Kapitel 96 – Back to the Roots und einen Schritt weiter

Montag, 27.06.2016

Wir sprachen beim Frühstück schon mal eine Termin-Richtung ab. Bei dem tollen britischen Wetter war Lukes Antrag ein Bisschen spät gewesen, denn so würden wir in den Oktober oder sogar November rutschen. Im September waren erst einmal Judith und Marlon an der Reihe, außerdem wurde mein Vater in dem Monat 70.

Diese Woche musste ich noch einmal auf Tour, dafür nahm ich David mit, der die erste Woche seines Praktikums hatte. Nächste Woche war ich im Büro. Weil Shawn seinen letzten Block Berufsschule vor der Abschlussprüfung hatte, wollte Philip dann mit David Nahverkehr machen. Nachdem das Kapitel Rodney einen unrühmlichen Abschluss gefunden hatte, wollten Philip und ich uns die praktische Ausbildung aufteilen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir David nicht einstellen würden.

Als nächstes fuhren wir, da wir nicht wussten, wie weit auseinander wir Freitag zurückkommen würden, mit beiden Autos in die Firma. Luke machte sich sofort mit unserem alten XF105-Schätzchen auf den Weg. Ich empfing erst einmal zusammen mit Philip unseren Praktikanten. Papierkram gab es auch in diesem Land zu beachten.

Danach ging es an das Kapitel „Laden und Ladungssicherung“. Weil ich am Freitag so spontan und früh Schluss gemacht hatte, mussten noch vier Paletten und Kisten drauf, die erst danach rein gekommen waren. Schließlich machten wir uns mit dem großen XF105 auf den Weg. Im Nieselregen ging es Richtung Süden.

Auf der M6 wurde es das erste Mal brenzlig, als mich ein Kia Ceed ausbremste, weil er direkt nach dem Einscheren das Schild „Radarkontrolle“ sah und erst mal panisch drauf trat. Das durfte ich dann auch, denn von Abstandsassistent war in diesem Baby nichts zu sehen. Immerhin hörte es bald darauf auf zu regnen.

„Und so schließt sich der Kreis.“ Irgendwie hatte David da Recht. Wir waren gerade auf die M1 in Richtung London eingebogen. Hier waren wir auch auf unserer ersten gemeinsamen Tour lang gefahren. Wie viel runder der Kreis sich noch schließen konnte, sollten wir noch merken.

Wegen der Verkehrslage auf der Queen’s Bridge nahmen wir den etwas längeren Westring. Passend zum digitalen Fahrtenschreiber meldete sich auch eine der fürsorglichen Warntafeln damit, dass es mal Zeit für eine Pause wäre.

In Dover bei Fercam gab es noch was nachzuladen. David durfte den jeweils letzten Gurt spannen, während ich schon mal den nächsten anlegte. Ich prüfte dann nur noch mal, ob sie stramm genug saßen.

Das englische Klischeewetter gab es dann erst wieder in Frankreich. Wir fuhren in Richtung Schweiz. Die letzten 20 Minuten Fahrt hatte mein Beifahrer seinen Fokus schon auf mein Tablet mit Flatrate-Surfstick gelegt. England spielte gegen Island. Meine beiden Teams waren im Viertelfinale, David musste noch zittern, zumal es schon nach 6 Minuten 1:1 stand und noch bevor ich unseren Lastzug mangels Parkplatz auf einem befestigten Seitenstreifen an einer Landstraße abstellte, ging Island 2:1 in Führung.
Jetzt setzte ich mich auf die Koje und schaute auch das Spiel an. England war dominant, aber wehrlos, so dass bekanntlich die Außenseiter eine Runde weiter kamen.


Dienstag, 28.06.2016

Jetzt hieß es für David also auch harte Pause. Nach dem Aufstehen gab es das volle Programm des modernen Cowboys: Katzenwäsche aus dem Kanister, Toilette am Zaun, der das Wild von der Hauptstraße genauso fern hielt wie uns aus dem Wald. Immerhin machte ich mir mal die Mühe, Eier, Speck und die unverzichtbaren Bohnen in Tomatensoße auf dem Campingkocher warm zu machen, anstatt das Standardmüsli zusammen zu rühren.

Es ging weiter nach Basel, wo wir nach einer Tankpause auch ankamen. Außerdem nutzten wir bei dieser Tankpause die Gelegenheit, uns noch eine richtige Dusche zu gönnen.
Vor Basel hieß es dann noch Zollkontrolle, auch da ging schnell mal eine Stunde und mehr baden, aber wir hatten Glück. Das Navi lotse einen dann durch teils abenteuerliche Stadtstraßen ans Ziel, eine Hellmann-Niederlassung.

Die nächste Fracht gab es in einer Metro-Niederlassung. Aufs Entladen bei Hellmann und Laden bei Metro konnte ich eine weitere 45er gutschreiben lassen. Bei beiden hatten wir selbst nichts zu tun, außer Papiere. Lediglich bei Metro bekam ich was am Lenkrad zu tun, denn der Hof war sehr eng.

Wieder an der Grenze nach Frankreich mussten wir auch wieder eine Zollabfertigung machen. Auch in diese Richtung waren sie heute aber mal flott. Mit nur 14 Minuten fast schon rekordverdächtig. Da hatte ich hier schon mit TIR-Schildern in eine Richtung länger gestanden als heute ohne in beiden Richtungen zusammen. Ein wieder komfortbefreiter Parkplatz im Elsass war der Abschluss des Tages.


Mittwoch, 29.06.2016

Heute gab es wieder die Kanisterdusche. Hier hatte es immerhin ein Toilettenhäuschen. Das hätte zwar auch nicht jeder schwäbische Kühlzugfahrer benutzt, aber es war für uns noch unterhalb der Verweigerungsschwelle. Das Frühstück gab es heute mit Müsli und ohne Nugatschokolade…

Gerade wenn man zu zweit war, ging wie gestern das Rührei ins Geld und vor allem in den Kühlschrankplatz, das Wochenkontingent Eier war an einem Tag fast aufgebraucht. Beans on Toast wäre gegangen, aber musste auch von Davids Seite aus nicht sein. Bei Sonnenaufgang setzten wir uns in Bewegung.

Mautfrei auf französischer Seite fuhren wir bis Lauterbourg, dann dank Staus wegen gefühlter 100 Baustellen auf der A61 zur A5 und wegen eines Unfalls auf der A67 mit einem Umweg übers Frankfurter Kreuz. Dort gab es am Flughafen eine britische Begegnung.

Es ging nach Neuss zu Scandinavia Express. Hier ging ein Teil des Metro-Krams aus der Schweiz runter, den wir in Stevens Auftrag gefahren hatten, dann bekamen wir den Trailer ganz voll. Die ersten zwei kleinen Kisten mussten wir allerdings schon vorm Ärmelkanal wieder abgeben.

Maxi fuhr gerade mit seinem Wechselbrückenzug den Paderborn-Pendel auf den Hof und setzte den Anhänger an die Rampe neben uns zurück, den Motorwagen noch eins weiter.
„Hallo Ricky. Wen hast Du denn dabei?“ „Hallo Maxi. Das ist David, Praktikant und – sofern er es sich kommende Woche nicht noch mit dem zweiten Ausbilder verscherzt – ab 1. September unser Azubi.“ „Und, wie ist das Wetter auf der Insel?“ „Nicht regnerischer als hier.“ „Was ein Kunststück. Haben sie nach dem Brexit den Regen schon aus dem Land ausgewiesen? Ich hoffe, dass der Sommer, wenn er dieses Jahr noch kommt, wenigstens auf ein Wochenende fällt.“
„Und sonst?“ „Patrick kann es nicht sein lassen. Sein Kumpel aus Österreich plant wohl, dem Bock die Gärtnerei in Hannover zu überlassen. Sprich er soll Niederlassungsleiter bei David Haider Transporte Deutschland werden. Und hat hier schon mal gleich Carlos abgeworben.“ „Schau mal einer an. Und seinen Kumpel Luca wahrscheinlich gleich mit?“ Maxi lachte sich halb tot. „Versucht hat er’s – aber Luca hat ihm einen Einlauf mit Anlauf verpasst
!“

Maxi musste mal weiter. Den Anhänger ließ er stehen, aber er musste noch eine einzelne Brücke in Köln bei einem Stammkunden tauschen. Und wir fuhren mal weiter in Richtung Niederlande. Auf dem Rastplatz Hünxe an der A3 war aber wieder Schluss. Ich tankte bei unserem Restprogramm für die Tour noch mal billig in Deutschland voll. Die Kollegen hier sollten sich mal nicht beschweren, sondern an die Preise in den Niederlanden und Großbritannien denken.


Donnerstag, 30.06.2016

Weil die Kisten noch diese Nacht auf den Flieger mussten und der Feierabend schon vor 16 Uhr gewesen war, ging es also mitten in der Nacht los. So waren wir um 3:51 Uhr und damit noch im Zeitfenster am Flughafen Schiphol, wo die Kisten mit Luftfracht raus gingen. Für gute Kunden machte Steven auch Luft- oder Seefrachtabwicklung.

Nun war die nächste eilige Fracht nach Carlisle und die bescherte uns einen Höllenritt. Ich fuhr nach Hoek van Holland und von da setzten wir mit der Tagfähre nach Harwich über. Wir hatten eine Kabine genommen, denn es war schon eine Nachtschicht gewesen und die nächste kam gleich im Anschluss.

Diese brachte uns noch dichter an den geschlossenen Kreis. Denn wir kamen an Trowell Services vorbei. David wohnte knapp 2 Kilometer Luftlinie von hier und 100 Meter Luftlinie auf dem Southbound Parkplatz hatten wir uns an diesem schicksalhaften 13. August 2015 durch Zufall getroffen. Keiner von uns beiden hätte geglaubt, dass wir heute wieder hier zusammen vorbei kommen würden. Und schon gar nicht, wie.
Damals waren wir ein in Liebeskummer versunkener Trucker und ein zum A-Level gezwungener Schüler, beide unglücklich und verzweifelt. Heute hatte der Trucker seine großen Liebe zurück gewonnen und war verlobt. Der Schüler war von seinen Eltern aus der verhassten Oberstufe abgemeldet und Praktikant für eine Ausbildung in seinem Traumberuf, die in 2 Monaten beginnen würde.
David schienen die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen, denn er schaute selbst ungläubig auf den Southbound Parkplatz jenseits der Mittelleitplanke.


Freitag, 01.07.2016

Nach einer Rast gegen Mitternacht ging es weiter. Die Ladung konnten wir pünktlich um 6 Uhr abliefern, da wäre die Fähre noch nicht mal in Tyneside gewesen. Nun lagen wir in einem Gewerbegebiet in Carlisle in den Kojen. Um 13 Uhr durfte ich weiter fahren, bis Deeside ging es flott. Um viertel vor 4 nachmittags waren wir da. Nun hieß es noch für uns beide, den Zug sauber zu machen und auszuräumen und dann war Wochenende.
Shawn kam kurz nach uns rein. Ich machte, während der auch noch putzen durfte und zusätzlich den LKW ausräumen, eine kleine Nachbesprechung mit David und Philip. Dann fuhr David mit Shawn ins Wochenende.


Wochenende 02./03.07.2016

Dieses Wochenende waren wir zu Lukes Eltern eingeladen, unsere Verlobung zu feiern. Wir hatten ein schönes Wochenende. Auch weil Deutschland und überraschend Wales beim Fußball ins Halbfinale einzogen, war es das.


Montag, 04.07.2016

Heute hatte ich Geburtstag. Abgesehen davon war es ein normaler Arbeitstag. Ich war wieder im Büro. Philip und David machten sich mit Shawns XF105 auf den Weg, ein paar Tagestouren fahren. Mittwoch und Donnerstag sollte David dann eine Zweitagesrunde bei Luke mitfahren. Darum hatte Luke gebeten.

Ich nahm erst einmal Alexander in Empfang, machte die Einweisung und kümmerte mich um seine Papiere. Dann schickte ich ihn mit dem großen XF105 los, den ich selbst noch letzte Woche gefahren war. Alex sollte mit der großen Hütte verstärkt Kontinent fahren. Nachdem er unterwegs war, nahm ich mir erst einmal die Büroarbeit vor. Abends ging ich mit Luke essen.


Freitag, 08.07.2016

Im Laufe der Woche waren Wales und Deutschland bei der EM ausgeschieden. Wie verschieden die Erwartungen im Vorfeld das gleiche Ergebnis beeinflussen konnten, war deutlich erkennbar. Wales, denen man nicht zugetraut hatte, die Vorrunde zu überleben – zur Erinnerung, Gruppensieger! – bereitete für den Nachmittag einen großen Tag in Cardiff vor. Mit Empfang des Mannschaftsfliegers durch eine Wasserfontaine am Flughafen, Cabriobus durch die Innenstadt und Party im FC-Stadion.
Es war bestimmt auch für Deutschland nicht schlecht, zu den vier besten Teams Europas zu gehören. Aber der Rückflug fand heimlich und mit drei regulären Linienflügen zu ebenso vielen Zielflughäfen statt. Die Begeisterung für die trotzdem bemerkenswerte Leistung der Mannschaft schien ausbaufähig.

Luke war schon am späten Vormittag zurück, weshalb wir uns mit Reisegepäck und Range Rover auf den Weg machten. Erst einmal ging es nach Cardiff, wo wir wenigstens die Parade im Cabriobus anschauten.


Samstag, 09.07.2016

Wir blieben über Nacht im Bed & Breakfast und fuhren morgens weiter zum Channel Tunnel und mit dem Zug auf den Kontinent. Wir hatten bis einschließlich Mittwoch Urlaub. Das Navi war dank der Verkehrslage recht kreativ und schickte uns ab Gent auf Brüssel, dann über Lüttich und Düsseldorf an Wuppertal vorbei. Selber schuld, wenn man am Bettenwechseltag fuhr. Als wir durch Wuppertal fuhren, sah ich eine Szene auf einem Grundstück direkt neben der Autobahn. Im Innenhof eines Wohngebäudes fotografierte jemand einen abgemeldeten LKW – und was für einen. Ich setzte den Blinker an der nächsten Ausfahrt und fand schließlich das Grundstück und den Fotografen. Er blickte erstaunt auf, als plötzlich ein fremder, britischer Geländewagen vor seiner Einfahrt hielt.

„Hallo. Ich bin Eric.“ „Daniel. Hallo.“ „Schöner Truck, Deiner?“ „Ja, inzwischen schon.“ Er wirkte traurig. „Hat meinem Vater gehört, aber der ist vor einem Monat gestorben.“ „Mein Beileid.“ „Ich habe keinen Führerschein dafür und bekomme sowieso nur den Rückwärtsgang und den 2. Gang rein.“ Ja, das gute alte Fuller ohne Synchronisierung. Scheiß auf Drehschemel rückwärtsfahren wie Patrick Schütz! Nur wer das Ding hier schalten konnte, war ein echter Trucker! „Und die Erinnerung schmerzt. Jetzt soll er in liebevolle Hände. Aber leider wird das nicht einfach, befürchte ich. Es gibt wohl keine Iveco-Fans. Habe schon vergeblich Markenclubs oder so was gesucht.“ „Sag das nicht. Ich bin in meiner Karriere, wenn ich mal nur feste rechne, von 9 Trucks 4 Ivecos gefahren. Und 3 davon habe ich mir selber ausgesucht.“ „Echt?“ „Ja. Und der erste, den ich damals noch zugeteilt bekommen habe, war der TurboStar. Also Nachfolger von ihm hier. Seitdem bin ich Fan.“ „Cool.“
„Darf ich mal rein schauen?“ „Klar.“ Innen war er genauso knatschrot wie außen. Dieses Sondermodell gab es damals nur in der einen Farbe, auch wenn viele danach umlackiert wurden. „Ist der einmal rund oder sind die 150.000 Kilometer original?“ „Einmal rund natürlich. Aber mein Vater hat ihn, als er ihn vor 3 Jahren gekauft hat, vollrestauriert, Motor und Getriebe überholen lassen, alles neu polstern lassen. Danach sind nur noch 3.000 Kilometer zu Treffen und so dazu gekommen.“ Das sah man allerdings. Ich bat darum, den Motor starten zu dürfen. Er sprang sofort an, ich kippte mal die Kabine an, um ein Bisschen auf den Motor schauen zu können. Es schien alles dicht zu sein. Als der Motor warm war, gab ich mal Gas, von schwarzem Qualm war nur ein Hauch zu sehen. Das bewies, dass der Motor auch überholt worden war, wie Daniel gesagt hatte. Denn mit über einer Million ohne Revision müsste er bei so schnellen Gaswechseln auch im Leerlauf ziemlich deutlich qualmen.
„Was willste denn dafür haben?“ „17.000 Euro.“ „Dann wird es wirklich schwer. Auch wenn es ein restaurierter Special-T ist.“ Ich hatte keine genauen Zahlen im Kopf. Ein unrestaurierter, normaler 190-T oder TurboStar mit niedriger Laufleistung lag bei gerade mal 6.000 bis 8.000 Euro, so viel wusste ich. Restaurierte hatte ich keine gefunden, als ich mal kürzlich danach gesucht hatte. Ich wollte es erst mal frech versuchen: „10.000?“ „Niemals!“ „Für 17 wirst Du ihn im Leben nicht los. Das verspreche ich Dir.“ „Wenn ich zusammenrechne, was mein Vater rein gesteckt hat, ist 17 noch zu wenig.“ „Leider sieht man sein Geld bei so was nicht wieder. Im guten Originalzustand und ohne Special bin ich mit 7.000 dabei und als gelernter Schlosser kann ich selbst viel machen. Dann gehe ich eher den Weg und baue mir selbst einen auf.“ „15.000?“ „Versuch Dein Glück auf Truckscout24. Ich sehe ja dann, wie lange er on steht. 12.000!“ „12.900 und wir sind Freunde.“ „Also gut.“
„Du hast Dir nicht wirklich gerade einen alten Iveco für 13.000 Euro gekauft?“ „Doch, von meinen Euros vor allem. Du kannst Dir von Deinem eigenen Geld gerne einen Volvo F10 oder ERF C kaufen, wenn er Dir nicht gefällt.“ „Und das Lenkrad ist auch auf der falschen Seite.“ „Dann muss ich damit zu Treffen auf den Kontinent fahren.“

Ich telefonierte schnell mit Marlon. Er wollte mir das Geld bis zu unserer Rückreise Mitte der Woche vorstrecken, sich bei Mahad Überführungskennzeichen ausleihen und den LKW am Montag früh abholen. Also unterschrieb ich den schnell aus dem Internet organisierten Vertrag.

Luke und ich fuhren weiter ins Sauerland. Unterwegs rief mich mein Freund aus Österreich an. „Hallo Felix.“ „Hallo Ricky. Nachträglich noch alles Gute zum Geburtstag. Habe ich ganz vergessen.“ „Danke.“ „Und? Was machst Du so? Vor allem jetzt mit dem Brexit.“ „Ach, die werden sich schon einig.“ „Aber dann hat sich meine Frage wohl erledigt. Wir sind mit kompletter Mannschaftsstärke 28. bis 31. am Chiemsee auf dem Truckertreffen. Ich wollte fragen, ob Du dazu kommst. Ist halt leider auch Assen an dem Wochenende.“ „Wenn Luke mir Ausgang gibt, bin ich dabei. Habe mir gerade einen Showtruck gekauft.“ „Was denn?“ „Einen Iveco aus der Kategorie historische Zulassung.“


Sonntag 10. bis Mittwoch 27.07.2016

Luke gab mir Ausgang, also beschloss ich, dass der Iveco gleich in Bochum stehen bleiben sollte. Um noch einen Euro auf der Fahrt zum Chiemsee und dann nach Großbritannien zu verdienen, sollte Julian ihn auf die Firma mit einem H-Kennzeichen anmelden. Damit durfte man inzwischen gewerblich fahren und vor allem zur Firma hin durch die Umweltzone. Dann mussten halt fürs Ummelden die Papiere ein paar Mal mit Kurier zwischen den Ländern hin und her gehen. So wie Ruslan damals mit Exportkennzeichen gewerblich wollte ich nicht. Dazu war ich wohl doch zu un-osteuropäisch.

Das böse Erwachen kam leider mit der Zulassung. Das Gutachten von nach der Restaurierung war über 2 Jahre alt und wurde nicht mehr anerkannt. Auch wenn Julian das Fahrzeug hätte vorführen können. Entweder frisches Gutachten oder kein H. Weil die Versicherung mich günstiger kam als ein neues Gutachten, entschied ich mich für das normale Kennzeichen. Immerhin gab es Wunschkennzeichen ohne Aufpreis. Der Beamte hatte schon mal BO-T 1938 passend zum 190-38 T raus gesucht und Julian angepriesen. Als der dann sagte, es wäre egal, schaute der Mensch hinterm Schalter sparsam, aber ließ es dann trotzdem dabei. Ich hätte auch eins unserer BO-IT xxx oder jedes zufällig zugeteilte genommen.

Julian entschied sich, auch an den Chiemsee zu wollen, obwohl er sonst immer in Assen war. Außerdem schlossen sich Timo und Ilarion, Maxim und Lennart an. Auch Maxi Schröder bekam Wind von der Sache. Weil Steven ihn nicht mit einem LKW aus der Flotte los lassen wollte, heckten Julian und Steven einen kleinen Trick aus. Maxi bekam einen Schrieb von den beiden Chefs mit, dass er ein paar Tage bei uns fahren sollte, um Inhalte zu lernen, die es bei Scandinavia Express nicht gab. So konnte er dann problemlos Maxims Kühler fahren. Steven hatte noch keine Kühler. Wenn es einen nicht zu heftigen Chemietransport geben sollte, war auch das eine Option, denn den ADR-Schein hatte Maxi inzwischen auch und dann hatte er auch Erfahrung auf einem Tanker.
Sogar hier auf der Insel bekamen die Leute Wind von dem Treffen. Da gab es zwar auch eins im eigenen Land, das Luke und Mervyn besuchen wollten, aber Alex und – als Belohnung für die frisch bestandene Abschlussprüfung – Shawn wollten lieber mal auf eins nach Deutschland.

Ein weiterer Mitfahrer wurde Sebastian alias Matches. Den lud Julian gleich ein, am Chiemsee die Ausbildung zu beginnen. Denn den Montag ging es für ihn los und Julian wollte ebenfalls in Bayern am Montag unter Last die Rückfahrt antreten. So kam ich auf die Idee, David auch noch zu fragen, ob er mit kommen wollte. Einer der Jungs sollte ihn dann in Derbyshire einsammeln.

Am Mittwoch setzte ich mich erst in den Zug und dann in den Flieger auf dem Weg nach Bochum. Da stand er nun, mit „schwarzer Umweltplakette“ in der grünen Umweltzone. 1500 Meter nicht erwischen lassen hieß die Devise. Ich schlief die Nacht auf dem Schlafsofa. Inzwischen hatte Timo hier eine ganz schön große Suite, auch wenn Ilarion inzwischen die meiste Zeit hier wohnte, wenn sie denn überhaupt zu Hause waren.


Donnerstag, 28.07.2016

Die Nacht auf Donnerstag war leider nicht gut für ältere italienische LKW. Ich musste einen Trailer im westlichen Ruhrgebiet abholen und machte mich auf den Weg. So gut, wie der LKW in Schuss war, waren dann hoffentlich auch die Hohlräume versiegelt.
Ich stieg in die Hütte, vor mir breitete sich der Charme der 80er aus. In Wagenfarbe lackiertes Blech, schwarzes Hartplastik, ein nach heutigen Maßstäben unverschämt hohes Drehzahlband, der Tacho bis 120 skaliert, wo man in der Vor-Begrenzer-Zeit mit genug Anlauf auch hinkommen konnte. Die Trömmelchen, die die Fuhre dann wieder anhalten sollten, sah ich heute in einem anderen Licht als seinerzeit bei Mahler in Skandinavien.
Das Cockpit bestand aus Tacho, Drehzahlmesser, 5 Analoginstrumenten, 26 Kontrollleuchtenfeldern, 2 Schiebereglern für Heizung und Lüftung, zwei spirrligen Hebelchen, gefühlt nur Zahnstocher, an der Lenksäule. Kein Kühlschrank, zwei Fächer unter der Pritsche und viel kleiner als heutige, von außen nicht zugänglich, keine Außenstaufächer, das damalige Hochdach bot eine Handbreit mehr Luft als die Nahverkehrskabine. Und mit so was fuhren die Leute früher nach Nordafrika, in den Orient oder bis ans Nordkap. Auf einmal kam mir der mahlersche TurboStar richtig luxuriös vor. Die Kabine war die gleiche gewesen, aber er hatte doch ein paar angenehme und nützliche Dinge, die man sich erst beim Modellwechsel hatte einfallen lassen.

Und dann kam vor der Abfahrt etwas, das ich das letzte Mal in einem ERF bei BP gemacht hatte – ich füllte eine Pappscheibe für den Fahrtenschreiber aus. André hatte die Dinger extra noch bestellen müssen.
Endlich war alles so weit. Ich griff zum Schaltknüppel, legte Solo den 3. Gang ein und fuhr los. Es gab Dinge, die verlernte man nicht. Schwimmen, Radfahren, Fuller schalten. Mit nach dem Aufsatteln 19 Tonnen Kunststoffgranulat in Bigpacks für einen Betrieb in München ging es auf die Autobahn. Der V8 bollerte los. Wenn schon der wassergekühlte Fiat hier drin so einen gegenüber dem TurboStar lauteren Geräuschpegel hatte, wollte ich mal wissen, wie es war, wenn da noch der luftgekühlte Deutz drin gewerkelt hatte. Für die T-Serie gab es den ja noch.

Es ging ungewohnt langsam voran, da merkte man, dass heute 100 PS mehr angesagt waren. Vor über 30 Jahren war man mit 380 PS jemand. Der 190-38T war damals das Spitzenmodell bei Iveco gewesen.
Unser Treffpunkt war die Raststätte Sauerland an der A45. Alex, Shawn und David waren gestern mit der Fähre rüber gekommen, hatten einige Abladestellen bedient und waren bis da gekommen. Die A45 war nur ein Umweg für Lennart und mich gewesen, die im Rheinland geladen hatten, die meisten hatten für die Tour sowieso im östlichen Ruhrgebiet oder im Sauerland um Iserlohn und Menden geladen.

Als ich auf den Rastplatz kam, verschlug es mir die Sprache. Es sah aus, als hätten wir den Platz gemietet. In Talke-Farben standen dort Julians Volvo FH16, auf dem Sebastian mitgefahren war, der Scania R500 von Lennart, an dessen Beifahrertür zu meiner Überraschung Aushilfsfahrer Serkan lehnte und der New Actros von Timo und Ilarion. Unser Beige-Blau war nur durch den Stralis Hi-Way vertreten, auf dem Maxim und Maxi unterwegs waren. Dann kamen die beiden rot-grünen DAF-XF aus Wales mit Alex, Shawn und David dazu. Mit meiner Ankunft waren wir also komplett. 7 LKW und 12 Personen. Und das war nicht mal die halbe Flotte der beiden Niederlassungen.
Um schneller voran zu kommen, nutzten wir jetzt einen Trick aus. Wir hatten sogar drei Fahrer mehr als LKW. Wenn wir jetzt alle 2 Stunden Fahrer- und auch Fahrzeugwechsel machten, konnten wir ohne irgendwo eine Dreiviertelstunde stehen zu müssen, durchfahren und es noch bis heute Abend an den Chiemsee schaffen. Lennart und ich hatten schon mal keine zwei Stunden Restzeit mehr. Bei uns wäre das sonst auch mit der Lenkzeit eng geworden.
„So, es sind dann ein Scania R500 und ein Iveco 190-T an zwei Fahrer ohne Stunden auf der Uhr zu vergeben.“ Diese Kandidaten waren Timo, Maxi und Serkan. „Äh, der Iveco ist handgeschaltet, oder?“ „Ja.“ „Das kann ich nicht.“ „Nach Patrick muss ich ja eh nicht fragen. Aber lernst Du bei Steven eigentlich auch was anständiges?“ „Ha, ha!“ Maxi entschied sich jedenfalls erst mal für den Scania und einen Tanker voll Diesel. „Ich kann von Hand schalten.“ „Das werden wir gleich sehen. Ich sage nur unsynchronisiert.“ Julian baute Timo richtig auf: „Viel Erfolg.“ „Mach mir nur Mut.“ „Der hat das mit 16 gelernt. Kann also nicht so schwer sein.“

Wir stiegen ein, ich gab Timo erst einmal eine kleine Lektion Tachoscheibe ausfüllen. Dann legten wir die Scheiben passend für eine Zweimannbesatzung ein und es konnte losgehen. „Die untere Gruppe hat keine halben Gänge. Der 1. Gang hinten links ist nur für Anfahren am Berg gedacht, auch wenn es gut passieren kann, dass man den bei 380 PS mal braucht. Angefahren wird normalerweise im zweiten, also vorne Mitte. Und nach dem Anfahren stellst Du den linken Fuß in den Ruhemodus.“
„Okay?“ „Einfach ohne Kupplung in Richtung dritten Gang ziehen. Wenn die Drehzahl vom Motor in Richtung Leerlauf abfällt, rutscht der Gang im richtigen Moment von alleine rein. Je früher im gelben oder noch so gerade im grünen Drehzahlbereich Du schaltest, umso einfacher geht es.“ Es klappte nicht so richtig. „Keine Hektik. Ruhig und langsam schalten.“ Timo schaffte es in den dritten, vierten und fünften Gang.
„So, wie beim MAN auch den Schalter vorne nach oben und die hohe Gruppe mit 6. bis 13. Gang ist ausgewählt. Beim modernen, synchronisierten ZF in Deinem TGX hast Du das Umschalten mit der Kupplung ausgelöst, beim Fuller wird sofort geschaltet. Du nimmst direkt nach dem Umschalten Gas weg und sobald die Drehzahl passt, schaltet er die Gruppe um. Den ersten Gang gibt es oben gar nicht, 6 und 7 liegen über der 2. Und ab jetzt schaltest Du halbe Gänge. Der seitliche Schalter wird für die Zwischengänge nach vorne und hinten geschoben und nicht wie bei ZF nach oben und unten gekippt. Auch hier für den Gangwechsel umschalten und dann kurz Gas wegnehmen.“

Wir fuhren als vorletzte. Hinten machte Julian den Schlussmann und zog auch schon mal als fahrende Straßensperre raus, um sicher zu stellen, dass wir die Spur wechseln konnten, wenn es nötig war, um nicht vom Gas zu müssen. „Beim runterschalten musst Du zwischen den Gängen mal einen kurzen Gasstoß geben, weil jetzt ja die Achse für den neuen Gang schneller dreht als der Motor und Du nur so auf die gleiche Drehzahl kommst.“

Nach zwei Bergen hatte Timo den Dreh mit Zwischengas und Schalten ohne Kupplung halbwegs raus. Viele Schaltvorgänge waren direkte Treffer, auch wenn es ab und zu noch mal unterm Bodenblech knurrte. „Das macht ja richtig Spaß. Jetzt weiß ich, warum Julian und Du immer von den Trucks aus den 80ern schwärmen. Und der hat echt nur 380 PS?“ „Ja. Aber 380 Iveco-Pferde sind sowieso schon mal 410 MAN-Pferde und 430 Mercedes. Und durch die 100 bis 200 Umdrehungen mehr sind die alten Motoren auch noch generell etwas giftiger.“

Nach 2 Stunden wechselten wir am Autohof Gießen wieder durch. So ein Konvoi bremste sich doch gegenseitig ziemlich aus. Und das lag nicht nur an meinem nicht ganz so flotten Gefährt. Jetzt wollte Maxim mal das alte Gerät fahren. Er traute sich auch noch, Dashcam und Selfiecam dabei laufen zu lassen. Auch er hatte schnell das Schalten mit dem Fuller drauf. Zweimal Zähneputzen vorm ersten geräuschlosen Wechsel gehörte für einen Neuling dazu.

Wir hatten uns für den Konvoi einen abgelegenen Funkkanal gesucht, wo ich mal mit Julian über das organisatorische sprach: „Wie soll das eigentlich gehen? Wir haben ja auf fast jedem LKW zwei Mann. Wird sehr kuschelig?“ „Maxi und Serkan haben Zelte. Sebastian kommt bei mir in den Volvo. Timo und Ilarion sind im Mercedes wie immer. David hat sich wegen dem Platz glaub ich bei Alex im Super Space Cab einquartiert.“

Bergauf ging es teils gemütlich zu und wir fielen von den anderen deutlich ab. Dafür ließ ich Maxim bergab auch mal gewähren, wenn er es etwas übers Limit rollen ließ, um wieder aufzuschließen.

Ab Moosklinge im Spessart fuhr erst mal wieder ich. Sebastian kam als Beifahrer. Er erzählte ein Bisschen, was es in der deutschen Szene alles an Neuigkeiten gab. Natürlich freute er sich schon auf nächste Woche, wenn er die Ausbildung in Bochum anfing.

An Fahrern mangelte es mir nicht. Auch Serkan fehlte wohl noch ein alter Iveco in seiner Sammlung. Also durfte er ab Lachgraben vor Erlangen ran. „Langsam kriege ich Übung in der Einweisung.“ „Spar sie Dir. Ein Kunde hat einen MAN F90 Kipper mit Eaton TSO.“ Das merkte man, Serkan fuhr problemlos mit dem Fuller. Eaton TSO und Fuller RTO waren ohnehin Konzerngeschwister, mechanisch von der Anordnung der Wellen anders gebaut, aber vom Prinzip gleich zu schalten.

„Wie kommt es, dass Du hier dabei bist?“ „Julian hatte gefragt, ob einer von uns mit will. Ihm fehlte ein Fahrer, um ständig unterwegs zu sein und es an einem Tag zu schaffen. Und weil Björn schon den Renault-Mack AE Magnum eines anderen Kunden, den er schon seit der Schule kennt, als zweites Showstück zum Treffen nach Assen fährt, bin ich gerne bei Euch dabei, um auch ein Treffen mitzunehmen. Es gibt schlimmeres, als zu einem Truckertreffen eingeladen zu werden. Außerdem bin ich heute einen Rechtslenker und einen 33 Jahre alten Truck gefahren. Das sind Erfahrungen, die man mal nicht so einfach macht.“ Er hatte also an Besonderheiten mitgenommen, was er kriegen konnte.

Am Köschinger Forst vor Ingolstadt mussten wir uns erst einmal sortieren. Jetzt ging es auf die verschiedenen Abladestellen zu und da wollten wir wieder die Stammfahrer auf die Fahrzeuge bekommen. Dafür bekam ich jetzt mal David als Beifahrer. Es ging nach München rein. Der Kunde lag genau am mittleren Ring und damit haarscharf außerhalb der Umweltzone, die im inneren des Rings war.

Bei Talke konnte man zum Glück den ganzen Trailer stehen lassen und so waren wir gegen halb 7 Solo auf dem Weg von München an den Chiemsee. Wir fanden uns auf der A9 wieder zusammen und fielen dann als gesammelte Horde mit 3 Lastzügen und 4 Solomaschinen auf dem Festgelände ein. Felix und seine Mannen hatten uns Plätze freigehalten. Ich stellte den Iveco ganz am Ende der Reihe ab, direkt am Seeufer.

Ein LKW mehr und wir hätten fürs zusammen stehen ein Platzproblem gehabt. Wobei Felix auch nicht unschuldig war. Er selbst hatte inzwischen einen New Actros 1852. Den 1851 fuhr jetzt Niko und dann gab es Kilian als neuen Fahrer auf dem 1846 MP3. Ein vierter Zug mit tschechischer Zulassung, auffälligem Airbrush und ohne große Firmenanschrift gehörte dann auch noch dazu. Petr Bartos war Ende 20, eine One-Man-Show aus Brno und fuhr für Felix als Subunternehmer mit seinem rausgeputzten MAN TGX.

Der Grill war schon auf Temperatur, Treffenstimmung kam auf. Julian bekam noch mal kurz Panik, aber unbegründet, wie sich herausstellte: „Oh, Serkan. Wir haben gar nichts mit Rind oder so für auf den Grill. Da müsstest Du noch was drüben im Supermarkt kaufen.“ „Schmeiß ein Schweinenackensteak drauf!“ Der Gastfahrer mit dem türkischen Namen drehte sich grinsend mit einer Bierflasche in der Hand um. „Ich habe mich mit 14 taufen und konfirmieren lassen und darf mir jede Schweinerei auf den Teller packen, die Du im Kühlfach hast.“

Heute war vor allem der harte Kern angereist. Die Leute, die angestellt waren oder noch Geld für ihre kleine Firma erkämpfen mussten, kamen erst morgen Abend rein. Wir machten noch eine kleine Runde, sahen aber keine bekannten Gesichter.
Okay, David Haider hatten wir letztes Jahr in Geiselwind gesehen. Da fuhr er noch einen DAF Spähpanzer für Vögel, jetzt war er mit eigenen LKW da. Von Patrick und seiner norddeutschen Niederlassung war nichts zu sehen. Wahrscheinlich waren die in Assen.

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