Diese Woche…
…fährt Timo lieber dahin, wo ihm das Essen nicht schmeckt…
…bekommen wir Konkurrenz…
…und Ricky macht einen unfreiwilligen Bremsentest.
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Es ging los wie immer. Julian und Marlon waren schon auf dem Weg nach Frankfurt. Timo durfte gleich von Düsseldorf nach Birmingham aufbrechen und Ilarion war gerade weg, bei ENI in Duisburg einen Trailer abholen und am Ziel in Dubrovnik seine serbokroatischen Sprachkenntnisse auspacken.
Timo hatte es nicht gefallen, dass er auf die Insel musste, aber er maulte nicht drüber. Und als ich ihm angeboten hatte, seine 27 Tonnen Zuggewicht mit 500 PS auf die Insel zu ziehen, während er mit 40 Tonnen und 460 PS der Reihe nach zum Angriff auf Westerwald, Taunus, Spessart, Fränkische Alb, Wiener Wald und Vértes blasen müsste, ließ er mir den Auftrag nach Ungarn übrig.
Bei dem üblichen Regen suchte ich mir meinen Weg aus dem Ruhrgebiet. Dieses Mal war es an mir, bis Nürnberg mit Ilarion den Mini-Konvoi zu fahren. Wir fanden uns auf der A3 bei Siegburg, nachdem er eine Zeit lang langsamer gefahren war und ich die 5 Kilometer zugefahren hatte.
„Willst Du vorbei und ich mache Dir die Spur frei, wenn Du raus musst?“ „Na hör mal, ein paar PS mehr als Timo habe ich. Aber Respekt, dass Ihr den Trick raus habt.“ „Du weißt doch, die letzten Monate hat der Helmut mich ausgebildet. Der hat so was auf dem Kasten und ich bin manchmal mit dem hintereinander gefahren. Weil ich einen XF 105.410 hatte und er seinen Actros 1848, hat er mir das natürlich beigebracht. Ein paar von Euren Alte-Hasen-Tricks kenne ich also doch!“
Nach der gemeinsamen Mittagspause fuhren wir weiter hintereinander her bis Nürnberg, wo Ilarion auf die A9 nach München wechseln musste und ich auf der A3 Richtung Passau blieb. Bei Regensburg machte ich Feierabend auf einem der letzten freien Stellplätze, eine Handbreit vor der Ausfahrt auf die Autobahn.

Am Dienstag ging es fahrerisch ereignislos durch Österreich und nach Ungarn rein. Allerdings gab es zwischendurch einen erwähnenswerten Anruf von Marlon und Julian. „Hallo Ihr zwei!“ „Hallo!“ „Hallo Ricky. Wir haben einen neuen Marktbegleiter, wie man auf politisch korrekt die Konkurrenz inzwischen nennt.“ „Aha?“
„MM Transporte aus Duisburg. Fährt auch Kundentrailer spazieren, geht auf Gefahrgut und hat gute Beziehungen zum ENI-Konzern.“ „Nie gehört, aber dann wird es wohl in unserer Marktnische mal langsam etwas enger. Wobei das im Ruhrgebiet nicht zum Problem werden sollte.“
„Sagt Dir Manfred Menke noch was?“ „Das war doch ein Sub von ENI aus Duisburg? Einmannladen, der den Ruf hatte, sich nicht aus der Metropolregion Rhein-Ruhr raus zu trauen.“ „Der ist kürzlich gestorben, der Laden gehört jetzt seinem Neffen, Marc Mertens – nicht verwandt oder verschwägert mit Judith. Und der hat als erste Amtshandlungen mal in eine GmbH umfirmiert, den Laden auf links gezogen und einen zweiten LKW angeschafft.“ „Dann hat er ja was vor. Wo habt Ihr das denn her?“ „Kaffeeklatsch bei ENI in Essen gehalten. Der ist übrigens ursprünglich Sauerländer wie Du, kommt wohl aus Menden oder so die Ecke.“ „Na ja – zwischen Menden und Marsberg ist vielleicht im Alphabet nicht viel Platz, aber in allen anderen Belangen sind das so ziemlich die am weitesten voneinander entfernten Punkte überhaupt im Sauerland.“
Am Mittwoch jagte mich das Navi erst einmal auf Landstraßen nördlich um Budapest, wenigstens war weniger Verkehr als um die Uhrzeit befürchtet. Die Stadt lag im Nebel.

Irgendwann musste ich tanken und die Fahrzeit würde sowieso nicht mehr zum Ziel reichen. Mal wieder meinte ein PKW-Fahrer, man könnte einen LKW noch überholen und dann vor ihm auf den Rastplatz fahren. Aber da waren mir schon schlimmere Idioten untergekommen, hier war noch ausreichend Platz, auch wenn ich mal etwas schärfer bremsen durfte.
Gegen Mittag wechselte ich den Trailer gegen einen baugleichen, den ADM allerdings schon mit flüssigem Phoshatdünger gefüllt hatte.
Den Preis für das Kleinhirn der folgenden Etappe gewann ein Kollege mit einem Renault Magnum und kleinem Motor. Er war aus Richtung Kosice gekommen und auf die Autobahn gefahren. Ich hatte den Tempomat auf 80 stehen und war auf die linke Spur gegangen, um ihn rein zu lassen. Als Dank gab er Gas und ging irgendwann auf 85.
Mit der Andeutung einer Steigung fiel er aber wieder zurück, nur um in der nächsten Ebene wieder schneller zu werden als ich. Dieses Spiel würden wir ewig treiben können, wenn ich es nicht beendete.

Da mir nicht nach Gas wegnehmen und hinter ihn zurückfallen war, klickerte ich mal schnell den Tempomaten auf 90, ließ die 500 PS ihre Arbeit machen und regelte dann vor ihm auf 80 zurück. Er wollte zwar wieder in der Ebene zum Überholen ansetzen, aber ein längerer Berg kam zur rechten Zeit, beendete das Spielchen und er wurde nach und nach zu einem gar nicht mehr so Magnum Punkt im Rückspiegel.
Der Mittwoch endete genau eine Autobahnbreite von der Stelle entfernt, wo er begonnen hatte.

Am nächsten Tag blieb mir auch nicht viel Zeit, um ungestört dahin zu gleiten. Ein Reisebusfahrer mit der Fuhre voller Schulkinder hatte mich erst einmal kurz vorm Autobahndreieck rasant überholt und konnte sich dann nicht für Österreich oder Ungarn entscheiden, weshalb er direkt nach dem Einscheren voll in die Eisen ging.
Mit ratterndem ABS rauschte ich auf das Hindernis zu, mein Gesichtsausdruck war vermutlich genauso panisch wie der der drei Jungs auf der Rückbank. Bei 45 km/h und maximal noch einem halben Meter Platz wurde die Lücke wieder größer.

Für den Hauch einer Sekunde dachte ich auf den Schreck und die folgende Erleichterung an eine Zigarette. Das letzte Mal, dass ich eine im Mund hatte, war in Wales gewesen und musste inzwischen über 8 Jahre her sein.
Abends, wenn wir mit Freunden im Pub waren, hatte ich dabei auch mal in die herumgereichte Schachtel gegriffen. Gelegenheitsraucher waren auf englisch „Social Smokers“, was es ganz gut traf, da diese Gelegenheit meistens in Gesellschaft war.
Umso erschreckender fand ich meinen Gedanken jetzt alleine und aus Stress und zwang mich daher, bis ans Ende der Lenkzeit konzentriert weiterzufahren. Hinter Wien war es dann so weit und das einzig längliche, das ich mir dort genießerisch in den Mund steckte, war eine Bosner Wurst. Die Schachteln mit Tabakwaren interessierten mich zum Glück wie bisher wieder nicht die Bohne.

In Klagenfurt bei Hellmann wurde ich den Dünger los. Allerdings wurde die Dispositeuse hektisch, als es um meine Anschlussfracht ging. „Hier ist wohl was schief gelaufen?“ „Was denn?“ „Der Sub im Verteilerverkehr hat den Trailer nicht hier abgestellt. Nach meinem System steht der in Villach.“ Na toll, also leer da rüber oder was?
Genau darauf lief es nach einem kurzen Telefonat mit der anderen Niederlassung hinaus, mit viel Bitten und Betteln wurde ich um den See geschickt. Auch bei Hellmann war noch nicht jeder Sondertrailer seine Weihnachtsplane schon wieder los und so hatte ich bald darauf einen Schlitten im Winterwald hinter mir hängen.

Durch eine Baustelle wurde ich vorm Ziel in Udine noch mal aufgehalten, konnte aber schließlich die Füllleistung Sammelfracht abhängen und ins Hotel fahren.
Auch danach hatte ich leider von Judith nur eine Kompromissfracht bekommen. Mit Äpfeln sollte es nach Budapest gehen. Als das nun amtlich wurde und sich nicht mehr ändern ließ, versuchte ich wenigstens, das Wochenende ein Bisschen Gesellschaft zu bekommen.
„Transalpin Logistik, Felix Bahlinger, guten Abend.“ „Hallo Felix, hier ist Ricky Kaiser. Du erinnerst Dich an den Sommer und meinen damaligen Lebensgefährten? Iveco mit Motorplatzer in der Slowakei?“
„Hallo Ricky! Klar erinnere ich mich. Ehemalig hört sich aber nicht so gut an.“ „Ja, wir haben uns Ende des Jahres zerstritten. Und Du hast Dich nur von Kühnes und Nagels getrennt?“ „Ja, sie haben die Niederlassung verkleinert, LKW verkauft und Fahrer entlassen. Ich habe meinen Bausparvertrag geplündert, die klägliche Abfindung dazugetan und mir meinen Actros von damals gekauft. Jetzt bin ich Selbermacher wie Du.“
„Pass auf, ich bin auf dem Weg von Udine nach Budapest und schaffe es heute nicht mehr ans Ziel. Kannst Du mir ein gutes und günstiges Hotel in der Nähe von Wien für das Wochenende empfehlen?“ „Mein Sofa.“ „Ernsthaft? Das wäre cool.“ „Ja. Und deinen Lastzug kriegen wir in meiner Halle auch unter.“
Er gab mir die Adresse. „Dann bis nachher. Das Navi sagt 13 Uhr.“ „Ja, bis dann.“
Das mit 13 Uhr sollte aber nicht klappen, kurz hinter Klagenfurt kam der Verkehr zum Erliegen. Im Radio wurde von einem schweren Unfall und Vollsperrung berichtet. Ich griff zum Handy.
„Hallo Felix, ich verspäte mich wohl. Zwischen Klagenfurt und Graz ist eine Vollsperrung.“ „Ich weiß, wo stehst Du?“ Ich las die Kilometerangabe am Straßenrand ab. „Na dann passt das. Ich stehe nicht mal 2 Kilometer vor Dir.“
Schließlich löste sich der Stau nach 3 Stunden auf und fast genau um 16 Uhr fuhr ich endlich in Perchtoldsdorf auf Felix Firmenhof. Er erwartete mich schon, 2 Kilometer Stau auflösen hatten ihm aber wohl auch nicht so viel Vorsprung gegeben.
„Magst Du Deinen LKW noch sauber machen?“ Ich nutzte die Gelegenheit, sprühte das Fahrerhaus mit dem Hochdruckreiniger ab und wischte mit einem extra dafür bereitstehenden, zweckentfremdeten Mikrofaser-Wischmopp trocken, weil es hier keinen Ionentauscher in der Wasseraufbereitung gegen Kalkflecken gab wie bei uns, wo man den LKW auch tropfnass abstellen konnte und ein sauberes Ergebnis bekam. Nachdem auch der Staubsauger gesprochen hatte, fuhren wir zu Felix Wohnung.
