Kapitel 51 – Auf verschlungenen Pfaden

Diese Woche…
…fährt Ricky über eine schmale Brücke…
…Ilarion ist sauer…
…und zwei Italiener zeigen sich erkenntlich!

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Dienstag, 07.04.2015

„Nein, das heißt es natürlich nicht! Mach, was Du für richtig hältst, aber erwarte nicht von mir, dass ich mich da auch dran hänge! Und für den Sub eines Kistenschiebers muss man schon einen Sockenschuss haben! Sonst ändert sich aber nichts!“ Wenn man aus dem Treppenhaus in die Büros ging, kam man immer an der Treppe vorbei, die in die Halle führte und die Tür da runter fiel nicht immer ganz zu. Eigentlich konnte es ja nur Timo sein, den Ilarion da gerade mit zwei Sätzen rund machte, aber davor und dahinter irgendwie versöhnlicher klang.
Es wäre an sich schon ganz interessant zu wissen, worum es ging, aber die Tür war verglast und Ilarion stand nicht weit von der Treppe entfernt. Sobald er hier rauf schaute, um ins Büro zu kommen, würde er mich auf dem Horchposten sehen. Und auch wenn ich neugierig war, so ging mich doch ihr Streit nur bedingt was an. Die Firma spielte offenbar schon eine Rolle. Aber da Marlon und Julian genauso wie ich immer eine offene Bürotür und ein offenes Ohr hatten, wussten sie beide, dass sie jederzeit kommen konnten. Auch Timo, selbst wenn er es gerade nicht tat, obwohl es eigentlich einen guten Grund gäbe.
Derzeit hielt ich „Learning by Fingernägelkauing“ für eine gute Lösung. Immerhin fuhr der aktuell so was von maximal Strich 80, dass er noch mal 1,3 km/h langsamere Schnitte erreichte als Ilarion und damit der langsamste überhaupt hier war. Aber das Gespräch gab mir zu denken. Vielleicht sollte ich das Gespräch mit Timo mal lieber in der Woche übers Telefon suchen. Das klang ja fast so, als wollte er in Panik flüchten. Kurz kam mir noch ein anderer Gedanke, was er vorhaben könnte, aber den schob ich schnell wieder zur Seite.
Als Ilarion im Büro war, ging ich runter in die Halle, nahm mir aus dem Werkzeugschrank einen Schraubenziehersatz mit und stellte die Tür endlich so ein, dass sie immer zu fiel.

Als erste Fahrt machte ich mich dann mit dem verstummten Renault Magnum auf den Weg zu Vinni. Als ich um die Halle ins Büro ging, rangierte der Azubi den Truck schon in die Halle. Ich sah mich um, mit einem letzten Blick auf diese Farben. Zwei Jahre lang waren es erst mit einem grellen Gelb meine und dann etwas gedeckter unsere Farben in der Selbstständigkeit gewesen. Jetzt waren wir Subunternehmer und mussten als Zeichen für den Teilverlust der Unabhängigkeit unsere Farben anpassen.

Allerdings ging es uns immer noch gut. Wir waren noch unsere eigenen Herren und mussten nur einige Regeln erfüllen. Wenn ich da so an Patrick dachte, der von Dachser disponiert wurde, war das noch mal eine andere Liga der Abhängigkeit. Und wenn Zicke Zimmermann disponierte, war man auch ganz schnell mal mit Magengeschwür indisponiert.

Meine Ladung wartete bei Rettenmeier in Neheim auf mich, ein Tanker mit Formaldehyd. Ich wollte erst gar nicht wissen, was der Land- und Forstwirtschaftskonzern ADM mit dem Gift wollte. Allerdings wusste ich es trotzdem, Formaldehyd war ein Grundstoff für Pilzbekämpfungsmittel. Wenn man sich ein Bisschen dafür interessierte, was man da durch die Gegend fuhr, erfuhr man eine Menge Zusammenhänge.

Es ging, zumal es kein Carnet TIR gab, also nach Kassel und dann in Richtung Bayern und Brenner. Bei Kassel wurde es zäh, auch nach einer ohnehin fälligen 45er Pause war der Verkehr noch dicht. Und kurz danach jagte mich das Navi auf die Bundesstraße. Ein Unfall hatte die Autobahn dicht gemacht. Wohl um den engen Zeitplan wissend hatte ich keine Augen für die schöne Landschaft Unterfrankens.

Nach einer zweiten kleinen Pause fuhr ich weiter. Mit einem 10er Tag wollte ich versuchen, Boden wieder gut zu machen. An sich sollte die Tour mit den zwei 10ern als stille Reserve gut ausgehen, ohne sie wirklich beide zu brauchen. Aber jetzt sah es nach den Verzögerungen schon schlechter aus.
In einem Gewerbegebiet am Stadtrand von Nürnberg beendete ich den Tag. Weil es schon recht spät war und Infrastruktur nicht vorhanden, machte ich mir ein Fertiggericht im Einbauofen warm.



Mittwoch, 08.04.2015

Am nächsten Morgen stand als erstes eine scharfe Wende auf einer Kreuzung auf dem Programm, um wieder auf die Autobahn zu kommen.

Natürlich geriet ich noch in den Berufsverkehr von München und ließ weitere Zeit liegen. Inzwischen fehlte mir fast ein halber Tag.

Das bewies auch die Restfahrzeit zum Ziel auf dem Navi so bei der obligatorischen Schnitzelpause mittags auf der Inntalautobahn. Als gegen 17 Uhr die reguläre Tageslenkzeit von 9 Stunden an ihr Ende kam, waren es immer noch 13:32 Stunden auf dem Navi, aus der Poebene bis ans Ziel in Süditalien. Leider musste ich morgen Abend am Ziel sein, also saftige Verspätung.
Nach dem Tanken zog ich vor auf die Parkplätze. Auf der anderen Seite stand ein MAN F2000 in einer Farbe, für die mir auch nach einigem Nachdenken keine bessere Beschreibung einfallen wollte als „Kackbraun Metallic“. Ich machte mich auf den Weg ins Rasthaus. Zwar war das Mittagessen schon reichhaltig gewesen, aber mir war nach dem Tag nach einer Frustlasagne.

Ich war gerade aus dem Sanitärbereich gekommen, hatte mir mein Essen geholt und einen Sitzplatz gefunden, als ein Italiener rein kam und sich kurz umsah. Dann kam er auf mich zu. Ich kannte ihn auch nach schärferem Nachdenken nicht, aber mein Unterbewusstsein wollte mir was anderes einreden. Ich durchsuchte meine Vergangenheit nach Italienern in meinen Bekannten, Nachbarschaft, Kollegen und sogar Schulkameraden, aber wurde nicht fündig.
Entweder hatte er mich verwechselt, ich hatte eine Gedächtnislücke oder er hatte nach meiner Firma gesucht und mich am Shirt erkannt. Außenspiegel an meinem Truck abrasiert?

„Sebastiano Rivetti, Hallo! Bist Du zufällig Eric oder Chris?“ „Ich bin Eric. Kennen wir uns?“ „Nein. Aber mein Bruder kommt gleich rein. Der muss sich aber noch ein Bisschen sammeln.“ Jetzt machte es Klick. Weißer DAF XF, altersschwacher Iveco Turbo Zeta, Sportwagen mit deutschem Fahrer, Ersthelfer am Unfallort.
In der Tat, kurz danach kam der Bruder, den ich auch wieder erkannte. Die zwei sahen sich ziemlich ähnlich.
„Er ist Eric“, informierte Sebastiano seinen Bruder noch schnell auf italienisch. „Hallo Eric. Ich bin Dario. Ich weiß gar nicht, wie ich Dir danken soll.“ Sein Englisch war definitiv noch schlechter als mein Italienisch, also wechselte ich die Sprache: „Ein einfaches „Grazie“ reicht schon. Du wirst nichts finden, was aus Deiner Sicht groß genug ist. Und ich habe getan, was ich tun musste und immer wieder tun würde, wenn ich in die Situation komme.“

Bevor es zu philosophisch wurde, begannen wir, uns über den Alltag zu unterhalten. Der Unfall hatte ihre kleine Zweimannfirma zurückgeworfen. Das Geld für den DAF hatte die Versicherung auch nach Monaten noch nicht raus gerückt und Dario steckte in einem Kampf der Gutachter über den Wert. So lange mussten sie mit Sebastianos altem MAN zu zweit fahren, das braune Ungeheuer draußen gehörte nämlich ihnen.
Ich musste dann dafür sagen, dass Chris und ich nicht mehr zusammen waren – womit sie überhaupt erst erfuhren, dass wir ein Paar gewesen waren. Es waren nur unsere Namen und die Firmenadresse, die wir damals bei der Polizei angegeben hatten und die Erlaubnis, unsere Kontaktdaten an Dario weiterzugeben. Für die zwei war das aber kein Thema.
Sie kamen von einer längeren Tour, hatten Ostern in Polen verbracht und waren jetzt auf dem Heimweg nach Pescara. Ich sagte, dass ich irgendwo an das Ende der Welt in Kalabrien musste und mir dabei auch noch dreieinhalb Stunden fehlten.

„Du hast Recht, es ist eine schwache Gegenleistung. Aber wir können Dir helfen. Sebastiano hat alle ADR-Scheine und wir haben beide noch Fahrzeit übrig. Wenn Dir das nützt, können wir noch bis irgendwo vor Rom fahren.“ „Das wäre toll, aber müsst Ihr nicht eigentlich gleich Richtung Ancona?“ „Eigentlich schon. Aber so ein Umweg ist Rom jetzt auch nicht.“

Nach meiner Lasagne stieg ich also auf den Beifahrersitz, Sebastiano richtete sich auf dem Fahrersitz häuslich ein. Während der Fahrt fing er an zu erzählen, mit ihm sprach ich Englisch, weil er das deutlich besser konnte als ich Italienisch. Er war 28, sein Bruder 30. Ihr Vater und ihr Onkel waren früher die Trucks gefahren, sie selbst waren angestellte Fahrer bei Arcese gewesen. Aber der Vater saß nach einem Schlaganfall seit 6 Jahren im Rollstuhl, der Onkel hatte den Job vor 4 Jahren aufgegeben, weil der Rücken nicht mehr mitspielte. Da hatten sie dann jeweils gekündigt und einen Truck aus der Familie übernommen.
Beide Trucks waren alt. Dario hatte sich erst letzten September den DAF gekauft, ein Leasingrückläufer. Davor hatte er einen Iveco EuroStar. Sebastiano hatte jetzt zwangsweise noch einige Jahre den Spaß mit dem MAN F2000. Wenn die Versicherung den DAF bezahlt hatte, mussten sie erst mal einen neuen Truck für Dario kaufen und dabei sicherlich einen Teil der Rücklagen für Sebastianos neuen Truck drauf zahlen.

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu weit fahren.“ „Wie meinst Du das?“ „Na ja. Dario muss ja auch noch in seiner Restlenkzeit so weit kommen wie wir, obwohl er den Apennin rauf 90 PS weniger bei ziemlich voller Auslastung hat.“ Wir fuhren gerade kurz vorm Scheitelpunkt 57. „Der kommt hier oben, wenn er glücklich ist, mit einer 3 vorne an.“
Und unsere Helden der Kindheit hatten sich mit teilweise noch mal 90 PS weniger als ihr F2000 hatte, den Tahir Pass in Richtung Iran oder Irak rauf gequält. Ich bewunderte diese Männer immer mehr. Andererseits wäre es fast schon so verrückt, dass es seinen Reiz hätte, irgendwann mal einen alten MAN F90, Volvo F12 oder natürlich Iveco TurboStar zu kaufen und so eine Tour zu fahren. Aber bei der Gefährdungslage auf der Strecke war das sowieso nicht zu machen.

Schließlich steuerte Sebastiano einen Rastplatz an. Von hier würde ich es morgen bequem bis zum frühen Abend ans Ziel schaffen und sie waren morgen Mittag zu Hause. Wir gingen noch auf ein Feierabendbier in das Rasthaus, Dario kam nach etwas über 15 Minuten an.


Donnerstag, 09.04.2015

Am nächsten Morgen frühstückten wir noch zusammen, bevor ich in den Truck stieg, den Sitz und die Spiegel von der Speicherfunktion sich selbst wieder einstellen ließ und los fuhr. Trotz Telepass kam es vor den Mautstationen um Rom zu kurzen Staus.
Als ich an der Ausfahrt Richtung Pescara vorbei fuhr, dachte ich noch mal an Dario und Sebastiano. Sie hatten ja wirklich Pech gehabt und der arme Sebastiano musste es nun ausbaden und noch länger mit einem veralteten Truck aushalten. Wenn wir nicht schon Dominik eingestellt hätten, hätte ich auch ihn fragen können, ob er nach Deutschland kommen und den Renault Premium fahren wollte. Aber vielleicht ergab sich ja kurzfristig eine andere Möglichkeit. Unverhofft kam manchmal oft.

Bei Neapel rauchte der Vesuv immer noch, langsam bekam man Angst, da dran vorbei zu fahren. Insbesondere, weil ich es immer schaffte, eine Pause an der Mautstation machen zu müssen. Und südlich von Neapel endete das privatisierte Autobahnnetz. Das bedeutete Schlaglöcher, aufgerissener Asphalt und Tempolimits.

Dann ging es auf die Landstraße und nach einer zweiten, kleinen Pause an einer Tankstelle auf die Nebenstraße zum Ziel. Die Straße war bescheiden, Pflastersteine und die Löcher mit Teer ausgefüllt.
Um das Elend zu vervollständigen kam dann auch noch eine schmale Brücke. Hier musste ich aufpassen, dass ich nirgends hängen blieb. Offenbar hatte man nicht die Felsen abgetragen, sondern die Brücke um sie herum gebaut.

Danach wurde die Strecke zu einer Schotterpiste. Auch in der nächsten Engstelle musste ich aufpassen, dass ich den Tank nicht aufriss.

An einer Gabelung entschied ich mich für den direkten Weg. Die Umleitung sah schon direkt am Abzweig nicht Vertrauen erweckend aus. Auch hier erwarteten mich eine Baustelle, wo die Folgen eines Steinschlags mit einer Planierraupe weg geschoben wurden und eine weitere Felsendurchfahrt als weitere Problemstellen.

Ich erreichte ADM noch pünktlich und fuhr, weil man auf dem Gelände nicht bleiben durfte, wieder zurück zu einer Stelle, wo ich eben schon zwei Kollegen hatte stehen und campen sehen.

Der Abend gab mir vermutlich immerhin einen kleinen Ausblick darauf, wie es früher auf Orientfahrt gewesen sein musste. Wir machten uns Essen über einem offenen Feuer und erzählten uns von unseren Erlebnissen. Okay, wenigstens hatten unsere Trucks heutzutage alle Standklima für die hier durchaus schon warme Nacht.


Freitag, 10.04.2015

Am Morgen holte ich eine Ladung für das nahe gelegene Cosenza bei ADM ab, um hier bezahlt weg zu kommen.

Bei DHL tauschte ich den Trailer und hatte meine letzte Fracht für diese Woche nach Bari. Hier begann dann um 20 vor 5 abends das Wochenende. Ausruhen an der Adria stand an. Dafür fiel mir Timo wieder ein. Ein Blick in die Dispo zeigte mir, dass er trotz seines betont vorschriftsmäßigen Fahrstils wieder zu Hause war. Also war er auch nicht mehr im Dienst und somit schenkte ich mir den Anruf.

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