Kapitel 68 – Truckerromantik und Termindruck

Dieses Mal…
…wird Ilarion zum Internet-Star…
…ruft eine Nervensäge an…
…und Luke sichert nach hinten ab!

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Montag, 07.09.2015

Das Wochenende war kurz, denn am Montag gingen Luke und ich nach dem Zweimannteam-Schema schon am seeeeehr frühen Morgen auf Tour. So war der einzige Berufsverkehr auf dem Weg in den Norden in Bremen und der hielt sich in überschaubaren Grenzen, wenn man den Ruhrpott gewöhnt war.
Ich übernahm wieder die erste Schicht, denn den Düsseldorfer Hafen fand ich ohne Navi und einmal drin nützte es eh nichts mehr. Luke nickte noch mal auf dem Beifahrersitz weg. Schon wach war dafür die Firma Arcese und bewies mit dem LKW, warum man bei großen Speditionen als Fahrer manchmal wenig zu lachen hatte. Großes Fahrgestell und kleine Hütte, viel Zuladung und wenig Wohnraum…

Ereignislos ging es die A1 rauf. Luke übernahm auf dem Rasthof Neuenkirchen/Vörden und sorgte dann für die Ereignisse. Ich passte nicht auf und das Navi steig da ja immer aus. Also landeten wir in der ihm natürlich nicht bekannten Vollsperrung an der Dauerbaustelle Richtung Rostock.

Dank unserem Timing waren wir allerdings schnell durch, denn es war kaum Verkehr und damit auch nicht der von allen Kollegen so gefürchtete Rückstau vor der Umleitung.

Wir erreichten bequem in der Zeit Rostock, checkten für die Fähre ein und ließen uns dann auf dem Warteplatz mit Tee am Klapptisch nieder. Als die Fähre freigegeben wurde, fuhr Luke den Zug aufs Fahrzeugdeck und wir gingen auf unsere Kabine.

Weil beide Reedereien innerhalb von 15 Minuten mit der Nachtfähre ablegten, hatte ich meinen Dickschädel durchgesetzt und uns auf TT-Lines buchen lassen. Das war an sich mehr Nostalgie. Ich hatte mal gründlich Pech bei Scandlines – die auf dieser Strecke nicht mal mehr fuhren – gehabt, was vielleicht nur ein bedauerlicher Einzelfall war. Aber seitdem hatte ich immer versucht, mit TT zu fahren und war nie enttäuscht worden.


Dienstag, 08.09.2015

Wir wurden unseren Tanktainer früh in Malmö los und konnten dann mit einer Ladung Kunststoffgranulat für Osnabrück antizyklisch aus der Stadt raus fahren. Über Öresund und Dänemark ging es dieses mal auf dem Landweg in Richtung Deutschland.

Auf der Fahrt klingelte mein Handy, es war mein alter Kumpel Steven. „Hallo Steven.“ „Hi Ricky. Sag mal, willst Du mir Konkurrenz machen?“ „Warum?“ „Weil Euer Magnum gerade ein heißes Thema unter den Truckspottern ist. Mit geliehenem Kühler nach Schweden unterwegs auf einer Route, die erst kürzlich an Schütz gegangen ist. Im Internet kursieren die wildesten Spekulationen. Schütz hätte den Vertrag schon wieder verloren oder sei sogar pleite, Ihr wolltet demnächst auf eigene Rechnung Skandinavien fahren und so weiter.“
So war das Internet. Man fuhr mit etwas mehr als 80 Sachen LKW und die Gerüchte schossen mit Lichtgeschwindigkeit um den Erdball. „Nicht schlecht. Ich werde mich zwar hüten, über unsere Pläne zu sprechen, die es wirklich gibt, aber ich sage es mal so. Ich kenne Patrick Schütz ganz gut. Er hat mich drum gebeten, die Tour einmal zu fahren, während sein Fahrer im Urlaub ist und er keinen anderen dafür einsetzen konnte. Ich habe mir bei der Gelegenheit den Trailer beim Hersteller ausgeliehen, um ihn mal zu testen. Und für Dich als Freund – geh mal davon aus, dass wir Dich auf der Skandinavienroute in Ruhe lassen. Ende der Durchsage.“ Das Ende der Durchsage war klar als scherzhafte Übertreibung erkennbar. Wir verabschiedeten uns.

Ich las mir danach amüsiert die Diskussion in dem Forum durch. Es war schon erstaunlich, wie gut man heute so verfolgt wurde. Wir waren natürlich dank unserer Trailer auch viel bei Talke zu finden, aber unter Kleinunternehmen/NRW hatten wir einen eigenen Ordner und einige nette Fotos unserer Trucks.
Auch Ilarion, vor ein paar Minuten beim Aufstieg vom Drogdentunnel auf die Öresundbrücke, war dort von einem jungen Truckspotter aus Süddeutschland aus dem Auto seiner Eltern während der Heimreise abgelichtet und direkt vom Smartphone hochgeladen worden.

Bis auf einsetzenden Regen kurz vorm Ziel gab es wenig über die weitere Fahrt zu berichten. Weil Luke absatteln durfte, interessierte mich der Regen beim Kunden auch nur kurz auf dem Weg ins Büro. Feierabend, ruhigen Stellplatz suchen.


Mittwoch, 09.09.2015

Die nächste Fracht mit Bauchemie bescherte uns zum ersten Mal einen der immer zahlreicher werdenden Planentrailer bei Talke. Als ich in den Elbtunnel fuhr, fragte Luke: „Ich dachte, der ist für Gefahrgut gesperrt?“ „Das ist wie der Kanaltunnel. Je nach dem wie viel und was Du drauf hast und wann du durch fährst, ist er gesperrt oder nicht. Mit diesem Zeug jetzt geht es. Wenn Du nicht sicher bist, fährst Du lieber oben rum durch die Stadt. Und immer dran denken, die Zusatzplakette dran zu machen, dass Dein Gefahrgut erlaubt ist.“

Die letzte Raststätte mit Tankstelle in Deutschland war unsere. Erstens musste ich sowieso das Steuer übernehmen und zweitens mussten wir tanken. Es war ja selten genug, aber in Richtung Skandinavien gab es doch tatsächlich Schlangen vor den Zapfsäulen. Kein Wunder bei den Preisen in den nordischen Ländern war Deutschland ein Sonderangebot.

Weil wir bis Jönköping kommen würden, suchte ich Dominiks Handynummer und rief an. Er musste uns zwar für einen Besuch absagen, weil er gerade in Oslo war, aber er hatte Ilarion, der es eben auch schon versucht hatte, den Tipp gegeben, an den Hokasjön, einen See ein Stück abseits der Autobahn südlich von Jönköping zu fahren.
Als ich mich über die Brückenmaut beschwerte, klärte er mich noch auf, dass man sich die Transponder auch als Ausländer über jedes SEPA-Konto bestellen konnte. Und nicht nur dass man damit nicht anhalten musste, es lohnte sich von der ersten Durchfahrt an mit kräftigen Rabatten. Also bekamen Telepass und Telepeage demnächst Gesellschaft von EasyGo, das lustigerweise nicht nur in Dänemark, Schweden und Norwegen sondern auch Österreich angewendet wurde.

Wir riefen Ilarion an, um das ganze zu koordinieren. Er wollte noch ein Bisschen zu Essen für uns kaufen und dann konnten wir dort am See die Nachtruhe machen. Eine Teepause fand heute nicht statt, weil wir sonst deutlich zu spät dort ankommen würden. Auch so wurde es schon eine späte Sache.
Aber auch Ilarion war erst am frühen Abend da. Er hatte auch Feuerholz gekauft und machte schon mal ein Lagerfeuer. Wir riefen von der Autobahnabfahrt an, dass er sich ums Essen kümmern konnte.
Als kurz vor 21 Uhr im letzten Sonnenlicht vor uns der am Rand einer Zufahrtstraße zu ein paar einzelnen Ferienhäusern geparkte Truck am Straßenrand und auf der Wiese zum See das Feuer auftauchten, war alles fertig. Wir wendeten noch in einer Einmündung und stellten unseren Truck mit ein Bisschen Abstand von Ilarions Kühler ab. Zwar war unsere Kabine auch schallgedämmt, aber nur die einfache Ausführung, um allgemeine Umgebungsgeräusche etwas besser abzuhalten als normal. Der Magnum hatte eine vollwertige Zusatzgeräuschdämmung für Kühltransporte.

Bis wir draußen waren, hatte Ilarion uns schon die ersten Würstchen – auf Spießen am Feuer gegrillt – auf die Teller gelegt, dazu Folienkartoffeln mit Sauerrahm und einen Farmersalat aus der Dose. Er hatte Bier für sich dabei, Luke und ich bevorzugten unseren Cider, aber jeder nur eine 0,5er Flasche. Immerhin musste es morgen früh wieder weiter gehen.

Nachdem wir gegessen hatten und am Feuer saßen, das sich auf dem See spiegelte, während über uns die Sterne leuchteten, fiel mir auf, was ich gedacht hatte, als ich im Juni einsam die Autobahn entlang gefahren, war, die dort hinten, 10 Kilometer durch den Wald lag.
Ich hatte mich erinnert, wie ich irgendwann vor 13, 14 Jahren, an einem anderen See, keine 50 Kilometer von diesem entfernt, gesessen hatte und heimlich das schwule, dänische Truckerpärchen bewundert hatte, das sich dort so selbstverständlich zwischen den ganzen anderen Truckern küsste, während man dafür in Deutschland von den Kollegen damals vermutlich noch aus Angst um deren Hinterteil vorsorglich zusammengeschlagen worden wäre, damit man nicht auf dumme Gedanken kam, die ohnehin so was von abwegig waren.
Ich hatte meinen vergangenen Beziehungen nachgetrauert und mich gefragt, wann ich mit meinem Freund hier an so einem See sitzen würde, wer dieser Freund war, wann und wo ich ihn finden würde. Ich hatte ihn gefunden, er war meine erste große Liebe gewesen und hatte mir alles verziehen, was passiert war, seit ich ihn vor 8 Jahren hatte sitzen lassen. Und nun saßen wir wirklich hier vor einem Lagerfeuer an einem See.
„What are you thinking about?“
Ich erklärte es ihm schnell. „So then…“ Ohne Rücksicht auf Ilarion zog Luke mich zu sich ran und wir küssten uns. Der wusste sowieso, dass wir ein Paar waren, also was sollte es?

Ilarion hatte vorher ins Feuer gestarrt und er tat es immer noch. Und doch verriet ihn die Reflexion des Feuers auf der Wange. „Was hast Du? Du heulst ja.“ „Ich hatte in den letzten vier Wochen ein Bisschen Beziehungsstress. Da wart Ihr gerade zu glücklich verliebt für.“ „Tut uns leid.“ „Nein. Muss es nicht. Ich war ja selber dran Schuld. Und ich wollte Euch hier nicht die romantische Stimmung versauen. Aber ich bringe meine Beziehung jetzt sowieso in Ordnung.“
Es kann mir eigentlich nur einen Sekundenbruchteil anzumerken gewesen sein, deshalb hieß es ja auch „Geistesblitz“. Aber Luke war es trotzdem nicht verborgen geblieben: „Beth sy’n bod?“ Ja, was war nun los? Nichts, was uns zu beschäftigen hatte. „Dim ond meddwl.“ Nichts, nur ein Gedanke.
Ilarion wollte gerade aufstehen. „Was ist?“ „Ich gehe in den LKW. Dann seid Ihr ungestört.“ „Nein. Bitte entschuldige. Wir wollen Dich nicht ausschließen. Wir zwei haben noch viele Abende zusammen und bestimmt auch noch welche an einem See in Schweden mit Feuer. Bitte sitz nicht alleine in Deiner Kabine, wenn Du lieber hier sein willst. Kein Küssen mehr und kein Welsh reden. Versprochen.“ Das schöne Wort „walisisch“ hatte Luke immer noch zu viele I und S direkt hintereinander.
Wir sprachen gar nicht mehr viel. Jeder ließ die Stimmung auf sich wirken. Luke und ich suchten und fanden die Hand des anderen zwischen den Stühlen. Ich hatte keine Ahnung, was er dachte. Aber ich selbst dachte gar nicht mal an etwas Bestimmtes. Ich war einfach nur glücklich und dankbar, mit ihm hier sitzen zu dürfen.
Ilarion hatte sich nach unserem Kuss irgendwie verändert. Es wirkte so, als hätte er nach der ersten Keule, die ihm der Anblick verpasst hatte, sogar Auftrieb gewonnen. Vorher hatte er ziemlich trüb in die Flammen geschaut. Jetzt meinte ich, ein Glänzen in seinen Augen zu sehen, das vorher nicht da war.


Donnerstag, 10.09.2015

Morgens gab es Frühstück von unserem Teakholztisch. Weißbrot mit je nach Geschmack Wurst, Käse oder Marmelade. Für Luke und mich eine dicke Kanne ebenso dicken English Breakfast Tea. Ilarion verzichtete auf den Tee Marke Herzschlag, wobei seine serbische Kaffeerezeptur auch die „Nagelprobe“ bestehen könnte. Man werfe einen Stahlnagel rein. Wenn der Nagel unter geht, ist der Kaffee zu schwach…

Und wie ist Dein Anhängsel?“ „Schön leise, gut zu rangieren, Aggregat einfach zu bedienen und mit allen Statusanzeigen, die man braucht. Wobei das mit dem Geräusch bestimmt relativ ist. Die Fischkutter, die wir da bei ITS gezogen haben, sind eigentlich kein Maßstab für einen modernen Trailer.“

Nach dem Frühstück ging es im Doppelpack zur Autobahn. Dann trennten sich die Wege. Ilarion nahm die Rampe Richtung Helsingborg und wir Richtung Jönköping.

In Linköping rangierte Luke den Trailer zum Baumarkt. Dann mussten wir warten, bis wir entladen waren und mit dem Trailer zum lokalen Logistikpartner von Talke fahren. Da wartete schon ein Isokoffer auf uns, noch exotischer. Aber mit dem Biodiganostik-Zeug war das nötig. Das durfte nicht wärmer als 25 Grad werden.

Gegen 16 Uhr fuhren wir aufs Hafengelände von Karlskrona. Weil die Fähre gleich freigegeben werden sollte, verzichteten wir auf eine Tea Time. Die holten wir dann auf dem Schiff nach. Die Polen hatten vielleicht keine wirkliche Teekultur wie die Friesen oder Briten, aber weil in Polen der Tee den Kaffee bei der Jahresmenge deutlich überholte, war Tee auf dem Schiff quasi in jeder Bar und jedem Restaurant verfügbar.


Freitag, 11.09.2015

Wir verließen früh am Morgen Gdynia. Vor uns lag noch einmal ein anstrengender Tag, denn wir mussten bis 22 Uhr in Graz beim Kunden sein.

Keine unserer Pausen war länger als 10 Minuten. So schafften wir es tatsächlich bis 21:30 Uhr nach Graz. Damit hatten wir uns aber auch ein Wochenende verdient.


Samstag, Sonntag, 12./.13.09.2015

Unser Wochenende in Graz verbrachten wir teilweise getrennt. Nicht dass wir der Meinung waren, dass das schon nötig wäre. Aber wir hatten auch unterschiedliche Interessen. Luke hatte über die Jahre angefangen, sich ernsthaft mit Malerei zu befassen und wollte daher ein paar Museen abklappern. Ich ging dafür meinem Interesse an alten Gemäuern und barocken Parkanlagen nach und hatte Kirchen, Schlösser und Burgen auf der Agenda.
Auch wenn wir das gleiche Ziel, zum Beispiel Schloss Eggenberg hatten, fand sich Luke in der alten Galerie wieder und ich im Barockpark. Aber zwischendurch trafen wir uns immer wieder – zum Mittagessen, zur Teezeit. Und an den Abenden stand natürlich ein gemeinsames Abendessen an.


Montag, 14.09.2015

Die erste unangenehme Überraschung des Tages – neben Regen – hatten wir schon in den Nachrichten gehört. Deutschland hatte wieder Grenzkontrollen eingeführt. Also machten wir uns auf Stau gefasst. Der Tanktainer voll mit Beizlauge für ein Stahlwerk in Frankreich war nicht eben der prädestinierte Schleuser-LKW. Aber im Stau stehen nun mal alle gleich. Luke saß entspannt mit der E-Zigarette auf dem Beifahrersitz, während ich mich anfing zu ärgern. Irgendwann hielt ich einfach die Hand rüber. „Was?“ „Die E-Zigarette. Bitte.“ „Och nein, bringe ich Dich da jetzt wirklich zu?“ „Wenn Du mir hier was vordampfst schon. Ist außerdem 95% weniger ungesund als echte Zigaretten.“ „Na ja. Bist ja alt genug, zu wissen, was Du machst.“ Nach zwei Zügen gab ich das Ding wieder zurück.

Wir selbst wurden dann nur kurz kontrolliert. Bei einer heutzutage doch sehr ungewöhnlichen Doppelbesatzung wollten sie wohl sicher stellen, dass der zweite Mann auch wirklich Fahrer war und legal dort saß. Wenn sich die Grenzer weniger mit Lukes UK-Reisepass beschäftigt hätten, wären wir noch eine Minute schneller gewesen. Aber wir waren auch eine zu merkwürdige Zusammenstellung für einen Zöllner.

Nachdem wir an der Grenze gleich Fahrerwechsel gemacht hatten, klingelte das Handy. Ich erkannte diese Handynummer nicht, also die offizielle Version. „KFL Intertrans, Eric Kaiser, guten Tag.“ „Hallo Ricky. Warum so förmlich? Hier ist Chris.“ Jetzt wäre ein guter Augenblick, um das Handy aus der Freisprechanlage zu nehmen. Lukes Gesichtsausdruck zeigte, dass er wusste, wer das war. Wir hatten einander nichts zu verbergen, das Gespräch sollte sowieso nicht lange dauern – also drin lassen.
„Was willst Du?“ „Ich wollte wissen, ob Du schon über uns nachgedacht hast.“ Stimmte ja. Weil wir Luke noch nicht auf die Website hatten eintragen lassen, wusste er ja noch nichts von seinem Pech. „Ich war davon ausgegangen, dass keine Antwort auch eine Antwort wäre. Aber zum Mitmeißeln: Ja, ich habe nachgedacht und dass ich mich danach nicht bei Dir gemeldet habe, darfst Du als Nein verstehen.“
„Aber warum…“
„Warum? Weil ich keinen Bock darauf habe, mich mit Dir abzugeben, nachdem Du mir im Winter gezeigt hast, was ich Dir bedeutet habe und dass das weniger war als ein LKW mit ein paar PS mehr und nicht von Iveco und Renault?“ „Ist mir doch egal, ob wir einen Stralis mit 500 PS fahren oder einen Actros 2558. Es geht um uns.“ „Rede ich gerade versehentlich Walisisch oder was? Nein! Es gibt kein uns! Noch mal anrufen zwecklos!“
Ich machte, weil die Auflegen-Taste gerade etwas weit weg war und ich zu faul war, einen langen Hals zur von mir weg geneigten Mittelkonsole zu machen oder das Handy rauszuwühlen, eine Handbewegung, als würde ich mir die Kehle durchschneiden. Luke drückte das Gespräch weg.
„Warum hast Du ihm nicht gesagt, dass wir zusammen sind?“ „Weil es ihn nichts angeht, ob und mit wem ich zusammen bin. Es ist nicht er und es wird nicht mehr er sein. Das muss ihm reichen.“

Wir hatten den nächsten Fahrerwechsel bei Ansbach gemacht. Das Navi schickte uns bald darauf wegen dem beinahe schon normalen Stau zwischen Rappenau und Sinsheim von der Autobahn runter. Weil es heute mal wieder mit Vollsperrung war, lohnte es sich auch nicht, sich hinten anzustellen und zu hoffen, dass es schneller durch den Stau ging als über Landstraße. Der Bottich da hinten war reichlich schwer und so machten wir an den Anstiegen den Kraichgau trotz 500 PS zum Kriechgau.

Und doch beschäftigte mich Chris Anruf. Nicht sein Person, das Thema war durch. Es war etwas anderes. Und dann machte es klick. Er hatte gesagt, dass es ihm egal war, ob wir einen Stralis fuhren oder einen Actros 2558. Es gab, so dachte ich, auf diesem Planeten genau zwei Leute, die wussten, dass ich einen Actros 2558 angefragt hatte. Denn dass ich Julian erhört und wirklich stärkere Motoren angefragt hatte, wussten auch Marlon und Julian erst, als Mercedes schon aus dem Rennen und das Angebot im Papierkorb war.
Und da Chris es nicht von mir wissen konnte, schien Sven Koch ja sehr gesprächig zu sein und über Dinge zu plappern, die eigentlich unter Geschäftsgeheimnis fielen – warum auch immer er das mit Chris tat. Na ja, Duisburg, Düsseldorf, Alter könnte auch passen. Vielleicht kannten sie sich aus der Schule.
Da ich bis zu meiner Testfahrt mit dem neuen Actros den Ruf eines leidenschaftlichen Mercedes-Hassers hatte, hielt ich es für undenkbar, dass Chris überhaupt nur Actros und dann auch noch mit konkreter Typenbezeichnung nur so daher gesagt haben konnte.
Na da gab es wohl Klärungsbedarf, falls ich noch mal einen Weg zum Sternenverkäufer haben sollte. Wenn Stuttgart nicht sowieso schon seinen Stuhl wegen anhaltender Erfolglosigkeit ansägte. Laut Gerüchteküche hatte nicht nur ich ihn wegen marktferner Preise und Lieferzeiten stehen lassen.

Ich schaffte es noch mit meiner Lenkzeit bis in die Pfalz. Und weil weder ein sinnvoller Parkplatz zu finden war, noch wir Lust hatten, sofort weiter zu fahren, legten wir am Straßenrand unsere Teepause zwischen Bäumen, Getreidefeldern und Sonnenblumen ein. Und ja, ich stibitzte Luke in den 35 Minuten zwei Mal die E-Zigarette vom Tisch.

Luke fuhr uns noch bis nach Metz. Wir lieferten die Beize bei Acelor-Mittal ab und suchten uns einen Pausenplatz.


Dienstag, 15.09.2015

Da französisches Frühstück unzumutbar war, suchten wir erst gar keine Bäckerei, frühstückten wir in der Zugmaschine.

Unsere nächste Fracht war Flüssigdünger – in diesen Mengen und dank reichlich Ammoniumnitrat mal wieder Gefahrgut Klasse 5.1 – und das Ziel war ein Drama, nämlich die gleichnamige Stadt in Griechenland.

Wir waren noch nicht allzu weit gekommen, als sich wieder mein Handy meldete. Festnetz, Vorwahl Roth bei Nürnberg. „Das darf doch nicht wahr sein!“ „Was?“ „Schon wieder Chris. Zumindest fällt mir spontan kein anderer ein, der aus Franken anruft.“ „Ich mache das. Drück Antwort und leg Dich mal schlafen.“ Sehr witzig, ich fuhr gerade mit 90 über eine Autoroute. Trotzdem nahm ich den Anruf an und hielt den Mund.
„KFL Intertrans, Lucas Leighton. Hello.“ „Ricky! Mit so was scherzt man nicht!“ Wie ich Lukes Stimmlage hinbekommen sollte, war mir auch nicht klar. So viel höher verstellen konnte ich die nicht. Im Männerchor würde er definitiv nicht neben mir im Bass stehen sondern bei den Tenören. „Ricky schlaft noch. Ich heiße so für mehr als 32 Jahre und das meine ich seriously.“ Er baute mehr englische Wörter und einen härteren Akzent ein als sonst. „Was hattet Ihr für ein Love, wenn Du seit Christmas nicht mehr sein Voice erkennst? Das konnte ich nach 8 Jahre noch. Fuck off!“ Klick. Dieses Mal hatte Chris aufgelegt. „Den sollten wir los sein.“ Haken dran und weiter.

Nachdem wir die Grenzkontrolle für die Schweiz durch hatten, weil Lanxess leider kein Carnet TIR stellen wollte, bestellte ich, während Luke am Steuer saß, mal per Tablet und E-Mail einen Schmitz CS Fixed Roof Planensattel und einen Chereau-Kühler. Zwar hatte der eine oder andere Kollege sich zum Leichtbau von Schmitz ein Bisschen negativ geäußert, aber wir wollten erstens keine Coils herumfahren und zweitens brauchte Mahad auch noch ein paar Kilo für die „Specials“.

Bekanntlich war die Schweiz genau eine Lenkzeit breit und so übernahm ich an der Grenze bei Como wieder für Norditalien. Mit Radio Due.Zero und dank Telepass an den Mautstationen ging es voran. Staus bei Mailand waren zwar inbegriffen, aber die hielten sich in Grenzen und waren auch meistens zähflüssiger Verkehr. Echten Stillstand gab es in Italien aus irgendwelchen Gründen sehr selten.

Wir beschlossen, es heute hinter uns zu bringen und deshalb übernahm Luke hinter Bologna noch mal für den Rest bis Ancona.

Die meisten Fahrzeuge, die in die Stadt rein fuhren, waren LKW auf dem Weg nach Griechenland. Wir stellten uns im Hafen hinten an der Gefahrgut-Schlange an und gingen in die Betten.


Donnerstag, 17.09.2015

Nachdem der Mittwoch nur aus Wartezeit und mittags einer kurzen Fahrt aufs Schiff bestanden hatte, verließen wir den Hafen von Igoumenitsa um halb 6 in der Morgendämmerung.


Weil der Tank nach Futter schrie, mussten wir wohl oder übel hier an die Säule. Zu meiner Überraschung waren die Preise wieder bei humanen 1,11 Euro je Liter angekommen. Der Preis war ungefähr identisch zu Deutschland. In der Spitzenzeit war es hier mal 25 Cent teurer als zu Hause. Also hatten die leeren Versprechungen von Tsipras wenigstens ein Gutes, indem er die erdrückenden Steuern vom Kraftstoff runter genommen hatte.

Als nächstes kämpften wir uns die 10% Steigung nach Ioannina rauf. Luke bekam den Mund nicht mehr zu. „Warst Du nie in Griechenland?“ „Nein. Spanien, Italien bis Rome. Kroatien. Der Rest Zentraleuropa und Skandinavien.“ Die Landschaft blieb weiterhin Lukes Attraktion. Zum Glück konnte er den spektakulären Teil der Route vom Beifahrersitz genießen.

Wir machten schließlich vor der filmreifen Kulisse Pause mit Fahrerwechsel. Vor lauter Scheißwetter in Deutschland hatten wir keine Badehosen dabei. Sonst wäre in dem bestimmt angenehm warmen See eine Runde Schwimmen drin gewesen.

Wir kamen nach Drama, wurden unseren Dünger los und wechselten noch auf eine Ladung Gewürze, die in Volos verschifft werden sollte. Allerdings endete der Tag kurz hinter Thessaloniki auf einem Autobahnrastplatz. Auf dem Meer konnten wir die Schiffe vorbeifahren sehen in Richtung Thessaloniki mit seinem großen Hafen. Eins hatte es allerdings mal irgendwann nicht geschafft und sein Wrack dekorierte jetzt die Sandbank.

Freitag, 18.09.2015

Heute stand der Hafen von Volos auf dem Programm. Viel zu sagen gab es dazu nicht. Wir wurden diese Büchse los und nahmen dafür eine andere mit Ölfiltern aus Fernost mit, die nach Italien sollte.

So lange Luke durchs Binnenland fuhr, rief ich mal bei Timo an. „Hallo Ricky.“ „Hallo Timo. Wie war die erste Woche als Zweierbesatzung?“ „Gut. Bochum – Berlin – Sheffield – Bozen – Leipzig – Hannover – Bochum wäre alleine nicht zu schaffen gewesen. Zwar jetzt nichts wirklich Wildes von den Zielen, aber dafür viele in einer Woche.“
„Und Ihr kommt klar in der kleinen Hütte?“ „Ja, so wild ist das nicht. Tags merkst Du ja nichts davon, ob Du jetzt 10 Zentimeter mehr oder weniger überm Kopf hast. Stehen können wir beide hier drin problemlos.“ Die zwei waren natürlich auch nur 1,80 bis 1,85 groß. „Und wenn wir in den Betten sind, ist es auch wieder egal, wie viel Luft nach oben ist. So unruhig schlafen wir nicht. Was würde uns denn eine größere Kabine bringen? Ein paar Liter mehr Stauraum. Da kann man aber auch die Taschen abends auf die Sitze und morgens auf die Betten schmeißen. Also uns stört die Kabine nicht.“
„Dann ist ja gut. Wo seid Ihr jetzt?“ „Zwischen Beckum und Uentrop. Nicht mehr weit nach Hause.“ „Dann gute Restfahrt. Wo müsst Ihr absatteln?“ „ENI Essen.“ „Na geht ja.“ Wir verabschiedeten uns.
Hätte man mir gesagt, als die beiden letztes Jahr hier angefangen hatten, dass sie mal in Doppelbesatzung fahren würden, hätte ich nur mit dem Kopf geschüttelt. Der vorlaute Timo und der schüchterne Ilarion. Das konnte aus damaliger Sicht nicht gut gehen. Und damals hätte ich nicht zugestimmt. Aber inzwischen wusste ich, dass stille Wasser tief genug waren, um ein Doppelleben als Fußball-Ultra zu führen und dafür kräftige Wellen sich gerne über einem eher flachen Ufer brachen. Timo konnte sensibler sein, als er wirkte, wenn man ihn das erste Mal traf. Das hatte er mir bewiesen, wenn wir uns über unsere Sorgen ausgetauscht hatten. Mal sehen, ob es mit den beiden auch auf Dauer mit einem LKW funktionierte.
Denn wenn nicht, gingen uns die Lastwagen aus. Dank der neuen Geschäftsidee hatte ich uns ein Bisschen ins Känguru-Management geführt. Mit leerem Beutel große Sprünge machen. Jetzt war erst mal Konsolidieren angesagt. Aber es gab Eisen, die musste man schmieden, so lange sie heiß waren. Und wenn sie dann kalt wurden, waren wir hoffentlich so gut etabliert, dass die ganzen anderen uns nicht mehr raus drängen konnten. Andererseits sah ich kein Ende der Ursache und damit mehr Zeit, um uns in Position zu bringen, wenn es denn so lief, wie wir uns das vorstellten.

Apropos, jetzt begann das Abenteuer. Inzwischen saß ich wieder am Steuer und die Mautstation vor Igoumenitsa kam in Sicht. Okay, die war so weit bewacht. Trotzdem löste Luke seinen Sicherheitsgurt und beugte sich weit vor, um den Spiegel in den Augen zu behalten, während ich mit dem Kreditkartenautomaten kämpfte und auf meiner Seite immer nach hinten am Zug lang schielte. Die Karte kam aus dem Slot und die Schranke ging auf. Dann mal los.

Auf dem Weg in die Stadt und sogar an der Kreuzung in der Stadtmitte schaffte ich es dank wenig Verkehr, immer in Fahrt zu bleiben. Bis auf die engen Abbiegemanöver auch immer über 30. Trotzdem fuhr ich konzentriert, während Luke den rechten Spiegel im Auge behielt.

Wir kamen aber sauber im Hafen an. Igoumenitsa war bei den Flüchtlingen auch nicht so „beliebt“ wie Patras. Dort unten herrschten quasi Calais-Verhältnisse, hier waren auch Flüchtlinge im Straßenbild, aber die Mengen, die die Hauptstraße zum Hafen belagerten oder sogar blockierten, gab es nicht. Trotzdem wurde unser LKW im Hafengelände von Zöllnern mit Suchhunden auf den Kopf gestellt. Natürlich waren wir sauber und fuhren auf die Fähre nach Bari.
Oben auf dem Deck sahen wir beim Auslaufen von der Reling, wie die beeindruckenden Berge Griechenlands kleiner wurden. Und wieder wechselte die E-Zigarette dabei einige Male zwischen uns hin und her.


Samstag, 19.09.2015

Und diese Woche gab es Samstagsarbeit. Kurz nach 8 morgens fuhren wir von der Fähre runter.

Der Regen verzog sich noch auf dem Autobahnzubringer aus Bari raus. Wir fuhren einmal quer durch Süditalien. Die Strecke war für einen alleine eine knappe halbe Stunde zu weit, also machten wir der Gerechtigkeit halber nach knapp der Hälfte einen Fahrerwechsel.

Wir wurden unsere Ladung im Zentrallager eines Autoteilehändlers in Catanzaro los. Nach nicht ganz einer Stunde Solofahrt waren wir dann in Steccato di Cutro. Der Motor ging um 14:25 Uhr aus, das hieß Wochenende bis Montagmittag.

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