Kapitel 66 – Postbote

Diese Woche…
…hat Ricky eine Idee…
…ein Bewerber kommt ins Schwimmen…
…und einem LKW-Verkäufer steht das Wasser auch zum Hals.

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Montag, 24.08.2015

Als ich gerade beim Frühstück saß, klingelte mein Handy. Die Zentrale wollte was: „Guten Morgen Judith. Oder ist der Morgen etwa nicht gut, wenn Du um die Zeit anrufst?“ „Meiner schon, auch wenn ich kurzfristig Arbeit habe. Fahr noch nicht los, ich versuche noch, Deine Fracht an Talke zurück zu geben.“ „Warum das?“ „Weil ich eine super lukrative Sache angeboten bekommen habe. DHL hat verpennt, dass sie Gefahrgut fahren müssen und haben jetzt keinen Fahrer.“ „DHL und Gefahrgut? Eine Paketbombe oder was?“ Judith lachte kurz. „Nein, in der Palettenlogistik. Da sind wohl einige IBC mit irgendeinem ätzenden Reinigungsmittel drin. Jedenfalls haben sie damit die Punktegrenze gerissen.“

Schließlich meldete sich Judith wieder: „Okay, Du fährst zu DHL und nimmst einen Trailer für Padova mit, dort lädst Du um und fährst weiter nach Luxemburg. Da gehst Du aus dem DHL-Umlauf raus. Petra Brückner schickt jemanden von Global Tarragona nach Bordeaux, der in der Nähe steht, Deine Fracht bis Hürth übernimmt und lässt das dann über Grimmen weiter nach Stettin laufen.“
Global aus Tarragona war der spanische Großpartner von Talke. „Aber nicht dass uns Talke die Aktion übel nimmt.“ „Nein, das passt schon. Sonst hätte Petra Dich einfach nicht freigegeben.“ Leuchtete auch ein. Sie saßen ja am längeren Hebel.

Also gut, dann eben Curtainsider statt Tanker. Ich holte den fertig geladenen Trailer, sah kurz die Papiere durch, steckte die Gefahrguttafel und machte mich auf den Weg nach Italien. Der war aber schon auf der Schnellstraße um Bordeaux wieder zu Ende. Ein Mini-Fahrer hatte es wohl so eilig, vor mir noch raus zu kommen, dass er den vor mir abbiegenden Golf übersehen hatte.
Weil es nun einmal physikalisch nicht möglich ist, dass zwei feste Körper den gleichen Ort einnehmen, gab es gleich noch eine anschauliche Vorführung zum Thema „unelastischer Stoß“.

Der Mini war hinter der Fahrertür eingeschlagen, deshalb war die Golffahrerin zwar etwas benommen, aber unverletzt. Bis die Gendarmerie hier war und alle Aussagen aufgenommen hatte, war natürlich einige Zeit rum.

Danach ging es aber relativ ungestört weiter. Ich musste bei Lyon in der Mittagspause tanken. Störend fand ich auf der Fahrt eher die Musik. RTL2 brachte der Geräuschkulisse nach wohl eine Liveübertragung aus dem Affenkäfig, 80es Hotmix spielte gerade die Quote – und französische Musik aus den 80ern war dann auch gewöhnungsbedürftig. Zumal ich sowieso musikalisch eher in den 90ern zu Hause war. Also ging schließlich der MP3-Stick rein.

Auch der musste aber kurz darauf in den Hintergrund, denn mein Handy klingelte. „Bonjour Monsieur…“ „Schütz, ich begrüße sie!“ Aha, Patrick Panzer. „Was kann ich gegen Dich tun?“ „Du könntest mir helfen…“ „Wobei?“ „Eine Tour für mich fahren.“ „Ah ja – hast Du Dir Granatäpfel aufschwatzen lassen?“ Das ging dann in die Schublade Feinkost-Zipp. „Der Kunde sagt, der Apfel ist gerade explodiert – Frau Werwolf sagt, das gehört so. Das sind Granatäpfel!“
„Ähh nööööö. Luca hat Urlaub und keiner will seine Tour für Honeywell nach Schweden fahren.“
Honeywell konnte alles sein. Die hatten ihre Finger ja überall drin. „Okay – über was reden wir bei dem Gemischtwarenkonzern da?“ „Flusssäure und irgendeine +23 Grad Celsius Chemie.“ Flusssäure war nicht ohne, „Irgendeine +23 Grad Celsius Chemie“ klang nach irgendwelchen Biopharm-Geschichten.
„Und warum will das keiner fahren?“ „Maxi darf kein LKW fahren, Alex ist verplant, Monica hat Außenwochenende…“ „Und was macht der Chef von Ganzes?“ „Das möchte ich nicht.“ Hosenscheißer… Wobei sein Luca doch nicht besser war. „Wundert mich schon, dass Luca das überhaupt mit macht. Der braucht doch auch sofort eine Windel, wenn orangene Rechtecke an einem LKW sind.“ „Nicht mehr…. Ihm gefällt es. Leer nach Seelze, laden, die ganze Scheiße nach Stockholm, mit leeren IBC´s zurück und ab dafür nach Hause.“
Ich tippte mich gerade aus dem Augenwinkel auf dem Tablet ins Disposystem. „Okay. Während der Fahrt nicht am Tablet rumspielen habe ich mal gehört. Nach meiner Aktenlage hätten wir einen Kandidaten, der frei wäre und nicht bei ein paar Fässchen Flusssäure die Hosen voll hat.“ Hatte bei uns sowieso keiner. „HA HA HA. Wer würde fahren?“
„Das entscheide nicht ich. Aber einer aus der U23 wird es sein müssen. Außer Marlon erbarmt sich, Fernverkehr zu machen. Denke aber Timo oder Ilarion.“ „Achso okay. Wird aber ein schönes Erinnerungsfoto. Euer LKW mit meinem Coolliner dahinter.“ „Ich hoffe, Dein Auflieger hat keine Sechszylinder-Allergie…“ „Wird er überleben.“
„Und was ist sonst so los in Neuss?“ „Nur gutes. Fernverkehr läuft, bei Dachser läuft alles. Kann nicht klagen.“ „Ach so – apropos Fernverkehr. Samstag schlägt ein Bisschen Scania-Zubehör bei uns auf.“ „Ahh cool. Was war das nochmal? Einer meiner Dachser Fahrer wollte etwas basteln.“ „Wechselklappe, Spiegelhalter mit Lollies und Steinfang. Aber Julian hilft beim Ausladen.“
Er sagte nichts, aber der tiefe Atemzug zeigte, dass ihm wohl lieber wäre, Julian hätte ein anderes Fabrikat als Scania unterm Hintern. „Die Wechselklappe bleibt auf jeden Fall übrig. Mit ungültiger Zulassung geht mir keiner vom Hof.“ „Ach so. Ja kannste ja vorbei bringen, was über ist.“ „Montag irgendwann wäre am besten. Wann ist jemand da?“ „Büro ist ab 10 besetzt, und Maxi kommt in Gleitzeit.“ „Na vor 10 wird das sowieso nix. Haben noch mehr Programm den Tag.“
„Ja, dann passt das ja. Oder ich schicke kurz einen Fahrer von mir rum, einer wird da immer sein.“
„Müsste es nur morgens wissen, ob ich das Ding ins Auto packen muss. Oder die Dinger. Was auch immer mit kommt.“ „Okay. Ich quatsche mal mit der Dispo am Freitag und wenn einer Bochum fährt dann rufe ich den kurz an.“
„Gut. zurück zu Deinem Spezialauftrag. Was sagt eigentlich die Kasse dazu?“ Wir wurden uns in ein paar Sätzen handelseinig.
„Und, wo treibst du dich so rum?“
„Frankreich, auf dem Weg nach Italien.“ „Wohin genau? Fahre gleich weiter nach Triest.“ „Padova und da morgen Mittag wieder zurück, dann aber über die Schweiz nach Luxemburg.“ „Ach so. Vielleicht sieht man sich, vielleicht auch nicht.“ „Weißt Du schon, wohin Du danach musst?“ „Ne noch nicht, sollte aber in der nächsten halben Stunde angerufen werden.“ „Ach so. Na dann werde ich mal die Gegenspur im Auge behalten.“ „Halt eher die Ohren offen.“ „Von mir aus auch das.“
„Also, ich melde mich am Freitag wegen den Teilen.“
„Okay. Kann aber sein, dass ich nicht ran gehe. Habe Gespräche ohne Ende rund ums Wochenende.“ „Achso, dann schreibe ich kurz auf WhatsApp.“ „Passt. Bis die Tage.“ „Jo hau rein. Ciao.“

Nach der Pause fuhr ich weiter in Richtung Erlösung vom französischen Radioprogramm, schaffte dank Verlängerung auf 10 Stunden noch die Alpen und fuhr noch kurz vor dem Ende der Lenkzeit durch die Täler hinterm Hauptkamm und über die italienische Grenze.

Dienstag, 25.08.2015

Erste Amtshandlung war natürlich Radio Due.Zero einzustellen. Trotz des fortschrittlichen Namens gab es das Programm auch über UKW, also konnte ich zumindest nachher in der Lombardei den Surfstick schonen.

Ohne besondere Vorkommnisse schaffte ich es bis Padova. Auch Kollege Schütz ließ sich in der Gegenrichtung weder sehen noch hören.

In Padova bekam ich erst einmal die volle Breitseite des Stückgutverkehrs ab. Immerhin die komplette Fuhre ging ins DHL-Depot. Aber bis ich dort leer und wieder fast voll war, strichen fast 2 Stunden ins Land. Dann durfte ich noch bei TSM einige Paletten zuladen. Die waren aber noch nicht fertig. Also weiter warten.

Endlich war ich aber bei einsetzendem Regen wieder unterwegs in Richtung Mailand. Der Tag reichte immerhin noch an Mailand vorbei und auf den bei mir mittlerweile so beliebten Rastplatz Lario in Richtung Schweiz.
Hier telefonierte ich mit Luke. Er war auf der Fähre gerade aus Esbjerg ausgelaufen. „Es fühlt sich irgendwie komisch an. Freitag fahre ich mit der Fähre weg und wenn ich das nächste Mal eine in Richtung Großbritannien nehme, bin ich Besucher.“ „Ja, komisches Gefühl. Das kenne ich auch noch. Aber man gewöhnt sich schnell dran.“ „Und ich habe Dich ja von Anfang an.“ Ja, ich war schließlich erst ein halbes Jahr alleine in der Ferne gewesen, bevor ich ihn kennen lernte. Wir redeten noch ein Bisschen miteinander. Das Gespräch war, wie auch schon die letzte Woche noch etwas holprig. Ein Bisschen aneinander gewöhnen mussten wir uns wohl doch wieder, bevor es wieder mehr gemeinsame Themen gab.


Mittwoch, 26.08.2015

Die Sonne stand noch recht tief, als ich nach einem kleinen Lauf durch die Umgebung weiter fuhr.

Zum Glück hatte DHL ein Carnet TIR ausgestellt, also hielt sich der Zeitverlust an der Grenze im Rahmen. Schließlich folgte mal wieder der neue Volkssport, dieses Mal ausgeführt im Tessin von einem älteren Iveco Stralis AS420. Überholt den stärkeren mit Müh und Not, dank meinem Bremsassistent das Tempo war tot.

Trotz weiterem Einsparpotenzial in Luxemburg verzichtete ich im Elsass darauf, so voll zu tanken, dass ich bis dort käme, um dann so zu tanken, dass es bis Bochum reichte, um da aus der noch mal günstigeren, betriebseigenen Ölquelle voll zu machen. Ich ließ einfach mal 180 Liter nachlaufen, das sollte dann auf jeden Fall reichen.

Zum Glück konnte ich in Luxemburg absatteln und musste mich nicht weiter ums Abladen kümmern. Morgen wartete dann wieder ein Talke-Silo mit Polyestergranulat auf mich.


Donnerstag, 27.08.2015

Eine unspektakuläre Rückreise brachte mich nach Wuppertal. Da musste ich aber das Silo ausblasen und es danach noch nach Hürth schaffen. So war es dann doch 14:30 Uhr, bis ich in Bochum auf den Hof fuhr. Die Halle war natürlich leer, als ich den geputzten Iveco rein fuhr.

Zu meiner Überraschung hatte ich kein Paket auf dem Schreibtisch. „Judith, ist für mich kein Paket angekommen?“ „Nein. Was oder von wem?“ „Modellbahnversand aus England. Das ist jetzt schon seit 16 Tagen unterwegs. Normal dauert es 5 bis 8.“ „Nein, ist nichts reingekommen.“
Also erst mal ein privates Telefongespräch einschieben. „Hattons Model Railways. Hallo. Mein Name ist Conor. Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Eric Kaiser aus Deutschland. Hallo. Ich warte auf meine Lieferung 5399073. Sie ist vor 16 Tagen versendet worden. Normalerweise dauert es 5 bis 8 Tage mit normalem Versand.“ „Okay. Wir betrachten eine Sendung erst nach 25 Tagen als verloren. Wenn sie bis 5. September nicht da ist, können Sie sich noch mal melden. Aber wir haben derzeit ein Problem mit Straßentransport nach Europa. Wegen der Migrantenkrise sinkt die Zahl der LKW, die den Kanal in Calais überqueren und jeder Spediteur hat Rückstände in Richtung Kontinent., weil seine Fahrzeuge noch nicht wieder hier sind.“ „Okay. Das macht Sinn. Danke, Conor. Cheers.“ „Gerne. Bye Eric.“

Für heute hatte Judith keine weiteren Termine geplant, also nahm ich mir meinen Alpina und fuhr nach Recklinghausen zu meinem Lieblingsitaliener, um über einen Rahmenvertrag für „Pizza Stralis“ zu verhandeln.

„Buongiorno Ricky, come stai?“ „Molto bene, grazie.“ „Du willst wieder Cappucchino um die Zeit, oder?“ „Ja.“ „Und was außer Frühstückskaffee am Nachmittag kann ich Dir anbieten?“ „Stand derzeitige Planung 3 bis 4 Stralis im Jahr.“ Mario stockte einen Moment lang an seinem Kaffeevollautomaten. „Was wollt Ihr mit so vielen Autos?“ „Wir haben ja inzwischen schon 5. Und das sollen noch mehr werden.“
„Warum weiß ich davon nichts?“
„Jetzt tu mal nicht so, als wäre Iveco die einzige Marke am Markt. Dass wir daneben noch 2 Renault haben weißt Du ja. Dann wollte ein Fahrer unbedingt einen MAN, den hat er bekommen. Und einer meiner Geschäftspartner hat in Gibraltar einen gebrauchten Scania geschossen, den man bei dem Preis einfach nicht stehen lassen konnte.“ „Und der alte Stralis?“ „Der brummt in Dresden rum, seit wir den Scania haben.“
„Also gut. Wie kommst Du auf 3 bis 4 im Jahr?“
„Wir haben vor, die Fahrzeuge abzugeben, so lange wir noch was dafür kriegen. Und nach knapp 2 Jahren und 250.000 Kilometern ist der Punkt, an dem das passieren muss. Wenn wir eine Flotte von 12 bis 15 anpeilen, die alle 2 Jahre erneuert werden muss und ich mich Dir nicht komplett ausliefern will, würde jede der beiden Marken, bei denen ich einkaufen will, durchschnittlich 3 bis 4 Stück im Jahr absetzen.“
„Warum nicht alle von einer Marke.“
„Das bedeutet, Du hast eine Chance von 25 oder 33%, mir 7 bis 8 Zugmaschinen im Jahr zu verkaufen. Bei zwei Marken beträgt Deine Chance auf 3 oder 4 Maschinen 50 bis 67%. Vielleicht rechnest Du noch mal nach.“
„Aha. Verrätst Du mir, wer die lieben Wettbewerber sind? Irgendwer muss ja schon raus sein bei den Werten.“
Wenn ich ihm jetzt sagte, dass es Volvo, Mercedes und mit Außenseiterchancen Scania waren, wusste er gleich, wo das Preisniveau lag. „Vielleicht wenn wir uns einig geworden sind.“
„Okay. Und über was für Fahrzeuge reden wir da von der Spezifikation?“
„Hauptsächlich 6×2 mit 500 PS, vielleicht auch mal einen mit 560 PS. Möglich, dass sich auch mal einer mit nur 460 PS da rein verirren würde oder ein 4×2.“ Er ging mit mir genaue Ausstattungslisten durch. „Gut. Dann kalkuliere ich Dir mal Sonderpreise für die entsprechenden Versionen.“
„Wann wäre der erste fällig?“
„Mal sehen. Wenn mein Geistesblitz von der Hinfahrt von Marlon und Julian angenommen wird, vielleicht schon in den nächsten Tagen bestellt.“ „Okay.“
„Wie sind denn Eure Lieferzeiten?“ „Je nach Ausführung 4-8 Wochen. Bei einem 460er mit Achsfolge 4×2 und Flottenausstattung auch 2 Wochen. Die werden auf Halde gebaut und müssen dann nur noch auf einen Zug oder Tieflader nach Deutschland gestellt werden.“

Ich verabschiedete mich und fuhr nach Hause. Beim Abendessen erzählte ich Julian von meiner Idee, aber er war nur vorsichtig optimistisch. Es war in der Tat eine gefährliche Angelegenheit und die Fahrer dafür mussten auch aus Hartholz geschnitzt sein.


Freitag, 28.08.2015

Morgens fing ich mir erst einmal Marlon ab und verschwand bei ihm und Julian im Büro. Im Besprechungsraum war heute genug Programm. Da mussten wir nicht schon mal vorab über den Keksteller fegen und Judith ärgern.
Marlon war dem Plan überraschend zugetan. Auch er sah allerdings das Problem, freiwillige Fahrer aufzutreiben. Und er meinte, man sollte mal Mahad fragen, ob er eine Möglichkeit sah, die Fahrzeuge entsprechend aufzurüsten. Das war eine gute Idee.

Erst einmal standen aber noch zwei andere Stationen für mich auf der Agenda. Gegen Scania hatte ich mich dann endgültig entschieden. Die LKW waren einfach zu teuer für das was sie zu bieten hatten oder nicht mehr zeitgemäß für ihren Preis. Das konnte man sehen wie rum man wollte, am Ende kam man zum gleichen Ergebnis.

Während Julian also auf die beiden am Ende auserkorenen Abscheider-Hersteller wartete, fuhr ich als erstes nach Düsseldorf zu meinem zweiten Freund und LKW-Verkäufer Joachim Scholz. Auch ihm sagte ich, dass wir bei ihm 3 bis 4 Zugmaschinen jährlich abnehmen wollten. 4×2, 6×2, FH13 mit 500 oder ab und zu nur 460 PS. Hier auch noch die Wahl zwischen normaler Globetrotter-Kabine und XL. Als Bonbon dazwischen vielleicht mal einer mit etwas mehr unter der Hütte.
Durch die noch größere Variantenvielfalt machte er sein Problem zu meinem und rüstete mich mit den Preislisten aus. Er wollte mir dann einen Rabattsatz auf diese Listenpreise geben. Die Lieferzeiten in Göteborg waren ähnlich. Anders als Iveco, die Standardmodelle zum schnellen Abruf auf die Halde durchlaufen ließen und dann die Sonderfälle kurzfristig einplanen konnten, hatte sich Volvo darauf eingeschossen, flexibel zu produzieren, eben weil da sowieso jeder LKW anders konfiguriert war.
Über Renault brauchte man immer noch nicht zu reden. Die Lieferzeiten für die T-Serie waren auch jetzt noch meilenweit von gut und böse.

Nun musste ich sehen, dass ich noch beim Sterndeuter raus kam, bevor unser Lehrlings-Bewerber auf der Matte stand. Sven Koch hörte sich meine Wünsche auch an: „4×2 als 1845, 1848 oder 1851 und 6×2 als 2548 oder 2551. 3 bis 4 Stück im Jahr. Vielleicht auch mal ein 2558. Alle drei Fahrerhäuser, meistens nach dem Motto „je größer der Motor umso größer das Dach.“ Auch er nahm die Version mit Preislisten und Rabattsatz.
„Wie sehen denn die Lieferzeiten aus?“ „Für Zugmaschinen als 4×2 ist das kein Thema. Aber 6×2 hat Wörth in der Priorität nach hinten gestellt.“ „Das heißt?“ „4×2 in 5 Wochen. 6×2 in 9 bis 15 Wochen.“ „Was? Ich gehe davon aus, dass wir mindestens drei Viertel der Flotte Dreiachser einsetzen werden. Dann könnten wir hier wohl eigentlich das Gespräch abbrechen.“ „Wir bieten an, die Wartezeit mit CharterWay zu überbrücken. Allerdings auch 4×2. Und ich werde das bei der Kalkulation für den Rabatt natürlich berücksichtigen.“ Er war nun reichlich kleinlaut.
„Das ist jawohl das mindeste. Wenn ich mir überlege, dass Volvo und Iveco mir in der halben Zeit einen Dreiachser in Wunschkonfiguration auf den Hof schieben, hat Mercedes an sich schon wieder alles verspielt, was sie sich bei mir mit dem neuen Actros mühsam aufgebaut haben.“ „Wie meinen Sie das?“ „Ich habe Mercedes LKW mit aller Leidenschaft gehasst, seit ich auf einem SK Fahrschule gemacht habe. Und das hatte sich bis zum Actros MP3 nicht geändert, mit dem ich mich auch 5 Jahre herumgeschlagen habe. Das waren Autos für den Fuhrparkleiter, aber nicht für den Fahrer. Der neue Actros hat mich als erster Mercedes wirklich überzeugt. Aber mit diesen Lieferzeiten möchte ich sagen, ist die Überzeugung auch wieder dahin. Das Fahrzeug mag endlich für den Fahrer gebaut sein. Ihre Unternehmenskultur ist aber immer noch die eines Flottenausrüsters.“
„Ich werde das an unsere Verkaufsabteilung weiter geben. Als deutsches Unternehmen möchten wir natürlich, dass deutsche Fuhrunternehmen auch Fahrzeuge aus unserem Land einsetzen. Das erhält schließlich die Arbeitsplätze in Deutschland.“
„Und was bringt mir das, wenn Stern und Löwe es nicht mal eingestielt kriegen, die doppelten Lieferzeiten von Göteborg oder Madrid zu unterbieten? Von einem guten Gewissen bei der Fahrzeugbeschaffung habe ich keinen Cent.“
„Wie gesagt. Ich werde das bei meiner Kalkulation berücksichtigen, eine Überbrückung über CharterWay dazu anbieten und die Sache nach oben weiter geben. Mehr kann ich leider nicht für Sie tun.“
„Dann tun Sie wenigstens das, Herr Koch. Guten Tag.“ „Auf Wiedersehen, Herr Kaiser.“
Für dieses Wiedersehen musste er sich hart anstrengen. Verärgert verließ ich die Niederlassung. Als ob ich nicht schon genug um die Ohren hätte, musste ich mir auch noch Geschichten vom hohen Ross anhören. Und nachdem Mercedes quasi ein Totalausfall war, mich auch noch mit Scania als alternativem Anbieter herumschlagen und da auch noch hin.

Der Blick aufs Handy zeigte mir, dass Patrick es vorhin versucht hatte. Auf die Mailbox hatte er was gesprochen, dass jemand die Sachen abholen wollte und er noch Gardinen für einen Scania gefunden hatte. Ich drückte auf Rückruf. „GEZ, Schütz Guten Tag, haben sie nicht angemeldete Fernesehapperate oder Radios?“ Scherzkeks, das kann ich auch. „Kaiser, TÜV Rheinland. Guten Tag. Wir würden gerne Ihre ganze Flotte einer Sonderprüfung unterziehen.“ „Nach dem Wochenende würde ganz gut passen.“ Erst mal Wechselklappen ausbauen? „Bis da hin sind auch alle Radios angemeldet.“ Waren sie sowieso. „Dann sind wir uns ja einig.“
„Schön. Der Herr hatte geläutet?“ „Genau. Habe deine Mailbox bequatscht, du wolltest nicht rangehen.“ „Ich gehe eher selten ans Handy, wenn ich Rahmenverträge über Zugmaschinen verhandele.“ „Achso.“
„Okay, die Teile sind dann fertig zur Abholung. Mindestens Judith ist im Büro. Um die Zeit sind die Jungs vielleicht auch noch nicht draußen und rennen in der Halle rum.“ „Achso okay. Sollen die Gardinen auch zu dir?“ „Kann Julian sich mal anschauen. Zur Not gibt es eine Retoure.“ „Okay, dann kommt der Mann vom Dachser noch mal wieder.“ „Jo, passt.“
Bei ihm lief „Half your age“ von Kid Rock. Komisch fand ich nur das rhythmische Klopfgeräusch aufs Armaturenbrett im Hintergrund, nicht im Tempo der Musik. „Ich glaub, bei Dir ist ein Kurbelwellenlager ausgeschlagen…“ Das hörte sich zwar anders an, aber was soll’s.
„Ähh nein, das ist Maxi.“
Wie jetzt? „Aaaaaaah ja.“ „Seit 2:09 Minuten…“ „Was machst Du mit dem armen Jungen?“ „Kid Rock hören.“
„Na dann isser selber schuld, wenn es nicht gefällt.“ „Wie soll ich Schuld sein? Der sitzt am Radio, Hiiiiiiiilfe!“ Na ja, von Maxi hatte ich inzwischen so mein Bild. Wäre der bei uns, würde ich den Pinsel mal zu Beginn der Ausbildung besser nach Norden ausrichten. Mit der Einstellung würde er bald als nächstes Patrick auf der Nase rumtanzen. „Keiner will seine Tour fahren“ war auch ein No-Go. Aber jeder sägte an seiner Autorität so gut er konnte.
„Das is doch erstklassige Truckermucke.“ „Ja.“ „Nein!“ „Doch. Da möchte man glatt mit einen Kenworth Hauber über einen endlosen Highway rollen.“ „Ja.“ „Nein!“ Ich bekam eine ziemlich bildliche Vorstellung davon, wie die beiden da drin saßen.
„Warte mal, Santiano hätte ich auch noch…“
„Mein Lebensmotto war „If one day speed kills me, don´t cry because I was smiling“, nicht „If one day Music kills me!“ „Santiano. Gute Idee…“ Ich drehte das Radio auf und wählte „Marie“ von denen an. „Hilfe! Euch bekommt doch irgendwas nicht, oder?“
Ein Lied weiter gesprungen hatte ich „Finnegan’s Wake“ drauf. „Wenn ich auflegen soll kannst du das auch einfach sagen Ricky.“ „Und dazu fährt man am besten mit einem ERF durch Großbritannien…“ Patrick kam wieder beim Techno an. Ein guter Moment, auf beiden Seiten die Radios wieder runter zu drehen. „Hätte jetzt auch drüben sein können, wenn die Dispo mitgespielt hätte.“
„Ohh. Warum willst du da noch rüber? Ich habe Insel ausm Programm gestrichen bis auf weiteres.“
„Warum das denn? War erst vor 2 Wochen drüben.“ „Ähh dieses ganze Pack was da auf die LKW´s klettert?! Nein Danke!“
„Okay, hatte die Dänenfähre von Esbjerg. Aber auch die Wege über Benelux hab ich nicht so schlimm empfunden wie die Medien sie machen.“ „Ich fahre da lieber in den hohen Norden.“ „Na gut. Jeder wie er möchte. Der hohe Norden ist auch schön.“ „Ja.“
„Mal sehen, was nächste Woche kommt. Werde wohl erst Dienstag oder sogar Mittwoch ausrücken.“ „Ouha, was haste vor?“ „Jetzt hab ich Preise, dann geht es mal zur Bank und dann vielleicht ’nen neuen Truck ordern. Und ich habe da noch eine Idee, die ich erst mit den Franke-Brothers besprechen muss. Wenn wir das weiter verfolgen wollen, rase ich Dienstag wieder mit dem Auto durch den Pott.“ „Achso.“
„Okay, Dein Fahrer kommt Montag und sammelt ein. Ansonsten melde ich mich noch. Ach so. Und das mit der Schwedentour klappt.“ „Wunderbar. Wann holt ihr den Trailer ab?“ „Mal sehen.“ „Und die Nummer vom Fahrer sollte bei mir in der Dispo hinterlegt werden.“ „Ja, kriegen wir hin. Ich weiß es noch nicht. Aber es haben eh nur Julian und Ilarion eine geräuschgedämmte Kabine.“ Und ich selbst, aber weil wir dann schon zu zweit waren, kam das nicht in Frage. Sonst kam Honeywell durcheinander, wenn wir am Dienstag ablieferten und Mittwochabend das Leergut wieder in Seelze abwarfen. „Alles klar. Melde dich dann noch mal.“ „Okay. Bis dann. Ciao.“ „Ciao.“

Wieder im Büro blieb mir dann nur nicht mehr viel Zeit, bis der Azubi kam. Zusammen mit Judith führte ich ihn in den Besprechungsraum. Seinen Leidensweg konnten wir mit den bekannten Informationen ja schon ungefähr nachzeichnen.
Insofern achteten wir mehr auf seine Persönlichkeit. Weil die Anzahl an Fahrern, mit dem neuen Plan auch an Kunden, in der Zukunft ziemlich flott ansteigen könnte, musste auch er als Azubi sich durchsetzen können und auch mal klar kommen, wenn er zwischen den Stühlen von Kunde und Fahrer saß oder wenn ihn ein Kunde in die Enge trieb. Bei den Fahrern machte ich mir da wenig Sorgen. Mit knapp 1,90 Metern Größe, zumindest einer Andeutung von regelmäßigem Krafttraining und sonorer Stimmlage dürfte er sich schon behaupten können, wenn es mal Diskussionsbedarf über den Tresen hinweg gab.
Er sprach akzentfrei deutsch und fließend Englisch. Bei seinem polnischen Nachnamen glaubte ich ihm die zweite Muttersprache mal ungeprüft, es konnte hier sowieso niemand Polnisch. Das gleiche galt für Russisch.
Dann blieb nur noch das Thema mit den Zeugnissen, gleichzeitig als nette Gelegenheit zum Thema „Verhalten unter Stress“ zu gebrauchen. Das war mit Judith so abgesprochen: „So. Dann habe ich hier nur noch die Zeugnisse. Fachabi 2,4 – Halbjahreszeugnis in der Berufsschule 2,3 – Jahreszeugnis 2,1. Da ist schon noch Luft nach oben.“ „Ja gut. Aber die Richtung stimmt doch.“ Immerhin, schlagfertige Antwort. „Ja, das muss ich zugeben.“
„Fachabi sieht man ja. Die Abschlussprüfung in Deutsch habe ich versemmelt. Falscher Interpretationsansatz an Goethes „Leiden des jungen Werther“ und fertig war die 4+. Dann die eine oder andere Note, die doch eingebracht werden musste, auch nicht wie sie hätte sein dürfen.“ Allerdings, die Deutschprüfung war schlecht. Und hier sollte er nicht Goethe interpretieren, sondern mit Kollegen und Kunden sprechen. Und ob er in Religion eine 3 hatte oder nicht, war uns auch relativ egal.
„Dann habe ich in der Ausbildung auf die falschen Freunde gehört. So ehrlich muss ich sein. Die haben alle gesagt, dass vor der Zwischenprüfung sowieso kein Hahn nach den Noten kräht, so lange es noch für die 2 vorm Komma reicht.“
Ja, den Spruch kannte ich auch noch.
„Als dann im April beschlossen wurde, dass wir keine neuen Actros bekommen, sondern die alten noch 9 Monate weiter haben, wurden mir die Zeichen langsam zu deutlich. In der kaufmännischen Abteilung bekommt man ja doch mal was mit. Also habe ich mich angefangen, auf den Hosenboden zu setzen. Die Spatzen pfiffen immer lauter von den Dächern, dass es uns schlechter geht als es aussieht und vielleicht brauchte ich doch mal ein Berufsschulzeugnis von vor der Zwischenprüfung. Und genau damit sitze ich jetzt hier, viel war in den zwei Monaten vor den Sommerferien aber nicht mehr zu retten.“
„Immerhin sind Sie ehrlich.“ Ja, Bewerber waren inzwischen auch erst einmal „Sie“, das Du konnte nach der Einstellung immer noch kommen. „Was bringt es mir denn, drum herum zu reden? Die Tatsachen stehen auf dem Papier und die Wahrheit ist die beste Erklärung.“ „Das stimmt wohl. Wir haben erst mal einen Eindruck von Ihnen. Sie hören nächste Woche von uns.“

Nachdem wir ihn verabschiedet hatten, fragte ich Judith: „Und, was glaubst Du?“ „Sein Verhalten ist in Ordnung. Das mit den Noten ist halt nicht so toll.“ „Ich weiß nicht, wie es bei Dir war. Ich habe meine Zwischenprüfung mit Gesamtnote 3,8 gemacht, hatte in den Zwischenzeugnissen davor auch meistens 2,3 bis 2,9 und war damit guter Durchschnitt.“
„Du als Harry Potter Fan kannst mich auch Hermine Granger nennen. Ich war die Streberin. Aber ja, Klassenschnitt war bei uns auch 3+ und Zwischenprüfung fast eine Note schlechter. Danach wurden alle besser. Passt also leider mit der Begründung.“
„Also was sagst Du, Ausbildungsleiterin.“ „Du bist in letzter Zeit so freigiebig mit Titeln. Büroleiterin, Ausbildungsleiterin. Das schreit nach Gehaltserhöhung. Nein, ernsthaft. Ich würde spontan sagen, wir versuchen es mit ihm. Wenn er will, hat er es drauf, denke ich. Aber ich würde mir die endgültige Entscheidung lieber für Montag aufheben.“ „Gut, dann sind wir uns einig. Ich sehe das auch so, würde aber auch gerne warten, ob ich es am Montag immer noch so sehe.“

Abends telefonierte ich mit Luke. Er war auf der Fähre und sah gerade vom Oberdeck den Lichtern seines Vaterlandes dabei zu, in der Ferne zu verschwinden. Aber das Gespräch ging nach vorne, sozusagen in Richtung Festland, das er morgen beim Frühstück sehen würde. One more sleep until it’s Christmas – mitten im Sommer…

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