In diesem Kapitel…
…macht Judith Gurkensalat…
…Ilarion kriegt Geld…
…und Ricky vergisst etwas!
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20.06.2015 bis 25.06.2015
Weil Julian mir verordnet hatte, meinen Urlaub zu nehmen, hatte ich mal eine Woche eingeschoben und auch was gebucht. Es war ja die letzte Woche vor den Ferien in NRW, also noch einigermaßen billig zu haben.
Also legte ich am Samstag Judith noch einen Zettel hin, dass sie mir die Woche nach meiner Rückkehr einen neuen Actros mit 480 PS als Testwagen klar machen sollte, stieg nach dem Frühstück in meinen Alpina und fuhr in Richtung Süden. Nach etwas über 5 Stunden und mit einer Rast um die Mittagszeit fuhr ich auf den Hotelparkplatz. Ich bekam Schlüssel für die Junior-Suite und ging erst einmal rauf.
Nach einer Zeit auf dem Balkon und einfach nur Nichtstun beim Blick auf Bodensee und Alpen ging ich zum Abendessen. Beim Wein konnte ich mich nur vom Kellner beraten lassen, da meine Kenntnisse begrenzt waren: „Ich weiß nur, dass guter Wein gute Whiskyfässer macht.“ „Dann fahren Sie mal nach Rickenbach, 20 Kilometer von hier. Da ist eine Whiskybrennerei.“ Ich wusste zwar, dass es in Deutschland ein paar Destillen gab, aber ernst hatte ich die bisher nicht genommen.
Die Tage verbrachte ich in der Umgebung. Mal wanderte ich auf einen der Vulkankegel, die über den Hegau wachten, dann ging es mal nach Bregenz und auf dem faulen Weg mit der Seilbahn auf den Pfänder. Ein Besuch im Zeppelinmuseum Friedrichshafen durfte genauso wenig fehlen wie eine Schiffsrundfahrt auf dem See.
Die Abende verbrachte ich je nach Lust und Laune mal auf der Hotelterrasse oder auch mal auf meinem privaten Balkon. Eine Flasche Single-Malt Whisky der lokalen Brennerei hatte in der Tat ihren Weg zu mir gefunden und wurde Teil meiner Abende auf dem Balkon.
Sicherlich kein Vergleich zu Scotch oder meinem lieb gewonnenen Penderyn aus Wales, aber für ein Land ohne Whisky-Tradition im Ansatz nicht schlecht. Besonders wenn man ihn wie ich ungetorft oder allenfalls schwach getorft mochte. Wobei er dafür ein Bisschen arm an sonstigen Aromen war, es dominierten Getreide und Holz, von Rauch aus der Mälzerei und Wein aus den Fässern war wenig zu spüren. Vielleicht mussten sie das Mälzen und das Veredeln in Fässern aus verschiedenen Hölzern und mit verschiedenen Vornutzungen noch ein Bisschen perfektionieren.
Beim Blick auf den See fiel mir dann auch auf, dass es jetzt seit knapp über einem Jahr KFL Intertrans gab. Genauer gesagt seit einem Jahr und am kommenden Wochenende zwei Wochen.
Wir hatten angefangen mit vier Leuten auf zwei Trucks. Und bei dem einen Leut namens Chris spürte ich dann auch wieder einen kleinen Stich ins Herz. Trotzdem erschien es mir mal ein guter Anlass, dieses Jahr auf mich wirken zu lassen und zu schauen, wo wir heute standen. Aus 2 Trucks waren 6 geworden, mit ebenso vielen Fahrern.
Bei dem Gedanken an die Fahrer musste ich grinsen. Wir hatten da wohl ein Händchen, um aus gescheiterten Existenzen gute Fahrer zu machen. Das fing bei mir selbst an. In einer Mischung aus falschen Arbeitgebern und falschen Entscheidungen war ich vor der Weggabelung mit den Schildern „Arbeitslos“ und „Selbstständig“ gelandet. Eigentlich nur, um meinen eigenen Lebensunterhalt ohne das Amt zu bestreiten, hatte ich den zweiten Weg genommen.
Marlon und Julian war es ähnlich ergangen. Auch sie standen vor dem Ende ihrer noch recht jungen Truckerkarrieren, als ich ihnen mit dem Premium aus der Patsche geholfen hatte. Und noch mal, als ich sie auf die Idee brachte, zurück nach Deutschland zu kommen.
Timo war der denkbar schlechteste Bewerber gewesen, den wir uns nur denken konnten. Gerade 21 geworden, keine fachbezogene Ausbildung, ADR-Schein noch frischer als der Führerschein. Und gerade er hatte uns gezeigt, dass der Mensch hinter dem Foto auf der Bewerbungsmappe mehr bedeuten konnte als der ganze Inhalt der Papiere. Auch die Nummer, als er Patricks Abwerbeversuchen zu erliegen drohte, war vergeben und vergessen. Besonders weil ich selbst mich da als Personalchef auch nicht mit Ruhm bekleckert hatte.
Auch unser neuester Mitarbeiter Dominik war so ein komischer Fall. Immerhin hatte er Kraftfahrzeugelektriker gelernt und das sogar bei Iveco auf Nutzfahrzeugen. Aber wenn ich daran dachte, was er danach getan hatte, wäre der wohl auch nicht so ohne weiteres in eine andere Spedition geraten. Abitur an der Abendschule, abgebrochenes Studium in Elektrotechnik, einige Hilfsjobs, wovon Stuntman der mit Abstand verrückteste gewesen sein dürfte.
Immerhin Ilarion war vom Fach. Eher halbseiden bei ITS in Köln ausgebildet und dann in den letzten Monaten vor der Abschlussprüfung bei Talke wirklich fit gemacht, gute Prüfung hingelegt, befristet übernommen und dann zu uns. Mal sehen, ob wir demnächst mehr solche Fahrer bekommen konnten oder ob uns das Schicksal weiter irgendwelche komischen Kandidaten zuspülte.
Die beiden ältesten Trucks, ein Iveco Stralis Active Super und ein Renault Premium standen inzwischen mit einer Viertelmillion auf der Uhr sogar zum Verkauf. Sie waren im Zweimannbetrieb auf Strecke getrieben worden und nach nicht mal 2 Jahren am Scheidepunkt zwischen vernünftigem Preis oder Abfahren bis zur kompletten Abschreibung und dann für unter 10.000 Euro verhökern. Mal sehen, was aus den eher unverbindlichen Anfragen wurde, die in den vergangenen Tagen eingetrudelt waren.
Die neueren Renault Magnum, Iveco Stralis Hi-Way und MAN TGX XLX wurden vielleicht mal belächelt, aber sie taten ihre Arbeit und waren obendrein nicht sonderlich teuer gewesen. Der Magnum und der TGX waren mit Euro 5 und EEV bei so viel Strecke allerdings keine Wunderwerke in der Mautabrechnung.
Auch Julians Scania würde eigentlich in die Kategorie kleine Mautkostenfalle rutschen. Immerhin wurde Gefahrgut hoch bezahlt und solche Eskapaden gingen für uns deshalb nicht nach hinten los wie bei Patrick mit dem R580. Außerdem war der R500 billig gewesen. Bis der Preisvorteil aufgezehrt war, konnte er ein Bisschen Diesel und Maut kosten. Und anders als der 580 nahm der 500er logischerweise das Futter für 80 Pferde weniger.
Der einzige Truck, der sich überall problemlos verhielt, war mein von vielen Kollegen dauernd geschmähter Stralis Hi-Way. 500 PS, die Drehmomentkurve war mehr eine Hochebene, extrem niedriger Verbrauch dank nicht vorhandener Abgasrückführung, keine technischen Probleme und mit Euro 6 günstig bei Steuer und Maut. Das machte sich so weit bemerkbar, dass es demnächst nur noch Euro 6 Fahrzeuge geben sollte. Außerdem schwebte mir vor, nur mit zwei Marken zu arbeiten. Dann waren wir nicht von einem Händler vollkommen abhängig, hatten aber eine stärkere Verhandlungsbasis über entsprechende Mengen als wenn jeder alles wünschen durfte und keiner planen konnte.
Freitag, 26.06.2015
Nach diesem Resümee am Donnerstagabend auf dem Balkon wurde es am Freitag nach dem Frühstück Zeit für die Heimreise. Als ich am Nachmittag ankam, war Marlon gerade dabei, seinen Truck abzukärchern. Ich ging nach kurzer Begrüßung die Treppe rauf ins Büro.
Ilarions Magnum war schon da, der Fahrer aber schon wieder weg. Timos MAN fehlte noch, Laut GPS war er aber auf dem Endanflug ins Ruhrgebiet.
Das Telefon klingelte. „KFL Intertrans, Eric Kaiser, guten Tag.“ „Mercedes Truck Center Rhein-Ruhr, Sie sprechen mit Sven Koch. Guten Tag Herr Kaiser. Sie hatten sich letzte Woche den neuen Actros angesehen?“ „Ja.“ „Und Ihre Mitarbeiterin hatte bei uns ein Vorführfahrzeug für nächste Woche angefragt?“ „Ja.“
„Dann ist da wohl eine Verwechslung passiert. Die Dame heißt Mertens, oder?“ „Ja.“ „Ein Herr Mertens hatte für sein Unternehmen ebenfalls einen Vorführwagen angefragt, das muss der Mitarbeiter wohl dann verwechselt haben und hat deshalb für Sie keinen reserviert. Erst als der eben nach Duisburg vom Hof ging und ich die Listen rauf bekommen habe, fiel mir auf, dass da was nicht passen kann.“ Aha, der geschätzte Wettbewerb suchte offenbar auch neue Orientierung.
„Und was machen wir jetzt?“ Wir war eigentlich auch gut, der Ball war definitiv bei ihm. „In einer Woche hätte ich wieder einen Vorführer frei.“ „Ich kann ja mal bei Renault-Volvo oder Scania fragen, ob die kurzfristig noch einen frei haben und melde mich später noch einmal mit mehr Vorlauf.“ „Moment mal, warten Sie.“
Das hatte er wohl falsch verstanden. Bevor ich mich für unsere zukünftige Flotte entschied, wollte ich sowieso alle drei gefahren sein. „Wir haben zwar keine Vorführer mehr und auch Charter-Way sind alle draußen. Aber ich könnte einen Truck vom Werk für eine Woche raus geben. Das ist dann wie gewünscht ein 1848, aber leider nur mit BigSpace Kabine, der andere wäre sowieso ein 1851 GigaSpace gewesen. Warnleuchten und Steckschienen für Tafeln hat der hier auch, aber sonst macht er leider optisch wenig her ohne Verkleidungen und mit einfachen Felgen.“ „Das macht nichts, die Kabinen habe ich ja beide gesehen und die Ausstattung ist mir relativ egal. Mir geht es mehr darum, wie der 1848 sich fährt. Deshalb hatte ich auch einen anfragen lassen. Ein 1851 hätte mir also gar keine verwertbaren Informationen gegeben. Außer dass allenfalls Sie als Verkäufer des Herstellers diese 30 Mehr-PS für notwendig erachten, um gegen die Konkurrenzprodukte mit ca. 480 zu bestehen.“ Diese nachgeschliffene Speerspitze, dass seine fürsorglichen 30 Mehr-PS sowieso kontraproduktiv gewesen wären, konnte ich mir dann nicht verkneifen. „Dann würde ich den LKW am Montag vorbei bringen lassen. Früher geht leider nicht.“ „Macht nichts, ich fahre normalerweise erst nach dem dicksten Berufsverkehr weg.“ Wir waren uns einig und verabschiedeten uns.
Timo kam kurz danach an. Er blieb das Wochenende hier, denn morgen wollte er sein Auto abholen. Julian und Dominik waren laut GPS für die Nacht auf einem Rastplatz kurz vor Charleroi.
Samstag, 27.06.2015
Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass es diesen Samstag ein paar neue Fahrzeuge zu sehen gab. Ilarion kam jedenfalls mit der S-Bahn und stand irgendwann auf dem Hof, als ich gerade los wollte, um ein Bisschen Grillkram für später zu kaufen. So hatte ich wenigstens einen Tragehelfer für die Getränkekisten dabei.
Als wir wieder zurück waren und gerade damit anfingen, die Trucks einer kleinen Durchsicht zu unterziehen, kam Timo mit seinem Neuerwerb auf den Hof gefahren. Es war ein dunkelblauer Ford Focus ST.
„Irgendwer hat dann wohl den Jackpot geknackt, der noch bei Julian verwahrt wird?“ „Ich…“ „Wie kommt man nur so eine Idee? Ich habe Timo bisher noch nicht mal in der Nähe eines Ford gesehen.“ „Na ja. Also. Ich meine, Timo hat doch genug Freunde in Köln. Habe einfach mal gehofft, dass er davon geprägt ist.“ Da hatte er natürlich auch Recht, auch wenn er lange brauchte, sich die Begründung zusammenzubauen.
Warum allerdings Timo nicht einfach bei der Gelegenheit heute seine Freundin hier her eingeladen hatte, war eine Frage, die sich auch langsam stellte. Vielleicht mussten wir uns mal wieder freundschaftlich unterhalten. Auch wenn sie dann die einzige Person war, die nicht hier arbeitete, konnte er sie ja trotzdem mitbringen. Und Ilarion seine an sich auch.
Auch Marlon und Judith tauchten auf. Judith fuhr dann gleich noch mal einkaufen: „Grillfleisch, Kräuterbaguette und Nudelsalat aus dem Eimer? Typisch Männer!“ Dank ihr gab es dann also gleich auch noch einen richtig leckeren Gurkensalat mit Fetakäse und den Beweis, dass man als Beilage auch einige Gemüsesorten auf den Grill legen konnte.
Wir sahen die Trucks durch, machten Schönheitsreparaturen und danach sollte Timo noch einen Lampenbügel mit zusätzlichen Scheinwerfern aufs Dach kriegen. Anbauen konnten wir schon mal, für die Verdrahtung war dann nachher Dominik zuständig. Obwohl er jetzt 3 Wochen draußen gewesen war, wollte er das noch schnell machen.
Dominik trudelte als erster ein, obwohl Julian Solo fuhr. Der war wohl irgendwo auf einen Rastplatz abgebogen für einen Toilettenbesuch und dann war zwischen den beiden der Verkehr bei Köln zusammengebrochen. Knapp 20 Minuten später kündigte dann das Grummeln eines V8 auch Julian an.

Wir kriegten uns nicht mehr ein. „Was ist das denn für eine Farbe?“ „Sollen wir den so lassen? Den findest Du auch im dicksten Herbstnebel auf dem Parkplatz wieder.“ „Müsste Dir Aushilfsbriten gefallen. London Peppermint heißt das Kunstwerk.“
„Also mir gefällt es auf jeden Fall besser als Vienna Coffee.“ „Was ist Vienna Coffee?“ „Das linke!“ Ilarions Handy machte auch bei Judith, Marlon, Julian und Dominik die Runde. Natürlich bekam auch er wieder einiges zu seiner knatschgrün-violetten ITS-Karre zu hören.
Es wurde ein lustiger Nachmittag. Julian musste also Ilarion den Jackpot für die Timos-Auto-Wette ausbezahlen. Dominik klemmte noch die Zusatzlichter bei Timos Truck an. Er hatte auch irgendwann mal telefoniert und gegen 17 Uhr kam dann der Renault Kangoo Bebop auf den Hof gefahren. Am Steuer saß eine junge Frau. Die zwei begrüßten sich mit einer Umarmung. Also hatte er doch eine Freundin? Dann war es aber ziemlich heftig, dass er gesagt hatte, dass er mehrwöchige Touren und Nordafrika fahren würde.
Aber jetzt fuhren wir ja erst einmal ohnehin wegen der zahlreichen Truckwechsel als Urlaubs-Springer nur kurze Touren. Und danach sollte Judith ihm dann einfach Wochentouren geben. An sich ging es mich nichts an, aber mit langen Touren und wie die vergangene Woche gezeigt hatte immer wieder latenter Gefahr von Anschlägen auch in den relativ sicheren Ländern Nordafrikas musste eine Beziehung einfach scheitern.
Wahrscheinlich wollte er es uns aus Dankbarkeit nur recht machen. Wir hatten ihn schließlich aus den Fängen seiner Zeitarbeitsfirma und vor der drohenden Arbeitslosigkeit gerettet. Julian und ich waren ja immer noch zwei Mehrwochenfahrer, das sollte auch reichen. Vieles, was Talke zu fahren hatte, war mit Wochentouren abzudecken.
Nach und nach löste sich die Versammlung auf. Marlon und Judith fuhren nach Hause, Ilarion kurz danach ebenfalls. Julian, Timo und ich gingen rauf in die Wohnung.
Montag, 29.06.2015
Nach einem ereignislosen Sonntag war die Truppe am Montag dann quasi komplett für den späten Start vorgesehen. Marlon warf sich notgedrungen schon früher in die Schlacht. Er steckte mit meistens nur 1 oder 2 Außenübernachtungen die Woche sowieso die meiste Zeit im Ruhrpott-Stau. Wenn nicht morgens, dann halt abends. Also waren der Premium und er schon verschwunden.
Julian durfte jetzt mal mindestens 2 Wochen mit meinem Hi-Way ausrücken, weil es so lange dauern würde, bis Vinni Folien für den Scania in Hausfarben erstellt, bestellt und aufgeklebt haben würde. Timo machte sich wie immer mit dem MAN vom Hof und Ilarion mit dem Magnum. Dominik konnte sich schon mal an den Stralis Active gewöhnen, den er fahren sollte, bis er verkauft wurde. Wobei da bei den Interessenten auch wieder Schweigen im Walde eingekehrt war. Für mich war natürlich der geliehene Neuzugang im Fuhrpark, ein New Actros 1848 in Marketingsilber, aber mit wenig marketingtauglicher Einfach-Optik und Zulassung im Kreis Germersheim. Wenn ich hier die Trucks beschaffen sollte, musste ich ja auch wissen, woran ich jeweils war.
Meine Ladestelle war bei ENI in Duisburg. Ausnahmsweise mal wieder eine direkte ENI-Fracht und nicht Talke. Für Talke hatte ich vielleicht gar keine diese Woche, aber die anderen natürlich reichlich.
Ich fuhr also rüber und auf dem Weg durchs Ruhrgebiet schaffte ich endlich, was ich das ganze Wochenende über vor mir her geschoben hatte. Ich brauchte diese Gewissheit.
„Hi Ricky. Good morning.“ „Hi Keith. Wie läuft der Scania?“ „Gut. Tom ist damit gerade auf dem Weg nach Polen.“ „Wir haben jetzt auch einen, aber nur 500 PS. Kollege hat sich einen geschnappt.“ „Er wird wohl zufrieden sein. Wobei ich bei Volvo bleibe. Der Scania war eine Ausnahme, weil Dein Preis so gut war. Aber Du rufst mich nicht an, um über LKW zu plaudern. Dazu klingst Du zu sehr danach, als ob Du was Ernstes willst.“
„Du kennst mich einfach zu gut. Und wie gut kennst Du das Privatleben Deiner Angestellten?“ „Well…“ „Es geht natürlich um Luke. Der war so komisch drauf, als er den Scania abgeholt hat.“ „Ja, soweit ich weiß, hat er direkt nach der Rückkehr seinen Marc auf den Mond geschossen.“ Ich atmete hörbar durch.
„Du kannst ihn nicht los lassen, oder?“ „Es war ein Fehler und es wird immer einer bleiben, wenn ich ihn nicht mal endlich korrigieren kann. Aber er ist natürlich auch Dein Angestellter. Wenn ich versuchen würde, ihn wieder für mich privat zu gewinnen, werbe ich ihn gleichzeitig bei Dir ab.“ „Das lass mal meine Sorge sein. Wenn Ihr zwei wieder ein Paar werdet, stelle ich einen neuen Weltrekord im Aufhebungsvertrag-Schnellschreiben auf. Seine Handynummer hast Du ja und er Deine?“
„Oh ja. Aber jetzt mach mal langsam, Du Kuppler. Ich habe jetzt erst mal die Antwort auf die Frage, die mich beschäftigt hat. Was ich da wann raus mache, wenn er nicht die Initiative ergreift, muss ich mir erst mal überlegen. Also halt bloß Deinen Mund.“ „Klar.“ Das war bei Keith leider nicht so klar. Eine Plaudertasche vor dem Herrn war der schon immer. „So, ich muss mir mal einen Trailer abholen. Cheers!“ „Bye!“
Die Information pochte mir im Kopf, als ich die Papiere holte und den Trailer durchprüfte. Dann rollte ich mit der Ladung Acetylen bei unserem Konkurrenten MM vorbei vom Hof. Die saßen gegenüber von ENI, schien modern zu sein, sich auf der anderen Straßenseite von seinem Hauptkunden niederzulassen. Schütz, MM, nur wir mal wieder nicht…

Acetylen? Da sollte man an sich doch? Hatte ich? An der nächsten Ampel kam ich mit einigen Verrenkungen und der Hilfe des Frontspiegels zu der Erkenntnis, dass ich nicht hatte. Also hielt ich in der nächsten Bushaltestelle und steckte die ADR-Tafel an.
Wenn ich so abgelenkt war, gab es sicherere Arbeitsplätze für meine Umwelt und mich als im Zugfahrzeug von 12 Tonnen Acetylen. Aber eine kleine Anekdote vom Wochenende sorgte für Erheiterung und Ablenkung.
Ein junger Kollege aus Schweden hatte im TSM-Forum berichtet, dass er die Firma seines Vaters geerbt hatte und auch stolz ein Bild seiner ersten Fracht geschossen, einem Pipelinesegment, das von Göteborg nach Zaragoza sollte. Dabei hatte er allerdings sowohl eine TIR als auch eine ADR-Tafel noch an der Zugmaschine stecken. Wahrscheinlich war er durch den Tod seines Vaters, die Aufregung über seine erste Langstreckentour oder beides zusammen ein Bisschen durch den Wind und hatte vergessen, die abzunehmen. Auf meinen netten Hinweis, dass der Truck für den Transport eines Rohres innerhalb der EU doch wohl etwas überbeschildert wäre, hatte er mir zwar Recht gegeben, aber auch im Nachsatz geschrieben, dass ich es seine Sorge sein lassen sollte, ob sein „Rohr“ gefährlich sei und die EU verließe.
Ich hatte nach einem prüfenden Blick auf sein sehr sehenswertes Avatarfoto schon getippt, dass ich mich gerne als Sachverständiger zur Verfügung stellen würde, um die Gefährdungsklasse speziell dieses Rohres zu beurteilen. Vorm Senden hatte ich den Kommentar allerdings wieder gelöscht. Erstens musste man ja nicht gleich einen Neuling verschrecken. Und zweitens war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Moderatorenleiter daraufhin mal wieder energisch darum gebeten hätte, zum Thema zurückzukehren.
Endlich bei der Sache machte ich mich auf den Weg in den Süden. Die ersten Berge auf der A3 nahm der Benz ohne Probleme. Nach der Mittagspause stand noch der Spessart an. Den Economy-Modus trieb ich dem Eimer schneller wieder aus als ich ihn eingeschaltet hatte. Da musste ich Patrick Recht geben, der taugte mal gar nichts.
Trotzdem war die angeblich so intelligente Automatik auch im Standardbetrieb nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte, wenn es ums Runterschalten im richtigen Moment ging. Der Tag endete in Niederbayern auf einem Rasthof mit Regenschauer. Für einen Einzelfahrer reichte die BigSpace-Kabine auf jeden Fall, zu zweit gab es ja noch die Giga, die reichte denen dann auch.
Dienstag, 30.06.2015
Der nächste Morgen begann vom Wetter her deutlich versöhnlicher. Ich nahm den Alpenhauptkamm in Angriff. Auch hier machte sich der Mercedes gut, allenfalls mal brauchte er einen kleinen Eingriff in die Schaltung. Der 1848 hing gut am Gas und ließ sich kaum von dem Berg beeindrucken. Keine Spur mehr von den Hängepartien am Berg mit dem MP3.
Nachdem die Berge relativ mühelos bezwungen waren, legte ich eine Pause mit Panorama auf die bezwungenen Berge ein.

Danach fuhr ich die letzten Meter nach Graz und drückte den Trailer bei Bosch in die Lücke auf dem Hof. Wie immer drangvolle Enge dort.
Weil alles Gefahrgut von hier für zu weit entfernte Orte bestimmt war, um den Daimler rechtzeitig zurück zu geben, ging es mit Holzbalken weiter nach Warschau.

Bei Wien konnte der Benz dann beweisen, dass seine Bremsen auch gut waren, als eine Ampel aus dem Hinterhalt auf rot umgesprungen war.
Außerdem durfte die Klimaanlage zeigen, was sie konnte. Bei Iveco war das kein Thema, die Zielmärkte waren im Süden und die Kältemaschinen entsprechend fit für das Klima in Italien, Spanien oder auf dem Balkan. Aber hier leistete sich auch der Benz keinen Schnitzer.
Mittwoch, 01.07.2015
Ein kleines Gewitter am Morgen brachte nur wenig Abkühlung, als ich die Pause zwischen Wien und Brno beendete.

Dafür stieg die Luftfeuchtigkeit direkt danach extrem an. Teilweise beschlugen kurzzeitig sogar die Scheiben von außen rund um die Stellen, wo die kalte Luft aus den Düsen auf das Glas fiel.
Die Fahrt nach Warschau war ereignislos. Der New Actros könnte einen glatt vergessen lassen, dass man in einem Truck saß, wenn da nicht dieser Blick von so weit oben wäre. Verarbeitung und Materialien könnten auch von einem PKW stammen.
Die Verarbeitung war zwar inzwischen bei Iveco auch erstklassig. Der Innenraum von TurboStar und älteren Stralis war nach einigen hunderttausend Kilometern noch gewohnheitsmäßig in seine Einzelteile zerfallen und nötigten einen ständig zum Reparieren. Beim Hi-Way waren nach auch schon über 100.000 Kilometern nicht einmal die ersten Symptome dafür zu erkennen, was meistens als Rasseln und Klappern den Ohren auffiel, lange bevor sich wirklich Teile lösten.
Aber auch beim Hi-Way waren die Materialien doch noch aus einer deutlich niedrigeren Liga als dieser Mercedes. Dafür waren seine Oberflächen pflegeleicht, was im Alltagseinsatz auch nicht zu verachten war.
Am Ende der ereignislosen Fahrt wurde ich mein Holz auf einer Strabag-Baustelle los, wo es am nächsten Morgen auch weiter gehen sollte.
Donnerstag, 02.07.2015
Auch die zwei Tagesetappen an diesem Tag gaben keinen Grund, irgendwas zu erwähnen. Der Motor des Actros arbeitete so dezent im Hintergrund oder eher im Untergrund, dass ich mich manchmal im Fahrerhaus auf die Suche nach einer Plakette mit „Electric Drive“, „Zero Emission Vehicle“ oder so was in der Art ertappte.
Auch die Klimaanlage konnte sich gegen diesen bisher heißesten Tag des Jahres ohne Probleme behaupten und hielt die Innentemperatur konstant bei der gewünschten Temperatur von 20 Grad. Sogar als ich eine halbe Stunde vor der Mittagspause die Temperatur nach und nach hochregelte, um dann aus knapp 28 Grad in die Mittagshitze zu kommen anstatt aus dem 20-Grad-Kühlschrank gefühlt gegen eine Plastiktür zu springen, wenn mich draußen die 35 Grad erwarteten, ging der Temperaturwechsel sanft aber zielstrebig über die Bühne.
Die Fahrt fühlte sich gar nicht so lang an, als ich die Grenze nach Deutschland überquerte. Früher hätte ich hier ewig gestanden und in die Gegenrichtung von Deutschland nach Polen doppelt ewig.

So war es auch wieder eine Überraschung, als sich der Tachograph mit Warnton zu Wort meldete. Ich fuhr also auf den Rastplatz Helmstedt Ost und beendete den Tag, der wie im Flug vergangen war.
Freitag, 03.07.2015
Um möglichst früh zu Hause zu sein machte ich mich schon direkt um 5 auf den Weg zum Frühstück. Eine halbe Stunde später dirigierte ich den guten Stern auf allen Straßen wieder auf die Autobahn.

Dank der seit knapp einer Woche in NRW angebrochenen Sommerferien war es ein Kinderspiel, in ziemlich genau viereinhalb Stunden die Baumaschine nach Duisburg zurück zu bringen. Ich war wieder zu Hause – tief im Westen, wo die Sonne heutzutage trotz einiger immer noch vorhandener Industrie auch nicht mehr verstaubt.

Einen Nachteil, über den sich auch Sascha in seinen Youtube-Videos schon beschwert hatte, ließ mich der Benz dann an einer roten Ampel noch spüren. Die Gasannahme beim Anfahren war dermaßen verzögert, dass ich erst im 7. Gang in der Lage war, wieder vor den Volvo Vierachser mit einem zugegebenermaßen leeren Tanktainer zu ziehen, der neben mir an der Ampel gestanden hatte.
Zu Hause angekommen blieb mir nur noch, den Truck abzuspritzen und für die Abholung vollzutanken.

Bisher war ich überzeugter Mercedes-Hasser gewesen. Aber jetzt fiel es mir doch fast ein Bisschen schwer, dem Fahrer von der Niederlassung den kleinen Schlüssel und die Multifunktionsfernbedienung vom Format Schlagstock zurückzugeben.
Ich hatte sie fast alle gehabt, wenn auch nicht mit allen als Fahrer gearbeitet. Im Landmaschinenhandel durfte ich mich neben den allgegenwärtigen LK Siebeneinhalbtonnern mit NG und SK herumschlagen. Das waren grässliche Karren, der hoffnungslose Versuch, aus einem als Baustellen-LKW für die dritte Welt konzeptionierten Fahrzeug einen für seine Zeit guten Fernverkehrs-Truck in Europa zu machen.
Mit dem originalen Actros hatte ich mich in Aushilfsjobs und der Rübenernte herumgeärgert. Unzuverlässig, nachlässig verarbeitet, billige Anmutung, immer noch so eine Lärmschüssel wie der SK. Lediglich mehr Platz hatte man in der Kabine. Aber die musste ich auch nur tageweise ertragen.
Der MP3, den ich bei Talke fahren musste, war der erste Mercedes, über den ich mich nicht beschweren konnte. Er war allerdings nur durchschnittlich, nicht besser als die ERF in Wales und auch nicht so viel besser als meine alten Stralis danach, um den höheren Preis zu rechtfertigen.
Dieser New Actros war der erste Truck mit Stern, von dem ich sagen konnte, dass ich ihn kaufen würde, wenn der Preis stimmte. Und der würde auch noch stimmen, wenn er höher lag als bei Iveco, womit ich zwangsweise rechnen musste.
Ich wechselte Mercedes gegen BMW und machte mich auf den Weg ins Sauerland. Am Samstag hatte ich Geburtstag und es war einfacher, wenn ich zur Familie fuhr als wenn die anreisten. Zumal meine Großeltern über 90 waren und nicht einmal mehr die 100 Kilometer ins Ruhrgebiet schafften.
