Die fünf Module sind alle noch aktuell und die Fahrerkarte ist auch neu.“ „Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.“ „Vielen Dank.“

Ich war erleichtert, als ich die Kanzlei verließ. Alles war auf den Weg gebracht. Die Termine morgen waren noch wichtig, danach hieß es warten, bis ich die EU-Lizenz hatte. In der Zeit hatte ich auch noch die Möglichkeit, nach Auftraggebern zu suchen, die nicht aus der Logistikbranche kamen. Außerdem würde ich intensiv nach einer vernünftigen und bezahlbaren Zugmaschine suchen.

Am Dienstagmorgen zog ich wieder Anzug und Krawatte an. Es ging zu meiner Hausbank. Ich hatte erst überlegt, zur Dortmunder Niederlassung meiner Hausbank zu gehen, entschied ich aber dagegen. Dort wäre ich ein unbeschriebenes Blatt. Hier kannte man mich seit Jahren. Über diese Bank hatte ich auch seinerzeit mein Reihenhaus finanziert. Also holte ich mir meinen Termin in Menden.

Von der Geschäftskundenabteilung kannte ich allerdings keinen. Das stellte ich fest, als ich zum Termin erschien. Immerhin hatte der Sachbearbeiter meine Daten auf dem Bildschirm. „Herr Müller. Sie sind seit Jahren ein treuer Kunde unserer Privatkundenabteilug. Nun sind Sie hier und ich habe hier stehen, dass es sich um ein Existenzgründungsdarlehen handelt.“ „Das ist korrekt.“Sie haben sich den Schritt in die Selbstständigkeit gut überlegt?“ „Das habe ich. Ich möchte Ihnen auch nicht vorgreifen, aber die ersten Schritte sind allesamt bereits erfolgt. Sie brauchen sich keine Mühe mehr geben, um mir den Weg in die Selbstständigkeit in der Logistikbranche auszureden. Es geht für mich in erster Linie darum, ein Darlehen zu bekommen, um mir eine gebrauchte Zugmaschine anzuschaffen.“
Dem Sachbearbeiter war hinter der Plexiglasscheibe der Mund offen stehen geblieben. Vermutlich hatte er bei den Existenzgründern meist Leute vor sich, die schüchtern nach ein paar Euro für die ersten Schritte bettelten. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, sagte er: „Sie haben also schon Tatsachen geschaffen.“ Was für eine Ausdrucksweise war das denn. Er klang wie ein Vater, der seinen Sohn zurechtweisen wollte. Vom Alter her hätte es umgekehrt sein müssen. Er könnte mein Sohn sein. „Wenn es an dem ist, haben Sie dafür sicher bereits Nachweise.“ „Natürlich.“ Ich reichte ihm einen Ordner, in dem ich alles, was es an Unterlagen für die junge Eurospeed Logisitcs GmbH gab, sorgfältig strukturiert abgeheftet hatte.
Er blätterte durch die Unterlagen. In seinem Gesicht sah ich den Wechsel aus sämtlichen Gefühlslagen von genervt, interessiert, beeindruckt zurück zu gelangweilt oder triumphierend. Poker sollte der Typ besser nicht spielen, dachte ich. „Sie haben schon viel gemacht.“, sagte er, väterlich lobend. „Warum nehmen Sie, wenn es Ihnen lediglich um eine Zugmaschine geht, keine Finanzierung von der Bank eines Fahrzeugherstellers?“ „Zwei Gründe sprechen dagegen.“, antwortete ich. „Der wichtigere Grund ist der, dass ich beim Barkauf bessere Konditionen beim Händler bekomme, als wenn ich dort um eine Finanzierung bitte. Der andere Grund ist der, dass die Banken der Hersteller beim Ausbleiben von Raten recht schnell die Fahrzeuge einziehen und sie über das hauseigene Händlernetzwerk veräußern. Eine Bank, deren erste Priorität darin liegt, das verliehene Geld auch zurück zu bekommen, anstatt Fahrzeuge zu verkaufen, bemüht sich eher im Dialog mit dem Kreditnehmer eine Lösung zu finden.“ Es arbeitete wieder in seinem Gesicht. Ein Pokerface hatte er wirklich nicht. Irgendwann hatte er doch verstanden, dass es ein verstecktes Lob für die Hausbank war. Er wandte sich dem Bildschirm zu. Er klapperte eine Weile auf seiner Tatstatur rum, dann sagte er: „Bis Freitag hatten sie ein Ordentliches Guthaben auf einem Ihrer Konten. Nun nicht mehr. Mit dem Geld hätten Sie doch sicher eine Zugmaschine erwerben können. Wollen Sie das Guthaben verstecken, um den Kredit zu begründen?“ Da platzte mir fast die Hutschnur. Was bildete sich der junge Fatzke denn ein? Ich zwang mich ruhig zu werden, antwortete aber eiskalt. „Junger Mann, wenn Sie die Unterlagen aufmerksam gelesen hätten, anstatt sie nur gelangweilt zu überfliegen, wäre Ihnen aufgefallen, dass ich, beziehungsweise die Eurospeed Logistics, am vergangenen Freitag ein Gewerbegrundstück in Dortmund bei einer Auktion erworben habe.“ Er lief kurz knallrot an. Die kurze Scham wechselte aber in den Ärger, bei einer Flüchtigkeit erwischt worden zu sein. „Da war keine notarielle Urkunde.“, sagte er ungehalten. „Die Urkunde folgt.“, sagte ich kalt. Der Sachbearbeiter blätterte nervös durch den Ordner und fand die Unterlagen zu der Auktion. Er las sich alles durch und beruhigte sich. „Wenn der Firmensitz in Dortmund ist, warum gehen Sie dann nicht zu den Kollegen in Dortmund?“ Das schlug dem Fass den Boden aus. „So langsam frage ich mich das auch.“, sagte ich nun kalt. „Ich gehöre noch zu den Leuten, für die Kundenbindung und Kundentreue keine Fremdwörter sind. Bitte teilen Sie mir den Namen Ihres Vorgesetzten mit. Ich werde mich beschweren und anschließend mit meinen Konten zum Wettbewerb wechseln.“ Sein Ärger wechselte gut Sichtbar zu Panik. Er wurde blass und begann leicht zu zittern. Vom arroganten Banker zum Häufchen Elend. In diesem Moment ging die Glastür, die symbolisch für Transparenz stehen sollte, auf. Ein gesetzter Mann in meinem Alter kam herein. Er hatte wohl bemerkt, dass hier was nicht stimmte. „Gibt es Probleme? Kann ich behilflich sein?“, fragte er ruhig. Mein Gegenüber biss sich auf die Unterlippe. „Soll ich übernehmen?“, fragte der Ältere ruhig. „Ja.“, kam es leise von Gegenüber. Der Ältere warf einen Blick auf meinen Ordner, der immer noch vor dem anderen lag. „Sind das Ihre Unterlagen?“, wandte er sich an mich. „Ja.“, bestätigte ich knapp. Der Ältere nahm den Ordner und ging zur Tür. „Darf ich Sie in mein Büro bitten?“ „Danke.“ Ich stand auf und folgte dem Älteren in sein Büro, welches gegenüber lag. So hatte er alles sehen können.
„Bitte nehmen Sie Platz. Mein Name ist Rolf Schmidt, Geschäftskunden Manager.“, stellte er sich vor. „Marc Müller, Eurospeed Logistics.“ „Müller und Schmidt.“, sagte er lächelnd. „Fehlt uns bloß noch ein Meier.“ Er versuchte die angespannte Stimmung aufzulockern. Schmidt holte sich meine Daten auf den Bildschirm. „Herr Müller.“, begann er mit Blick auf den Bildschirm. „Sie sind langjähriger Privatkunde unseres Hauses. Laut des Terminvermerks im Outlook sehe ich, dass Sie ein Existenzgründungsdarlehen beantragen möchten.“ „Richtig. Das habe ich aber auch schon alles Ihrem Kollegen erzählt. Sind Sie der Vorgesetzte des Kollegen?“ „Das nicht, ich habe aber, auf Bitte der Geschäftsleitung ein Auge auf die Tätigkeiten des jungen Kollegen. Offensichtlich ist der Start bei dem Kollegen etwas ungünstig gelaufen.“ „So kann man das auch nennen. Bei wem kann ich mich beschweren?“ „Ich bitte Sie, davon abzusehen. Der Kollege ist nicht ganz gesund, wenn Sie verstehen.“ „Gut. Das sind andere Leute auch nicht. Das ist kein Grund, die Kunden zu verärgern.“ „Ich weiß. Genau darum versuche ich ja in solchen Situationen einzugreifen.“ „Also war das nicht das erste Mal?“ „Nein. Er steht auch schon kurz vor dem Rauswurf. Dabei ist er fachlich kompetent, wie kein Zweiter.“ „Den Eindruck hatte ich nicht.“ „Können wir uns auf folgendes einigen?“, fragte Schmidt freundlich. „Ich übernehme jetzt für den Kollegen. Ich werde gleich in Ruhe Ihre Unterlagen prüfen und dann schauen wir gemeinsam, wie wir Ihnen weiterhelfen können. Wenn wir uns zufriedenstellend einigen, lassen Sie die Sache auf sich beruhen. Sollten Sie nicht zufrieden sein, können Sie immer noch zu unserem Chef gehen und sich beschweren.“ „Einverstanden.“ „Möchten Sie einen Kaffee?“ „Gerne. Schwarz bitte.“ „Einen Moment bitte.“ Im Gegensatz zu Dr. Bergmann gestern, stand Schmidt selbst auf und holte den Kaffee. Danach nahm er sich meinen Ordner vor und sah sich die Unterlagen ausführlich an. Er brauchte zwar länger, war aber auch gründlicher, als sein Kollege. Schließlich legte er den Ordner auf den Schreibtisch.
„Lassen Sie mich raten.“, begann Schmidt. „Mein junger Kollege hat sie zuerst gefragt, warum Sie nicht die Banken der LKW-Hersteller nehmen und danach, warum Sie hier und nicht in Dortmund sind.“ Schmidt lächelte dabei. Ich vermutete er arbeitete schon an der Standpauke für den Kollegen. Sicher war ich mir nicht.
„Auch. Außerdem kam der Vorwurf, Ende vergangener Woche Geld versteckt zu haben.“ „Das war doch der Ankauf des Grundstücks in Dortmund.“ „Ganz richtig.“ „Jetzt kann ich Sie verstehen. An Ihrer Stelle wäre ich genau so sauer wie Sie.“ „Dann bin ich mal gespannt, was Sie mir nun erzählen.“ „Herr Müller, Sie sind nicht der erste, der hier vor mir sitzt und Geld für einen LKW haben möchte. Ich bin nach der Ausbildung direkt als junger Sachbearbeiter die Geschäftskundenabteilung gekommen. Da stand an der Halle, an der jetzt DHL steht noch Metrans. Damals Alster-Gruppe. Danach Nedlloyd. Aus Metrans wurde Unitans, danach Danzas und nun DHL.
Interspe war anfangs noch in Fröndenberg, bevor sie nach Kamen wechselten.
In den Jahren gab es viele, die hier mit einem Vertrag von DHL oder den Vorgängern saßen. Nicht alle haben bis heute überlebt, einige aber schon. Letztere waren dann die, die sich, genau wie Sie, gründlich vorbereitet haben.“ „Was heißt das jetzt?“, fragte ich. „Langweile ich Sie?“, fragte Schmidt zurück. „Nein. Ich werde nur nicht gerne auf die Folter gespannt.“ „Ich hatte versucht, Ihnen versteckt ein Kompliment für die gute Vorbereitung machen.“ „Das habe ich verstanden. Vielen Dank.“ „Dann fahre ich fort. Wie ich bereits sagte, habe ich schon viele kommen und gehen gesehen. Die wenigsten davon haben am Anfang das gemacht, was Sie gemacht haben. Sich noch einen zweiten Vertrag geholt. Inzwischen große Transportfirmen wie Treese oder Schäfer fahren heute noch fast ausschließlich für DHL.“ Ich nickte zustimmend. Schmidt merkte, dass ich langsam unruhiger wurde. „Gut. Ich lasse Sie nicht lange zappeln.“, sagte er lächelnd. „Ich befürworte Ihren Kreditantrag.“ „Heißt das, er ist bewilligt?“ „So gut wie. Bei Krediten, die nicht ganz sicher sind, und das ist die Beschaffung eines Sattelzugs in der Natur der Sache, muss die Geschäftsleitung ihr Okay geben. In der Regel wird aber der Empfehlung des Sachbearbeiters zugestimmt.“ „Wie lange dauert das?“ „Sie kommen aus der Logistikbranche. Sie sollten Wartezeiten eigentlich gewohnt sein.“ Ich musste lachen. „Okay. Also Stunden, Tage oder Wochen?“ „Stunden? Wo von träumen Sie Nachts? Tage? Sicherlich. Wochen? Das wollen wir nicht hoffen.“ „Also wissen Sie das selbst nicht so genau.“ „Hat Ihnen Ihr Chef schon mal gesagt, wie lange er für was braucht?“ Ich musste wieder lachen. „Sie haben Recht.“ „Brauchen Sie die Unterlagen?“, fragte Schmidt. „Natürlich. Das sind die Originale.“ „Haben Sie was dagegen, wenn ich die, für uns relevanten Dokumente kopiere?“ „Tun Sie sich keinen Zwang an.“ „Dann bitte ich Sie noch um ein paar Minuten Geduld, während ich die Kopien mache.“ Ich nickte zustimmend.

Als Schmidt wiederkam, fragte er mich: „Was machen wir wegen meinem jungen Kollegen?“ Ich grinste Schmidt an. „Wenn ich den Kredit bekomme, vergesse ich es.“ „Ich leg mich für Sie ins Zeug.“, sagte Schmidt.

Der Termin am Nachmittag mit dem Mann von der KRAVAG war nun wirklich Routine. Er betreute das Gebiet, in dem Menden lag, schon ewig. Er war auch schon mit einem Bein in Rente. Durch die langjährige Erfahrung, die er hatte, schließlich war die KRAVAG die Nr. 1 bei den Versicherungen im Transportgewerbe, wusste er aus dem Stehgreif, was ich brauchte und was nicht. Speditionsversicherung, Transportversicherung, Haftpflichtversicherung und so weiter und so fort. Auch die eVB-Nummer für die Zulassung der zukünftigen Zugmaschine bekam ich sofort. Nachdem alles abgeschlossen war, hieß es nun warten. Das Wichtigste war nun die EU-Lizenz. Sobald diese da war, konnte ich loslegen. Die Spannung und die Erwartung der ersten Tour für die eigene Firma brachten mich bald um.

Die nächsten Tage verbrachte ich damit, weiter auf die Suche nach potentiellen Kunden zu gehen. Die Kreise um Dortmund wurden immer größer. Immer, wenn die Suche in den Westen ging, bekam ich ein wenig die Kriese. Auch, wenn ich am Rand des Ruhrgebiets aufgewachsen bin, mochte ich es nicht besonders. Wenn man shoppen wollte, war es nicht schlecht. Ruhrpark, Bochum, Rhein-Ruhr-Zentrum, Mühlheim oder Centro, Oberhausen waren dafür nicht schlecht. Aber dieses Stadt an Stadt, an Stadt von Dortmund bis Duisburg nervte. Dann musste man schon ganz in den Süden, zum Baldeneysee, nach Hattingen oder eben Herdecke. Witten lag schon auf der Kippe zwischen „geht noch“ oder lieber nicht. Im Norden, an der Grenze zum Münsterland, ging es auch wieder. Der Norden von Bottrop, Gladbeck, Herten oder Datteln waren schon wieder ganz schön. Genau wie Haltern am See oder Lünen. Natürlich bemühten sich auch die Ruhrgebiets-Städte mit ihrer sogenannten Industriekultur grüne Oasen in den grauen Städten zu schaffen. Wer beispielsweise mal eine Halde erwandert hat, weiß was ich meine.

Ich fühlte mich aber gleich wohler, wenn es in die anderen drei Himmelsrichtungen ging. Im Süden und Südwesten ins Bergische, ins nördlich gelegene Münsterland oder die östlichen Flächen der Soester Börde. Vom Sauerland rede ich gar nicht. Im letzteren erlebte ich eine positive Überraschung.

Bei einem Sägewerk und Holzverarbeitendem Betrieb im Sauerland unterhielt ich mich mit einem alten Bekannten, der mich früher abgeladen hatte, als ich hier Stahlprofile angeliefert hatte. Inzwischen war er zum Versandleiter aufgestiegen. Da er das mit meiner Krankheit wohl nicht mitbekommen hatte, ging ich da auch nicht näher drauf ein. Ich erzählte ihm, was ich vorhatte und dass ich auch Kontakte zur Bauhaus Gruppe aufgenommen hatte. „Hör mir auf mit den Baumärkten.“, sagte er abfällig. Die drücken auch so die Preise, dass sich immer mehr Holzverarbeitende Betriebe zusammenschließen müssen. Im Gegenzug kommen die Klimaschützer, die möglichst nur wollen, dass wir einen Baum fällen, wenn wir vorher dreie angepflanzt haben.“ „Übertreibst du da nicht etwas?“ „Schon.“, gab er zu. „Aber nur ein bisschen. Was können wir denn dafür, wenn zum Beispiel in Kalifornien jedes Jahr tausende Kubikmeter abbrennen?“ „Was macht ihr dagegen?“ „Was können wir im Sauerland dagegen machen, wenn in Amerika die Wälder abbrennen?“ „Das meine ich nicht. Was macht ihr gegen den steigenden Kostendruck?“ „Da kannst du nicht viel machen. Wir basteln ja immer noch an den Folgen von Kyrill. Wir versuchen zwar wieder aufzuforsten, das ist aber auch nicht billig.“ „Und jetzt?„Der Alte hat den Laden verkauft. An die Schweden. Södra heißen die.“Aha.“ „Und jetzt kommts. Auf einmal ist Geld da. Die Schweden haben zusätzlich ein altes Gelände in… …ich glaube Lünen gekauft. Da werden jetzt Holz und auch Forstmaschinen umgeschlagen. Unsere eigenen LKW fahren nur noch da hin, von dort geht es mit Spediteuren weiter.“ „Lünen in Schweden?“ „Quatsch. Bei Dortmund oder Unna oder so.“ „Ach das Lünen meinst du. Das ist ja bei mir um die Ecke.“ „Dann vergiss die Baumärkte und fahr für uns.“ „Gerne. Was denn?“ „Na alles. Holz, Spanplatten, Forstmaschinen, Ab und zu Druckbehälter und so weiter.“ Was brauche ich da? Planentrailer?“ „Geht auch. Für die Maschinen natürlich Tieflader. Die Schweden stehen auf Flachbett Trailer mit Twistlocks.“ „Was?“ „Na offene Trailer. Flachbett Open Deck, weiß der Geier wie die heißen.“ „Das war schon klar. Mit was dran?“ „Twistlocks. Für Container.“ „Jetzt hab ich’s. Was fahrt ihr denn in Containern?„Spanplatten, Pellets, Späne.“ „Verstehe.“ „Was meinst du?“ „Klingt gut. Gehst du auch nach Lünen? Wer vergibt die Ladungen?“ „Die Schweden. Die suchen aber wohl dringend Spediteure dafür. Ich bin weiter hier beschäftigt. Ich bin aber ständig im Kontakt mit den Schweden.“ „Okay. Dann gib denen meine Kontaktdaten.“ „Versprochen.“

Einen potentiellen Kunden bekam ich noch durch Zufall. An dem Freitag herrschte dichter Nebel. Ein Vorgeschmack auf den kommenden Herbst. Im Nebel hatte ich mich verfahren. Mein Audi hatte noch kein eigebautes Navi, weil es dem Vorbesitzer wohl zu teuer war. Mein mobiles Garmin hatte ich in der anderen Tasche, nicht in der, die ich heute mitgenommen hatte. Also irrte ich etwas durch die Gegend. Irgendwo war ich falsch abgebogen. Ich wollte eigentlich die östliche Ecke vom Kreis Soest abklappern. Warstein, Anröchte, Erwitte, Lippstadt. Nach einer Weile kamen mir die meisten Autos mit Paderborner Kennzeichen entgegen. War ich jetzt in Salzkotten oder Büren? Es war auf jeden Fall eine gut ausgebaute Landes- oder Bundesstraße. Den Kreis Paderborn wollte ich eigentlich nicht mehr durchforsten. Das war mir zu weit von Dortmund entfernt. Auf einmal ging rechts eine Straße rein. Am Abzweig war ein Schild mit einem großen EuroMines Logo. Darunter stand „Vereinigte Steinbrüche Paderborn – Erwitte GmbH“ Fahr da mal hin, dachte ich. Entweder das wird ein Kunde oder die können mir den Weg zur A44 erklären. Die Straße, die von der Hauptstraße wegführte, wurde kurz darauf zu einer Schotterstraße. Wenigstens gab es Leitpfähle am Rand. So kam ich im dichten Nebel nicht von der Straße ab. Bei dem Untergrund beruhigte es mich, dass mein Audi Quattro-Antrieb hatte. Plötzlich erreichte ich einen Schlagbaum mit einem kleinen Pförtnerhäuschen. Ich stieg aus und ging in die Pförtnerbude. „Tach auch.“, brummte der Pförtner durch die Zähne, mit denen er an einer Pfeife nuckelte. „Sie haben sich in der Waschküche sicher verfahren. Wo wollen Sie denn hin?“ „Erstmal wollte ich fragen, ob Ihr noch Spediteure sucht?“ „Wie flexibel sind Sie denn?“ „Wie meinen Sie das?“ „Ganz einfach. Entweder kommen hier Spediteure wie Mimberg und Konsorten. Also Kipperfaher.“ Nicht ganz meine Richtung. Für die anderen Sachen ist unser Hausspediteur Universal Transporte aus Paderborn.“ „Was fahren die hier?“ „Alles.“, sagte der Pförtner mit einem schiefen Grinsen. „Die kommen mit Kipper, Flachbett, Semi, Tiefbett, Tele und ab und zu Silos.“ „Da kann ich nicht mithalten.“ „Habt ihr denn solche Fahrzeuge? Kühler können wir hier nicht brauchen.“ „Wir fangen gerade erst an. Aber Flachbett, Semi und Tiefbett sind in Planung. Dazu noch Planen.“ „Wie flexibel seid ihr zeitlich?“ „Genau das soll unsere Hauptaufgabe werden. Schnelle Direktfahrten.“ „Das klingt gut. Universal Transport ist zwar nicht gerade klein, aber manchmal genau aufgrund der Größe auch etwas schwerfällig. Wenn Fahrer und Trailer gerade verfügbar sind, geht’s fix. Wenn nicht, dann nicht. Wir haben sogar manchmal den passenden Trailer hier stehen und in Paderborn steht kein Fahrer mit genug Fahrzeit. Das ist aber eher selten so.“ „Vielleicht können wir da helfen.“ „Warte mal.“

Der Pförtner telefonierte ein paar Minuten und sprach mit jemandem über mich. Als er auflegte, sagte er: „Hast du eine Karte oder sowas?“ „Klar.“ Ich gab ihm eine Visitenkarte. Das „Du“ ignorierte ich. Der Pförtner hatte hier sicher hauptsächlich Fahrer abzufertigen. Als Fahrer würde ich ihn sicher ebenfalls duzen. „Sie bekommen demnächst einen Anruf. Dann wird geschaut, wie flexibel ihr wirklich seid. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, wird es nochmal versucht. Wenn ihr dreimal absagt, können Sie davon ausgehen, dass man Ihre Karte in die Rundablage haut.“ „Dann schaun wir mal.“ „Wohin müssen Sie denn jetzt? Eigentlich haben Sie sich doch verfahren.“ „Autobahn in Richtung Dortmund.“ „A2 oder A44?“ „Eigentlich egal.“ „Egal geht nicht. Eins geht rechts, eins links.“ „Okay, dann A44.“ „Gut. Die Zufahrtsstraße zurück bis zur Hauptstraße. Zur 44 geht es links ab.“ „Gut. Das ist da die B1. Kurz vor Salzkotten hältst du dich links in Richtung Büren. Da geht es auch in Richtung Flughafen. Die Autobahn müsste auch schon beschildert sein.“ „Gut. Da kenne ich mich aus.“ Auch im Nebel?“, fragte der Pförtner mit einem schiefen Grinsen. Ich ging zum Audi und wendete. Langsam und vorsichtig fuhr ich zur Autobahn. Dort war auch die Sicht langsam besser.

Es kann richtig losgehen, dachte ich mir. Zwei Verträge und drei potentielle Kunden. Mehr als genug für eine Maschine.

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