Kapitel 46 – Karriereknick

Diese Woche…
…rastet Julian aus…
…Ricky hat Angst, Patrick zu treffen…
…und steigt in einen fremden LKW!

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Julian war nach einem Feiermarathon von Weiberfastnacht bis Samstag im Straßenkarneval am Sonntag nach Hause gekommen, um Kraft für Rosenmontag und Veilchendienstag zu tanken. Timo legte seine Erholungspausen bei irgendwelchen Freunden im Raum Köln-Bonn ein. Insofern saßen wir gerade zu zweit am Montag am Frühstück, als es klingelte.
„Lass nur, ich gehe schon!“ Das war wohl keine gute Idee, denn ich musste kurz darauf doch antraben: „Ricky, für Dich! Einschreiben, persönlich!“ Überrascht trat ich den Weg zur Tür an, wo der Postbote stand. Während ich noch grübelte, quittierte ich schon mal den Empfang. War ich so viel zu schnell gewesen, dass es an den Führerschein ging? War jemand gestorben, ich hatte es nicht mitbekommen und das Testament wurde eröffnet? Dann fiel auf dem Weg zurück in die Küche mein Blick auf die drei Buchstaben, die dezent im Fenster mit der Anschrift zu sehen waren: NKL.
Meine Oma hatte mir traditionell ein 1/8-Los zum Geburtstag geschenkt.
„Wow!“ Vor mir auf dem Papier stand als wichtigste Mitteilung 125.000,00 €. „Bist Du jetzt Millionär?“ Julian hatte den Briefkopf auch erkannt. „Nein, ich habe mir nur 1/8-Los bekommen, jetzt bin ich 1/8-Millionär.“ „Glückwunsch.“ „Das ist fast ein neuer Truck…“

Julian schlug mit beiden flachen Händen auf den Tisch und sprang auf. Der Tee schoss geradewegs nach oben aus den Tassen und fand nur teilweise den Weg zurück. Der Rest flutete die Untertassen und ein paar Spritzer die Tischplatte.
„Nein, verdammt! Du wirst dieses Geld nicht in die Firma investieren.“ „Aber…“ „Schnauze, aber! Sieh Dich mal an. Du rennst Dir für diese Firma die Hacken ab. Und es läuft jawohl nicht so schlecht, als wäre das nötig! Wie viele Tage hast Du Dir in dem Jahr und der einen Woche, die wir jetzt hier sind, frei genommen? Kommst Du auf 10?“ Wie jetzt? 53 Wochen war das her? „Ähm…“
„Wir alle, die hier rum laufen, sind Dir sehr dankbar dafür, was Du hier geschaffen hast. Auch wenn Marlon und ich da auf dem Papier mit drin hängen, ist das alles hier am Ende Deine Sache. Du hast uns damals den Premium verleast als wir das erste Mal vor dem Nichts standen. Du hast uns hier her geholt, als wir es nach dem Tod unserer Tante wieder standen. Auch unser nomineller Teil am Unternehmen ist im Geiste Deiner, denn ohne Dich wären wir heute Supermarktregaleinräumer in Montpellier!
Timo ist, obwohl es für ihn nicht leicht war, unter Truckern Fuß zu fassen, der glücklichste Mensch, den ich je getroffen habe, weil er hier in seinem Traumjob arbeiten darf. Warum erzählt der das eigentlich nur mir? Du bist einfach nicht mehr der gleiche und glückliche Mensch wie vor einem Jahr und von Woche zu Woche baust Du mehr ab. Du bist auch nicht mehr der gleiche, der im Sommer noch Timo eingestellt hat. Apropos Timo, an die Nase müssen wir uns beide fassen, aber morgen ist der ein halbes Jahr hier. So ganz ohne Personalgespräch! Dürfen wir auch nachholen, wenn die Probezeit schon rum ist!“
Was ja in letzter Zeit nicht unbedingt nur an mir lag. „Falls Du es vergessen…“ „Wenn jetzt der Name Chris als Universalentschuldigung fällt, haue ich Dir dermaßen eine rein, dass Du heute nicht nach Brno fährst, sondern in die Kieferorthopädie! Als wir hier her kamen, warst Du schon ein Jahr lang Einzelkämpfer und Chris noch Kohlehändler in Düsseldorf! Und Deine – ich nenne es mal Erschöpfung – machte sich schon lange bemerkbar, bevor es zu Reibereien mit Chris und Dir gekommen ist! Das fiel mir schon vor der Firmenzusammenlegung langsam auf. Wir wollten nichts sagen, weil wir gehofft hatten, dass Chris Dich mal anspricht, was für Deinen Freund normal gewesen wäre. Und direkt nach der Trennung auch nicht. Ob die vielleicht auch Deinen Veränderungen geschuldet war? Aber jetzt reicht es!“ Die Pause, die er zum Luft holen brauchte, war zu kurz, um überhaupt zu Wort zu kommen.
„Dieses Geld ist Dein Geld! Dein PRIVATES Geld! Kein Cent davon hat in dieser Firma was zu suchen! Mach, was Du willst! Scheiß uns allen hier für 2 Monate was, klink Dich aus und mach eine Weltreise! Kauf Dir einen Porsche, damit Du Freitagabend schnell hier weg kommst in ein entspannendes Wochenende irgendwo ohne Firma vor dem Küchenfenster! Leg Dir eine Uhrensammlung zu, trag jedes Wochenende eine andere und freu Dich über den schönen Anblick, wenn sie alle nebeneinander in Deiner Vitrine liegen! Kauf Dir ein Haus, damit Du nicht in Deiner Freizeit schon die Firma vorm Arsch hast! LEBE!!!! Wenn mir 125.000 Eier in den Schoß fallen, wäre das letzte, das oberallerüberhinterletze, an das ich denken würde, eine Kapitaleinlage in meine kerngesunde Firma!“


Mit diesem Wort zum Montag ließ er mich alleine sitzen, um sich in seinen Karnevalsfummel zu werfen und Richtung Landeshauptdorf abzudüsen.
Also war ich kurz vor 9 sehr nachdenklich über Julians Standpauke auf dem Weg. Es ging zuerst einmal durchs nördliche Sauerland in Richtung Kassel, dank Unfall auch mal über eine Umleitung auf Landstraßen.

Es gab ja auch für die Firma noch was zu regeln, was ich letzte Woche nicht geschafft hatte. Also rief ich mal in Dortmund an.
„MAN Generalvertretung West, Sie sprechen mit Nico Seibt, guten Tag.“ Der gleiche Knilch wie immer, in Sachen Kundenorientierung eine Niete, seine Angebote machten ihn unverkennbar zur Marionette der internen Zielvorgaben oder eines mehr am Umsatz als an den Kundenanforderungen orientierten Bonussystems. „Eric Kaiser, Firma KFL Intertrans, guten Tag.“ „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich hatte schon mal im Juli nach TGX Euro 6 gefragt, aber da waren die Lieferzeiten inakzeptabel. Wie ist denn aktuell die Lage?“
„Ich erinnere mich, damals ging es um zwei Fahrzeuge, oder?“
„Genau.“ „Über wie viele sprechen wir dieses mal?“ „Erst mal über einen. Allerdings ist demnächst noch ein weiterer LKW zu ersetzen und bei unserer aktuellen Lage denke ich, dass wir bis Jahresende noch zwei weitere Fahrzeuge brauchen, um zu expandieren.“
„Die Lage normalisiert sich inzwischen, aber leider sieht es für kleine Flotten immer noch nicht gut aus. Wenn Sie die 4 Stück auf einmal abnehmen, würden wir von 13 Wochen sprechen können.“
„Und wenn ich sie nacheinander kaufe?“ „Dann ist jeder eine Einzelbestellung. Zur Zeit 21 Wochen.“ „Das ist Mitte Juli für den ersten?“ „Genau.“

„So lange kann ich nicht warten. Ich habe einen guten Fahrer und MAN Fan, der sich zurzeit mit einem Renault Premium herumquält. Ich will den binden, sonst haut der mir am Ende noch irgendwann ab! Was ist mit Euro 5 oder EEV?“ „Die sind ja nicht mehr neuzulassungsfähig. Allem, was wir auf dem Hof hatten, haben wir im Dezember eine Tageszulassung geben müssen. Deshalb sind die jetzt noch günstiger.“ Na günstig waren die schon im Sommer nicht unbedingt.
„War da ein Dreiachser mit liftbarer und lenkbarer Vorlaufachse, 480 bis 540 PS und ADR-Paket bei?“ „Bei uns nicht, nur ein XXL 6×4 mit 540 PS oder ein XLX mit 480 und ohne Vorlaufachse. Wozu braucht man einen Dreiachser für Gefahrgut? Zwei Achsen reichen doch in der ganzen EU und drüber hinaus.“ Schlauberger! Das hatte den Knilch doch nicht zu stören.
„Rechtlich vielleicht. Aber wenn man wie wir viel Großbritannien oder auch Spanien und Italien fährt, schaffen die tatsächlichen Achslasten Fakten. Und mit einem Euro-Fünfachser fährt man da auch mal 200 Kilometer Umweg, weil eine Steinbrücke aus der Römerzeit nicht mitspielt. Beim Sechsachser-Sattelzug macht man die Liftachse runter, wenn sie nicht eh schon unten ist und fährt fröhlich pfeifend den direkten Weg.“ „Ich kann die anderen Händler ja mal bundesweit abrufen.“

Er tippte hörbar auf seinem Computer herum: „Hier ist einer. XLX 26.480 EEV, lenkbare Liftachse, leider kein ADR-Paket.“ Das wäre zu verschmerzen, dazu gab es ja die Lahrmann-Brothers, wo er sowieso wegen der Folien hin musste.
„Könnte ich denn einen EEV mit 480 PS, egal ob den oder den Zweiachser probefahren?“ „Nein, das geht nicht. Die sind ja wieder abgemeldet. Wenn wir die jetzt noch mal zulassen, sinkt der Wert. Dann müssten Sie den schon kaufen oder den Wertverlust bezahlen. Aber ich könnte Ihnen einen Euro 6 mit 500 PS…“
„Ich teste doch nichts, was ich in einem halben Jahr kaufen kann und kaufe stattdessen jetzt, was ich vorher nicht testen kann.“ „Es tut mir ja leid. Aber ich kann da nicht weiter helfen.“ „Das scheint mir bei Ihrem Hause irgendwie öfter zu passieren.“
Der letzte Satz vor der die Form halbwegs wiederherstellenden Verabschiedung war aus der Wut, aber der Typ regte mich jedes mal wieder auf.

Ich rief also mal bei Mahad an. „Hallo Ricky, was verschafft mir die Ehre?“ „Ich habe ja meinen Stralis bei Dir für Donnerstag in die Werkstatt angemeldet. MAN ziert sich ein Bisschen mit einem Testwagen und ich wollte mal einen fahren in der Zeit. Kannst Du mir einen TGX EEV mit 480 PS und ADR als Leihwagen organisieren? Kabine mit Liege! Dachhöhe mindestens XLX, Achsfolge und so ist scheißegal.“ „Kriege ich hin. Wenn Du Pech hast, steht nur fett der Name einer Mietwagenfirma drauf.“
Das konnte ich mal für eine Zeit verschmerzen. „Kein Ding. Kannst Du den für Donnerstag organisieren? Ich bringe Dir dann vormittags den Stralis rein und nehme den TGX mit.“ „Mache ich, ciao!“ „Ciao.“

Eine ereignislose Fahrt brachte mich bis an die Tschechische Grenze. Hier starrte ich noch lange die Kabinendecke an. Julian hatte Recht. Ich war echt nur auf die Firma fokussiert gewesen, kein Urlaub und sonst nichts.
Die Weltreise kam nicht in Frage. Auch wenn Julian Recht hatte und die Firma in der Zeit weiter laufen würde, war bei mir irgendwann Schluss mit Ruhe.
Uhren brauchte ich keine, das war nicht mein Ding. Die Uhrzeit steht auf dem Handy. Auch andere kostspielige Sammelobjekte fielen mir keine ein, die mich gereizt hätten. Vielleicht mal ein Whisky für mehr als die üblichen 50 bis 80 Euro die 0,7er Flasche. Aber die waren nicht zum Anschauen da und der Geschmack wurde besser, aber eher nicht in gleichem Maße wie der Preis höher. Also auch kein Grund, im Keller Flaschen für tausende Euros zu stapeln, um zu wissen, dass sie da waren.
Warum war ich eigentlich nie mal für eine oder zwei Wochen im Urlaub gewesen? Die Antwort war auch klar. Aus dem Alter, wie vor 10 Jahren in Großbritannien das Motorrad zu satteln und mit den nötigsten Habseligkeiten in drei Köfferchen am Heck durch Wind und Wetter zu tingeln, war ich raus. Das war ein Schönwetterfahrzeug.
Und weder der alte Citroen C4 noch der Astra G waren so Autos, mit denen man gerne zum Sturm auf Alpenpässe reiten wollte oder sich für tausende Kilometer nach Südschweden, Norditalien oder so verlassen wollte. Für Ruhrpott-Sauerland oder mal einen Kurztrip an die Nordsee meinetwegen. Aber der C4 bekam so langsam die Rache der Avantgarde zu spüren und die fragile Technik zickte rum. Der Opel mit der Primitiv-Ausstattung war zwar technisch unkaputtbar, aber klapprig und kein Langstreckenauto, sondern nach 4 Stunden konnte man langsam wetten, ob zuerst der Bandscheibenvorfall von den Basis-Sitzen oder der Tinnitus vom gequälten Motor kam. Mit unserem Fuhrpark mal weiter weg fahren war ein Ding der Unmöglichkeit und demotivierte für jede Reise. Also doch so was wie ein Porsche?
Das Haus war zwiespältig. Einerseits hatte es wirklich den Vorteil, dass man nicht direkt neben der Arbeit wohnte und sie unbewusst immer noch da war. Andererseits konnte ich da schon differenzieren und fing wenigstens nicht am Wochenende unmotiviert an zu arbeiten. Und da ich morgens nicht der schubstärkste Düsenjäger in der Formation war, zog ich Ausschlafen dem Berufsverkehr vor.
Der Schlaf hatte für heute gewonnen, die Entscheidung lief ja auch nicht weg.

Um 6 durfte ich weiter und das führte mich natürlich mitten in den Berufsverkehr von Prag. Dazu setzte auch noch Schneeregen ein. Nach 4 Stunden erreichte ich Bosch in Brno, natürlich war es mal wieder eine der traditionsreichen Niederlassungen. Also zentimeterweise durchs Tor kriechen. Ohne Beifahrer zum Einweisen auch keine tolle Sache.

Nun ging es schnell zu ADM, wo eine Ladung Gemüse auf mich wartete, um nach Essen gebracht zu werden. „Nein, das ist nicht deren Ernst?“ Als ich auf den Hof fuhr, stand da genau ein Kühler und ein Tieflader. Und dass man Gemüse im Fahrerhaus eines Baggers auf einem Tieflader transportierte, konnte ich ausschließen.

Ich kuppelte an, holte die Papiere, machte eine 45er Pause, um mir Mut einzureden und ging dann kopfschüttelnd auf das Kunstwerk zu, das ich fahren sollte. „Das ist der Tiefpunkt meiner Karriere!“
Ich überlegte kurz, ob ich mir eine Papiertüte mit Gucklöchern über den Kopf ziehen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass das nur unnötiges Aufsehen bei der Rennleitung erregen würde. Also ergab ich mich in mein Schicksal und stieg ein.

Die Fahrzeit war bei Plzen zu Ende. Das hatte wenigstens den Vorteil, dass ich mich nach der Schlafpause im Schutz der Dunkelheit nach Deutschland schleichen konnte. Um 4 Uhr nachts querte ich die Grenze. Hauptsache ich begegne Patrick nicht.

Dafür waren meine Gedanken nun um Julians Standpauke gekreist und ich wusste auch, wo rein ich das Geld stecken wollte. In der Tat stand was mit 4 Rädern und Benzinmotor auf der Agenda. Der Rest sollte, was bei den aktuellen Zinsen vermutlich nicht so trivial war, gut angelegt werden. Nicht fürs Alter, da lag ich immerhin zwei Rentenkassen auf der Tasche und hatte meine privaten Vorsorgen längst getroffen. Aber Julian hatte in allen Punkten Recht. Ich durfte nicht mehr für die Firma leben, sondern musste auch mal für mich leben.

Bei Frankfurt und kurz vor Ablauf der ersten Lenkzeit kam das Ende mit der Kelle. Es war allerdings doch eher eine Leuchtschrift. „BAG – Bitte folgen.“ Klar! Ich fuhr mit Gift und Knalleffekt rum, aber eben neue, blitzende Edelstahltrailer und keinen interessierte es. Kaum habe ich so einen Paprikabomber dran, zogen sie mich raus. Die Lackierung machte das aber auch nicht gerade besser, immerhin passten unsere Zugmaschinen farblich einen Hauch zu perfekt zu dem sonnigen Auflieger.

Obwohl das Kennzeichen an meiner Zugmaschine nicht allzu ungarisch war, kam erst mal ein dummes: „Spreche deutsch?“ „Ja, Muttersprache. Sonst habe ich noch Englisch, Italienisch oder Walisisch im Angebot!“ „Walisisch?“ „Ie! Felly beth?“
Die beiden stellten sich nun förmlich und nicht in künstlichem Ausländerdeutsch vor. Danach folgte die ganze Routine. Papiere, Fahrzeugprüfung. Gut, dass ich die Kiste bis in den letzten Winkel geprüft hatte in Brno. Der Trailer war jedenfalls besser in Schuss als der Ruf seines Besitzers.

Mein Gesicht wurde länger, als die Prüfung der Fahrerdaten lief: „Letzten Montag hatten wir es aber wohl eilig, was?“ Ich ging auf diese freundschaftliche Frage nicht ein und zuckte nur mit den Schultern. Die Fußangel war klar gelegt. Wenn ich jetzt falsch antwortete, gab ich den Vorsatz aktiv zu, der sowieso offensichtlich aber eben nicht nachweisbar war. Dann wurde die Strafe gleich mal höher festgelegt. Wenn ich nicht drauf rein fiel, könnte ich ja auch den Tempomat unbemerkt und versehentlich falsch eingestellt haben und man konnte mir keinen Vorsatz nachweisen.
Die Urban Legend sagte, dass die eine „Abschussprämie“ bekamen, für jedes Mal, wenn der Trick klappte. Keine Ahnung, ob was dran war.

Und danke auch Dir, Patrick. Komm Du mir noch mal mit so einem blöden Vorschlag. 83 machst Du mit? Und bergab werden 85 draus bevor der Retarder eingreift. Nie wieder! Strich 80 gab es demnächst, sollten wir uns mal wieder in gleicher Fahrtrichtung treffen! Auch meine forsche Rückreise zum Geburtstag meines Schwagers bekam ich natürlich aufs Brot geschmiert.
Ansonsten war die Karte jedenfalls tempomäßig sauber und die 3 km/h plusminus 2 wurden mir nur dadurch dermaßen zum Verhängnis, dass ich sie jeweils über Stunden gefahren war. Drei mal tauchten dann noch Lenkzeiten bis rauf zu 4:39 Stunden auf. Auch da sonst alles klar.

Nachdem der kumpelhafte Ansatz von mir immer nur mit einem müden Schulterzucken beantwortet wurde, bekam ich einen Brief angekündigt.

Da der nächste Verstoß gegen Lenkzeiten schon unmittelbar bevor stand, würde ich jetzt hier weg fahren, blieb ich gleich noch 45 Minuten auf dem LKW-Parkplatz im Gewerbegebiet und machte mich erst dann auf die letzte Etappe.

In der Zeit und weiter von unterwegs telefonierte ich schon mal die für das Objekt der Begierte in Frage kommenden Autohändler ab, es waren sowieso nicht viele bei der Marke. Entmutigte mich der erste noch mit einer Lieferzeit von 9 Monaten so sehr, dass ich schon fast ein normaleres Gefährt ins Auge fasste, waren es beim nächsten nur noch 4 Monate. Dann stand bei einem sogar die Auslieferung in 2016 an und schließlich bekam ich die gegenteilige Offenbarung von gerade mal 11 Wochen.
Da fragte man sich doch wirklich, wie das ging und so stellte ich die Frage auch direkt. „Da steckt ein kompliziertes Quotensystem hinter. Wir müssen im Vorfeld Verkaufszahlen angeben und am Jahresende wird geschaut, wie gut wir die erfüllt haben. Zu geringe Gesamtzahlen oder viel gewollt und nix verkauft ist negativ für die Lieferzeit im darauf folgenden Jahr. Erwartungen übertroffen gibt Lieferbonus.“ Ich kündigte gleich mal mein Kommen für den Nachmittag an.

High Noon erreichte ich Essen und wurde das peinliche Anhängsel los.

Danach brummte ich rüber nach Bochum, futterte nur schnell ein Brot und machte mich mit dem Opel auf den Weg nach Siegen. Es war ja fast schon peinlich, mit so einem Auto in den heiligen Hallen anzukommen, da halfen auch die guten Klamotten wenig.

Nach einigen Entscheidungen um Lack- und Lederfarben, den Stil von Nähten, Alu oder Carbon, Klavierlack oder Wurzelholz, das Lenkrad und Felgen in persönlichen Sonderfarben, Helferlein zum Fahren, Wohlfühlen und Kommunizieren, technische Spielereien wie Verkehrszeichenerkennung oder Keyless Entry & Go und bei dem inzwischen erreichten Betrag dann auch nicht weiter störendem Spielkram für kleines Geld wie Lenkradheizung und Internetzugang war ich schließlich 86.295,00 Euro ärmer und Anfang Mai ein üppig motorisiertes Vehikel reicher.
Das heißt, ich konnte nun noch mal den gleichen Betrag zur Bank schleppen, den mein Schwager für seinen Mittelklasse-Audi bezahlt hatte, obwohl ich gerade ein über doppelt so teures Auto gekauft hatte.

Wie erwartet hatte Dennis einiges zu tun, um die 38.000 Euro so unterzubekommen, dass ich mit der Verzinsung zufrieden war. Dann blieben mir noch 700 Euro, für die ich mich Ende März, wenn das Wetter besser wurde, mal eine Woche in den Flieger nach Süden setzen wollte, weil mein „Privatjet“ für die Autobahn dann eh noch in der Fertigung steckte. Individualismus dauerte eben.

Obwohl ich noch vor 20 Uhr zu Hause war, war Timo schon in seinem Zimmer. Julian war auf dem Weg in seins. „Und, was hast Du Dir gekauft?“ „Na, neugierig? Ein Auto.“ „Und was?“ „Verrate ich nicht. In 11 Wochen weißt Du mehr.“ „Oh Mann!“ Er hatte gewonnen und mich überzeugt. Aber wozu er mich überzeugt hatte, durfte er erst noch eine Weile zappeln.

Am nächsten Morgen war Julian schon mit Marlon weggefahren. Also traf ich Timo am Frühstückstisch: „Herzlichen Glückwunsch!“ „Hä? Was?“ „Eigentlich schon nachträglich. Heute ist der 19. Februar Du hast am 18. August bei uns angefangen. Seit gestern ist Deine Probezeit rum.“ „Echt? Wo ist das halbe Jahr hin?“
„Ja. Eigentlich wollten Julian und ich mit Dir noch vor dem Ende ein Gespräch führen.“ „Worüber denn?“ „Na ob es allgemein die richtige Wahl von uns und Dir war, wie Du uns als Arbeitgeber siehst, was wir über Dich als Fahrer denken. Und am Ende mit dem Fazit, wie es weiter gehen wird.“ „Oh.“
„Na keine Sorge. Wenn wir der Meinung gewesen wären, dass Du nicht der richtige Mann bist, hätten wir Dir das ganz sicher spätestens Vorgestern mitgeteilt und auch vorher schon mal gewarnt, dass die Richtung nicht stimmt. Ich habe am Montag mit Julian auch ein Frühstücksgespräch gehabt.“ Und was für eins… „Wir holen das auf jeden Fall noch nach. Aber wir sind zufrieden mit Dir.“ „Ich finde es super bei Euch. Anfangsprobleme hatte ich auch ab und zu, aber es ist und bleibt mein Traumjob.“ Und trotzdem hatte ich den Eindruck, dass noch was im Busch war.

„Na ja. Eine Sache… Für eine Beziehung ist es ein Scheißjob, oder?“ „Hast Du eine Freundin?“ „Nein. Aber es bahnt sich eine Beziehung an.“
„Kommt halt auf Dein Einsatzprofil an. Man kann es schon so drehen, dass Du am Wochenende da bist. Aber Fernverkehr ist generell schwierig. Es verlangt auf jeden Fall eine Menge Vertrauen für die Zeit, wo Du weg bist und so verrückt das klingt, eine Menge Kreativität für die Zeit, wo Du da bist.“ „Hä?“
„Ja. Wenn sich da eine Routine einschleift, jedes Wochenende gleich abläuft, wird es irgendwann langweilig und jemand sucht die Abwechslung. Da werden die Wochenenden schon zu einer Herausforderung. Meine Beziehung in Wales ist genau da dran gescheitert, dass ich aus Langeweile in den Seitensprung bin, obwohl ich eigentlich glücklich verliebt war.“
Apropos – bevor ich los fuhr, musste ich noch mal ins Büro. Denn da lag immer noch eine Altlast auf meinem Schreibtisch, die mal endlich beantwortet und dann in die Rundablage gehörte. Auch wenn sich von mir aus Luke eigentlich so schwarz warten konnte, wie er seine Haare färbte.

„Na ja, aber bei Chris kann es da dran ja nicht gelegen haben.“
„Das war das krasse Gegenteil. Mit dem habe ich mir im Fahrerhaus und dann auch noch am Wochenende auf der Pelle gesessen. Da hätten wir die Wochenenden mal eigene Wege gehen müssen, damit wir nicht dauernd zusammen hängen. Und vielleicht hätten wir sogar mal einen Truck mieten und eine Woche Solo fahren müssen. Aber das Thema ist ja nun eh durch. Wenn es die große Liebe ist, hält sie es jedenfalls aus. Viele Fernfahrer haben sogar Familie, auch wenn sie nur am Wochenende zu Hause sind.“

Das Thema zog sich noch ein Bisschen hin. Mein Handy meldete sich schließlich, es war Mahad: „Wann kommst Du, Junge? Ich will anfangen! Andere Kunden haben auch ihre Zeitslots zugewiesen.“ Zwar würde ich den Truck sowieso nicht direkt wieder fahren, aber Julian sollte so lange ich mit der Mietschleuder unterwegs war, den Hi-Way übernehmen.

„Tja, die Arbeit ruft. Und die Werkstatt auch.“ „Wieso?“ „Meine Maschine geht jetzt zu den Lahrmanns. Und dann mit einem Mietwagen nach Italien. Was hast Du vor?“ „Leverkusen, Grimmen, Dormagen, Wochenende.“ „Grimmen?“
„Judith hat gestern eine Eilanfrage von Alfred Talke Logistic Services bekommen, ob wir noch mal einspringen können für einen Pendel zu der Niederlassung da. Da sind wohl zwei Fahrer Karneval ihren Führerschein losgeworden. Same procedure as every year. Ein alter Schulfreund von mir ist inzwischen bei der Polizei im Rhein-Sieg-Kreis. Die kassieren im Straßenkarneval bis zu sechs mal so viele Führerscheine wegen Alkohol ein wie an einem normalen Wochenende.“


Wir liefen runter in die Halle, stiegen in unsere Trucks und rückten aus. Bei den Lahrmanns auf dem Hof stand mein Arbeitsgerät für mindestens mal den Rest der Woche und die halbe nächste.

„Wann musst Du den wieder zurückgeben?“ „3 Tage nachdem ich es anmelde. Du kannst den so lange fahren, wie Du die Tagespauschale löhnen willst. Ich kläre das mit Judith ab, wann sie Dich wieder hier haben kann.“ „Julian holt am Montag den Stralis ab und fährt mit dem. Am besten sprichst Du wirklich mit Judith, denn die muss uns dann beide hier haben.“

20 vor 12 verließ ich bei Fercam in Duisburg den Hof mit einem Tanker dran. Bei Freiburg musste ich dann Pause machen. Ich steuerte den Parkplatz an und hatte schon genug. Ein Viehtransporter mit einer lettischen Zugmaschine stand schon da und die eingepferchten Schweine grunzten und vor allem stanken den ganzen Platz voll.
Ich hoffte, dass die Lärmschutzmauer in Form eines Containerzuges da bis morgen stehen blieb.

Weiße Landschaft, weißer Trailer, weißer Truck. So ging es am Freitag über den Gotthard.

Unspektakulär endete der Tag mit der Lieferung in Mailand. Danach hatte ich mein Wochenende. Eine interessante Stadt. Ich parkte den Truck am Hotel, checkte ein und machte mich auf den Weg, um den Nachmittag noch ein Bisschen zu nutzen und dann ein Lokal fürs Abendessen zu suchen.

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