Kapitel 71 – Kälteperiode

In diesem Kapitel…
…gehen Luke und Ricky getrennte Wege…
…ein Anfänger gibt Vollgas…
…und Mahad muss den neuen Iveco „fahrbar“ machen!


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Montag, 05.10.2015

Nachdem wir das Wochenende in Clermont verbracht hatten, ging es am Montag wieder auf Tour. Ich fuhr die erste Runde, aus Clermont mit einem Tanktainer, voll mit Mineralöl für die Reifenherstellung, im Regen zur Autobahn.
Es dauerte aber nicht lange, bis die Sonne raus kam und so konnten wir das Panorama von Lyon auf der Durchreise auch mal bei Tageslicht bewundern.

An der Raststätte, wo wir einen Tankstopp einlegen mussten, gab Luke mir unmissverständlich zu verstehen, dass ihm am Wochenende eine Sache lange genug auf die Nerven oder meinetwegen aufs private Geld gegangen war.
Denn nachdem ich mit der Firmenkreditkarte den Diesel bezahlt hatte, sprach er den Verkäufer an: „Une cigarette electronique pour mon ami, s’il vous plaît.“ Nach einer Beratung durch Luke über die verschiedenen Modelle, die sie hier hatten, war ich also ein Set mit Mundstück, zwei Verdampfern und ein paar Liquids reicher, meine private Kreditkarte dafür etwas ärmer. Ich hatte mich die erste Zeit, die wir zusammen fuhren, gegen das Ding gewehrt. Allerdings musste ich wirklich zugeben, dass der Kampf seit knapp 2 Wochen eigentlich schon verloren war.
So konnte ich jetzt jederzeit aus zwei verschiedenen Liquids wählen, er hatte in seinen zwei Verdampfern immer verschiedene Nikotinstärken, andere minimierten so das Risiko, bei einem Aromawechsel irgendwas fieses gemischt zu bekommen, so lange das alte noch nicht ganz raus war und nahmen einen für milden und den anderen für kräftige Aromen. Ich hatte mir allerdings 3 und 6 mg Liquids zusammengestellt und würde das wie Luke machen.

Weil auf der Rastanlage eine größere Gruppe Flüchtlinge herumlungerte, machten wir noch mal eine genaue Kontrolle unseres Trucks und dann fuhr Luke weiter.

Aus gutem Grund hatte Judith uns nicht für mehr als diese erste Fracht disponiert, bevor sie sich in den Urlaub verabschiedet hatte. Und tatsächlich bekam ich kurz danach 2 Miteilungen. Sowohl eine der neuen Zugmaschinen als auch einer der Trailer war da. Und ich hatte beschlossen, dass die erst einmal eine Runde getestet werden sollten, bevor da mit Folie oder Lack dran gearbeitet wurde.

Luke brachte uns bis an die Grenze nach Deutschland und ich fuhr noch weiter bis zum Autohof Aurach. Dort fand ich einen Parkplatz, der weder zu dicht an dem einen Viehtransporter noch an den nächsten Kühlern war.


Dienstag, 06.10.2015

Wir machten uns als erste über das Frühstück her und fuhren weiter. Die Einfahrt beim Kunden war auch mal wieder eine zum Herumärgern. Als das Tor und der Hof geplant wurden, hatte man wohl kurze Robur und Ifa mit ebenso kurzen Anhängern anstatt Sattelzüge von damals hier nicht üblichen Abmessungen im Sinn, wobei das Containerchassis immer noch relativ human war gegenüber einem Tanker oder einer Plane.

Ich hatte für Luke eine Anschlussfracht nach Valladolid gesichert, chemische Gemischtwaren für Talke. Ich selbst fuhr noch bis Frankfurt mit und teilweise auch selbst. Luke hatte inzwischen wieder übernommen. Er setzte mich mit flüchtigem Abschiedsküsschen in Eschborn an einer strategisch günstig rot gewordenen Ampel in Bahnhofsnähe ab. Ich sah dem Lastzug nach, wie er wieder in Richtung Autobahn fuhr.

Danach nahm ich die S-Bahn nach Frankfurt Hauptbahnhof und den ICE ins Ruhrgebiet. Dank einem Stellwerksbrand in Mülheim wurde es noch mal abenteuerlich, denn ich musste vom Ersatzbahnhof in Gelsenkirchen den restlichen Heimweg mit der Bogestra antreten.


Mittwoch, 07.10.2015

Als erstes sammelte ich in Recklinghausen die neue Zugmaschine ein, dann den Trailer. Beides hatte ich durch die jeweiligen Händler auf die nächste freie Nummer in unserem Block anmelden lassen. Das cremeweiß der Zugmaschine und das grauweiß des Trailers passten nicht wirklich zueinander, aber die anderthalb Wochen sollte das auch gehen, danach gab es die neue Hausfarbe für diesen Geschäftsbereich.

Für mich hatte ich erst einmal eine ruhige Tour gesucht. Wein nach Skandinavien mit zwei Abladestellen. Das sollte es für den Rest der Woche tun. Die Ladestelle war pikanterweise Dachser in Neuss, also nicht nur irgendwo in Patricks Revier gewildert, sondern direkt vor seiner Haustür.
Kühler fahren war auch bequem. Zumindest wenn man wie hier beladen wurde. Ich saß in der Kabine und beschäftigte mich mit meinem Tablet, nahm ab und zu einen Zug aus der E-Zigarette.

Wenn ein LKW vorbei rollte, sah ich mal kurz auf. Und dann kam ein Brückenzug mit Drehschemel und dicker Aufschrift „Patrick Schütz Transporte“, ein Scania Streamline.
Weil er wohl links neben mich wollte, warf ich mir die Warnweste über und stieg mal lieber rechts aus, bevor ich den Begriff „toter Winkel“ zu wörtlich ausprobierte. Mal sehen, ob ich den Fahrer kannte.

Und ob ich den kannte. In der Frontscheibe waren neben ein paar Wimpeln auf der Fahrerseite das Namensschild „Maxi“, oben „Küken“ und auf der Beifahrerseite „Justin“. Also Truck Sharing. Und das Küken saß am Steuer. Leute, sperrt die Kinder ein, Maxi hat den Führerschein!
Er musste 2-mal korrigieren. Einmal wollte der Anhänger in eine andere Richtung und beim 2. Mal schien er sich verlenkt zu haben. Bei der zweiten Gelegenheit driftete der Motorwagen etwas zu deutlich in Richtung meiner Zugmaschine. Ich beschloss, doch mal auf mich aufmerksam zu machen, fing an zu winken und zu rufen, falls er das Fenster einen Spalt offen hatte: „Hey, Maxi! Stop! Der Spiegel hat noch keine 100 Kilometer gesehen!“
Maxi korrigierte, der einzige Knall blieb so ein Volltreffer mit der hinteren Brücke an der Rampe. So wusste der Lademeister wenigstens sofort, dass er Arbeit bekommen hatte. Auch wenn ich weder gerade neben Emilio Estevez zwischen Müllwagen stand noch Maxi den Film „Men at Work“ kennen dürfte, bemühte ich das Filmzitat als Monolog: „Applauswürdig? Ein mittlerer!“ Ich klatschte mit ausgestreckten Armen zurückhaltend Beifall.

Patricks Azubi kletterte aus der Kabine. „Ey Ricky, was machst ’n du hier?“ „Hallo Maxi. Ich würde mal sagen, ich werde beladen.“ Er warf einen Blick auf mein Gespann. „Achso. Hmm mit Kühler… Neue Geschäftsidee?“ „Ja.“ Er brückte nebenher ab.
„Mach Patrick aber nicht zu viel Konkurrenz.“
Als ob mich das interessieren würde, so lange ich einen Markt für uns sah. Freunde gab es in der Branche eh immer weniger, es gab eigentlich nur Leute, mit denen man derzeit nicht in Konkurrenz stand. Außerdem war Patrick in letzter Zeit auch ein Bisschen abgetaucht. So genannte Freundschaften erhielt man vor allem durch Kontakt, den er nicht mehr hielt wie in der Zeit davor. „Nein, ich denke nicht, dass wir uns da sonderlich im Weg sein werden.“ Zumindest nicht, wenn der Fahrer von diesem Zug erst mal Maxim Stanjaslow hieß. Für die kommenden anderthalb Wochen war ich mir da nicht ganz so sicher.
„Wo fährste jetzt hin?“
„Dänemark und Schweden.“ „Ah okay. Also Chef sein Gebiet.“ „Ist es das?“ Ich bemühte mich um einen unschuldigen Blick. Wie gesagt, so lange ich auf Testfahrt war, war ich mir um den Burgfrieden nicht ganz so sicher. Maxi grinste breit.
Maxi machte die Meldung, dass seine Brücken da waren, über Funk. Dann fragte er wieder mich: „Wie lange musste noch stehen Ricky?“ „Knappe Viertelstunde wird es wohl noch dauern.“ Er war aber weiter verplant. „So Ricky, würde ja gerne noch quatschen, aber ich muss noch mal nach Köln zum Dachser, 2 umbrücken…“ „Na dann viel Spaß…“
Er zog unter beiden Brücken raus und war kurz darauf mit Vollgas auf dem Hof verschwunden. Und das mit feuchter Tinte auf dem Schein und einem R490. Rennstall Schütz.

Die Ladung war drauf und gesichert, ich schaltete das Aggregat ein, stellte es wunschgemäß auf weinfreundliche 11°C und 55% Luftfeuchtigkeit. Dabei machte ich mir die Notiz im Hinterkopf, vor der großen Pause noch mal im Handbuch nachzulesen, wie man die Anlaufwarnung des Aggregats abschaltete und das auch zu tun. Wenn das die Nacht über vor jedem Kompressorstart 4-mal piepte, würde mich mein Parkplatznachbar endgültig an der nächsten Laterne aufknüpfen.

Als ich auch los wollte, kam Maxi wieder angebürstet. Ich hängte mich ran, aber zwei offensichtlich leere Brücken gegen einen Trailer voll mit Wein war ein ungleicher Kampf in der gleichen Leistungsklasse.
Weil er sich in Richtung B1 und A57 nach Süden einfädelte und ich über Handweiser in Richtung Mörsenbroicher Ei und A52 nach Nordosten wollte, konnte ich auch nicht zur Ampel noch mal ran kommen.
Das Navi hatte sich wegen der Verkehrslage für die Variante A2 / A7 entschieden und auf der Strecke nach Hannover telefonierte ich mit Luke, der genauso alleine durch die Bourgogne rollte.
Garbsen würde ich nicht mehr in der Zeit erreichen, also fuhr ich den Autohof Bad Nenndorf an. Hier warf ich mal einen Blick ins Truckspotterforum, das ich vor ein paar Wochen entdeckt hatte und ich war nach einem halben Tag schon „aktenkundig“.

< Scaniafan_NE>
Habe diesen neutral weißen Iveco bei Dachser in Neuss abfahren sehen. Kennzeichen eindeutig neue Zulassungen von KFL Intertrans aus Bochum. Aber was wollen die mit einem Kühler? Ist aber auch keine Firmenadresse oder so zu erkennen. Wohl brandneu das Teil.

< Elbtunnel-Eule>
Sie haben doch in den letzten Wochen einen Chereau-Kühler getestet. Dann macht es nur Sinn, dass sie jetzt einen haben.

< KevinAusMannheim>
Was will ein Talke-Subunternehmer mit einem Kühler?

< Scaniafan_NE>
Die sind doch nicht mit Talke verheiratet. Zweites Standbein vielleicht? Bisschen Food auf eigene Rechnung spazieren fahren. Thematisch schön weit weg von dem wichtigsten Kunden. Meiner Meinung nach genau richtig.

< Actrosjunge>
Und dann gleich mal in Neuss beim Dachser laden? Wäre jetzt gerne die Spinne in der Ecke über Patrick Schütz Schreibtisch. Ich dachte, die beiden sind befreundet.

< KevinAusMannheim>
Freunde? In dem Job gibt’s eh keine Freunde, nur Feinde und Gerade-nicht-Feinde. Mein Vater fährt auch für einen kleinen Unternehmer mit 4 Zugmaschinen. Heute arbeitet man mit einem anderen kleinen zusammen, morgen macht man sich gegenseitig fertig, übermorgen muss der eine an einen Konzern verkaufen und der überlebende hat sich selber ein großes Problem mehr an den Hals gebunden. Aber wozu die dritte Achse an der Zugmaschine?

< Manfred_1973>
Vielleicht bleiben die beiden Fahrzeuge ja nicht zusammen. Dritte Achse ist typisch internationale Chemietransporte. Sieht man ja auch bei anderen wie MM aus DU. Würde mich nicht wundern, wenn der Chereau am Ende ein Franzosengespann mit dem IT 520 Magnum bildet und der IT 505 Stralis in die Chemie geht. Und wenn nicht können sie den neuen wenigstens auch in der Chemie einsetzen, falls das mit dem Kühler nix wird.

< Matches>
500 oder 520 PS am Kühler? Außerdem stehen beide Renaults gerade in der Halle, der Magnum schon seit Wochen. Der Fahrer ist soweit ich weiß seitdem als zweiter Mann auf dem TGX. Warum dann nicht gleich zusammen einsetzen? Ich bin aus Bochum Laer, eben mit dem Fahrrad mal da vorbei und habe durch den Zaun gelinst.

< Manfred_1973>
Ja und? Machen andere auch. Du hast einen Trailer mit doppelwandigem Koffer, den Zwischenraum mit Dämmung und Versteifungen voll gestopft, eine Trennwand im Frachtraum und das Aggregat mit einem kleinen Dieselmotor, Kühlmittelkreislauf, Wärmetauscher und Dieseltank. Da sind zusammen mit ein paar Leerpaletten im Kasten schnell zwei Tonnen mehr Zuggewicht zusammen gegenüber Plane, wenn Du nicht eh voll ausgeladen bist. Wenn Du dann am Berg nicht durchgereicht werden willst, solltest Du schon die 500 PS ins Visier nehmen. Bin im ersten Zivil-Beruf selber Kühler gefahren. Mit 380 PS, was mein ziemlich gebrauchter MAN hatte, war das manchmal auch mit nur 14 Tonnen Zuladung schon zäh.

Das Fazit dieses kleinen Besuchs war also, dass wir offenbar so interessant waren, dass wir einen jungen Stalker hatten, der mal eben von der Straße übern Zaun peilte, welche Maschinen von uns unterwegs waren – und dass im Internet keine Fahrzeugneubeschaffung für 24 Stunden geheim blieb.

Ein großer Vorteil war, dass man mit einem Kühler immer problemlos durch den Elbtunnel konnte. Zumindest so lange der Verkehr nicht für Probleme sorgte. Vielleicht sah mich ja die Elbtunnel-Eule.

Mit einem letzten Stopp auf dem Rasthof Brokenlande und einer 10er Schicht schaffte ich es noch, das Land zu verlassen und bis auf die Rastanlage Høgelund. Luke war wohl schon in der Koje, jedenfalls war sein Handy offline.


Donnerstag, 08.10.2015

Es ging nun weiter in das kleine Dörfchen Nørre Felding bei Holstebro. Auf einem ehemaligen Gutshof hatte sich ein Weinhändler einquartiert und nutzte die Keller, in denen einst Kartoffeln und Zwiebeln eingelagert wurden, jetzt für Wein. Dass es gut für Wein war, geschüttelt zu werden, glaubte ich nicht. Aber der Zufahrtsweg war jedenfalls kurvenreich, nur geschottert und teils in bemitleidenswertem Zustand.

Der Weinhändler setzte sich auf seine Ameise und ich stellte ihm mit dem Hubwagen seine Paletten nach vorne. Im Gegensatz zur Chemie, wo das schlimmste war, mal eine Saugleitung ans Silo zu klemmen oder so, artete hier die Sache dann doch ganz ordentlich in Arbeit aus.

Nachdem dieser Teil der Fuhre abgeladen und die Papiere fertig waren, verabschiedete ich mich von dem Kunden und machte mich mit dem Rest auf den Weg, wieder alleine am Limfjord entlang. Dabei klingelte das Telefon.
Mit dem zweiten Truck gab es ein Problem, im Werk hatten sie versehentlich Metallic statt Brillantlack aufgebracht. Deshalb war der noch nicht da. Es war aber der gewünschte Farbton Dunkelblau. In unserem Vertrag mit Talke stand, dass wir ihre Farben benutzen „sollten“ und auch bei dunkelblau mit Metalliceffekt waren wir davon ja nicht wirklich abgewichen.
Ich rief Luke an. Natürlich dauerte es erst einmal die eine oder andere Liebesbekundung quer über den Kontinent. Aber am Ende bekam ich von ihm auch ein Okay, dass er mit der Metallicfarbe zufrieden war und arbeiten konnte. Also durfte – natürlich ohne den entsprechenden Aufpreis – der Truck in Glitzerfarbe kommen.

Mit einer Pause zwischendurch kam ich nach Frederikshavn und dort nahm ich noch mal die „niedrigen“ Preise Dänemarks in Anspruch. Natürlich war der Preis auch hier recht groß, aber gegen Schweden war es hier ein Schnäppchen.
Danach ging es zum Hafen und hier musste ich eine Weile warten, weil die nächste Fähre erst in 4 Stunden fuhr.

In Schweden angekommen fuhr ich noch um Göteborg herum und ein Stück aus dem Großraum raus, damit mir der dicke Verkehr in der morgendlichen Rushhour wenigstens erspart blieb.
Auf der Fähre hatte ich nirgends schlafen können und deshalb rettete ich mich dann doch die letzte Stunde unter dem Einfluss von einer Dose Energydrink für eine große Pause an die erste Tankstelle.


Freitag, 09.10.2015

Der Tag war ziemlich langweilig. Auf dieser Strecke bestand Skandinavien eigentlich nur aus Wald. Mein Schatz war auf dem Weg von Valladolid zu Global-Talke bei Tarragona, 3000 Kilometer entfernt.

Mit der Abenddämmerung kam ich in Uppsala an. Den Kunden hatte ich angerufen, er wollte warten, bis ich bei ihm war. Auch in Schweden war der Samstag großer Einkaufstag und er wollte für seine Kunden den passenden Wein zum Sonntagsbraten im Laden haben.

Er konnte die Laderampe in dem Einkaufszentrum nutzen, also waren wir mit zwei Ameisen schnell fertig mit Entladen. Danach fuhr ich zum Hotel. Dass Hotels Parkplätze für komplette Lastzüge hatten, war auch eine Spezialität in Skandinavien. Wochenende.


Montag, 12.10.2015

Nach einem Wochenende in Uppsala ging es morgens quasi direkt vom Hotelfrühstück los in Richtung Ladestelle. Es gab tiefgefrorenen Fisch. Die nächste Ladestelle war dann in Jönköping. Also rief ich bei Dominik an, während ich mich durch den Berufsverkehr der viertgrößten Stadt Schwedens quälte.
Weil er seinen Zug erst in der Frühschicht beladen bekam, würde er erst nach dem Mittag aufbrechen. Weil meine Fähre auch erst kurz vor Mitternacht in Trelleborg ablegte, passte das. Also wollte ich ihn in der Firma seines Onkels besuchen.

In Stockholm war das schlimmste schon durch. Also kam ich relativ ungeschoren durch die Stadt.
Weil es nicht bis Jönköping reichte, machte ich Pause auf dem Rastplatz Brahehus. Wegen meiner Vorliebe für alte Gemäuer war das mein Lieblingsrastplatz auf dieser Strecke, direkt an der Ruine des alten Herrenhauses.

Zuerst steuerte ich meine Ladestelle an und bekam das Essen mit dem in Deutschland wohl schwedischsten Image überhaupt draufgepackt, ebenfalls tiefgekühlt: Köttbullar. Danach fuhr ich eben die paar Kilometer rüber nach Huskvarna und zur Fabrik von Dominiks Onkel.
Nach der Begrüßung wunderte er sich erst einmal über den Lastzug: „Kühler?“ „Ja, neue Idee. Ich fahre den zur Probe. Weil aber beide Teile in Ordnung sind, geht er wenn ich Mittwoch zu Hause bin zum Folieren.“
Wir unterhielten uns bei einem Mittagessen in der Kantine. Mir war nach was süßem, also entschied ich mich für Blåbärspalt, Klöße mit Blaubeersoße. Dominik hatte einen Kartoffelauflauf mit Fisch drin. Während dem Essen unterhielten wir uns darüber, was alles in der Zwischenzeit passiert war und was demnächst noch passieren sollte. Sein erstes Ziel heute war Helsingborg, also konnten wir ein gutes Stück zusammen fahren.
Nach dem Essen setzte Dominik sich erst einmal auf einen Kalmar Schwerlaststapler und rückte eine Wechselbrücke ein paar Meter von der Laderampe ab. Dann stieg er in seinen 650 PS starken Volvo, der schon einen Eurocombi-D-Trailer aufgesattelt hatte. Weil der mit der Sattelplatte hinten einige Meter über die Brücke hinaus stand, war die Aktion mit dem Stapler nötig gewesen, um unter die Brücke zu kommen. Nachdem er aufgebrückt hatte, wies ich ihn unter den Standardtrailer daneben ein und fertig war der 60-Tonner.

Gemeinsam fuhren wir aus dem Großraum Jönköping raus und die Autobahn in Richtung Helsingborg. Dabei blieben wir über Funk in Verbindung. Ich war erstaunt, wie gut Dominik vor mir Tempo machen konnte. Okay, er hatte 150 PS mehr als ich, aber ich war erst zu 75% beladen und somit auch über 25 Tonnen leichter als sein Doppelzug. Klar hätte ich manchmal ein Bisschen schneller gekonnt, aber ich hatte damit gerechnet, dass sein 60-Tonner im Schnitt nicht so flott würde. Was Hubraum doch ausmachte.
Aber noch was erstaunte mich: „Seit wann hörst Du Hip-Hop?“ „Im Prinzip immer noch nicht. Aber für Patrick Jørgensen und „Million Questions“ mache ich eine Ausnahme. Das ist so emotional, dass ich auch mal jemandem zuhöre, wenn er ein Lied spricht.“ Was ich da im Funk als Hintergrund hörte, gefiel mir auch. Da hatte ich mal wieder ein Lied zu suchen.
Wir verabschiedeten uns am Autobahnkreuz Kropp. Dominik blieb auf der Hauptspur, die zum Zubringer nach Helsingborg wurde, ich wechselte auf die E6 nach Süden.

Kaum war der Funkkontakt abgerissen klingelte das Telefon. Apropos „Patrick“. Der hatte sich ja Zeit gelassen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, es letzten Mittwoch nicht mal bis ins Mörsenbroicher Ei zu schaffen, bevor das Telefon losgehen würde. Unschuldsstimme einschalten und annehmen.
„Hallo Patrick, wie geht’s?“ „Moin Ricky. Alles wunderbar. Wie is bei dir?“ „Könnte kaum besser sein.“ „Ja ich habe schon gehört. Treibst dich in Schweden rum mit ‘nem Kühler…“ Also ohne Umwege zum Punkt.
„Na so was. Woher weißt Du das nur wieder?“ „Meine Fahrer sind überall.“ Das Böse ist immer und überall hatte es eine österreichische Band formuliert. „Und wenn nicht die, dann Jugendliche in den Ferien mit einer Kamera auf einer Autobahnbrücke…“ Diesen Spionagefaktor durfte man auch nicht vernachlässigen. „Richtig. Da habe ich auch wieder einige im Ruhrgebiet gesehen wo ich gestern Abend los bin.“ „83 Kilometer nachdem Du die Zugmaschine beim Händler holst, wirst Du das erste Mal abgeschossen. Und ich behaupte mal, da bin ich schon verdammt weit gekommen.“
Da hatte ich damit gerechnet, dass er drauf anspringen würde. Aber das Gespräch war ruhig. Zu ruhig fast schon. „Okay…. Naja mein New Actros mit Plane ist ja aktuell zur Jagd frei gegeben nach der ersten Sichtung in Schweden, wo nur der Arsch abgelichtet wurde.“ Doch wieder akute Actrose? Ich dachte, die fanden den Gang nicht. „Nee, mich haben sie schön beim Dachser erwischt. Einmal Zugmaschine zum Tor raus. BO IT 505. Leugnen zwecklos.“
Doppelt nachgelegt, aber Patrick blieb weiter ruhig. Nicht mal ärgern lassen wollte er sich. Dabei hatte ich gedacht, dass er etwas dünnhäutiger war, wenn ich in seinem Revier herumfuhr. Er wusste ja nicht, dass das vorübergehend war. Trotzdem war es eine süße Rache für seine Umtriebe in meinem Personal dieses Frühjahr.
„Ahh okay. Muss mal schauen ob Küken auch interessant war. Der is ja vor dir raus. Apropos…. benimmt er sich im Verkehr?“
„Legst Du da Deinen Maßstab an oder meinen?“ „Ich lege Maß an die StVO, von seinem Lappen tropft doch noch die Tinte runter…“ „Also das Radar hat ihn nicht mehr sicher erfasst. Aber er sollte jedenfalls schnellstens lernen, dass man auf Speditionshöfen mit Gabelstaplern, Fußgängern und anderen potenziellen Gallionsfiguren rechnen sollte.“ Ich würde da zwar eher nicht enden, aber mit Maxim und Tomas würden zwei von uns demnächst vielleicht auch ein ums andere Mal bei Dachser auf dem Hof rumlaufen. „Hmm okay….. Ja da muss ich ihn drauf hinweisen. Vor den Pony LKWs kannste ja nicht oft genug warnen.“ Ja, das auch. Aber da trafen dann wenigstens die richtigen aufeinander und kein Fußgänger auf einen durchgeknallten Fahranfänger.
„Aber er war für meinen Geschmack definitiv zu flott unterwegs. Als Ösi-Polizist, die ja Augenmaß dürfen, würde ich ihm ein Knöllchen mit Schätzgeschwindigkeit 63 oder so für die Heerdterbusch ausstellen.“ Verpetzt du mich, verpetz ich dich. So einfach war das Leben. „Hmm. Okay, mal in den Tacho schauen…“ „Ja, da findet man manchmal interessante Sachen.“ Kleine Spitze in Richtung Timos Nummer vom Anfang des Jahres, an der Patrick ja auch nicht unbeteiligt war.
„Ja das stimmt. Naja, wo bist du gerade?“
Der ließ sich ja echt nicht aus der Reserve locken. „Kurz vor Malmö Richtung Trelleborg.“ „Hmm knapp daneben is auch vorbei…“ „Knapp wo neben?“ „Rolle Richtung Kopenhagen, muss nach Nyn….. Nynä…. Nyn… waaaaaas? Das kann man doch nicht aussprechen! Auf jeden Fall muss ich nach oben und dann rechts.“ Okay, da müsste ich auch Dominik fragen, wie man die Stadt oben und dann rechts ausspricht.
„Na ja. Würde ich den Landweg nehmen, wäre Karlslunde mein Rastplatz für die Nacht gewesen.“ Und damit wäre er wahrscheinlich auch an mir vorbeigefahren, ohne mich zu sehen.
„Und was planste nun für Schandtaten?“
„Nur die schändlichsten.“ Kannst alles essen, aber nicht alles wissen. „Na dann bin ich beruhigt.“ Tropfte da etwa Ironie aus dem Lautsprecher? „Freut mich, dass ich helfen konnte.“ Am besten in einem Becher auffangen und gleich wieder zum Mikrofon rein kippen.
„Ich danke. Magst in Zukunft mal wieder aufn Bier kommen, so lange es noch geht?“
Und warum sollte das bald nicht mehr gehen? „So lange es noch geht?“ „Ja. Es möchte sich jemand die Wohnung teilen…“ „Muss sehen, ob ich Ausgang kriege. Wird bis Ende des Monats vermutlich schwierig.“ Denn Luke und ich waren bis dahin getrennt unterwegs. Nicht nur dass er mich dann nicht weg lassen würde. Auch ich war dann logischerweise am Wochenende lieber mit Luke zusammen als mich wieder mal bei Patrick voll zu kippen.
„Achso okay. Können ja nochmal schreiben. So ich muss mal was tun. Denke mal du wirst gleich ins Bett, oder?“
„Erst mal sehen, wann ich aufs Schiff darf.“ „Na dann. Ich wünsche viel Spaß. Ich werde mal das tun was ich am besten kann. Bis denn dann.“
Was konnte er denn am besten? „Rasen?“ „Ja…NEIN!“ Vielen Dank Herr Dr. Freud. „Ich wünsche einen angenehmen Flug. Gute Nacht.“ „Danke. Angenehme Überfahrt. Ciao.“ „Ist mit TT gebucht. Wird angenehm…“ Okay, bei Wind und Wetter waren die großen Stena-Pötte zumindest von den Bewegungen bisweilen angenehmer, aber es war ja nur kalt und nicht sonderlich windig. „Na dann.“


Dienstag, 13.10.2015

Nach der Überfahrt und einem wirklich frühen Frühstück auf der, verglichen zu den doppelt so großen Massenabfertigungswannen von Stena, familiär gemütlichen Robin Hood fuhr ich zur letzten Ladestelle in Szczecin. Nachdem auch diese Ladung drauf war, lag das nächste Ziel im Dunstkreis des Ruhrgebiets, wo das Zentrallager einer Supermarktkette diese Sachen bekommen sollte. Heute schaffte ich es immerhin noch bis Garbsen bei Hannover.


Mittwoch, 14.10.2015

Weil die Ware noch heute kommissioniert und spätestens über Nacht ausgeliefert werden musste, damit sie am Donnerstag für die Sonderangebote der zweiten Wochenhälfte im Kühlregal liegen konnte, musste ich schon um 20 vor 4 den Motor wieder anwerfen.

Nachdem ich abgeliefert hatte, fuhr ich nach Bochum und dort gleich zu den Lahrmann-Brothers. Vinni wusste ja, was er zu tun hatte, aber eine Sache kam dazu. Weil der Meister von Farbe und Folie aber schon mit der Sprühpistole an einem Unfallschaden herumlackierte, stand ich mit dem afrikanischen Teil der ungleichen Brüder am Tresen: „Hast Du mal Deinen Felgenkatalog da?“ „Ja, warum?“ „Schau Dir das doch mal an, glanzpoliert auf dem Trailer und matt gebürstet auf der Zugmaschine? Unfahrbar sag ich Dir! In dem Zustand kann ich es nicht verantworten, den Zug an einen Angestellten zu übergeben.“ Mahad brach in Gelächter aus. „Was Worte aus Deinem Mund. Hast Du wenigstens schon den Nachnamen Schubert beantragt?“
Nach ein Bisschen Blättern hatte ich einen Satz schöne, glanzpolierte Felgen gefunden. Und für das neue Spielzeug von Luke und mir noch ein Anbauteil, das bei einem britischen Truck einfach sein musste.

Nach der Rückkehr zur Firma durfte ich gleich mal zum Straßenverkehrsamt, denn sowohl für Lukes und meine neue Zugmaschine als auch den Planentrailer für Tomas Gespann waren Einschreiben mit den Papieren in der Post. Fahrzeuge abholen ging allerdings nicht wegen Fahrzeit. Da sollte sich Marlon mal mit beschäftigen und bei der Gelegenheit gleich mal prüfen, ob alles in Ordnung war.

Ich nahm mir deshalb mal lieber den MAN unserer Urlauber und wollte bis zum Wochenende noch ein Bisschen unsere Talke-Bilanz aufhübschen.

Wegen der Verkehrslage ging es wieder via Hannover nach Kiel. Wobei es heute nur noch bis zum Autohof Schwarmstedt reichte.


Donnerstag, 15.10.2015

Ein wieder mal ereignisloser Tag brachte mich von Kiel nach Hannover und die Anschlussfahrt nach Frankfurt.
Ich telefonierte unterwegs mit Luke, er war gut vor der Zeit und wollte schon heute Abend zu Hause sein. Deshalb vereinbarten wir, dass er morgen unseren neuen Truck abholen und dann seine Tagesrunde Nahverkehr damit drehen sollte. Auch wenn das wohl einen Strudel im Tank zur Folge haben dürfte. Dabei warnte ich ihn auch noch vor, was ich schon bestellt hatte. Sonst fing er noch damit an, irgendwas zu lackieren, was dadurch überflüssig wurde.
Schließlich ließen wir die Firma dann Firma sein und flüsterten uns lieber ein paar Zärtlichkeiten durchs Telefon.


Freitag, 16.10.2015

Mit Umwegen über Ludwigshafen und das Talke-Hauptquartier in Hürth ging es nach Hause. Als ich ankam, wuselte Luke schon in der Lackierkabine, die er sich am letzten Wochenende, an dem wir hier gewesen waren, zusammenimprovisiert hatte, herum.
Unser neues Gefährt war schon teils abgeklebt, er wollte wohl erst einmal alles rot machen, was rot zu sein hatte. Jedenfalls war der untere Teil nicht abgeklebt.

Ich wusste, dass ich bei aller Liebe ein toter Mann war, wenn ich jetzt da rein ging und Staub mit rein brachte. Also klopfte ich nur mal kurz an einen Blechschrank, damit er aufschaute und wir winkten uns durch die Folie zu.

Dafür war dann das Abendessen schon auf dem Herd und fast fertig, als er rauf kam, um sich den sehr langen und innigen Begrüßungskuss abzuholen. Timo kam erst morgen aus dem gemeinsamen Urlaub mit Ilarion zurück, Julian hatte es geschafft, eine Ladung nach München vorm Wochenende zu bekommen und dort mit seiner Celia das Wochenende zu verbringen. Also hatten wir heute Abend Sturmfrei…

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