In diesem Kapitel…
…entdeckt Ricky ein neues Sternbild…
…bekommen wir ein Angebot, das wir nicht ablehnen können…
…und Ricky verrät, was er wirklich über Patrick Schütz denkt!
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Montag, 30.11.2015
Ich hatte das Kunststück fertig gebracht, als erster aufzustehen und war somit auch als erster aus dem Bad. Timo war ähnlich flott gewesen, Luke hatte somit das Nachsehen und musste als letzter duschen. Als er in die Küche kam, saß ich schon am Frühstückstisch. Aus Routine prüfte ich noch mal auf dem Tablet das Auftragssystem und da stand für unsere Fracht „Auftrag storniert! Fracht vom Versender abgemeldet!“ Mehr gab das System nicht her, aber die Auswahl der Gründe, die man anklicken konnte, war auch relativ schmal.
„Leg Dich wieder hin!“ „Pardon?“ „The cargo is cancelled.“ Inzwischen nahmen wir es mit der Deutsch-Pflicht nicht mehr so ernst. Wem es als erstes die Sprache verschlagen hatte, durfte eine neue aussuchen. „Why?“ „That’s what I need to find out next.“
Talke als weltweit agierendes Unternehmen hatte nachts eine Notbesetzung in der Dispo. So konnten sie auch sofort eingreifen, wenn in Neuseeland mal ein Container vom Haken fiel.
„Alfred Talke Logistic Services, mein Name ist Sascha Berndes, guten Morgen.“ „Eric Kaiser, KFL Intertrans, guten Morgen. Ich habe eben eine Nachricht bekommen, dass unsere Fracht ausgefallen ist.“ Sascha war zu meiner Talke-Zeit Azubi gewesen. Hatte der also auch schon ausgelernt. „Hallo Eric. Hast Du die Auftragsnummer für mich, bitte?“ „Ja. B0087248.“ „Einen Moment bitte. Ach ja. Der Versender ist gestern Abend abgebrannt und unser Tankauflieger mit.“ Na auch nach 15 Jahren erlebte man in dem Job noch mal was Neues.
Da ich keine Lust hatte, mich in den komplexen Dispositionsplan von inzwischen 7 Trucks einzulesen, was man alles herum schieben müsste, um jetzt kurzfristig eine Fracht zu bekommen, aber die Anschlussfrachten dabei nicht zu gefährden, beschloss ich kurzerhand, erst mal gar nichts zu unternehmen, sondern auf den Künstler zu warten, der den Plan gebaut hatte.
Bis unsere Bürozeit begann, sah ich noch mal genauer nach, was die Konkurrenz machte und so erfuhr ich auch, warum man den einen oder anderen EPT-Truck nicht mehr gesehen hatte. Auch da hatte es gebrannt und der halbe Fuhrpark war weichgeglüht.
Kurz nach 7 kamen Judith und Marlon. Ich war noch dabei, Judith zu erklären, was passiert war, als André auch auftauchte. Judith schickte ihn gleich an die Arbeit: „Heute kannst Du lernen, kurzfristig umzudisponieren. Der Trailer für Ricky und Luke ist beim Versender abgebrannt.“ Er guckte auch mal kurz sparsam wegen dieser Kuriosität, setzte sich an seinen PC und begann, das Talke-System und die Frachtbörsen zu prüfen.
Schnell stand fest, dass wir keine passende Fracht bekommen konnten. Also ging es jetzt mit tauschen und wo möglich zurückgeben auf den anderen Trucks los, Luke und ich mussten komplett neu disponiert werden. Und da war der einzig sinnvolle Auftrag einer, der eine der gefährlichsten und doch faszinierendsten Strecken enthielt. Und eine, die ich obendrein noch nicht kannte.
Leider war auch das Zielland nicht ungefährlich, also studierte ich mit Judith die Reisewarnungen beim auswärtigen Amt, während Luke beim britischen Außenministerium eine zweite Meinung einholte. Die deutsche war harmloser als die britische, aber beides war nicht so ernst, dass wir auf die Tour verzichten müssten und uns schlechter bezahlten Ersatz suchen sollten.
Zwischendurch fragte ich mal Maxim und Tomas, welches Schweinderl sie denn gerne hätten. Ihr Urlaubsanspruch bis zum Jahresende war 5 Tage. Da bis auf Ilarion alle anderen aber 7 Tage frei hatten, war es schwierig. Ilarion fuhr die drei Tage, die er zuvor schon irgendwo „zu viel“ genommen hatte, Aufträge aus dem Talke-System, da wurde sowieso mit Ablieferung des Trailers eine systeminterne Rechnung an Talke generiert und wir brauchten niemand in der Buchhaltung dafür, sofern nichts außer der Reihe passierte.
Urlaub aus dem nächsten Jahr vorziehen war rechtlich nicht erlaubt. Ließ ich die beiden aber zu Hause, würden sich die anderen beschweren, weil sie keine 2 Tage geschenkt bekamen. Zahlte ich denen einen Bonus stattdessen, dann waren Rolf und André die Dummen, weil sie auch nicht so viel länger da waren, um einen Bonus zu rechtfertigen, aber genau lange genug für den entsprechenden Urlaubsanspruch.
Also war die Auswahl, dass sie entweder unbezahlt zu Hause bleiben konnten oder Trailer für Talke fahren sollten. Tomas entschied sich für zwei Tage ohne Kohle, aber mit Freundin. Maxim nahm zwei Tage Chemiefracht, wobei er wohl ohne Gefahrgutschein Kunststoffgranulat, Talkumpulver und ähnlich spannende Dinge fahren würde.
Wir diskutierten wieder abschließend die Sicherheitslage, als ich mitbekam, wie André einen Anruf entgegen nahm. „KFL Intertrans, Sie sprechen mit André Marszalek, guten Morgen. – Nein, wir haben zurzeit keine Mercedes-Fahrzeuge. – Für Fahrzeugbeschaffung müssten Sie sich an Herrn Kaiser wenden, der ist aber gerade in einer Besprechung.“
Wir waren so weit durch, also ging ich zur Tür und zeigte André mit einer Hand einen Telefonhörer. Der Anrufer konnte ja nicht mein Spezialfreund Sven Koch sein, denn der wusste, dass wir keinen Mercedes hatten. „Einen Moment. Er kommt gerade vorbei auf dem Weg in sein Büro. Ich stelle Sie durch.“
Ich setzte mich und nahm den Anruf an. „Eric Kaiser.“ „Schönen guten Morgen. Die Lueg-Gruppe in Wattenscheid, Carsten Tanner mein Name.“ Ich musste bei dem Namen als erstes an Tatortkommissar Christian Thanner alias Eberhard Feik denken, auch wenn die Stimme absolut nicht dazu passte. „Guten Morgen Herr Tanner.“
„Wir sind Ihr Mercedes-Benz-Partner für Nutzfahrzeuge im mittleren Ruhrgebiet. Die Zentrale hat uns als nächstgelegene Vertretung Ihren Kontakt übermittelt, weil Sie mehrfach bei Mercedes Rhein-Ruhr angefragt haben, aber nie gekauft. Da wollte ich mal hören, ob es an der Entfernung gelegen hat und wir Ihnen vielleicht mit Service vor Ort in Bochum im Wortsinne entgegen kommen können.“
„Nein, an der Entfernung gelegen hat es nicht. Meine Volvos und Renaults kaufe ich auch in Düsseldorf. Ich habe das Unternehmen in Bochum gegründet, als ich noch in Köln gewohnt habe. Da bin ich auch wörtlich auf der Durchreise an die Niederlassung Rhein-Ruhr geraten. Bei der ersten Anfrage war es mehr Neugierde. Den MP3 bin ich selber jahrelang gefahren und er hat mich nicht mehr überzeugt als andere Marken. Ich wollte nur wissen, was so ein Auslaufmodell kostet. Den neuen Actros hätte ich gerne genommen. Aber leider waren die Preise nur Mittelmaß und die Lieferzeiten für Dreiachser absolut indiskutabel.“
„Was heißt indiskutabel?“ „9 bis 15 Wochen.“ „Okay. Das ist lang, wie auch immer der Kollege solche Lieferzeiten hinbekommen hat. Ich würde 7 bis 10 Wochen ansetzen wollen.“ „Das wäre ja gerade noch so im Rahmen gewesen. Volvo und Iveco brauchen 4 bis 8 Wochen.“ „Ich würde mich gerne mal mit Ihnen zusammensetzen und sehen, ob wir zusammen kommen könnten.“ „Das wird schwierig. Ich habe mit Iveco und Renault-Volvo seit kurzem Rahmenverträge am laufen. Und Mehrbedarf sehe ich erst mal nicht.“ „Schade. Ich bin mir sicher, dass wir uns einig werden könnten, wenn Sie Mercedes-Benz doch noch mal eine Chance geben würden.“
Ich dachte nach. Die Rahmen liefen auf 3 Fahrzeuge im Jahr. Bei Renault-Volvo hatten wir mit Marlons Premium und unserem FH16 schon zwei abgenommen, bei Iveco den einen Stralis für Maxim. Tomas Stralis war definitiv noch fällig bis zum Sommer, den Renault von Rolf konnte man dann auch schon ersetzen und in einen mehr konnten wir bis da hin sicherlich auch noch investieren. Zusätzlich zu einem mit Stern.
„Also gut, ich hätte doch eine Idee. Aber Sie müssten damit rechnen, dass das vorerst ein Einzelstück bleibt. Und wir müssten uns heute Vormittag treffen. Denn danach bin ich für 2 Wochen oder sogar bis Weihnachten weg.“ „Kein Problem. Passt Ihnen 9 Uhr 30?“ „Ja, würde gehen.“
Also nahm ich, um auch auf der PKW-Seite zu zeigen, wo der Hammer hing, natürlich meinen Alpina-BMW. Wobei der Firmenwagen von Judith und Marlon als Audi auch nicht gerade Daimlers Liebling war.
Die Stimme hatte ihn verraten, Carsten Tanner war kein schnauzbärtiger Endvierziger, sondern Jungverkäufer, nur mit einigem Optimismus Mitte 20, mit modischer Fönfrisur. Gegen den Bubi ging Joachim Scholz von Renault Düsseldorf als Senior Sales Manager durch, auch wenn er die 30 gerade geschafft hatte. Nach der Begrüßung richteten wir uns mit Kaffee und Keksen am Besprechungstisch ein. Die Urkunde in seinem Büro bestätigte das ganze. Jahrgangsbester Auszubildender zum Automobilverkäufer, Abschlussjahrgang 2013.
„Was kann ich denn für Sie tun?“ „Ich habe eine Doppelbesatzung, die sich vor ein paar Wochen ein Bisschen spontan zusammengefunden hat. Die beiden zwängen sich in einen MAN TGX XLX und kämpfen sich mit 480 PS, Handschaltung und schweren Chemiezügen durch alle Gebirge Europas. Teils mehrere Wochen. Auch wenn es dann am Wochenende ein Hotel gibt, haben die sich was Größeres verdient.“ „Woran denken Sie da so?“ „Actros 2558, 6×2 mit liftbarer Vorlaufachse, Gigaspace, ADR.“ Das kurze Zucken seiner Augenbrauen verriet, dass er mit weniger gerechnet hatte.
Ilarion würde für einen Mercedes seine Großmutter verkaufen, so viel wusste ich. Und Timo war dem Stern ja auch nicht so abgeneigt, wie er teilweise noch aus Unwissenheit Sprüche drüber gerissen hatte. Das hatte er verraten, nachdem er sich von Patrick hatte anwerben lassen wollen und auch danach noch ein paar Mal angedeutet, wenn Ilarion über seine Lieblingsmarke mit dem Stern schwärmte.
Carsten Tanner berechnete einen Preis, der sich sehen lassen konnte. Natürlich kein Sonderangebot, aber dafür war man bei Mercedes falsch. Es war aber nicht weit weg von Volvo, deutlich unter Scania. Liefertermin erste Februarhälfte, weil dank Weihnachten dann doch 2 Wochen extra dazu kamen. Aber Sven Koch hätte ihn mir dann wahrscheinlich auch erst in 17 Wochen hingestellt. Ich wollte nicht wissen, was der eine oder der andere anstellte, um in den Lieferzeiten fast um Faktor 2 auseinander zu liegen. Abgesehen davon, dass Sven Koch auch so seine Probleme damit hatte, konkurrenzfähige Preise zu machen, was Carsten Tanner auf Anhieb schaffte. Aber wer nicht verhandelte, war selber schuld. Also wollte und durfte ich dieses schon recht gute Angebot so nicht akzeptieren.
„Bei dem Preis müssten wir aber noch was machen.“ „Weiter runter kann ich für einen einzelnen nicht, nur bei Flotte. Aber ich kann Sonnenblende und Rotationsketten drauf legen.“ Das war schon mal was. Mal sehen, wie weit ich das Bürschchen noch bekam. „Dann noch Edelstahltritte und eine Kaffeemaschine und wir sind Freunde.“ „Nein. Beides geht nicht. Nur die Kaffeemaschine, aber dann bin ich wirklich am Limit. Wenn Sie die Edelstahltritte unbedingt haben wollen…“
Er kalkulierte kurz den Aufpreis. Okay, also Kunde um jeden Preis war bei ihm nicht drin. Vermutlich hing die Urkunde nicht ohne Grund da an der Wand und er durfte mit zweieinhalb Jahren Berufserfahrung schon alleine über Fernverkehrsmaschinen verhandeln. Er wusste genau, wie weit er gehen musste, um mich zu kriegen, aber er wusste auch genauso gut, wann er zu viele Zugeständnisse machte.
Es konnte mir auch egal sein, wer was richtig und falsch machte. Wenn Mercedes, dann über Lueg. Und dieses verspätete Weihnachtsgeschenk für zwei unserer Fahrer sollte er mir gleich als Vertrag fertig machen und mitgeben. „Abgemacht. Kann ich den Vertragsentwurf gleich mitnehmen?“ „Ja, dauert aber ein paar Minuten, bis der gedruckt ist.“ Marlon musste sowieso den Vertrag als zweiter Mann unterschreiben. Wenn ich heute nicht unterschreiben konnte und das jetzt noch mal Wochen dauerte, war es auch blöd für Timo und Ilarion.
Ein New Actros Modellauto mit Talke-Silo aus dem Shop-Bereich durfte Carsten Tanner mir aber auch noch kostenlos drauf legen. Da hatte die Airbrush noch mal was zu tun bis zur Weihnachtsfeier.
Die durfte Luke dann auch gleich auf die Tour einpacken, zusammen mit einer Rolle Druckluftschlauch, Airbrushfarben und einer Sprühbox in Form eines alten Kartons. Außerdem druckte er schnell noch eine Maskiervorlage
Kurz nach 13 Uhr sattelten wir bei Linde einen Tanktainer mit Acetylen auf und machten die Beleuchtungskontrolle. Die Liftachse hielt es bei 12 Tonnen nicht für nötig sich an die Arbeit zu begeben.

Bedingt durch den späten Start konnten wir es wegen Nachtfahrverbot nur noch an die Grenze zur Schweiz schaffen. Nach der obligatorischen Teepause bei Pfungstadt fuhren wir in die Abenddämmerung.

Direkt neben einem Viehtransporter endete der Tag auf dem letzten freien Platz am Rastplatz Südbaden. Schöne Schweinerei…
Dienstag, 01.12.2015
Das spektakulärste an dieser Zwei-Schichten-Tour durch die Schweiz und nach Genua war der beinahe zweite Sonnenaufgang. Nachdem wir in der eher flachen Nordschweiz schon mal die große Lampe gesehen hatten, wurde es auf der Gotthard-Nordrampe wieder dunkel. Und kurz vorm Tunnel deutete sich an, dass auch hier gleich die Sonne über den Alpenhauptkamm steigen würde. Das sahen wir allerdings nicht mehr.

Irgendwie war unser Truck auffällig. Die meisten anderen Zugmaschinen im Zoll nach Nordafrika waren deutlich ältere Semester und entweder gleich in Algerien und Tunesien zugelassen oder doch zumindest schon in Europa längst abgeschrieben.

Mittwoch, 02.12.2015
Nach einer langen Überfahrt und Verzollung machten wir uns gegen 13 Uhr auf den Weg. Wir ließen mal das Navi machen und würden schon sehen, was da auf uns zu kam.
Zuerst sah es nach einer normalen Straße aus, nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, aber schon nach ein paar Kehren und Anstiegen, die uns mit dem Handschalter gut zu schaffen machten, wussten wir, was es mit dieser Strecke auf sich hatte. Dadurch wurde es auch langsamer als das Navi berechnet hatte und uns ging das Tageslicht langsam aus. Wir wollten eigentlich vor Sonnenuntergang am Ziel sein, denn von Reisen in der Dunkelheit hatten beide Außenministerien abgeraten.


Wir mussten sogar noch gegen Ende des Anstiegs einen Fahrerwechsel machen. Es war schon recht dunkel, als wir bei der Metallbaufirma absattelten. Da wir morgen früh eine Rückfracht von Bayer nach Italien für Talke übernehmen sollten, fuhren wir noch dort hin. Von den hiesigen Hotels hatte man uns abgeraten. Es gab früher einige gute, aber das Thema war leider durch. Also hieß es Fahrerhaus und Mitarbeiterdusche in der Chemiefabrik. Für Talke-Fahrer als globalem Logistikpartner von Bayer kein Problem.
Donnerstag 03.12.2015
Bis die Sonne aufgegangen war, würden wir es nicht mehr zur Fähre von Tunis nach Nizza schaffen. Also durften wir einen Tag verbummeln, bis die Fähre nach Genua ging.
Gegen 13:20 Uhr waren wir im Hafen, nachdem wir noch mal die Tanks für umgerechnet 50 Cent je Liter Diesel aufgefüllt hatten. Luke nahm sich hier das Modell vor. Außerdem traf ich einen offensichtlich unerschütterlichen Afrikafahrer wieder, den Belgier Pascal, der immer noch seinen FH, das Vorgängermodell von unserem, fuhr.
Er erkannte mich nicht wieder, mir hatte er sich damals eingeprägt, weil es meine erste Afrikatour war, auf der ich ihn getroffen hatte. Nachdem auch er sich wieder erinnerte und ich ihm Luke vorgestellt hatte, der gerade mit der Airbrush und über den verlängerten Schlauch der Fahrerhaus-Pistole den Modell-Actros mit KFL-Branding und einem weißen Zierstreifen lackierte, staunte er nicht schlecht über das, was da am anderen Ende des Pressluftschlauchs hing.
„Na, fährst Du endlich einen vernunftigen Vrachtwagen?“ Er war aus Heusden-Zolder und sprach gut deutsch, aber ab und zu rutschte ihm ein flämisches Wort rein. „Zu zweit ist Iveco zu klein. Egal wie gerne man sich hat.“ „Wo seid Ihr gewesen?“ „In Hebira. Die Passstraße rauf und die lange Rampe runter.“ „Da habt Ihr es genau falsch gemacht. Vor allem wenn Du mit die Hand schaltest. Die Kurven runter brauchst Du nur gute Bremsen, die Ihr habt. Und die Rampe hoch musst Du weniger schalten.“
Samstag, 05.12.2015
Nachdem wir uns von Pascal verabschiedet hatten, machten wir uns auf den Weg. Er musste heute noch aus der Schweiz raus, in Deutschland durfte er mit frischen Feigen auch am Sonntag fahren. Und wir mussten nur noch nach Mailand, dann hatten wir dort Wochenende.
Nach 2 Stunden Fahrt fuhr ich unser Gespann durch die Stadt in Richtung Ziel.

Jetzt hieß es leicht zu kurzes Wochenende, denn am Montag ging es wieder um 7 los. Die fehlenden 3 Stunden würden wir nächstes Wochenende wieder aufholen. Und wenn nicht, waren sowieso nur noch 2 Wochen bis zur Betriebsruhe.
Montag 07.12.2015
Nach einem schönen Wochenende in Mailand rief wieder die Arbeit. Sie bestand aus Diesel und wollte nach Bologna, was um die Uhrzeit nicht so einfach war. Italienischer Straßenverkehr war chaotisch, Berufsverkehr war chaotisch, egal wo. Nun konnte man sich denken, was italienischer Berufsverkehr war. Dass immer wieder Experten in die Kreuzung fuhren, ohne sich sicher zu sein, dass sie sie für den Querverkehr räumen konnten, wenn die Ampel rot wurde – und die Leute quer dann auch so weit fuhren, wie sie kamen, trug nicht eben zum Verkehrsfluss bei.

Schließlich hatten wir es geschafft und Luke steuerte uns der Sonne entgegen. Während der Fahrt klingelte mein Handy. Es war eine Neusser Nummer, aber keine von Patricks Büro.
„KFL Intertrans, Eric Kaiser, guten Tag.“ „Dachser SE Logistikzentrum Neuss, Janina Berger mein Name, schönen Guten Tag Herr Kaiser.“ „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Ich habe ein kleines Anliegen. Und zwar hat unser Logistikzentrum in letzter Zeit vermehrt Frachten nach Großbritannien zu fahren, doch leider hat unser Hausspediteur im Fernverkehr keine Kapazitäten. Doch Herr Schütz hatte Sie als zuverlässiges Transportunternehmen empfohlen, deshalb würde ich gerne bei Ihnen Anfragen, ob es da Möglichkeiten gäbe.“
Ah ja. Das hörte sich interessant an. „Über wie viel sprechen wir denn da? Die Kapazitäten haben wir auch nur vielleicht frei. Aber man könnte ja auch weitere aufbauen, wenn Ihr Angebot attraktiv genug ist.“ Mal eine kleine Schleimspur legen. „Aktuell reden wir über 3 LKW die Woche in verschiedene Gebiete Großbritanniens, sowie vereinzelt nach Irland.“
Damit konnte man arbeiten, war aber auch gleich ein ordentlicher Einstieg. „3 komplette LKW? Das müsste ich mit meinen Teilhabern besprechen. Ab wann würde das dann laufen?“ „Ab Mitte Januar, Anfang Februar 2016 würde das ganze laufen. Bis dahin fährt noch ein anderer Unternehmer mit Wechselbrücken, allerdings hört dieser aus Kosten- und Kapazitätsgründen auf.“ Die Zeitschiene erschien vernünftig. Den Actros hatten wir ungefähr zu der Zeit sowieso neu für Timo und Ilarion. Die sollten zwar im Chemieverkehr bleiben, aber dann konnten wir den MAN ja auf den Dachser-Umlauf schieben.
„Ich bin grundsätzlich nicht abgeneigt. Aber wie gesagt, ich habe noch zwei Teilhaber, die ein Wörtchen mitzureden haben. Und Kostengründe sind auch ein Stichwort. Senden Sie doch bitte eine Übersicht mit den Rahmenbedingungen, logistisch und finanziell, an meinen Geschäftspartner, der für Kundenentwicklung verantwortlich ist bei uns.“ Ich gab ihr Marlons E-Mail-Adresse.
„Okay, vielen Dank. Ich werde in den nächsten Minuten eine Übersicht fertigen und an genannte Email Adresse schicken.“ „Bis wann bräuchten Sie unsere Entscheidung? Oder wenigstens einen Hinweis, in welche Richtung es geht?“ „Bis spätestens Ende des Jahres, damit sich Notfalls doch noch jemand finden lässt, sollten Sie nicht weiter interessiert sein.“ „Ah, okay. Ich denke aber, das werden wir schneller entscheiden können. Vielen Dank für Ihre Anfrage.“
„Ich habe für Ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit Dachser Intelligent Logistics zu danken. Ich wünsche noch einen schönen Tag.“ „Danke. Ihnen auch. Auf Wiederhören.“ „Auf Wiederhören.“
Als nächstes rief ich bei Marlon und Julian an, um ihre erste Meinung zu hören und danach im Büro bei André. Er sollte die Führungsetage am Donnerstag für einen Freitag im Büro rein holen und Luke Freitag einen Tag auf Solotour schicken.
In Bologna erwartete uns dann schon mal eine kleine Generalprobe beim potenziellen Kunden, wenn auch auf Patricks Herzensroute. Aber wenn das Herzchen nicht zur Stelle war, schickte Dachser die Fracht eben in den freien Markt und so landete sie bei uns. Eine Fuhre feinsten Ateco Balsamico aus dem nahen Modena nach Schweden stand auf dem Plan.

Ich verließ auch italienisch kreativ den Hof und so blockierte unser Trailer noch die Gegenspur, während wir auf die grüne Ampel warteten. Wenn man im Ausland war, musste man sich dem örtlichen Fahrstil anpassen.

Am Brenner landeten wir im Stau, wie in den „guten“ alten Zeiten. Hier hatte ich, wenn es mit Mahler mal in den Süden ging, vor 15 Jahren doch die eine oder andere Stunde neben dem ersten Volvo FH, Renault Major, Scania 144 und anderem Gerät der 90er im Stau gestanden. Heute hießen die Gefährte Scania Streamline R, Renault Premium Route und Volvo New FH, aber das Bild war bei wieder eingeführten Grenzkontrollen das gleiche. Es ging heute zurück bis hinter die Mautstation.
Endlich waren wir aber durch die Grenzkontrolle und Luke ließ es die Brenner Nordrampe runter durch für Anfang Dezember viel zu schneefreie Alpen rollen. Nach einer weiteren Grenzkontrolle fuhren wir noch an München vorbei auf die A9, damit uns nicht morgen früh gleich der Berufsverkehr die Tour vermasselte.
Dienstag, 08.12.2015
Der Tag stand im Zeichen des Kilometerfressens. Es ging einmal durch Deutschland bis in den Fährhafen in Rostock. Einzig ein Markenkollege benutzte wohl die Spiegel nicht und zog Luke kurz vor Berlin vor die Nase, um einen altersschwachen Scania zu überholen. Der Abstandsassistent sah sich dadurch veranlasst, voll in die Eisen zu gehen. Bei unserem anschließenden Überholmanöver gab es dafür zum Dank den doppelten Fernfahrergruß.


Ein kurzer Stau auf dem Berliner Ring hielt uns noch auf, danach ging es ohne weitere Zwischenfälle ans Meer und auf die Huckleberry Finn.
Mittwoch, 09.12.2015
Noch im Dunkeln fuhren wir in Trelleborg ab und durch den Hafen. Das Ziel war Karlskrona, also noch gute 3 Stunden zu fahren.
Auch die nächste Fracht war untypisch. Wir bekamen einen Tieflader mit 2 Treckern, die nach Amsterdam sollten. Ich sah die 70 auf dem Tieflader. „Och nee.“ „Was ist los?“ „Der Trailer darf nur 70.“ Der Mitarbeiter bei STB beruhigte: „Nicht mit dieser Beladung. Die Traktoren sind nur 11 Tonnen. 70 gilt erst ab 15 Tonnen Beladung.“ Ein Blick in die Fahrzeugpapiere bestätigte das.
Auch heute vernichteten wir Strecke. Weil die Schiffe nicht passend fuhren, nahmen wir den Landweg. Und dank des Tipps, den wir damals von Dominik wegen der Brückenmaut in Skandinavien und Bankeinzug über IBAN bekommen hatten, mussten wir nicht mal mehr anhalten.

Auch heute hieß das Motto, erst hinter dem Nadelöhr im Berufsverkehr zu schlafen, also ließen wir noch Hamburg hinter uns. Mit Schlaf war es dann leider doch erst einmal Essig, denn wir bekamen irgendeinen Rettungseinsatz auf der Autobahn mit. Bald machte das Gerücht die Runde, dass ein Autofahrer versucht hatte, die Fahrbahn zu überqueren und dabei überfahren und tödlich verletzt worden war.
Donnerstag, 10.12.2015
Die Onlineausgabe der lokalen Zeitung bestätigte das am nächsten Morgen. Heute ging es via Amsterdam, und Chemiepark Marl zurück nach Hause. Ein wirklich unspektakulärer Tag. Als wir ankamen, nahm Judith uns die Papiere ab und gab Luke seine Tour für morgen. „Wo ist André denn?“ „Donnerstags in der Berufsschule.“
Freitag, 11.12.2015
Als ich mit Julian und Marlon den Besprechungsraum in Beschlag nahm, waren die heute hier startenden Trucks so weit schon draußen. Sie wollten ja für die Weihnachtsfeier nachher alle früh Feierabend haben. Judith brachte André gerade bei, wie man die weitestgehend automatisierte Abrechnung mit Talke machte und wie man Rechnungen an andere Kunden generierte.
Wir gingen die Rahmenbedingungen bei Dachser durch. Es waren 3 LKW, die wir sicher ausgelastet bekamen. Alle rückten Montags zwischen 3 und 5 bei Dachser in Neuss aus. Zwei waren 5 Tage unterwegs und zweimal in einer Woche auf der Insel, jeweils mit einer Tour nach Dartford in Kent und einer nach Camberley in Surrey, der dritte nur 4 Tage, weil er nach Northampton zum Dachser-Zentrum dort musste.
Dachser hatte für den angeboten, eine Tagestour nach Hannover oder so was für den Freitag zusammenzustellen, um den Truck auch 5 Tage auszulasten. Mir schwebte aber vor, diesen Truck am Freitag seinen Trailer für unseren eigenen Verkehr vorladen zu lassen und dann die Woche drauf auf unsere eigene Tour zu schicken. Dafür rückte dann der Fahrer, der die hatte, in den Dachser-Umlauf.
Maxim mit dem Kühler und ohne Gefahrgutschein war dabei außen vor, denn bei Dachser konnten zu viele Punkte zusammen kommen und man brauchte ADR. Aber Tomas war in dem Umlauf so im Monatsrhythmus dabei. Je zwei Wochen Dartford/Camberley, eine Woche Northampton und eine Woche die Tour auf unsere eigene Rechnung, meistens weiter nördlich in Richtung Yorkshire, Midlands oder Schottland.
„Wo nimmst Du die 3 Trucks her und wer soll sie fahren?“ „Bis dahin ist ja noch ein Bisschen Zeit. Wir können neue Leute einstellen. Der MAN wird sowieso frei, wenn der Mercedes kommt. Und wenn wir keine eigenen Trucks bis dahin mehr dazu bekommen, gibt es ja so nette Firmen wie PEMA, bei denen man komplette Sattelzüge mieten kann. Und zur Not ziehen wir für ein paar Wochen jemanden aus der Chemie ab oder splitten eine Doppelbesatzung, wenn wir nicht schnell genug 3 Leute finden.“
Die Touren konnten entweder mit Dachser-Koffer oder mit eigenen Trockengutaufliegern von uns bedient werden. Weil sie mittelfristig keinen Hinweis auf Dachser haben würden und in unserer eigenen Lackierung fahren durften, konnten wir damit auch noch Werbung für unser eigenes Großbritanniengeschäft machen.
„Was heißt, der andere hört aus Kostengründen auf?“ „Den habe ich im Internet geprüft. Der hat wohl ein neues Gebäude hochgezogen und sich dabei übernommen und kriegt es nicht ausgelastet. Jedenfalls zehrt er sein Eigenkapital auf, seit er den Bunker hat. Und unter der Adresse sind jetzt zwei Speditionen ansässig. Bin mal vorbei gefahren, als ich eine Tour zu Bayer in Krefeld hatte. Nehme an, er hat einen Teil vermietet und ist dabei, sich zu konsolidieren. Er scheint auch Zugmaschinen verkauft zu haben. Wahrscheinlich, um kurzfristig Liquidität zu schaffen“
Wir waren uns also einig und Marlon wollte einen richtigen Vertragsentwurf von Dachser anfordern. Ich hatte die Aufgabe, mich um drei Trockengut-Sattelzüge und deren Personal zu kümmern.
Am Ende stellte Julian die Frage, über die ich auch nachgedacht hatte: „Warum macht Patrick das eigentlich? Ich meine, würden wir ihm anbieten, bei Talke rein zu rutschen?“ „Nein, ich würde das als unser auf neudeutsch Key Account Manager nie zulassen. Nicht in diesem Business heute.“
„Sehe ich auch so. Patrick ist ein netter Kerl, um mal ein Bier mit ihm zu trinken. Aber als Geschäftsmann und Firmenstratege ein Totalausfall. Ich meine, wir haben es auch nicht gelernt, bis auf diesen IHK Crashkurs. Aber Ihr seid in Frankreich schon Unternehmer gewesen, die gut planen und eine Strategie haben mussten. Mit den Schulden von Euren Eltern am Hals wärt Ihr sonst verhungert. Mir ist der erste Arbeitgeber Pleite gegangen, weil der alte Mahler damals die Zeichen der Zeit verschlafen hat. Das prägt.
Patrick hat ein paar Millionen Euro gewonnen, zufällig zur gleichen Zeit, als er sich beim Böttcher um Kopf und Kragen gerast hat. Also in den Abgrund gestürzt und im Himmelbett gelandet. Dass der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat sieht man doch schon an seiner Flottenpolitik. Der ist in den 2 Jahren, die wir ihn kennen, außer Iveco und Renault alle Marken gefahren.“ „Wir im Februar aber auch alle bis auf DAF, wenn der Actros kommt.“ „Ja, aber wie? Er kauft erst mal Scania und DAF. Dann hat er plötzlich keinen Bock mehr auf DAF, schmeißt die alle raus und holt sich Mercedes. Die schalten zu langsam, also wieder alle raus und MAN dafür. Ich will nicht wissen, wie viele hunderttausend Euro der mit diesen Aktionen schon verheizt hat, weil er Trucks unter Buchwert verkauft hat. Wir haben die ganzen Dinger gekauft, weil es in dem Moment Sinn machte. Und bis auf meinen allerersten Iveco ist hier keiner unter 200.000 Kilometern auf der Uhr raus, so dass der Verkaufswert bei dem Premium und dem zweiten Iveco immerhin mit dem Abschreibungswert zu Null ging.“
„Auch wieder wahr. Es kommt mir nur trotzdem komisch vor, was wir hier machen.“ „Na ja, kleiner Bruder.“ Marlon betonte das, weil er wusste, dass Julian, der obendrein einen halben Kopf größer war, Anspielungen dieser Art nicht leiden konnte. „Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer. Und wenn wir es machen, haben wir selber Werbung davon. Wenn es ein anderer macht, platziert der seinen Namen vielleicht auch für eigene Touren vor der Nase unserer Kunden in England und schadet uns. Und wir bekommen bei Dachser einen Fuß in die Tür. Für uns kann es nur gut sein. Wenn Patrick so dumm ist und uns die Tür auf macht, wären wir genauso dumm, wenn wir nicht in das beheizte Wohnzimmer eintreten.“ „In dieser Branche gibt es sowieso nur wenige Freunde. Würde es um Schwerlast gehen und wir würden dabei Keith das Wasser abgraben, würde ich so was zum Beispiel nicht machen. Aber schon wenn es um Schweden ginge und mein Freund Steven wäre betroffen mit seinem Scandinavia Express, wäre ich mir nicht sicher, ob ich nicht doch annehme. Dazu hat die Freundschaft zu lange geruht und ist noch nicht wieder intensiv genug, auch wenn wir uns wieder regelmäßig über Skype schreiben und so. Schlechtes Gewissen ein Bisschen, Hinderungsgrund nein.“
Mit diesem Wort zum Freitag machten wir Mittagspause, nur mit einer Scheibe Brot. Dann widmeten wir uns noch unseren jeweiligen Bürojobs, während die Trucks nach und nach rein kamen. Bei mir hieß die Arbeit vor allem Stellenanzeigen vorzubereiten, damit wir schnell reagieren konnten, wenn der Vertrag da war. Am späteren Nachmittag stand dann die Weihnachtsfeier auf dem Programm.
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Nordafrika war nicht unbedingt ein vorbildgerechtes Gebiet auf der TSM, aber ein spektakuläres. Und besonders die Fahrt nach Hebira war vermutlich eine der anspruchsvollsten Strecken überhaupt für den ETS2 abseits von einigen mehr auf Fahrgeschick als Vorbildtreue spezialisierten Modmaps. Also musste diese Tour einfach sein, auch wenn ich eigentlich schon andere Pläne gehabt hatte und daher den Montag noch mal übern Haufen schmeißen musste.
Ich wollte unbedingt „mal da gewesen sein“, auch wenn zu dieser Zeit das Interesse an Nordafrika bereits deutlich nachgelassen hatte. Die Anreise nach Ägypten war weit und nicht einmal vorbildgerecht, da zu der Zeit keine Fähren von Griechenland dort hin fuhren. Marokko, Algerien und Tunesien waren schlechte Kopien gemäßigter Europäischer Breiten, wie man auch hier gut erkennt und bedurften dringend der zu dieser Zeit immerhin angekündigten Überarbeitung.
