In diesem Kapitel…
…kann Luke sich nicht entscheiden, was er ist…
…ein Jugendlicher legt einen Frühstart hin…
…und Philip bringt jemanden zur Tür!
16.05. – 29.05.2016
Es wurden ab dem 16. Mai zwei hektische Wochen zwischen Schreibtisch, Flughafen und Amtsgebäuden. Luke und ich flogen erst einmal nach Manchester und fuhren nach Deeside, um Immobilien anzuschauen. Mieten war in Großbritannien so ein Fall für sich, die meisten Immobilien wurden gekauft, aber dazu fehlte uns die Zeit.
Aber schließlich fanden wir eine Doppelhaushälfte in einer besseren Ecke von Shotton zu einem anständigen Preis. Da sie seit Ende April leer stand, konnten wir auch direkt einziehen. Während ich nach Deutschland zurück flog, blieb Luke noch einige Tage hier, um wenigstens Küche, Bad und Wohnzimmer zu streichen.
Ich beantragte vor der Abreise nur schnell die Anmeldung einer Limited. Wenn man mal erlebt hatte, wie es sich um Wochen zog, eine GmbH in Deutschland zu gründen, dann war eine Limited mit ihren paar Tagen Gründungsdauer wirklich schnell. Für ganz eilige Geschäftsideen gab es einen reichlich aufpreispflichtigen Service mit maximal 24 Stunden von Anmeldung bis Eintragung.
Für mich ging es in Deutschland mit Behördengängen weiter. Ich meldete meinen Alpina ab, da der Käufer ihn abholen wollte und angemeldet ging mir kein Fahrzeug vom Hof. Jetzt war ich nur noch mäßig mobil. Unter der Woche konnte ich wenigstens Timos aufgebrezelten Focus benutzen, am Wochenende nur das Motorrad, wenn Timo sein Auto selbst brauchte.
Es gab doch eine Menge Dinge, die man erledigen musste, wenn man als Geschäftsführer aus einem Unternehmen ausschied. Das fing damit an, dass ich mich bei der Bank als Handlungsbevollmächtigter abmelden musste. Meine Vollmachten an Judith und André gegenüber dem Straßenverkehrsamt, Fahrzeuge im Namen der Firma an- und abzumelden, mussten widerrufen und durch welche ersetzt werden, die Julian oder Marlon unterschrieben hatten. Und so weiter, und so fort. Und am Ende stand der Gang zum Amtsgericht, wo ich mich als Geschäftsführer aus dem Handelsregister austragen lassen musste. Als Mehrheitseigentümer blieb ich natürlich eingetragen.
Dann musste, nachdem die KFL Intertrans Ltd. eingetragen war, für Deeside das eine oder andere online geregelt werden. Royal Mail bot einen Service an, alle Briefschreiber an die alte Firma über die Änderung zu informieren. Die Telefongesellschaft, der Energieversorger und einige mehr mussten informiert werden.
Zwischendrin war auch noch ein neuer LKW in Deutschland drin. Lars war der glückliche, der ihn bekommen sollte. An sich mussten wir mal so langsam Ivecos kaufen, denn um unsere Rahmenverträge bis Ende August zu erfüllen, brauchten wir noch 2 Ivecos und 1 Volvo oder Renault. Aber Julian war der Meinung, dass es besser wäre, Lars seinen Wunsch mit dem Stern zu erfüllen und notfalls den Rabatt an Iveco für Maxims Truck zurückzuzahlen. Denn ein unerwünschtes Fahrzeug wurde auch so behandelt und kostete dann deutlich mehr, weil es mehr Verschleiß hatte. Er war hier demnächst dafür verantwortlich, also bitte schön. Wir fuhren zusammen nach Wattenscheid und ich übergab quasi die Geschäfte mit Mercedes bei Carsten Tanner an Julian.
Dazu kamen die privaten Erledigungen. Wir hatten überlegt, die Motorräder auf Exportkennzeichen anzumelden und auf eigener Achse zu überführen, aber bei den ständigen Unwettern beschlossen wir, sie nach Neuss zu Steven in die Halle zu fahren und abzumelden. Sie kamen als Umzugsgut mit auf den LKW.
Wir mussten einen internationalen Nachsendeantrag für Post stellen. Mein Handy blieb hier, denn es war dienstlich. Die privaten Nummern musste ich aber dafür auf mein privates Mailkonto übertragen, damit ich sie drüben auf mein neues Handy ziehen konnte und dann hier aus dem Nummernspeicher löschen.
Und dann waren da noch die Abmeldungen. Wenn man im Inland umzog, war das alles einfach. Aber jetzt mussten wir nicht nur beim Einwohnermeldeamt mitteilen, dass wir das Land verließen, sondern auch bei einigen anderen Institutionen wie der Krankenkasse und diverse Versicherungen kündigen, die einem im Ausland nichts mehr nützten.
Und besonders die GEZ stellte sich dabei erwartungsgemäß quer. Es war ja auch unvorstellbar, dass Gebührenzahler einfach so aus Liebe Deutsche Land auswanderten und demnächst nicht mehr ihrem Laden das Geld in den Allerwertesten steckten, sondern dem britischen Gegenstück namens TVL.
30.05. – 31.05.2016
Am 30. Mai war dann der entscheidende Montag. Tomas hatte vormittags ein paar Frachten geladen und war nach Bochum zurückgekommen. Luke und ich hatten unsere Sachen in die Halle runter gebracht und luden dann unser Umzugsgut auf den LKW. Dann fuhr ich noch bei Tomas mit nach Neuss zu Steven in die Firma, um unsere Motorräder ganz hinten drauf zu stellen. Da wir keine Auffahrrampen hatten, musste das bei ihm an der Laderampe sein.
André hatte den Chauffeur gespielt und Luke mit dem Reisegepäck von uns beiden im Audi zum Flughafen gebracht. Ich lief gerade von Scandinavia Express die Straßen Am Hochofen und Heerdterbuschstraße runter, stieg Neuss Am Kaiser in die S-Bahn und fuhr zum Düsseldorfer Flughafen.
Wir flogen nach Manchester, nahmen unser Auto für die kommenden Tage, einen VW Passat, bei der Autovermietung in Empfang und fuhren nach Shotton. Das dicke Auto kostete eine Stange Geld, aber ich musste ja mit dem Mietwagen auch als Geschäftsführer einer Firma herumfahren. Das ging nicht mit einem Vauxhall Corsa. Eine Nacht mussten wir jetzt mit Schlafsäcken auf dem Boden verbringen, bis wir morgen Mittag unsere Möbel bekamen.
Den Vormittag nutzten wir, um uns schon mal auf der Stadt anzumelden, Bankkonten zu eröffnen und Handys zu kaufen. Luke musste sich auch noch ins Wählerverzeichnis für das EU-Referendum eintragen lassen. Das mit dem Einwohnermeldeamt war in Großbritannien freiwillig, aber hatte seine Vorteile.
An der Firmenhalle die Sicherung der Motorräder lösen und sie runter schieben konnte Tomas alleine. Kurz nach 12 Uhr war er dann bei unserem Haus und wir fingen an, die Sachen auszuladen und ins Haus zu tragen.
Als wir fast fertig waren, schickte ich Luke los, was zu Essen zu holen. Auf der Hauptstraße würde er schon was finden. Tomas und ich luden noch die letzten Möbel und Kisten aus dem Auflieger. Als wir fertig waren und draußen auf Luke warteten, sprach uns der Nachbar an, der gerade mit einem BMW in seiner Garage eingeparkt hatte: „Hallo. Ich bin Jordan.“ Er war ungefähr in meinem Alter. „Eric. Hallo. Ich bin der neue Nachbar.“ „Tomas. Ich bin nur Umzugshelfer.“ „Beeindruckendes Umzugsauto.“ „Wer hat, der hat. Er ist in meiner Firma angestellt. Warum soll man einen Möbellaster mieten, wenn man Teilhaber an einer Spedition mit 10 Lastzügen in Deutschland und ab morgen noch mal 5 in Großbritannien ist?“
„Das ist wahr. Aus Deutschland? Was bringt Dich hier her?“ „Wir haben Duncan Road Haulage gekauft und ich leite die Niederlassung, meine Teilhaber bleiben am Stammsitz in Deutschland.“ „Ich habe von Duncan gehört. Ein Unfall in Skandinavien, Vater und Sohn tot. Schrecklich.“
„Was machst Du beruflich?“ „Ich war früher Rugbyspieler. Seit ich vor 3 Jahren meine Profikarriere beendet habe, bin ich als Co-Kommentator und Experte für Rugby bei der BBC.“ „Wo warst Du? Scarlets?“ „Ja, Du kennst Dich aus?“ „Ich habe schon mal 4 Jahre in Wales gelebt. Da führt kein Weg um Rugby, auch wenn ich selbst mich gar nicht dafür interessiere. Meinen Lebensgefährten wird es freuen. Der ist Scarlets-Fan.“
Der Lebensgefährte war inzwischen zurück, Tomas war schon ins Haus gegangen. Luke rief mir auf walisisch durch den Garten: „Komm, das Essen wird kalt!“ Jordan guckte überrascht. Dass ich als Deutscher walisisch sprach, war wohl mal wieder die Sensation überhaupt. Luke kam aber natürlich noch kurz an den Zaun und stellte sich auch vor, wie erwartet war er freudig überrascht, neben einem ehemaligen Profispieler der Scarlets zu wohnen. Bei der Streich-Aktion vor 2 Wochen waren sie sich nicht begegnet.
Nachdem wir gegessen hatten und Tomas weiter gefahren war, um Geld zu verdienen, fingen Luke und ich an, die Küche einzuräumen und die verbliebenen Zimmer zu streichen. Bis das Schlafzimmer trocken war, mussten wir wohl zwei Nächte auf dem Sofa im vollgestellten Wohnzimmer verbringen.
01.06.2016
Die Zulassung für unsere Motorräder konnten wir online machen, also fuhren wir am nächsten Tag nur auf dem Weg zur Firma beim Schildermacher vorbei. Heute war der 1. Juni und ich war jetzt offiziell Chef.
Zuerst gingen wir rauf ins Büro. Philip hatte wohl schon den Braten gerochen, als ich erzählt hatte, dass ich einen weiteren Fahrer mitbringen würde, dass gut lackieren können nicht der einzige Grund dafür sein dürfte. Nachdem Luke sich vorgestellt hatte, fragte Philip gleich: „Lucas, Du bist aber kein gewöhnlicher Angestellter, oder?“ „Nein, eher ein außergewöhnlicher Angestellter. Und nenn mich einfach Luke.“ „Wenn Du wissen wolltest, ob er mehr als ein Mitarbeiter ist, dann ja. Wir sind ein Paar.“ „Dachte ich mir.“
„Die ersten 2 bis 3 Wochen wird er sich erst mal damit beschäftigen, die Trucks auf unsere Firmierung zu lackieren. Dann schauen wir mal, ob und wie wir ihn auf einen LKW bekommen.“ „Unten steht doch einer. Wenn es nach meiner Frau geht, muss ich da nicht mehr drauf. Und bei meiner Tochter ist was Kleines unterwegs, dann hat Opa demnächst bitteschön regelmäßig zu Hause zu sein.“ „Wenn wir hier im Büro Arbeit für zwei finden, können wir das diskutieren.“ „Ich habe den Eindruck, dass man das kann. James hat viel von unterwegs gemacht und am Wochenende auch hier drin gesessen. Das kennst Du ja selber. Man hat durch die Lenkzeitbegrenzung genug Zeit, um unterwegs zu disponieren, Rechnungen zu schreiben und so. Und außerdem war er nicht sonderlich effektiv. Wenn man etwas konzentrierter disponiert, kann man mehr raus holen, aber dazu hatte er keine Zeit. Der erstbeste Auftrag ist selten der beste. Mahnungen schreiben war auch Zufallsprinzip. Einige Kunden haben in den letzten Wochen ziemlich dumm geguckt, als ich plötzlich gemahnt habe. Die haben vorher grundsätzlich 2 bis 3 Wochen zu spät gezahlt und der eine oder andere auch nur 3 von 4 Rechnungen. Ist James nie aufgefallen. Beim Fahrzeugkauf und Verkauf hat er nie verhandelt und verglichen. Neuen DAF holen, alten in Zahlung geben. Ich könnte noch eine Zeit lang weiter reden, was er alles aus Zeitmangel nicht richtig gemacht hat.“ „Na gut, dann werde ich mir mal ein paar Dinge anschauen.“
Luke nahm sich erst mal den DAF vor, der auf dem Hof stand und wollte ihm unseren Firmennamen verpassen. Das würde für jeden Truck 72 Stunden dauern, da er die alten Schriftzüge und das Logo von Duncan mit der Grundfarbe überlackieren und dann die neue Schrift in rot und gelb lackieren musste. Nach jedem Farbauftrag mit 24 Stunden Trockenzeit. Allerdings war er trotzdem nach 2 anstatt 3 Wochen fertig. Die beiden 106er hatten aufwändige Sonderlackierungen, die wir nicht beseitigen wollten.
Philip und ich hatten beide ein Einzelbüro, auf der anderen Seite war noch ein größeres Büro, in dem die Unterlagen für Dispo und Buchhaltung lagerten und zwei PC-Plätze für Fahrer waren, die dort zum Beispiel ihre Spesenabrechnungen eingeben konnten. Auch auf der Seite gab es die Küche und die Toilette. Vor Kopf war dann noch ein Besprechungsraum und neben dem Treppenhaus ein kleines Lager für Büromaterial.
Ich sichtete erst einmal Unterlagen über Unterlagen. Das würde mich die kommenden Tage und Wochen noch beschäftigen. So musste ich mich jetzt auch wieder dran gewöhnen, dass Kevin nicht aus einer Hochhaussiedlung kam und Jeremy nicht nach 2000 geboren war. Kevin war Geschäftsführer beim Subunternehmer in Coventry und Jeremy der Alterspräsident hier bei den Fahrern.
Auch direkt für die ersten Tage hatte ich bei beiden Subunternehmern Termine vereinbart. Heute gleich bei Adrian Malone Haulage in Warrington und am Freitag bei Wyatt & Stack Transport in Coventry.
Also fuhr ich um die Mittagszeit nach Warrington und traf mich mit Adrian Malone Junior. Er war Anfang 40 und hatte das Unternehmen vor 3 Jahren verantwortlich von seinem Vater übernommen, der mit dem 70. Geburtstag ausgeschieden war. Der ließ den Junior sogar in Ruhe schalten und walten, investierte seine Zeit im Ruhestand lieber in die Blumenzucht. Insofern war der Einfluss des Firmengründers vor allem in den Rabatten vor dem Eingang ins Bürogebäude sichtbar.
Die Chemie zu Adrian Malone stimmte und wir wurden uns schnell einig, dass wir die Partnerschaft fortsetzen wollten. Weder sein Vater noch er hatten jemals Ambitionen gehabt, in das umkämpfte Fernverkehrsgeschäft zu gehen. Ein nicht an die großen Logistikkonzerne gebundener Spediteur im Nahverkehr war eine Nische, in der sie sich erfolgreich etabliert hatten und sie fuhren für einige Speditionen in der Region den Verteilerverkehr. Mit 5 LKW waren wir eine der kleinsten, der größte Kunde in Blackpool hatte aber auch „nur“ um die 20 LKW laufen.
Frachten innerhalb der Region nahmen sie auf eigene Rechnung an, überregionaler Verkehr wurde ausschließlich von uns beauftragt, den bewarben sie nicht aktiv und verwiesen Anfragen immer auf die Liste aller Partner, wo der Interessent sich dann selbst durch verhandeln konnte. Früher hatten sie aktiv Fernverkehr beworben und an ihre Kunden weiter vermittelt, aber das Konzept war um die Jahrtausendwende rum mit einigem bösen Blut zwischen allen Beteiligten gescheitert und aufgegeben worden, als der Markt umkämpfter wurde und sich der eine oder andere Geschäftspartner benachteiligt fühlte.
Abends gab es im Haus genug für Luke und mich zu tun. Der Feierabend würde in den kommenden Wochen noch nicht erholsam.
02.06.2016
Am nächsten Tag war nur Büro angesagt. Es klingelte, Philip öffnete die Tür offenbar von seinem Telefon aus, denn er ging nicht in den Flur zum Türöffner. Ich musste hier noch viel lernen, und wenn es nur war, wie man die Tür vom eigenen Schreibtisch aus auf machte.
Es war der Postbote, der ein paar Briefe brachte. Philip sortierte sie und stellte dann eine berechtigte Frage: „Wollen wir uns das Tagesgeschäft irgendwie aufteilen? In Betrieb und Finanzen oder so was?“ „Gute Idee, wenn es nicht zu strikt wird. Ich bin kein großer Freund von Buchhaltung. Da bin ich bedient, wenn ich sie geprüft habe. Wenn Du die machen könntest, wäre ich zufrieden. Ich habe natürlich alles, was den Geschäftsführer braucht, zwingend auf dem Tisch. Flotte, Personal, externe Termine oder mehr oder weniger überraschende Hausbesuche von Vertretern. Disposition mache ich gerne, wenn es zeitlich geht. Aber die sollten wir variabel halten, wie wir Zeit haben. Außerdem werden wir beide ab und zu als Springer mal eine Woche fahren müssen. Gerade jetzt, wo die Urlaubszeit nicht mehr weit ist. Und ich bin ausgebildeter Mechaniker. Bevor ich einen LKW für jede Kleinigkeit in die Werkstatt schicke, ziehe ich mir auch mal einen Blaumann an und mache einen Ölwechsel selbst.“ „Okay. Dann lasse ich Dir mal die Post da. Kriegst am zweiten Tag auch schon einen namentlich adressierten Umschlag.“
Da war ich mal gespannt und nahm mir den als erstes vor, nur um gleich mal große Augen zu machen. Absender war David Brooklands aus Ilkeston. Und drin war eine Bewerbung als Auszubildender Berufskraftfahrer. Ich dachte, der sollte ab Sommer noch ein weiteres Jahr im A-Level schmoren und dann studieren. Außerdem, woher wusste er denn, dass ich seit gestern hier saß? Die großen Veröffentlichungen des Wechsels in den Fachmedien war ich gerade erst am Organisieren. Zumindest die Spotterszene als seine große Informationsquelle wusste noch nichts, das Forum hatte ich selbst im Blick.
Nachdem ich alle weitere Post durchgearbeitet hatte, fragte ich erst mal Philip, der genauso verwundert war: „Wie geht das hier im Land mit der Ausbildung? Da war eine Bewerbung für eine Ausbildung zum Fahrer bei.“ „Du musst als Ausbilder für die Praxis Berufserfahrung haben. Die hast Du, die habe ich und die hat Rodney. Jeremy ist nur jetzt Vollzeit bei uns, der hat bis zu James Tod nur als Springer gearbeitet. Shawn, der im Sommer fertig ist, wurde vor allem von Rodney ausgebildet. Die Theorie wird in der Schule gemacht und regelmäßig kommt auch der Lehrer raus und schaut sich hier oder auf einer Tour die Praxis an.“ „Okay.“
„Aber das kann doch mit einer Bewerbung nur der Umschlag an Dich und die neue Firma gewesen sein.“ „War es auch.“ „Woher weiß der das denn?“ „Das würde mich auch mal interessieren. Ich habe den Jungen einmal persönlich getroffen, aber das war es dann auch.“
Als nächstes rief ich mal David an. An der Schule dürfte gerade Mittagspause sein. Und richtig, er ging ans Telefon: „Hallo, hier ist David.“ „Hallo David. Eric hier, von KFL Intertrans. Wie geht es Dir?“ „Gut. Und Dir?“ „Auch gut. Du hast Dich für eine Ausbildung beworben. Könnten wir uns da mal unterhalten?“ „Ja. Ich muss nur mal sehen, wann ich nach Deeside kommen kann.“ „Ich kann auch zu Dir kommen. Wie lange hast Du denn morgen Schule? Da bin ich in Coventry und könnte auf dem Rückweg über Ilkeston fahren.“ „Bis 14 Uhr. Am einfachsten treffen wir uns bei meinen Eltern in der Firma.“ „Passt. Dann bis morgen. Adresse habe ich noch auf der Visitenkarte von Deinem Vater.“ „Okay. Bis morgen.“
Abends sprach ich mit Luke, was er von der Sache hielt. „Kennen lernen würde ich ihn auf jeden Fall mal gerne. Aber ausbilden, hier im Betrieb mit Dir als Chef? Immerhin ist er nach allem, was Du mir erzählt hast, der Mann der zu viel wusste.“ „Zu viel weiß er auch noch, wenn er wirklich nicht weiter zur Schule gehen muss und eine Ausbildung bei der Konkurrenz anfängt.“ „Stimmt auch wieder. Aber Du bist Chef. Ich bin nur gewöhnlicher Angestellter.“ „Ich denke, Du bist ein außergewöhnlicher Angestellter.“
03.06.2016
Heute fuhr ich also als erstes nach Coventry, wo ich mich mit Richard Wyatt und Kevin Stack, den Geschäftsführern unseres zweiten Subunternehmers traf. Richard Wyatt war 50 und in zweiter Generation Geschäftsführer, während bei Familie Stack schon der Schritt auf die dritte Generation erfolgt war. Kevin Stack war 29 Jahre.
Das Unternehmen hatten Richards Onkel und Kevins Großvater gegründet. Weil ersterer kinderlos war, der Bruder, also Richards Vater, auch keine Ambitionen hatte, aber Richard als Disponent im Unternehmen war, hatte er das Erbe angetreten. Bei Familie Stack war es immer auf den Sohn übergegangen.
Sie fuhren in der Hauptsache Sperrgut für Royal Mail / GLS europaweit. Als zweites Standbein machten sie den Zubringerverkehr aus ihrer Region als Subunternehmer für eine Spedition in Bristol, eine in Milton Keynes und schließlich für uns in Deeside. Auch dieses Gespräch verlief gut und die Zusammenarbeit würde nach der Übernahme weitergehen.
Nun also auf nach Ilkeston zu David und zum wahrscheinlich ungewöhnlichsten Vorstellungsgespräch in meiner Karriere, die mit diesbezüglichen Kuriositäten ohnehin gut versorgt war.
Dort angekommen nahm mich David in Empfang, aber auch sein Vater begrüßte mich kurz, bevor er uns den Besprechungsraum überließ. „So, jetzt verrat mir doch mal, wie Du es schaffst, mir an die neue Firma am zweiten Tag nach der Umfirmierung und bevor es sich rum gesprochen haben kann, dass ausgerechnet ich da den Chef gebe, eine Bewerbung zu schicken.“ „Ich war wohl zu ungeduldig, habe zu schnell geschrieben und mich verraten. Die Informationen habe ich von meinem Cousin.“ „Deinem Cousin?“ „Elijah Goldblum.“ Na klar. Eingeenglischt Goldbloom hieß die Firma, der dieser Besprechungsraum gehörte, die Firma hatte aber Davids Großvater mütterlicherseits gegründet, daher war auch der Name der Firma nicht identisch zu seinem Familiennamen und dem seines Vaters. „Ah ja. Das erklärt einiges.“
„Unsere Großväter waren Geschwister. Allerdings mit einigen Jahren Altersunterschied. Elijahs Großvater war der älteste und schon 11 Jahre, als sie in den 30er Jahren in die Niederlande geflüchtet sind und 4 Jahre später weiter nach England. Mein Großvater wurde auf der Flucht in Utrecht geboren. Nach dem Krieg wurde Elijahs Großvater nicht in England glücklich und ging mit einer Gruppe junger Männer wieder zurück nach Deutschland. Meiner blieb hier und gründete eine Familie. Meine Mutter hat sich in einen Engländer verliebt und ist dann als junge Frau zum Christentum konvertiert, um ihn auch kirchlich heiraten zu können. Das war damals eine kleine Familienkrise, aber inzwischen vergeben und die Firma hat auch sie geerbt und nicht mein Onkel. Das ist wohl auch meinen Eltern wieder klar geworden, nachdem ich eine Familienkrise eingeläutet habe. Mein Zwischenzeugnis war dann der letzte Funke zur Zündung.“ Das Zeugnis hatte ich in den Bewerbungsunterlagen gesehen. In Oxford und Cambridge würde man das im Immatrikulationsbüro nicht mal als Schmierpapier nehmen.
„Damit wäre dann die undichte Stelle gefunden und die Frage, warum Du jetzt doch darfst, auch geklärt. Wenn es losgeht, bist Du noch 17. Geht das im Vereinigten Königreich mit alleine wohnen und so?“ „Ist ja nur für einen Monat, dann werde ich 18. Aber es ist sowieso erlaubt, für die Ausbildung alleine zu wohnen. Meine Eltern müssen nur den Mietvertrag für mich machen, das darf ich erst mit 18.“
„Jetzt bist Du nur einmal bei mir einen Tag mitgefahren. Oder warst Du auch mit Elijah mal unterwegs, bevor er bei uns angefangen hat?“ „Nein. Hätten meine Eltern auch nicht gewollt. Da hätte ich, wenn es nach denen gegangen wäre, lieber bei seiner Frau ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Das Gespräch mit Dir in Neath hat ihnen erst die Augen geöffnet.“
„Gute Stichwort. Würdest Du noch ein Praktikum machen können? Du solltest auf jeden Fall mit Deinem Ausbilder klar kommen und anders rum. Also solltet Ihr Euch kennen lernen.“ Dass ich das nicht persönlich machte, nahm er etwas erstaunt zur Kenntnis. Rodney wusste noch nichts von seinem Glück, ich kannte ihn ja sowieso noch nicht. Aber ich wollte David nicht ablehnen und es gab ja noch mehr Fahrer mit Berufserfahrung. „Ja. Ich habe ein Recht darauf, Praktika zu machen. Und weil mein Vater die Schule in den nächsten Tagen sowieso für nach den Ferien kündigen wird, machen die bestimmt keine Probleme. Also bildest nicht Du aus?“ „Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Ich hüte das Büro und werde bestimmt im nächsten halben Jahr allenfalls als Springer fahren. Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht, wer ausbildet, denn ich habe die Leute noch gar nicht persönlich kennen gelernt. Waren ja alle über die Woche auf Tour. Am Montag will ich mal mit allen sprechen.“
Wir sprachen noch einige Dinge durch. Dann holten wir seinen Vater dazu, der auch noch mal erklärte, dass er inzwischen einiges anders sah und sich für sein Verhalten letzten Sommer entschuldigte. Jetzt mussten wir schnell klären, wann und wie wir das Praktikum organisieren wollten. Dann waren wir auch schon durch, wir hatten uns ja im Sommer viel erzählt.
David kam noch mit an die Tür. „Darf ich noch eine unverschämte, neugierige und private Frage stellen?“ „Klar. Ich muss ja nicht antworten.“ „Ich kenne die Fotos von dem deutschen Volvo FH16 mit den Schildern und Zweimannbesatzung. Der Lucas?“ „Ja. Der Lucas. Dank Dir und Deinem Ratschlag.“ Er lächelte. Es war ein so merkwürdiges Zusammentreffen gewesen und nach einem Jahr schloss sich der Kreis, mit dem bestmöglichen Ergebnis für uns beide.
Als ich wieder in Deeside die Treppe ins Büro rauf kam, das über der Halle lag, schien es gerade nebenan laut zu werden. Ich hatte keine Ahnung, mit wem sich Philip dort in den Haaren lag, aber ich war wohl Thema. Also setzte ich mich leise an meinen Schreibtisch und hörte mir das an, während die Kiste natürlich hochfuhr und die Lautsprecher aus blieben. Sonst verriet mich Windows noch mit seinem Startgeräusch.
„Wieso hast Du zugelassen, dass Rebecca an die Deutschen verkauft?“ „Weil es die beste Lösung für uns alle war. Du hättest es ja beizeiten verhindern können.“ „Das mit besser glaubst Du doch selber nicht!“ „Mittlerweile ganz sicher. Rebecca hat Dich gefragt, ob Du den Geschäftsführer machen willst. Da wolltest Du nicht!“ „Ja. Das heißt… Ach, vergiss es!“ „Vergessen nicht. Aber meinen Teil denken.“ Da hatte jemand offensichtlich hoch gepokert.
„Was willst Du damit sagen?“ „Dass Du taktiert hast und dabei auf die Nase geflogen bist.“ „Sie hätte niemals an einen großen verkauft! Und bevor es ein kleiner wird, hätte ich dann doch zugesagt. Nicht fürs Geld. Ich konnte mir die Verantwortung anfangs nicht vorstellen, aber dann wäre die Firma wenigstens in den richtigen Händen geblieben. Aber dass Du sie da in 2 Tagen durchpeitschen würdest, war unerwartet.“ „Sie hat das Tempo gemacht, nachdem Du nicht wolltest! Auch um sich Malcolm vom Pelz zu halten, die hier schon fast Stalking betrieben haben. Der Held und Retter muss schon rechtzeitig auftauchen.“
„So ein Unsinn! Dass der Name nicht bleibt, bricht ihr das Herz! Was denkst Du denn, warum sie von Connah’s Quay nach Flint zieht? Damit sie die LKW mit der neuen Firma und bald der neuen Farbe nicht dauernd im Alltag sehen muss.“
„Ich weiß, dass Du immer ein Freund der Familie warst, seit dem Kindergarten mit James befreundet warst. Aber machen wir uns beide nichts vor, zumal sie mich das Limit für Dein Geschäftsführergehalt hat durchrechnen lassen! Jetzt lass Deine Wut über Dich selbst und Dein Taktieren nicht an Eric aus. Du kennst ihn ja nicht mal.“ „Ich kenne genug Deutsche! Da hilft es auch nichts, dass er auf Deine Zugmaschine einen walisischen Drachen hat lackieren lassen. Das ist doch pure Anbiederei!“ „Dann kennst Du ihn erst recht nicht. Und den Drachen hat sein Lebensgefährte auflackiert. Der ist aus Cardiganshire und darf das. Eric ist britischer als manche hier und da wir ja über die Grenze sind – er ist walisischer als Rebecca, James und Du zusammen! Von Euch drei so genannten Walisern konnte es ja nicht mal einer fließend sprechen! Er schon!“
„Schwul ist er auch noch? Was ein Sittenverfall!“ „Du gehst jetzt besser, sonst garantiere ich für nichts.“ „Das wird Montag eine lustige Betriebsversammlung.“ „Was willst Du damit sagen?“ „Dass ich meine Meinung kund tun werde.“
Nun, die wollte ich vorher hören, als er auf den Flur trat. „Kommst Du bitte in mein Büro?“ „Äh ja.“ „Wir kennen uns noch nicht persönlich. Eric Kaiser, der neue Inhaber.“ „Rodney Porter. Ich bin hier langjähriger Fahrer.“ „Ich begrüße es, wenn meine Mitarbeiter eine eigene Meinung haben und sie vertreten.“ Seine Gesichtsfarbe wurde merklich heller. Dieser Satz war auch betont britisch formuliert. Nicht nur dass er spätestens dadurch mitkriegen musste, dass ich das Gespräch wenigstens teilweise gehört hatte. Es zeigte ihm auch gleich noch, dass ich trotz deutschem Pass genauso britisch war, wie Philip es eben gesagt hatte.
„Wie lange bist Du denn schon hier?“ „Nur einen kurzen Moment.“ Das beruhigte ihn nicht wirklich. Wäre mein Verhalten deutsch und direkt, würde es das tun, denn dann hätte ich mich gerade an den PC gesetzt. Aber ein Brite gefangen im Körper eines Deutschen meinte das britisch. Und das konnte auch bedeuten, dass ich schon 20 Minuten hier saß. Oder eben die 5, die es wirklich gewesen waren, aber die auch aufschlussreich genug gewesen waren.
„Also, was möchtest Du mir gerne mitteilen?“ „Nichts.“ Darauf, so schnell seine Meinung zu vertreten, war er wohl wirklich nicht vorbereitet. „Du möchtest also den schwulen, deutschen, sich den Angestellten mit walisischen Insignien anbiedernden, falschen Händen nicht sagen, dass sie eine schlechte Lösung für die Firma sind, sich erdreisten, Name und Farben der bereits im Deutschland-Großbritannienverkehr existierenden Firma aus Bochum auch hier zu verwenden und die Sitten verfallen lassen?“ Ich blieb bei dieser sarkastischen Aufzählung betont ruhig. Das war nicht nur sehr britisch, es brachte sogar gebürtige Briten aus der Fassung und ließ ihn lauter sprechen. „Das ist doch alles aus dem Zusammenhang gerissen.“ „Dann erkläre mir doch bitte den Zusammenhang.“ „Äh, na ja, also…“
„Ich habe in Sachen Personal schon manches erlebt in den letzten Jahren. Aber so einen wundervollen Start noch nie. Da eine Grundlage für die Zusammenarbeit zu finden wird eine Herausforderung.“ Wenn er das verklausulierte, britische Englisch nur einigermaßen interpretiert bekam, dann sollte ihm klar sein, dass da drin die Aufforderung steckte, das Unternehmen zu verlassen. Denn er hatte als Angestellter eine Woche Kündigungsfrist. Ich hatte ihn, da er quasi in diesem Laden aufgewachsen war, wenn ich ihm kündigte, bei der Betriebszugehörigkeit noch ganze 12 Wochen am Hals.
„Ich verstehe nicht.“ „Warum? Ich spreche Deine Muttersprache, oder nicht?“ „Ja. Also soll ich mich zusammenreißen?“ Das war die deutsche Interpretation des Satzes, nicht die britische. „Spreche ich Deine Muttersprache? Oder spreche ich meine Fremdsprache?“ Ich karikierte mit dem britischen Akzent die Frage fast schon. „Okay. Ich soll kündigen?“ Wenn ich das bejahte, dann hatte ich ihm im Endeffekt gekündigt und die 12 Wochen griffen. Gut, dass ich seine Seite des hiesigen Arbeitsrechts 4 Jahre lang verinnerlicht hatte. „Ich habe Dir nur dazu geraten, Dir die Frage zu stellen, wie wir eine Grundlage zur Zusammenarbeit finden können.“
„Verdammt, ja. Ich habe verstanden! Ich kündige. In einer Woche bin ich weg!“ Na ging doch. „Hast Du noch für die Woche Urlaubsanspruch?“ „Ja, mehr als das.“ „Dann wirst Du die Woche nehmen, den Rest zahlen wir aus. Ich weiß, dass die mündliche Kündigung in diesem Land reicht, nehme aber gerne eine schriftliche entgegen. Philip wird Dich runter begleiten, während Du Deinen LKW ausräumst.“ Auch wenn der bestimmt lange Ohren gemacht hatte, teilte ich ihm offiziell Rodneys Kündigung mit und bat ihn, zum Ausräumen mit runter zu gehen und den LKW kommende Woche auch als Springer zu fahren.
Nun musste ich also noch eine Stellenanzeige schalten. Luke war von dem Verlauf des Gesprächs schockiert. Aber er hielt es, gerade wenn Rodney mit Familie Duncan so eng verbunden war und auf die Geschäftsführung spekuliert hatte, auch für das Beste, wenn er weg war.
04.06.2016
Um den teuren Mietwagen los zu werden, gingen wir erst einmal Autos kaufen. Ich hatte eine Menge Geld von meinem BMW-Verkauf und Luke hatte auch auf ein Auto gespart. Dazu kam, dass er einfach nur dadurch, seine Ersparnisse letzten Sommer nach Deutschland und jetzt zurück ins Vereinigte Königreich zu transferieren, 10% Rendite durch Kursgewinn gemacht hatte. Die Vorteile eines Firmenwagens waren hier nicht so groß wie in Deutschland, also entschieden wir uns, privat zu kaufen. Und, was auch keiner glaubte, in Großbritannien waren Autos vergleichsweise billig.
Also schlugen wir im gehobenen Segment zu. Luke entschied sich dieses Mal sportlich, nämlich für ein Jaguar F-Type S Cabrio als 2 Jahre altes Vorführmodell mit knapp 10.000 Meilen auf dem Buckel und 3-Liter V6 und Kompressoraufladung. Ich war der Meinung, dass wir noch was Praktisches brauchten, weshalb ich dann zu einem Range Rover Sport SDV8 Jahreswagen mit 15.000 Meilen griff. Damit war auch das nützliche Gefährt nicht unbedingt untermotorisiert.
06.06.2016 – 10.06.2016
Nun ging es also erst einmal in die Betriebsversammlung. Jemand fragte in der allgemeinen Unterhaltung, bevor ich anfing: „Womit hat sich denn Rodney selbst abgeschossen?“ „Mit Recht!“ Diese zwei Worte von Philip zeigten, dass es zu dem Thema nichts weiter zu besprechen gab.
Ich stellte mich vor, um gleich Gerüchten zuvor zu kommen, stellte ich Luke auch gleich als Lebensgefährten vor. Dann erzählte ich, wie ich mir die Zukunft der Firma vorstellte, was in Deutschland sowohl über die KFL GmbH als auch in Zusammenarbeit mit Stevens Scandinavia Express lief. Dass hier nicht alles sofort umgeworfen werden sollte, sondern die Umstellung der Flotte auf KFL nach und nach kommen würde, während in den kommenden Monaten zumindest die beiden total überalterten 105er DAF ersetzt werden sollten.
Anschließend hielt ich noch Einzelgespräche mit den Leuten, bevor einer nach dem anderen auf seine Tour ging.
Der Arbeitsmarkt in Großbritannien war verglichen zu Deutschland unglaublich dynamisch. Die Stellenanzeige war Freitagabend online in regionalen und landesweiten Portalen erschienen. Am Dienstag hatte ich 8 Antworten und suchte mir 3 Kandidaten für ein Gespräch raus. Sie überboten sich quasi darin, möglichst schnell vorstellig werden zu wollen.
Curtis Foster war Engländer aus Ellesmere Port, 33 Jahre alt und über einen Schnellkurs im Rahmen einer Umschulung vor 8 Jahren zum LKW-Fahrer geworden. Er hatte es leid, für den Subunternehmer eines Logistikkonzerns zu fahren. Wenig Geld und zu lange Arbeitszeiten. Das war ihm, wo seine Frau jetzt endlich das lang ersehnte Kind erwartete, zu unsicher.
Gareth James war 24 und Waliser aus dem Ort, an dem Timo seinerzeit verzweifelt war: Bwlchgwyn. Alexander Taylor war ein Jahr jünger, Papier-Waliser englischer Eltern aus Garden City, einer um 1900 entstandenen Plansiedlung für die Arbeiter des Stahlwerks hier in Deeside. Beide hatten vor 3 Jahren die Ausbildung zum Berufskraftfahrer abgeschlossen, danach ihre ersten Brötchen im Nahverkehr verdient und jetzt wollten sie mehr.
Curtis war mir nicht ganz geheuer. Er war so begeistert von seinem anstehenden Nachwuchs, dass ich Sorgen hatte, er könnte im Fernverkehr irgendwann zu lange von seiner Familie weg sein. Also entschied ich mich mal wieder gegen die Erfahrung und für die frische Ausbildung und jugendlichen Abenteuertrieb. Von der Qualifikation waren Gareth und Alexander gleichwertig gewesen. So entschieden am Ende ein oder zwei Sympathiepunkte mehr für Alex.
Eine Lehre aus dem Betrieb dieser Woche war dann allerdings, dass wir es noch nicht geschafft hatten, genug Ladung zusammen zu bekommen, um Trailer Exchange an der Fähre zu fahren. Denn das verlangte jeden Tag in jede Richtung einen annähernd vollen Trailer. Aus Deutschland waren Tomas und Lars mit einer Trailerladung nach Großbritannien gefahren, hatten Kunden direkt bedient und etwas hier umgeladen. Dazu Maxim mit dem Kühler und ohne hier vorbei zu kommen.
Von uns waren zwei Fahrer auf den Kontinent. Einer hatte in Frankreich und der Schweiz Kunden bedient, der andere war Benelux und Deutschland gefahren und hatte bei Steven in Neuss ebenfalls einige Paletten umgeladen. Alle hatten aber dabei auch Kabotagefrachten gefahren, die normalerweise nicht den Kanal überquert hätten.
Nach zweieinhalb stressigen Wochen Umzug und anderthalb stressigen Wochen Start in der Firma stand nun ein eher ruhiges Wochenende mit Luke an. Alle Zimmer waren renoviert, alle Möbel an Ort und Stelle, unsere bestellten Gardinen genäht und konnten Samstag abgeholt werden. Gartenwetter sollte keins werden.
Vorher allerdings ging ich im Kopf noch mal Fahrzeuge und Fahrer durch, wie sie ab kommender Woche im Einsatz sein sollten:

Fahrzeug: DAF XF 105.460 Space Cab
Kennzeichen: DE08 XNH
Zulassung: 31.07.2008
Laufleistung: 614.220 mls / 988.280 km
Lenkrad: Rechts
Fahrer: Shawn Hannay (20)
Einsatzprofil: Kurztouren 1-2 Tage
Fahrzeughistorie und Fahrerprofil: Der älteste Truck in der Flotte war der erste, den Duncan nach der Konsolidierung von Geoffrey Duncans überzogenen Wachstumsplänen wieder kaufen konnte anstatt zu leasen. Mit 8 Jahren und umgerechnet einer Million Kilometern hat er seine besten Tage schon länger durch.
Shawn fühlt sich aufgrund seiner Vorfahren als Schotte, ist aber gebürtig Waliser und in Llandudno aufgewachsen, bevor seine Familie nach Wrexham zog, als er 15 Jahre alt war. Er hat mit 17 die Ausbildung zum BKF bei Duncan begonnen und steht kurz vorm Abschluss. Derzeit fährt er Ein- und Zweitagestouren in Wales und England, gelegentlich ins südliche Schottland.

Fahrzeug: DAF XF 105.510 Space Cab
Kennzeichen: DH58 TQV
Zulassung: 23.10.2008
Laufleistung: 600.300 mls / 965.883 km
Lenkrad: Rechts
Fahrer: Lucas Leighton (33)
Einsatzprofil: Kurztouren 1-2 Tage
Fahrzeughistorie: Auch nicht wirklich anders ist der Lebenslauf von Lukes neuem Arbeitsgerät. Er folgte nach ein paar Monaten als zweiter eigener Truck in der gesund geschrumpften Flotte von Geoffrey Duncan. Weil Alter und Laufleistung kaum besser sind als beim vorherigen Truck, wird auch er bald ersetzt werden. Bis dahin fährt Luke damit auch eher kurze Strecken, damit er möglichst oft abends wieder zu Hause sein kann.

Fahrzeug: DAF XF 105.460 Super Space Cab
Kennzeichen: DJ13 SKG
Zulassung: 25.07.2013
Laufleistung: 231.420 mls / 372.354 km
Lenkrad: Rechts
Fahrer: Alexander Taylor (23) ab 04.07.2016, bis dahin Eric und Philip als Springer
Einsatzprofil: Nationaler und Internationaler Fernverkehr
Fahrzeughistorie: Nachdem 2010 noch ein Fahrzeug gekauft worden war, folgte 2013 der nächste neue LKW. Er hat den ersten Wirtschaftlichkeitspunkt erreicht und muss entweder auch demnächst weg oder noch eine ganze Weile bleiben, bis er mindestens 400.000 Meilen erreicht hat. Bisher war es Mervyns Truck

Fahrzeug: DAF XF 106.460 Space Cab „London Sights“
Kennzeichen: DG63 XPU
Zulassung: 24.02.2014
Laufleistung: 182.700 mls / 293.964 km
Lenkrad: Rechts
Fahrer: Jeremy Foster (57)
Einsatzprofil: Nationaler und Internationaler Fernverkehr
Fahrzeughistorie und Fahrerprofil: Dieser Truck war der erste DAF XF106 bei Duncan. Ursprünglich war es Philips Fahrzeug und weil der ursprünglich aus London stammt und James Duncan einen Versuchsballon für den Lackierer seines eigenen, kommenden Fahrzeugs suchte, ließ er ihn in einer Sonderlackierung mit den Sehenswürdigkeiten Londons gestalten. In Wahrheit hat damals einfach nur das fehlerhafte Template für den XF106 das Scharmützel mit mir gewonnen…
Jeremy ist Engländer aus Chester und war bis zum Frühjahr Springer, der Aushilfe für verschiedene Firmen in der Gegend gefahren ist. Nach James Duncans Tod hat er zugesagt, bis auf weiteres dauerhaft für Duncan zu fahren und den LKW übernommen, mit dem ursprünglich Philip unterwegs war. Das will er auch für KFL noch machen, so lange es erforderlich ist. Sein Plan ist allerdings mittelfristig, wieder zu Hause zu bleiben und nur noch zu fahren, wenn Not am Mann ist. Seine Frau hat einen Blumenladen und er fährt vor allem, um tagsüber was zu tun zu haben. Daher würde er auch gerne wieder mehr Tages- und Zweitagestouren fahren.

Fahrzeug: DAF XF 106.510 Super Space Cab „Flying Union Jack“
Kennzeichen: DA65 JMN
Zulassung: 02.10.2015
Laufleistung: 52.200 mls / 83.990 km
Lenkrad: Rechts
Fahrer: Mervyn Thomas (38)
Einsatzprofil und Fahrerprofil: Nationaler und Internationaler Fernverkehr
Fahrzeughistorie: Ende 2015 leistete James Duncan sich dann das aktuelle Spitzenmodell von DAF. Als erstes ließ er eine aufwändige Lackierung eines wehenden Union Jack aufbringen. Es folgten Anbauteile und er wollte den Wagen weiter veredeln und auch den Innenraum komplett umbauen. Nach James Duncans Tod übernahm erst einmal sein Sandkastenkumpel Rodney Porter den LKW bis zu seinem unrühmlichen Auftritt.
Mervyn Thomas ist, neben Luke, der walisischste Mitarbeiter der Firma. Aufgewachsen ist er in Pwllheli, nach der Schule ging er zum Militär und war bei der 22th SAR Squadron auf der Insel Anglesey als Kraftfahrer und Flugfeld-Versorger stationiert, wo er noch einen Monat gemeinsamen Dienst mit dem Duke of Cambridge tat und ihm zwei Mal den Helikopter betankt hat, bevor er die Streitkräfte verließ, um in die Privatwirtschaft zu gehen.
Also fing er Ende 2008 bei Duncan an. Da Mervyn nach Philips Rückzug ins Büro und Rodneys Abgang der Fahrer mit der längsten Betriebszugehörigkeit ist und außerdem im Gegensatz zu Jeremy langfristig in der Firma und im Fernverkehr bleiben will, darf er ab sofort den Star der Flotte fahren.
Im Büro sitzt neben Ricky noch Philip Knight. Er ist 56 Jahre alt und hat quasi sein Erwachsenenleben bei Duncan verbracht. Nachdem er für den elterlichen Baustoffhandel auch den LKW-Führerschein gemacht hatte und dort 8 Jahre mal hier mal dort im Unternehmen mitgearbeitet hatte, zog ihn die Liebe nach Cheshire. Also fing er mit 26 Jahren auf einem Verteiler-LKW an. Im Laufe der Zeit stieg er in der Fahrerhierarchie auf bis zum Foreman Driver, einer Art Abteilungsleiter für die Fahrer im Fernverkehr.
Dieses Jahr hatte er sein 30-jähriges Betriebsjubiläum. Da er aus einer Kleinunternehmerfamilie kam, war er nach James Duncans Tod der einzige, der überhaupt mal irgendwann in seinem Leben etwas mit Büroarbeit in einem Kleinbetrieb zu tun hatte. Deshalb zog er sich aus dem Fahrdienst zurück und arbeitete sich ins Büro ein. Inzwischen hat erstens er die Erkenntnis gewonnen, dass man das Unternehmen alleine im Büro nicht effektiv führen kann. Und zweitens hat seine Frau die Erkenntnis gewonnen, dass es schöner ist, wenn der Ehemann abends nach Hause kommt. Daher wird er auch weiter im Büro bleiben.
Wenn sich die Dinge eingespielt haben, werden Philip und Ricky die Springer machen und Jeremy nur noch einspringen müssen, wenn zwei Fahrer gleichzeitig fehlen.
