Samstag, 11.06.2016
Fußball-EM! Wir sahen das erste Spiel der Waliser gegen die Slowakei, ein glattes 2:1. Okay, das war jetzt kein so schwerer Gegner. Das Spiel der Deutschen gegen die Ukraine am Sonntag hätte ich fast verschlafen, und das auch noch zweimal. Erst, dass es überhaupt anfing, und dann war es, 2:0 hin oder her, auch nicht eben schön anzuschauen und man schlief auch beim Zuschauen noch ein.
Arbeitswoche 13. – 17.06.2016
Die Woche über kam schon eine Art Routine auf. Luke hatte eine Zweitagestour und drei Tagestouren zu fahren. Trotzdem fuhren wir meistens mit zwei Autos rüber. Philip fuhr noch mal den Springer auf dem freien LKW.
Als Luke die Nacht draußen war, stibitzte ich bei gutem Wetter allerdings für eine kleine Spaßrunde am Abend den Jaguar. „Mein Auto“ und „Dein Auto“ kannten wir sowieso nicht. Es wurde gefahren, was entweder Sinn machte oder Spaß. Wenn man was transportieren musste, war natürlich der Range Rover gesetzt. Sonst war bei uns beiden der Jaguar klar Nummer 1.
Ach ja, Fußball wurde auch gespielt. Aber Wales gegen England um 14 Uhr an einem Werktag, also blieb mir nur der Livestream im Büro, um Wales beim Verlieren in letzter Sekunde zuzuschauen, als der Reporter mal etwas lauter wurde.
Deutschland-Polen war so grausam, dass wir abends lieber den Fernseher abschalteten. Das Spiel könnte man vielleicht noch so gerade mit viel Alkohol ertragen, aber das war bekanntlich auch keine Lösung.
Am Freitag meldete sich David. Er könnte ab übernächster Woche für zwei Wochen ein Praktikum machen. Von mir aus gerne. Die erste Woche fuhr ich noch den LKW, den Alexander kriegen sollte. Die zweite hatte Shawn Schule, also konnten wir unseren Oldie fahren.
Offen war noch die Frage, wo er in der Zeit übernachten sollte, wenn wir nicht unterwegs waren. Bei uns gab es keinen Platz, da wir kein Gästebett hatten und auch kein Sofa, auf dem man schlafen konnte. Hier bot sich aber nach kurzer Rundfrage unser aktueller Azubi Shawn an, der ein ausziehbares Sofa hatte, auf dem Besuch übernachten konnte. Das traf sich gut, denn dann konnte David ihn gleich zur Ausbildung ausfragen.
Samstag, 18.06.2016
Heute ging es mal einkaufen. Bisher hatten wir immer nach Bedarf gekauft, aber jetzt konnten wir mal Vorräte aufbauen. Als ich das vierte Glas Chutney in den Wagen räumte, fragte Luke: „Was hast Du denn damit vor?“ „Essen?“ „Bis wann? Wir sind hier in Großbritannien. Hier gibt es das jeden Tag. In jedem Supermarkt. Nicht nur im English Shop nach einer Stunde Autofahrt bis Köln.“ Ja, da musste ich mich wohl erst mal wieder dran gewöhnen
Dann fuhr ich vorladen in die Firma. Ich sollte mir, nachdem es jetzt doch viel mehr Umschlag gab als bei Duncan, mal Gedanken über Lagerarbeiter machen. Einer konnte die ganze Woche hier arbeiten, den hielten die Mittelstreckenfahrer im Inland und unsere Subunternehmer im Nahverkehr schon beschäftigt. Am „Großkampftag“ Freitag und zum Vorladen aller fünf Züge am Samstag könnte noch jemand zweites ran, vielleicht auch ein Schüler oder Student, der sich was dazu verdienen konnte. Die LKW kamen freitags meistens eh erst am Nachmittag rein.
Sonntag, 19.06.2016
Philips Springerwochen waren rum, jetzt fuhr ich noch zwei Wochen unseren überzähligen Truck. Dann fing Alexander an und wir hatten wieder auf jedem LKW einen festen Fahrer.
Unsere Trailer hatten alle eine Hubbühne am Heck, die mir für den Verkehr auf den Kontinent sehr auf die Nerven ging. Das Teil wog einiges, was von der Nutzlast abging. Dann kam noch die Liftachse dazu, ohne die die Fahrzeugsteuer für Zugmaschinen hier unbezahlbar war. Im Inland interessierte das keinen, weil das maximale Gewicht bei 44 Tonnen lag. Unsere neuen Trailer würden auf jeden Fall erst mal ohne Hubbühne sein. Es blieben ja auch noch genug von Duncan übernommene. Es gab Ladestellen, wo die nützlich waren, weil es keinen Gabelstapler zur Seitenentladung gab und im ländlichen Raum abenteuerliche Abladeversuche mit Baggerschaufeln und so unternommen wurden oder man in der Stadt 2 Stunden warten durfte, bis man an die Rampe kam, um dann in unter 10 Minuten drei Paletten abzustellen.
Meine Tour hatte erst einmal zwei Abladestellen, eine Ladestelle und dann das „Logistikzentrum Neuss“, wie wir Stevens Niederlassung dort inzwischen gerne nannten. Danach ging es mit einer weiteren Ladestelle geplant zurück auf die Insel, einmal ab- und gleich wieder aufladen, den Rest vollladen und zurück nach Hause.
Ich clipste das Wiederholerkennzeichen an den Trailer und machte mich bei Sonnenschein auf den Weg. Ich würde jetzt viel lieber mit Luke mit dem Auto in Richtung „The LAKES“ fahren, als nach Hull zum Hafen.

Montag, 20.06.2016
Nach einer ruhigen Überfahrt und Full Traditional Breakfast fuhr ich im Europoort von der Fähre. Auch wenn gestern drüben die Sonne geschienen hatte, war das britische Klischeewetter wohl mit an Bord gewesen und regnete jetzt in Holland vor sich hin. In Rotterdam lud ich aber zum Glück über das Heck ab, leider lud wirklich ich ab.
Danach verzogen sich die Wolken aber und direkt nach der Grenze machte ich erst mal einen Grönemeyer-Halt für die 45er. „Ich krieg Appetit auf Currywurst!“ Danach ging es noch bis Ostetal und weil ich keine Lust hatte, morgen zum schönsten Berufsverkehr durch Hamburg zu fahren, machte ich den 10er voll bis Kiel. Hier konnte ich noch abladen und machte dann Pause im Gewerbegebiet.
Dann suchte ich mir die Straße runter eine Kneipe, um das Spiel zu gucken. Die Kollegen aus dem Osten waren mir allerdings nicht so ganz geheuer, als ich im Aaron-Ramsey-Trikot die drei Tore bejubelte, mit denen Russland als Gruppenletzter den Heimflug antreten durfte. Ich schaffte es aber zurück zu meinem Truck, ohne verprügelt zu werden. Bei den Russen zählte unter Fahrern wohl noch, ein Kollege zu sein. Da durfte man auch die gegnerische Nationalmannschaft bejubeln. Dass es dort drüben noch die hier verlorene Truckergemeinschaft gab, hatte ich schon mehrfach gehört.
Dienstag, 21.06.2016
Da logischerweise auch noch alle Spiegel am Truck waren und Luft in den Reifen, fuhr ich weiter um Fracht in Richtung Insel und Rhein-Ruhr aufzuladen. Danach stand der Elbtunnel auf dem Programm. Mir fielen nur die Worte eines alten Freundes aus der Hansestadt ein: „In Hamburg ist das halbe Jahr Schietwetter. Die andere Hälfte regnet es nur!

Die Fahrzeit reichte bis Haltern am See, wo ich dann auf dem Rasthof Hohe Mark eine Dreiviertelstunde verbummeln musste. Danach fuhr ich nach Neuss zu Scandinavia Express. Steven hatte Lagerarbeiter und so musste ich einfach nur warten, bis mein Trailer neu beladen war.
Steven war auch als Geschäftsführer seiner Marke treu geblieben. Sein Ford Mondeo Vignale mit Ausstattungspaket „Alles was geht“ stand schon auf den PKW-Plätzen, denn er war von Paderborn angereist. Marlon kam auch mit Dienstwagen, allerdings dem Renault Premium. Er pausierte einfach anderthalb Stunden, während wir uns zusammensetzten. Julian war verhindert und fuhr gerade mit dem Volvo in Richtung Spanien. Den hatte er sich direkt gekrallt, nachdem Luke und ich nach Großbritannien gegangen waren. Auf seinem Scania saß ein neuer Fahrer namens Lennart.
Steven, Marlon und ich zogen ein erstes Fazit nach 3 Wochen Niederlassung auf der Insel. Es war zu früh, um schon Schlüsse zu ziehen. Größtes Ärgernis war, dass wir keine 5 Trailer in der Woche ausreichend voll bekamen und deshalb nicht täglichen Trailer Exchange fahren konnten, sondern jede Woche je nach Bedarf zwischen 2 und 4 Planenzüge komplett mit der Fähre übersetzen durften.
Nach unserer Besprechung ging es mit dem zweiten Zehner weiter nach Antwerpen, wo ich noch etwas zuladen musste. Nach dem Beladen bei Hellmann fragte ich noch, ob ich auf dem Gelände übernachten könnte. Es war zwar eng, aber ich könnte mich ganz an den Zaun neben der Ausfahrt stellen, so dass ich nicht dem Durchgangsverkehr im Weg stand.
Im Internet stellte ich fest, dass ich mal wieder der gefilmte war. Die Abschlussklassen waren schon durch und die Schüler hatten die letzten Tage vor den Ferien frei.

<Matches>
Heute mal wieder in Neuss gewesen. Allerdings nur die üblichen Verdächtigen da gewesen. Dachser-Subs bei Hausnummer 50, Scandinavia Express und KFL bei Nummer 51. Allerdings habe ich mit DJ13 SKG endlich alle drei KFL-Maschinen, die über den Ärmelkanal kommen, erwischt. Die beiden anderen XF105 fahren meines Wissens nicht mehr international.
<Actrosjunge>
Wenn Du es nicht weißt, wer denn dann?
<Matches>
Noch ist ja nicht der erste August und ich bin auch Außenstehender. Und dann bin ich ja in Bochum. Mein Ausbilder fährt für die Chemiesparte. Was ich bekomme, wenn es so weit ist, muss ich sehen. Aber die grünen sind ja auch dann eine eigene Firma auf der Insel und kommen nicht nach Bochum, weil die ganze Stückgutlogistik über Scandinavia Express in Neuss geht. Und außerdem muss man als Mitarbeiter den Mund halten. Wahrscheinlich verbreite ich derzeit mehr Informationen über KFL als ich es noch kann, wenn die Ausbildung erst mal angefangen hat und ich tiefere Einblicke bekomme.
<Actrosjunge>
Schade. Aber ich weiß, denn es hat bei mir doch noch geklappt. Fange am 01.09. bei Sostmeier in Krefeld an. Bei Dir wird zu dem Thema das gleiche im Ausbildungsvertrag gestanden haben wie bei mir.
Mittwoch, 22.06.2016
Kurz bevor es die Sonne über den Horizont schaffte, wachte ich auf, durfte die Mitarbeiterdusche benutzen und machte mich mit einem Apfel und einer Hand voll Studentenfutter als erstes Frühstück auf den Weg.

Von hier konnte man in einem Rutsch nach Calais durchfahren und sollte man auch. Die letzten Kilometer waren zwar eingezäunt, um Flüchtlinge fernzuhalten, aber in Frankreich hatte mancher Käse weniger Löcher als dieser Zaun.
Am Shuttleterminal gönnte ich mir dann ein Full Traditional Breakfast, während ich auf den Zug wartete. Dann ging es nach Plymouth und jetzt hatte auch ich mal Regen auf der Insel. Aber wenn man öfter da war, blieb das nicht aus. Ich kam bis kurz vors Ziel, nach 8:59 Stunden Fahrzeit zog ich die Handbremse auf einem Rastplatz an.
Donnerstag, 23.06.2016
Es war noch vorm Berufsverkehr, als ich mich auf den Weg machte. Bei Firma Bosch wurde ein Teil der Ladung vom Kontinent abgeladen, dafür bekam ich einige Paletten für Schottland mit ins Logistikzentrum Deeside. Jetzt nur noch aus der berüchtigten Einfahrt raus und noch ein Zwischenstopp.

Das Wetter wurde nicht wirklich besser, als ich am irgendwie ungewohnten Punkt der Fahrt vorbei kam. Früher bei BP ging es in die Heimat links rum, jetzt geradeaus.

In Birmingham wurde mein Trailer noch vollgeladen. Nur vom Weg ins Büro und zurück ich dann auch nass. In den Nachrichten hatte ich gehört, dass wegen des Regens Wahllokale verlegt werden mussten und der Verkehr um London teilweise zum Erliegen gekommen war.
Als ich an der Firma ankam, stand Lukes LKW auf dem Hof, der Range Rover war dafür weg. Also war er wohl schon abstimmen und dann nach Hause. Ich packte meine Tasche in den Jaguar und fuhr nach Hause, wo Luke mich mit einem Kuss und dem Abendessen erwartete.
Freitag, 24.06.2016
Beim Frühstück schalteten wir den Fernseher ein und schauten gleich mal überrascht. Es waren nur noch ein paar Bezirke auszuzählen und es fehlten kaum noch Stimmen für „Leave“, während „Remain“ knapp eine Million zurücklag. Und nach 10 Minuten kam das Ergebnis, das die Gewissheit brachte. Die Mehrheit wollte raus aus der EU.
Schweigend fuhren wir zur Firma. Was bedeutete das? Für die Firma und für das Frachtaufkommen zum Festland, aber auch für mich persönlich? Würden wir weiter genug Aufträge haben? Konnten wir wie geplant noch ein Bisschen expandieren, um von den kritischen 5 auf 7 oder 8 Trucks zu kommen? Brauchte ich demnächst eine Aufenthaltserlaubnis, wenn ich hier bleiben wollte? Wobei nicht hier bleiben auch keine Lösung war, denn wären wir in Deutschland geblieben, würde dann Luke genauso eine brauchen.
Luke machte sich auf den Weg. Er musste nach Holyhead, Porthmadog und Shrewsbury, eine nicht sonderlich lange Tour. Philip war die Woche im Büro gewesen. Ich sah mir die Unterlagen in meinem Postfach durch und prüfte ein paar Dinge, die Philip mir vorlegte. Dazu warf ich immer wieder einen Blick auf den Livestream.
Nachdem vor „Number 10“, wie das Haus des Premierministers in den Medien nur genannt wurde, lange Zeit als einziger Bewohner Larry The Cat, offizieller Amtstitel „Chief Mouser to the Cabinet Office“ gesichtet wurde, trat dann David Cameron erst vor die Tür und dann vom Amt des Premierministers zurück, mit Wartefrist bis zum Parteitag in einigen Monaten.
Nigel Farage bejubelte den „Unabhängigkeitstag für das Vereinigte Königreich“. Von Boris Johnson wurde auch nichts gesehen. Erste Stimmen aus Brüssel kamen nicht nur ohne das von den „Leave“ Befürwortern ziemlich sicher erwartete „Bitte bleibt! Man kann über alles reden“ aus, sondern erwarteten den schnellen Austritt und betonten, dass austreten auch den Binnenmarkt umfasste. Im Britischen Englisch wurde dieses Drängen zur Eile von einem Kommentator mit landestypischem Humor als „Dürfen wir beim Packen helfen?“ umschrieben.
Ja, persönlich und rein aus Meinung zur EU war ich mit dem Ergebnis gar nicht mal so unglücklich. Aber schon an der Stelle, dass ich kein Staatsbürger war und der freie Personenverkehr, auf dessen Basis ich mich hier noch in Tagen zählbar niedergelassen hatte, entfallen würde, wurde es ein Problem. Und beruflich brauchten wir alle vier Freiheiten. Würden die Fahrer sonst auf dem Weg zum Kontinent ein Visum brauchen?
Über freien Warenverkehr brauchte mal als Spediteur nicht zweimal nachdenken – Zoll mit der Schweiz hatte an sich gereicht.
Auch freie Dienstleistungen waren ein Thema. Bisher hatten wir bei Kabotagefrachten freie Hand und konnten auch auf dem Kontinent oder anders rum die Bochumer Niederlassung innerhalb des Vereinigten Königreichs ziemlich großzügig agieren. Das würde dann auch enden oder wenigstens sehr restriktiv gefasst werden.
Der freie Kapitalverkehr war durch die neue Niederlassung das einzige, was an Bedeutung verloren hatte. Aber auch der war eine nette Sache, wenn man ihn ausüben konnte. Und sei es nur, dass man sich ein Konto im Ausland anlegte, wenn sich abzeichnete, dass man dort viele Kunden hatte. Gerade jetzt, wo wir für alle anderen Länder Fremdwährung hatten. Genauso war das britische Konto ja erst entstanden, das am Ende die Keimzelle der Niederlassung wurde. Weil wir es geschaffen hatten, damit die britischen Kunden sich nicht mit Währungskonvertierung herumschlagen mussten.
Über Nacht hatte die britische Volkswirtschaft in Form von Kursverlusten und Währungsverfall den Gegenwert von 22 Jahren EU-Mitgliedschaft verbrannt. Darauf und auf die Aussagen aus Brüssel angesprochen, dass es keinen Binnenmarkt ohne freie Mobilität und Beitragszahlungen an die EU – dann natürlich ohne Britenbonus – geben würde, antwortete Nigel Farage schon mal, dass er ja nie gesagt hatte, dass das eingesparte Geld in den National Health Service fließen würde, sondern die „anderen Austritts-Befürworter“ und dass das ein Fehler gewesen sei. Es sei außerdem zwar ein Ziel gewesen, die Einwandererzahlen zu reduzieren, aber nicht dass das sofort und in großem Maße passieren würde. Vor dem großen volkswirtschaftlichen Schaden begann das Rückwärtsrudern.
Marlon rief zwischendurch mal an und wollte wissen, was das nun alles zu bedeuten hätte. Das konnte ich ihm auch nicht sagen. Wir sollten sowieso erst einmal abwarten, was nun weiter passierte. Für Schnellschüsse war die Lage ohnehin zu heikel. Ich wollte auf der Durchreise rund um meinen Geburtstag oder, wenn es die Planung hergab, in der Woche, die es mit David im Praktikum auf den Kontinent ging, mal vorbeischauen. Dann konnten wir hoffentlich auch schon klarer sehen, wohin die Sache nun lief.
Dank dieser neuen Ausgangslage wurde dann Boris Johnson auf dem Weg aus seiner Wohnung ins Auto schon von der gemischten Menge lauter ausgebuht als bejubelt. In seiner Rede sprach er dann auch ohne jede Siegesfreude nur davon, dass man jetzt das gespaltene Land wieder vereinen und der jungen Generation, die mehrheitlich für den Verbleib gestimmt hatte, eine Zukunftsperspektive bieten müsste. Ja, die Spaltung des Landes würde weitergehen und wohl eher noch tiefer werden. Für mich als Privatperson das größte Problem an der Sache.
„Da haben wir den Salat!“ kommentierte ich den Livestream. Luke war rein gekommen und lockerte erst mal mit einem Spruch die Stimmung auf: „Die sprichwörtlichen Bedeutungen von „Da haben wir den Salat!“ und „Da haben wir Schwein gehabt!“ geben einen ziemlich erschreckenden Einblick in den Nährwert der deutschen Küche.“ „Sehr witzig!“ Eigentlich fand ich diesen uralten britischen Spruch wirklich witzig, weil sonst ja immer nur die Deutschen über die britische Küche lästerten. Und meistens die am lautesten, die sie sowieso noch nie probiert hatten.
„Hast Du noch was vor hier oder bist Du fertig?“ „Nichts, was anbrennt.“ „Dann könnten wir ja vielleicht mal ein Bisschen wandern, damit Du nicht dauernd nur an den Brexit denkst.“
Wir machten uns auf den Weg zum Bwlch Penbarras, einem Pass in der ersten Bergkette, von wo wir auf den Moel Farnau wanderten. Das waren hin und zurück knapp 3,5 Meilen Laufstrecke und es ging vom Parkplatz um die 500 Höhenmeter rauf bis zum Gipfel. An einem Freitag war das wohl ein beliebtes Ziel. Ständig kamen uns Leute entgegen. Luke schien das nicht zu gefallen. Er hatte irgendwas auf dem Herzen, aber sagte nichts.
Wochenende 25./26.06.2016
Es war sonnig, also kein Grund drinnen zu sitzen. Wir stiegen in die Schutzkombis und machten uns mit den Motorrädern auf den Weg. Luke hatte eine Tour geplant, ich fuhr also hinterher. Das war manchmal eine Herausforderung, denn wenn er nicht regelmäßig in den Spiegel schaute, war er mit seiner Suzuki GSX650F auf und davon. Die war mit 86 zu 48 PS und Sportfahrwerk zu Enduro meiner Yamaha XT660Z einfach fahrdynamisch überlegen.
Andererseits waren wir das schon gewöhnt, seit wir vor 10 Jahren mit den ähnlich ungleich veranlagten Suzuki SV650 und Yamaha XT600Z quer über die Insel getourt waren. Während Luke die auch für seine Körpergröße knapp geratene SV nicht vermisste, würde ich manchmal gerne noch mal auf die alte 600er steigen. Die aktuelle war keine schlechte Maschine, aber den Kultfaktor der alten erreichte sie nicht. Leider war die trotz umfangreicher Modifikationen 2009 in Italien den Hitzetod gestorben, der bei dieser Serie dem schlecht gekühlten Motor immer latent drohte. Ich hatte sie dann für gerade genug Geld, um mir eine Rückfahrkarte mit der Bahn zu kaufen, bei dem Händler versetzt, zu dem mich die Pannenhilfe abgeschleppt hatte.
Während ich so über unsere früheren Touren nachdachte, wurde Luke langsamer und hielt auf dem Seitenstreifen an. Wir waren am Bwlch yr Oernant, wegen der Hufeisenform der Straße auf der Landkarte im Englischen „Horseshoe Pass“ genannt. Der Blick reichte durch das Tal und über die nächsten Berge bis vor die übernächste Kette.
„Was ein Ausblick.“ „Ich lege Dir mein Heimatland zu Füßen, auch wenn das Land gerade nicht still liegen will.“ „Es ist doch gerade still. Ganz so schön wie früher. Ich habe gerade unterwegs dran gedacht, wie wir damals mit der SV650 und der XT600 unterwegs waren.“ „Heute hätte unser erstes wirklich ruhiges Wochenende nach anderthalb Monaten Dauerstress sein sollen und ich habe lange darauf gewartet. Die Zeit, als wir noch mit der SV650 und XT600 unterwegs waren, hat mich auch nie losgelassen. Jung, manchmal ein Bisschen verrückt, aber immer füreinander da. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Du hast es mir danach jahrelang nicht leicht gemacht. Und am Ende habe ich es Dir auch noch mal ein halbes Jahr genauso schwer gemacht. Aber wir haben uns wieder gefunden und es kommt mir manchmal so vor, als hätte es die 8 Jahre dazwischen nie gegeben. Wir sind füreinander bestimmt. Eric Kaiser, willst Du mich heiraten?“
Die Frage kam nicht ganz unerwartet, also hatte ich mich schon mit der Antwort beschäftigt. Aber trotzdem war ich überrascht, als er sie jetzt stellte. Fast ein Jahr waren wir wieder zusammen und glücklich. Und hier konnten wir „heiraten“, in Deutschland konnten wir uns nur „eine Partnerschaft eintragen lassen.“ Da war Deutschland ja immer noch ein Bisschen der Zeit hinterher. „Ja, Lucas Leighton. Von ganzem Herzen.“ Wir küssten uns lange und innig.
Er zog ein Schmucketui aus der Tasche. Bitte kein Ring, ich hasste Ringe. Das wusste er aber natürlich auch, also hatte er eine Halskette gekauft, die er mir jetzt umlegte. „Fahr Du vor.“ „Wir können auch noch einen Moment warten, bevor wir weiterfahren.“ „Okay.“ Die Freudentränen standen ihm noch in den Augen. Also setzten wir uns ein paar Minuten auf die Bank neben dem Parkplatz, bevor wir uns auf den Weg zurück nach Hause machten.
Den Rest des Nachmittags blieben wir zu Hause und guckten Fußball, Wales gegen Nordirland. Ich jubelte schon für Wales wie ein Einheimischer. Was würde ich machen, wenn Wales gegen Deutschland spielen würde? Aber weil das beim Mannschaftsbaum in der K.O.-Runde nur im Finale passieren konnte, war das eher ein Luxusproblem.
Für Sonntag hatte ich gestern noch zur Feier des Wochenendes einen Mittagstisch bestellt. Weil Deeside gastronomische Diaspora war, sofern die Ansprüche über Döner Kebap, Fish & Chips, indisches Curry oder chinesische Wokküche hinaus gingen, fuhren wir dafür nach Chester. Dass sich so schnell nach dem Umzug so viele Veränderungen ergeben würden, hatte ich nicht gedacht.
