Diese Woche…
…befürchtet Judith Namensverwechselungen…
…der Berg wird zum Propheten…
…und Ricky lässt Luke im Regen stehen!
——————————————
Montag, 21.09.2015
Das Wochenende hatte uns dann die Badehosen kaufen lassen, die wir letztens noch am griechischen See vermisst hatten. So standen vor allem Strand und Schwimmen auf dem Programm, wenn der Strand schon direkt hinterm Hotel lag.
Entsprechend hatten wir uns verausgabt und so waren wir nicht böse darum, dass wir erst um halb 12 wieder fahren durften. Wir blieben lange im Bett, duschten ausgiebig, gingen gemütlich frühstücken und bereiteten die Abfahrt in Ruhe vor. Dann stand erst einmal wieder eine knappe Stunde Solofahrt nach Catanzaro auf dem Programm, bis wir einen Tanktainer mit Olivenöl dran hatten. Das sollte in Österreich für die Hausmarke eines Discounters vor Ort abgefüllt werden.
Nachdem wir am Samstag über die gut ausgebaute und gebührenpflichtige A14 eingefallen waren, konnte Luke jetzt erst mal ausprobieren, was eine nicht durch Mautgebühr finanzierte Autobahn in Italien war. Mondlandschaft war nichts dagegen.
Der erste Fahrerwechsel fand vor Neapel statt. Als ich dann weiter fuhr, fiel mir was auf. Ich war das erste Mal im März 2014 nach Neapel gekommen, als ich Chris auf der gleichen Tour aufgesammelt hatte, und der Vesuv rauchte. Ich war danach noch einmal mit ihm an Neapel vorbeigefahren, als er im November anfing unsere Flottenpolitik zu kritisieren und der Vesuv rauchte. Diesen April fuhr ich alleine nach Süditalien, versuchte Chris zu vergessen und der Vesuv rauchte.
Jetzt hatte ich mein Glück mit Luke gefunden, kam auf unserer ersten großen Tour hier vorbei und der Vesuv rauchte nicht mehr. Wenn das mal kein Zeichen war!

Auf dem Autobahnring um Rom war wohl wie man über Funk mitkriegte die Hölle los, aber auf der A1 ging es ohne Einschränkungen und mit 84 voran.
Hinter Rom ließ ich noch mal Luke ran und wir fuhren noch bis hinter Bologna weiter in die Nacht. Kurz vor Mitternacht wollten dann sowohl der LKW als auch die Fahrer auf einen Rastplatz. Unser Iveco bekam noch mal 150 Liter Diesel, die bis Österreich reichen sollten und wir bekamen Schlaf.
Dienstag, 22.09.2015
Am nächsten Vormittag ging es weiter nach Norden. Auf der Brennerzufahrt schärfte ich Luke ein, hier nie schneller als 80 zu fahren. Die zahlreichen und scharf eingestellten Radarfallen sollte man nicht unterschätzen. Wenn man wie sonst den Tempomat bergab auf 80+5 oder bergauf auf 84 stehen hatte, konnte man schon mal 500 Euro ärmer sein, wenn man in Verona oder Bozen ankam.

Wir wechselten in Bregenz – mit eingeschobener Teepause – von Olivenöl zu Toluol. Ebenfalls ein Tanktainer, aber anderer Besitzer. Die Ladung sollte nach Magdeburg. „Was macht man mit Toluol? Ich meine es gibt billigere Solvents heute.“ „Das wird auch nicht als Lösungsmittel benutzt, daraus wird Saccharin gemacht. Wenn Du Chemie fährst und ein Bisschen nachforschst, lernst Du überraschende Sachen.“
„Du willst mir sagen, wenn ich eine Diet Coke trinke, ist da derivated Solvent drin?“ „Ja. Und wenn Du Dich mit Deo einsprühst, ist die Hälfte davon Butangas als Treibmittel. Frag mal Ilarion. Der hat mich genauso albern angeschaut, als wir mal mit 30 Paletten Deo los sind und er wissen wollte, warum das Gefahrgut ist.“
Bregenz lag an der Grenze nach Deutschland, also hatte Luke nicht allzu viel Zeit sich über die Herstellung von Süßstoff zu wundern, bis er den Reisepass hervorholen durfte. Allerdings wurden wir auf die harmlose LKW-Spur gezogen, die direkt neben den PKW-Spuren lag und nur oberflächlich kontrolliert. Wenn man gebeten wurde, hinter die Zollstation zu fahren, wurde es gründlicher.

Zwischen München und Nürnberg machten wir noch mal Fahrerwechsel und fuhren noch bis nach Thüringen rein. So würden wir morgen nach knapp einer Fahrzeit in Magdeburg sein. Danach ging es nach Hause, denn für Donnerstag war ein Marathon mit mehreren Bewerbungsgesprächen angesetzt. Das erste schon um 8 Uhr morgens, das sechste und letzte sollte dann spätestens um 15 Uhr enden.
Das schlimme war, dass diese 6 Gespräche auch schon alles waren, was der Arbeitsmarkt für diese Stelle hergegeben hatte. Zwei Kandidaten machten auf dem Papier einen guten Eindruck, zwei schickte das Amt und aus den Unterlagen ging schon einigermaßen hervor warum, die letzten zwei hatten wenig Erfahrung und waren eher Notnagel.
Ich erwartete sowieso nicht, dass sich die Lage bei diesem Stellenprofil bessern würde, also wollte ich auch unmittelbar Nägel mit Köpfen machen und noch am gleichen Tag die Verträge auf die Reise schicken. Insbesondere weil ein derzeit angestellter Kandidat auch erst mal kündigen musste und dazu hatte er noch genau 3 Werktage Zeit, wenn der Vertrag Freitag nach Feierabend im Briefkasten war. Da war aber auch die leider etwas unglückliche Auftragslage schuld, die uns nicht früher nach Hause gebracht hatte.
Mittwoch, 23.09.2015
Während wir im Fahrerhaus frühstückten, fragte Luke nach den Trucks für unser neues Geschäftsfeld: „Sag mal, wie sollen die neuen eigentlich aussehen?“ „Da wollte ich an sich noch eine Samstagsschicht mit Vinni zu einlegen.“ „Wer ist Vinni?“ „Unser Folienmann. Eigentlich heißt er Vincent.“
„Wer hat sich dieses Design hier eigentlich ausgedacht?“ „Der Folienhersteller. Das ist ein Standardschema mit abweichenden Farben.“ „Kann dieser Vinni die Folien auch frei designen?“ „Ja.“ „Warum macht er es nicht?“ „Weil wir uns nie die Zeit genommen haben, uns darüber mit ihm zu unterhalten. Also ein Standardschema genommen, Farben angepasst, Firmenname und Adresse ergänzt, fertig. Da kann man sich schon bequem einen halben Tag mit beschäftigen. Und jetzt ist es unsere Corporate Identity.“
„Das heißt, Ihr würdet dieses Design behalten wollen?“ „Ja.“ „Und wie soll das auf den Trailern aussehen?“ „Weiß nicht. Das schauen wir uns mit Vinni an. Wir wollten nur die Farben ändern. Dann sieht man, dass die LKW zu uns gehören, aber nicht für Talke fahren.“ „Ich meine, das ist ja schon ein Bisschen Graffiti Style. Aber ich habe wirklich keine Idee, wie das auf einen Trailer gehen soll. Und wie man Graffiti Style macht, braucht mir weder dieser Vinni zu erzählen noch Du.“ In der Tat…
Während ich los fuhr, schnappte Luke sich sein Tablet und machte irgendwas. Auf einem Geradeausstück zeigte er mir dann, was er auf zwei eigentlich leasingweißen Sattelzügen von einer Truckspotterseite zusammengepinselt hatte. „Das wären so die Possibilites, die ich sehe. Erst einmal in Talke Farben als Beispiel. Aber ich finde beides sieht wirklich mehr nach Graffiti-Attacke aus als nach Design für eine seriöse Firma.“ „Ja. Allerdings.“


„Denkst Du, Judith hat mich für morgen schon geplant?“ Er sollte Nahverkehr fahren. „Frag sie doch.“ Ich wählte das Büro an. „Hallo Ricky. Was hast Du auf dem Herzen?“ „Nichts. Ich stelle nur die Verbindung her.“ „Hi Judith. Luke hier. Hast Du schon einen Plan für mich morgen gemacht?“ „Nein. Der Server von Talke war gestern nicht erreichbar. Ich habe erst Marlon gemacht und wollte jetzt mit Dir anfangen.“ „Mach das bitte nicht. Wir rufen noch einmal an, wenn ich doch fahre. Aber ich würde lieber mit dem Designer für die Truck Paintings sprechen.“ „Okay. Wenn ich nichts mehr von Dir höre, disponiere ich Dich morgen nicht und setze Dich auf Besprechung.“
Als nächstes rief ich Vinni an. Er hatte zwar Aufträge, aber konnte die vom Azubi ausführen lassen und musste nur ab und zu mal einen Blick drauf werfen. Den Rest der Zeit konnte er sich mit Luke beschäftigen.
Die Tour ging, nachdem wir in Magdeburg abgeliefert hatten, mit einem leider nur auf 70 freigegebenen Tieflader und entsprechend 74 auf dem Tempomat weiter in Richtung Duisburg. Die Trecker sollten in ihren dritten Frühling nach Übersee.
Dank der Geschwindigkeit war die Tour zäh wie ein Steak nach 10 Minuten in der Pfanne. So waren wir erst 20 vor 9 abends in Duisburg wieder aus dem Hafen. Also entschieden wir uns fürs schnelle Abendessen.

Donnerstag, 24.09.2015
Luke fuhr rüber zu Vinni, um über unsere neue Lackierung zu fachsimpeln. Marlon war morgens noch kurz mit Judith rauf gekommen, um die Unterlagen für seine Tagestour einzustecken und den Koffeinspiegel zu korrigieren. Der Rest war unterwegs. Bis der erste Bewerber kam, sah ich mir mal an, wo sie sich so herum trieben.
Marlon war heute für eine Nahverkehrsrunde vorgesehen. Also grob gesagt NRW, Emsland, östliches Belgien. Dabei immer wieder Talke Hürth oder die Chemieparks in Leverkusen und Marl als Anlaufstelle. Julian war Montag nach Southampton, gestern tagsüber für eine Ruhezeit hier gewesen und abends aufgebrochen nach Bern. Freitag sollte er wieder zurück sein. Timo und Ilarion waren am Montag nach Helsingborg, Dienstag nach Poznan, Mittwoch nach Linz, heute nach Clermont-Ferrand und morgen zurück zu Hause.
Schließlich kam der erste Bewerber, einer von Amts wegen. Es wurde ein erwartungsgemäß kurzes und einseitiges Gespräch, weil der Bewerber nicht viel mehr als „Ich fahren LKW“ an deutschen Sätzen drauf hatte. Immerhin konnte er damit mehr deutsch als ich bulgarisch.
Zweiter im Bunde war Martin Cramer, ein Endzwanziger. Die Ausbildung zum Berufskraftfahrer war seine zweite gewesen, daher das Alter. Bei seinem Ausbildungsbetrieb Fercam war er aber nur befristet übernommen worden und Ende Oktober lief dieser Vertrag aus. Weil sich Fercam nicht in Sachen Verlängerung oder Umwandlung in einen unbefristeten Vetrag bewegte, war er also auf der Suche nach einer Anschlussbeschäftigung.
Seine internationale Erfahrung hatte er vor allem in Richtung Italien gesammelt. Er traute sich aber auch unsere Himmelsrichtung zu. Bisher war er Mercedes gefahren, aber ihm war die Marke seines Arbeitsgeräts egal.
Eine angenehme Überraschung bescherte mir das dritte Gespräch. Trotz seines östlichen Namens war Maxim Stanjaslow in Gevelsberg geboren und aufgewachsen. Zwar war seine Abstammung trotzdem bei jedem Wort leicht hörbar, weil in der Hochhaussiedlung mehr russisch als deutsch gesprochen wurde und er deshalb „vernünftig“ erst nach der Einschulung mit 7 Jahren deutsch sprechen musste, als die Aussprache schon komplett verdorben war. Aber ich hatte die Befürchtung gehabt, dass auch hier die Sprache das ansonsten positive Bild aus den Unterlagen trüben könnte.
Nach dem Hauptschulabschluss hatte er erst einmal nebenbei eine Berufsfachschule besucht und einen mäßigen Realschulabschluss aufgesattelt. In der Hauptsache allerdings wollte er professioneller Eishockeyspieler werden, hatte nicht einmal die schlechtesten Aussichten, das zu schaffen und spielte in der DNL. Den Verein überhörte ich mal geflissentlich. Einen Bandencheck mit dreifachem Rippenbruch und Zwerchfellanriss später änderte er den Plan und wollte dann doch lieber gekühlte Hähnchen transportieren anstatt als kaltgestelltes Hähnchen zu enden.
Er hatte die Ausbildung bei dem Betrieb gemacht, wo er jetzt immer noch fuhr. Ein Mittelständler in Wuppertal, spezialisiert auf Kühltransporte. Auf die Frage, warum er dort weg wollte, eierte er herum, aber ich hörte genug raus. Mit meinem messerscharfen Fazit „Der Lehrling lernt, der Arbeiter arbeitet und der Chef scheffelt?“ brachte ich ihn zum Lachen. Genau das war das Problem, die Geschäftsführung war inzwischen zu weit vom Tagesgeschäft weg, fuhr dienstlich Audi A8 statt DAF XF und übte nur noch vom Edelholzschreibtisch Druck aus. Deshalb hatte er auch gezielt nach Unternehmen gesucht, wo die Inhaber auch noch auf dem Bock saßen.
Er war bisher nur DAF gefahren und hatte keine Vergleichsmöglichkeiten. Also war ihm die Marke egal. Aber die Testberichte für den Truck, den er hier kriegen sollte, waren auch hervorragend, im Gegensatz zum Ruf.
Maxim war jetzt 23 und hatte fast zweieinhalb Jahre Berufserfahrung seit dem Abschluss. Wenn er etwas von der Eishockeyschule ins normale Berufsleben mitbekommen hatte, dann waren es selbstbewusstes Auftreten und ein kräftiger Körperbau. Er war auf jeden Fall in der engeren Auswahl. Wäre er einer der beiden letzten Kandidaten gewesen, hätte ich ihm wahrscheinlich sofort einen Vertrag hingelegt. Aber so konnten ja noch zwei bessere kommen.
Das war auf keinen Fall Klaus Schmitz. Dieses Gespräch Nummer 4 hätte ich gerne schnell beendet. Wie konnte man nur dermaßen ungepflegt zu einem Bewerbungsgespräch gehen? Und er war nicht mal der zweite Kandidat vom Amt, sondern nach der Papierform einer der beiden Wunschkandidaten gewesen.
Aber wenn man sich mit fettigen Haaren, ungepflegt zotteligem Vollbart und ohne von der Erfindung des Deodorants gehört zu haben vorstellte, spielten 11 Jahre Berufserfahrung auch keine größere Rolle mehr. Für das Bewerbungsfoto hatte er sich wohl das letzte Mal kultiviert. Zum Glück konnte ich jetzt über den Mittag den Pumakäfig erst einmal lüften.
Über die Pause ging ich hoch in die Wohnung, schmierte mir ein Brötchen, das noch vom Frühstück übrig war und surfte bis 13 Uhr noch ein Bisschen privat im Internet. Außerdem hörte ich mal bei Luke und Vinni nach dem rechten. Die beiden schienen sich gut zu verstehen, hatten ihre Fachgespräche über Design allerdings auch gerade für Döner unterbrochen. Egal ob Vinni die ganze Zeit als Beratung ansetzte oder nicht. Ich kannte Luke und seine Detailverliebtheit bei solchen Sachen. Also galt das alte Prinzip „Oh, oh, oh – oh, dat wird teuer!“
Bewerber Nummer 5 kam nach der Mittagspause und war ein Opfer unglücklicher Umstände. Tomas Neumann hatte eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer gemacht, das auch noch bei einem großen und international bekannten Logistikkonzern.
Leider hatte deren Betriebsrat genau das gleiche gemerkt wie viele andere auch, nämlich dass das, was manche Fahrer in so einem großen Unternehmen tun mussten und auch wir vor hatten, nicht mehr so eine Spazierfahrt war wie früher. Deshalb wollte der Betriebsrat durchsetzen, dass die Fahrer dafür einen Zuschlag bekommen sollten.
Wie so oft bei einem Gefecht zwischen Unternehmensführung und Konzernbetriebsrat waren am Ende auf der Arbeitnehmerseite die Dummen zu finden – und das wie immer nicht im Betriebsrat. Offene Stellen wurden einfach nicht neu besetzt und Tomas wie auch viele andere Auszubildende nicht übernommen.
Nachdem er über die Sommerferien arbeitslos war, sprach ihn dann eine Zeitarbeitsfirma an, als die Wirtschaft nach den ganzen Werksferien wieder anzog und – oh Wunder – jetzt fuhr er seit Anfang September zum Mindestlohn, ohne Zuschlag und ohne dass er unter dem Schutz des Betriebsrats beim Logistikkonzern stand auf dem gleichen LKW wie vorher die gleiche Strecke, die er sonst zum auch ohne Zuschlag schon besseren Tarif des Konzerns gefahren wäre.
Weil nun der Betriebsrat die beleidigte Leberwurst spielte und die über die Zeitarbeitsfirma rein geholten Fahrer die Inkarnation des Bösen waren, schlug Tomas immer die hausgemacht schlechte Stimmung entgegen, wenn er auf einer deutschen Niederlassung zum Be- oder Entladen vorfuhr.
Er hatte keine Probleme damit, diese Route an sich zu fahren. Aber wenn, dann wollte er auch angemessenes Gehalt dafür haben und nicht die Kollegen gegen sich aufgehetzt bekommen, weil sich jemand im Arbeitskampf verzockt hatte. Beides konnte er bei uns bekommen.
Bisher war er Mercedes oder MAN gefahren, aber ihm kam es aufs Umfeld an und nicht aufs Arbeitsgerät. Hauptsache einigermaßen neu und gut in Schuss. Einsatzort Essen konnten wir ihm nicht bieten, aber von seiner Wohnung in Kray zu unserem Hof nach Langendreer war jetzt keine Weltreise.
Immerhin würde er dann die minimale Erfahrung von 2 Monaten auf der richtigen Strecke haben, wenn wir ihn zum 1. November einstellen sollten. Trotzdem war er bis jetzt nur Nummer 3 bei 2 freien Stellen. Und es kam ja noch ein Bewerber.
Holger Weinert hatte sich auf den weiten Weg von Riesa gemacht. Okay, er war auf den Weg gemacht worden. Wer fuhr schon freiwillig von Ostsachsen bis ins tiefste Ruhrgebiet? Freiwillig war es vermutlich nicht gewesen, denn das Amt wollte es so.
Wegen einer erst spät ausgebrochenen Allergie musste er mit 20 umschulen vom Bäcker zum LKW-Fahrer. Dann war er erst einmal um die Kirche gekurvt und schließlich 5 Jahre Fernverkehr. Das war allerdings weitere 5 Jahre her. Denn nachdem die kleine Spedition dicht gemacht hatte, war er noch eine Zeit lang Nahverkehr bei Dachser gefahren und seit über 3 Jahren saß er jetzt zu Hause bekam als Langzeitarbeitsloser Hartz 4. Weil er ledig war, wäre es für ihn kein Problem, quer durch die Republik umzuziehen. Deshalb suchte er auch bundesweit Arbeit.
Auch ihn sortierte ich in die Kategorie „Notnagel“. Selbst wenn er einige Erfahrung hatte, war die nicht frisch. Und er wusste nicht, was ihn bei uns erwartete. Denn das war was anderes als nach Schweden, Österreich oder Benelux zu fahren.
Nun denn, ich machte nachdem er weg war, zwei Verträge fertig. Als Judith die Empfänger sah, schüttelte sie den Kopf. „Was ist?“ „Du willst, dass ich hier durchdrehe? Marlon, Martin, Maxim…“ Aus der Richtung hatte ich nun wirklich nicht ausgewählt. „Es geht mir um die Qualifikation der Fahrer. Und ich denke, Du bist für Deinen Job qualifiziert genug, mit drei ähnlichen Vornamen fertig zu werden.“
Abends kam dann Luke zurück. Die Entwürfe, die ihm Vinni auf einen USB-Stick kopiert hatte, sahen schon genial aus. „Sollen wir den zusätzlichen Style lassen?“ „Nur optional, wo er passt oder wo die Fahrer wollen. Mag ja nicht jeder. Auf die Zugmaschinen für die Kühler und Planen aber schon verpflichtend. Da passt es ja vom Thema.“ „Man kann stattdessen auch andere Sachen machen. Ich blende mal einfach stattdessen ein Airbrush ein.“
Ich musste ihm Recht geben. Die neue Lackierung war dezent, deutlich seriöser und obendrein flexibler, wenn ein Fahrer individualisieren wollte. Auch die Kombination aus Zugmaschinen und eigenen Trailern machte sich so gut. Und neue Talke-LKW wurden einfach in den entsprechenden Farben bei gleichem Grunddesign lackiert. Die alten sollten aber ihre jetzige Folie behalten, wenn Julian und Marlon zustimmten.
Freitag, 25.09.2015
Luke und ich waren einigermaßen früh losgefahren. Leider dann doch spät genug, um den Berufsverkehr noch im Ansatz mitzukriegen. Unser Weg führte als erstes nach Mannheim zu Bosch.
Auf dem Weg rief Julian an: „Wollen wir heute Abend nach Köln? Ich hätte mal wieder Lust auf die Haie.“ „Wird knapp, wir kommen erst am späten Nachmittag zurück ins Ruhrgebiet.“ „Schade.“ „Wobei ich gar nicht weiß, ob Luke auch mit will.“
„Ice Hockey? Nein Danke. Da kann ich nicht folgen. Keith hat mich mal zu den Sheffield Steelers mitgenommen. Nach 5 Minuten habe ich den Überblick verloren.“ „Würdest Du dann bitte den LKW von Essen nach Hause fahren?“ „Okay.“ „Danke. Dann bin ich dabei.“
Weil ich es nicht bis ans Ziel in Mannheim schaffte, durfte ab dem Rasthof Pfungstadt Luke ran. Und so hatte er auch seinen Spaß mit der Einfahrt. Wobei das einen routinierten Fahrer wie ihn auch nicht besonders erschütterte.

Danach fuhr er noch nach Frankfurt, wo wir unsere letzte Fracht für diese Woche holen sollten. Hierbei sah ich mal an, was die erste für kommende Woche werden sollte und war überrascht. Denn wir sollten überhaupt erst gegen 9 Uhr losfahren. Da war der erste von uns an sich schon wieder müde genug, um erst mal nicht weiter fahren zu dürfen.
Also rief ich Judith an. „Hallo Ricky, was kann ich für Dich tun. Oder bist Du nur wieder Fräulein vom Amt?“ „Nein. Warum fahren wir denn nicht am Montag schon in der Nacht los?“ „Weil Timo und Ilarion darum gebeten haben.“ Passte es doch nicht auf einem LKW? Dann hatten wir jetzt ein Problem. Denn jetzt waren zwei Verträge draußen.
„Wollen sie mit mir sprechen? Das könnten wir doch auch früher einbauen. Hält so den ganzen Betrieb auf.“ „Timo hat gesagt, es sollen alle erst danach los fahren. Marlon sollte ich auch vorher nicht verplanen. Julian wäre ja sowieso erst dann los. Keine Ahnung, was er vorhat. So wie ich Timo verstanden habe, macht er das aber nur am Montag, weil Julian ihm gesagt hat, dass ihr heute nach Köln zum Eishockey wollt. Sonst hätte er das heute schon machen wollen. Bei Ilarion ist es die Silberhochzeit seiner Eltern. Da wird er Samstag auf Sonntag wenig schlafen und deshalb ist es ihm recht, wenn er am Montag ausschlafen kann.“
Na was war denn da los? Solche Aktionen hatte ich ja gar nicht gerne. Schon gar nicht ohne vorherige Absprache mit einem von uns. Da musste ich mal hören, ob Timo da was mit Marlon oder Julian abgesprochen hatte. Zwei Anrufe später war das auch geklärt. Marlon wusste so viel wie ich, Julian weniger – nämlich bisher noch gar nichts. Timo hatte ihn gefragt, wann er heute rein kam und ob er es auch von uns wüsste. Als Julian gesagt hatte, dass er mich in Essen einsammeln wollte und wir nach Köln wollten, hatte er sich nur noch verabschiedet.
Und weil Timo nicht mehr alleine unterwegs war, konnte ich ihn auch schlecht direkt anrufen, weil Ilarion dann mit hörte, was er ja vielleicht nicht sollte.
Am Airport Business Park wollte man unseren LKW genau untersuchen. Schließlich durften wir dann doch rein und zum Lager von Kühne und Nagel.

Während der Ladezeit rief Judith wieder an. „Hallo, was gibt es?“ „Martin Cramer hat eben angerufen. Er hatte heute zwei Verträge im Briefkasten. Unseren und sein jetziger Arbeitgeber hängt ein Jahr dran. Da hat er sich entschieden zu verlängern.“ „Na dann bleibt Dir wenigstens das Namensdurcheinander erspart.“ Toll, ein guter Kandidat abgesprungen.
Jetzt war guter Rat teuer. Holger Weinert oder Tomas Neumann? Umschüler mit 6-Monats-Kurs und 5 Jahren Erfahrung im Fernverkehr mit deutlicher Patina? 3 Jahre Ausbildung auf zeitgemäßen Fahrzeugen und schmale 2 Monate Erfahrung, aber die wenigstens zum richtigen Ziel? Oder bis Montag warten, was Timo wollte? Und dann waren die beiden auch nicht mehr verfügbar. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Eisen die beiden im Feuer hatten. Aber es war klar, dass wohl die meisten Fahrer bei jedem anderen vor uns unterschreiben würden, so lange dort die Rahmenbedinungen nicht offensichtlich schlechter waren oder die Chemie mit dem Chef schon im Bewerbungsgespräch nicht passte. „Mach einen Vertrag für Tomas Neumann fertig bitte. Und steck ihn noch heute in die Post. Sonst kommt der uns auch noch abhanden und dann haben wir ein Problem.“
Auch raus aus dem Logistikzentrum wurden wir noch mal gründlich unter die Lupe genommen.
Die Rückfahrt verlief unspektakulär, allerdings fing es an zu regnen. Im Gewerbegebiet in Essen fuhr ich den Truck auf den Hof und überließ das Abkuppeln schon Luke. Ich selbst machte die Papiere.

Julian wartete schon mit seinem Opel Admiral. Also trennten wir uns. Luke fuhr die Zugmaschine nach Bochum und ich stieg zu Julian ins Auto und wir fuhren nach Köln. „Nicht den Astra bei dem Wetter?“ „Ist doch nur Wasser und die Schweller sind eh voll mit Hohlraumwachs. Außerdem soll die Sonne wieder raus kommen.“ Das tat sie sogar schon beim Kreuz Breitscheid.
Dass es ein Scheiß-Abend werden sollte, war schon klar, bevor das Spiel los ging. „Die Schiedsrichter heute Abend sind Roland Aumüller und Willi Schimm.“ Also 6 Kölner gegen 8 Bayern.
Ein Problem war natürlich auch, dass die Kölner zwar 20-mal gegen aber nur einmal in das Tor trafen. Sonst wäre der Sack spätestens zur Mitte des zweiten Drittels sowieso zu gewesen. Bester Verteidiger Straubings war definitiv das Torgestänge.
Man musste außerdem fairerweise sagen, dass die Pfeifen vom Dienst es tatsächlich schafften, 56 Minuten lang das Spiel fair zu leiten. Leider dauerte auch dieses Spiel aber 60 Minuten.
Und dann kam es dicke. 4 Minuten vor Schluss Tumult vorm Kölner Tor beim Stand von 1:1. Der Linienrichter zeigte Videobeweis an, aber die Schiedsrichter ließen weiter laufen. Nach 3 Minuten entschieden sich Aumüller und Schimm, doch noch fernzusehen. Tor zählt, so konnte man auch eine Mannschaft verunsichern. Die Uhr wurde zwar regelkonform die 3 Minuten zurückgesetzt, aber der Ablauf war durcheinander, was die Straubinger mit einem Treffer Vorsprung weniger störte.
Als dann auch noch 8 Sekunden vor Schluss die Schiedsrichter abpfiffen, obwohl der Straubinger Torwart die Scheibe nicht fest gehalten hatte, rastete die Halle aus. Und in 8 Sekunden war es beinahe unmöglich, noch mal anzugreifen, ein Bullytor konnte zwar vorkommen, aber war doch selten. Die Bayern in irgendwie gefühlt dann doch doppelter Überzahl hatten gewonnen.
Julian hatte in der Pause ein Kölsch getrunken, als er erfahren hatte, dass es sich genauso wenig gelohnt hätte, in Bochum zum Fußball zu gehen. Also drückte er mir die Schlüssel in die Hand. Ich fuhr das Dickschiff nach Hause, wo überraschenderweise Timo mit Luke in der Küche saß und die beiden sich mit einem Würfelspiel beschäftigten.
„Hallo Timo. Du hier und nicht bei Deiner Freundin?“ Er winkte ab. „Das ist eine lange Geschichte und ich möchte jetzt nicht darüber reden.“ „Oh. Aus?“ „Nein, aber nicht heute Abend, bitte!“
„Und was hat Dich überrannt, am Montag mal so eben den Betrieb bis 9 lahm zu legen? Wenn mir wenigstens diese Frage im eigenen Betrieb gestattet sei.“ „Dein Betrieb ist eine Etage unter uns. Ich will darüber nicht sprechen vor Montag. Bitte lass es gut sein. Ist nichts Schlimmes, im Prinzip die Antwort auf die Frage von eben. Es ist jetzt nur schlecht, wo nicht alle da sind und ich will nicht vorgreifen.“ Na danke. Ich beließ es aber dabei, so viel Respekt musste ich ihm aufbringen. Schien ihm ja wichtig zu sein. Außerdem hatte ich da eine Vermutung, die mir gerade wieder in den Kopf geschossen war.
Für heute war ich sowieso lange genug auf den Beinen gewesen. Ich ging ins Bett und kurz danach kam Luke auch rein.
—————————————–
Mein Dank für die Trailerentwürfe geht an „derfreiburger“, Autor des Tagebuchs „Hannes auf Achse“. Er war damals so freundlich, mal schnell in der Bildbearbeitung diese beiden Entwürfe zu erstellen, die irgendwie die vorhandene Lackierung eingebunden haben. Schlüssige Gesamtkonzepte für Zugmaschine und Trailer waren damals noch ein ferner Traum. Nicht mal an Trailer zum Kaufen wagten wir zu denken.
