Kapitel 86 – Das große Kilometerfressen

Diese Woche…
…wird jede Nacht wild campiert…
…an den Grenzen reichlich kontrolliert…
…und Maxim am Wochenende vom Chef genervt!

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Montag, 21.03.2016

Nachdem wir das Wochenende wie meistens zwischen Frühstück und Teatime getrennt und ab dann die Abende gemeinsam verbracht hatten, endete es auch wie meistens. Gleich um 6 Uhr waren wir die ersten am Frühstück, checkten danach aus und fuhren zum ersten Kunden.
Das war der nicht eben kleine Hafen von Livorno, wo ein aus Übersee angekommener Tanktainer mit Pflanzenschutzmitteln auf uns wartete. Wir sattelten den Trailer auf, den uns ein Hafenarbeiter mit einem Mafi auf den Ladeplatz brachte. Ziel der Fahrt war Reims.

Nachdem ich bei Turin das Steuer Übernommen hatte, nahm ich die Alpenquerung in Angriff. Auch hier waren die Tallagen längst schneefrei.

Vor Lyon gab es auf dem Rasthof Manissieux Futter für den Reihensechser und den nächsten Fahrerwechsel. Nun durfte Luke uns durch den Großraum Lyon bringen. Der Verkehr lief aber noch, wir waren vor dem Berufsverkehr. Und so hatten wir den Tunnel de Fourvière hinter uns gelassen, ohne in ein riesiges Stauchaos geraten zu sein. Nur in ein kleines, das war in Lyon nicht zu vermeiden.

Dafür meldete sich dann noch ein kleines Wetterchaos. Auf dem Weg nach Dijon setzte ein kräftiger Regen ein, der auch für Stunden anhielt.

Als wir in Reims bei ADM ankamen, war sogar noch jemand da. Aber leider brachte uns das nicht weiter. Luke unterhielt sich kurz mit ihm, da er einigermaßen Französisch sprach. Der Mann war ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der Proben in den Laborgewächshäusern genommen und ausgewertet hatte. Also mussten wir vor dem Tor stehen bleiben, das er in ein paar Minuten zu machen würde und warten, bis morgen gegen 6 Uhr die ersten Mitarbeiter kamen, die die Ladung annehmen durften.

Dienstag, 22.03.2016

Immerhin war der Lagerleiter pünktlich. Wir stellten daher den Trailer ab, sie pumpten den Inhalt dann im Laufe des Tages in Speichertanks und den Tanktainer holte heute Abend ein anderer LKW ab.
Wir fuhren dafür zum nächsten, leeren Tanktainer. Der stand in einem Steinbruch in den französischen Ardennen, über eine Stunde Solofahrt entfernt.

Das schlechte Wetter war wieder da und so fuhren wir mit dem neuen Anhängsel im Regen weiter nach Belgien.

Als sich dann die Sonne raus wagte, kamen die Nachrichten aus Brüssel. Unsere erste Reaktion war natürlich Bestürzung. Aber nach den Anschlägen 2005 in London wussten wir, dass es für uns nicht dabei bleiben würde.
Als Tanker- und Silofahrer waren wir damals relativ fein raus. Aber mit den Palettenzügen mit Motoröl, Bigpacks und solchen Späßen, die man auch immer wieder bekam, war der Spaß dann schnell vorbei.
Es gab sogar im Inland ständige Kontrollen. Also dürften uns auch jetzt die Anschläge nicht nur betroffen machen, sondern uns auch betreffen.

Und tatsächlich stockte der Verkehr vorm Grenzübergang Lichtenbusch. Mit maximal 30 ging es auf die wieder besetzte Grenzanlage zu. Wir bekamen allerdings mit der Kelle angezeigt, dass wir durch fahren sollten.

Es ging dicht an zu Hause vorbei, aber nicht dorthin. Wir lieferten den Tanktainer bei ENI in Essen ab und fuhren weiter nach Marl in den Chemiepark. Hier gab es einen der besagten Planentrailer mit Motoröl, aber wenigstens für Berlin.

Auf dem Weg rief ich bei Elijah und Lars an, ob sie Probleme hatten, durch Belgien zu fahren. Dank Dachser-Siegeln an den Kofferaufbauten waren auch sie bei Kontrollen meistens schnell durch. Außerdem hatten sie den kleinen Umweg über Charleroi genommen und den Großraum Brüssel gemieden.

Wir fuhren also noch quer durch die Republik und der Empfänger, ein großer LKW-Händler, war natürlich auch nicht mehr besetzt. Also strolchten wir noch ein Bisschen zwischen den abgestellten Fahrzeugen auf der Verkaufsfläche rum.
Es waren natürlich, dem Händlervertrag entsprechend, überwiegend MAN, aber man konnte ja mal schauen. Mein Interesse weckte vor allem einer, der wohl nicht mehr innerhalb Deutschlands verkauft würde. Ein F2000, an dem sogar noch die Nummernschilder des Stadthagener Vorbesitzers steckten. Allerdings waren sie entstempelt und nur ein dicker Dreckfleck zeigte, wo mal die Plakette geklebt hatte und sich nun Staub auf den Kleberresten breit machte. Das Datenblatt in der Beifahrer-Seitenscheibe verriet Erstzulassung 1996, 400 PS, 820.000 km, Euro 2.

„Was ist Dein Plan mit so einem alten Ding?“ „Nicht mit diesem hier. Sollte schon 30 sein, dann kann er mit historischer Zulassung und in Umweltzonen fahren. Der hier dürfte nicht mal zu unserer Halle.“ „Kannst Du keine Partikelfilter kriegen? Das ist es, was sie mit den ganzen 90er Lastwagen machen, für noch nach London rein fahren.“ „Klar, das wäre auch ein Weg.“
„Okay. Und wer soll so was fahren?“ „
Wer auch immer will. Manchmal würde ich meine Seele verkaufen, um wieder für eine Woche einen Iveco TurboStar zu fahren. “ „Du und Dein Iveco-Fetisch.“ „Hey, Du hast bei Williams of Ammanford gelernt. Da solltest Du wissen, wie cool die Maschinen aus den 80ern sind.“ „Okay, ich gebe es zu. Die Zweitagestour mit einem Seddon Atkinson 401, um zu lernen ‚wie man den Job richtig macht‘ ist etwas, das ich nicht an meiner Ausbildung vergessen werde.“ „So lange Du keinen Atkinson willst.“ „Wir könnten einen Strato suchen und sind beide zufrieden.“ „Get serious!“ Dass mir die passenden deutschen Worte fehlten war selten. Der Seddon-Atkinson Strato war der Nachfolger des besagten 401 und technisch je nach Baujahr ein DAF 95 oder Iveco Eurostar mit einem fetten A auf dem Kühler. Und ich wusste, dass Luke von den britischen Marken sowieso ERF bevorzugte und mit Seddon-Atkinson eher wenig anfangen konnte.
Wir beließen es erst einmal dabei, zumal uns noch mindestens 2 zeitgemäße Trucks fehlten, um die DAF an PEMA zurückzugeben, bevor über irgendwelche Oldtimer nachgedacht werden konnte, und verkrümelten uns in die Kojen.


Mittwoch, 23.03.2016

Immerhin kümmerten sich die Jungs von der Werkstatt ums Entladen, so dass wir in einer Bäckerei an der Ecke frühstücken konnten. Danach ging es mit einem Trailer Lösungsmittel nach Bern. Auf dem Weg aus der Stadt zur Autobahn hatten wir grüne Welle.

Als nächstes rief dann Steven an. Es ging um Maxi: „Sag mal, der eine Azubi von Schütz. Dieser Maxi. Ist der echt so lahmarschig, wie Dein Fahrer sagt?“ Stimmt, Patrick hatte ja noch einen anderen aus dem dritten Lehrjahr bei Papke Witten übernommen. Das war mal eine richtig arme Sau. Zwei Ausbildungsbetriebe pleite gegangen. „Na ja. Es gab schon den einen oder anderen Moment, wo ich ihm begegnet bin und riskiert hätte, ihm beim Gehen die Schuhe zu klauen. Patrick Schütz musste den auch ab und zu mal antreiben. Dann hat er aber auch einen Trailer mit Leerpaletten zugestapelt bis kurz vorn Zusammenbruch.“
„Hand aufs Herz. Würdest Du ihn nehmen?“
„Die Frage ist unfair.“ „Also Nein.“ „Die Schlussfolgerung auch! Ich kann Dir sagen, wie ich die Leute kennen gelernt habe und Dich vor denen warnen, die schon mal Scheiße am Steuer machen. Aber bei aller Freundschaft, ich nehme Dir keine Entscheidungen ab, wen Du am Ende wirklich einstellst und wen nicht. Auch nicht, wenn Du es zu der Frage drehst, was ich tun würde, wenn es meine Entscheidung für meine Firma wäre. Denn meine Firma ist nicht Deine Firma, wir haben komplett andere Voraussetzungen. Ich würde ihn schon deshalb nicht nehmen, weil wir nur in Bochum ausbilden können und denke deshalb gar nicht so weit, um eine ernsthafte Antwort dafür zu haben. Das ist schließlich eine Entscheidung über die Zukunft eines anderen Menschen und will gut überlegt sein.“
In der Tat würde ich Maxi auch persönlich nicht übernehmen. Aber wenn ich Steven genau das sagte, dann würde er genau das tun. Und er sollte bitteschön seine eigenen Personalentscheidungen treffen. Ich wusste nicht, wen er überhaupt als Ausbilder hatte, was das für ein Typ war und wie der mit Maxi zurande kommen würde.
Allerdings hatte sich damit für Maxi ebenso wie seinerzeit für André bewiesen, dass die Ausbildung am Anfang begann und nicht in der Vorbereitung zur Abschlussprüfung. Innerhalb eines Arbeitgebers mochte das keine Rolle spielen. Aber heute machten so viele mittelständische Firmen die Grätsche, dass man sich in dieser Branche wohl immer seltener sicher sein konnte, die Ausbildung da zu beenden, wo man sie angefangen hatte. Blöd, wenn man dann keine Leistung gezeigt hatte, mit der man sich für einen neuen Betrieb empfehlen konnte.

Unterwegs machten Luke und ich dann Pause am Autohof Berg. Wobei ich zwar selten auf dem alten Autohof gewesen war und damals den Hype darum nicht verstanden hatte. Jetzt, wo es ihn nicht mehr in der Form gab, wusste ich, was es damit auf sich hatte. Der neue war austauschbar geworden, konnte überall zwischen Flensburg, Aachen, Görlitz und Kiefersfelden an jeder Autobahn sein.
Also gingen wir dort nach zwei Nächten mit Kanisterwäsche nur duschen und fuhren dann rüber zum Zubehörshop von Kniebaums. Da gab es schließlich auch eine Frikadelle mit Kartoffelsalat, aber eine viel nettere Atmosphäre dazu.

Nach diesem Mittagssnack fuhren wir weiter und kamen mit einem weiteren Fahrerwechsel bei der obligatorischen Teepause um 18:09 an der schweizerischen Grenze an. Und dann hieß es warten.

Nach fast einer Stunde durften wir weiter und so wurde es eine knappe Geschichte, vor 22 Uhr und damit dem Nachtfahrverbot ans Ziel zu kommen. Das klappte auch um eine Minute nicht, aber egal. Schlimmer fanden wir persönlich, dass wir die dritte Nacht in dieser Woche am Straßenrand im Gewerbegebiet verbringen durften.


Donnerstag, 24.03.2016

Mit Produktionsabfall, der in Strasbourg fachgerecht entsorgt werden sollte, ging es als Füllleistung weiter. Grenzzeit aus der Schweiz nach Frankreich immerhin nur 34 Minuten. In Strasbourg dann bekamen wir die letzte Ladung für diese Woche, einen Trailer mit Dünger nach Unna.

Mit dieser nicht gefährlichen Ladung auf einer konventionellen Pritsche rechneten wir dann an der Grenze damit, so richtig gefilzt zu werden, aber schon nach 15 Minuten Papierkontrolle und herumklettern eines Zöllners zwischen den IBC mit den Düngerperlen ging es weiter. Wahrscheinlich war es die richtige Entscheidung gewesen, Lauterbourg über die Grenze zu fahren, wo weniger los war als direkt nach Kehl.

Leider meldete sich dann auf der A5 noch mal die Tankanzeige und wir durften auf dem Rasthof Wetterau noch mal 100 Liter nachtanken, um es bis an die betriebseigene Ölquelle zu schaffen.

Die Uhr zeigte 17:26, als wir uns in Unna auf den Heimweg machten. Aber am Donnerstag vor dem Osterwochenende war das keine Einladung zum glatten Durchmarsch.

Es sollte 18:51 Uhr werden, bis wir es endlich nach Hause geschafft hatten.


Osterwochenende 25.03.-28.03.2016

Als erstes mussten wir erst mal die Wäsche machen. Da auch Timo und Julian reichlich zu waschen hatten, lief die Waschmaschine auch Karfreitag. Wir stellten den Wäscheständer einfach in der Halle auf. Wo kein Kläger, da kein Richter.

Julian erzählte dann noch von einer Sichtung. „In Ludwigshafen habe ich übrigens letzte Woche bei der BASF einen MM-Transporte Actros mit einem Talke-Trailer wegfahren sehen.“ „Marlon beschwert sich ja schon, dass Talke mittelfristig mehr von uns erwartet als 6 LKW. Ich hoffe, der ist nur ein Einzelauftrag gewesen. Aber wir fahren ja auch gelegentlich mal für ENI direkt. Aber Marlon war doch sowieso gestern bei Talke zum Gespräch. Wenn was anbrennen würde, hätte er das Meeting ja wohl von Dienstag vorgezogen.“

Am Samstag fuhr ich mit Julian nach Köln zum Eishockey. Die Kölner Haie hielten sich mit einem starken 5:1 im Halbfinale und erzwangen sich Spiel 7 am Montag. Eine gewisse Mannschaft aus Iserlohn schied dagegen an dem Abend aus. Also konnte ich, nachdem in der Hauptrunde Maxim öfter mal über mäßige bis unterirdische Leistungen der Haie gefrotzelt hatte, mir nicht verkneifen, ihm über Whatsapp zu schicken: „Wer zuletzt lacht, ist noch nicht aus den Playoffs ausgeschieden.“

Sonntag und Montag, die Osterfeiertage, fuhr ich mit Luke zu meiner Familie nach Marsberg.

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