Kapitel 67 – Wieder zu zweit

Diese Woche…
…kauft Julian einen Offizier…
…Luke führt Tischkultur ein…
…und Ricky passt sich der Mehrheit an.

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Samstag, 29.08.2015

Nachdem Julian gestern nur Glückwünsche bekommen hatte, stand heute Party auf dem Programm. Aber beim Frühstück hatte er erst einmal andere Pläne: „Darf ich Dich, bevor Luke nachher kommt, noch nach Soest entführen?“ „Was willst Du in Soest?“ „Ein Auto kaufen. Und das sollte sich vorher jemand anschauen, der was davon versteht.“ „Wieso? Gebraucht?“ „Fast doppelt so alt wie ich. Das sollte mal ein Fahrzeugschlosser gesehen haben.“
„Okay…“ „Was denn?“ „Hätte bei Dir auch mehr auf was modernes, sportliches gesetzt.“ „Nee, ich wollte noch ein bisschen leben und kenne mich. Mit so einer Krawallschachtel wie Timo oder Du sie haben, fahre ich mir früher oder später den Hals ab. Also lieber was gemütliches zum Cruisen.“

„Vorher muss ich aber noch ein Bild aufhängen.“ „Warum? Was für ein Bild?“ Das Bild, das ich von Luke zum 25. bekommen hatte. „Der Künstler zieht nachher hier ein.“ „Aha.“

Also setzten wir uns einen Wandhaken später in meinen Alpina und fuhren nach Soest. Das Objekt der Begierde stand schon auf dem Innenhof eines alten Landguts. „Der da.“ „Ein Opel Admiral? Coole Sache.“ Wir begutachteten das Vehikel, machten eine Probefahrt und die Rückreise trat Julian dann also in seinem Geburtstagsgeschenk zum selber kaufen an.
Der Opel, Baujahr 1976, war so was von fahrendem 70er Jahre Klischee, hatte aber auf jeden Fall Stil. Lack beige, Vinyldach schwarz, braune Ledersitze. Und technisch war er einwandfrei.
Der Besitzer hatte mit fast 80 das Autofahren aufgegeben und verkaufte nun seine Opel-Sammlung. Es hätte auch noch ein Commodore A Coupé, einen GT, ein Kadett B Kiemen-Coupé oder einen Monza A gegeben. Daneben das Alltagsauto, einen Omega V6 der letzten Serie.

Als wir wieder zurückkamen, war es auch schon fast Zeit, dass Luke ankommen musste. Es dauerte noch knapp 20 Minuten, bis er tatsächlich mit einem Fiat Ducato auf den Hof fuhr. Ich ließ Julian und Timo mit den Bierzeltgarnituren alleine, lief zum Lieferwagen und empfing Luke mit einer Umarmung. Dann gingen wir rüber zu den beiden anderen und ich machte die Vorstellungsrunde.

Als Luke die Hecktür aufmachte, traute ich meinen Augen nicht: „What the…?“ Ein Motorrad grinste mich an. „Wollte ich drüben lassen und verkaufen. Habe es aber nicht übers Herz bekommen.“ „Wie hast Du die da rein bekommen?“ „Lattice ramp dran und mit Keith und Tom zu dritt backwards rein geschoben.“ „Das wirft die nächste interessante Frage auf – wie kriegen wir sie da raus? Wir haben hier nämlich keine lange Riffelblech-Rampe.“
Julian hatte mitbekommen, das was nicht nach Plan lief: „Was wo raus?“ „Die GSX-F hier raus.“ „Bei einer Enduro würde ich sagen Blitzstart und raus springen. Aber die Zwiebacksäge? Houston, we’ve got a problem.“ Er ging zu seinem Truck: „Die Dünenbleche sind zu kurz, oder?“ „Ja. Wir räumen erst mal den Rest raus. Vielleicht kommt uns die Erleuchtung dabei. Wenn Mahad und Vinni nicht schon zu hätten, würde ich da fragen.“

Die Idee kam noch nicht, während wir Kisten nach oben oder zumindest auf die Werkbank neben dem Stralis packten. Dabei fiel mir mit einer Teakholz-Platte die nächste Ungereimtheit im Umzugsgepäck auf.

Luke fiel dafür oben das Bild auf. Ich merkte, dass ihn das sehr bewegte. „Du hast es noch. Aber bestimmt nicht immer hängen?“ Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Er hatte damals dieses Bild bestimmt mit viel Liebe gesprayt, nachdem unser erster und einziger richtiger Streit bis zur Trennung 3 Jahre später vorbei war. Die dunklen Wolken waren noch am Himmel, aber der Vordergrund war eine typische walisische Küstenstadt in praller Sonne, unter einem Regenbogen. „Nein. So ehrlich muss ich sein. Aber es war immer sicher eingelagert. Und heute passt es noch besser zu uns als damals, wo Du es mir geschenkt hast.“

„So, und jetzt zum Motorrad. Auch wenn mir die zündende Idee fehlt.“ „I thought I just arrived in the land of engineering.“ „Well, the trouble is that no one around here actually has an engineering degree. Warum rede ich eigentlich englisch? Du musst dieses mal deutsch reden.“ „So gut ich kann.“
Mit insgesamt 4 Mann, Hallenkran, einer Schlaufe, ein Bisschen Muskelkraft und den Radbremsen vom Motorrad schafften wir es, doch noch, der Suzuki in einer abenteuerlichen Aktion den Betonboden unter die Räder zu bringen ohne dabei die Verkleidung einzudrücken oder abzureißen.

Danach mussten Luke und ich erst mal nach Essen, wo die nächste Station der Autovermietung war, die einen One-Way aus Großbritannien annehmen konnte. Wenigstens nicht Düsseldorf oder Köln. Die Kommentare des Annahmeteams zu einem Rechtslenker waren natürlich trotzdem nicht druckreif.

Bis die anderen kamen, wollten wir noch den Truck einräumen. Mir fielen als erstes zwei kleine, schwarze Kästchen auf. „Was ist denn da drin?“ „Mach auf.“ „Und was ist das?“ „Ist es so schlecht um Deine Teekultur? Das ist Porzellangeschirr.“ Das hatte ich schon erkannt. Zwei Teller, zwei Tassen und zwei Untertassen waren mit Schaumstoff geschützt im ersten Kästchen untergebracht. Ich warf einen Blick unter einen der Teller. Grindley of Staffordshire, handbemalt und heute einiges wert.

„Wo hast Du die denn her?“ „Von meinen Großeltern geerbt. Haben sie zum Silver Anniversary bekommen. Sind nur leider über den Jahren je eine Tasse, ein Teller und zwei Saucer kaputt gegangen inzwischen. Aber in einem Kiste oben in der Wohnung ich habe noch mal mindestens zwei von jedem.“ Im zweiten Kästchen waren erwartungsgemäß eine Teekanne, ein Teesieb und ein Stövchen.
„Jetzt weiß ich auch, was Du mit dem Campingtisch aus Teakholz vor hast. Wenigstens hast Du nicht auch noch passende Stühle dabei.“ „Hast Du denn einen Tisch?“ „Ja. Aber ich denke, Plastikplatte ist Dir wieder zu unbritisch. Aber denk dran, dass der Truck ein Bisschen kleiner ist als der Volvo und wir zu zweit da rein passen müssen.“
Mit einem Schmunzeln räumte ich meinen Plastiktisch aus dem LKW und ließ ihn seinen Tisch rein räumen. Die Platte war ein paar Millimeter dicker, das Gestell aber auch nur Metallrohre. Es war mir ja schon vorher klar, wen ich mir da ins Haus holte. Wir bekamen irgendwie auch alles im LKW unter.
Dass man einiges abends vom Bett auf die Sitze und morgens zurück räumen durfte, war halt so. Und es war ja nicht das erste mal, dass ich den Stralis mit einem zweiten Mann fuhr. Das Thema Mercedes hatte sich scheinbar erledigt, Renault und MAN kamen auch nicht voran und DAF war bei der Vorprüfung durchgefallen. Das waren so weit die Modelle, bei denen man den Hauch einer Chance hatte, den Kram für eine Doppelbesatzung irgendwie in den Fächern unterzukriegen. Allerdings auch nur ohne Extravaganzen wie Teegeschirr und Teakholztisch. Uns würde das nie erspart bleiben.

Und dann stand die nächste Überraschung auf dem Hof. Sie war 22 und weiblich. „Ricky, Luke? Das ist meine Freundin Celia.“ Also war Julian inzwischen auch verbandelt? „Servus.“ Aha, die gute war also aus den Südstaaten.
Ihr Vater war Münchner, ihre Mutter aus Mailand. Sie war in Deutschland aufgewachsen und die beiden hatten sich kennen gelernt, als Julian im Frühling ein langes Wochenende in München gemacht hatte. Nachdem sie sich in den letzten 4 Monaten mehr und mehr verliebt hatten und inzwischen ein Paar waren, wollte Julian sie nun im Freundeskreis vorstellen.
Sie war freie Journalistin wie ihre Mutter. Allerdings hatte sie sich auf Reisen und Kultur verlegt anstatt wie die Mutter auf Wirtschaft. Insofern konnte sie, wenn Julian irgendwo draußen Wochenende hatte, auch mal dort hin fliegen, schrieb dann einfach einen Artikel über die Gegend, die lokale Küche oder wenn eine Veranstaltung dort war auch darüber und rechnete die Reise hinterher dienstlich ab.

Nach und nach trudelte der Rest der Belegschaft ein. Zeit für den Partymodus. Dominik mussten wir versprechen, uns zu melden, wenn mal einer von uns in den Raum Jönköping kam. Wenn er dann in der Gegend war, könnten wir ihn wieder sehen. Für Wochenendpausen in Schweden oder einen Urlaub hatte sein Onkel außerdem ein Ferienhaus in einem kleinen Dorf am Vätternsee zu vermieten, wenn es nicht gerade belegt war.
Ein Thema für die Firma besprach ich trotzdem auf der Bierzeltgarnitur. Julian hatte schon abgesagt, für Luke und mich machte es keinen Sinn. Ich hörte mal bei Ilarion und Timo nach, ob sie für meinen neuen Plan zu haben waren, aber beide lehnten ab. Ilarion war es zu riskant und Timo wollte nicht dauernd in die gleiche Richtung fahren.


Montag, 31.08.2015

Nachdem sich Luke am Sonntag häuslich eingerichtet hatte, stand heute noch einiges an Bürokratie auf dem Programm, damit er auch morgen anfangen konnte zu arbeiten. Los ging es mit dem Einwohnermeldeamt, danach waren noch Krankenkasse und Bank auf der Liste.
Wo wir schon mal da waren, ließ ich mir gleich von Dennis die derzeitigen Finanzen der Firma neu durchrechnen, unter Berücksichtigung unserer neuen Pläne. Zwei LKW waren da durchaus im Bereich des möglichen.
Auf dem Weg zurück nach Hause legte ich noch schnell einen Stopp bei Mahad ein, um ihn mal zu fragen, was er denn zu unserem neuen Plan beizutragen hatte. Es gab durchaus einige Möglichkeiten, mit relativ einfachen Mitteln die gängigen Risiken zu minimieren. Nicht unbedingt alles garantiert „TÜV-ig“, aber andererseits auch nicht explizit verboten.
Und wo wir schon mal da waren, es gab ja noch die Prägemaschine. „Machst Du ihm noch ein Schild?“ „Was für ein Name kommt drauf?“ „Luke.“ „Nein, bitte nicht! Ich habe eins mit mir gebracht, da steht Lucas drauf und das bleibt so.“ „Warum nicht Dein Spitzname?“ „Sonst hält sich jeder zweite Idiot die Hände vor den Mund, nimmt zweimal tief Atem und sagt mit rauer Stimme: „Ich bin Dein Vater!“

In der Firma musste dann wirklich mal so langsam der Arbeitsvertrag folgen. Luke las ihn durch und unterschrieb dann. „Lucas Jacob Leighton. Da waren wir aber ganz genau.“ Julian kicherte. „Dann musst Du jetzt ja mit Eric-Simon Kaiser unterschreiben.“ „Habe ich Dich um Deine Meinung gefragt, Julian-Emeric Franke?“ So schnell war Ruhe im Karton, schön, dass man fürs Handelsregister komplette Namen brauchte.

Mit Julian-Emeric und Marlon-Benoît, um den auch noch komplett ins Protokoll zu bringen, gab es dann einen kleinen Kriegsrat zum Zwischenstand meiner Idee. Zwei LKW zu kaufen war im Plan. Einen für Luke und mich und einen, der dem neuen Einsatz gerecht wurde. Unser aktueller Iveco tat das sowieso schon und wurde dann ja auch frei.
Den einen Trailer würden wir per Anfrage quasi blind kaufen. Für den anderen nach Angebot zusehen, kurzfristig den Favoriten zu bekommen und mal zu testen. Ilarion hatte die meiste Erfahrung mit so was und sein LKW war auf der Teststrecke auch geeignet. Allerdings riet er mir von Krone generell ab, egal mit welchem Aufbau. Deren Liftachsen führten ein ziemlich starrköpfiges Eigenleben. Und weil es im Zielgebiet gerne mal auf Zentimeter ankam, war es schlecht, wenn der Trailer eigenmächtig den Wendekreis vergrößerte.
Julian dackelte mit H-Kennzeichen unterm Arm in die Halle und wollte die wohl noch schnell an sein Auto basteln. Ich schickte dafür gerade noch ein paar Anfragen an Trailerhersteller raus.

Julian und Marlon machten sich dann mit ihren Trucks auf den Weg, Luke sollte ein paar Sachen im System von Judith gezeigt bekommen, die er brauchte, wenn er mal alleine unterwegs sein würde oder ich ihm die Bürokratie abgeben wollte, um selber zu fahren. Ansonsten gab es einen dicken Stapel mit den gesammelten Ausgaben vom Fernfahrer, mit denen er sich beschäftigen könnte. Und ich hatte noch zwei Außentermine für heute.
Erste Station war Scania. Auch hier gab es die Wunschliste von Zugmaschinenkombinationen und im Gegenzug die Preisliste und das Versprechen, einen Rabattsatz zu senden. Weil jetzt sowieso nur noch die mit dem bekifften Armaturenbrett fehlten, zog ich gleich noch spontan und ungeplant die Schleife und ließ mir auch bei DAF was kalkulieren. Man musste ja da nicht kaufen. Hauptsache ich wusste mal, was die aufrufen. Und wenn wir doch da kauften, musste ich es ja nicht fahren. Okay, MAN fehlte auch noch, aber dass deren Lieferzeit für die Katz war, wusste ich ja.

Danach stand Firma Papke in Witten auf der Liste. Hier besichtigte ich die LKW, die auf dem Hof standen. Die Actros MP3 waren reichlich heruntergewirtschaftet und MP4 hatten es erst gar nicht in die Flotte geschafft. Die Scanias waren noch etwas moderner. Die meisten hatten EEV, ein einsamer Euro 6 war auch dazwischen.
Der Insolvenzverwalter, der bestimmt keine Ahnung von LKW hatte, pries die Dinger an. Überteuert waren sie laut Liste alle, aber seine Aufgabe war es ja auch, so viel Geld wie möglich raus zu holen. „Ich bin auf dem Gelände bei anderen Interessenten. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie bitte kurz auf dem Handy durch.“ Da ging er hin, der Abwickler vom Dienst.
Als ich um die Scanias herum krabbelte, sprach mich ein Unikat an. Etwas über schulterlange Haare im Übergang von braun nach weißgrau, dichter Vollbart, Nickelbrille. „Hallo, ick bin Rolf Degenhardt.“ „Eric Kaiser. Hallo.“ „Un, wie jefallen se Dir?“ Er war also ein direkter Typ. Der Aussprache nach hatte er wohl die meiste Zeit seines Lebens in Berlin zugebracht. „Na ja. Alles, was hier über 3 Jahre gelaufen ist, sieht mir mehr nach Verbrauchtwagen aus.“ Er sah sich vorsichtig um: „Völlig überteuert. Die Dinger haben alle Wartungsrückstand.“ Interessante Information. „Warum erzählst Du mir das? Nicht gerade loyal gegenüber dem Arbeitgeber.“
„Mein Arbeitgeber ist sowieso verloren. Weil dieser Blödmann von Verwalter sich auch nicht loyal der Firma gegenüber verhalten hat. Der wollte hier doch von Anfang an nur abwickeln. Da hat er mehr von als uns zu retten. Warum soll ich ihm dann den Gefallen tun, auch noch diese Schrotthaufen anzupreisen? Die schon bestellten und angezahlten Scanias hat er nicht mehr abgenommen. Weil der Wertverlust durch die Auslieferung größer wäre als die verlorene Anzahlung. Dass wir dann mit neuen Fahrzeugen und weniger Ausfalltagen in der Flotte wieder mehr Umsatz hätten machen können, war wohl egal. Hat sogar die neuen Mercedes, die wir hatten, verkauft, damit noch weniger Geld rein kommt.“
Das war seine Sicht. Wobei die Firma bei D&B sogar kurz vor der Insolvenzanmeldung nicht so schlecht weggekommen war und ich in der Tat MP4 gesehen hatte, von denen jetzt keine Spur mehr auf dem Gelände zu finden war. Vielleicht war was dran. „Man hätte uns auch sanieren und mit einem zweiten Standbein neu ausrichten können, um die fehlende Stahlproduktion im Ruhrgebiet auszugleichen. Jetzt stehen hier 80 Leute auf der Straße und einer macht sich die Taschen voll.“
„79. Bin an einem Azubi dran.“ „Ach, wer denn?“ „André Marszalek, ein Kaufmann.“ „Schön. Den mag ich. Der macht die Lehre nicht, weil Logistik gerade in ist, sondern weil es ihm Spaß macht, glaub ich. Touren planen, Lagerplätze verwalten, Schichtpläne schreiben. Das ist genau dem sein Ding.“
„Weißt Du denn schon, wie es für Dich weiter geht? Ich suche gerade zwei Fahrer.“ „Wofür?“ Ich erklärte es ihm kurz. „Nee. Vor 20 Jahren hätte ich das gemacht. Da bin ich Osteuropa gefahren. Das war auch Psychoterror an der Grenze. Aber heute mache ich so was nicht mehr. Von denen, die hier fahren, würde ich auch keinen dafür nehmen, die es machen würden. Und keiner würde es machen, den ich empfehlen kann. Als zweiter Verkehrsmeister kenne ich die Jungs schließlich alle.“
Schade eigentlich. Ich würde ihn wahrscheinlich sofort nehmen. Ein bisschen redselig vielleicht, aber ansonsten würde er sich, auch wenn er bei unserer stark besetzten U23 den Firmen-Opa geben würde, bei uns wohl gut ins Team einfügen. Ich verabschiedete mich von ihm und ging vor die Halle, wo mir der Insolvenzverwalter in die Arme lief.
„Und?“ „Der eine oder andere Scania ist schon interessant. Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich interessiert bin. Habe aber gerade auch ein paar Anfragen für Neufahrzeuge laufen und noch keine Angebote.“ Lieber mal Interesse heucheln. Wenn er mitbekommen hatte, dass ich mit Rolf gesprochen hatte, würde ich den unterschwellig in die Pfanne hauen, wenn ich jetzt vor den auf Hochglanz polierten Blendern abdrehte. Auch wenn mir als ausgebildetem Fahrzeugschlosser schon aufgefallen war, dass da manches nicht mehr ganz so glänzend war wie der aufbereitete Lack.

Wieder im Büro sprach ich kurz mit Judith über André. Mit der Information waren wir uns auf jeden Fall einig, dass wir ihn übernehmen sollten. Denn Judith war mehr die Frau fürs Geld – Rechnungen, Buchhaltung, Zahlungseingänge prüfen.
Wenn André ihr dann, wann immer es möglich war, die Dispo abnehmen durfte, die ihm wohl so viel Spaß machte, hatten wir schon mal einen auch für den Ausbildungsstoff motivierten Azubi. Judith musste den Teil, den sie weniger mochte, nur noch kontrollieren. Und am Ende seiner Ausbildung bildeten die zwei ein Team, das sich von den Aufgaben ideal ergänzte.

Ich ging in mein Büro, formulierte einen Ausbildungsvertrag für André und eine Stellenanzeige für zwei Fahrer. Weil ich den Knackpunkt gleich mit rein schrieb, um uns Arbeit mit Bewerbern zu ersparen, die das am Ende sowieso nicht machen wollten, war ich selber gespannt, wer sich da wohl melden würde.

Am Abend hatten Luke und ich sturmfreie Bude, also eine gute Gelegenheit, es uns auf dem Sofa gemütlich zu machen.


Dienstag, 01.09.2015

Das Wetter wollte, dass Luke sich wie zu Hause fühlte. Leider hatte ich angeboten, den ihm unbekannten LKW als erster zu fahren. Also bekam ich auch die Dusche, als wir in Gelsenkirchen Spülflüssigkeit für Offshore-Bohrsysteme aufsattelten. Das Zeug wurde wohl gebraucht, um irgendwelche Windräder vor der Küste von Marseille ins Mittelmeer zu stellen. Ich konnte die Dinger nicht leiden. Die schöne Berglandschaft meiner Kindheit sah mittlerweile aus wie ein Ventilatorengroßhandel und das gleiche blühte nun der Mittelmeerküste.

Bei Koblenz machten wir Fahrerwechsel. Hier vermisste Luke vor allem etwas Langes mit abgerundetem Ende: „So dann mal Automatik fahren. Bist Du Fahrer oder bedienst Du einen Roboter?“ „Ja, ich wollte den nächsten auch wieder handgeschaltet bestellen.“ Sein freches Mundwerk hatte er also nicht abgelegt.

Luke hatte fast 13 Jahre Erfahrung mit 40-Tonnern, davon über 8 mit Flüssigtransporten. Also war ich entsprechend entspannt, während er fuhr. Bei Straßburg war seine Fahrzeit zu Ende. Nun kam sein großer Auftritt. Er baute den Klapptisch auf, packte das Porzellangeschirr aus, kochte Tee und zauberte auch noch eine Packung schottische Shortbreads hervor.
Im Trubel des Gewerbegebiets am Autobahnzubringer saßen wir in unserem Mikrokosmos britischer Gelassenheit bei Tee und Keksen, ließen die Welt um uns herum brausen und kamen zur Ruhe. Ich hatte in der Vergangenheit wirklich dauernd unter Strom gestanden und dabei den Blick aufs Wesentliche verloren – auf mich selbst. Nach etwas über einer halben Stunde kippten wir die Krümel von den Tellern, spülten die Tassen aus dem Wasserkanister – Teekannen zu spülen war bei Luke quasi mit Todesstrafe belegt – und packten den Tisch und die Campingstühle weg. Danach fuhr ich weiter.

In der Schweiz dann probierte mal wieder ein Kollege das Lieblingsspiel. DAF mit 410 PS, Anlauf, vorbei, knapp einscheren und rumms – unser Abstandsradar ging in die Eisen. „Meine Fresse. Wenn Ihr es nicht vorbei schafft, bleibt einfach dahinter!“ Luke machte einen langen Hals aufs Armaturenbrett: „Wenn Du nur 80 fährst. Wenn Du 82, 83 fährst, setzen die nicht mehr an. Und wenn doch, dann nimmst Du kurz 3 oder 4 km/h weg und ziehst wieder, wenn sie nicht mehr so dicht vor sind.“
„Kennst Du die Strafen in der Schweiz?“
„Keine Falle geht bei 82 oder 84 off.“ „Und wir haben bei einem Fahrsicherheitstraining gelernt, wie gefährlich ein bisschen schneller ist. Wir fahren nur so schnell wie erlaubt.“ „Never ever!“ „Klar! Ich kenne meine Leute doch besser als Du!“ „Ums Abendessen!“ Er hielt die Hand rüber. „Sind wir nach drei Tagen schon wieder an dem Punkt angekommen?“ Ich musste grinsen. „Wieso? Keiner soll dieses Mal im January in die Irish Sea springen oder so. Ums Abendessen!“ Ich schlug ein. Siegessicher. Auf Ilarion und vermutlich auch Marlon war Verlass in dieser Sache.

Ich stellte den LKW ab und bevor wir ins Rasthaus gingen, galt es die Frage zu klären, wer zahlen musste. Natürlich machte ich die Sache spannend, ging ins GPS und suchte Autobahnabschnitte raus in Ländern, wo 80 erlaubt waren. Julian fuhr 83 bis 85. Das war mir aber klar, dass der wieder etwas höher gegangen war. So war er eben. Timo spielte in der gleichen Liga, auch das überraschte mich nicht wirklich. „Ob es hier Filetsteak gibt?“
Also rief ich Marlons GPS-Route auf. Bei ihm war es schon ein kleines Kunststück, mal freie Fahrt zu finden. Aber auch er fuhr ja doch regelmäßig nach Bremen oder Ludwigshafen und zurück oder auch mal zu den Talke-Depots in Grimmen, Schwarzheide oder Münchsmünster mit Außenübernachtung. Da trieb er seinen Premium dann aber auch auf 83. Langsam wurde es doch spannend. Also meine Trumpfkarte Ilarion aufgerufen.
„Bitte kein Filetsteak!“ Es durfte nicht wahr sein. Auch Ilarion brachte mit Gefahrgut 82 und mit Trockengut 84 km/h auf den Asphalt. War ich echt der einzige in dem Laden, der sich auf das km/h genau an die Grenze gehalten hatte?
Und zumindest gab es Rumpsteak. Also Zähne zusammenkneifen und „berappen“, auch wenn vor den Rappen auf der Rechnung noch reichlich Franken standen.


Mittwoch, 02.09.2015

Ich war gestern den Schluss gefahren, also war heute als erstes Luke dran. Deshalb konnte ich heute mal den Blick auf den Lac Neuchatel genießen. Bisher war ich hier immer nur als Fahrer vorbei gekommen.

Nachdem ich Luke auf die Telepeage-Spur geschickt hatte, war auch den Franzosen bekannt, dass unser Iveco mal wieder im Lande und auf dessen Autobahnen unterwegs war.

Ich holte mir, eine Zeit nachdem ich das Steuer übernommen hatte, während der Fahrt ein Twix aus dem Kühlschrank. Luke fiel dabei wohl etwas auf. „Da merkt man, dass Iveco in warmen Ländern fährt?“ „Wieso?“ „Sie denken nach, bevor sie einen Kühlschrank bauen. Volvo nicht.“ „Warum das? Mir war am Volvo-Kühlschrank nichts aufgefallen. Hatte einen Testwagen.“
„War das Wetter da warm?“
„Richtig heiß.“ „Dann hattest Du die Flasche immer im Kühlschrank?“ „Ja.“ Ich musste ein Bisschen über seine Aussprache grinsen. Er hatte wirklich schnell wieder passables Deutsch drauf. Wenn ihm das deutsche Wort nicht einfiel oder er überrascht war, kam gerne mal das englische, aber das war für mich auch kein Problem. Aber sein „Kühlschrank“ hörte sich immer so niedlich nach „Coolschränk“ an.
„Dann hast Du es nicht gemerkt. Aber wie nimmst Du hier einen Schokoriegel aus dem Kühlschrank, wenn Du die Flasche nicht drin hast?“
„Wie eben. Kühlschranktür auf, Schokoriegel raus, Kühlschrantür zu.“ „Ja. Weil der Flaschenhalter da vorne ist. Bei Volvo ist das etwas komplizierter.
Der erste Schritt ist schon wichtig. Wenn Du Luke Leighton heißt, nimmst Du die Flasche aus dem Halter, klemmst sie zwischen die Beine und klappst den Flaschenhalter hoch bevor Du den Kühlschrank auf machst. Wenn Du Keith Norton heißt, machst Du den Kühlschrank auf, startest Swearing und bestellst einen neuen Flaschenhalter. Der alte ist gerade an der Centre Console zerbrochen.
Dann suchst Du nach dem Schokoriegel und weil es keinen Lock gibt, der den Kühlschrank auf hält, fängst Du wieder mit Swearing an, wenn Dir die Tür auf die Hand gerollt ist.
Wenn Du nach der dritten eingeklemmten Hand den Schokoriegel gefunden hast, stellst Du fest, dass Dir von der Flasche, die bis vor 5 Minuten auch noch im Kühlschrank war, die Balls abgefroren sind.
Wenn die Tür wieder zu ist, klappe ich den Halter wieder runter und stelle die Flasche rein. Keith crumpelt sie unten so weit zusammen, dass er sie in den Halter für den Kaffeebecher stopfen kann, weil er keinen Flaschenhalter mehr an der Kühlschranktür hat.“

Vor meinem inneren Auge stellte ich mir den Kampf Keith gegen Kühlschrank vor. Auf der schnurgeraden Autobahn war auch herzhaftes Lachen kein großes Sicherheitsrisiko.

Heute gab es mal Spezialprogramm. Ich sattelte die Bohrflüssigkeit bei Comex ab und dann fuhren wir mit einem leeren Trailer in ein Gewerbegebiet und sattelten den da auf dem Platz wieder ab. Judith schickte mir eine Nachricht, dass es noch knapp 40 Minuten dauern würde, also war wieder Teatime. Nachdem mir gestern mehr der Mund offen stehen geblieben war, half ich heute bei den Vorbereitungen mit.

Der Spanier von Global-Talke, der schließlich unsere Teepause beendete, musste grinsen, als er uns da so sitzen sah. Wir sollten seinen Trailer nach Brüssel bringen und er nahm den leeren mit nach Genua, füllte den da auf und fuhr dann beladen zurück nach Tarragona.

Nach kurzer Zeit mussten wir einen Tankstopp einlegen. Wir standen mit 580 Litern vielleicht öfter, aber dafür nicht wie der Kollege von DB Schenker mit dem zur Zeit hängerlosen Hängerzug für 30 Minuten, bis die maximal großen Tanks voll waren, die nur dran gepasst hatten.

Während Luke fuhr, las ich mir die eingegangen Angebote und einige andere dienstliche Mails durch. Dann führte ich ein Telefongespräch in Sachen Trailer.

Dank Stau war der nächste Fahrerwechsel eine schnelle Aktion an einer roten Ampel in Lyon. Inzwischen wurde es gegen 20 Uhr schon wieder dunkel. Also fuhren wir in der Dämmerung aus der Stadt raus in Richtung Metz.

Diese Stadt erreichten wir heute aber nicht mehr ganz.


Donnerstag, 03.09.2015

Als erstes schickte ich mal Patrick per Whatsapp „Ilarion Brankovic, BO-IT 520“ und dessen Handynummer. Das musste er für kommende Woche ja wissen. Dann schob ich noch hinterher: „Deinen Trailer brauchen wir nicht.“ Jetzt würde ich gerne sein Gesicht mit dem dicken Fragezeichen auf der Stirn sehen.

Mit einer unspektakulären Fahrt erreichten wir nach 6 Stunden und einem Fahrerwechsel Brüssel. Und ich stellte den Tempomat jetzt auch trotz Gefahrgut auf 82. Die Anschlussfracht war für Linde in Bochum bestimmt. Es würde wohl schon später Abend sein, wenn wir dort anlieferten, aber dafür waren wir dann auch nach 3 Tagen wieder zu Hause. Dabei hatten wir Strecke gemacht, für die ich alleine die kompletten 5 Tage einer Woche gebraucht hätte.

In der Tat war es viertel nach 10, als wir zu Hause angekommen waren. Wir gingen rauf in die Wohnung, schoben uns noch Pizza in den Ofen und gingen früh ins Bett. Unter der Woche und auf sehr belebten Rastplätzen hatten wir uns die „Herberge zur wippenden Kabine“ verkniffen
.


Freitag, 04.09.2015

Inzwischen waren alle Rabatte oder Preise für LKW da. MAN und Renault waren nicht gefragt. Mercedes hatte hohe Qualität zu hohen Preisen bei hohen Lieferzeiten. Auch indiskutabel.
Also blieben Iveco mit niedrigen Preisen, mäßigem Platz, tollen Motoren und einem modernen Design, bei dem man genau suchen musste, um das wahre Alter der Hütte zu entdecken. DAF hatte auch relativ niedrige Preise, viel Platz, aber das sehr gewöhnungsbedürftige Armaturenbrett, eine schmale Motorenpalette und ein 30 Jahre altes Fahrerhaus, das dank halbherziger Facelifts inzwischen aussah wie eine alternde Diva nach Botox-Therapie. Volvo kostete reichlich mehr, aber bot einen Truck mit den richtigen Motoren für jeden Zweck, nicht wirklich viel Platz, aber auch nicht zu wenig, gute Qualität – bis auf die Kühlschranktür – und ein scharfes Design. Scania hatte ein unverschämt gutes Image, unverschämt hohe Qualität, unverschämt geile Motoren, unverschämt kleine Betten und ein unverschämt großes Preisschild. Lieferzeiten waren von allen Herstellern die längsten, die man noch verkraften konnte.
Ich wog Preis-Leistungs-Verhältnisse ab, bis nur noch 2 Hersteller übrig waren. Dann fragte ich Luke nach seiner Meinung, welchen davon wir in Zukunft fahren wollten.
Außerdem schwebte mir vor, das Corporate Design für die „speziellen“ Trucks aufzuweichen, die von den Fahrern gefahren wurden, die in Zukunft auch wieder mehrere Wochen draußen bleiben sollten. Lediglich unten rot, oben blau und Deko in weiß und wenn möglich gelb waren auch weiter vorgegeben, aber beim genauen Dekor durfte es etwas lockerer zugehen.
Luke war einverstanden, sich dann um die Gestaltung im British Style zu kümmern, also würde ich unseren neuen einfach komplett in Talke-Blau bestellen und den Rest ihm überlassen.

Als nächstes studierte ich die drei schon eingegangenen Bewerbungen für die Fahrer, beschloss aber, dass wir noch warten sollten. Judith sollte dann wie immer die Bewerbungen scannen und mir ins System einspielen. Die Einladungen sollten wir dann für unseren nächsten Zwischenstopp in Bochum einplanen.

Nachdem es im Büro nichts mehr zu tun gab, fuhr ich los, um ein paar Fahrzeuge zu bestellen. Außerdem erweiterte ich auf dem Straßenverkehrsamt in Anbetracht unserer mittel- und langfristigen Pläne mal unseren Nummernschilderblock. Mit 30 könnte doch schneller eng werden als gedacht.

Als ich wieder zurückkam, war Ilarion gerade dabei, seinen Truck auszusaugen. Oben hämmerte Timo seine Wochenspesen in den PC. Ich ging in mein Büro.
Nach ein paar Minuten standen die beiden in der Tür: „Ricky, können wir beide Dich mal kurz sprechen?“ „Klar.“ Kam jetzt die Auflösung, worum die beiden sich kürzlich in den Haaren gelegen hatten?
„Wir würden gerne als Zweierteam fahren, wenn Du nichts dagegen hast.“
„Hm. Wieso das?“ „In einer Woche kommt man nicht weit genug. Ich habe Dir doch gesagt, dass mich das nervt. Zu zweit haben wir die Chance, auch mal wieder nach Spanien oder auf den Balkan zu kommen. Ilarion würde auch mal wieder gerne weiter weg kommen.“ Timo gab mir hier eindeutig zu sehr den Wortführer.
„Habt Ihr Euch das auch gut überlegt?“ „Ja, warum?“ „Ihr seid dann 5 Tage in der Woche in 10 Kubikmetern Doppelzelle zusammengepfercht. Da kann man sich tierisch auf die Nerven gehen. Ihr habt jeder nur wenig Platz, Ihr gebt Eure Intimsphäre hier im Büro ab, wenn Ihr am Montagmorgen den Schlüssel abholt und bekommt sie erst am Freitag wieder ausgehändigt, wenn Ihr zurück seid. Ihr werdet, krass gesagt, Euch untereinander näher sein als mit Euren Freundinnen.“
Ilarion schabbelte unruhig auf seinem Stuhl rum. Weil er bisher noch nichts gesagt hatte, sprach ich ihn direkt an: „Und Du sagst gar nichts? Willst Du das auch wirklich?“ „Ja.“ Er sah dabei so aus, als würde er mit sich ringen. „Du machst ehrlich gesagt nicht den Eindruck.“ „Doch. Wenn ich nicht will, sage ich nein. Timo hat mich das ja schon vor ein paar Wochen das erste Mal gefragt und ich habe abgelehnt, als ich nicht wollte. Bin gerade ein Bisschen durch den Wind, aber das hat nichts mit der Entscheidung zu tun, zu zweit zu fahren.“
„Wenn Ihr Euch sicher seid, habe ich da keine Probleme mit. Kommende Woche seid Ihr einzeln verplant, danach von mir aus gerne. Allerdings wäre die Nachricht bis gestern besser gewesen.“ „Warum?“ „Ich habe heute Nachmittag zwei LKW bestellt. Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr zu zweit fahren wollt, hätte ich das berücksichtigen können und dafür den zweiten genommen. Dreiachser ist Pflicht. Jetzt habt Ihr also die Wahl zwischen Timos MAN XXL und wenig Wohnraum oder unserem Stralis Hi-Way und wenig Stauraum, wenn der in ein paar Wochen frei wird. Für zwei sind beide nicht optimal. Ich weiß noch nicht, wann wir den nächsten Truck kaufen, aber dann seid Ihr natürlich dran.“
Damit, eine Zweimannbesatzung unterbekommen zu müssen, hatte ich nicht wirklich gerechnet.


Dafür gab es dann jetzt auch noch einen weiteren LKW zu besetzen. Und da fiel mir doch glatt jemand für ein, den ich dann mal anrufen wollte. „Papke Stahltransporte Witten, guten Tag.“ „Eric Kaiser, guten Tag. Ist Herr Degenhardt zu sprechen?“ „Moment, ich verbinde.“ „Rolf Degenhardt?“ „Eric Kaiser. Hallo. Wir haben am Montag gesprochen, bei den Scanias.“ „Ach ja. Hallo.“ Im Hintergrund ratterte ein Druckluftschrauber. „Moment, ich gehe mal aus der Werkstatt. Einer von den Jungs hat sich den Reifen aufgerissen.“
„So, jetzt ist es leise.“
„Können wir noch mal über eine andere Stelle sprechen? Die bleibt diesmal in Deutschland und den Nachbarländern. Aber hast Du ADR?“ „Ja. Wir hatten zwei Züge mit Beize, Alkalisierungslösung und so einem Zeug laufen.“ „Wenn Du Lust und Zeit hast, können wir uns morgen früh mal zusammensetzen.“ „Okay, wann?“ „Halb 10?“ „Gut, ich bin da. Wo?“ „Coloniastraße 30, Bochum-Langendreer.“ Ich gab ihm noch die Nummer vom Firmenhandy.


Samstag, 05.09.2015

Pünktlich um halb 10 fuhr Rolf mit seinem Youngtimer auf den Hof, er hatte einen Peugeot 309, also das Auto auch schon älter als der eine oder andere Mitarbeiter hier.
Rolf war 54 Jahre alt und in Hamburg geboren. Aus Rebellion gegen seinen Vater, einen Marineoffizier, hatte er sich für eine Ausbildung zum Fahrzeugelektriker bei der Waggon Union in Berlin beworben und war genommen worden. Der Vater hatte zu seinem Glück trotzdem zugestimmt.
Mit 16 Jahren zog er in die eingemauerte Stadt in eine betreute Wohneinrichtung und machte seine Lehre. Dadurch war er auch die Bundeswehr los, der eigentliche Sinn der Übung. Denn wer vor dem 17. Geburtstag nach Berlin gezogen war, flog automatisch aus der Musterungsliste.
Mit 22 machte er eine Umschulung zum Berufskraftfahrer, wechselte vom Lieferanten zum Kunden und fuhr die berühmten Doppeldecker-Busse im Linienverkehr. Nach der Wiedervereinigung tauschte er den Bus gegen den LKW, machte 1996 seinen Meister und vor 10 Jahren hatte er genug von Berlin sowie seiner Frau und zog frisch geschieden ins Ruhrgebiet.
In den mittlerweile knapp 25 Jahren als LKW-Fahrer war er von Berlin Fernverkehr nach Osteuropa bis ins westliche Russland gefahren, später nationalen Fernverkehr. Zuletzt im Ruhrgebiet waren es vor allem Tages- und Zweitagestouren.

„Bei uns würdest Du Wochentouren, überwiegend im Auftrag von Alfred Talke, fahren. Also Montag raus, Freitag zurück.“ „Okay. Ich habe hier keine Familie, bin geschieden. Wenn meine Tochter einmal im Monat aus Berlin zu Besuch kommt, hätte ich aber gerne Freitags frei. Meine Ex-Frau setzt sie nach der Schule in den Flieger und sie landet meistens nachmittags gegen 5 in Düsseldorf. Bei Papke habe ich das ausgeglichen, indem ich dann die Woche vorher Samstag gefahren bin. Kurzes Wochenende und dafür langes mit meiner Tochter. Und Urlaub in den Berliner Schulferien.“ „Das wäre kein Problem, einfach rechtzeitig in der Dispo bescheid sagen.“
„Es ist allerdings keine Meisterstelle. Aktuell sehe ich da auch noch keinen Bedarf für. Das kann aber in einem halben Jahr schon anders aussehen.“ „Macht nichts. Mit über 50 muss man ja schon froh sein, wenn man überhaupt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommt, ohne sich beworben zu haben. Meistens ist es anders rum. Man bewirbt sich und wird nicht eingeladen.“
Dann stellte ich ihm unsere Firma vor. Wer wir waren, was wir machten, dass er doppelt so alt wie die drei jüngsten hier war. Wie erwartet störte ihn das nicht. Ich erwartete auch, dass er gut in die Gruppe finden würde.
Auch dass ihn ein Renault Magnum erwartete, war ihm egal: „Was ich schon alles für Dinger unterm Hintern hatte. DAF 3300, MAN F90 und F2000, der erste Mercedes Actros, das Kackding. Alle drei Varianten vom Volvo FH mit der Classic Hütte, Scania Serie 3 bis 5. Ich fahre mit allem, was Du mir hin stellst. Hauptsache das Ding ist fit.“
Wir sprachen noch übers Gehalt und da schien er von unserem Standardlohn ziemlich angetan. „Also ich würd’s machen.“ „Na dann willkommen bei KFL Intertrans.“ Ich verabschiedete ihn mit Handschlag.
Der Vertrag sollte Montag auf die Reise gehen, anfangen würde er zusammen mit André am 19. Oktober. Als Verkehrsmeister musste er bis zum Schluss bei Papke bleiben und dabei helfen „das Licht aus zu machen.“ Und damit war nun wirklich Wochenende.

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