Kapitel 61 – Wir müssen mal über Insolvenz sprechen

Montag, 29.03.2021

Brian hatte mich um 6 AM Ortszeit wieder zur Arbeit bestellt, was aber bei einem Release, wo er mir freistellte, vor Ort zu bleiben oder wo anders hin zu fahren, bedeutete, dass er noch keinen Auftrag gehabt hatte. Ich war also gespannt, ob er schon was gefunden hatte übers Wochenende und schaltete Isotrak schon mal aktiv, während ich frühstückte.


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Das war überraschend direkt nach Hause. Okay, es ging immer noch 300 Meilen dran vorbei, aber ich hatte eher damit gerechnet, über Idaho, Washington oder ein gutes Stück südlicher in Kalifornien vorbei zu kommen. Andererseits war es auch noch gut möglich, dass ich von Sacramento dann Medford überschießen könnte und nach Portland oder so fahren musste.
Nun ging es aber erst einmal raus zur PTI, dann zu Walmart, Die Achsen konnte ich dort nur nach Gefühl schieben und auf eine brauchbare Gewichtsverteilung hoffen ebenfalls, denn die nächste CAT Scale war in Grand Junction, fast 70 Meilen und somit über eine Stunde Fahrt von hier. Es war schon nach 7 AM, als ich schließlich mit Fracht losfuhr. Es war wieder recht neblig, so konnte man den aufgeständerten Kampfjet am Montrose Airport, das Wahrzeichen vorm Terminalgebäude, auch nur erahnen.

Und in Grand Junction passierte mir dann ein Anfängerfehler. Ich folgte dem Navi, dem ich nicht den Pilot als Unterwegsziel eingegeben hatte und somit war ich nun nicht auf einer Waage gewesen. Nun hieß es umso mehr hoffen und bangen. Selten war ich so erleichtert wie heute, als an der Loma Weigh Station der Bypass kam. Kurz danach verließ ich das farbenfrohe Colorado, wie mir das umso einfarbigere Schild am Straßenrand mitteilte.

Die Peerless Weigh Station an der US-6 / US 191 in Utah war nur Southbound, also konnte ich mein kleines Gewichtsproblem erst mal beruhigt vertagen. Nach knapp 5 Stunden erreichte ich für die Mittagspause den Flying J in Provo, wo ich mir dann die Bestätigung abholen konnte, dass ich zwar so weit nicht verkehrt beladen war, mich aber mit meiner Schätzung um 1 bis 2 Löcher vertan hatte und auf einer staatlichen Waage somit ein Bußgeld für falsche Achslasten fällig gewesen wäre.

Anschließend ging es bei Salt Lake City auf die I-80 West und dort kam mir der Zug der Woche entgegen. Um den noch zu stürzen, mussten sich die Bahngesellschaften ordentlich anstrengen, denn hinter den Loks hing ein Flachwagen mit dem Rohrumpf einer Boeing 737 als Fracht
.

Der Port of Entry ließ mich ebenfalls per Bypass an der Waage vorbei. Und als Osino mir dann die rote Lampe zukomme ließ, war ich entspannt, denn ich wusste, was mich erwartete: unter 75,000 Pfund korrekt auf die Achsen verteilt. Entsprechend durfte ich auch gleich weiter.
Weit kam ich aber nicht mehr, denn die Zeit rannte mir jetzt schon davon. Also wurde es Exit 303 Sinclair in Elko, eine Stadttankstelle mit ein paar Truckstellplätzen und nicht zu weit von der Interstate weg. Restlenkzeit 9 Minuten. Die Idaho Street entlang gab es wenigstens ein paar Restaurants, in denen man brauchbar Essen konnte. Da es oft genug mexikanisch gab, blieb ich beim Asiaten hängen und weil es ein Japaner war, mir aber nicht nach Sushi war, entschied ich mich fürs Chicken Teriyaki, was eine gute Wahl war.


Dienstag, 30.03.2021

Hier hielt mich nicht wirklich was. Ich nutzte also nur noch die Toilette und das Waschbecken, um mich frisch zu machen, frühstückte Mini-Wheats und war nach meiner PTI um 5:45 AM schon wieder unterwegs.

Anderthalb Stunden später passierte ich Winnemucca, wo wir normalerweise die Interstate verließen. Heute ging es mal wieder geradeaus weiter. Die Einreise nach Kalifornien gegen 11 AM war auch kein Thema. Ich hatte soweit „aufgegessen“ und keine Frischwaren dabei. Industriell hergestellte und abgefüllte Getränke als Ladung gingen ebenfalls ziemlich einfach durch.

So war ich um 1:12 PM am Walmart Neighborhood Market in Sacramento und nutzte die Ladezeit aus, um selbst vorne im Laden noch ein paar Vorräte zu kaufen. Viel war es nicht, denn Brians nächster Auftrag führte zu meiner Überraschung nicht etwa nach Süden oder nördlich über Medford hinaus. Es sah so aus, als wollte er mich schon über einen Tag zu früh zu Hause haben, Walmart war dabei mal wieder hilfreich.

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Was Isotrak so als “Dole Sacramento” bezeichnete, erwies sich als eine Farm südwestlich von Williams, um die 40 Meilen von Sacramento selbst entfernt, aber das kannte ich ja inzwischen, vor allem bei Land- und Forstwirtschaft war man oft weit entfernt von der Bezugsstadt.

Mit dem Obst auf dem Trailer und einer wegen Unfall voll gesperrten I-5 North versuchte ich, mich über die hier auch nicht sonderlich dichten Landstraßen nach Norden vorzuarbeiten. Mit der Idee war ich nicht alleine und so hatte ich mit beständig wegrinnender Restfahrzeit eine Übernachtung auf einem Feldweg gewonnen. Ich telefonierte mit Alex, dass ich vielleicht schon morgen zu Hause sein könnte, aber nicht wusste, was Brian genau im Schilde führte.


Mittwoch, 31.03.2021

Der Feldweg lief parallel zur Straße und bot weiter vorne auch eine erneute Auffahrt, also verzichtete ich auf gewagte Rangiermanöver im Dunkeln und fuhr die 2 Meilen parallel über die Schotterpiste.

Und bei Walmart in Redding kam dann die inzwischen schon fast erwartete, aber doch irgendwie mir nicht wirklich sinnvoll erscheindende Meldung.

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Geschrieben, getan. Also stand ich gegen halb eins bei Brian auf der Matte. „Evan ist erst in knapp einer Stunde da, stell auf Pause, wenn Du es nicht gemacht hast und geh in der Zeit was essen. Dann muss ich nur einmal erzählen. Casey kommt dann auch dazu.“
Die Straße runter war ein kleines Einkaufszentrum mit Fressmeile, wo ich mir eine Pizza holte. Als ich wieder auf dem Rückweg war, rollte kurz vorm Yard Caseys Auto an mir vorbei. Kurz danach traf auch Evan ein und wir stellten uns mit dem gebotenen Abstand in Brians Büro auf.

„Ich überlege gerade, ob ich mich selbst beweihräuchern soll oder Euch einen Schrecken einjagen soll.“ „Wie ich Dich kenne, machst Du eh am Ende beides.“ „Stimmt! Wir müssen mal über Insolvenz sprechen.“ Brian schien zwei Sekunden lang unsere dummen Gesichter zu genießen. Uns kam das irgendwo zwischen zwei Minuten und zwei Stunden vor. Auch wenn wohl noch irgendwas kommen musste, für das er sich selbst loben wollte. „Aber Ihr dürft ja froh sein, bei mir zu arbeiten, denn es geht nicht um unsere.“ „Das kostet Dich noch was…“
„Ich habe vier Trailer von zwei insolventen Speditionen in Nevada ersteigert. Zwei Flatbed bilden ein STAA-Double und dazu zwei RGN Lowboys. Und Ihr habt nun noch die ehrenvolle Aufgabe, die Dinger in Carson City einzusammeln und bei Isaac zur Wartung und optischen Auffrischung abzuliefern.“
„Carson City. Wie war das mit dem was kosten? Warst Du schon mal im Yosemite Park, Evan?“ „Nein“ „Aber 3,000 Dollar Budget habt Ihr nicht!“ „Warum so viel? Das sind ein paar Stunden und ein paar Liter Diesel. 20 Dollar Maut je Maschine oder so.“ „Weil es schon mal wegen falschem Kartenmaterial im Navi jemanden hier oder am Ende mich als denjenigen, der das bewusste Fahrzeug so bereitgestellt hat, 1,000 gekostet hat.“ „Ich war es nicht, Evan war nie da. Dass der Jemand Brandon heißt, ist dann auch nicht mehr schwer. Dann wäre also auch geklärt, wer die Lagerfeuergeschichte erzählen kann. Aber wir sind Bobtail und verboten ist es nicht, mit Trucks durch zu fahren sondern nur „Commercial Road Use“. Auf dem Hinweg geht das also, da Zugmaschinen alleine laut theoretischer Führerscheinprüfung nicht als gewerbliche Fahrten gelten.“
Brian sah nun dennoch ein paar hundert Dollar auf ihn zukommen, denn wenn er uns Bobtail schickte, dann war es im Sinne unseres Arbeitsvertrages schon eine gewerbliche Fahrt und er musste uns die Meilen erst mal grundsätzlich bezahlen. Wenn wir ungerechtfertigte Spritztouren machten, konnte er natürlich den Auftrag immer noch manuell auf Bezahlung der kürzesten Strecke umstellen, die in vielen Firmen genauso Standard war, wie Leerfahrten gar nicht zu bezahlen. Aber bei ihm war es im Normalfall weder unser Problem, wenn die Ladung mal im Nachbarstaat auf uns wartete, noch wenn wir einen gerechtfertigten Umweg oder eine Umleitung wegen Straßenzustand und Verkehrslage vorzogen – oder einfach nur Sightseeing auf einer Parallelstrecke machten, die nicht wesentlich mehr Meilen bedeutete.
„Evan und Brandon haben aber im Gegensatz zu Dir Partner, die hier morgen auf sie warten.“
„Nö, Danny hat bis in den Freitag noch einen Langstreckenflug, um einen verunfallten Patienten in seine Heimat nach Wyoming zu verlegen.“ „Alex hat dafür sicher Verständnis.“ So einen coolen Trip mit meinen beiden Kollegen wollte ich mir ungern entgehen lassen und auch der BKR Truck Driving Kanal würde da ein Highlight drüber bekommen.
„Also gut, ich gebe auf. Warum auch immer ich mich auch noch darauf einlasse, Euch dafür zu bezahlen, dass Ihr keinen Humor versteht.“
Oh, eine Steilvorlage: „Damit wir auch in Zukunft noch froh sein können, bei Dir zu arbeiten.“ Evan und Casey lachten, Brian guckte so dumm wie wir eben. „Raus jetzt! Viel Spaß im Yosemite Park. Ich erwarte, auf Brandons Youtube-Kanal an dem Vergnügen teilzuhaben.” „Natürlich. Das lasse ich meinen Zuschauern nicht entgehen.” Ein kurzer Anruf bei Alex gab mir Auslauf. Er wünschte mir viel Spaß und bedauerte es, dass er morgen noch arbeiten musste und es wegen der Hygieneregeln rechtlich derzeit nicht überall möglich wäre, sonst wäre er gerne mitgefahren.

Gut gelaunt bereicherten wir nun also die I-5 South um den seltsamen Anblick, je einen Kenworth T800, Freightliner Cascadia und International LoneStar als Solozugmaschine in Kolonne zu fahren. Evan war noch mal 15 Minuten schlechter mit Lenkzeit dran als ich und so schafften wir es nicht mehr auf den Pilot in Orland sondern mussten eine Stadt vorher in Corning auswürfeln, zu welcher Kette wir wollten.
Die Wahl fiel auf Love’s, weil wir davon ausgingen, dass die gegen die Konzernschwestern Petro und TA, die hier mit Masse glänzten, auf Qualität setzen würden. Außerdem gab es hier ein Denny’s, wo ich dann die Story mit der Strecke durch den Nationalpark erzählte, bevor Casey anfangen konnte, eine Lagerfeuer-App auf seinem Handy abzuspielen. Er lachte sich tot: „Mit einem besseren Truck wäre das nicht passiert! Aber Du musst ja International fahren!“


Donnerstag, 01.04.2021

Im Gegensatz zu Southern California neigte der Norden durchaus öfter zu Regen. Hoffentlich war wenigstens am Nachmittag das Wetter gut. Ich ging mit zu Caseys Truck, Evan schloss sich aus Neugierde auch an. „Was wollt Ihr von mir?“ „Sehen, wie Du das Navi programmierst. Chevron Station, 8028 Big Oak Flats Road, California 95389.“ Casey fing an zu programmieren, hatte aber schon den gleichen Verdacht wie ich: „Ich und mein großes Maul.“ Und dann war das Ding fertig: „Route wurde berechnet.” Kein Wort über eine Beschränkung der Durchfahrt. „Scheinbar sind unsere Trucks ebenbürtig!“ Hinter mir hörte ich „Edmund“ sprechen, denn da kein fest eingebautes drin war, hatte Evan das gleiche Navi wie ich es für den Superliner gekauft und im 9400i weiter genutzt hatte – und wie ein bekannter Youtuber aus Kanada: „Route wird berechnet.“ Nach einer kurzen Gedenkpause kam: „Das Ziel befindet sich in einem Sperrgebiet!“ „Na, was sagt Ihr jetzt?“ „Na ja, weil Dein Truck so schlecht ist, dass nicht mal ein Navi drin ist, kannst Du Dich dafür aber allenfalls bei Rand McNally bedanken!“

Bei Stockton hörte der Regen dann auch tatsächlich auf. Nun stand einem schönen Tag im Nationalpark nichts mehr im Wege. Nach genau 6 Stunden waren wir am Parkplatz Yosemite Forest. Der hieß so, weil er mitten im Wald war und es sonst nichts zu sehen gab. Ich hatte den Grill dabei, also gab es nun erst mal Mittagspause.
Anschließend fuhren wir weiter, für heute hetzte uns sowieso nichts mehr. Daher war schon nach einer Stunde die nächste Pause fällig und ich führte uns auf einen Parkplatz mit Aussicht, wo ich meine Drohne auspackte und steigen ließ. Theoretisch war das verboten, praktisch war es mir gerade egal. Ich sollte davon nur nichts ins Youtube-Video rein schneiden. Leise genug war sie, um nicht jeden sofort drauf aufmerksam zu machen, Evan und Casey standen Schmiere, ob ein Ranger die Straße rauf kam.

Später, nun hatte Casey die Führung, hielten wir noch mal für 10 Minuten am Tenaya Lake. Hier, dichter an der Straße und der Rangerstation blieb das Fluggerät aber im Truck.

Bald darauf war der Park zu Ende, wir bogen auf die US-395 ab und fuhren bis nach Carson City zu einem Maverik Adventure’s. Das war zwar nur eine Tankstelle, aber immerhin mit Toiletten und 24/7 offen. Das Abendessen konnten wir klein halten mit einem Salat aus dem 7Eleven gegenüber.


Freitag, 02.04.2021

Da Karfreitag bis auf eine Handvoll Staaten, wo Nevada nicht zugehörte, kein Feiertag war, konnten wir problemlos die Trailer abholen. Evan nahm das 2x 28‘ Flatbed STAA-Double, Casey den Zweiachs-Standard-RGN und ich den längeren Dreiachs-RGN. „Muss ich da was beim Ankuppeln beachten? Du bist ja schon so was gefahren.“ „Nein, nicht wirklich, wenn er leer ist. Wäre eine Maschine drauf, müsstest Du, wenn Du in Linie stehst, etwas entschlossener drunter brettern. Der Hals gleitet über den Rahmen, bis Du den Zapfen in der Kupplung hast. Ohne Anlauf und mit einer schwereren Maschine verhungerst Du auf halbem Weg. Am besten gebe ich Euch noch mal in Ruhe eine Einleitung auf dem Hof, wenn wir mehr Zeit haben. Auch wie man das Ding zerlegt und wieder zusammensetzt.“ Wir erledigten noch den Papierkram mit dem Auktionshaus und dann waren wir auf dem Heimweg.

Weil wir alle drei ziemlich gute Dauerfahrer waren, schafften wir es bis Klamath Falls, immerhin sechseinhalb Stunden. Dort machten wir 30 Minuten Pflichtpause und fuhren die letztem 90 Minuten nach Medford, wo wir wie gewünscht die Trailer bei Isaac abstellten, die leeren Tanks gleich wieder befüllten und zur Firma fuhren. Nun war wirklich Osterwochenende.

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