Kapitel 89 – Der Praktikant

Diese Woche…
…erkrankt Ricky an Actrose…
…ein bekanntes Lied wirft Fragen auf…
…und Sebastian spuckt in einen Gully!

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Montag, 11.04.2016

Jetzt hatten Timo und Ilarion Urlaub. Weil ich diese Woche unserem Praktikanten mal zeigen wollte, wie der Beruf aussah, wenn man ausgelernt hatte, war mir das aber nur recht und wir brauchten keinen Ersatz bei Björn und Serkan zu buchen. Denn so konnte Luke auf dem Volvo bleiben, während ich dafür den Actros nahm. Der hatte unsere größte Kabine und für eine Zweckgemeinschaft zu zweit war der dann besser geeignet als der Volvo. Außerdem musste ich zugeben, dass ich sowieso mal scharf drauf war, das Ding zu fahren.

Judith und Marlon waren ausgesprochen gut gelaunt, als sie die Treppe rauf kamen. „Was ist denn mit Euch los? Es ist Montagmorgen, da dulde ich keine gute Laune.“ Dass ich zwar nachts um 4 aus dem Bett konnte, wenn ich wollte, aber eigentlich Spätstarter war und jeden Morgen hasste, der mit Aufstehen begann, war allgemein bekannt. Und wenn ich mich dafür nicht wie heute selber verarschte, machte das früher oder später jemand anders. Am Montag kam erschwerend hinzu, dass nicht nur ein Arbeitstag anfing, sondern eine ganze Woche.
Ich bemerkte den Ring an Judiths Hand, als Marlon antwortete: „Ich habe eine Antwort auf eine Frage bekommen.“ „Und die hieß „Ja“, wenn ich den Ring richtig interpretiere?“ „Genau, wir haben uns verlobt.“ „Na dann Herzlichen Glückwunsch.“

Rolf kam vor Sebastian an, also nahm ich ihn erst mal ins Büro. „Und, wie macht sich unser Praktikant?“ „Ganz gut. Er ist interessiert und fasziniert von LKW würde ich sagen.“ „Na dann werde ich ihn mir mal die Woche anschauen.“

Rolf machte sich auf den Weg. Nachdem „Er“, also Sebastian, angekommen war, gingen wir zu André in die Dispo. „Okay, ein Schlüssel für den LKW, eine Fernbedienung für den Fernseher – ach nee, ist der Hauptschlüssel für den LKW. Und Eure Papiere.“ „Fahren wir den Mercedes?“ „Ja. Unser Topmodell.“ „Cool. Den Volvo hätte ich auch nicht schlecht gefunden.“ „Der hatte mir zu wenig Stauraum zu zweit. Da muss man sich besser für kennen, um eine Woche zusammen drin zu leben, weil man auch schon mal seine Klamotten zusammen in ein Fach stecken muss.“

Wir gingen runter in die Halle. Wie bei unserem Volvo klebte auch am Actros inzwischen in der oberen Stufe ein Aufkleber mit einem Paar Schuhe im Verbotsschild und dem Text „Wir müssen draußen bleiben!“ „Wie geht das mit den Schuhen?“ „In die oberste Stufe schieben. Die Tür schließt das dicht ab. Kann nichts raus fallen und Wasser kommt in der Stufe auch keins dran.“

Ich fuhr los. „Wie war das letzte Woche mit der Anrede?“ „Rolf hat mir das Du angeboten.“ Den Ricky sparte ich mir auf, wenn er die Ausbildung anfangen sollte. „Okay, dann machen wir das auch so. Ich bin Eric.“ „Sebastian.“ „Gut. Oder soll ich „Matches“ sagen?“ Das musste jetzt sein. Er guckte sehr überrascht. „Woher…?“ „Ich schreibe vielleicht nicht ins Spotter-Forum. Angemeldet bin ich da aber trotzdem, lese fleißig und gucke mir an, was andere so an ihren Trucks umbauen. Du machst coole Fotos.“
„Ach so, danke. Aber Matches ist kein Rufname. Zumindest keiner, den ich sonderlich mag.“
„Wie kommt man dazu?“ „Ich war ja auf dem Gymnasium, bis ich in der 11. Klasse auch im zweiten Anlauf einen blauen Brief zur Halbzeit kassiert habe. Und beim ersten Anlauf 11. Klasse ein halbes Jahr auf Austausch in Australien. Ein anderer aus meiner Klasse war auch mit.“ Das erklärte seinen grausamen Slang wenn er Englisch sprach, was wir mal für ein paar Sätze seinerzeit im Bewerbungsgespräch gemacht hatten. Es stand aber auch im Lebenslauf in den Bewerbungsunterlagen.
„Der deutsche Betreuer hatte die Angewohnheit, nach dem T-Strich nicht oben weiter zu schreiben, sondern einen Haken nach unten zu machen. Also sah mein Nachname in der Liste aus wie „Mattches“ und das hat der australische Lehrer dann so bei der Einteilung in die Gastfamilien vorgelesen. Danach riefen mich das halbe Jahr Down Under alle „Matches“ und so einen Spitznamen wird man auch danach nicht mehr los, wenn ihn jemand per Facebook schon längst in der Heimat verbreitet hat. Und weil in Foren so viele Sebastians sind und ich keine Lust habe, mit Sebastian-4711 oder Basti-0815 rumzunummerieren, habe ich als meinen Online-Usernamen
seitdem eben Matches genommen.“

Inzwischen waren wir, nach einem Zwischenstopp in einem Supermarkt für einen kleinen Vorratseinkauf, bei unserer Ladestelle oder eher Aufsattelstelle angekommen. Ich rangierte unter den Trailer, eine Plane mit Gemischtwaren unter 1000 Punkte. Ich hatte darum gebeten, eine Tour möglichst ohne Gefahrgut zusammenzubasteln. Das hatte André am Ende in Perfektion hinbekommen.
Nicht so perfekt war das Wetter. „Leitungen anschließen kannst Du?“ „Ja.“ Also kletterte Sebastian zwischen Zugmaschine und Trailer und sorgte für Strom und Luft am Anhängsel. Ich holte derweil die Papiere und als ich zurückkam, durfte Sebastian zur Lichtkontrolle noch mal raus in den Regen.
Kurz nach 8 waren wir auf dem Weg zur Autobahn. „Wo geht es eigentlich hin?“ „Findest Du das schon?“ Ich zeigte auf die Frachtpapiere in der Ablage. „Ja. Das wichtigste hat Rolf mir schon gezeigt.“ Er nahm sich die Mappe. „Ui, Örebro. Also richtig rein nach Schweden.“

Auf der A2 wurde das Wetter besser. Auf dem Rasthof Allertal nach dem Wechsel auf die A7 machten wir Pause. Sebastian ging zu Burger King. Gesunde Ernährung gab es dann in der Berufsschule als Thema, wenn er anfangen wollte. Ich sparte mir aber auch meine Vorräte im Kühlfach auf und holte mir ein Ciabatta-Brötchen mit Tomate und Mozzarella.
Dann ging es weiter in Richtung Hamburg und wegen der Dauerbaustelle mit Vollsperrung mal wieder über die A24 weiter. Hier tankte ich noch mal nach, um es nicht in Skandinavien tun zu müssen. Es sollte jetzt ganz knapp reichen.

Wir hatten genug Zeit und so sparte ich der Firma ein paar Euro Autobahnmaut ein und fuhr über B321 und B106 zur A20. Weil es so oder so nicht aufgegangen wäre mit 9 Stunden, gab es außerdem noch mal eine Pause am Straßenrand. Ich kochte Tee für uns beide und wir setzten uns mit unseren Bechern bei dem guten Wetter auf den Holzzaun an der ersten Wiese.

Anschließend ging es weiter zur Fähre, heute mal die Huckleberry Finn. Also checkte ich ein und fuhr zum Warteplatz. Nachdem das Schiff freigegeben wurde, ging es an Bord und wir bezogen die sowohl wegen des lieben Geldes als auch Sebastians Alter – oder bei 17 eben Nicht-Alter – gebuchte Doppelkabine, natürlich innen. Außenkabinen konnten sich Trucker nur leisten, wenn ein Fernsehsender die Rechnung bezahlte. Zum Abendessen ging es ins Restaurant.


Dienstag, 12.04.2016

Am Morgen erinnerte mich Sebastian daran, dass ich nachlässig geworden war und vielleicht auch mal wieder Modul 5 auffrischen sollte. Denn während er seinen Big King und das auch nicht gerade schmale Abendessen aus dem Schiffsrestaurant mit „dem kleinsten Fitnessstudio der Welt“, also einem Übungsband, runter ackerte, lag mein „Fitnessstudio“ irgendwo zusammengerollt und in der Hülle zu Hause weit hinten in einem Fach vom Kleiderschrank.
Entsprechend ging ich schon mal unter die Dusche. Nach dem ziemlich frühen Frühstück mussten wir auch sofort die Kabine räumen und runter aufs Fahrzeugdeck. Unser Truck stand vorne, also waren wir als so ziemlich die ersten von Bord.

Die Autobahn nach Jönköping war ich nun auch schon wieder oft gefahren seit letztem Sommer. Und es war nur Wald zu sehen. Aber Sebastian schien trotzdem die Landschaft in sich aufzusaugen, sobald sich mal ein Blick über die Baumkronen oder auf einen See ergab. Ansonsten redeten wir über dies und das. Für ein Gespräch über seine Ansicht zum Beruf ergab sich keine Gelegenheit. Außerdem hielt ich es dafür noch für zu früh in unserer gemeinsamen Woche.

Den letzten Rastplatz vor Jönköping ließ ich sausen, das sollte sich rächen. Denn am Kreuz Ljungarum war dicke Luft und meine Restzeit rieselte mir durch die Hände. Direkt nach dem Wechsel auf die Fernstraße 47 gab es deshalb Mittagspause am Straßenrand. Jetzt konnte Sebastian mal lernen, wozu er sich Brot und Belag mitgebracht und ins Kühlfach getan hatte.
Der Zaun war leider kein so schöner Bretterzaun wie gestern, sondern Maschendraht. Also blieb uns nur, auf dem Grünstreifen herumzulaufen. Immerhin gegessen wurde bei uns noch in den Zugmaschinen. Die Innenräume waren ja noch so weit Serie. Das mit den Schuhen war eher, dass wir uns keinen Straßendreck, Diesel oder den auch nicht so tollen Geruch getragener Schuhe in die Hütte holten. Wenn mal die Innenraumveredelung losging, konnte man das mit dem Essen noch mal verhandeln.

Als es nach 45 plus 3 Minuten weiter ging, folgte nach der Fernstraße 26 die 49, die wieder an den Vätternsee führte. Und bei Rödesund erwischte die Landschaft Sebastian endgültig: „Ist schon genial hier. Auch wenn man dafür erst mal durch viel Wald muss.“ „Ja. Skandinavien hat was. Jede Landschaft hat an sich was. Ob es nun Skandinavien mit seinen Wäldern und Seen ist, das Hochgebirge von Alpen, Pyrenäen und Tatra, die einsamen Hügel in Schottland oder auch ewige Weiten aus Sand in der Sahara.“ „Ihr fahrt auch Afrika?“ „Zuletzt nicht mehr so oft. Vor 2 Jahren rum, als KFL gegründet wurde, waren wir regelmäßig unten.“

Am Nachmittag waren wir dann am Ziel, bei einem Chemikaliengroßhandel in Örebro. Hier sollte es morgen auch mit einem neuen Trailer weiter gehen nach Kopenhagen. Allerdings war der noch nicht fertig, meine Lenkzeit dafür in 40 Minuten schon.
Deshalb fuhren wir – ich betonte den Ausnahmecharakter, weil wir zu zweit waren – zu einem Hotel, natürlich die einfache Ausführung mit dem nötigsten. Immerhin das kleine Restaurant war okay, für schwedische Verhältnisse sogar die Preise.


Mittwoch, 13.04.2016

Leider gab es kein Frühstück vor 7 Uhr. Also durften wir immerhin an der Rezeption ein vorbereitetes Fresspaket mitnehmen. Drin waren ein Liter H-Milch, zwei Portionspackungen Cornflakes, zwei Brötchen, zweimal Butter und je einmal Frischkäse, Leberwurst, Nutella und Marmelade in Plastik-Portionspäckchen und zwei Trinktütchen Orangensaft. Wir frühstückten also im LKW, nachdem wir beim Kunden erfahren hatten, dass es noch knapp eine halbe Stunde dauerte.

Weil in Schweden die Raststätten nicht unbedingt häufig waren, machten wir an einer Tankstelle vor Göteborg schon mal Pause. Trotz des sparsamen Frühstücks verkniffen wir uns, hier was zu kaufen.

Hinter Halmstad ging es dann am Meer vorbei. „Man sieht ja viele schöne Ecken. Aber mehr als vorbei fahren ist auch nicht, oder? Im Fernsehen wird dann erst mal angehalten und gebadet, gegrillt oder philosophiert.“

„Es geht schon ab und zu mal. Nicht mehr so oft wie früher. Als ich 2000 angefangen habe, saß man zumindest hier oben abends noch regelmäßig mit Kollegen zusammen oder hat sich seine kleine Pause so geschoben, dass man mal in den See springen konnte, auch wenn dann noch eine zweite am Nachmittag fällig wurde. Da gab es aber auch noch kein GPS-Tracking des Trucks und anrufen konnte nur ich die Firma von einer Telefonzelle. Aber erst letztes Jahr hatten wir hier ein spontanes Firmentreffen mit zwei Trucks, Lagerfeuer am See und so. Asphalt Cowboys ist eine Scripted Reality. Da passiert nichts aus Zufall und es wird viel arrangiert, verklärt und komprimiert. Du warst ja eine Woche mit Rolf auf Kurz- und Mittelstrecke unterwegs und wir sind jetzt auch über 2 Tage auf Ferntour. Sei mal ehrlich, würdest Du Dir das, was Du in der Zeit bei uns erlebt hast, 4 Staffeln mit insgesamt 26 Folgen zu 45 Minuten lang im Fernsehen anschauen?“ „Nein.“
„Sieh doch mal genau hin. Der eine hat nicht mal Bettwäsche dabei, wenn er denn mal Fernverkehr macht und stattdessen schläft in dem Bett die Klampfe. Ein anderer hat jede Staffel irgendwelche dicken Autos und Kunstschätze von nach Malle auswandernden C-Promis drauf. Mag vorkommen in seinem Segment, aber auf 100 Touren mit Hausstand von Familie Müller-Lüdenscheid kommt vielleicht einmal jemand, von dem man vielleicht schon mal was gehört haben könnte. Die beiden nächsten fahren eine gemeinsame Tour mit Doppel-Ladung und Lastwagen von zwei Speditionen, die sich eigentlich im gleichen Einzugsgebiet Konkurrenz machen. Daniel und Mike mögen Freunde sein, aber ob Daniel Schewe auch mit Jürgen Marmulla befreundet ist, kann ich Dir nicht sagen. Und dass ausgerechnet dann Schewe eine halbe Tour verkaufen muss, wenn die ihr Ding drehen wollen und die ausgerechnet von Mamutrans gekauft wird, ist schon ein merkwürdiger Zufall.“
„Jetzt, wo Du es sagst.“
„Ich habe, bevor ich das Konzept verstanden habe, nicht viel von meinem Kollegen Schubert gehalten. Inzwischen finde ich den da den besten. Der macht wenigstens noch eine kleine Comedy aus dem Käse. Nottelmann haben sie ja raus gescriptet. Die Firma war wohl zu realistisch. Die hatten Probleme mit aufgeschlitzten Planen, Termindruck und so. Und Marten konnte sich nicht gut genug verstellen und man hat ihm den Frust angesehen. Passte wohl nicht ins Drehbuch von den perfekten Typen in einer heilen Welt. Er war der Liebling der Kollegen – aber den Familienvätern, die aus ihrem Golf Variant bewundernd einem aufgemöbelten Scania hinterher schauen, zu brummig, denke ich.“


Dann wurde es Zeit für die Mittagspause hinter Helsingborg. Sebastian verzichtete aus Mangel an Kronen wie ich auch auf einen Ausflug ins Restaurant. Ich könnte per Kreditkarte zahlen, wenn ich wollte. Stattdessen gab es Brot mit Wurst und Käse aus dem Kühlfach.

Anschließend fuhren wir weiter in Richtung Kopenhagen. Schließlich ging es in die Stadt und durch ein nicht eben wunderschönes Wohngebiet zum Ziel. Nach Absatteln und Papierkram fuhr ich mit nur noch ein paar Minuten auf dem Fahrtenschreiber durch das Gewerbegebiet und steuerte schließlich einen geteerten Streifen zwischen einer Stichstraße und dem Gitterzaun eines Firmenhofs an.
„So. Endstation für heute.“ „Okay…“ Er sah sich unschlüssig in der tristen Gegend aus Asphalt, Beton und hohen Zäunen um. „Ist nicht jede Nacht Hotel oder Schiffskabine. Manchmal steht man im Fernverkehr alle 4 Nächte so. Ist uns erst vor ein paar Wochen passiert.“ „Schon klar mit dem Hotel. Aber ich dachte wenigstens Tankstelle mit Dusche und Toilette.“ „Hätte ich auch lieber, aber dann bin ich über 9 Stunden und wir müssen morgen durch den Elbtunnel und durch die Baustellen. Den zweiten Zehner brauche ich vielleicht noch. Den sollte man nie für eine Dusche opfern, wenn man noch einen unsicheren Tag vor sich hat. Sonst kann es Dir passieren, dass Du noch eine zusätzliche Nacht draußen bist, weil Du am letzten Tag nur bis 40 Minuten vor zu Hause kommst. Und nachdem Du letzte Woche 37 Stunden hattest, dürfen wir diese Woche maximal 43 Stunden Arbeitszeit zusammenbringen, damit Du nicht über die für Minderjährige zulässigen 40 Stunden Arbeitszeit im Durchschnitt kommst. Bei zwei Wochen hat man da keinen großen Spielraum. Außerdem sollst Du ja den Beruf aus allen Blickwinkeln sehen. Und ein Hotel unter der Woche sehe ich aus meinem Winkel eher selten.“

Sebastians Blickwinkel für diesen Abend enthielt erst einmal eine in der Mikrowelle aufgewärmte Gulaschsuppe und als es Zeit fürs Bett wurde, kamen Zähneputzen neben dem LKW und an einen Pfosten des besagten Gitterzauns pinkeln dazu.


Donnerstag, 14.04.2015

Die Nacht ohne sanitäre Anlagen wurde am nächsten Morgen mit Kanisterwäsche vervollständigt. Danach gab es Frühstück im Fahrerhaus und dann ging es los, ein Silo mit Kunststoffgranulat einsammeln.

Nachdem ich nun Flachland und Mittelgebirge, Rampen zu Hochbrücken und steile Autobahnauffahrten durch hatte, musste ich sagen, dass der Actros 2558 ein Monster war. Noch mal stärker als unser FH16 550 und das brachte er auch auf die Straße. Leider brachte er das auch in den Tank, besonders wenn man mal verpennte, manuell in den 12. zu schalten, was mir mit dem leisen Motor nur zu oft passierte. Ilarion und Timo wohl nicht mehr, denn die hatten mit meinen Verbrauchswerten angefangen, aber waren inzwischen 3 Liter runter. Und im Gegensatz zu mir fuhren die dauernd Standlicht, wie ich von Bildern im Spotterforum wusste, damit die LED-Batterie dauernd leuchtete.
Von Anfahrverzögerung oder einer lahmen Schaltung merkte ich nichts. Und auch kalt machte er keine Mucken, vor denen mich Patrick damals gewarnt hatte. Aber über Patrick und falsche Flottenpolitik konnte man sich ewig unterhalten, das Ergebnis war jedenfalls mittlerweile bekannt.

Die Rechnung mit dem Diesel ging auf, mit der Zeit nicht. Nach leider 4:36 Stunden war der Autohof Bordesholm erreicht. Um die Sachen im Kühlfach aufzubrauchen, gingen wir wieder nicht ins Rasthaus.

Danach passierten wir problemlos den Elbtunnel. Mir war heute nicht nach Lalala von NDR2, also hatte ich den USB-Stick drin. Da war zwar auch ab und an welches drauf, aber immerhin von mir ausgewählt.

Mir war gar nicht aufgefallen, dass Gunter Gabriel uns eingeladen hatte, mit ihm auf Tour zu gehen. Erst als die letzte Strophe endete, fragte Sebastian: „Wie oft platzt so ein Reifen eigentlich?“ „Kann man nicht genau sagen. Als wir Afrika gefahren sind, hatten wir öfter mal Reifenschäden. Ich hatte im Winter auch einen mitten in Deutschland, aber derzeit sind sie recht selten. Warum?“ „Na wegen wenn der Reifen vorn platzt dann heißt es Ende!“ „Quatsch, mir sind schon 2 Vorderreifen geplatzt in den 16 Jahren. Ist sicherlich das ungemütlichste. Wenn es einen Zwilling erwischt oder einen auf dem Trailer, merkst Du das am Fahrverhalten gar nicht und versuchst herauszufinden, ob der Knapp bei Dir war oder beim Nebenmann. Aber ich habe damals schon den TurboStar mit geplatztem Vorderreifen halbwegs in der Spur halten können, mit einem Jahr Fahrpraxis und ohne elektronische Helfer. Heute mit den ganzen Assistenzsystemen verliert das seinen Schrecken noch mehr. Das schlimmste, was Dir mit Reifen passieren kann, ist, wenn Dir ein Hinterreifen am PKW platzt – das heißt wirklich Ende, zumindest bei den meisten Fahrern fürs Auto, weil das am Ende kopfüber im Graben liegt.“

„Das Lied ist aber auch komisch.“
„Warum?“ „Weil er mal genauso tut wie die Asphalt Cowboys, die er ja auch vertont und fängt an mit „wo Männer unter sich noch Freunde sind und wenn die Räder rollen die Freiheit erst beginnt.“ Und dann kommt der Hungerlohn und keine Bleibe und so.“ „Tja. Da stimmen nur noch ein paar Zeilen wörtlich. Ist ja inzwischen auch schon 14 Jahre alt, das Liedchen. Vor allem an „Wir fahren Tag und Nacht, rund um die Uhr. Und wir fahren unsern Truck für Deinen Nachbarn, Deinen Sohn.“ und „Denn hier erlebst Du was.“ Ist noch was dran. Der Rest ist irgendwo im Kern wahr und doch mal zu schön gezeichnet und mal zu dunkel. Aber wie gesagt, damals war es manchmal auch noch anders. Diese Zeit bekommen wir nicht mehr zurück. Man kann aber auch aus der heutigen das Beste machen.“

„Ernsthaft, wie ist das denn eigentlich mit dem Geld? Man hört ja nur immer wenig Geld, Osteuropäer und so. Dafür zu lange fahren und nie zu Hause.“
„Erst mal haben wir in Deutschland mittlerweile Mindestlohn. Ausnehmen kann Dich keiner, aber mehr als den Mindestlohn ist die Arbeit eigentlich schon wert. Wie sich das bei denen, die kein Konzept dafür haben, langfristig auf die Arbeitsplätze auswirkt, muss man sehen. Bei uns sind Chemie und für Stückgut Ziel Großbritannien zwei so Sachen, wo man von den Osteuropäern halbwegs in Ruhe gelassen wird. Dafür bekommt man bei uns, je nach dem für welche der drei Arbeitsplatzbeschreibungen man sich entscheidet, auch Vorteile.“ „Wie sehen die drei aus?“
„Nummer 1 hast Du bei Rolf erlebt. Also Ein- und Zweitagestouren in Deutschland, Benelux und Nordfrankreich. Wäre auch Deine Ausbildung normal so, weil Du in der Ausbildung weder mit Gefahrgut nennenswert ins Ausland noch mit irgendwas nach Großbritannien darfst. Nummer 2 fahren wir diese Woche, also Montag raus und Freitag zurück. Innerdeutsch kannst Du das auch gelegentlich schon als Azubi bekommen. Den Job Nummer 3 machen die beiden Zweimannbesetzungen und noch ein Einzelfahrer. Wir fahren wie diese Woche, aber bleiben auch mal mehrere Wochen draußen und haben Wochenende irgendwo. Mein Rekord sind über 3 Wochen. Dafür gibt’s als Entschädigung ein Bisschen mehr Geld und viel mehr PS. Weil die Firma auf solchen Touren auch mehr verdienen kann und man erst mal jemanden finden muss, der das mit sich machen lässt. Das ist bei uns Teil der Firmenphilosophie. Wenn ein Fahrer mehr gibt, wodurch die Firma mehr bekommt, dann soll er seinen Anteil daran kriegen. Gibt genug Firmen, wo Nachtzuschlag schon ein Fremdwort ist. Wie man Entfernungszuschlag für die Wochenenden draußen schreibt, haben sie in der Branche eh längst verlernt.
Das mit dem zu lange fahren, na ja. Bei uns klappt es nicht immer, wie Du heute Morgen gesehen hast. Aber das sind vielleicht einmal im Monat so 3 bis 6 Minuten, die man versehentlich überzieht, weil man sich zum Ziel verschätzt hat oder zu lange einen Parkplatz sucht. Da passiert Dir nicht mal was für in den meisten Ländern. Wenn Du das jede Schicht machst oder 15, 20 Minuten drüber gehst, natürlich schon. Trotzdem wird es bei den schwarzen Schafen erwartet. Aber bei uns ist an sich immer so geplant, dass man es schafft, mit seiner gesetzlichen Zeit hin zu kommen.“


„Was würde ich, wenn ich genommen werde, als Azubi eigentlich für einen Truck bekommen?“
Er war der einzige, der diese Frage nicht schon im Bewerbungsgespräch gestellt hatte. „Mal sehen. Entweder einen abgelegten aus der jetzigen Flotte, der IT-500 Stralis ist als nächster dran, bis zum Herbst auch noch der Magnum, wobei der kein Anfängerauto ist. Oder es gibt einen neuen. Wegen Chemie und den schweren Trailern Stralis 500, FH500 oder wenn Renault bis dahin mal übern Berg kommt T480. Sonst verhungert man in Spessart, Westerwald und Teutoburger Wald mit dem Fuß in der Ölwanne. Das muss man aber sehen, wenn es so weit ist. Und wenn es ein Neuwagen wird, kann der Azubi sich auch gerne was wünschen. Manchmal soll es passieren, dass man es bekommt.“

Erst mal hatte er sich letzte Nacht eine Tankstelle mit Dusche und Klo gewünscht. Die bekam er diese Nacht. Es war noch früh, aber bis ans Ziel würde ich mit dem 9er nicht mehr kommen und mit dem 10er hatten wir dann auch wenig gewonnen, weil die Anschlussfracht erst morgen früh bereit stand und wir dann wieder eine Stadtrundfahrt machen mussten, die Sebastians Arbeitszeit nicht her gab, bis wir an einer entsprechend ausgerüsteten Tankstelle waren. Denn nicht jede konnte und wollte als Truckstopp dienen.


Freitag, 15.04.2016

Am Morgen ging es im Regen los, wir hatten noch eine Stunde bis ans Ziel in Kassel und dementsprechend waren wir nach einem frühen Frühstück gegen 5 los gefahren. Die Anschlussfracht war leer und gespült, ein Lanxess-Tanktainer auf Talke-Chassis, der wieder in Europas Chemieregion, Industrieland NRW musste.

Später am Morgen kam aber die Sonne raus und kurz nach 9 lieferten wir den Tanktainer in Gelsenkirchen bei Shell ab. Danach ging es solo nach Hause, wo Sebastian noch das Programm aus Volltanken, Waschen und Saugen mitmachen durfte. So viel Arbeitszeit hatten wir uns aufgehoben.

Zwar war, weil er ja nicht wirklich produktiv mitarbeiten konnte, keine Bezahlung vereinbart, aber wir machten natürlich eine Spesenabrechnung. Das stand ihm sowieso zu und es war auch für den Lerneffekt. Die Übernachtung mit Frühstück in Schweden und auf der Fähre sowieso hatte ich bezahlt, das rechnete André entsprechend aus den Tagessätzen raus. Der durfte sich da dran verlustieren, weil er ja auch andere Dinge lernen musste als Dispo.
Als Belohnung dafür, dass Sebastian beim Ankuppeln und der Lichtkontrolle geholfen, Papiere abgeliefert und geholt hatte und getankt hatte, hatte ich drum gebeten, dass Judith oder André einen Gutschein von einem Elektronikdiscounter organisierte. Aber er schaute schon ein Bisschen überrascht, als er merkte, wie viel Spesengeld es nur gab und was er im Euroraum verfuttert hatte. Letzte Woche hatte er kräftig drauf gezahlt, diese nicht, was aber wohl dran gelegen hatte, dass er keine schwedischen oder dänischen Kronen hatte und deshalb sich auch im deutschen Supermarkt eingedeckt hatte. Durch die hohen Tagessätze in Skandinavien bekam er am Ende ein paar Euro raus. Rolf hatte ihm letzte Woche dazu geraten, sich morgens Brote von zu Hause mitzubringen, aber er hatte es nicht gemacht.
„Wie war das mit dem kargen Hungerlohn, Gunther Gabriel?“ „Na ja. Wer einen Hungerlohn bekommt, sollte auch hungern. Rolf hat mir schon erzählt, dass Du letzte Woche ein Bisschen über die Verhältnisse gelebt hast, so mit Kaufen am Rasthof oder in der Dönerbude statt von zu Hause mitbringen und so. Wir haben Dir das mit den Broten nicht aus Jux empfohlen.“ „Das habe ich gerade gemerkt.“

Als Rolf kurz darauf auch eingetroffen war, gingen wir zum Abschlussgespräch in den Besprechungsraum. „So, was ist Dein Fazit der zwei Wochen – neben „Außer Spesen nix gewesen?“ „Da bin ich ja selber schuld. Der Beruf interessiert mich immer noch. Wahrscheinlich sogar mehr als vorher. Ich glaube, LKW fahren und ab und zu mal ein Foto machen ist auf jeden Fall besser als Fotograf zu werden und jedem LKW hinterher zu schmachten.“
„Wichtig sollte Dir sein, dass Du hinter dem Beruf stehst. Welchen auch immer Du nimmst. Denn den noch mal zu wechseln ist nicht einfach und auf jeden Fall noch mal eine entbehrungsreiche Zeit. Und was ist in 20 Jahren? Mit professioneller Fotografie kenne ich mich nicht aus. Aber Berufskraftfahrer wird es immer geben. „Erst wenn der Diesel 3 Euro kostet, das letzte Anbauteil verboten wurde und der letzte nach Rumänien outgesourcte Fahrer nach 20 Stunden am Steuer eingeschlafen ist, werdet ihr merken, dass man Äpfel nicht per Email schicken kann“, hatte ich in Berlin bei meinem letzten Betrieb auf die Hecktür geklebt.“ „Ich glaube, da macht sich kein Fotograf Gedanken zu. Ich würde mir auf jeden Fall am Wochenende mal welche machen.“

Ich sah kurz zu Rolf rüber, der unauffällig nickte. Also griff ich zu den Unterlagen, die ich mit in den Raum genommen hatte und zog nicht nur den Saturngutschein sondern auch einen Ausbildungsvertrag raus. „Wenn Du überlegt hast, gibt es zwei Möglichkeiten. Du kannst bei uns anfangen und den Ausbildungsvertrag unterschreiben, Deine Eltern beide auch unterschreiben lassen und den Vertrag zurück schicken oder vorbei bringen. Oder Du reißt den Vertrag durch und steckst ihn ins Altpapier, aber meldest Dich trotzdem, damit wir uns für jemand anders entscheiden können.“ Wir verabschiedeten Sebastian und er radelte vom Hof.

Das Aprilwetter-Wochenende verbrachten wir zu Hause. Julian war nach München geflogen und wollte dann mit einem gemieteten Transporter Celias Sachen rauf holen und erst mal in die Halle stellen. Sie würde die beiden letzten Wochen wieder bei ihren Eltern wohnen. Ab 1. Mai hatten die beiden eine Wohnung in Bochum-Wiemelhausen.
Und schon am Sonntagvormittag, als Julian und Celia eintrafen und ich mal einen Blick in den Briefkasten warf, lag der Vertrag von Sebastian und seinen Eltern unterschrieben drin. Damit hatten wir ab 1. August einen Azubi.

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