Diese Woche…
…wird für Ricky emotional…
…gleich vier Leute sind zu spät…
…und Timo bekommt einen Beifahrer.
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Mittwoch, 03.06.2015
Nachdem Keith mir verraten hatte, in welchem Zug er saß, machte ich mich entsprechend auf den Weg nach Witten und begrüßte ihn auf dem Bahnsteig, bevor wir zum Parkplatz gingen.
„Die Geschäfte laufen nicht so schlecht?“ So konnte nur ein Brite auf das Auto reagieren. „Nein, der ist Privatvergnügen. Geschenk von meiner Oma. Eher war das Geschenk das Lotterielos, mit dem ich das Geld gewonnen habe. Pech in der Liebe, Glück im Spiel!“
Julian war über das lange Wochenende weg gefahren, deshalb quartierte ich Keith nach einem kurzen Anruf bei Julian in seinem Zimmer ein.
Timo verschwand am Abend noch mit seinem Auto und meldete sich bis Sonntag ab. Die kommenden zwei Wochen wollte er diesen Maxi, Patricks zukünftigen Azubi mitnehmen. Kein Thema, zumal er schon vor zwei Wochen gefragt hatte, ob er das durfte. Wen sie mitnahmen, mussten die Jungs selber wissen.
Es gab ein paar Regeln, worauf sie sich nicht einlassen durften. Ansonsten galt da nach unserer Vorstellung das „Seerecht“. Und da bestimmte der Kapitän, was auf seinem Schiff passierte. Auch wenn er hier Kapitän der Land- anstatt der Wasserstraßen war.
Donnerstag, 04.06.2015
Am Feiertag machten Keith und ich bei bestem Wetter eine kleine Runde durchs Ruhrgebiet. Schiffshebewerk Henrichenburg, Oktorail Modellbahn im Grugapark Essen (ja, den Modellbahn-Virus hatte ich mir in Wales bei Keith eingefangen) und Landschaftspark Duisburg.
Als wir dann abends zurückkamen, fragte Keith nach unserem schwedischen Denkmal in der Halle: „Was bedeutet eigentlich die Autonummer an dem Scania? Ohne Buchstaben und mit gelbem Feld am Rand sehe ich manchmal, aber weiß nicht, was es ist.“ „Das ist eine Überführungsnummer. Den habe ich im Halbschlaf gekauft und jetzt steht er hier rum. Zu stark, zu durstig und keiner will ihn so recht fahren. Ich bleibe bei meinem Italiener. Der nächste hat Angst, dass er damit den Führerschein verliert, weil er schon mit 100 PS weniger einen internen Rekord aufgestellt hat. Meine beiden Mitinhaber meinen plötzlich, dass das Ding mehr säuft als es einbringt, obwohl einer erst Feuer und Flamme dafür war. Dann ist er einem zu laut und der letzte steigt als Volvo-Fan lieber in einen Iveco als einen Scania nur anzuschauen. Wahrscheinlich melde ich ihn, wenn der besagte Volvo-Fan fertig angelernt ist, aber an und fahre ihn selber.“
„Würdest Du ihn verkaufen?“ „Wenn der Preis stimmt. Brauchst Du so was?“ „Ja. Ich fahre zum Beispiel gerade einen Stahlträger mit 35 Tonnen. Und Frachten mit 30-50 Tonnen haben wir regelmäßig. Wir sind inzwischen fast nur noch mit Spezialfrachten im Pendelverkehr zwischen den Britischen Inseln und dem Kontinent unterwegs. Ich habe 2 Jahre dafür gebraucht, aber jetzt hat KN-Trans den Namen in der Branche. Und da wäre der genau richtig. Um die 600 PS, Dreiachser, Linkslenker. Dann kann Tom endlich auch einen passenden Truck bekommen und alle drei Fahrer haben keinen Ärger mehr mit der Lenkradseite auf dem Kontinent. Für seinen Volvo Rechtslenker suche ich dann einen Fahrer, der nationalen Verkehr machen will.“ Stimmt, Luke hatte auch einen Linkslenker gehabt, als er hier war.
Ich holte die Schlüssel. Keith kletterte in die Kabine und schnüffelte. „Der Vorbesitzer war wohl Raucher?“ „Ja.“ „Nur 10.000 Kilometer? 6.000 Meilen?“ „Ja. Der war bei einer Lebensmittelspedition. Auch der hat dann gemerkt, dass das Ding wohl zu durstig für 8 Tonnen tiefgefrorene Sahnetorten ist.“
„Was willst Du dafür haben?“ Ich rechnete kurz unsere Verhandlungsbasis um. „85.000 Pfund auf unser LTSB Firmenkonto, sparst Du Dir sogar die Auslandsgebühr.“ „Ernsthaft?“ „Was ist?“ „Das ist aber ein super Freundschaftspreis. Selbst wenn ich berücksichtige, dass ich für die MOT noch die Hälfte Anbauteile abreißen muss.“
MOT war die britische Sicherheitsprüfung. Eigentlich war es die Abkürzung für das Verkehrsministerium, die sie vorgeschrieben hatte. Aber TÜV war ja auch keine Prüfung sondern die früher einzige durchführende Institution. An manchen Stellen war die MOT immer noch so lasch wie früher, als ausländische Tuner gerne mal Spezialumbauten über eine britische Briefkastenfirma angemeldet hatten. An anderen Stellen war seit 2012 aber der deutsche TÜV dagegen ein Spaziergang. In der Summe waren sie vergleichbar, nur die Freiheitsgrade und Einschränkungen waren anders verteilt.
Okay, dass Trucks in Großbritannien nicht ganz preiswert waren, wusste ich ja. „Na ja. Innenraum reinigen musst Du auch noch. Oder kriegt den wieder ein Raucher?“ „Nein. Tom und Luke haben beide E-Zigaretten und ich habe es mir komplett abgewöhnt. Aber erst mal müsste ich einen Linkslenker finden. Und für das, was ich in England dann für so einen fast neuen Wagen zahlen müsste, kann ich die Hütte bei Deinem Preis mit Ozon voll pumpen lassen, bis sie platzt!“
Ich rief den erreichbaren Mitinhaber an: „Hallo Marlon. Ich störe Dich ungern im Brückentags-Wochenende. Aber mein Kumpel Keith würde den Scania kaufen für Großbritannien-Kontinent-Pendelverkehr. Ich bräuchte eine Unterschrift von Dir, bevor er morgen mit einem frühen Zug nach Siegen zu seinem über den Feiertag gestrandeten Truck zurück muss.“ „Wie viel kriegen wir dafür?“ „85.000 Pfund.“
„Das sind Kurs heute nicht ganz 116.800 Euro.“ Ich hatte um die 2.000 Euro weniger raus, also war das Pfund noch ein paar Cent weiter gestiegen seit ich mich das letzte Mal ernsthaft mit dem Wechselkurs befasst hatte. „Kannst Du bitte sofort in Herne bei uns zu Hause vorbei kommen? Dann unterschreibe ich Dir das.“
Also setzte ich schnell aus einer glücklicherweise gefundenen Dokumentvorlage der BAFA einen englischsprachigen Vertrag auf, wir düsten nach Herne zu Judiths und Marlons Wohnung und während Marlon und Keith den Vertrag studierten und wir dann alle benötigten Unterschriften drunter setzten, vernichteten wir jeder eine Tasse Kaffee.
„Zu meinem Truck. Frag lieber erst mal Julian, was er will. Mit 450 PS im Fernverkehr und dem langsam seinem Klapper-Image näher kommenden Iveco hat der es wohl nötiger.“
Freitag, 05.06.2015
Am nächsten Morgen auf dem Weg nach Witten erklärte Keith mir, wie das ablaufen sollte: „Ich werde, sobald auf der Insel Zeit zum Aufstehen ist, mal bei Luke anrufen. Der hat für diese Woche noch Lenkzeit übrig. Dann soll er für morgen einen Flug nach Düsseldorf oder Köln buchen und den Truck holen.“
„Wenn er keinen kriegt, geht auch Sonntag. Solo darf er in Deutschland am Sonntag fahren, nur mit Trailer nicht. Außer Du transportierst frische Lebensmittel., dann darfst Du.“ „Ihr habt komische Gesetze. Das Geld habe ich gestern Abend noch überwiesen. Solltest Du heute Abend spätestes bei Lloyds haben.“
„Okay, ich hole gleich noch mal neue Kurzzeitkennzeichen. Die gelten immer nur 5 Tage uns sind lange abgelaufen.“ „Schick mir die Rechnung dafür, okay?“ „Nein, die paar Euro schenke ich Dir. Ich hatte mit unter 1,35 Euro fürs Pfund gerechnet, wir haben derzeit um die 1,37. Da kann ich das gerade noch aus der Differenz bezahlen.“
Dass die bei um die 2.000 Euro lag, konnte sich ein Geschäftsmann wie Keith gerade noch ausrechnen. Ich rechnete dafür aus, dass uns die Episode mit dem Scania im Vorbeigehen mal über 8.000 Euro in die Kasse gespült hatte. Und alle waren glücklich. Patrick war das trinkfeste Steuer-Ungeheuer los, wir hatten Gewinn damit gemacht und Keith immer noch ein Schnäppchen.
Also konnte ich wenigstens den Scania bei Truckscout runter schmeißen. Mal sehen, ob sich in den nächsten Wochen noch ein brauchbares Angebot für den Renault oder Iveco fand.
Wie versprochen holte ich noch die Kurzzeitkennzeichen, die zum Glück inzwischen in der ganzen EU gültig waren. Mit den deutlich länger gültigen und teureren Exportkennzeichen hätte ich das nicht mal für einen Freund wie Keith gemacht.
Außerdem brachte ich noch den Leasingvertrag nach genauer Prüfung zu Audi. Immerhin solchen „Kleinkram um die 40.000 Euro“, was der zugrunde gelegte Listenpreis war, konnte ich alleine unterschreiben. Genauer gesagt brauchten wir in unseren jeweiligen Kompetenzfeldern für alle Geschäfte mit 5 Stellen vorm Komma kein zweites Autogramm eines Gesellschafters, und wenn es 99.999,99 Euro waren.
Samstag, 06.06.2015
In der Tat war beim Check nach dem Frühstück das Geld auf unserem Inselkonto eingegangen. Ich steckte den Fahrzeugbrief in einen GLS-Dokumentenumschlag und legte den bereit, um ihn nachher beim Einkaufen aufzugeben.
Als nächstes prüfte ich das TSM-Forum und kam mir verarscht vor. Denis Böttger, der Inhaber von Viking Transport, fragte nach Details zu dem Scania. Und ein Adrian Watermann, von dem ich noch nie gehört hatte, fragte für einen nicht bei TSM registrierten Freund auch deswegen an.
Liebe Leute, das Ding hatte jetzt 14 Tage online gestanden, ohne dass wir für den auch nur eine einzige Rückmeldung bekommen hatten. Sogar der angezählte Iveco hatte mehr Rückmeldungen generiert, wenn auch nur von Profi-Aufkäufern. Aber nicht mal die hatten sich für den Scania interessiert. Jetzt war es zu spät, ich sagte beiden ab.
Am Abend kam Luke mit dem Taxi vorgefahren. Auch wenn wir uns ausgesprochen hatten, zog mich das Zusammentreffen runter. Er war einfach derjenige gewesen, den ich haben sollte. Und das hatte ich so lange nicht eingesehen, bis es zu spät war.
Deshalb war ich froh, dass er nur die Schlüssel und den Fahrzeugschein in Empfang nahm, die Übergabe quittierte, ein Glas Wasser runter kippte und wieder vom Hof war. Ihm schien die Situation auch nicht zu gefallen. Er wollte die Morgen-Fähre von Rotterdam nach Harwich nehmen und dann über Land nach Sheffield.
Dennoch schaute ich wehmütig und mit diesem Gefühl von „Wir hätten auch jeden Tag zusammen in den Sonnenuntergang fahren können“ hinter dem Scania her, als er die Straße entlang rollte und schließlich abbog.
Sonntag, 07.06.2015
Am Abend kam Julian wieder von seinem verlängerten Wochenende zurück und schaute sich in der Halle um. „Wo ist denn der Scania?“ „Warum?“ „Ich habe mich entschieden, dass ich den doch fahren will.“
„Ey, das gibt es nicht! Der dürfte gerade irgendwo in Lincolnshire herum fahren. 2 Wochen will den keiner haben! Und nachdem ich ihn am Donnerstag verkauft bekommen habe, kommen zwei Anfragen übers Internet und jetzt auch noch Du!“
„Am Feiertag? Hat Keith ihn gekauft?“ „Ja. Der hätte für einen vergleichbaren Truck in Großbritannien, wenn er denn überhaupt einen der seltenen Linkslenker bekommen hätte, locker noch mal 5.000 Pfund mehr bezahlen müssen und wir haben ihn jetzt mit 8.000 Euro Gewinn weiter verkauft. Das nennt man Win-Win-Situation.“
„Dann vergiss es, das ist auch gut. Ich wollte ihn mir nur sichern, bevor wir ihn am Ende aus der Not verkaufen.“ „Du darfst Dir aber trotzdem was wünschen. Marlon verzichtet für Dich, Du sollst erst mal einen neuen kriegen.“ „Und Dominik?“ „Der kann dann den alten Stralis noch fahren, bis es am Ende der Probezeit auch für ihn reicht einen neuen zu kaufen und wir geben den Stralis erst dann ab.“ „Oder wir fangen mal mit leasen an?“ „Leasing ist eine Erfindung für Leute, die größere Autos fahren wollen, als sie sich leisten können. Englisches Sprichwort des späten 20. Jahrhunderts!“ Den Audi hatten wir geleast, aber bei klassischen Dienstwagen-Modellen als PKW waren die Angebote deutlich besser. Bei LKW fremdelte ich immer noch damit und war der Meinung, dass ein eigener, den man länger fuhr, deutlich günstiger kam als ein geleaster, bei dem man vor allem den Wertverlust des Neuwagens trug und ihn wieder abgeben musste, wenn er anfing, wirklich Geld zu verdienen. „Okay, ich überlege mir was. Habe ja jetzt drei Wochen Zeit. Oder wann willst Du es wissen?“ „Passt schon. Vorher wollte ich mich da nicht mehr unbedingt drum kümmern.“
„Ach so. Was wettest Du eigentlich was Timos neues Auto ist? 10 Euro Einsatz.“ „Ach, wird das jetzt Mode hier?“ „Klar. Das Leben ist ein Spiel!“ Eher spontan und mit dem Gedanken an sein Auto, mit dem er zum Vorstellungsgespräch gekommen war, antwortete ich: „VW Scirocco!“ und drückte Julian das Geld in die Hand. „Dann haben wir jetzt VW Scirocco, 2-mal VW Golf GTI, BMW 1er und Ford Focus RS. Dominik frage ich noch am Montag.“
Montag, 08.06.2015
Während wir gerade frühstückten, klingelte es. Es waren Patrick und Maxi. Letzterer war vom Format braver Junge, der normalerweise kein Trucker würde. Das hatte Timo ja auch schon angedeutet.
Julian war mit Dominik schon gegen 6 Uhr aufgebrochen. Das Motto stammte von den Höhnern: Hömma, Mama, samma, somma ma‘ na‘ Afrika! Also waren nur Timo und ich da.
„Da seid Ihr aber früh dran. Wir fahren doch erst um 9 ab.“ „Maxi, du solltest mir doch sagen, wann die losfahren!“ „Sorry, hab ich vergessen.“ Wer’s glaubt wird selig. „Naja, dann leihe ich mir den Jung nochmal aus, muss eh noch für Schweden laden fahren.“ Also hatte Patrick doch eine Ahnung von der ungefähren Laufrichtung des Hasen.
„Okay, tu das. Wenn er danach reif für die Dusche ist, dann komm aber rechtzeitig zurück. Außer Timo steht auf herben Männergeruch!“ Solche anzüglichen Sprüche waren hier in jeder Richtung an der Tagesordnung. „HA! HA! HA!“ Timo war, anders als sonst, dennoch etwas genervt. Lag wohl am Besuch. „Okay, bis später.“
Es dauerte eine Zeit, bis die zwei wieder kamen. Wir hatten beschlossen, weil das gemütlicher war, sowieso in der Wohnung zu bleiben. Patrick kam locker die Treppe rauf, Maxi musste aufpassen, dass er sich dabei nicht auf die Zunge trat.
„Was haben sie denn mit Dir angestellt?“ „Ich habe Paletten geladen. 33 Stellplätze!“ Okay, das war Arbeit. „Na Glückwunsch. Ich hole Dir mal ein Handtuch.“ „Danke!“ Timo schickte Maxi mit einem frischen Tuch ins Bad und kam selber wieder in die Küche.
„Gut, ich hätte die Plane öffnen können, aber der soll ja auch mal was tun….“ „Was der wohl sagen wird, wenn ich gleich Ladungssicherung nach dem Ford-Prinzip betreibe? Also einmal rauf klettern und an allen Domdeckeln rappeln, ob sie verriegelt sind und wieder runter klettern? Rein-Rauf-Runter-Raus!“ „Lass den Jung nicht nur faul rum sitzen. Stützen Kurbeln, Schläuche ab und dran, dazu isser da.“
Das hatte ich Timo auch schon gesagt. Er konnte Maxi ruhig bei so was helfen lassen, auch bei der Beleuchtungskontrolle. Und an der Tankstelle gab es auch Scheibenreiniger am Besenstiel. Die konnte Maxi auch benutzen, während Timo mit schwarzen und blauen Zapfpistolen hantierte. Bei dem kurzatmigen 450-Liter-Tank kam das oft genug vor.
„Kriegen wir hin.“ „Gut. Naja, wir haben ja noch n bisschen Zeit. Fährt wer Richtung Dänemark?“ „Ja, ich muss über Kolding zum Öresund.“ „Cool. Lust zusammen zu fahren? Ich muss nach Hirtshals auf die Fähre.“ „Können wir machen. Aber mein Trailer steht bei der ENI in Duisburg. Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich auf der A1 bin.“ „Hmm, oder du fährst über Recklinghausen, dort warte ich an ’ner Tanke. Um Fahrzeit brauche ich mir keinen Kopf machen, darf nur keine Kontrolle kommen die nächsten 28 Tage…“
Na was da auch immer auf der Karte stand. Es war mal wieder illegal. „Verschone mich mit den Details. Von mir aus gerne. Recklinghausen oder Gelsenkirchen kommt sich sowieso gleich.“ „Okay.“
Maxi kam wieder rein. Er hatte wohl genug mitbekommen: „Mann, du musst Geld haben, über ne Stunde ohne Karte den LKW bewegt…“ Timos Gesicht ließ sich in einem Satz zusammenfassen: Immer zweimal mehr wie Du. Anscheinend hatte er mal wieder gemerkt, auf was er sich da beinahe eingelassen hatte. „Das war schon zu viel Information.“ „Der Angeklagte verweigert die Aussage.“ Und das Recht auf seinen Anwalt sollte er sich auch schon mal zurecht legen.
„Ihnen wird zur Last gelegt, Sie hätten an dem Mast gesägt…“ „Ich hab nicht an dem Mast gesägt. Ich hab nur mit dem Ast gefegt, da hab ich mich mit Hast bewegt, und das hat wohl den Gast erregt, und der hat dann den Mast zerlegt.“
Vor allem hatte er sich wahrscheinlich mal wieder mit Hast bewegt. „Bevor wir jetzt Ottos ganzes Repertoire runter rasseln, sollten wir mal lieber aufbrechen.“ Wem dieser Spruch nicht passt, der trägt… die Kosten des Verfahrens, gezeichnet Richter Ahrens. „Jo okay. Maxi, sei brav und benimm dich, Timo gute Fahrt, Ricky wir sehen uns später.“ „Ich weiß, wie ich mich zu benehmen habe.“
Bei ENI in Duisburg hatte ich ziemlich flott meinen Tanktainer dran. Wie Timo schon vorhin festgestellt hatte, war bei uns Ladungssicherung kein Ding. Einmal schnell rauf klettern und Verschlüsse prüfen, rund rum gucken, dass alles dicht war, bei so einem Ding die Twistlocks kontrollieren, dabei den Trailer mit anschauen, ADR-Tafel stecken.
Lediglich die Lichtkontrolle war alleine früher unspaßig, aber der Hi-Way war mein erster Truck, der einen Lichttest auf der Schlüsselfernbedienung hatte.
Bald darauf kam ich in Recklinghausen vor Marios Werkstatt vorbei. Zeit den Herrn Schütz zu wecken: „Ich fahre gerade bei Iveco vorbei. Bin in 2 Minuten an der Tanke. Beweg Deinen Hintern auf die Piste!“ „Ach Mann, da wo es interessant wird….“
Barbara Salesch sprach im Namen des Volkes Recht in gescripteten Prozessen als Hintergrundgeräusch. „Gefakte Prozesse im Unterschichtenfernsehen? Aber wahrscheinlich hat sogar Frau Salesch eine Videothek.“ „Ja, ich geb‘ Gas.“
Apropos Gas geben: „Warnung – mit 18 Tonnen Unkrautvernichtungsmittel steht die 80 – nicht die 83! Aus dem Zeug kann man auch Sprengstoff basteln.“ „Dann hab ich wenigstens mal nen Grund, den Economy Modus im Actros zu testen.“ „Lass mich vor fahren, damit ich nicht unter Deinen plötzlichen Ausrollattacken vor der Kuppe leiden muss.“
Ließ er natürlich nicht, das ließ das kleine Ego wohl nicht zu. „Ich fahre nicht wie Sascha…“ „Ich dachte im Eco-Modus fährt eh nicht der Fahrer, sondern das Auto. Zumindest was das Gas angeht.“ „Ach keine Ahnung, scheiß Spritspartechnik.“
Na da konnte ich nur lächeln. Dass Iveco die Sensation geschafft hatte, Euro 6 ohne EGR zu bauen, war ein nicht zu unterschätzender Vorteil. „Ich finde Spritspartechnik gut. Vor allem wenn sie wie beim Cursor 13 einfach nur daraus besteht, Euro 6 alleine mit SCR und ohne Abgasrückführung zu schaffen. Braucht halt 3 Schluck Adblue mehr. Aber dafür deutlich weniger Diesel.“ „So geht´s auch.“ „Und der hat nicht den typischen Ärger mit Anfahrverzögerung und so.“
Nach einiger Zeit bewiesen die hier für einen Sauerländer sowieso nicht ernst zu nehmenden Berge, wie gut es so ging. Denn der LKW vom Oberrhein nahm den Berg wohl etwas zu ernst. „Schaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalt runter, blöder Dreckskarren!“ Ich setzte den Blinker links und pfiff mit immer noch fast Strich 80 vorbei. „Ich warte dann oben auf Dich!“ „Setz Kaffee auf, dauert länger! 900, 850, 11. Gang, Applaus, Applaus, er hat geschaltet, mistiger Eco Modus.“
Ich kicherte vor mich hin. „Raus den Mist!“ „Oha, jetzt wieder im Kampfmodus?“ „Ja, aber nur 80.“ Natürlich erst vor mir wieder 80.
Auf einem einfachen Parkplatz machten wir Pause. Patrick holte Gaskocher und Bratpfanne raus. Die hatte ich nicht mal mehr dabei. Meistens mussten wir sowieso mit so was etliche Meter vom Truck weg in die Pampa. Meine Küche war inzwischen der Umluftofen im Fahrerhaus. „So, jetzt erstmal lecker Bratkartoffeln. Willste auch?“
Über so ein Essen ging doch nichts. Vielleicht sollten wir auch wieder auf Gaskocher umrüsten. Einen Tisch und Bänke außerhalb der ATEX-1-Zone gab es auf jedem Parkplatz. „Jo, gerne.“
Nach den Bratkartoffeln kramte Patrick noch eine Packung Gyros hervor. „So, Verpflegung für unterwegs.“ Wenn der so weiter machte, hatte er bald die Figur, die ich wieder loszuwerden versuchte. Allerdings machte mir dabei mein süßes Leben die Sache schwer. Und so kramte ich mir einen Sticky Toffee Pudding aus dem Kühlfach. Lang lebe The English Shop. „Ich brauche nur noch Nachtisch.“ Patricks Nachtisch war 8 Zentimeter lang und brannte, wenn man dran zog.
Wir fuhren weiter und Patrick machte aus Sympathie die Stadtrundfahrt in Hamburg mit. Hier führte aber mal ich. Immerhin war das unser gewohnter Weg und er fuhr im Normalfall unten durch.

Allerdings hatte er dann wohl genauso ausgerechnet wie ich, wo das enden würde. „Ouha, Fahrzeit fast voll, und ich wollte duschen. Hau rein.“ Das Abstandsradar vermeldete kurz darauf 90 km/h. Ich hielt es da dann diese Nacht mit dem Holzwurm aus der Rhön. „Fernfahrerdusche – pffft!“
So rollte ich dann wieder alleine über den Nord-Ostsee-Kanal. Trotzdem würde Patrick bis zur Grenze in Funkweite bleiben.

Allerdings waren sanitäre Anlagen ein interessantes Thema. Ich wusste nicht, was Maxi schon bei Patrick erlebt hatte. Ich wusste nur, dass es in der Richtung, wo sie hin mussten, nicht immer gut um die Rastplätze bestellt war. „Bin ja mal gespannt, ob die Jugendabteilung auf dem Weg nach Kroatien immer Sanitäranlagen findet.“ „Das wird interessant.“ „Na ja. Die werden sich hoffentlich schon arrangiert bekommen. Timo kennt das zumindest.“ „Jo wird schon…. Wenn nicht wird Maxi anrufen.“ Was auch immer ihm das bringen sollte. Patrick konnte auch keine Duschkabine hin hexen. Ich stellte den Motor ab. „Okay, dann werde ich auch mal die umfangreichen Sanitäranlagen auf diesem Feldparkplatz aufsuchen. Hoffentlich ist das Dixiland sauber.“ „Viel Spaß. Angenehme Nachtruhe.“ „Danke, guten Flug!“ „Danke!“
5 Sekunden später rief Patrick mich noch mal übern Funk. „Signore Schutz! Habe wasse vergesse?“ Ich kramte in meiner Akzent-Sammlung mal Angelo „Isch ‚abe gar keine Auto!“ hervor.
„Ja, mir kam einer entgegen, da fiel es mir wieder ein…. Was ist denn aus dem Scania geworden? Die Halle war so leer am Montag…“ „Der ist am Wochenende ausgewandert nach England. Habe einen Kumpel in Sheffield, der suchte einen Linkslenker mit ca. 600 PS für Spezialtransporte Großbritannien – Kontinent.“
„Achso. Ich hatte doch ein schlechtes Gewissen, das Auto hatte ja Eintragungen und war hergerichtet…“ „Was von den Anbauten die MOT schafft, muss Keith raus finden. Die Flex am Auspuff ist aber hier wie da gesetzt…“
„Eigentlich, wollte ich ihn wieder haben.“ Ich breche zusammen! „Nicht Du auch noch!“ „Wieso, wer denn noch?“ „Erst will ihn keiner von uns, also in den Verkauf. 14 Tage steht der auf Truckscout und kein Schwanz meldet sich. Und in 3 Tagen nachdem ich ihn verkauft habe, kommen zwei Unternehmer angeschissen, gestern Abend fragt mich Julian „Wo issen der Scania hin, ich wollte den fahren!“ und jetzt Du mit einem Rückkauf.“
„Oha…“ Ja, oha. Erst denken, dann verkaufen. Okay, erst denken, dann kaufen wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Rein wirtschaftlich sollte er aber froh sein, dass die Penisprothese jetzt da arbeiten musste, wo der fette Motor sogar Sinn machte.
„Kölsches Grundgesetz vom ex-Kölner für gewordene Neusser: §4 – Wat fott es, es fott!“ „Naja… Auch egal. So, jetzt aber wirklich. Ciao.“ „Ciao!“
Timo meldete sich am Abend. Die beiden kamen gut miteinander klar, irgendwie hatten sie die gleiche Wellenlänge. Maxi war wohl nur ziemlich oft mit dem Handy beschäftigt. Sie waren mit einer 10er-Schicht hinter Nürnberg auf einem Rastplatz, der nicht für die allerbesten Einrichtungen bekannt war. Aber immerhin gab es da überhaupt Duschen und richtige Toiletten – hier nicht.
Dienstag, 09.06.2015
Die Pause musste ich verkürzen, der Zeitplan war mal ausnahmsweise etwas enger. Also fuhr ich nach 9 Stunden weiter. Noch regnete es. Und das blieb eine Weile noch so, auch wenn sich die Sonne auf der Brücke über den Kleinen Belt zaghaft durch den Wolkenmatsch zeigte. Offenbar fuhr ich der Regenfront hinterher.

Ich fuhr bis Kopenhagen, bevor die kleine Pause sein musste. Danach ging es weiter. Dänemark kannte ich, hier war ich mit Talke und mit der eigenen Firma oft genug gewesen. Aber aus irgendwelchen Gründen hatte es nie für Schweden gereicht. Und so fuhr ich mal wieder über die Öresundbrücke.
Das letzte Mal war ich vor nicht ganz 12 Jahren hier drüber gefahren. Damals wie heute in einem Iveco, aber dazwischen lagen 20 Jahre Fahrzeugentwicklung. Damals hatte ich den TurboStar mehr nach dem Motto „nicht modern, aber mein fester Truck“ und wegen seiner überraschenden Zuverlässigkeit ins Herz geschlossen. Deshalb sah ich auch gnädig über irgendwelche losen Verkleidungen, klemmende Griffe und quietschende Deckel hinweg, von denen es da drin reichlich gab.
Jetzt saß ich im besten Truck, den Iveco jemals gebaut hatte. Sogar die Fachzeitschriften bescheinigten ihm, dass er für einen Spottpreis qualitativ relativ dicht an die teuren Trucks ran kam, die Sterne, Greifvögel oder das Symbol für Eisen im Kühler hatten. Er litt nur immer noch unter dem Ruf, den genau dieser TurboStar damals verschuldet hatte und den das Werk mit den nachfolgenden Modellen allmählich versucht hatte auszuräumen.
Was sonst war in diesen 12 Jahren passiert? Von einem Anfänger, der sich von einem die Insolvenz verschleppenden Unternehmer über den Tisch ziehen ließ, war ich zum Profi und selbst zum Unternehmer geworden.
Damals war ich für Mahler gefahren und hatte eher durch Zufall meinen Kindheitstraum verwirklicht, weil die aus Vernunft gewählte Landmaschinenwerkstatt vom Blitz getroffen worden war. Ohne die Not der Arbeitslosigkeit hätte ich mich das nie im Leben getraut.
Heute fuhr mit Timo für mich, eher für uns, denn Marlon und Julian waren ja auch noch da, ebenfalls ein Quereinsteiger mit frischem Führerschein, der fehlende Erfahrung mit Motivation wettgemacht hatte. Irgendwie wiederholte sich die Geschichte da. Der Unterschied war nur, dass sein Truck nicht schon 10 Jahre auf dem Buckel hatte und er auch nicht damit rechnen musste, dass die Firma plötzlich die Grätsche machte.
Ich hatte im Ausland gelebt und gearbeitet. Eine Entscheidung, die mir vermutlich mehr Erfahrungen beschert hatte, als die über 1,25 Millionen Kilometer, die ich in meiner Karriere inzwischen gefahren war. Großbritannien hatte mich persönlich geprägt, weit über 5-Uhr-Tee, Sticky Toffee Pudding, schrägen Humor und einen Hang zum Understatement hinaus.
Dort drüben hatte ich neue Freunde gefunden. Nach Jahren des Versteckspiels vor meiner Umwelt in Deutschland hatte ich dort mein Coming-Out und meinen ersten festen Freund. Auch wenn ich den für einen Seitensprung weggeworfen hatte, was dann auch der größte Fehler in meinem Leben war.
Nachdem mich Wales eher persönlich geprägt hatte, waren die folgenden Jahre bei Talke wichtig für meine berufliche Entwicklung. Dort hatte ich gelernt, wie eine gute Spedition funktionierte. Dass wir jetzt für Talke fuhren, war kein Zufall und auch nicht nur den Beziehungen von damals geschuldet.
Bei BP war der Transportbereich einfach nur ein Teil des Geschäfts und nicht mal das Kerngeschäft. Es verband nur das Raffineriegeschäft mit dem Endkundengeschäft. Bei Talke hatte ich erstmals in einer echten Spedition gearbeitet, die tadellos funktionierte.
Das System da hatte mich geprägt. Marlon und Julian als ewige Selbermacher hatten keinen Führungsstil erlebt, weshalb sie sich vermutlich auch aus dem Personalwesen so gut es ging raus hielten.
Auch ich machte als noch recht unerfahrener Unternehmer nicht immer alles richtig. Das hatte die Geschichte mit Timo vor ein paar Wochen gezeigt. Aber insgesamt hatten wir doch durch mich einigen Stallgeruch von Talke angenommen, die Zusammenarbeit war deshalb sicherlich so einfach.
Inzwischen fuhr ich durch die weiten Wälder Schwedens. Das war eigentlich recht eintönig. Also ideal zum weiter Nachdenken.

Die Vergangenheit war abgearbeitet, aber wie sollte es weiter gehen? Wir waren eine gemütliche, kleine Spedition, hatten fünf Trucks auf der Straße, ein sechster für Dominik stand aus.
Das war allerdings nicht gut. Als wir mit 4 Trucks und ohne den Subunternehmer-Vertrag unterwegs waren, konnten wir flexibel reagieren. Wenn mal einer nicht fahren konnte, dann war das so. Die Kasse klingelte leiser, aber es drohten keine Strafen.
Jetzt hatten wir einige unternehmerische Sicherheit mit Frachten versorgt zu werden, aber wir mussten auch Sicherheit bieten. Und das war schwer, wenn wir diese Größe hatten. Ein Ausfall schickte unsere Transportleistung in den Keller, Konventionalstrafen drohten. Wir mussten also weiter wachsen, um wieder flexibler zu werden.
Auch ein oder zwei Trucks mit Doppelbesatzung waren eine Möglichkeit. Die konnte man dann auseinander ziehen, wenn jemand ausfiel oder Urlaub hatte. Aber dazu musste man erst einmal zwei Leute finden, die so gut passten, dass sie sich langfristig in 10 Kubikmeter Wohnraum sperren ließen. Die Gesetze sprachen jedem Gefängnis-Insassen mehr Lebensraum zu als uns Truckern, sogar bei Einzelhaft am Steuer. Da konnte man fast schon auf die Amerikaner neidisch werden mit ihren riesigen Wohnzimmern auf Rädern.
Und dann kam ich aus dem Wald, der auch so in der Lüneburger Heide, Brandenburg oder Ostpolen hätte stehen können und nichts Besonderes war. Am Ungeheuer vom Vätternsee, eine an das Ungeheuer von Loch Ness angelehnte Holzfigur mit Blumentrögen auf dem Rücken, schlug dann aber die Stimmung um.

Ich dachte nämlich zurück, wie ich damals Skandinavien als Anfänger erlebt hatte. Irgendwann kannte man sich, wenn man hier rauf fuhr. Manchmal waren wir mit zwei LKW von Mahler unterwegs, ansonsten sah man doch viele Leute damals regelmäßig.
Wir hatten, was mir heute schon ein Bisschen romantisch verklärt vorkam, abends ums Feuer gesessen, uns Geschichten von den alten Hasen angehört, gegessen und getrunken. Hier hatte ich als Hinterwald-Kind meine erste direkte Begegnung mit einem schwulen Paar. Die zwei waren dänische Trucker und fuhren als Zweierteam zusammen mit ihrem Scania durch Skandinavien.
Ich wusste natürlich mit über 20 sehr gut, was mit mir los war. Und ich hatte mir damals geschworen, eines Tages mit meinem Freund hier hin zurück zu kommen und wie die beiden so selbstverständlich mit Kollegen hier zu sitzen. Irgendwann, wenn das in Deutschland so normal sein würde, wie es in Skandinavien längst war.
Und was war daraus geworden? Luke und Chris waren weg. Und beide waren nicht vergessen. Dass Luke mir noch was bedeutete, hatte ich erst wieder gemerkt, als er den Truck holte. Jahre lang dachte ich, ich wäre glücklich ohne ihn und er musste unter meiner Sturheit leiden, nicht mehr auf ihn zugehen zu wollen. Jetzt hatte er einen Freund, war glücklich und ich musste unter meinem eigenen Fehler leiden. Oder war Schluss und wir hatten uns am Wochenende wieder verpasst? So nervös, wie er gewesen war, war da was im Busch.
Und auch Chris war nicht vergessen. Ich bekam vielleicht keinen Nervenzusammenbruch mehr, wenn ich an Nürnberg vorbei fuhr. Aber so ganz konnte ich ihn dennoch nicht los lassen. Den Ratschlag, das zu tun, hatte ich zwar unter sehr merkwürdigen Umständen auf einem polnischen Parkplatz bekommen, aber das war gar nicht so leicht.
Wann würde ich endlich diesen einen Wunsch erfüllt bekommen? Wann saß ich mit meinem Freund am Seeufer in Schweden am Lagerfeuer? Wo war mein Mr. Right? Oder, wenn ich ihn schon gefunden hatte, wie bekam ich ihn zurück?
Das Navi riss mich aus meinen Gedanken. Es wurde Zeit abzuliefern und dafür erst einmal von der Autobahn abzufahren. Ende war dann im Gewerbegebiet am Straßenrand.
Mittwoch, 10.06.2015
Am Morgen meldete sich erst einmal Timo aus Zadar. Ich hörte mal, wie sich Maxi machte. „Wenn er mal bei der Sache ist, ganz gut. Aber wenn sie dem das Handy klauen, wird der an Phantomschmerzen leiden. Wenn man mit dem mal 5 Minuten am Stück reden kann, ohne dass er mit seiner Freundin textet, dann ist das schon eine Sensation.“ „Na dann wird Patrick viel Spaß mit ihm haben. Wohl doch nicht so ganz für den Job geeignet.“
Wenn Timo, der ja nun in der gleichen Situation steckte, kein Verständnis dafür hatte, dann musste es extrem sein. Na ja, das war dann später Patricks Problem, nicht unseres. „Dann sag ihm doch mal Deine Meinung. Ich finde das schon reichlich unhöflich. Du nimmst ihn mit, wir zahlen seine Spesen, er soll an sich ein Bisschen was über den Beruf lernen – mal nicht nur aus Patricks und Dachsers Sicht – und er ist nur mit dem Handy am texten? So geht es dann auch nicht.“
„Seid Ihr aber gut durch gekommen, wenn Ihr jetzt in Zadar seid?“ „Wir haben vor Villach übernachtet und sind früh weiter. Jetzt nur noch nach Ljubljana und dann ist am Mittag Schluss für heute.“ „Wo habt Ihr denn da gestanden? Maurer ist ja hinter Villach“ „Weißenstein.“ Das war ein Parkplatz, an dem es einen Kiosk und Toiletten gab. Ende.
„Schön. Kanisterwäsche?“ „Ja. Auch nur so halbwegs sein Ding. Hotelzimmer wäre ihm wohl lieber. Das wird mal so ein richtiger Tageslinientrucker. Dem kann Patrick ruhigen Gewissens meinen Baldrian-Umlauf geben. Und dass er gestern Mittag in den Wald gehen musste, war auch nicht so einfach. Besonders als er begriffen hat, dass wir entgegen der landläufigen Meinung keinen Spaten an Bord haben, sondern nur die windige Granulatschaufel aus Alublech fürs Bindemittel.“ Immerhin klang er bei der Anekdote ganz belustigt.
„Na wunderbar. Ihr kommt aber trotz aller Umstände klar?“ „Ja. Er ist ja ganz nett. Aber länger als 2 Wochen muss ich den – oder eher sein Handy – trotzdem nicht dabei haben. So, er kommt wieder und die Ladung ist auch so weit. Ich geige ihm gleich mal die Meinung. Ciao.“ „Ciao und viel Spaß.“
Ich selbst musste jetzt als Lückenfüller 3 Tonnen Pflanzen von einem IKEA-Zentrallager zu einem Logistikdienstleister in Malmö bringen, der die Verteilung auf die regionalen Filialen übernahm. Und unterwegs wollte der Truck gefüttert werden. Wie alles war auch der Diesel mit 1,60 nicht eben preiswert hier oben.
Irgendwann nach 12 schwenkte ich bei Helsingborg auf den Endanflug Richtung Malmö ein. Im Radio lief der Sender Bandit Rock, den ich schon früher hier immer gehört hatte. Ich war auf dieser Tour dazu übergegangen, wieder mehr Radio zu hören als MP3.

Das Ikea-Zwischenlager und die neue Ladestelle lagen nebeneinander. Norsk&Svensk Chemicals war ein skandinavischer Chemiekonzern, um dessen Übernahme sich die großen dieser Welt aber zurzeit zankten. Mit dem knatschorangen Trailer dran schlug ich mich in Richtung Autobahn durch, das Ziel hieß jetzt Trelleborg.

Für meine Lieblingsreederei auf dieser Linie, nämlich TT, hatte es zeitlich nicht gereicht. Also musste ich mit Stena fahren. Wobei auch Stena keine schlechte Reederei war. Aber bei TT hatte ich mich früher immer wohler gefühlt.
Ich kümmerte mich um die Anmeldung und fuhr in den Wartebereich. Die Fähre ging erst am späten Abend, aber man konnte schon früher drauf fahren. Ich wurde vom Einweiser raus gewunken und zur Rampe geschickt. Als ich mit dem vorgeschriebenen, gemäßigten Tempo zum Schiff rollte, meldete sich der Funk: „Ricky Kaiser? Bist Du das, der gerade mit dem blauen Iveco und NS-Chemicals Trailer auf die Stena Skane fährt?“ „Ja, wer bist Du?“ Die Stimme hatte was vertrautes, aber ich bekam sie keinem Gesicht zugeordnet.
„Wirst Du gleich sehen, 2 Trucks hinter Dir. Und auch immer noch die gleiche Marke wie früher.“ Ich sah in den Rückspiegel und erblickte einen DAF XF 105. Dann fiel mir der inzwischen kaum noch hörbare, ostdeutsche Einschlag auf.
„Steven? Steven Krögwitz?“ „Der Kandidat hat 100 Punkte.“ Das konnte nicht wahr sein. Er hatte damals nur ein paar Wochen vor mir bei Mahler angefangen. Weil wir beide dort kaum einen kannten und am Anfang immer etwas in der einsamen Ecke hockten, waren wir schnell Freunde geworden. Wie oft waren wir zusammen in Skandinavien unterwegs gewesen oder wenigstens zusammen von Schwalmstadt bis hier in Trelleborg von der Fähre oder zurück unterwegs gewesen?
Durch das plötzliche Ende der Firma und mein Abenteuer in Wales hatten wir uns aus den Augen verloren. Steven war mein erster Trucker-Kumpel gewesen.
Noch vor einer Woche bei den Asphalt-Cowboys stand ich kurz davor, mich über meinen plötzlich so weich gewordenen fast Nachbarn Mike Cohnen zu amüsieren, als er auf der Rampe zur Fähre das Heulen anfing. Jetzt war ich in der gleichen Lage – aber so was von.
Steven parkte seinen DAF mit 460 PS schräg hinter meinem Gespann. Ein Standard-DAF-Design, mit dem Firmennamen „Scandinavia Express“ und den Flaggen der vier nordischen Staaten aufgepeppt, zugelassen in Paderborn.
Steven hatte Haare gelassen, seine Stirn reichte gegenüber früher ziemlich weit rauf. Wir fielen uns in die Arme, auch ihm ging die Szene nahe.
Nachdem wir eingecheckt und unsere Sachen auf die Kabinen geräumt hatten, trafen wir uns im Restaurant wieder. „Ich dachte, Du bist damals nach England, als Mahler den Bach runter ist. Für ’ne Raffinerie im Werkverkehr oder so?“ „Wales, darauf bestehen sie da drüben! Da war ich auch über 4 Jahre. Werkverkehr für BP. Von Schottland im Winter bis an die Palmenküste von Cornwall. Bin aber inzwischen schon seit 8 Jahren wieder hier. Und Du?“
„Ja, nach dem Ende von Mahler bin ich recht schnell bei Oskar Vogel in Paderborn unter gekommen. War aber auch nicht das gelbe vom Ei. Seit 4 Jahren bin ich mein eigener Chef, seit fast 2 Jahren Chef von einem Fahrer und ich suche gerade einen dritten. Und für wen fährst Du?“
„Für das K in KFL. Mir gehört der Laden teilweise.“ „Ein Drittel oder wie?“ „Bisschen mehr, habe den größten Anteil. Der Rest gehört den Brüdern F in gleichen Teilen. Herr L ist im Winter ausgestiegen, hatte andere Vorstellungen in machen Dingen. Wir fahren ganz Europa bis zur Linie Polen, Ungarn, Ex-Jugoslawien, Griechenland und je nach Sicherheitslage mal Nordafrika. An sich sind wir unabhängig, haben aber eine enge Zusammenarbeit mit Alfred Talke.“
„Ah, wir fahren von Ostwestfalen nach Norden. Über 80% nach Schweden, Dänemark und Norwegen. Der Rest fast alles Finnland, ab und zu baltische Staaten. Einmal war ich auf den Färöer-Inseln und zweimal sogar auf Island.“ Klang interessant. Färöer und Island sah auch nicht jeder Trucker.
„Wohin musst Du jetzt? Nach Hause?“ „Nein, da würde ich anders fahren. Nach Nürnberg. Und Du?“ „Zwischen-Endladestelle in Berlin und dann nach Hause. Freitag einmal Hamburg und zurück.“
Danach wechselten wir von der tagesaktuellen Lage ins Nähkästchen und erzählten uns alte Geschichten. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit bei Mahler und was danach gekommen war.
Er hatte seine Frau in Paderborn während der Zeit bei Vogel kennen gelernt, deshalb war er auch mit der eigenen Firma dort geblieben und nicht zurück nach Thüringen. Stieftochter und gemeinsamer Sohn machten die Familie komplett.
Als ich mich outete, war seine Reaktion nur: „Ich bin jetzt nicht wirklich überrascht.“ Versteck spielen war wohl noch nie meine Stärke.
Donnerstag 11.06.2015
Am nächsten Morgen trafen wir uns wieder beim Frühstück und machten uns dann auf zu unseren Arbeitsgeräten. Im Funk meinte Steven dann: „Schon witzig, wir sind unseren Mahler-Marken treu geblieben. Auch wenn ich das bei Dir nicht begreifen kann.“ Er hatte damals einen DAF 95. „Ich bei Dir auch nicht. Einer unserer Fahrer wurde auf DAF ausgebildet. Der spuckt Gift und Galle, wenn er den Namen hört.“
„Wieso das denn?“ „Kaum ablesbare Instrumente. Zu wenig Power könnte am 410er Motor gelegen haben. Aber das habe ich auch schon von den größeren gehört.“ „Dafür fällt mir nicht die ganze Innenausstattung auseinander.“ „Das machen die Ivecos auch nicht mehr. Und dass bei Deinem 95er damals keine Ausstattung auseinander gefallen ist, könnte daran gelegen haben, dass sowieso keine an Bord war.“ Uns über unsere Trucks und ihre Macken aufziehen hatten wir damals schon geschafft. Und DAF waren lange deutlich unterdurchschnittlich ausgestattet mit betont kurzer Liste an Optionen.
Das bedeutete, dass wir noch mal eine kleine Pause vor Berlin machten, um uns die Trucks anzuschauen. Ich fand, dass Ilarion Recht hatte. Die Instrumente im DAF waren klein und schwer ablesbar. Das PKW-Lenkrad trug dazu eine Menge bei, denn die Instrumente mussten ja da rein passen. Apropos „passen“, das Platzangebot sprach dagegen eindeutig für die Holländer. Wohnraum hatte der Iveco zwar mehr als genug, aber Stauraum war doch eher knapp bemessen. Alleine ging es immerhin.
Auch wenn Steven die Qualität des Hi-Way anerkennen musste, gefiel er ihm nicht. Kleinere Kabine, das Plastik sah aus wie Plastik – auch wenn sein Wurzelholz natürlich ebenfalls aus dem Spritzgussautomaten kam. Wenn man sich erst mal auf eine Marke eingeschossen hatte, war es eben schwer, die festgefahrene Meinung wieder zu ändern.
Nun wurde es auch Zeit für den Abschied. Er fuhr weiter in Richtung Oranienburg und ich nahm den Westring an Potsdam vorbei und weiter auf die A9 nach Süden.
Nachdem ich mir den ganzen Tag nur mit Snacks den Hunger gestillt hatte, steuerte ich den Autohof Berg an. Allerdings nur auf ein Holsteiner Schnitzel mit Pommes und Salat, denn der Tag war noch nicht zu Ende.
Das war er erst in Nürnberg, nachdem ich die Fracht abgesattelt hatte und einen Stellplatz gefunden hatte. Noch satt von der Truckerportion Schnitzel gab es nicht mehr wirklich etwas, das sich Abendessen nennen konnte.
Freitag 12.06.2015
Morgens sprach ich noch mal mit Timo. Maxis Handy-Amputation am Mittwochvormittag war ohne Komplikationen verlaufen, der Patient auch ohne das Ding überlebensfähig.
Die letzte Tour der Woche waren Paletten mit Kartoffelstärke nach Bozen. Überraschend war der Trailer einer bekannten Spedition aus Großbritannien. Ich machte mich bei dazu passendem Wetter auf die letzte Etappe der Woche.

Bei meiner Pause im Allgäu hatte sich das Wetter schon wieder deutlich gebessert. Die weitere Fahrt war unspektakulär. Am Nachmittag um halb 4 war ich in Bozen im Hotel, das Wochenende konnte kommen.
