Diese Woche…
…steigt Ricky dem Papst aufs Dach…
…ein Techniker will sich vom Dach stürzen…
…und Timo fällt in ein dunkles Loch!
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Am Sonntag stand erst einmal noch ein Geburtstag auf dem Programm. Marlon war zwar schon am Donnerstag 31 geworden, aber am Freitag nach einer kurzen Gratulation direkt mit Judith verschwunden. Samstag hatten sie „alleine zu zweit“ in Brüssel gefeiert, aber am Sonntagmittag kamen sie zurück und er feierte auch noch mit der ganzen Firma und den wenigen Freunden, die man in unserem Beruf so hatte.
Weil das Wetter noch nicht prall genug zum Angrillen war, bauten wir den Gasgrill zu einem Kocher um und machten uns mit viel Spaß in gemeinsamer Arbeit ein Chili con Carne.
Am Montag dann waren Julian und Marlon schon in der Nacht mit dem alten Stralis aufgebrochen, Ilarion erst mal mit dem Magnum zu Vinni zwecks Bordcomputer das Maul stopfen und da mit dem Premium weiter.
Ich schnappte mir das Telefon und rief bei einigen Stellen an, um meinen Plan umzusetzen. Bei Talke, um zu fragen, ob ich uns mal 5 leere Trailer ausleihen könnte. Dann die Versicherung, ob sie die Aktion mit den Leihtrailern auch abdeckte.
Zwischendrin während der Wartezeit auf Antworten war der Betreiber vom Ort des Geschehens an der Reihe, wann er denn 5 wild gewordene Sattelzüge gebrauchen könnte und ob dabei auch eine kleine Spezialität einzubauen war. Ich erklärte gerade, warum ich die wollte: „Einer meiner Fahrer hat es übertrieben. Da muss ich einfach die Konsequenzen ziehen.“
Manchmal sollte man die Tür zu machen, wenn man telefonierte. Timo war ja noch gar nicht weg und ging gerade vor der Tür vorbei, Mist. Ich rief danach noch mal bei Talke an und machte die Trailer klar.
Und dann war da noch ein kleines Telefongespräch mit diesem Sascha Steinemann bei Dachser. Er hörte sich die Geschichte an und wollte sich kümmern. Ich sagte ihm zu, dass ich noch bis zum Monatsletzten keinen gerichtlichen Mahnbescheid holen würde, damit er in diesen anderthalb Wochen die Angelegenheit intern klären konnte.
Schließlich war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Erst einmal mit dem Zug zum Düsseldorfer Flughafen und dann mit dem Flieger nach Bella Italia.
Hier schaltete ich eine Woche ab. Die Stadt hatte so viel zu bieten. Gerade ich als Liebhaber alter Gemäuer erkundete natürlich die römischen Ruinen. Daneben ließ ich mir, evangelisch hin oder her, auch den Vatikan nicht entgehen und genoss den Ausblick vom Petersdom.

Aber auch die schönste Zeit war mal vorbei und am Sonntag ging es wieder zurück nach Hause. Hier endete die Entspannung dann auf dem Sofa mit der MotoGP. Immerhin gewann eine Yamaha, auch wenn mir persönlich Jorge Lorenzo lieber gewesen wäre als Dottore „Ich sperre meinen Teamkollegen hinter einer Pappwand ein, Weltstars betreiben kein Mobbing“ Valentino Rossi. Mit so einem „Kollegen“ brauchte man keine Feinde mehr, Fans hatte er trotzdem genug.
Und außerdem erwartete mich Montag dann dienstlich die Nachricht, dass Frau Magnum auch Vinni in die Verzweiflung gelabert hatte. Das Obiectum Spectaculum hatte ich gestern schon in der Halle gesehen, nachdem Julian am Freitag noch stattdessen meinen Stralis Hi-Way zum Folieren hin gebracht hatte.
Ich begrüßte Judith im Büro und stellte dann die Gretchenfrage: „Was hast Du jetzt mit mir vor?“ „Aus Mangel an Lastwagen wenig. Oder willst Du mit unserem Talkmaster fahren?“ Für die Karre hatte inzwischen wohl jeder seinen eigenen Spitznamen.
„Ich schaue mal, ob ich noch einen Experten im Internet finde. Und alle 4 Tage brauche ich nicht hier zu sitzen. Wir können ja einen Truck mieten.“
Erst mal suchte ich aber im Internet und fand: „Warnlampe an? Motor läuft schlecht? Elektrikprobleme? DH Fahrzeugelektronik, Haltern am See“, dahinter eine E-Mail-Adresse und eine Handynummer. Also rief ich mal an.
„DH Fahrzeugelektronik, Hallo!“ „Eric Kaiser, KFL Intertrans in Bochum. Wir haben ein in jeder Hinsicht großes Elektronikproblem an einem Fahrzeug.“ „Wie groß?“ „Das Fahrzeug selbst ist schon mal so groß, wie es heißt. Ein Renault Magnum. Machen Sie auch LKW?“ „Ja. Ich habe meine Ausbildung bei Iveco in Recklinghausen gemacht. Habe zwar länger nicht mehr mit LKW gearbeitet, aber das macht nix. Gelernt ist gelernt und so verschieden wie man glaubt sind die elektronisch auch nicht.“ Ah ja, ein ehemaliger Azubi von Mario also. Interessant.
„Wann könnten wir denn mal einen Termin machen. Der Bordcomputer spinnt und meldet Fehler an der Luftfederung, die gar nicht da sind.“ „Ich frage gleich mal nach, ob ich morgen in meinem Erstjob Urlaub kriegen kann.“
Er meldete sich kurz darauf, dass es geklappt hatte. Also musste ich mich nur heute irgendwie beschäftigen. Judith sagte mir, dass sie zwei interessante Aufträge gefunden hätte und etwas später war auch ein Leihtruck organisiert. Und außerdem sagte sie, dass Dachser bezahlt hatte.
Mit einem für Mietfahrerzeuge eher kurios stahlblau lackierten Renault Premium 380 zockelte ich kurz darauf mit einer Lieferung für einen Supermarkt von Wuppertal nach Recklinghausen.
Die Entdeckung der Langsamkeit ging mir auf die Nerven. Zumal das Ding handgeschaltet war. Zwar fuhr ich den Stralis auch immer manuell, aber der hatte genug Drehmoment und hatte mich deshalb versaut und schaltfaul gemacht. Außerdem war es nur ein kurzes Antippen. Hier war man aber dauernd mit dem langen Löffelstiel am Zahnräder umrühren, damit es voran ging.
Der Supermarktparkplatz war voll, aber immerhin drei der entscheidenden fünf Parkplätze waren frei und so hatte ich relativ leichtes Spiel.

Der Rückweg ging wieder nach Wuppertal und kurz vor der Ausfahrt lief ich auf eine Truppe auf, deren Anführer wohl bergauf noch bremste. Jedenfalls tat das die Kolonne hinter ihm. Ich war soeben Teil der Kolonne geworden und musste von meinen wertvollen 60 km/h gleich mal 25 vernichten.
Danach war der Tag schon wieder um, bis ich den Truck wieder abgegeben hatte.
Dienstag früh fuhr dann unsere letzte Hoffnung mit einem Auto auf den Hof, das bewies, dass er keine Angst vor merkwürdigen Fahrzeugen mit einer Raute im Grill hatte. Sein Gefährt war das überflüssigste seit der Erfindung des Hochdachkombis: ein Renault Kangoo Bebop.
Ein Tester hatte mal so treffend geschrieben, dass das Teil das Platzangebot eines Cityminis mit der Fahrdynamik eines Hochdachkombis verband.
Er selbst war um die 30. Der Kampf im Badezimmer war heute morgen wohl 1:1 zwischen Frisur und Kamm ausgegangen, seine etwas längeren, leicht gelockten Haare zeigten zwar nach unten, machten auf dem Weg in diese Vorzugsrichtung aber mehr oder weniger, was sie wollten. Aber das kannte ich selber ja auch noch ganz gut.
Der spirrlige Kinnbart war zwar nicht so ein Gefussel wie bei Tom, dem Angestellten von Keith – aber als Bart ernst nehmen konnte man das auch nicht wirklich.
„Hallo, ich bin Erik.“ So wie er auftrat und bei dem Alter konnte man ja aufs Du gehen. „Dominik, hallo.“ „Das ist er.“ „Dann schauen wir mal. Ich habe mir extra Stromlaufpläne und eine Diagnosesoftware für das Teil organisiert.“ Hoffentlich wurde er fündig, denn das hörte sich nach anteiligen Beschaffungskosten an.

Er schloss den Diagnosestecker an. „Mach mal den Hauptschalter rein.“ „Achtung! Druckluftsystem! Bitte Hinterachse überprüfen!“ „Also, das System sagt Sensor Hinterachse Druck zu niedrig.“
„Dass der da noch mal einen Sensor drin hat.“ „Hat er nicht. Das Ding misst nur den aktuellen Federweg für die Niveauregulierung und nimmt den Wert als Grundlage für den Druck auf der Federung. Wenn die Hinterachse über die Toleranzgrenze einfedert und die Niveauregulierung das aus dem Fahrzeugdruck nicht ausgleichen kann, dann ist entweder der Gesamtdruck im System zu niedrig, was der Druckfühler im Hauptbehälter erkennt oder er ist halt in den Zylindern an der Hinterachse zu niedrig. Sattellast überschritten würde zum gleichen Ergebnis führen, aber dafür müsste man sich schon sehr anstrengen, mit ein paar Tonnen überladen wäre das nicht zu schaffen.“
Die Hinterachse war aber nicht undicht, es zischte nichts. Allerdings stand das Fahrwerk hinten ziemlich nach oben. „Dem Winkel nach ist dann da was faul.“ „Ja. Sieht aus wie voller Druck auf der Hinterachse.“
„Die Regelventile und den Sensor hat Renault schon ausgetauscht. Danach war weniger als eine Woche Ruhe. Und bei der freien Werkstatt letzte Woche waren sie in Ordnung, aber das Problem trotzdem da.“ „Wir prüfen sie trotzdem mal.“
So ging der Tag schneller als gedacht dahin. Wir bauten die Sensoren aus und prüften ihre Messwerte, kontrollierten die Druckluftversorgung und den tatsächlichen Druck auf den Hinterachsfedern, piepsten die Kabel von den Sensoren ans Steuergerät mit dem Durchgangsprüfer durch und so weiter.
„Ich gehe mal ans Steuergerät direkt.“ Dominik startete den Motor über die Datenschnittstelle, weil wir schlecht ins gekippte Fahrerhaus klettern konnten. Es kam keine Fehlermeldung. „Hä?“ „Was Hä?“ „Keine Fehlermeldung?“ „Wenn die Kabine gekippt ist, hält das Ding ganz den Mund. Sonst hätte doch stattdessen die OK-Meldung kommen müssen. Aber sie ist in der Tat weg.“ Das änderte sich, als wir die Kabine wieder unten hatten.
„Es ist ja schon spät. Ich nehme mir übermorgen noch mal frei und organisiere ein paar Teile. Es kann jetzt ja eigentlich nur noch ein Wackelkontakt im Kabel zur Kabine oder im Bordcomputer sein. Denn jetzt ist ja alles andere in Ordnung.“
„Und wer bezahlt den Bordcomputer, wenn Du den auf Verdacht kaufst?“ „Ich hole das Ding beim Schrotti. Kenne einen LKW-Verwerter in Oberhausen, der hat hoffentlich einen da. Das kostet schon nicht die Welt. Und wenn es nicht da dran lag, nimmt er den vielleicht auch wieder zurück.“
„Was machst Du sonst eigentlich, wenn Du Dir immer Urlaub nehmen musst?“ „Habe mich beim Sklavenhändler angemeldet und bin zurzeit als Gabelstaplerfahrer an Fercam in Duisburg vermietet. Im Winter muss ich was dazu verdienen. Im Sommer werde ich mal sehen.
Früher konnte man mit „Fehlerspeicher auslesen 10 Euro“ am Wochenende auf Tuningtreffen seinen Lebensunterhalt bestreiten. Aber OBD-Software für Laptop oder Tablet und Diagnosekabel bekommt inzwischen jeder im Internet aus der Grauzone. Dazu gefährliches Halbwissen aus einem Diskussionsforum und wenn sie fertig sind, kann ich auch nichts mehr machen und eine Vertragswerkstatt muss es wieder hin kriegen.“
„Nicht im Lehrberuf unterwegs?“ „Nein. Ich habe nach der Lehre das Abitur in der Abendschule nachgemacht und wollte Elektrotechnik studieren. Das habe ich aber im dritten Semester schon wieder abgebrochen und seitdem Gelegenheitsjobs. Entschuldige mich, aber ich muss langsam weg, sonst geht das ganz große Stau-Festival los.“
Der Mittwoch brachte mir dann einen gewohnt mietwagenweißen Truck ein. Auch er war eine rollende Verkehrsinsel. Außerdem wünschte ich mir das Handgetriebe von Montag zurück. Das war zwar nervig, aber man hatte wenigstens eine Chance, um Tempo zu machen. Die Öko-Automatik mit Umweltengel in dieser Kiste hielt noch mehr auf, als es die geringe Leistung schon erwarten ließ.
Es ging erst mal solo ins Sauerland. Dort aus einem Steinbruch mit einem leeren Dieseltank nach Gelsenkirchen, von da mit Kies weiter nach Bochum und mit einem Tieflader nach Wuppertal.
Auch dieser Tag war schneller vergangen als ich dachte. Wobei eigentlich eher ich langsamer vorangekommen war als gewohnt. Letzte Tour mit dem Alptraum aller Scania-Fans (nein, kein Volvo, aber ein Scania, der von so gut wie jedem anderen LKW zum Frühstück verputzt werden konnte) war dann ein Kraftstoff-Tanker von Wuppertal nach Essen.

Am Donnerstag kam Dominik wieder an, er brachte einen Bordcomputer und einen Kabelstrang mit.
„Wir messen erst mal das Kabel durch.“ Er fummelte das Kabel vom Steuergerät ab und aus dem Motorraum raus. Oben baute er den Bordcomputer aus. Dann schickte er mich mit einem Kabel des Messgeräts ins Fahrerhaus und gab mir die Kontakte an, an die ich das Messgerät halten sollte, während er unter den Truck krabbelte und die Adern am anderen Ende durchpiepste.
„Das Kabel ist in Ordnung. Also bauen wir mal den anderen Bordcomputer ein.“ Er schritt zur Tat und brauchte auch nicht sonderlich lange.
„Ich starte mal.“ „Attention! Système pneumatique! Réviser essieu arriere s’il vous plaît!“ „Oh ja, Cherie! Mach’s mir Frongßösísch!“ Dominik verdrehte seine stahlblauen Augen. „Oui, toi moi aussi!“ Mit dieser bestimmt nicht korrekt übersetzten Bemerkung drehte er den Schlüssel wieder rum.
„Okay, der war halt abgeklemmt und die Ländereinstellung ist gelöscht. Aber auf deutsch zurückprogrammieren lohnt sich dann auch nicht wirklich.“ „Jetzt wissen wir nur noch ein Teil mehr, an dem es nicht gelegen hat.“ „Ich weiß nur, dass ich bald keins mehr weiß, an dem es liegen könnte. Bauen wir mal den originalen Computer wieder ein.“
Sein Handy klingelte. Ich bekam seine Hälfte mit, weil er sich nicht die Mühe machte, aus der Kabine zu steigen und weg zu gehen. „Ja und?“ „Wie soll das dann gehen?“ „Mindestens 2 Wochen Vorlauf?“ „Warum genehmigen Sie es denn dann kurzfristig? Hätten ja auch ablehnen können.“ „Mein Gott, wir reden hier von zwei mal einem Tag.“ „Ist doch schön, wenn Sie sowieso zu viele Staplerfahrer haben. Dann konnte ja einer schnell nachrücken und alle beteiligten sind glücklich.“
Aha, Ärger mit dem Chef. „Damit kommen Sie nicht durch. Einigen wir uns gleich auf fristgerecht oder geht das vor Gericht?“ „Ja, von mir aus bringen Sie mir den Wisch noch heute Abend persönlich vorbei, damit er garantiert da ist. Wenn ich nicht zu Hause bin, geben Sie den Brief meiner Familie. Ich weiß ja was kommt.“ Gefeuert, das war mal klar. „Ja, dann sind Sie mich zum Monatsende los. Ist ja nicht so, als würde es dann wieder mehr Arbeit geben und Ihnen die Leute ausgehen.“ „Ich komme schon klar. Auch die Tuningszene hat dann ja wieder Saison und mein Nebengewerbe kennen Sie ja.“ “ Bis nachher.“
Er steckte das Handy wieder weg. „Arschloch.“
„Ein Tag zum vom Hallendach springen.“ Was wurde das jetzt? „Bitte nicht, sonst habe ich den Ärger mit der Leiche!“ Da ich nicht wusste, wie er da drauf kam, war es eher ein Verlegenheitswitz. „Wenn Du eine Matratze auf den Hof legst und da drauf…“ er schaute zum Hallendach rauf „…5 Lagen Umzugskartons stapelst, stehe ich danach auf, schüttele mich und arbeite weiter.“
„Wie jetzt?“ „Ich sagte doch, während und nach dem Studium habe ich einige komische Gelegenheitsjobs gemacht. Stuntman war auch einer.“ „Okay…?“
„Body-, Sport und Zweiradstunts halt. Also alles mit Kämpfen, Stürzen, Springen. Das ganze mit und ohne Skateboards, Inliner, Kickboard, Fahrrad und Motorrad. Deine Halle wäre jetzt eine der kleineren Übungen.“ „Irgendwie war mein Leben dagegen langweilig. Auch wenn ich inzwischen jede Menge Europa und die komplette afrikanische Nordküste abgefahren habe.“
„Europa komplett?“ „Nein, nach Osten wird es dünn. Skandinavien früher mehrmals bis in die Nähe vom Polarkreis, Polen mal eine Tour bis an die weißrussische Grenze, Ungarn bis in den Osten, Balkanautobahn über Ex-Jugoslawien und Albanien bis Griechenland sind so die Grenzen. Westlich davon habe ich mich schon fast überall rum getrieben. Und Nordafrika letzten Sommer einmal von Alexandria bis Marokko. Der letzte Trip war dank Libyen allerdings auch lebensgefährlich.“ „Na langweilig würde ich das auch nicht nennen. Ich kenne dafür nur Deutschland und Schweden durch die Familie, Benelux von Dreharbeiten, Mallorca und Kroatien aus dem Urlaub und Paris von einer Klassenfahrt.“
„Wenn Du mehr sehen willst – ich habe verstanden, dass Du ab 1. Mai für jede Schandtat zu haben bist. Hast Du einen Truckführerschein?“ „Ja, klar. Damals in der Ausbildung gemacht. Aber nur schwere LKW leer für die Werkstatt gefahren und das letzte Mal vor knapp 10 Jahren. Danach öfter mal 7,5 Tonnen Gesamtgewicht plus Hänger beladen. Dafür habe ich aber später auch Kenntnis gemacht, auch ein Filmteam ist rechtlich gesehen gewerblich unterwegs.
Okay, und weil ein Kollege im gefährlichsten Beruf der Welt ausgefallen war und ich als einziger sonst am Set so ein Viech überhaupt in Gang bekam, habe ich mal einen alten Mercedes Actros zu Schrott gefahren. Natürlich mit Absicht und vor laufender Kamera. Mein einziger Fahrzeugstunt mit was anderem als Motorrädern.“
Komischer Fahrauftrag, aber scheinbar sogar das erfolgreich erledigt. Ich lachte. „Als Referenz zählt das aber nicht gerade. ADR-Scheine?“ „Ja, habe ich auch mal beim Stuntteam gemacht. Da musste jeder bei den Vorbereitungen helfen oder man hatte mal was auf dem Siebeneinhalbtonner beim Transport zum Drehort. Druckgas, Brandbeschleuniger und Sprengstoffe halt, aber ich habe den kompletten Kurs für alles gemacht. Auch danach waren die Scheine in einigen Jobs nützlich, wie jetzt bei Fercam im Lager. Also bis auf einen Castor darf ich theoretisch alles fahren.“ „Radioaktivität hat hier keiner. Aber den Rest würdest Du brauchen.“

„Da kommt ja der richtige.“ Der alte Stralis rollte in die Halle. „Hallo Julian, das ist Dominik. Bisher leider an unserem Magnum erfolgloser Fahrzeugelektriker und er braucht einen Job ab Mai. Julian ist einer der Mitinhaber hier, der andere ist sein Bruder Marlon, der auch gerade aus dem Truck steigt.“
Nach der Vorstellungsrunde gingen wir in den Besprechungsraum. Julian und ich waren uns schnell mit Dominik einig. Er konnte bei uns anfangen, wenn er den Magnum hin bekam. Denn das war Grundvoraussetzung, dass wir einen Truck für ihn hatten. Er konnte dann erst mal nach dem Anlernen den Premium bekommen und Marlon blieb noch einige Zeit bei Julian auf dem Bock bis es für einen neuen Truck reichte.
„Na dann will ich mir mal meinen Arbeitsplatz sichern. Auch wenn mein Latein langsam aufs Ende zugeht. Ich will mal sehen, ob ich mich über den CAN-Bus sinnvoll in das Steuergerät vom Fahrwerk hacken kann. Mich kotzt nur langsam die Kabinenkipperei an.“
Timo war gerade angekommen. Von allen hier war er der leichteste. Seine nicht mal 80 Kilo würden den Truck wohl nicht nach vorne kippen lassen, der Magnum stand sowieso etwas stabiler als die anderen dank der Vorderachse vorm Aufstieg. „Hallo Timo. Wir brauchen mal Deine Hilfe.“ „Was denn?“ Ich stellte ihn und Dominik kurz einander vor.
„Traust Du Dich, in die gekippte Kabine zu klettern und den Hauptschalter auf Kommando ein und aus zu schalten?“ „Kippt der dann nicht ganz um?“ „Der Magnum bestimmt nicht mit der Achse vorne.“
Timo kletterte die Treppe rauf und hangelte sich in die Kabine, während Dominik sein Messgerät an das Hauptsteuergerät anschloss und dann schnell noch einen Stecker abzog und einen Draht in die Kontakte klemmte. „So, ich schließe mal schnell noch den Schalter von der Kabine kurz, damit das Ding denkt, die ist unten.“
„Okay, mach mal den Hauptschalter an.“ Es rumpelte stattdessen im Fahrerhaus und die Hinterräder hoben sich fast vom Boden, tippten aber wieder zurück. „Scheiße!“
„Ist Dir was passiert, Timo?“ „Nein, glaube nicht. Bin nur abgerutscht.“ Er lag im Fußraum vorm Beifahrersitz und sortierte seine Knochen. „Erst mal kriegt ihr Strom.“ Er kletterte wieder halbwegs nach oben. Ich lief mal vorsichtshalber hinter den Truck. Wenn ich nur leicht auf den Rahmen drückte, könnte ich den Truck dank dem langen Hebel wieder runter bringen und am Kippen hindern. Aber jetzt blieb die Hinterachse am Boden.
„Systemprüfung erfolgreich!“ Dominik und ich sahen uns mit Gesichtern wie Karpfen im Aquarium an. „Okay. Komm mal raus. Das begreife ich zwar nicht, aber so lange brauchst Du nicht in der schiefen Kabine hängen.“ Timo krabbelte aus dem Fahrerhaus. Als sein erster Fuß auf dem Trittblech überm Radkasten war, vermeldete Frau Renault wieder: „Achtung! Druckluftsystem! Bitte Hinterachse überprüfen.“
„Vielleicht sollte er sich immer in den Fußraum legen.“ „Na ob da der eigentliche Fahrer mit einverstanden wäre?“ „Ha, ha!“ Etwas gereizt, der zurzeit ansonsten sehr zahme Timo. Der kleine Ausrutscher in den Fußraum und der Spruch hätten ihm sonst nichts ausgemacht.
„Eric, heb mal das Heck an, bis er fast kippt.“ Gesagt, getan. „Kurz bevor er komplett ausgefedert ist, verschwindet die Fehlermeldung im System.“ „Wir haben doch die Sensoren getestet und die Kabel durchgepiepst.“ „Ja, aber jetzt messen wir mal den genauen Widerstand mit Kabel und Sensor.“ Denn das Gerät mit dem Display lag, wenn wir zu zweit die lange Strecke von der Hinterachse bis ans Steuergerät im Motorraum überbrücken mussten, für uns nicht ablesbar auf dem Tank.
Dominik hob den Rahmen mit einer Hand leicht bis vor den Kipppunkt an. Timo las die Werte vor. „Beim linken ist der Widerstand zu hoch. Und kurz bevor die Hinterachse in die Luft geht, kommt er ins Fenster mit dem Sollwert. Also doch was im Kabel.“ Wir untersuchten das Kabel und fanden einen Steckverbinder unterwegs. Der war kräftig korrodiert. „Das sind doch Hampelmänner in der Renault-Werkstatt.“ „Wieso?“ „Hier wäre, wenn es ein Dreiachser wäre, die zusätzliche Achse eingeschleift. Der Stecker scheint mal einen Steinschlag abbekommen zu haben und das Gehäuse ist gerissen. Jetzt sind die Kontakte Blumenerde. Kein Wunder, wenn der Käse misst. Der Durchgangsprüfer ist noch durch gekommen, aber der Übergangswiderstand im Verbinder war natürlich zu hoch und hat die Messwerte fürs Steuergerät verfälscht. Als die bei Renault die Sensoren getauscht haben, haben sie im Stecker am Sensor selbst die Kontakte beim Umstecken wieder blank geschliffen und an der Stelle den Übergangswiderstand verbessert. Das hat so lange gereicht, bis der kaputte Stecker wieder etwas weiter zerfressen war.“
„Und jetzt?“ „Das ist ein Standard-Stecker aus dem Fahrzeugbau. Wenn ich keinen im Werkzeugkasten habe, kriege ich den auch bei Yamaha zwei Häuser weiter.“
Wann war das gesuchte Teil schon mal da? Nach nicht mal 10 Minuten kam Dominik mit dem passenden Steckverbinder aus der Motorradwerkstatt wieder und baute ihn ein. Die Prüfung über die Schnittstelle und mit Werkstatthauptschalter war okay. Kabine runter und mit Schlüssel starten: „Systemprüfung erfolgreich!“ Jubel brach aus.
„So, Ihr schuldet mir dann einen Arbeitsvertrag, dafür berechne ich nur einen Tag. Okay?“ „Das mit dem Arbeitsvertrag war so ausgemacht. Dafür musst Du uns auch nichts nachlassen.“ „Der Fehler war aber zu dämlich. Da hätte ich schon Dienstag drauf kommen müssen. Also gut, beide Tage auf die Rechnung. Aber dann gehen das Kabel und der Bordcomputer auf mich, wenn ich die nicht zurück geben kann.“ Er musste es wissen. Wobei das wirklich fair war, denn der Kauf war am Ende überflüssig.
Wir gingen noch mal nach oben. „So, dann bräuchte ich einmal Deinen kompletten Namen.“ „Dominik Jöran Hofmann. Dominik mit K, Hofmann mit einem F.“ „Ungewöhnlicher zweiter Vorname.“ „Die schwedische Form von Jürgen. Meine Mutter ist Schwedin.“ „Und dann noch das Geburtsdatum.“ „05.12.1983.“
Ich nahm noch die übrigen Informationen auf, die Judith am Dienstag brauchte, um ihm einen Vertrag zu schreiben.
Dominik stieg in seinen privaten rollenden Würfel auf Kleinwagenchassis. „Frohe Ostern.“ „Dir auch. Wir sehen uns dann am 4. Mai 7:30 Uhr.“ Ich sah dem Auto nach. Also ein neuer Fahrer, dann brauchten wir nur demnächst einen neuen Truck. Und noch war keiner im Budget zu finden.
Erst mal konnten wir uns aber mit der Einarbeitung behelfen, denn er würde 4 bis 6 Wochen mit Begleitung fahren müssen. Dann war Mitte Juni und bis da hin sollte wieder einer bezahlbar sein. Was wir allerdings nach den Ferien wohl schalten mussten, waren Anzeigen für eine Teilzeitkraft in der Buchhaltung, damit Judith sich auf die Dispo und allgemeine, administrative Tätigkeiten beschränken konnte. Das wollte ich Dienstag vor der Abfahrt mit ihr durchsprechen.
Jetzt nahm ich mir erst mal die Schlüssel für unseren ebenfalls langsam von Elektronikproblemen geplagten, kleinen Franzosen aus dem Hause Citroen. Ostern war Familie angesagt. Und meine in Nordhessen geborene Mutter machte traditionell am Karfreitag eine Grüne Soße – die Kasseler Variante, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte.
