Kapitel 41 – Neues Jahr, neues Glück

Diese Woche…
…fährt Chris Renault…
…Julian fühlt sich wie Hans-Dietrich Genscher…
…und Ricky überreicht einen Fan-Schal!

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Ich war, während ich hinter Keith durch die Läden dackelte, zu dem Entschluss gekommen, nicht vorzeitig nach Hause zu fahren.
Wochenlang hatte Chris einen Bogen um mich geschlagen, um nicht mit mir reden zu müssen und stattdessen heimlich seinen Ausstieg bei uns zu planen. Nun durfte er auch mal warten, während ich nicht so heimlich meinen Ausstieg plante.
Ich musste ihn ja nicht vollziehen und würde mich, anders als er, hüten, hier jetzt schon was zu unterschreiben. Wenn er aus seiner Nummer überhaupt noch raus kam und es ihm mit uns weiterhin ernst war, dann war es das am Dienstagabend noch genauso wie am Samstagmorgen. Mit dem Unterschied, dass er bis da hin vielleicht Klarheit über seine selbst verfahrene Situation hatte.

Der Winter hatte sich in der Nacht auf Samstag ausgerechnet Sheffield ausgesucht, um gnadenlos darüber hereinzubrechen. Aber ich hatte ja Winterreifen auf dem Mietwagen und als gebürtigem Sauerländer wurde einem vor 4 Zoll Neuschnee weniger bange als vor den 400.000 Autos in Greater Sheffield, deren Fahrer wegen dem Schnee die Hosen voll hatten.

Ohne nennenswerte Probleme schaffte ich es aus Sheffield raus und auf die Autobahn nach Manchester. Schon nach kurzer Zeit war die Landschaft schneefrei. Dort angekommen sah ich mir einige Grundstücke an. Auch hier gab es einen bunten Mix aus guten und schlechten Lagen mit guten und schlechten Gebäuden. Die Preise lagen höher als in Südwales, dafür war hier die Wirtschaftslage auch besser. Es war im Vergleich aber keine echte Alternative, das stand schon mal fest.

Den Sonntag verbrachte ich erst noch bei Keith in Sheffield, bevor ich mich am Nachmittag auf den Weg nach Edinburgh machte. Die Termine mit den Maklern am Montag waren hier aber für ein Körperteil, auf dem man meistens sitzt. Offensichtlich wollte man auf trendige Hauptstadt Schottlands machen, aber hatte dabei vergessen, dass Investoren noch mehr Gründe brauchten, um zu investieren als nur ein toller Name und viele Likes auf der offiziellen Facebook-Seite der Stadt. Ein Bisschen Industrie mit dem entsprechenden Güteraufkommen beispielsweise.

Abends war ich dann nach Glasgow gefahren, um in Schottland die Rundreise abzuschließen. Immerhin war der Dienstag der Tag vor Silvester und irgendwann musste ich mich mal bei meiner Familie im Sauerland blicken lassen. Und das war dieses Jahr eben zu Neujahr.

Ich hatte mich gerade von einem Makler auf einem Gelände mit einer auf den ersten Blick abbruchreifen, auf den zweiten immer noch reichlich zerrandalierten und mit Graffiti dekorierten, aber auf den dritten substanziell mit viel Einsatz doch brauchbaren Halle für einen Spottpreis verabschiedet, als mein Handy klingelte. „Büro Julian“ stand im Display.

„Hallo Julian. Was gibt es?“ „Hallo Ricky. Einen Brief von Herrn Dr. jur. Ansgar Mayerhofer aus Nürnberg gibt es. Jetzt verkehrt Chris schon über einen Anwalt mit uns. Wir sollen ihn zum nächstmöglichen Termin auszahlen, er will die außerordentliche Kündigung seines Gesellschaftervertrages.“ „Mit dem allergrößten Vergnügen.“
Zwar bereitete es mir das nicht wirklich, bedeutete es doch das zwar schon längst absehbare, aber damit unweigerliche Ende unserer Liebesbeziehung. Aber endlich war dieser Alptraum überstanden und wir wussten für die Firma, woran wir waren.
„Marlon telefoniert gerade mit Chris, wann er denn gedenkt, hier persönlich aufzuschlagen.“
„Und der Rest?“ „Sind alle über die Tage unterwegs. Sogar Judith hat Marlon-Frei und ist heute mit ihren Freundinnen nach München zur Silvesterfeier in Frauenrunde abgereist. So lange wir die Konditionen nicht kennen und Chris Anteil nicht bestimmt ist, würde ich denen aber sowieso nichts sagen. Ich will hier Pferde weder in die eine, noch in die andere Richtung scheu machen. Oder kannst Du mit Sicherheit sagen, dass wir Chris ausbezahlen können ohne einen Truck verkaufen und damit einen der Jungs rausschmeißen zu müssen?“ Da hatte er natürlich Recht.
Schon um die Zeit rum zu kriegen fuhr ich noch zum letzten Maklertermin auf einem mal wieder unbebauten Grundstück. Allerdings war ich schon nicht mehr so ganz bei der Sache. Erstens, weil das vorherige Grundstück mein Favorit war und zweitens, weil soeben die Wahrscheinlichkeit, dass ich das überhaupt kaufen musste, im Sturzflug Richtung Null war.

Am Mittag flog ich zurück nach Deutschland und fuhr mit dem Zug nach Hause. Hier erwarteten mich Marlon, Julian und ein warmes Abendessen in Form von Zürcher Geschnetzeltem. Chris würde am 2. Januar um 11 Uhr herkommen. Marlon und Julian wollten, wenn ich dabei zustimmte, die Belegschaft um 14 Uhr zur Betriebsversammlung hier haben. Allerdings mussten die auch mitspielen, denn alle drei hatten den Freitag noch Urlaub und mussten nirgends auf unseren Wunsch hin fahren. Da sie alle unter der Hängepartie gelitten hatten, rechneten wir aber damit, dass sie trotzdem hier aufschlagen würden, um schnell zu wissen, wie es weiter ging. Wenn einer ablehnte, gab es die Versammlung eben am Montag vor Abfahrt.
Schon um 11 Uhr sollte natürlich Donald als unser Rechtsbeistand hier aufschlagen. Um 9 Uhr hatte Marlon einen Termin zusammen mit Ludwig bei Dennis, um mal etwas genauer auszurechnen, was die Firma aktuell wert war und wir finanziell verkraften konnten. Dann würde auch ein Absolutwert feststehen, was Chris zustand.
Der Name der Firma sollte erhalten bleiben. Wir wollten Chris nicht aus der Firmenhistorie löschen, also konnte sich jeder Besucher der Firmenwebsite denken, dass das L für „Langerczyk“ stand.

Da hier alles seinen Weg lief, brach ich wie geplant über den Jahreswechsel zu meiner Familie ins Sauerland auf. Ein Bisschen hatte ich auch den Eindruck, dass Marlon und Julian mich schonen wollten. Immerhin war ich von den Ereignissen doppelt betroffen.
In der Tat war ich ihnen nicht undankbar dafür, nahm wegen der unsicheren Wetterlage lieber die Bahn ins Sauerland und verbrachte noch ein paar schöne Tage bei der Familie.

Am Freitag nahm ich direkt nach dem Frühstück den Zug zurück nach Dortmund und war 40 Minuten vor dem großen Termin in Bochum im Büro. Gleichzeitig kam Marlon mit dem Opel Astra auf den Hof gefahren. Donald war schon mit Julian im Besprechungsraum. Wir stimmten uns ab, bis Chris mit seinem Anwalt aufkreuzte. Marlon steckte Julian und mir eine kurze Liste zu, bei welcher Zahlung an Chris wir welche Schmerzgrenzen überschritten.

Es war ein ziemlich kühles Wiedersehen. Wenn man es nicht wusste, konnte man Chris für einen betriebsfremden halten, der aber nicht gerade dazu wurde, sondern noch nie hier gewesen war.
Wie immer, wenn auf beiden Seiten Anwälte zusammen saßen, waren natürlich hauptsächlich die am Reden. Donald hielt den guten Herrn Dr. Mayerhofer in Atem. Immerhin konnten wir uns denken, dass Chris das Geld schnell brauchte. Daher waren wir betont niedrig eingestiegen und Donalds Angebote waren auch mit fortschreitender Verhandlung noch recht zurückhaltend.
Wir mussten sowieso noch nicht einen vollen Geschäftsbericht erstellen, außerdem war der Verkehrswert aller Besitztümer des Unternehmens nie offiziell ermittelt worden, sondern nur bei der Gründung geschätzt und da war das Grundstück, wie mir inzwischen klar war, zu niedrig drin berücksichtigt gewesen – shit happens, vor allem für Chris. Die Zahlen, die Chris aus dem Frühjahr kannte und mit denen sein Anwalt die Fortschreibung gerechnet hatte oder hatte rechnen lassen, waren also zu seinem Nachteil.
Darum konnte Donald munter mit Anteilen und Abfindung im Paket rechnen. Irgendwann zündete er seine letzte Raketenstufe: „Das Kalenderjahr ist ohnehin um, also machen wir einfach eine volle Jahresbilanz, lassen dazu den Verkehrswert von Immobilie und allen Fahrzeugen durch Sachverständige ermitteln. Dann wissen wir in 2 bis 3 Monaten genau, was hier alles wert ist und können centgenau auszahlen. Dann können wir auch eine reguläre Kündigung über ein Quartal und mit Freistellung bei vollen Bezügen machen.“
Ohne dass Chris schon in Nürnberg anfangen konnte und ohne dass er eine Abfindung bekommen konnte. Für uns ein kleiner Verlust, weil wir Chris Gehalt weiter zahlen mussten, während er jetzt mit Abfindung und geschätztem Unternehmenswert das gleiche bekommen würde wie dann nur für seinen Anteil.
Aber für Chris war es eine unwillkommene Verzögerung. Donald verstand auf jeden Fall seinen Job. Und der war es, dafür zu sorgen, dass Chris jetzt effektiv keine Abfindung bekam, wenn man den Wert des Unternehmens realistisch einschätzte. Immerhin ging er – Auflösungsvertrag hin oder her – auf eigenen Wunsch.

Chris und sein Anwalt flüsterten relativ hektisch miteinander. Dann einigte man sich auf die Mitte zwischen Donalds und Dr. Mayerhofers letztem Angebot. Das war ein für beide Seiten akzeptabler Betrag. Donald hatte einen Auflösungsvertrag vorbereitet, in den er den Betrag einsetzte und das Dokument dann Chris und seinem Rechtsverdreher zum Lesen rüber schob.
Letzterer nickte und Chris unterschrieb. Dann folgten die Unterschriften von Marlon, Julian und mir. Damit war Chris in dem Moment effektiv ausgeschieden, die Beurkundung beim Notar und Austragung beim Amtsgericht würde Donald mit seinen Vollmachten am Montag vornehmen lassen.

Die Anwälte verabschiedeten sich. „Dann wollen wir Dir die Chance geben, Dich von den drei anderen auch zu verabschieden, sie warten draußen“, bot Marlon an. In der Tat warf die Hologramm-Tischuhr 14:11 Uhr in den scheinbar freien Raum über dem halbhohen Schrank.

Die Nervosität war unseren Angestellten anzusehen, als sie rein kamen. Julian hielt die Eröffnungsrede. „Hallo Ihr drei. Wir sind uns einig geworden. Chris ist mit sofortiger Wirkung aus dem Unternehmen ausgeschieden und bekommt seine Anteile ausbezahlt. Deshalb können wir Euch jetzt endlich mit Sicherheit sagen, dass es für Euch alle hier unverändert…“ „Jaaa!“ „Juchu!“ Timo und Ilarion sprangen auf, fielen sich um den Hals und tanzten vor Freude im Kreis.
„Na danke. Ich weiß, wann ich nicht mehr erwünscht bin. Bis nachher, ich miete mir mal einen Kombi oder Kleinbus für meine paar Habseligkeiten.“ Chris stand auf und marschierte mit frostigem Blick zur Tür. „Ich geleite die unternehmensfremde Person mal zur Tür und kassiere auf dem Weg die Schlüssel ein. Restliche Bürokratie folgt dann nachher.“ Julian stand auf und ging mit Chris. Er konnte genauso gut unterkühlt auftreten, auch wenn man es bei ihm normalerweise kaum glaubte.

Unsere beiden Freudentänzer setzten sich nun doch ziemlich verlegen wieder hin. Als Julian zurück war, klärten wir ein paar Dinge. Insbesondere sollte Ilarion den Magnum kriegen, damit Marlon und Julian das für zwei Personen im Mix aus Raum und Ablagen besser geeignete Fahrerhaus vom alten Stralis genießen konnten. Auch wenn das ebenfalls nicht optimal war, so waren die beiden Ivecos doch besser für Doppelbesatzungen geeignet als die Renaults. Dem Premium fehlte Lebensraum und dem Magnum fehlten Ablagen.

„Judith musste zumindest mit einem früheren Zug fahren als geplant. Timo ist aus der Eifel vorzeitig hier her gekommen, bei Ilarion weiß ich nicht, was wir durcheinander gebracht haben…“ „Auch den Silvesterurlaub einen Tag früher als geplant beendet.“
„Ihr habt das alles freiwillig gemacht, keiner von Euch musste heute hier sein. Wir hätten auch am Montag die Betriebsversammlung vor die Abfahrt legen können und haben Euch das angeboten. Dass Ihr hier seid, zeigt uns aber, dass ihr an dieser Firma interessiert seid und gerne hier arbeitet. Deshalb will die Firma auch mal was für Euch tun. Habt Ihr morgen am späten Nachmittag und am Abend schon was vor?“
Kollektives Kopfschütteln. „Gut, dann schmeißen wir hier ab 18 Uhr eine kleine Neujahrsfeier!“

Wir lösten daraufhin die Versammlung auf, Marlon fuhr mit Judith weg, Ilarion ging zur S-Bahn und Julian ging mit Timo und mir rauf in die Wohnung. Die Zeit reichte für eine Scheibe Brot, bevor Chris wieder da war, ausgerechnet mit einem Renault Kangoo Rapid Maxi. Julian konnte sich ein bissiges „Ah, der Weg zu besseren Trucks beginnt schon mal bei Renault-Nutzfahrzeugen!“ nicht verkneifen.
Zuerst einmal erledigten wir noch die Bürokratie rund um die bereits erfolgte Schlüsselrückgabe und dergleichen im Büro, dann ging es in die Wohnung. Die große Arbeit hatte Judith am Montag und durfte das Ergebnis dann im Umschlag rausschicken. Da er noch keine Wohnung hatte, erfuhren wir auf dem Wege immerhin Chris neue Firma, denn da sollten die Unterlagen hin.

Chris Besitztümer waren vor allem irgendwelche Anschaffungen, die er entweder für die WG gemacht hatte oder an denen er sich beteiligt hatte. Das gemeinsame Bett konnte er von mir aus haben, dazu entführte er in Absprache mit uns das eine oder andere Küchenutensil und den selten genug genutzten Blu-Ray-Player. Aber er war ja demnächst regelmäßig abends zu Hause.

Als er seine Klamotten aus dem Kleiderschrank räumte und in einem Karton verstaute, fiel mir auch noch was in meinem Schrank ein.
Er hob den Karton an und nahm Kurs auf die Zimmertür. Ich hatte gefunden, was ich suchte und legte ihm den Schal von Fortuna Düsseldorf um den Hals. „Nein, den kannst Du behalten. So wie der Kölner-Haie-Schal auch hier irgendwo drin ist. Was hindert Dich daran, mal alleine zur Fortuna zu gehen? Sie ist doch auch ohne mich Dein Verein.“
Zeit für die letzte harte Wahrheit des Tages: „Nein und nie gewesen. Sie war Dein Verein und ich wollte Dir gefallen. Mein Verein war seit meiner Jugend der VfL Bochum, aber nur in der Sportschau und um mitreden zu können. Du hast mich in Düsseldorf nur zum Fußballgucken im Stadion gebracht. Zu meinem Verein zurückgeführt hat mich Julian vor Weihnachten. Ich werde nur noch mit blau-weißem Schal zum Fußball gehen.“
„Ich fackele den Haie-Schal ab, wenn ich auspacke.“
Was eine kindische Drohung. „Polyacryl brennt eh nicht vernünftig. Aber das ist mir so was von egal. Und mit jeder Minute, die Du hier Deine komische Show abziehst, wirst Du mir egaler.“

„Dabei ist das alles nur Deine Schuld!“ „Warum?“ „Wenn Du nicht so heimlich und etwas früher mit dem Volvo gemacht hättest, wäre ich noch hier.“ „Wenn Du mal klipp und klar gesagt hättest, was Dich stört und was Du genau willst, wärst Du es auch. Andeutungen über wie auch immer „bessere“ Trucks reichen nicht. Und da Du den Zug „verpasst“ hast, geht eine ganze Woche auf Deine Kappe! Da lag das alles schon als Überraschungsgeschenk hier für Dich bereit.“ Ich war mir inzwischen sicher, dass das Absicht gewesen war. Sein Gesicht nach dieser Ansage erinnerte mich denn auch an das von Timo beim Trinken von Zitronenkaffee.
„Aber da Du den letzten Spruch eh nicht mehr toppen kannst, mit jedem Wort Dein wahres Gesicht mehr zeigst und außerdem an Deinem RENAULT angekommen bist, wünsche ich Dir für Deinen weiteren Berufsweg viel Glück.“ Ich betonte auch noch mal Renault, auch wenn dieser unschuldige Europcar-Kangoo Maxi da nichts zu konnte. Und der letzte Satz war im Arbeitszeugnis eine glatte 5, aber mit Zeugnissprache hatte er sich ja nicht befassen müssen.
Er bedankte sich artig und stieg in die Nashorn-Gummipuppe ein (manche werden sich an die Werbung für das Vorgängermodell erinnern, für den Rest gibt’s Youtube…)

War mir noch zum Heulen gewesen, als er nach dem Streit ums Auto vom Hof gegangen war, fühlte ich mich jetzt befreit, als er mit dem Mietwagen die Straße runter rollte.
Ich brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben wie damals, als ich Luke sitzen ließ. Ich brauchte mich nicht verletzt zu fühlen wie dann, als Björn mich hatte sitzen lassen. Chris und ich hatten uns im beiderseitigen Streit getrennt. Der Grund dafür mochte noch so bescheuert gewesen sein, aber uns dürfte beiden schon vor Weihnachten klar gewesen sein, wie das ausgehen würde. Die Leere würde kommen, wenn ich am Montag alleine in das Führerhaus kletterte, das war trotzdem zu erwarten. Bis dahin galt es, die Lücken im Hausrat aufzufüllen und eine Party zu organisieren.

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