Kapitel 77 – Blick nach hinten

Diese Woche…
…gibt’s Geschenke…
…Marlon fährt Audi statt Renault…
…und Ricky fährt Renault statt Volvo!

———————————–

Freitag, 11.12.2015

Auf dem Weg aus dem Büro zur Weihnachtsfeier sagte Marlon mir noch kurz: „Ich habe Kraft eigener Arroganz beschlossen, dass einer aus einer Doppelbesetzung meinen Renault fahren muss.“ „Okay…“ „Ja. André bekommt die Tour nicht mehr aufgelöst, aber eine von Euch auf einen einzelnen Fahrer entspannt. Ich habe vorhin telefoniert und muss nach Kempten zu Dachser. Da bin ich 3 Tage raus. Denke, das wird nicht mit 30 Minuten getan sein und habe vorsichtshalber 2 Nächte gebucht. Außerdem nehme ich Donald mit. Ein Anwalt kann nie schaden beim Verträge lesen. Die fahren auch die Vertragsabteilung mit auf.“

Anschließend ging es in den Besprechungsraum. Wir hatten, nachdem es an einem Freitag keinen Sinn machte und inzwischen auch langsam zu viele Leute waren, um noch wie bei den Sommerfesten „jeder bringt was mit“ zu machen, Catering bestellt.
„So, Leute. Hört mal bitte her! Unsere Weihnachtsfeiern sind nicht anders als anders wo. Bevor man sich mit Glühweinbowle abschießt, spricht erst mal der Chef!“ Gelächter. „Ihr habt zwar drei davon, aber Ihr seid das Personal. Marlon und Julian haben gemeint, ich bin Personalchef, also kann ich auch die Rede an das Personal halten.“ Wieder Gelächter. „Weihnachten liegt am Ende des Jahres, also ist die Weihnachtszeit auch die Zeit der Jahresrückblicke.
Ich sehe hier 11 Leute im Raum. Bei der letzten Weihnachtsfeier waren es 6. Das heißt, wir sind fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. Wobei, weil ich meinen Sport seit Herbst wieder habe ausfallen lassen, kann ich auch großzügig rechnen und sagen wir sind doppelt so viele!“
Auf meinen skeptischen Blick Richtung Bauch hin gab es dieses Mal ganz kräftiges Gelächter.
„Könnten wir von hier in die Halle sehen, dann stehen da gerade 7 Sattelzugmaschinen, 2 Trailer und 1 Firmen-PKW. Vor einem Jahr waren es 4 Sattelzugmaschinen. Und wenn man dann überlegt, dass die damals durchschnittlich 480 PS hatten und heute 500, dann halten die Dinger auch nicht gerade eine strenge Diät.
Die dabei waren, werden sich erinnern, dass das Jahr mit einem großen Knall angefangen hat. Und das war kein Silvesterböller, sondern unser Firmenmitbegründer Christian Langerczyk und wie sich auch bei den Neuzugängen bestimmt herumgesprochen hat, mein damaliger Lebensgefährte, hat sich mit dem Knall genau dieser Besprechungsraumtür dort verabschiedet.
Trotzdem dürfte erst im Februar für mich der schrecklichste Tag in diesem Jahr gewesen sein. Judith hat mich einen Waberer’s Trailer ziehen lassen.“
Schon wieder Gelächter. Ich hätte Stand-up Comedian werden sollen.

„Als nächstes ging es mit einer starken Partnerschaft weiter, Anfang März sind wir Subunternehmer von Alfred Talke Logistic Services geworden, ohne dabei unsere Eigenständigkeit aufgeben zu müssen. Und für Timo ging es auch mit einem starken Partner weiter, denn er durfte endlich seinen Renault Premium gegen den MAN eintauschen.
Der Aprilscherz des Jahres kam von Renault. Der Bordcomputer im Magnum fing an zu spinnen und Ilarion was von einer defekten Hinterachse zu erzählen. Als das Problem beseitigt war, hatten wir mit Dominik unseren nächsten Mitarbeiter dazu bekommen, aber keinen LKW für ihn. Auch wenn jemand sich sehr bemüht hat, seinen für ihn frei zu machen.“
Ich beließ es mal bei dieser bissigen Insiderbemerkung. „Außerdem sind wir ordentlich ins Rutschen gekommen, nämlich beim Fahrertraining. Für die, die danach erst angefangen haben, werden wir noch mal eins organisieren, wenn es sich wieder von der Anzahl lohnt.
Und es sind im April ein paar Weltbilder zerbrochen. Ich fahre plötzlich einen veredelten BMW, obwohl mir bisher Markenware zumindest bei Fahrzeugen egal war. Und Ilarion, unser vermeintlich braver Junge, brennt Bengalos in einem Belgrader Fußballstadion ab.“
Luke guckte ihn erstaunt und fragend an. „Aktiver Beograd Boy!“ „Cool. Ehemaliges Cardiff Soul Crew Member!“ Ob mir der Faustgruß der beiden jetzt persönlich behagen sollte, ließ ich mal offen.

„Weil wir eben keinen freien LKW hatten, durfte Dominik bei mir mit fahren und hat mich im Mai erst mal laufen lassen. Dass meine Laufschuhe wieder mehr in der Ecke stehen, seit er weg ist, habe ich ja schon angedeutet.“
„Ach, das können und sollten wir auch in der aktuellen Doppelbesatzung ändern.“ Damit landete Luke dann einen Lacher. „Außerdem waren wir im Mai mit größerer Besetzung auf dem Truckertreffen in Geiselwind. Wenn Ihr zu einem Treffen wollt, sagt Judith und André bescheid. Die disponieren Euch dann wenn möglich hin. Und im Normalfall sollte das auch klappen. Bei Euch Inselfahrern müssen wir dann gucken und Euch vielleicht aus dem Umlauf tauschen. Oder Ihr bleibt ein Wochenende drüben und schaut Euch mal ein britisches Treffen an.

Im Juni gab es eigentlich vor allem zu vermelden, dass Julian den Scania in Gibraltar gekauft hat. Auch wenn der erst im Juli zur Sensation unserer Grillparty wurde.“
Aus dem kurzen Gemurmel der neuen konnte ich Timos Erklärung raus hören: „Unter der Folie ist der Minzgrün.“ „Außerdem bin ich jede Menge Vorführer gefahren. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt erst mal nur noch bei zwei Händlern kaufen. Wenn er sich beim ersten Versuchskauf bewährt, kommt doch noch ein dritter dazu.
Und apropos Fahrzeughandel. Im Juli hatten wir die ersten Abgänge. Der alte Iveco und der erste Premium sind verkauft worden. Julian hatte ja schon den Scania und Marlon hat sich wie wir wissen auch verbessert. Sein neuer Premium hat immerhin eine Achse mehr, auch wenn der Rest noch genauso ist wie vorher.“
Und wieder lachte das Publikum.

„Im August mussten wir uns dann von Dominik verabschieden. Der fährt jetzt bei seinem Onkel in Schweden 60-Tonner. Ich habe ihn noch mal danach getroffen. Er hat Spaß dabei und es sei ihm gegönnt. Außerdem kam dafür ja Luke zu uns. Aus meiner Sicht ein guter Tausch.“
„Das will ich doch hoffen.“ „Ja, auf jeden Fall. Dominik war mir zu… heterosexuell!“ Das war dann mal spontane Improvisationscomedy, führte aber zum nächsten Lacher im Publikum.
„Im September haben wir eigentlich nur darauf hin gearbeitet, dass Oktober wird. Bis dann am letzten Montag Timo und Ilarion für die Sensation gesorgt haben. Nachdem die zwei sich auch noch geoutet hatten, waren wir dann in der Firma für 3 Wochen mehrheitlich homosexuell. Julian hat schon voller Sorge darauf hingewiesen, dass Minderheiten nicht wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden dürfen.“
Kleiner Lacher. „Haben wir uns dran gehalten, oder?“ „Ja.“ „Kein Wunder. Wir müssen ja immer brav zu Euch sein. Schließlich brauchen wir zwei von Euch, um einen von uns zu machen!“ Riesiges Gelächter, auch wenn der Spruch nicht meine Erfindung war, sondern Boy George zugeschrieben wird.

„Fuhrparkmäßig kam Maxims Iveco schon im Oktober rein, genauso wie unser Volvo. Außerdem bekamen beide Ivecos ein neues Design für unsere neue Stückgut- und Lebensmittelsparte. Damit sind wir nicht mehr nur von der chemischen Industrie abhängig. Neue Mitarbeiter haben wir auch dazu bekommen, damit Julian wieder seine Mehrheitsverhältnisse gerade gerückt bekommt. André im Büro und Rolf als Fahrer.
Seit November sind wir nun alle dabei, nachdem Maxim und Tomas ins Team gekommen sind. Und seit November weiß ich, dass wir nicht nur ein eigenes Unterforum bei den Truckspottern haben, sondern sogar mindestens einen richtigen Firmen-Fan. Auch wenn das noch nicht rechtfertigt, wie Eddie Stobart eine Merchandising-Abteilung zu eröffnen.
Und damit sind wir im Dezember. Es gibt noch nichts wirklich Spruchreifes zu vermelden. Aber wir haben ein Angebot, 3 Linien nach England mit Stückgut zu fahren. Dann würden wir schon bald 3 Trucks mehr bekommen und natürlich auch 3 Kollegen. Aber das entscheidet sich kommende Woche.

Weihnachtszeit, Geschenkezeit. Mal sehen, was wir alles haben.“
Es war ein Bisschen wie die Familienbescherung an Heilig Abend, mit einem großen Berg Pakete unterm Baum, den sich Judith und André als Schmuck für den Flur gegönnt hatten. Es war viel LKW-Zubehör, wobei sie das vorher wussten, weil ich natürlich die Fahrer gefragt hatte, was sie denn haben wollten. Unter anderem gab es einen Lichtbügel mit Zusatzscheinwerfern für Maxim. Sein Truck sah ohne noch nicht britisch genug aus. Luke und ich bekamen andere Felgen. Und auch für die anderen war was dabei, natürlich gab es auch für die Bürokräfte schöne und hilfreiche Dinge gleichermaßen.
Dazu gab es die Jahresprämie als Gutscheine einer Hotelkette. Ob daraus nun Aktivurlaub mit Surfbrett im Urlaubsresort auf Curacao wurde, eine Städtereise in Europa oder Übersee oder doch das Ritz mit verschwenderischem Luxus in Dubai, konnte ja jeder selbst entscheiden. Je nach dem, was er unter Urlaub verstand und eventuell noch auf den Gutschein drauf legen wollte. Obwohl unsere vier neuen noch in der Probezeit steckten und keinen Anspruch auf eine Jahresprämie hatten, bekamen auch Rolf, André, Maxim und Tomas Gutscheine über einen entsprechend kleineren Wert. Sie hatten sich alle in der kurzen Zeit bewährt und waren gut ins Team integriert. Da wollten wir nicht, dass sie jetzt komplett in die Röhre gucken mussten. Generell war unsere Urlaubsmoral nicht sehr gut. Zum Abschalten wollten wir so einen Anreiz schaffen, auch mal wirklich weg zu fahren, in Ruhe was anderes zu sehen und sich um wenig bis gar nichts kümmern zu müssen. Denn in unserem Beruf sahen wir zwar viel anderes, aber nicht in Ruhe. Und bis auf die drei Trucks, die mal am Wochenende draußen blieben, saßen die meisten anderen am Wochenende normalerweise zu Hause rum.

Ilarion und Timo schauten bei der Vergabe der Geschenke für die Fahrzeuge ein bisschen bedröppelt, weil es für sie ganz gemein nur einen Plüschwürfel für den Innenspiegel gegeben hatte. Ich hatte auch den Modelltruck zusätzlich noch ganz nach hinten gelegt.
„Hier ist noch was für Euch.“ André hatte das Paket gefunden und drückte es Ilarion in die Hand. Timo stand sowieso daneben.
„Was ist das?“ „Ein Modelltruck, super!“ „Mit unserer Firma drauf? Das bedeutet was, die gibt es doch nicht so zu kaufen. Und da steht doch was auf dem Ständer.“ „Tolle Graffitischrift. Warte. Upcoming February 2016?“ „Was bedeutet das?“ „Dass der bis Februar noch ein Bisschen wächst und Ihr zwei dann rein passt.“ „Echt? Wir kriegen einen Mercedes?“ Ilarion flippte fast aus. „Darf man erfahren, was hinter der 25 steht?“ „Was schätzt Du?“ „51?“ „Nein.“ „52?“ „Auch nicht!“ „48?“ Timo bekam Panik, als ich wieder den Kopf schüttelte und er schon eine 45 vor Augen hatte. Dafür versuchte Ilarion es mal auf dem dreisten Weg: „58?“ „Jep!“ „Cool. Ein Actros 2558 Gigaspace.“
„Darauf sollten wir anstoßen!“ Julian schleppte für die beiden Bier- und für sich und mich Ciderflaschen an. Bei seiner hatte er sich vergriffen. „Toffee Apple? Wer kommt auf so eine Idee?“ Luke drehte sich aus seinem Gespräch mit Tomas und Maxim um: „Brothers Drinks in Somerset!“ „Das war zwar auch eine richtige Antwort, aber trotzdem nicht die gesuchte.“ Ich wusste, dass Luke die Sorte in der Vorweihnachtszeit immer trank. Ich würde das Zeug nicht freiwillig kaufen, aber bekam es ohne Probleme runter. Also bot ich Julian den Tausch gegen meine Flasche Birne an, was er dankend annahm.
Da hatte Julian was angerichtet, als er mich überzeugt hatte, dass die Hardcore-Trucker ruhig Trucks mit mehr Hubraum und PS bekommen könnten. Jetzt waren alle Kandidaten versorgt, aber er hatte in seinem Scania die wenigsten PS von allen. Wahrscheinlich jammerte er jetzt dem R580 von Patrick nach, den wir an Keith verkauft hatten.

„Maxim, für Dich hätten wir noch ein Geschenk zum selber kaufen. Julian hat drei Karten für Eishockey in Köln am Sonntag. Wenn Du willst, kannst Du eine Karte abkaufen und mitkommen, wenn nicht, fragen wir jemand anders.“ „Überlebe ich den Block im Roosters-Trikot?“ „Klar, direkt neben dem Gang fängt die Seitentribüne an, auch wenn der Block nominell noch Nordkurve ist. Außerdem ist das deutsches Eishockey und nicht Fußball Roter Stern Belgrad gegen Cardiff City!“ Ilarion und Luke drehten sich synchron um und streckten mir die Zunge raus.


Sonntag, 13.12.2015

Die Straßen waren dank seit Wochen wenig winterlichen Temperaturen salzfrei, also stellte Julian seine 70er-Jahre Oberklasse für die Fahrt zur Verfügung. Wir sammelten Maxim in Gevelsberg ein und fuhren zur Lanxess-Arena.
Maxims Trikot war insofern erwähnenswert, weil es sein eigenes der Young Roosters war. Mit eigenem Spielernamen und Rückennummer, DNL-Logo und Saisonbadge 2009/2010, dazu Flecken und Risse, die es als Game Worn auswiesen, war das was anderes als die normalen KEC-Fantrikots von Julian und mir.

Das Spiel bot ein auf und ab auf beiden Seiten. Köln in Führung, Ausgleich und Führung Iserlohn, Ausgleich und Führung Köln, Ausgleich, Overtime, Penaltyschießen. So hatten wir wenigstens was davon, jeder durfte mal aufspringen und jubeln und eine Menge Spannung gab es obendrein. Auch wenn sich Köln phasenweise während der Regelspielzeit hängen ließ, was zur Verlängerung geführt hatte und sich auch in dem einen oder anderen Fangesang zeigte, der mehr Kampfeswillen einforderte. Immerhin gab es statistisch einen Punkt für jeden: Einen für Julian, einen für mich und einen für Maxim. Die Haie gewannen im Penalty.


Montag, 14.12.2015

Gegen 7:45 Uhr stürzte ich mich in den Berufsverkehr. Das war Marlons Zeit und die Fracht war danach ausgesucht. Der Tanktainer war mal sehr harmlos gefüllt, ich brauchte nicht mal Warntafeln.

Es dauerte ewige 2 Stunden, bis ich mich durch das Chaos zur ENI in Duisburg geschlagen hatte. Dauernd musste ich das nicht haben. Nahverkehrskutscher wurden oft von den Fernverkehrsfahrern belächelt. Dafür, in diesem Mist die Ruhe zu behalten, hatte Marlon jedenfalls meinen Respekt.

Das nächste Ziel war weiter weg und hieß Rotterdam. Dieses mal mit einem Tanktainer von Talke. In Rotterdam wurde er am Hafen abgeladen. Leider durfte ich dann an der neuen Adresse auf die Anschlussfracht warten, weil die noch in der Raffinerie abgefüllt wurde.
Nach anderthalb Stunden hatte ich schließlich ein Fässchen Diesel für den Maschinenpark einer belgischen Forstverwaltung drauf. An der nächsten Ampel gewann ich den Sprint gegen den Kollegen locker, und das unbeabsichtigt und ohne Vollgas gegeben zu haben, um den Motor nicht die Gänge ausdrehen zu lassen. Mit den nur knapp über 300 PS und dem flachen und noch tiefer auf dem Motor sitzenden Haus mit einer gebrauchten Baumaschine bis Russland, der arme Kollege war auch nicht zu beneiden.

Der Tag endete hinter Brüssel auf einem Rastplatz. Wieder einmal hatte ich es geschafft, noch das Verkehrschaos zu umgehen und konnte am nächsten Morgen antizyklisch von der Großstadt weg starten.


Dienstag, 15.12.2015

Nach einer ruhigen Fahrt war ich in dem Holzlager angekommen und stellte den Trailer ab. Ein leerer, ungespülter Trailer von BP war die nächste Fuhre. Der sollte zu einem BP-Tanklager in Südbelgien. Das Ding stand natürlich in der hintersten Ecke auf dem Hof.

Meine Mittagspause verbrachte ich in einem kleinen Ort direkt an der Hauptstraße. In Belgien natürlich mit einer Portion Pommes Frites.

Nachdem der Trailer abgeliefert war, holte ich noch einen Tank mit Lösungsmittel ab, wieder ein Talke-Auftrag. Die Fuhre ging nach Dormagen in den Chemiepark, danach heim auf den Betriebshof.
Auf der Fahrt rief Marlon an. Er und Donald hatten, nach langen Gesprächen mit zwei Leuten von Dachser, das beste für uns raus geholt. Damit würden wir im Januar anfangen, mit 3 Trucks Linie für Dachser zu fahren. Einerseits eine ungeplante Ausgabe, andererseits aber auch ein sicheres Einkommen. Die drei Trucks waren gebucht, brauchten nicht von uns disponiert zu werden und spülten uns Geld in die Kasse, egal ob voll oder leer unterwegs.


Mittwoch, 16.12.2015

Heute stand Nahverkehr extrem auf dem Programm. Die erste Fracht ging nach Leverkusen, von da für Talke nach Hürth, umsatteln, nach Siegen, leer pumpen, zurück nach Hürth, umsatteln, nach Neuss, befüllen, nach Dormagen, umsatteln, nach Essen, absatteln und Solo nach Hause.

Während ich die Tour abarbeitete, rief ich mal bei Tomas an. Er war nicht begeistert, als ich ihm erzählte, dass er in den Dachser-Umlauf mit eingebunden werden sollte: „Ich hatte eigentlich den Job angenommen, weil ich so in der Nähe von zu Hause stationiert bin. So kann ich wenigstens am Montag noch zu vertretbarer Zeit los. Meine Freundin steht mit auf und wir frühstücken noch zusammen. Und Freitags komme ich zum Abendessen rein. Wenn ich zwischen 3 und 5 am Montag in Neuss weg muss, dann fahre ich über 2 Stunden vorher zu Hause los. Das macht den Sonntagabend kaputt und ich muss mitten in der Nacht raus, wenn meine Freundin noch schläft.“
„Das heißt, Du machst es nicht?“ Er war noch in der Probezeit. Eine dumme Situation. Wenn er eine Anweisung zu offen verweigerte, musste ich irgendwie handeln. Und wenn er nicht wollte und ich drauf bestand, konnte auch er kurzfristig in den Sack hauen und kündigen. Und einen Fahrer, der freiwillig und gerne nach Großbritannien fuhr, musste man erst mal wieder finden. Ich musste sowieso noch 3 finden, dann waren es gleich wieder 4.
„Ungerne. Ich verplempere 2 Stunden damit, um überhaupt nach Neuss zu kommen. Anderthalb davon Fahrzeit im LKW.“
Das war allerdings ein Argument, das wir selbst nicht ernst genug genommen hatten. „Okay, ich spreche noch mal mit Marlon und Julian. Wahrscheinlich müssen wir die LKW dafür mittelfristig sowieso in der Nähe von Neuss stationieren. Dann bist Du aus der Nummer auch wieder raus. Aber bis wir drei Leute und ihre LKW haben, müsstest Du es schon fahren. Anfangs sind auch von uns noch welche mit dabei. Ich verspreche Dir, Du bleibst langfristig im Ruhrgebiet. Aber je nach dem wie schnell wir Leute finden, kann es sein, dass Du erst einmal bis März, April oder sogar Mai Dachser fährst.“ „Na gut. Wenn es nicht anders geht.“ Begeistert war er nicht, aber wäre ich wohl auch nicht. Dann war allerdings hinfällig, dass jemand einen vorgeladenen Trailer für unseren eigenen Umlauf bekommen konnte. Und wir mussten uns was ausdenken, was der dritte Truck Freitags trieb. Entweder doch eine Dachser-Tour oder wir fanden was bei Talke.

Das nächste Gespräch führte ich mit Marlon und Julian als Konferenzschaltung. Schnell waren wir uns einig, dass wir eine Fläche im Rheinland mieten sollten, wo wir die LKW für den Verkehr ab Neuss abstellen konnten. Außerdem sollten wir die Fahrer gleich mit Stationierung dort suchen. Denn es war wirklich weder für die Fahrer angenehm, jede Woche erst den Vorlauf von Bochum nach Neuss und den Nachlauf zurück zu haben, noch lohnte es sich für uns. Sie verbrauchten dabei jede Woche fast 3 Stunden Lenkzeit ohne produktiv zu sein. Das war nun auch nicht im Sinne des Erfinders.
Also nutzte ich die weiteren Standzeiten, während irgendwelche Tankauflieger voll oder leer gepumpt wurden, um den Immobilienmarkt zu studieren und ein paar Termine für morgen zu machen. Dann wollte Marlon selbst fahren. Am Freitag hatte er dann noch ein Bisschen im Büro zu tun, da fuhr ich dann noch mal unser Premium-Fahrzeug.


Donnerstag, 17.12.2015

Morgens machte ich mich erst einmal auf den Weg ins Rheinland und besichtigte verschiedene Gelände. Hier sollten die drei Dachser-Züge stehen, in ein paar Monaten bis Jahren vielleicht noch ein oder zwei für unseren eigenen Verkehr nach Großbritannien und noch mal 3 bis 5 für Talke. Dann konnte sich Marlon im Ruhrgebiet mit anderen Strecken befassen und sparte auch eine Menge Solofahrten nach Hürth, Niehl, Dormagen oder Leverkusen ein.
Eine Bürokraft, die aber erst hier angestellt werden sollte, wenn die Sache rund lief, konnte dann das Tagesgeschäft hier kaufmännisch abwickeln. Judith und André hätten dann so gut wie nichts mit den Fahrzeugen hier zu tun, nur noch als Urlaubsvertretung und wenn was anbrannte.
In Neuss war das Gebäude zu groß für ein paar Fahrer und eine Bürokraft. Das nächste Gelände in Grevenbroich war ziemlich knapp. Hier würde es schnell eng, spätestens schon mit dem fünften Lastzug. Außerdem gab es weit und breit keine LKW-Waschanlage. Bedburg war die nächste Anlaufstelle, aber leider war hier alles renovierungsbedürftig. Der Asphalt hatte Risse, das Gebäude war den Wasserflecken in der abgehängten Decke nach auch nicht immer dicht gewesen. Dafür passte in Dormagen alles perfekt. Die richtige Größe für einige Lastzüge. Dazu ein Büro-Bungalow, in dem man ein paar Sozialräume für die Fahrer und später die Mini-Verwaltung unterbekommen konnte. Waschplatz und Tankstelle waren zwar nicht auf dem Platz vorhanden, aber dafür gab es 300 Meter die Straße runter eine Tankstelle mit LKW-Waschplatz. Auch dank dem deutlich höheren Mietpreis sagte ich den letzten Termin in Köln-Merkenich deshalb gleich ab und bat den Makler, uns einen Mietvertrag für das Grundstück in Dormagen zukommen zu lassen.

Auf dem Rückweg nach Hause bekam ich einen Anruf von einer Wattenscheider Nummer. „KFL Intertrans, Eric Kaiser.“ „Die Lueg-Gruppe, Carsten Tanner. Guten Tag Herr Kaiser.“ „Guten Tag Herr Tanner.“ „Ich habe gute Nachrichten. Wörth hat mir eben Woche 3 für den Actros 2558 bestätigt.“ Das war schnell, schneller als er selbst gedacht hatte, denn bei der Bestellung hatte er mir die KW 6 oder 7 in Aussicht gestellt. So war der MAN zum 1. Februar frei und wir konnten ihn als zusätzliches Fahrzeug nach Großbritannien einsetzen, indem wir eine Doppelbesatzung auflösten. „Oh, sehr gut. Den genauen Termin sprechen Sie dann bitte mit dem Büro ab, damit die beiden Fahrer zur Übergabe und Einweisung da sind.“ Auch wenn die erste Fahrt nur 700 Meter sein würde, um Folien aufkleben zu lassen. Grundfarbe war allerdings schon dunkelblau, insofern wurden nur rot, weiß und Beschriftungen geklebt. So sparten wir uns die eine oder andere Stunde Arbeitszeit an Vinni zu bezahlen. Und wenn die zwei nachträglich noch wollten, dass Luke ein Airbrush oder so anbrachte, war es auch einfacher, denn eine überlackierbare Folie war deutlich teurer als eine normale, aber auf normalen Fahrzeuglack konnte er das Bild auch einfach drüber sprühen.

Am späten Nachmittag formulierte ich noch die Anzeigen und schaltete sie bei den großen Trucker-Magazinen und den Tageszeitungen im Raum Düsseldorf-Neuss und Köln-Bonn. Damit konnten wir bei normaler Kündigungsfrist leider erst frühestens für März mit den Leuten rechnen, denn wenn die große Bewerbungswelle erst im Januar rein schwappte, waren nur arbeitslose oder zumindest schon gekündigte Bewerber schon zum 1. Februar verfügbar.


Freitag, 18.12.2015

Heute war mein letzter Fahrtag, ein 10er noch dazu. Morgens ging es nach Marl zum Chemiepark. Dafür, dass Talke hier keine Niederlassung hatte, standen aber einige ihrer Trailer zur Abholung bereit herum.

Die Palettenware einmal quer durch die chemische Industrie und dank ein paar IBC voll Natronlauge war deutlich über 1000 Gefahrgutpunkte wert.

Für den letzten Freitag vor Weihnachten waren die Straßen überraschend leer. Aber es waren auch noch Schulferien. Zwar musste ich die Pause unterwegs auf einem Parkplatz einlegen, was eher mutwillig Cappeln-Hagelage wurde, weil die Zeit nicht ausreichen würde bis ans Ziel, aber es waren doch gerade mal 4:25 rum, als ich in den Stadtstaat der Papierschiffchen einfuhr.

Auf dem Rückweg rief ich dann Luke ganz traditionell über Funk. Ebenso traditionell sprachen wir walisisch. Sollten sich doch mal ein paar Ungarn aufregen, dass sie nicht die einzigen waren, die in Deutschland einen Kanal mit Geheimsprache zuquatschen konnten. Er hatte eine Fracht aus Polen nach Osnabrück gebracht und von da sollte es für ihn nach Gelsenkirchen gehen. Unsere Entfernung sollte auf der ganzen Strecke immer reichen. Er hörte im Hintergrund Leona Lewis „One more sleep“, einer der Weihnachts-Hits aus dem vergangenen Jahr. „Apropos Musik. Dann hast Du ja am Ende doch noch bekommen, was Du letztes Jahr gewünscht hast.“ „Wie?“ „Das.“ Ich spielte Mariah Careys „All I want for Christmas is you!“ an. Das Lied, das er sich vor einem Jahr in der Kneipe in Newport für mich gewünscht hatte.
Er wählte das gleiche Lied aus, während wir, knapp 5 Kilometer voneinander getrennt, die Musik auf uns wirken ließen. Ich musste in Marl am Chemiepark noch mal 45 Minuten Pause machen, dafür hatte Luke eine Paketfracht erwischt und brutzelte genauso lange in der hoffnungslos überforderten Dispo bei DHL.

Als wir dann, wieder nur ein paar Kilometer getrennt und schon im Dunkeln, in Richtung Bochum fuhren, war eine andere musikalische Tradition an der Reihe. „Driving home for Christmas“ von Chris Rea. Wie oft waren wir zu diesem Lied in Wales am letzten Arbeitstag vor Weihnachten auch nur ein paar Meilen hintereinander durch Pembrokeshire gefahren? Mit noch mehr Weihnachtsliedern legten wir das letzte Stück nach Hause zurück.
Das war fast zu emotional, um LKW zu fahren. Als ich auf den Hof rollte, war Luke schon am Waschplatz. Also ging ich zu ihm rüber, während der Diesel in den Renault lief. Er steckte den Hochdruckreiniger weg und wir fielen uns in die Arme. Was ein Jahr ging zu Ende. Ich war so glücklich wie seit Jahren nicht mehr – und ich wusste, dass das auf ihn noch viel mehr zutraf.

—————————————–

Ab 2015 wurde es unter den Tagebuchschreibern zu einer Tradition, mit dem letzten vor Weihnachten veröffentlichten Kapitel einen Jahresrückblick und Flottenüberblick zu veröffentlichen. Da ich 2015 ganze 48 Kapitel (einige davon wurden hier bei der Wiederveröffentlichung zusammengefasst, das hier hatte mal ursprünglich die Nummer 121) veröffentlicht hatte – bis heute mein persönlicher Rekord – habe ich es seinerzeit und nun auch hier aufgeteilt und der Flottenüberblick wird im folgenden Kapitel kommen.

Hinterlasse einen Kommentar