Diese Woche…
…macht Ilarion den schwersten Anruf seines Lebens…
…Henry rennt einem Ball hinterher…
…und Ricky nimmt Abschied von einem treuen Weggefährten!
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Das Wochenende hatte Luke tagsüber meistens in der Lackierkabine verbracht. Am Samstagabend hatte ich dafür während der letzten Woche noch einen Tisch im Mongo’s für uns reservieren können. Ab und zu fand ich das Restaurantkonzept mal interessant. Man durfte nur nicht zu oft hin gehen, dann wurden auch die exotischen Zutaten irgendwann normal und langweilig und man konnte sich denken, was herauskam und das Gefühl, gerade irgendwas zu experimentieren ging verloren.
Montag, 19.10.2015
Morgens gab es Personalzuwachs. André kam als erster. Bei ihm war das Gespräch mit mir über die allgemeinen Dinge ziemlich kurz, bevor ich ihn in Judiths Reich entließ. Rolf bekam dann die große Einführung und schließlich gingen wir uns die Arbeit abholen.
Alle anderen LKW waren inzwischen unterwegs, waren auf Strecke gegangen, bevor André auf dem Posten und eingewiesen war. Also machte Judith das jetzt: „Unser Mappenregal ist ein Bisschen ungewöhnlich, weil wir schon immer Doppelbesetzungen hatten und als Urlaubsvertretung oder aus anderen Gründen mal vorübergehend auflösen. Es hat nicht jeder Fahrer ein Fach sondern jeder LKW. Über dem Kennzeichen ist ein Metallstreifen, auf dem Magnetschilder mit den Fahrernamen und sofern er einen unserer eigenen Trailer fahren soll dem Trailerkennzeichen hängen. Jetzt brauchst Du also erst mal Rolf Degenhardt.“
André fuhr mit dem Finger die Reihe entlang und wurde natürlich erst hinten fündig, weil die Fächer nach Kennzeichen durchsortiert waren und der Magnum das höchste hatte. Aber wir waren ja noch sehr übersichtlich von der Anzahl der Mitarbeiter und LKW.
„So, Renault Magnum, BO-IT 520, erste Ladestelle bei Evonik in Marl für Alfred Talke nach Schwarzheide.“ „Normalerweise hat schon jeder Fahrer seinen festen LKW. Also wirst Du irgendwann schon wissen, dass Du bei Rolf meistens ins gleiche Fach greifen kannst. Und Du hast gesagt, dass Du gut in der Dispo bist. Dann kannst Du sie auch machen, wenn Du willst und der Ausbildungsplan nicht gerade dagegen spricht. Also wirst Du meistens besser als ich wissen, wenn er einen anderen fahren muss.“ Diese Information schien André zu gefallen. Jedenfalls lächelte er dabei. Bei mir wurde er im ersten Fach fündig. Kunststoffgranulat nach Budapest.
Also war ich, schon nach Mittag, schließlich auf dem Weg durchs herbstliche Sauerland, dank Ladestelle auf Landstraßen

Die Pause fand mal wieder am Straßenrand statt. Ich vermisste das Teegeschirr. Seit Luke wieder da war, schmeckte der Tee aus dem dicken Eishockey-Becher irgendwie doch nicht mehr so richtig. Luke vermisste ich auch, also telefonierte ich in der Zeit mit ihm.
Die Sonne verschwand schon deutlich bevor ich meinen Nachtruhe-Platz in Ostsachsen erreichte. Hier steckte ich dank einer Umleitung auf der Landstraße.

Dienstag, 20.10.2015
Dank schlechtem Timing kam ich erst einmal nicht sonderlich weit. Im Berufsverkehr von Prag war Schluss mit fahren und es folgten Stillstand und Schritttempo.

Aber auch so ein Chaos war irgendwann vorbei und es ging weiter in Richtung Brno und Bratislava. Weil ich schon in der Nacht los gefahren war, musste ich mittags auf einen Rastplatz. Als ich mir den Nachmittag mit dem Tablet auf Youtube vertreiben wollte, klingelte das Telefon, es war die Nummer von Ilarion. „Hallo.“ Die beiden grüßten zurück, klangen irgendwie ziemlich besorgt. „Was ist denn los?“ „Ich brauche Deinen Rat. Wie hast Du es damals Deinen Eltern beigebracht, dass Du auf Männer stehst? Wie alt warst Du da? Und wie haben sie es aufgenommen?“
„Das war erst mit 25. Über Weihnachten war ich zu feige, es persönlich zu sagen. Also habe ich dann aus sicherer Entfernung angerufen, als ich in Wales zurück war, bei Luke in den Armen, der mir seelischen Beistand gegeben hat. Meine Mutter hatte es schon geahnt, mein Vater hat vielleicht keine Freudensprünge gemacht, aber mir auch nie deshalb Probleme bereitet oder mir was vorgeworfen. Als ich dann Ostern zusammen mit Luke zu Besuch war, war die Welt auch für ihn schon wieder in Ordnung.“ „Und Luke selbst?“ „Mit 16, bei einem eskalierten Streit über seine Schulnoten, der immer mehr um seinen ganzen Lebensstil ging. Danach war nichts anders. Der Junge bringt halt dann einen anderen Jungen mit, so what! Und das miese Zeugnis lag immer noch auf dem Tisch wie 3 Minuten vorher auch. Kannst Du ihn aber gerne selbst für anrufen. Wir fahren ja diese Woche noch getrennt, um die Quote für Talke diesen Monat zu erfüllen, trotz Testfahrten mit neuem LKW und eigenen Trailern und Euch auf einer Maschine.“ „Ach ja.“
„Warum fragst Du eigentlich?“ „Ich hatte am Wochenende ein Gespräch mit meiner Mutter. Und das hat mir nicht gefallen. Sie denkt, meine Beziehung wäre auseinander, weil ich an den Wochenenden wieder zu Hause bin. Sie ist mir böse, weil ich die Freundin nie vorgestellt habe, während wir zusammen waren und bei der nächsten soll ich das tun. Selbst wenn ich natürlich auch ihr bis heute nicht das Wort Freundin gesagt habe, komme ich mir immer mehr vor wie ein Lügner, wenn ich das unkommentiert so stehen lasse.“
Das war keine schöne Situation. Ich hatte es nie so extrem erlebt, aber kannte die grundsätzliche Problematik. „Ich kenne Deine Familie nicht. Aber denkst Du wirklich, dass Du Probleme kriegst?“ „Das Thema ist in der Familie einfach kein Thema. Sicher bin ich mir nicht. Aber mein Vater ist generell ziemlich konservativ. Bei meiner Mutter hätte ich schon ein etwas besseres Gefühl. Und bei meinen Geschwistern weiß ich es nicht, meine Schwester ist an sich cool drauf, dafür mein Bruder in einem schwierigen Alter für solche Sachen.“ „Wieso? Wie alt?“ „13.“
Im Endeffekt konnte ihm keiner die Entscheidung abnehmen. Ich hatte da schon alles erlebt. Bei meiner Familie war es nach einer Eingewöhnungszeit kein Problem. Bei Luke war es ein Satz wie jeder andere und brachte die Tagesordnung nicht eine Sekunde aus dem Takt. Mein Ex Björn hatte danach zwar noch Kontakt zu seiner Mutter, aber sie war nicht begeistert und hat sich nie dran gewöhnt, mit seinem Vater hatte er schon vorher nichts mehr zu tun. Der andere Ex Chris war im nächsten Moment zu Hause raus geflogen. Und auch alle anderen, die ich kannte, waren irgendwo in diesem kompletten Feld zu finden. Das war so individuell.
„Ich kann Dir leider nicht weiter helfen oder einen Ratschlag geben. Dazu müsste ich Deine Eltern kennen.“ „Und wenn es schief geht und ich fliege raus?“ „Dann kommst Du zu mir. Vielleicht tauscht Julian das Zimmer, seins ist größer, weil Marlon da mit drin wohnen sollte. Wir schaffen das schon, selbst wenn es schief geht.“ „Okay, dann rufe ich jetzt an. Mein Vater hat Nachtschicht, dürfte aber schon wach sein.“ „Viel Glück.“ Er schien es zu brauchen.
Die zwei meldeten sich längere Zeit nicht. Also schrieb ich mal Timo an:
„Wie ist es gelaufen?“
„Schweigen.“
„Eisiges? Überraschtes?“
„Undefinierbares. Kam an sich nur ein „Aha“ von seiner Mutter. Vom Vater nur ein tiefer Atemzug. Die Geschwister waren nicht da. Ilarion ist ziemlich fertig.“
„Wartet doch mal ab bis zum Wochenende. Vielleicht melden sie sich ja von sich aus wieder.“
Es wäre schade, wenn mal wieder eine Familie an veralteten Weltbildern zerbrechen müsste.
Mittwoch, 21.10.2015
Ich fuhr wieder sehr früh los, so dass ich kurz nach Frühschichtbeginn beim Kunden sein sollte. 20 nach 6 konnte ich das Silo abkuppeln. Mit einem Tank Diesel sollte es jetzt nach Linz weiter gehen. Die Sonne war noch nicht über den Horizont, als ich gegen den Pendlerstrom wieder aus der ungarischen Hauptstadt raus fuhr.

Ein Ärgernis war, dass ich merkte, dass ich tanken wollte, nachdem ich an der letzten Tankstelle in Ungarn vorbei gezischt war. Also teurer in Österreich auffüllen, denn weit würde ich sonst nicht mehr kommen.
Der Tag endete nachmittags in Linz. Ilarion hatte noch nichts von seiner Familie gehört. Nicht mal seine Schwester war ans Handy gegangen, als er es bei ihr versucht hatte. Das enttäuschte ihn wohl am meisten.
Mich enttäuschte vor allem der Lieferant für das beleuchtete Dachschild. Aber Luke fand das gar nicht so schlimm. Bei einem Hochdach konnte er auch die serienmäßige Lichtbox im Dach nehmen, die meisten Briten nutzten diese Schilder nur noch bei flachen Kabinen. Er wollte, wenn ich am Wochenende zu einem Freund nach Würzburg fuhr, um Modellbahn zu spielen, sich dann bei Vinni mit Klebefolien und dessen Laserschneidgerät vergnügen. Ich bestellte dafür den Dachbügel aus dem Herstellerprogramm und zwei normale Rundumleuchten bei Vinni, damit das ADR-Paket vollständig war.
Donnerstag, 22.10.2015
Ich blieb meinem Konzept treu, aus der Stadt raus zu fahren, wenn alle anderen rein wollten. Trotzdem steckte ich in einem kurzen Stau auf der Autobahn nach Salzburg. Um den nächsten Stau an der Grenzkontrolle nach Deutschland zu umgehen, fuhr ich durch Salzburg und dann in Richtung St. Johann in Tirol über Landstraßen, bevor ich in Wörgl wieder auf die Autobahn Richtung Innsbruck und Arlbergtunnel einbog.


Wieder schaffte ich es, abends am Ziel zu sein, das heute Zürich hieß.
Freitag, 23.10.2015
Und auch diese Nacht fand dementsprechend in einem Gewerbegebiet im Fahrerhaus statt. Es war die letzte auf diesem LKW, insofern also auch irgendwie was Besonderes. Trotzdem beendete ich sie gegen 5 Uhr und machte mich auf den Weg zur Ladestelle, wo ich dann gegen 6 Uhr sein sollte. Ein Drucktank mit Kältemittel wartete dort auf mich.
Eine ereignislose Fahrt über Köln brachte mich nach Hause. Ich brauchte den Truck nicht fertig zu machen. Die Folie kam sowieso runter. Also tankte ich nur voll und wollte ihn dann in der Halle ausräumen. Dort erlebte ich aber eine Überraschung, denn ein unbekannter Junge warf dort einen Ball und Henry fing ihn wieder und brachte ihn zurück. Zweiter Fremdkörper in der Halle war ein Fiat Freemont mit Essener Kennzeichen.
„Wer bist Du denn und was machst Du hier?“ „Ich heiße Milan. Ich beschäftige Henry, damit er oben nicht stört.“ „Und was passiert da oben?“ „Eine Menge.“ „Ist ja immer wieder schön, dass man den Chef hier auch informiert.“ Milan fand das wohl witzig.
Weil Marlons Truck ebenso wie Julians auch in der Halle stand und außerdem der Audi noch vor der Tür, ging ich einfach mal davon aus, dass das alles irgendwie seine Ordnung hatte. Und dass der Hundedompteur neben meinem LKW einen serbischen Namen hatte, war genauso ein gutes Zeichen dafür, wer an der Menge passierender Sachen beteiligt sein könnte, wie ein Essener Auto. Also räumte ich erst mal in Ruhe meine Sachen aus und ging dann hoch.
Im Besprechungsraum passierte wirklich eine Menge. Judith und ein Mädchen um die 18 Jahre dekorierten den Raum. Marlon und ein Mann rückten Tische und Stühle, eine Frau baute auf einer Tischreihe ein Buffet auf. André war mir auf der Treppe entgegen gekommen, er schleppte mit Julian die Platten fürs Buffet aus dem Fiat und Getränkekisten von einem Stapel neben der Treppe nach oben.
„Hallo zusammen.“ Die Begrüßung kam vielstimmig zurück. Die Frau stellte sich als Gorica vor, das Mädchen hieß Jana und der Mann Slobodan. Wie ich mir schon denken konnte, war es Ilarions Familie.
Als alles fertig war, traf als nächstes Rolf ein. Andrés erstes Husarenstück als Disponent war schon mal gewesen, Timo und Ilarion noch mit einer kleinen Runde um das Ruhrgebiet zu beschäftigen, so dass sie erst hier ankamen, wenn die Überraschungsparty aufgebaut war. Getränke und ein paar Sachen zum Essen hatte Marlon aus der Firmenkasse gestiftet, den Rest zu Essen und die Dekoration Ilarions Eltern, die die ganze Sache auch angeleiert hatten.
Sie wollten so auch mal die Leute kennen lernen, mit denen ihr Sohn auf der Arbeit zu tun hatte. Mir gefiel das nicht unbedingt. Zu viel Rummel in einer Situation, wo Ilarion vielleicht eher einen kleineren Rahmen haben wollte. Außerdem würde es nicht gehen, wenn dann jeder jüngere Mitarbeiter hier seinen Eltern die Firma in einer Party zeigen wollte, von denen es mit André den nächsten schon gab. Aber auch Maxim und Tomas, unsere Verstärkung zum 01.11. waren nicht deutlich älter. Einreißen durfte das nicht.
Für Rolf und André war die Spontanparty wenigstens gleich eine gute Möglichkeit, das ganze Team kennen zu lernen, wenn ich schon was Positives suchen wollte.
Damit Timo und Ilarion nicht zu früh Verdacht schöpften, mussten wir jetzt noch die Autos verstecken. „Folgt mir unauffällig. Und André, wo stehst Du?“ „Auf einem unserer Firmenplätze.“ „Der R172er Wald-Mercedes SLK?“ Er nickte. Gesehen hatten die beiden den ja noch nicht. „Park mal um, entweder an der Straße vor den ersten Häusern oder auf einen Platz von der Softwarefirma. Da stehen gerne mal solche Autos von Bennys Freunden über die Nacht oder übers Wochenende. Warum konnte ich mir eigentlich als Azubi nur eine Yamaha XT600K leisten?“ „Erbstück. Das war der letzte Spaß, den mein Opa sich gegönnt hat. Ich selbst hatte eigentlich schon einen Golf ausgesucht, den ich dann nicht mehr kaufen musste. Von dem Ersparten habe ich das Tuningpaket geholt.“ Hallo Fettnäpfchen. Okay, dafür lebten meine Großväter beide noch, als ich 18 wurde und noch ein paar Jahre danach. Einer heute noch mit über 90.
Marlon wusste, was ich vorhatte. Und so machte sich der merkwürdige Konvoi aus nun nicht mehr Lukes und meinem Iveco Stralis Hi-Way, einem Fiat Freemont und einem Audi A4 auf den kurzen Weg zur Lahrmann-Werkstatt, wo Ilarion und Timo nicht mal zufällig vorbeikommen würden. Rolf parkte seinen uralten Peugeot einfach die Straße runter vorm ersten Wohnhaus. André wollte den Benz nicht an die Straße stellen und fuhr auf einen Platz von Bennys Firma.
Ich drückte Vinni den Schlüssel für den Iveco in die Hand und er fuhr die Zugmaschine noch in die Klebekabine, die beiden hatten gleich Feierabend. Es war ein komisches Gefühl. Der erste mit dem Flachdach hatte mir komischerweise gar nichts bedeutet. Andere Unternehmer trauerten ihren ersten LKW noch Jahre nach. Auch der zweite Iveco war mir ziemlich egal geworden, nachdem ich ihn anfangs wirklich nicht mehr hergeben wollte. Er war zu sehr mit Chris verbunden. Das war zwar dieser hier eigentlich auch noch, aber irgendwie war er mein erster LKW aus der Firma, an dem ich hing. Immerhin hatte sich in den letzten Wochen alles zum Guten gewendet. Vielleicht sollten wir ihn behalten, wenn die Zeit kam, dass er eigentlich weg musste. Aber da hatten noch zwei andere mitzureden.

Als wir nach den paar hundert Metern Fußmarsch wieder zurück waren, war auch Luke eingetroffen. Jetzt hieß es oben warten. Wir machten das Licht aus, obwohl es schon dunkel wurde. Scheinwerfer auf dem Hof verrieten irgendwann, dass die beiden Ehrengäste da waren. Sie zogen natürlich das ganze Programm durch. Tanken, Waschen, Saugen.
Ich schlich mit Milan an der Tür zur Halle auf Lauschposten. „Fährst Du mich gerade nach Hause, bitte? Spesen mache ich nächste Woche.“ So hatte hier keiner gerechnet. „Hol Henry und den Ball!“ Milan huschte in den Besprechungsraum und kam mit Ball und Hund zurück. Er ließ den Ball die Treppe runter kullern und Henry flitzte hinterher. „Henry! Was machst Du denn noch hier?“
Wir nahmen die Beine in die Hand und liefen zum Rest in den Besprechungsraum. Henry würde schon dafür sorgen, dass sie hier her fanden. Und tatsächlich. Als erstes trappelten die Hundepfoten über die Fliesen, dann bellte Henry vor der Tür. Die Stimmen von Timo und Ilarion kamen näher. „Was ist denn da drin?“
Kommt halt rein. Die Tür ging vorsichtig auf. Julian schaltete über die Beamer-Fernbedienung das Deckenlicht ein und die ganze Truppe rief „Überraschung!“ Ilarion bekam den Mund nicht mehr zu, als er zwischen uns seine ganze Familie entdeckte. „Was macht Ihr denn hier?“ Gorica antwortete: „Wir wollen endlich Deinen Freund kennen lernen, den Du die ganze Zeit vor uns versteckt hast.“
In den ersten Minuten dachte ich wirklich, dass ich Recht hatte. Es wirkte doch manchmal holprig, auch wenn Ilarion sich weniger daran stören zu schien, unvorbereitet Mittelpunkt einer größeren Gesellschaft zu sein. Timo blieben dafür sogar die Worte weg, als Slobodan ihn in der Familie willkommen hieß. Ilarion konnte diese Wendung immer noch nicht fassen: „Und ich hatte so eine Angst vor diesem Moment.“ Slobodan legte seinen Erstgeborenen den Arm über die Schulter: „Egal was passiert. Du bist unser Sohn und wir werden Dich unterstützen, wo wir können.“
In Osteuropa und Südeuropa hatte die Familie doch noch einen ganz anderen Wert als hier und auch eine ganz andere Selbstverständlichkeit, mit der man auch Dinge offen feiern konnte, die in Deutschland erst mal „in der Familie“ blieben. Weil meine Schwester mit einem Polen verheiratet war, kannte ich das ja auch ein Bisschen. André schien das deshalb auch nicht so ungewöhnlich zu finden, dass eine Familien-Angelegenheit zwischen allerlei anderen Leuten stattfand. Nach dem teils doch auf insbesondere die deutsche und britische Fraktion teils etwas holprig wirkenden Start wurde in der Tat eine lockere Party draus.
Das einzig angestrengte Gesicht machte danach noch Rolf, als er feststellte, dass die Fleischbällchen nicht nach deutschem sondern nach einem Balkan-Rezept gewürzt waren.
Als sich die Veranstaltung gegen 22 Uhr auflöste, brauchten wir ein paar Taxis. Judith und Marlon Richtung Herne, Rolf nach Witten und Ilarions Familie nach Essen. Die bestellten ohnehin ein Großraumtaxi und boten so an, den Fahrer noch über Hattingen zu schicken, damit André nicht selbst eins nehmen musste.
Samstag/Sonntag, 24./25.10.2015
Mir war egal, wie die Leute ihren Fuhrpark hier heute abholten. Ich stand einigermaßen früh auf, schnappte mir den schon letztes Wochenende vorbereiteten Karton mit den Modellbahnloks und -wagen, setzte mich in meinen Alpina und machte mich gegen halb 8 auf den Weg in Richtung Würzburg.
Als ich am Sonntag wieder zurückkam, war Timo nicht zu Hause. Wie ich erfuhr, hatte der sich zu Marlon abgesetzt. Marlon hatte Sky und die beiden schauten sich das Spiel Gladbach gegen Schalke an. Da wäre ich jetzt auch mal gerne Mäuschen unterm Schrank, wenn die beiden, einer blau und einer grün gekleidet, vorm Fernseher saßen.
