Diesmal…
…kommt Judith zu spät zur Arbeit…
…Ricky überschreitet Verkehrsregeln…
…und stellt einen Trailer aus vergangenen Tagen in der Halle ab!
———————————
Immerhin kam Julian inzwischen auf den Hof und ich ging runter, um den Truck sauber zu machen. Timo und Ilarion hatten es gleich geschafft, ihre beiden Trucks jeweils im Teamwork sauber zu bekommen. Weil Julian sofort aufgebrochen war und Marlon nach der heutigen Solo-Tagesrunde alleine beim Putzen hatte stehen lassen, hatte ich dem geholfen und bekam wenigstens jetzt zum Dank auch seine Hilfe beim Hi-Way putzen.
Danach wagte ich mich noch mal in die Höhle des Löwen in Briefumschlagform. Die Klammer des Klemmhefters war klar zu fühlen und mir eben schon aufgefallen. Das Portrait auf der Briefmarke blickte so majestätisch drein, wie es sich für eine Königin gehörte. Und ich konnte den Brief noch 100-mal weglegen und wieder in die Hand nehmen. Der Absender würde immer der gleiche bleiben:
Lucas Leighton
41 Hall Park Estate
Sheffield S6 5QV
United Kingdom
In der Tat war in dem Umschlag, was ich vermutet hatte. Eine Bewerbung als Fahrer bei uns. Warum machte er das? Er konnte doch einfach anrufen. Nein, konnte er nicht! Keith hatte ihm vor einem Jahr meine private Handynummer gegeben und die stimmte seitdem wegen einem Providerwechsel nicht mehr.
Weil ich den nach Weihnachten geimpft hatte, ihm weder die neue noch die dienstliche zu geben, war für Luke also über Keith kein Herankommen mehr an mich. Alle anderen Wege zu mir waren die Festnetznummer der Firma oder die info@ Email und würden bei Judith enden. Aber ein persönlich adressierter Brief hätte es doch auch getan, um mir etwas mitzuteilen. Warum gleich eine Bewerbung? Okay, ein normaler Brief hatte bessere Chancen, ungeöffnet im Papierkorb zu landen.
Wo ich schon mal die Bewerbung da hatte, sah ich sie mal durch. Aber es stand im Prinzip nichts drin, was ich nicht sowieso wusste. Ein aktuelles Foto fehlte auch, typisch britisch. Sollte Judith ihm doch eine Absage schicken. Auf die Person, die Keith und Tom als den Luke von heute beschrieben hatten, konnte ich verzichten. Aber Judith war ja jetzt eh nicht mehr da. Ich legte den Brief bis Montag zur Seite und las lieber im Kundenmagazin von Iveco.
Am Sonntag fuhr ich mit Julian zum Eishockey nach Köln, aber die Klatsche gegen Erzfeind Düsseldorf war auch eine Qual anzusehen und, man musste es sagen, leider verdient. Wenn nur 5 von 20 Spielern kämpfen, dann wird das nun mal nichts. Entsprechend brummig erwartete ich abends die letzte Chance zur Erheiterung, die neue Folge Top Gear auf BBC 2.
Marlon und Julian waren zur regulären Zweiwochentour schon in der Nacht nach Griechenland aufgebrochen. Von ihnen hatte ich auch nichts zum Wetter gehört. Allerdings rief Judith an, dass sie im Schneechaos stecken würde. Ungläubig sah ich aus dem Fenster in eine leicht eingepuderte Umgebung, nur um dann im Internet die Bestätigung zu bekommen, dass ein paar Kilometer weiter Neuschnee in ausreichenden Mengen lag, das Ruhrgebiet lahm zu legen – auch wenn das im Sauerland immer noch unter normalem Schneefall verbucht würde.
Ich war gerade wieder auf meinem Weg ins Büro, als es klingelte. Also durfte ich als einziger im Büro ein Päckchen mit Büromaterial entgegennehmen. Dann fiel mir ein, dass Timo wegen seiner Route nach Lyon daran interessiert sein könnte, dass im Raum Essen-Düsseldorf und im Bergischen ein Bisschen Schnee viel Chaos stiftete. Also ging ich rüber in die Wohnung und brachte ihn auf den neuesten Stand. Er wollte entsprechend später fahren, wenn der Winterdienst es wenigstens geschafft hatte, wieder einen Weg durch den Schneekorridor ans Rollen zu bekommen.
In meiner Richtung war nichts, aber so langsam könnte ich auch mal aufbrechen. Judith kam an, als ich gerade mit dem Truck aus der Halle rollte. Ilarion hatte seine Route umgeplant und wollte das Schneegebiet über Kassel umfahren, diese Woche musste er nach Budapest.
Ich holte eine Fuhre Lösungsmittel für Dänemark in Gelsenkirchen ab und kam ohne Probleme durch Schnee gut voran in Richtung Norden. Hinter Bremen musste ich rasten und es kam zu einem Zusammentreffen der beiden Iveco-Extreme, neuer Hi-Way und alter Stralis mit Flachdach.

Der Elbtunnel war natürlich tabu für meine Ladung und so musste ich mich auf den Weg durch die Stadt machen.

Bei Kolding endete der Tag auf einem der berüchtigten, kleinen Rastplätze. Da ich keine Lust auf den üblichen Tankstellenshop-Fraß hatte, machte ich mir im Fahrerhaus was warm.
Der Dienstag begann mit Schneeregen, aber es ging auch weiter problemlos voran. Es regnete immer noch, als ich mich wohl oder übel in Kopenhagen bei Bosch aus dem Fahrerhaus bewegen musste, um abzukuppeln und die Papiere ins Büro zu bringen. Immerhin war es eine moderne Niederlassung, wo man nicht auch noch im Zickzack über den Hof musste.
Die Anschlussfracht gab es auch gleich hier, ein Tanktainer mit Kraftstoff für Calais. Calais? Ich hatte doch eine Reservierung für eine Englandfähre.
Des Rätsels Lösung war nach einem Telefongespräch mit Judith so einfach, dass ich auch selbst hätte drauf kommen können. Es ging für einen Einzelfahrer schneller mit der Fähre von Esbjerg nach Harwich und um London herum als auf dem Landweg, da man sich während der Pause bewegte. Wenn ich nun in Calais ankam, wäre ich sonst bei Brüssel auf einem Parkplatz in der großen Pause gewesen. Zu zweit hätte die Sache etwas anders ausgesehen.
Nach dem Eintritt musste ich auch den Austritt aus dem Straßennetz von Seeland bezahlen. Was ich da im Rückspiegel hatte, konnte ich nicht ausmachen, aber es war ein Exoten-LKW.

Bei Odense hörte endlich der Regen auf und ich fuhr weiter bis Esbjerg. Das Rätsel um den Truck hinter mir, der sich dort dank der anspruchslosen, dänischen Topographie trotz eklatantem Leistungsdefizit halten konnte, wurde in Esbjerg auch aufgelöst. Es war ein Kamaz 5460. Der Fahrer war zwar aus Moskau, aber er war mit Bauholz aus dem Grenzgebiet zu Finnland auf dem Weg nach England und wartete auf die Fähre nach Hull.

Meine Überfahrt nach Harwich dauerte bis zum Mittag. Also nutzte ich die Gelegenheit noch für ein Mittagessen an Bord. Kurz vor 14 Uhr rollte ich von der Fähre.
Es ging noch vor dem Berufsverkehr um London herum und nach Dover. Da verpasste ich die Anmeldung auf die nächste Fähre um 5 Minuten, so dass ich fast 2 Stunden dekorativ auf dem Hafengelände parken musste, bevor sich mal wieder ein Schiff dazu herabließ, die Meerenge zu queren.
Bei Fercam wurde ich dann meine Ladung los und weil der Tag so spät begonnen hatte, blieb mir noch genug Zeit, mit der neuen Fracht durchzustarten.
Jetzt hatte ich Natrium dabei und um Mitternacht machte ich noch mal Pause auf einem Rastplatz in Belgien. Danach ging es noch 2 Stunden weiter bis vor Metz. Auf einem kleinen Rastplatz beendete ich den Mittwoch, der schon seit zweieinhalb Stunden Donnerstag hieß.
Dementsprechend fing dieser Donnerstag als Arbeitstag erst um 13:30 Uhr an. Das Bananen-Schoko-Müsli Marke Eigenbau im Fahrerhaus zog ich jedem französischen Tankstellenfraß vor und bald darauf war ich unterwegs.
Der frühe Abend in Elsass und Kraichgau brachte interessante Landschaftseindrücke.


Weil das mit dem Parkplatz rechtzeitig zur Pause mal wieder scheiterte, lief es auf den festgestampften Randstreifen kurz vor der Auffahrt auf die A81 hinaus. Ich ließ mal lieber das Standlicht an, auch wenn ich natürlich komplett neben der Fahrbahn stand.
Wenn jemand den Tank aufriss, würde es sicherlich eindrucksvoll aussehen, wenn mein Lastzug sich in den größten Bengalo Deutschlands verwandelte, aber ich konnte drauf verzichten.

Nach 10 Uhr lieferte ich meine Ladung bei Linde in München ab und fuhr weiter in ein Gewerbegebiet für eine mal wieder nur leidlich ruhige Nacht.
Erst nach 9 durfte ich am Freitag mein knackiges Projekt Heimreise starten. Mit einem leeren, aber ungespülten Biokraftstofftrailer ging es zurück nach Bochum. Ich setzte mal im Vertrauen darauf, dass ein geeichter LKW-Tacho genau die 3 km/h zu viel anzeigte, die man von einer geeichten Radarfalle wieder abzieht, den Tempomat auf 83.
Nur als südlich von Nürnberg etwas weiß-blaues im Rückspiegel auftauchte, ging ich mal lieber auf 80 runter. Kam jetzt die Kelle und sie würden das Gerät auslesen, war es eh zu spät, aber die Staatsgewalt fuhr weiter.

Bei Frankfurt war Mittagspause angesetzt, die ich nur auf die nötigen 45 Minuten beschränkte und danach sofort weiter fuhr. Dank einiger Trottel auf Rädern war ich dann laut Fahrtenschreiber doch 6 Minuten zu spät bei BASF, um den Trailer abzuhängen. Ein brummiger Pförtner quittierte mir die Papiere, weil die Logistikabteilung schon längst im Wochenende war und nur die Produktion und der Werksschutz da waren.
Danach erdreistete ich mich auch noch, das kurze Stück zur Firma zu fahren. Der Hof und die Halle waren leer. Julian und Marlon verbrachten ihr erstes Monatswochenende dieses Mal in Mailand, Timo war in Metz und Ilarion in Sheffield.
Ich erdreistete mich, den Truck ungewaschen in die Halle zu stellen, schnappte mir nur ein paar andere Klamotten, setzte mich in den strategisch besser geparkten Opel Astra und machte mich auf den Weg ins östliche Sauerland, um meinem Schwager die Ehre auf seinem 40. Geburtstag zu erweisen.
Die liebe Familie war froh, dass sie ihren weitgereisten Verwandten mal wieder da hatte, also war der Wunsch gewesen, dass ich so lange wie möglich bleibe. Entsprechend machte ich mich am Montag früh erst auf den Heimweg, rutschte so gerade durch den abflachenden Berufsverkehr in Dortmund und war zur üblichen Abfahrtzeit fertig in der Garage.
Der erste Auftrag der neuen Woche war mal wieder für unseren besten Kunden Linde in Bochum. Mit einem Tanktainer voll Bleisulfatlösung ging es nach Ljubljana. Auf dem Weg zur Autobahn überholte mich ein Smart, der dem Kennzeichen PAN nach auch ein gutes Stück in meine Richtung wollte. Mit dieser Sardinendose würde ich mich jedenfalls nicht so weit weg von der Heimatbasis bewegen wollen.

Die kleine Pause war dann auf dem Rastplatz Rodgau-Weißkirchen bei Hanau fällig. Die große Mittagspausenzeit war durch, also kein Problem, einen Platz zu finden.
Einer der sinnfreien Scania V8 mit Kühler grummelte mit für einen Parkplatz schneidigem Tempo vorbei, während ich mir mein Käsebrot schmierte und mit Apfelchutney verfeinerte.
Ein paar Augenblicke später klopfte es. Ich blickte auf, es war Patrick Schütz. „Hi Patrick! Was ein Zufall!“ „Ja, hi! Dachte eigentlich, ich darf mal wieder alleine was essen.“ Durfte er trotzdem, denn ich präsentierte das Ergebnis der letzten Minuten. „Na ja. Mein Käsebrot ist schon fertig. Ins Restaurant geht es erst heute Abend mal.“
„Ahh. Naja mir reicht die Zigarette zum Mittag.“ Er wedelte mit einer Packung Luckies. „Darf ich? Wie lange haste Pause geplant?“
„Vor der Tür darfst du alles.“ Ich stieg aus, schnappte mir mein Brot und eine Cola Light Lemon und leistete ihm unten Gesellschaft. „Bin erst vor ein paar Minuten angekommen. also die 45er ist noch fast jungfräulich.“
„Jo. Willste kurz mit zu meinem LKW? Muss nur mal kurz mein Handy holen falls die Alte noch was klären will wegen Sachen aus der Wohnung.“ „Jo, Bewegung soll ja noch besser für die Linie sein als zuckerfrei…
Wie geht es denn so? Trennung nimmt einen ja immer mit. Bin auch erst seit ein paar Tagen drüber. Und auseinander gelebt hatten wir uns schon Anfang Dezember.“ „Joa, Scheidung kommt. Sie meint, sie hat wohl ein besseres Leben in Fort Myers. So wie mir ein paar Kontakte erzählt haben hat ihr neuer da wohl 2 Trucks gekauft.“
„Ah ja. Dazu sage ich nix. Aber die Wahrscheinlichkeit, dir an einem Wegweiser nach Fort Myers das Herz aufzureißen ist jedenfalls mal geringer als bei Nürnberg.“ „Oha, doch so nah…. Naja, Reisende soll man nicht aufhalten. So da sind wir.“
Ich suchte einen blauen MAN, aber fand keinen. Der Scania R560 von eben blinkte auf. „Ich denke, die Monstertrucks waren ein teurer Fehler? Was ist das dann?“ „Alte Bestellung, war noch für Leipzig gedacht. Naja, jetzt dient er mir als Werbetruck.“ So a la Vögel also, wo man mal einen Fahrer mit einem glitzernden Scania V8 medienwirksam ins Fernsehen schickt und Schütze Arsch mit DAF ohne Zubehör rumschleicht.
„Na ja. Das Prinzip hab ich noch nie verstanden. Das Ding soll Ware von A nach B bringen und dabei der Fahrer bequem drin leben können. Dazu reichen 500 PS, Hochdach und ein bisschen Wohn-Ausstattung.“ Okay, einem hatte das nicht gereicht. „Zumindest mir und den anderen 4 Jungs, die noch bei uns rum laufen.“ Bitte Schwimmflügel anlegen, der Sarkasmus triefte langsam bis zur Brust.
„Ja gut, aber wenn man in Zukunft ‘ne Woche in Schweden rumturnt, da brauchste was für 60 Tonnen….. Aber ich muss sagen, Sparsam isser ja. Willste?“ „Einmal Lenkrad streicheln? Meinetwegen.“ Auch wenn ich daraus für uns keinen Nutzen ziehen konnte, weil wir bestimmt keinen R5 kaufen würden, sondern wenn schon Scania dann Streamline, wollte ich nicht unhöflich sein. Der Innenraum konnte sich sehen lassen, auch wenn ich kein Freund von Leder war. Musste eine blöde Sache sein, wenn einem das Geld ausging, während man so eine Sonderanfertigung am Laufen hatte.
„Schmeiß ruhig an. Im Leerlauf isser, und wo das Gaspedal ist weißte ja wohl.“ Musik wird oftmals nicht für schön empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden. Ich würgte erst mal das Radio ab, das mich da zudröhnte mit irgendwas, das ich nicht kannte und nach ein paar Takten auch nicht näher kennen lernen wollte. Die Musik kam dann aus dem Auspuff. „Ach ja, klingen tun die V8 schon genial. Über 10 Jahre her, dass ich einen hatte. Wenn schon Schwede, dann isser bei mir eh aus Göteborg! Hatte mir vor Weihnachten schon einen FH16 600 durchrechnen lassen, um Chris zu versöhnen. Und Reihensechser können auch Musik machen…“
„Ja das stimmt schon. Wenn du die richtige Tuningausrüstung hast. Hinter der Verkleidung sitzt bei mir ja auch ne Wechselklappe. Kann mich nur nicht mehr im Raum Münster sehen lassen, sonst gibt das Mecker mit Sheriff Baumann.“
„Erst mal steht bei uns ein harmloser Kauf an. Wie war denn der 480er MAN so?“ „Ja, gezogen hat er. Das einzige Problem ist der Verbauch. Auf der Geraden braucht er 28-30 Liter, aber bergauf da war ich in Kassel mal mit 65 Litern auf 100 dabei. Und er ist bei 15 Tonnen bis auf 50 abgefallen, aber sonst gibt es nichts zu meckern.“
„Vielleicht doch erst mal testen, bevor wir einen kaufen…?“ „Jo, Probefahrt auf jeden Fall. Und wenn du einen kaufst, tritt ihn durch die Berge. Sonst haste Auspuff zu und dann kannste mit 30 hoch eiern. Habe ich zwar nicht erlebt, aber einige Kollegen in Neuss haben ’nen MAN, der hatte keine Leistung mehr weil die nur auf Tempomat den Berg hoch sind.“
„Ohh, 38 Minuten Pause sind drauf. Wollen wir ein bisschen zusammen fahren?“ „Wo musst du hin? Bei mir geht es nach Ljubljana.“ „Ich muss nach Wien zu Hofer. Scheiß Supermärkte, ich hasse es da anzuliefern.“ „Ja, immer lustig. Bei denen war ich letzte Woche auch anliefern. Da gab es so gut wie kein Gefahrgut und ich musste mal wieder in den Stückgutfahrer-Alltag reinschnuppern. Aber dann sind wir ja bis Linz im Parallelflug.“
„Jo. Du hast ja Gefahrgut. Hmm, 83 machste mit?“ „Ja. meinetwegen. Sei nur gnädig mit meiner „Einsteigermotorisierung“ bergauf. Außerdem habe ich 23 Tonnen Bleisulfat in dem Fass, also fast voll ausgelastet.“
„Okay, ich habe 9 Tonnen. Im Notfall grille ich an der Kuppe schnell ne Bratwurst und ein Steak, dann bist du auch wieder dran.“ „Na ja. So wild wird es nicht werden. Auch wenn einige über Iveco lachen, bei den Motoren vergeht es ihnen.“ „Jo, dann auf in den Kampf.“ „Okay. sag ’nen Privatkanal an.“ „16!“
„Alter, du hältst ja echt mit. Wow, hätt‘ ich nicht gedacht.“ Er ging wohl einen Gang runter und gab Vollgas. Da war bei mir auch mit einem Kickdown nichts zu bestellen. „Wird der Abstand wieder größer?“ Scherzkeks…
„Ja, da hab ich dann doch zu viel Last auf der Platte. Aber was den Motor angeht, lasse ich nix auf den kommen. Und an das Plastik-Interieur habe ich mich auch gewöhnt.“
„Jo. Ich habe meine Lederaustattung und…“ Er ging voll in die Eisen, ich konnte dank seiner Sprinteinlage von vorher locker einbremsen. „Ey Sonne! Kauf ’ne Automatik wenn du nicht von Hand schalten kannst. 35!“ Na toll, und aus dem Keller mussten wir jetzt wieder rauf ziehen. Ging doch nix über eine fahrbare Verkehrsinsel aus Ungarn.
„Ach ja. Handschalter. Auch was her, aber wenn man es kann, ist es echt cool. der nächste könnte wieder einer werden. Habe vor 2 Monaten einem alten Freund einen Gefallen getan und einen handgerissenen FH Classic nach England gefahren. Da hab ich wieder Gefallen dran gefunden.
Die MAN in Wales waren auch Handschalter. Und Rechtslenker…“ „Nice. Ja ich schalte meinen auch von Hand, macht Laune. Und klingt besser wenn man es kann.“ Aber wie ich eben gesehen hatte, war das dann auch nur manuelles Betätigen der Automatik. Echter Handschalter war es keiner. „Schon mal handgerissenen Rechtslenker gefahren? Die erste Woche willst du dir alle Haare ausreißen!“ „Nee, aber kann ich mir denken.“
„Hast du Zeit? Würde mir kurz ’nen Kaffee an der Tanke holen und Zigaretten sind auch leer. Oder soll ich aufholen?“ „Hol auf. Ich wollte durchziehen bis bei Passau irgendwo.“ „Okay, bis in ein paar Minuten.“
Die Landschaft war ihm gnädig und ich hatte den Bonus aus dem Tempomat auch wieder raus genommen. Also dröhnte er recht bald wieder vorbei.
„Ah, da isser ja wieder. Immer diese Raucher. Zum Glück hab ich nur ab und zu mal eine gequalmt, wenn wir in Wales in der Kneipe waren. Das ging damals noch.“ „Ja immer diese Raucher. Aufhören ist auch so verdammt schwer. Du und Rauchen? Schwer zu glauben aber naja. Heute lieber nicht mehr sonst fliegt dir mal die Hütte um die Ohren.“ Um es zu betonen, schlug was Glühendes auf der Überholspur auf.
„Och, Bleisulfat fliegt schon nicht. Aber was gibt es da nicht zu glauben? Ich war auch mal jung und wild.“ „Okay, ich habe Null Ahnung von dem Zeug, ist auch besser so. Aber da haste recht. Jeder war mal jung.“
„Ja, das ist der Nachteil bei uns. Ist zwar lässiges Leben von den Fahrzeiten und gut bezahlt. Aber dafür gucken die Behörden drei mal hin und du brauchst einen Doktor in Chemie, wenn du wirklich wissen willst, ob du eine Zigarette aus dem Fenster werfen kannst oder nicht. Na gut, eigentlich musst du nur gucken, welche Schilder dran sind… Aber es ist schon besser, wenn man zumindest grob weiß, was man da hinten für ein Zeug dran hat und was es machen kann.“
„Genau. Also mein Zeugs interessiert das nicht, ob da ‘ne Kippe gegen fliegt. Deswegen auch nur Kühler.“ „Nee, bloß nicht. Da kann ich auch neben einer Autowerkstatt zu schlafen versuchen, wo sie gerade einen Golf 2 Diesel wieder zusammenflicken.“ „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“
Wir kamen auf der Raststätte Donautal an, gingen noch was Ordentliches essen, dazu gab es ein zünftiges Weizenbier. Danach legten wir uns zur Ruhe, wobei ich bei Patricks Blechbeifahrer auf der Trailer-Vorderwand mal lieber die Ohrstöpsel rein machte, so von wegen „Ruhe“ neben einem Kühler.
Der Handywecker Marke Extralaut schaffte es dann auch, durch die Ohrstöpsel zu dröhnen, der neue Tag musste beginnen.
„Sag mal Ricky, hast du meine Kühlmaschine gehört? Es war so ungewohnt ruhig die Nacht!“ „Ähm nein. Aber wenn ich neben so einem Kühlschrank parke, stecke ich mir eh Ohrstöpsel rein.“ „Ookay, ich schaue mal.“
Dem Aufstand nach, den er zwischen Zugmaschine und Trailer und dann am Telefon abzog, hatte der andere Nachbar sich auch von dem Ding gestört gefühlt, aber nichts da, um es in die Ohren zu stopfen und mal kurz den Hauptschalter umgelegt.
„Ja müsst Ihr dann sehen ob die Fischstäbchen und Brötchen noch gut sind. Mir hat einer das Ding ausgestellt, und ich hatte gerade eben -3 Grad aufm Trailer.“ – „Ja, blabla. Is mir Latte, ich muss gar nichts! Danke, Tschüss!“ Wenn er jetzt noch bayerisch sprechen würde, könnte man ihn auch Andreas nennen. Das war 1:1 Schuberts Telefonstil.
„Ausgestellt die Wichser. Naja, mal was Essen und dann los würde ich sagen.“ „Okay, ordentliches Frühstück muss sein.“
„Warum könnt ihr die Dinger eigentlich nicht abschließen? Kommt ja öfter vor, dass die abgestellt werden. Wegen Not-Aus?“ „Gar nichts. Und abschließen… Ja, ach keine Ahnung, warum noch keiner drauf gekommen ist. Na ja, er kühlt wieder, und der Rest ist Hofer sein Problem.“
„Merke ich mir. In Wien 3 Wochen lang keine Fischstäbchen von Hofer essen und meinen Kumpel Felix vorwarnen.“ „Jo, ich sollte bei David wohl auch noch anrufen, der wohnt praktisch im Hofer.“
Nach dem Frühstück wollte Patrick dann doch mal in meinem Serien-Iveco Probe sitzen. Die Hintergrundmusik war dann Eric Saades „Popular“, Schwedens Beitrag vom ESC2011. Also billiger Eurodance in Reinkultur, aber was soll’s. Mir musste die Musik gefallen und da waren außerdem weitaus peinlichere Sachen drauf.
Wir fuhren danach noch zusammen bis Linz und verabschiedeten uns dann, als er auf die Westautobahn wechselte und ich auf der Phyrnautobahn die Alpen in Angriff nahm. Immerhin dazu gab es „Faster“ von Within Temptation bei mir zu hören und da es sowieso ein kurzer Spaß war, nahm ich das Lied mal wörtlich und bis in den Begrenzer Anlauf für den folgenden Anstieg. Die 10 km/h mehr konnte ich weiter oben gut gebrauchen. Mit Vollgas und dem Galopp der 500 Cavalli zog ich an Patrick vorbei, der auf den Verzögerungsstreifen gewechselt war.
Pünktlich an der Grenze nach Slowenien hörte auch der Schneeregen auf der Alpensüdseite auf – natürlich erst genau nach meiner Rast auf der alten Grenzanlage.

In Ljubljana kurvte ich durch ein wenig vertrauen erweckendes Viertel in Richtung Ziel.

Für den Dienstag schaffte ich es noch an Graz vorbei auf einen einfachen Parkplatz. Weiter ging es schon Mittwochnacht um 4 Uhr. Deshalb wollten dann Truck und Trucker kurz vor 8 erst einmal frühstücken. Auf dem Parkplatz und im Rasthaus war wenig los. Ein dicker Scania stand noch da und ein Osteuropäer tankte seinen heruntergewirtschafteten MAN F2000.

Schließlich klingelte mein Handy, eine Hürther Nummer. „KFL Intertrans, Ricky Kaiser, guten Tag.“ „Hallo Ricky. Hier ist Petra Brückner, Deine Lieblingsdisponentin.“ „Hallo Petra, wie geht’s?“ „Gut, wir haben wieder zu tun. Sogar mehr als wir Fahrer haben.“
„Wo zwei von denen sind, die Du vermisst, weiß ich.“ „Zwei? Hast Du wen abgeworben?“ „Nein, Ihr wolltet ihn im Herbst nicht mehr haben. Ilarion Brankovic fährt bei mir.“ „Ach, bei Dir ist der untergekommen. Der war ja richtig traurig, als er die Schlüssel hier lassen musste.“
„So wie er immer über den DAF schimpft, kann ich das kaum glauben.“ „Womit verziehst Du den Bengel denn?“ „Mit einem Renault Magnum. Zwar nicht jedermanns Sache, aber er mag ihn zumindest mehr als den XF.“
„Könntest Du eine Fahrt von Grimsby für uns übernehmen?“ „Ich bin zwar gerade da hin unterwegs, meine Ex-Lieblingsdisponentin. Aber bitte ruf mal meine aktuelle Lieblingsdisponentin Judith Mertens auf der Festnetznummer unserer Firma an, was die da mit mir noch vor hat.“
Judith meldete sich nicht wieder und es kam auch keine Nachricht übers System rein. Nach der großen Pause bei Limburg ging der Donnerstag schon um 0:12 Uhr los. Ich wollte unbedingt die Nachmittagsfähre nach England haben. Zwar war es von Harwich weiter nach Grimsby als von Hull. Aber bis ich von Hull in Grimsby war, wollte ich schon wieder auf dem Rückweg zum Hafen sein.
Die aktuelle Lieblingsdisponentin meldete sich dann, als ich schon im Europoort war: „Hier ist Deine aktuelle Liebslingsdisponentin, die sich von Deiner Ex-Lieblingsdisponentin einen Auftrag geangelt hat. Du darfst von Grimsby für Talke nach Brno fahren.“ Na da hatten sich auch zwei gefunden. Ich konnte mir vorstellen, dass Petra und Judith bestens miteinander auskamen. Wieso sonst sollte Petra gleich mal die Insiderwitze weiter geben? „Okay, sollte ja mit Wochenende zu Hause passen. Die Jungs sollen mir die Bahn mit Toren auf beiden Seiten frei halten. Oder muss ich draußen parken?“ „Natriumhydroxidlösung.“ „Natronlauge kann man in die Halle stellen, okay.“
Es ging doch länger als erwartet nach Grimsby, der Vorteil auf eine Fähre nach Hull lag bei gerade mal 30 Minuten oder so. Als ich dann im Hafen von Harwich mein Gespann fotografierte, fragte ich mich, ob das Viereck, in dem Alfred Talke Junior springen würde, wenn er den Trailer sah, noch ins Stadtgebiet von Hürth passte. Der schien sich allen Versuchen, ihm die kursive Schrift und „Logistic Services“ aufzulackieren, erfolgreich widersetzt zu haben. Er trug immer noch stolz sein „Alfred Talke Internationale Spedition & Lagerung“.

An der Haustankstelle tankte ich Samstagmorgen den LKW voll, viel war nicht mehr drin gewesen. Danach parkte die Fuhre in der Halle. Ein Anblick, an den man sich gewöhnen könnte. Wie gewünscht war die Bahn mit Toren auf beiden Seiten für mich frei. Ich kletterte auf den Einstieg von Ilarions Truck, um ein Foto von erhöhtem Standpunkt zu machen.

Natürlich wusste ich, warum sie alle da waren. Offensichtlich war ich einer der wenigen, der hier Karneval nichts abgewinnen konnte, auch wenn Marsberg nach ostsauerländischen Maßstäben eine Hochburg gewesen war.
Marlon und Judith waren auch Karnevalsverweigerer und bei der Gelegenheit für ein verlängertes Wochenende nach Rom geflüchtet, Timo in Köln und Julian in Düsseldorf nahmen von Altweiber bis einschließlich Aschermittwoch für den Weg aus dem Vollrausch auf die 0,0 Promille alles mit, was sie kriegen konnten und Ilarion hatte sich zumindest Rosenmontag frei genommen und Veilchendienstag den Start erst um 14 Uhr erbettelt.
